Bundesgerichtshof Urteil, 28. Juni 2017 - 2 StR 92/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:280617U2STR92.17.0
bei uns veröffentlicht am28.06.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 92/17
vom
28. Juni 2017
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:280617U2STR92.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. Juni 2017, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl als Vorsitzender,
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Eschelbach, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Grube, Schmidt,
Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Aachen vom 28. November 2016 wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. 2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil im Strafausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Freiheitsberaubung, vorsätzlichem unerlaubten Besitz einer „halbautomatisierten“ Kurzwaffe zum Verschießen von Patronenmunition und „mit“ vorsätzlichem unerlaubten Besitz von Munition zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
2
Dagegen richtet sich die auf eine Formal- und auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten und wirksam auf den Strafausspruch beschränkten Revision gegen die Strafrahmenwahl und die Strafzumessung im engeren Sinne.
3
Die Revision des Angeklagten erweist sich als unbegründet. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.

4
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
5
Der Angeklagte begab sich am frühen Morgen des 31. Juli 2015 gegen 3.30 Uhr in das in A. gelegene und von dem Zeugen K. betriebene Café Ak. , um die dort aufgestellten Geldspielautomaten aufzubrechen und das darin enthaltene Bargeld zu entwenden. Mit einer mit Sehschlitzen versehenen „Wollmaske“ maskiert betrat der Angeklagte, der zur Überwindung etwaigen Widerstands eine – möglicherweise ungeladene – Pistole, eine halbautomatische Kurzwaffe der Marke Zavodi Crvena Zastava, Kaliber 9 mm, sowie ein Elektroschockgerät mit sich führte, das Café, in dem sich zu diesem Zeitpunkt der Angestellte Ka. sowie ein unbekannt gebliebener Gast aufhielten. Der Angeklagte hielt dem Geschädigten Ka. die Pistole in den Nacken und forderte ihn ebenso wie die weitere Person auf, sein Mobiltelefon auszuschalten und sich auf den Boden zu legen. Nachdem beide dieser Aufforderung gefolgt waren , packte der Angeklagte den Geschädigten Ka. am Kragen, versetzte ihm Faustschläge in den Rücken- und Schulterbereich und schob ihn vor sich her hinter die Theke des Cafés. Dort forderte er den Geschädigten erneut auf, sich auf den Boden zu legen. Er fesselte Hände und Füße des Geschädigten mit den zu diesem Zweck mitgeführten Kabelbindern und unterband dessen Gegenwehr , indem er ihm mit dem Elektroschockgerät zwei Stromstöße in den Rückenbereich versetzte; hierdurch erlitt der Geschädigte – wie vom Angeklagten billigend in Kauf genommen – nicht unerhebliche Schmerzen und trug Verletzungen in Form von Hautrötungen sowie oberflächliche Hautverletzungen („Kratzer“) davon. Nach Anlegen der Kabelbinder knebelte der Angeklagte den Geschädigten, indem er ihm Servietten in den Mund stopfte, und riss die Überwachungskamera aus ihrer Verankerung.
6
Anschließend nahm er die Wollmütze ab und sprach den Geschädigten Ka. in türkischer Sprache mit dessen Vornamen an. Nach rund 15 bis 20 Minuten befreite er den Geschädigten von den Kabelbindern und forderte ihn auf, sich an einen Tisch zu setzen. Nachdem der unbekannt gebliebene Gast eine Tasche mit Werkzeug aus dem Fahrzeug des Angeklagten geholt hatte, brach der Angeklagte zwei der drei Geldspielautomaten auf. Dabei erklärte er, dass er der „Ö. “ sei und drohte dem Geschädigten, er werde ihn umbringen, wenn er ihn anzeige. Nachdem es ihm gelungen war, die Geldspielautomaten aufzubrechen , nahm er das darin befindliche Bargeld – rund 2.500 € – an sich. Er verstaute die Tatbeute in Taschen, wiederholte seinen Vornamen und die Todesdrohung und verließ schließlich das Café. Der durch die Tat verursachte Sachschaden betrug mindestens 2.500 €.
7
Einige Tage nach der Tat traf der Zeuge K. mit dem Angeklagten Ö. und weiteren Personen zusammen; dabei räumte der Angeklagte Ö. den Überfall ein und erklärte dem Zeugen K. sinngemäß, dass dieser „die Sache nicht weiter in die Länge ziehen solle“.
8
In der Hauptverhandlung am 7. November 2016 forderte der in Untersuchungshaft genommene Angeklagte Ö. den auf freiem Fuß befindlichen Mitangeklagten B. auf, Einfluss auf den Zeugen Ka. zu nehmen, dessen Vernehmung am nächsten Sitzungstag erfolgen sollte („Kümmere Dich darum; rede mit ihm. Er soll keinen Blödsinn machen.“).

II.

9
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
10
1. Die Formalrügen sind aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift genannten Gründen jedenfalls unbegründet.
11
2. Die auf die Sachrüge hin gebotene umfassende Prüfung des angegriffenen Urteils lässt einen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler nicht erkennen. Der Erörterung bedarf nur das Folgende:
12
a) Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
13
aa) Die Strafkammer war sich des eingeschränkten Beweiswerts der polizeilichen Angaben des Zeugen Ka. bewusst, der in der Hauptverhandlung wegen bestehender Vernehmungsunfähigkeit nicht gehört und von den Verfahrensbeteiligten nicht unmittelbar befragt werden konnte. Sie hat im Rahmen der Beweiswürdigung ausdrücklich berücksichtigt, dass „weder für das Gericht noch für die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung Gelegenheit für Nachfragen oder auch eine konfrontative Befragung bestand“. Dies und die im Übrigen sorgfältige, auf weitere, außerhalb der Aussage des Zeugen liegende, den Angeklagten belastende Beweisanzeichen gestützte Beweiswürdigung genügt den insoweit bestehenden Anforderungen in sachlich-rechtlicher Hinsicht (vgl. BGH, Urteil vom 25. Juli 2000 – 1 StR 169/00, insoweit in BGHSt 46, 93 nicht abgedruckt ; Beschluss vom 29. November 2006 – 1 StR 493/06, BGHSt 51, 150,

157).

14
bb) Es ist rechtlich unbedenklich, dass die Strafkammer die vorliegend festgestellte versuchte Einflussnahme des Angeklagten über einen Dritten auf den Zeugen Ka. während laufender Hauptverhandlung als ein den Angeklagten belastendes Indiz bewertet hat.
15
Der in Untersuchungshaft genommene Angeklagte hatte ausweislich der Feststellungen versucht, den auf freiem Fuß befindlichen Mitangeklagten B. vor der für den Folgetag vorgesehenen Vernehmung des Belastungszeugen Ka. dazu zu bestimmen, auf diesen Zeugen bzw. den Inhalt seiner Aussage „in unlauterer Weise Einfluss zu nehmen“ („Rede mit ihm; er soll keinenBlöd- sinn machen.“).
16
Zwar enthielte diese Beweiserwägung Elemente eines Zirkelschlusses, wenn sie gedanklich bereits voraussetzte, was erst zu beweisen wäre, dass der Angeklagte die Tat tatsächlich begangen hätte (vgl. Senat, Urteil vom 8. Dezember 2004 – 2 StR 441/04, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 32). In diesem Sinne versteht der Senat die von der Strafkammer ersichtlich als ein die übrigen Beweiserwägungen abrundendes Indiz angeführte Erwägung jedoch nicht. Dass die Strafkammer hier die versuchte Einwirkung auf den Zeugen als ein die Grenzen zulässigen Verteidigungsverhaltens eindeutig überschreitendes und auf eine „unlautere“ Einflussnahme auf den Belastungszeugen zielendes Verhalten des Angeklagten angesehen hat, ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden , sondern hält sich im Rahmen des tatrichterlichen Wertungsspielraums. Die Strafkammer hat diese Würdigung nicht nur auf den Inhalt der Äußerung , sondern auf das damit in Zusammenhang stehende Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung gestützt. Dieser hatte geleugnet, dass seine Aufforderung überhaupt dahin zu verstehen sei, dass der Mitangeklagte auf den Belastungszeugen Einfluss nehmen solle. So hatte er zunächst behauptet, seine Äußerung sei auf den Mitangeklagten und dessen Verhalten in der Hauptverhandlung bezogen gewesen. Nachdem der Mitangeklagte dies nicht bestä- tigt hatte, hat der Angeklagte behauptet, seine Äußerung sei auf „seine Ehefrau und den Wunsch“ bezogen, dass diese sich „um das Kind kümmern“ solle. Auch diese Version hat die Strafkammer tragfähig widerlegt. Vor diesem Hintergrund begegnet weder die Annahme einer versuchten unlauteren Einflussnahme noch deren Würdigung als ein den Angeklagten belastendes Indiz rechtlichen Bedenken, zumal diese Würdigung zu dem festgestellten Vorverhalten des Angeklagten passt; dieser hatte seine Täterschaft nach der Tat gegenüber Dritten offen eingeräumt, aber für den Fall der Namensnennung gegenüber den Strafverfolgungsbehörden mit Konsequenzen gedroht.
17
cc) Die Feststellungen und Wertungen der Strafkammer tragen die Annahme , dass der Angeklagte, der mit Wollmütze maskiert und mit Pistole sowie Elektroschockgerät bewaffnet das Café betrat und Einbruchswerkzeug zum Aufbruch der Spielautomaten in seinem Fahrzeug mitführte, von Beginn an mit Raubvorsatz handelte. Auch wenn die Art der Tatausführung einige Besonderheiten aufweist, welche die Strafkammer letztlich nicht aufzuklären vermochte, und der Angeklagte mit seiner Tat möglicherweise weitere Ziele verfolgte, stellt dies die subjektive Tatseite nicht in Frage. Erörterungen dazu, ob der Angeklagte das Café aus anderen Gründen betrat und den Raubvorsatz etwa erst spon- tan und nach dem Einsatz der Gewalt gegen den Zeugen Ka. gefassthaben könnte, waren entbehrlich. Der Tatrichter ist von Rechts wegen nicht verpflichtet , sich in den Urteilsgründen mit möglichen Geschehensabläufen auseinander zu setzen, für die nach dem festgestellten Sachverhalt Anhaltspunkte nicht ersichtlich sind und die deshalb fern liegen.
18
b) Die tateinheitliche Verurteilung wegen Freiheitsberaubung (§ 239 StGB) ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden. Zwar tritt § 239 StGB im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter den Tatbestand des Raubes (§ 249 StGB) zurück, wenn die Freiheitsberaubung nur das tatbestandliche Gewaltmittel zur Begehung des Raubes ist (Senat, Urteil vom 11. September 2014 – 2 StR 269/14, StV 2015, 113; Beschluss vom9. Juli 2004 – 2 StR 150/04; BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2007 – 4 StR 470/07, juris Rn. 1). So lag es hier jedoch nicht. Der Angeklagte fesselte sein Tatopfer vielmehr während des mehraktigen Raubgeschehens über einen Zeitraum von 15 bis 20 Minuten an Händen und Füßen, nachdem er es mit einer Pistole bedroht, massiv körperlich misshandelt und ihm mit einem Elektroschockgerät Stromstöße versetzt hatte. Bei dieser Sachlage begegnet die Annahme von Tateinheit keinen rechtlichen Bedenken.
19
c) Dass die Strafkammer nicht auch eine Strafbarkeit wegen Führens der halbautomatischen Kurzwaffe (vgl. Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 WaffG Abschnitt 2 Nr. 4) durch deren Verwendung bei dem Überfall erwogen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Oktober 2008 – 4 StR 233/08, NStZ 2009, 628, 629), beschwert den Angeklagten nicht.

III.

20
Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Strafrahmenwahl und Strafzumessung im engeren Sinne halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Sie weisen einen den Angeklagten begünstigenden Rechtsfehler auf.
21
Das Landgericht hat sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er sich „einige Monate“ in Untersuchungshaft befand. Dies begegnet rechtlichen Bedenken. Untersuchungshaft ist, jedenfalls bei der Verhängung einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe, kein Strafmilderungsgrund; sie wird gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet. Anderes gilt nur in Fällen, in denen der Vollzug von Untersuchungshaft ausnahmsweise mit ungewöhnlichen, über das übliche Maß deutlich hinausgehenden Beschwernissen verbunden ist (Senat, Urteil vom 24. August 2016 – 2 StR 504/15, NStZ-RR 2017, 40, 42; BGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – 4 StR 303/13, NStZ-RR 2014, 82, 83). Will der Tatrichter wegen besonderer Nachteile für den Angeklagten den Vollzug der Untersuchungshaft bei der Strafzumessung strafmildernd berücksichtigen, müssen diese Nachteile in den Urteilsgründen dargelegt werden (Senat, Urteil vom 24. August 2016 – 2 StR 504/15, aaO). Hieran fehlt es. Insoweit hat das Landgericht allein darauf abge- stellt, dass der Angeklagte „als nicht der deutschen Sprache hinreichend mächtiger Angeklagter“ besonders haftempfindlichsei. Dabei hat es nicht erkennbar bedacht, dass der Angeklagte bereits seit dem Jahr 2000 in Deutschland lebt, mehrere Cafés betrieben hat und familiäre Bindungen im Inland hat. Bei dieser Sachlage genügte der bloße Hinweis auf unzureichende Sprachkenntnisse zur Begründung einer besonderen Haftempfindlichkeit nicht.
22
Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Der Senat vermag in Ansehung des festgestellten Tatbildes, der Intensität der eingesetzten Gewalt, der erheblichen physischen und psychischen Tatfolgen für das Tatopfer sowie des Nachtatverhaltens des Angeklagten nicht auszuschließen, dass der Tatrichter ohne den aufgezeigten Rechtsfehler die Annahme eines minder schweren Falles abgelehnt und auch im Übrigen eine höhere Strafe verhängt hätte. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
23
Die Feststellungen können aufrechterhalten werden, da es sich um einen reinen Wertungsfehler handelt. Ergänzende, den bisherigen nicht widersprechende Feststellungen sind möglich. Appl Eschelbach Bartel Grube Schmidt

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Strafgesetzbuch - StGB | § 249 Raub


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StPO § 141 Abs. 3, MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d
1. Ist abzusehen, daß die Mitwirkung eines Verteidigers im gerichtlichen Verfahren
notwendig sein wird, so ist § 141 Abs. 3 StPO im Lichte des von Art. 6 Abs. 3
Buchst. d MRK garantierten Fragerechts dahin auszulegen, daß dem unverteidigten
Beschuldigten vor der zum Zwecke der Beweissicherung durchgeführten
ermittlungsrichterlichen Vernehmung des zentralen Belastungszeugen ein Verteidiger
zu bestellen ist, wenn der Beschuldigte von der Anwesenheit bei dieser
Vernehmung ausgeschlossen ist.
2. Der Verteidiger muß regelmäßig Gelegenheit haben, sich vor der Vernehmung mit
dem Beschuldigten zu besprechen.
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BGH, Urt. vom 25. Juli 2000 - 1 StR 169/00 - LG Ravensburg

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 169/00
vom
25. Juli 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 25. Juli 2000,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Maul,
Nack,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwälte ,
und Rechtsanwältin
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 16. Dezember 1999 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Sexualdelikten (u.a. Vergewaltigung ) zum Nachteil seiner Tochter zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit einer auf den Verstoß gegen das faire Verfahren (Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK) gestützten Verfahrensrüge Erfolg.

I.


Zentral für die Überführung des die Tat bestreitenden Angeklagten ist die Aussage der Geschädigten vor dem Ermittlungsrichter. Dieser wurde als Zeuge gehört, nachdem die Geschädigte in der Hauptverhandlung von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hatte.
Die Revision macht mit einer Verfahrensrüge geltend, die ermittlungsrichterliche Vernehmung leide an einem schwerwiegenden Mangel. Bei der Vernehmung der Geschädigten habe der Ermittlungsrichter den nicht in Freiheit befindlichen und noch nicht verteidigten Angeklagten nach § 168c Abs. 3 StPO von der Anwesenheit ausgeschlossen und zugleich nach § 168c Abs. 5 Satz 2 StPO angeordnet, daß eine Benachrichtigung von dem Vernehmungstermin zu unterbleiben habe. Eine Verteidigerbestellung vor der Vernehmung sei nicht erfolgt. Gleichwohl habe das Landgericht die Verurteilung entscheidend auf die Bekundungen der Geschädigten vor dem Ermittlungsrichter gestützt , wobei keine anderen wichtigen Beweismittel vorgelegen hätten. In dieser Vorgehensweise liege ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK in Verbindung mit § 141 Abs. 3 StPO. Die Revision bezieht sich insoweit auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 24. November 1986 (EuGRZ 1987, 147 – Fall Unterpertinger).
Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Anfang November 1997, kurz nach der letzten Tat, flüchtete die Geschädigte zu ihrer Tante, der sie von dem sexuellen Mißbrauch berichtete. Die Tante erstattete am 7. November 1997 Strafanzeige. Gegen den Angeklagten wurde daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Vergewaltigung in 304 Fällen eingeleitet. Noch am selben Tage wurde die Geschädigte polizeilich vernommen. Am 8. November 1997 wurde der Angeklagte vorläufig festgenommen und – nach Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO – polizeilich vernommen. Am 9. November 1997 erließ das Amtsgericht Haftbefehl. Dem Angeklagten wurde eine Vielzahl von Vergehen des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes und von Verbrechen der sexuellen Nötigung und der Vergewalti-
gung zur Last gelegt. Bei der am selben Tag erfolgten Anhörung durch den Haftrichter wurde der Angeklagte ”darüber belehrt, daß er, bevor er sich entschließe zum Vorwurf Stellung zu nehmen, einen Anwalt seiner Wahl zu Rate ziehen könne". Der Angeklagte äußerte sich dazu nicht. Zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen machte er keine Angaben.
Noch bevor der Angeklagte einen Verteidiger beauftragt hatte, stellte die Staatsanwaltschaft am 10. November 1997 beim Amtsgericht den Antrag, die Geschädigte richterlich zu vernehmen. Dabei sollte der Angeklagte nach § 168c Abs. 3 StPO von der Anwesenheit ausgeschlossen werden; auch eine Benachrichtigung sollte unterbleiben. Diesem Antrag folgte der Ermittlungsrichter und vernahm die Geschädigte am selben Tag. Die Geschädigte machte nach Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht Angaben, die den Angeklagten belasteten.
Am 17. November beauftragte der Angeklagte einen Rechtsanwalt mit seiner Verteidigung, der sich am Folgetag beim Amtsgericht legitimierte und um alsbaldige Akteneinsicht und vorab um die Einsichtnahme in die privilegierten Aktenteile nach § 147 Abs. 3 StPO bat. Mitte Dezember 1997 gab die Staatsanwaltschaft dem Verteidiger Gelegenheit, das Protokoll der richterlichen Vernehmung der Geschädigten einzusehen. Vollständige Akteneinsicht erhielt der Verteidiger erst Anfang April 1998. Im Rahmen eines Haftbeschwerdeverfahrens wies der Verteidiger am 20. März 1998 darauf hin, daß es unklar sei, ob die Geschädigte in der Hauptverhandlung zur Verfügung stehen würde. Wenn dieser Fall eintreten würde, hätte der Angeklagte keine Möglichkeit zur Befragung der Zeugin gehabt, zumal ihm bei der ermittlungsrichterlichen Vernehmung der Geschädigten kein Verteidiger bestellt worden sei.
Am 30. März 1998 wurden die Ehefrau des Angeklagten und die Schwester der Geschädigten auf Antrag der Staatsanwaltschaft vom Ermittlungsrichter vernommen. Auch von der Anwesenheit bei diesen Vernehmungen wurde der Angeklagte antragsgemäß ausgeschlossen. Entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft wurde jedoch der Verteidiger des Angeklagten von den Terminen benachrichtigt; er nahm an den Vernehmungen teil.
Vor Beginn der Hauptverhandlung teilten die Geschädigte, ihre Schwester sowie die Ehefrau des Angeklagten dem Gericht mit, sie würden von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen. Das Landgericht hat deshalb den Ermittlungsrichter als Zeugen gehört, der bekundete, was diese Zeugen des Angeklagten bei ihm ausgesagt hatten. Gegen den v or der Vernehmung des Ermittlungsrichters erhobenen Widerspruch des Verteidigers wurde die Aussage des Ermittlungsrichters verwertet.

II.


1. Nach Artikel 6 Abs. 3 Buchstabe d der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (der im Wortlaut mit Art. 14 Abs. 3 Buchst. e IPbürgR übereinstimmt) hat der Angeklagte das Recht, ”Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen”.
Dieses Fragerecht hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in zahlreichen Entscheidungen konkretisiert: Urteile vom 24. November 1986 – 1/1985/87/134 – Unterpertinger gegen Österreich = EuGRZ 1987, 147; vom 6. Dezember 1988 – 24/1986/122/171-173 – Barberà gegen Spanien; vom 7. Juli 1989 – 19/1987/142/196 – Bricmont gegen Belgien; vom
20. November 1989 – 10/1988/154/208 – Kostovski gegen Niederlande = StV 1990, 481; vom 27. September 1990 – 25/1989/185/245 – Windisch gegen Österreich = StV 1991, 193; vom 19. Dezember 1990 – 26/1989/186/246 – Delta gegen Frankreich; vom 19. Februar 1991 – 1/1990/192/252 – Isgrò gegen Italien; vom 19. März 1991 – 24/1990/215/277 – Cardot gegen Frankreich = EuGRZ 1992, 437; vom 26. April 1991 – 30/1990/221/283 – Asch gegen Österreich = EuGRZ 1992, 474; vom 28. August 1992 – 39/1991/291/362 – Artner gegen Österreich = EuGRZ 1992, 476; vom 20. September 1993 – 33/1992/378/452 – Saïdi gegen Frankreich; vom 26. März 1996 – 54/1994/501/583 – Doorson gegen Niederlande und vom 7. August 1996 – 48/1995/554/640 – Ferrantelli and Santangelo gegen Italien. Danach gilt:

a) Die Garantie des Fragerechts ist eine besondere Ausformung des Grundsatzes des fairen Verfahrens – ”specific aspect of the general concept of fair trial – (Fälle Unterpertinger Nr. 29; Barberà Nr. 67; Kostovski Nr. 39; Windisch Nr. 23; Asch Nr. 25; Ferrantelli u.a. Nr. 51). Dabei wird das Fragerecht auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs als Recht der Verteidigung insgesamt verstanden (BGH StV 1996, 471).

b) Die Ausgestaltung des Fragerechts ist primär dem nationalen Recht überlassen (Fälle Kostovski Nr. 39; Windisch Nr. 25; Asch Nr. 26; Saïdi Nr. 43; Doorson Nr. 67; siehe auch BGHSt 45, 321 und Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. Art. 6 MRK Rdn. 216). Das gesamte Beweisverfahren muß allerdings im Lichte des durch die Konvention garantierten Fragerechts gesehen werden: ”the whole matter of the taking and presentation of evidence must be looked at in the light of paragraphs ... 3 of Article 6 of the convention” (Fall Barberà Nr. 76).
Die Vertragsstaaten müssen daher das Fragerecht entsprechend ausgestalten : ”Paragraph 1 of Article 6 taken together with paragraph 3, also requires the Contracting States to take positive steps, in particular ... to enable him [the accused] to examine or have examined witnesses against him and to obtain the attendance and examination of witnesses on his behalf under the same conditions as witnesses against him" (Fall Barberà Nr. 78).

c) Für die Frage eines Konventionsverstoßes kommt es nach ständiger Rechtsprechung des EGMR darauf an, ob das Verfahren in seiner Gesamtheit, einschließlich der Art und Weise der Beweiserhebung fair gewesen ist: ”The Court’s task is to ascertain whether the proceedings considered as a whole, including the way in which evidence was taken, were fair” (Fälle Barberà Nr. 89; Windisch Nr. 25; Asch Nr. 26; Saïdi Nr. 43; Doorson Nr. 67; ebenso Gollwitzer aaO Art. 6 MRK Rdn. 216). Insoweit sind maßgebliche Kriterien:
aa) Die Beweisgewinnung muß grundsätzlich in Anwesenheit des Angeklagten in einer öffentlichen Verhandlung mit dem Ziel einer kontradiktorischen Erörterung erfolgen: ”The Court infers, as the Commission did, that all the evidence must in principle be produced in the presence of the accused at a public hearing with a view to adversarial argument” (Fälle Barberà Nr. 78; Kostovski Nr. 41; Windisch Nr. 26; Delta Nr. 36; Isgrò Nr. 34; Asch Nr. 27; Saïdi Nr. 43; Ferrantelli u.a. Nr. 51). Der Angeklagte muß grundsätzlich Zeugen befragen können: ”... the hearing of witnesses must in general be adversarial” (Fall Barberà Nr. 78).
bb) Das bedeutet allerdings nicht, daß die Zeugenaussage stets vor Gericht und öffentlich gemacht werden muß; auch kann aus Art. 6 Abs. 3
Buchst. d MRK kein Recht abgleitet werden, bei der Zeugenvernehmung im Vorverfahren anwesend zu sein (Vogler, Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention Art. 6 Rdn. 551). Die Verwertung von Aussagen, die im Vorverfahren gemacht wurden, ist als solche nicht konventionswidrig (Fälle Kostovski Nr. 41; Windisch Nr. 26; Delta Nr. 36; Asch Nr. 27; siehe dazu auch Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar 2. Aufl. Art. 6 Rdn. 200). Das polizeiliche Vernehmungsprotokoll darf als Surrogat verlesen werden (Fälle Unterpertinger Nr. 31; Asch Nr. 25), und auch die Vernehmungspersonen dürfen als Zeugen vom Hörensagen vernommen werden (Fälle Kostovski Nr. 42; Asch Nr. 25).
Bei bestimmten Konstellationen darf auf eine Konfrontation des Zeugen mit dem Angeklagten verzichtet werden, etwa aus Gründen des Zeugenschutzes (Fälle Unterpertinger Nr. 30; Doorson Nr. 70), oder wenn zu befürchten ist, daß der Zeuge in Gegenwart des Angeklagten nicht die Wahrheit sagen werde (Vogler aaO Rdn. 552). Eine Gegenüberstellung mit dem Belastungszeugen ist daher nicht in jedem Fall zwingend geboten, um die Aussage verwertbar zu machen (Gollwitzer aaO Art. 6 MRK Rdn. 225; vgl. auch Fälle Bricmont Nrn. 79, 86; Ferrantelli u.a. Nr. 52).
cc) Allerdings muß die Justiz eine solche Einschränkung des Fragerechts durch andere Maßnahmen kompensieren: ” ... principles of fair trial also require that in appropriate cases the interests of the defence are balanced against those of witnesses or victims called upon to testify.... Nevertheless, no violation of Article 6 para. 1 taken together with Article 6 para. 3 (d) of the Convention can be found if it is established that the handicaps under which the defence laboured were sufficiently counterbalanced by the procedures followed
by the judicial authorities" (Fall Doorson Nrn. 70, 72; vgl. auch Fall Kostovski Nr. 43).
Dem Angeklagten muß regelmäßig – entweder zu dem Zeitpunkt, in dem der Zeuge seine Aussage macht, oder in einem späteren Verfahrensstadium – eine angemessene und geeignete Gelegenheit gegeben werden, den Zeugen entweder selbst zu befragen oder befragen zu lassen: ”As a rule, these rights require that an accused should be given an adequate and proper opportunity to challenge and question a witness against him, either at the time the witness was making his statement or at some later stage of the proceedings” (Fall Kostovski Nr. 41; siehe auch die Fälle Unterpertinger Nr. 31; Barberà Nr. 86; Windisch Nr. 26; Delta Nr. 36; Isgrò Nr. 34; Asch Nr. 27; Saïdi Nr. 43; Ferrantelli u.a. Nr. 51). Gollwitzer (aaO Art. 6 MRK Rdn. 227) interpretiert dies zutreffend dahin, daß dem auch nachträglich, etwa durch eine nochmalige Vernehmung des Zeugen, Rechnung getragen werden kann. Dabei reicht es nicht aus, nur die Vernehmungsperson befragen zu können, denn Zeuge im Sinne des Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK ist die originäre Auskunftsperson (Fälle Kostovski Nr. 40; Asch Nr. 25; ebenso BGH StV 1996, 471; BGH NStZ 1993, 292; Gollwitzer aaO Art. 6 MRK Rdn. 214, 223).
Unter Umständen kann die Einschränkung des Fragerechts seitens des Angeklagten dadurch kompensiert werden, daß wenigstens der Verteidiger bei der Zeugenvernehmung anwesend ist und den Zeugen befragen kann (Fall Doorson Nrn. 68, 73: anonymer Zeuge; Vogler aaO Art. 6 Rdn. 552).
dd) Für die Frage eines Konventionsverstoßes ist es auch bedeutsam, ob der Angeklagte auf die Befragung des Zeugen rechtzeitig beantragt hat (vgl.
einerseits die Fälle Windisch Nr. 37; Delta Nr. 37: ausdrücklicher Antrag und andererseits die Fälle Cardot Nr. 35; Asch Nr. 29: keinen Antrag gestellt; siehe auch Vogler aaO Art. 6 Rdn. 551), und ob die Ablehnung der Befragung begründet wurde (Fall Bricmont Nr. 89).

d) Eine ähnliche Fallgestaltung wie die vorliegende – Rückgriff auf frühere Bekundungen eines Zeugen, der in der Hauptverhandlung von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht – liegt den österreichischen Fällen Unterpertinger und Asch zugrunde.
aa) Alois Unterpertinger wurde vom Landesgericht Innsbruck wegen zwei Fällen der Körperverletzung verurteilt. Im ersten Fall hatte er seiner Stieftochter im Zuge einer Auseinandersetzung zwischen den Eheleuten (seine Frau hatte ihn einen ”Zuchthäusler” genannt) eine Kratzwunde am Auge zugefügt. Im zweiten Fall hatte er seiner Ehefrau einen Fußtritt gegen die Hand versetzt und ihr dabei den Daumen gebrochen. Zu dem ersten Vorfall vernahm das Gendarmeriepostenkommando Wörgl die Ehefrau als Verdächtige und die Stieftochter als Beteiligte. Wegen des zweiten Vorfalls erstattete die Ehefrau Anzeige beim Gendarmeriepostenkommando Wörgl. Das Bezirksgericht in Kufstein leitete Vorerhebungen wegen der beiden Vorfälle ein. Die Ehefrau wurde vor dem Untersuchungsrichter als Zeugin vernommen und bestätigte – nach Belehrung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht – ihre bisherigen Angaben.
In der Hauptverhandlung vor dem Landesgericht Innsbruck machten die Ehefrau und die Stieftochter von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Aufgrund der Zeugnisverweigerung durfte nach § 252 Abs. 1 der Österreichi-
schen Strafprozeßordnung das Protokoll über die Vernehmung der Ehefrau vor dem Untersuchungsrichter nicht verlesen werden. Nach Österreichischem Recht (OGH ÖJZ 1975, 304) mußten jedoch auf Antrag der Staatsanwaltschaft Schriftstücke anderer Art (§ 252 Abs. 2 StPO), insbesondere die Aussagen der Zeuginnen vor der Gendarmerie, zu Beweiszwecken verlesen werden. Das Oberlandesgericht Innsbruck verwarf die Berufung des Angeklagten. Bei der Wiederholung und Ergänzung der Beweisaufnahme konnte die als Entlastungszeugin gehörte Schwägerin des Angeklagten nichts relevantes bekunden ; weitere Zeugen wurden nicht gehört, da sie nur zu unwesentlichen Nebenumständen benannt worden waren.
Der EGMR sah in dieser Vorgehensweise kein faires Verfahren und entschied , daß durch diese Vorgehensweise Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK verletzt worden seien. Durch die Zeugnisverweigerung vor Gericht hätten die Zeuginnen den Angeklagten daran gehindert, ihnen Fragen zu den vor der Gendarmerie gemachten Bekundungen zu stellen oder stellen zu lassen. Zwar habe er Erklärungen dazu abgeben können, aber das Berufungsgericht sei seinen Beweisanträgen zur Erschütterung der Glaubwürdigkeit der Zeuginnen nicht nachgegangen. Auch wenn die Bekundungen der Zeuginnen nicht die einzigen Beweismittel gewesen seien, so habe das Berufungsgericht doch sein Urteil entscheidend auf deren Angaben gestützt. In bezug auf diese Aussagen seien seine Verteidigungsrechte verletzt worden, weil er in keinem Stadium des vorausgegangenen Verfahrens die Möglichkeit gehabt habe, Fragen an die Belastungszeuginnen zu stellen.
bb) Johann Asch wurde vom Kreisgericht St. Pölten wegen Nötigung und Körperverletzung verurteilt. Er hatte seine Lebensgefährtin mit einem Gürtel
geschlagen. Am nächsten Tag schickte der Arzt die Geschädigte in ein Krankenhaus ; die Ä rzte attestierten ihre Verletzungen. Danach zeigte die Lebensgefährtin den Angeklagten bei der Gendarmerie Brand-Laaben an. Über ihre Bekundungen wurde ein Protokoll aufgenommen. Wenige Tage später erschien die Lebensgefährtin bei der Gendarmerie und wollte ihre Anzeige zurückziehen. Am selben Tag wurde der Angeklagte bei der Gendarmerie angehört.
In der Hauptverhandlung vor dem Kreisgericht machte die Lebensgefährtin von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Das Kreisgericht hörte daraufhin den Vernehmungsbeamten der Gendarmerie, der über die ihm gegenüber gemachten Angaben der Lebensgefährtin und von den ihm dabei gezeigten Verletzungen berichtete. Auch verlas es das Vernehmungsprotokoll. Das Kreisgericht stützte sich bei seiner Überzeugung unter anderem auf die Angaben des Vernehmungsbeamten und die ärztlichen Atteste. Das Oberlandesgericht Wien verwarf die Berufung des Angeklagten. Es hielt die Angaben der Lebensgefährtin vor der Gendarmerie nach § 252 StPO für verwertbar. Den Antrag des Angeklagten auf Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens lehnte das Oberlandesgericht ab.
Der EGMR sah in dieser Vorgehensweise keine Verletzung des fairen Verfahrens. Es wäre sicherlich vorzuziehen gewesen, wenn die persönliche Anhörung der Zeugin möglich gewesen wäre. Aber das Recht, auf das sie sich zur Zeugnisverweigerung berief, könne nicht dazu dienen, die Strafverfolgung lahmzulegen. Wenn nur die Rechte der Verteidigung beachtet würden, habe das nationale Gericht die Aussage der Zeugin verwerten können, insbesondere im Hinblick darauf, daß die Aussage durch weitere Beweismittel, namentlich die
ärztlichen Atteste, gestützt wurde. Zudem habe der Angeklagte sowohl bei der Gendarmerie als auch vor Gericht Gelegenheit gehabt, zu den Angaben der Zeugin Stellung zu nehmen; dabei habe er widersprüchliche Angaben gemacht , die seine eigene Glaubwürdigkeit erschütterten. Außerdem habe der Angeklagte weder den Vernehmungsbeamten befragt, noch andere Zeugen benannt. Ein medizinisches Sachverständigengutachten habe er erst in der Berufungsinstanz beantragt, zu einem Zeitpunkt, als Verletzungsspuren nicht mehr feststellbar waren. Vor allem aber sei klar, daß die Angaben der Zeugin vor der Gendarmerie nicht das einzige Beweismittel gewesen seien, auf das sich das Kreisgericht gestützt habe. Das Gericht habe neben anderen Beweismitteln auch den persönlichen Eindruck des Vernehmungsbeamten und die ärztlichen Atteste berücksichtigt. Insofern unterscheide sich der vorliegende Fall von den Fällen Unterpertinger und Delta.
2. Diese Auslegung der MRK durch den EGMR ist bei der Anwendung des deutschen Strafprozeßrechts zu berücksichtigen. Der Senat hat dazu im Urteil vom 18. November 1999 (Tatprovokation, Umsetzung der Entscheidung Teixeira = NJW 2000, 1123, zur Veröffentlichung vorgesehen in BGHSt 45, 321) ausgeführt:
”Es entspricht den Grundregeln des Verfahrens vor dem EGMR, daß sich seine Entscheidung darauf beschränkt zu erklären, daß das Gerichtsurteil einer Vertragspartei der MRK in Widerspruch mit den Verpflichtungen aus dieser Konvention steht. Gestatten die innerstaatlichen Gesetze der Vertragspartei nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen der Entscheidung , so hat der EGMR nach Art. 50 MRK (aufgrund der am 1. November 1998 in Kraft getretenen Ä nderung der Konvention durch das Protokoll Nr. 11 [BGBl.
II 1995 S. 578] nunmehr Art. 41 MRK) der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zuzubilligen. Dem EGMR obliegt es somit nicht, nationale Regeln für die Zulässigkeit von Beweismitteln aufzustellen. Der Gerichtshof betont dementsprechend, die Zulässigkeit von Beweismitteln werde in erster Linie durch die Bestimmungen des innerstaatlichen Rechts geregelt und es sei grundsätzlich Sache der nationalen Gerichte, die von ihnen zusammengetragenen Beweise zu würdigen. Die Aufgabe des Gerichtshofs bestehe darin festzustellen , ob das Verfahren in seiner Gesamtheit einschließlich der Darstellung der Beweismittel fair gewesen sei.
Die MRK, die nach Art. II des Zustimmungsgesetzes vom 7. August 1952 Bestandteil des deutschen Rechts geworden ist und dabei im Rang eines (einfachen ) Bundesgesetzes steht (BVerfGE 74, 358, 370), ist als Auslegungshilfe bei der Anwendung nationalen Rechts zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist bei den in einem Strafverfahren angewendeten Gesetzen stets zu prüfen, ob die Anwendung und Auslegung im Einklang mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland steht, 'denn es ist nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber, sofern er dies nicht klar bekundet hat, von völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland abweichen oder die Verletzung solcher Verpflichtungen ermöglichen will’ (BVerfGE aaO; vgl. Ulsamer, FS Zeidler [1987] 1799, 1800).”

III.


Die konventionskonforme Auslegung des deutschen Strafprozeßrechts – hier § 141 Abs. 3 StPO – führt dazu, daß in Fällen der vorliegenden Art dem
Beschuldigten, der noch keinen Verteidiger hat, vor der ermittlungsrichterlichen Vernehmung des wichtigen Belastungszeugen ein Verteidiger bestellt werden muß.
1. Das Gesetz schreibt, wie § 141 Abs. 3 Satz 1 StPO zeigt, auch in Fällen, in denen später im gerichtlichen Verfahren die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig sein wird, für das Vorverfahren nicht ausnahmslos die Bestellung eines Verteidigers vor. Nach § 141 Abs. 3 Satz 2 StPO ”beantragt” die Staatsanwaltschaft jedoch schon während des Vorverfahrens die Bestellung eines Verteidigers, wenn nach ihrer Auffassung in dem gerichtlichen Verfahren die Mitwirkung eines Verteidigers nach § 140 Abs. 1 oder 2 notwendig sein wird.

a) In der traditionellen Sprache des Gesetzes (vgl. auch § 201 Abs. 1 StPO: ”Der Vorsitzende des Gerichts teilt die Anklageschrift dem Angeschuldigten mit” und § 349 Abs. 3 Satz 1 StPO) bedeutet dies, daß die Staatsanwaltschaft den Antrag stellen muß, sobald die Mitwirkung des Verteidigers notwendig sein wird (ähnlich Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 141 Rdn. 5; Pfeiffer, StPO 2. Aufl. § 141 Rdn. 2). ”Notwendig sein wird” heißt, daß die Pflicht zur Antragstellung schon dann entsteht, wenn abzusehen ist, daß die Mitwirkung notwendig werden wird (Laufhütte in KK 4. Aufl. § 141 Rdn. 3). Das zeigt auch die Entstehungsgeschichte des § 141 Abs. 3 StPO zur Verteidigerbestellung im Vorverfahren. Das StPÄ G 1964 fügte an den damals bestehenden Satz, daß der Verteidiger auch schon während des Vorverfahrens bestellt werden kann (heutiger Satz 1 des Abs. 3), die Sätze an: ”Nach dem Abschluß der Ermittlungen (§ 169a Abs. 1) ist er auf Antrag der Staatsanwaltschaft zu bestellen. Die Staatsanwaltschaft soll den Antrag stellen, falls die
Gewährung des Schlußgehörs in Betracht kommt und nach ihrer Auffassung in dem gerichtlichen Verfahren die Verteidigung nach § 140 Abs. 1 notwendig sein wird.” Seine heutige Fassung erhielt § 141 Abs. 3 StPO durch das 1. StVRG vom 9. Dezember 1974. Die Erweiterung der Verteidigerbestellung und die immer strengeren Formulierungen der Anweisung an die Staatsanwaltschaft (von einer Kann- zu einer Soll-Bestimmung und schließlich zu den Worten ”beantragt dies”) machen deutlich, daß der Gesetzgeber die Mitwirkung des Verteidigers im Vorverfahren stärker ausbauen wollte und deshalb eine Antragspflicht gesetzlich vorgeschrieben hat. Zwar bestimmt § 117 Abs. 4 Satz 1 StPO, daß dem unverteidigten Beschuldigten ein Verteidiger für die Dauer der Untersuchungshaft bestellt wird, wenn deren Vollzug mindestens drei Monate gedauert hat und die Staatsanwaltschaft oder der Beschuldigte oder sein gesetzlicher Vertreter es beantragt. Daraus kann indes nicht der Schluß gezogen werden, daß die Staatsanwaltschaft mit der Antragstellung stets drei Monate zuwarten darf. Diese Regelung stellt angesichts der Gesetzesentwicklung zu § 141 Abs. 3 StPO nur eine Mindestgarantie dar (vgl. Rundverfügung des Hessischen Generalstaatsanwalts vom 11. Januar 1994 zur Pflichtverteidigung nach einem Monat U-Haft, abgedruckt in StV 1994, 223).

b) Ob es bei prognostizierter notwendiger Verteidigung überhaupt Fälle geben kann, in denen davon abgesehen werden darf, dem Beschuldigten einen Verteidiger zu bestellen, kann hier dahinstehen.
aa) Jedenfalls dann, wenn die ermittlungsrichterliche Vernehmung eines wichtigen Belastungszeugen ansteht, bei der der Beschuldigte kein Anwesen-
heitsrecht hat, wird in der Regel geboten sein zu prüfen, ob dem nicht verteidigten Beschuldigten zuvor ein Verteidiger nach § 141 Abs. 3 StPO zu bestellen ist, der die Rechte des Beschuldigten bei der Vernehmung wahrnimmt (Wache in KK 4. Aufl. § 168c Rdn. 8; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 168c Rdn. 4; vgl. auch Rieß in Löwe/Rosenberg, StPO 24. Aufl. § 168c Rdn. 9). Diese Prüfung obliegt nach § 141 Abs. 3 StPO in erster Linie der Staatsanwaltschaft. Dies entbindet den Ermittlungsrichter indes nicht von der Verantwortung, für ein konventionsgerechtes Verfahren mit Sorge zu tragen.
bb) Wird darüber hinaus der zentrale zeugnisverweigerungsberechtigte Belastungszeuge unter Ausschluß des Beschuldigten aus Gründen der Beweissicherung ermittlungsrichterlich vernommen, so reduziert sich das Ermessen bei der Frage der Bestellung eines Verteidigers auf Null. Anderes mag dann gelten, wenn die durch die Zuziehung eines Verteidigers bedingte zeitliche Verzögerung den Untersuchungserfolg gefährden würde. Nur diese Auslegung des § 141 Abs. 3 StPO ist mit der Vorgabe der MRK vereinbar. Andernfalls bestünde die Gefahr, daß das von Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK garantierte Fragerecht auch im weiteren Verlauf des Verfahrens nicht gewährleistet werden kann.
2. Hier durfte der Angeklagte zwar von der Anwesenheit bei der ermittlungsrichterlichen Vernehmung der Geschädigten ausgeschlossen werden und auch seine Benachrichtigung konnte unterbleiben (§ 168c StPO). Sowohl der Ermittlungsrichter als auch das erkennende Gericht haben die Gefährdung des Untersuchungserfolgs geprüft und bejaht. Die revisionsgerichtliche Prüfung (vgl. dazu BGHSt 29, 1) läßt Rechtsfehler nicht erkennen, insbesondere liegt
keine Überschreitung der dem tatrichterlichen Ermessen gesetzten Schranken vor. Daß so verfahren werden kann, entspricht auch der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 MRK (siehe oben). Ein Verteidiger konnte nicht benachrichtigt werden, denn der Angeklagte war zu diesem Zeitpunkt noch nicht verteidigt.
3. Dieses gesetzlich zulässige ”handicap” bei der Einschränkung des Fragerechts hätte die Justiz dann aber durch die Bestellung eines Verteidigers für den unverteidigten Angeklagten ausgleichen müssen.
Bei der im Hinblick auf das faire Verfahren vorzunehmenden Gesamtbetrachtung ist auch das Vorverfahren – und damit das Handeln der Staatsanwaltschaft – in den Blick zu nehmen (vgl. Gollwitzer aaO Art. 6 MRK: ”dem Staat zuzurechnenden Verfahrensgestaltung”). In Fällen der vorliegenden Art muß die Justiz von sich aus aktiv werden mit dem Ziel, daß die Verteidigung (zum Begriff siehe BGH StV 1996, 471) Gelegenheit hat, Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen (”requires the Contracting States to take positive steps”: EGMR Fall Barberà Nr. 78).
Das Fragerecht wäre gewährleistet gewesen, wenn ein Verteidiger bei der ermittlungsrichterlichen Zeugenvernehmung anwesend gewesen wäre. Da der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt keinen Verteidiger hatte, wäre die Staatsanwaltschaft verpflichtet gewesen, vor der Vernehmung der Zeugin die Bestellung eines Verteidigers zu beantragen (§ 141 Abs. 3 Satz 2 StPO).
Hier war im Zeitpunkt der richterlichen Vernehmung bereits abzusehen, daß im gerichtlichen Verfahren die Voraussetzungen des § 140 Abs. 1 StPO vorliegen würden. Dem Angeklagten wurden bei der Einleitung des Ermitt-
lungsverfahrens zahlreiche Sexualverbrechen (§ 140 Abs. 1 Nr. 2) zur Last gelegt. Die polizeiliche Vernehmung der Geschädigten hatte einen hohen Beweiswert. Zu Recht hat deshalb der Haftrichter einen dringenden Tatverdacht bejaht. Damit war aber auch schon zu diesem Zeitpunkt abzusehen, daß in dem hochwahrscheinlich zu erwartenden gerichtlichen Verfahren die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung vorliegen würden.
Eine Verletzung des Fragerechts war hier zu besorgen, nachdem der Angeklagte – auf Antrag der Staatsanwaltschaft – nicht benachrichtigt und von der Anwesenheit ausgeschlossen wurde. Die Staatsanwaltschaft hatte den Antrag gestellt, die Zeugin ”möglichst bald” richterlich zu vernehmen, da befürchtet werden müsse, der Angeklagte werde ”alles unternehmen, möglicherweise auch durch Dritte, um seine Tochter von der Aussage abzuhalten”. Das weist aus, daß die ermittlungsrichterliche Vernehmung insbesondere dem legitimen (vgl. Nr. 10, 19a, 221, 222 RiStBV) Zweck der Beweissicherung – Rückgriff auf den Vernehmungsrichter – für den Fall einer späteren Zeugnisverweigerung dienen sollte. Wenn aber dieser auch von der Staatsanwaltschaft für naheliegend gehaltene Fall eintreten würde, dann war abzusehen, daß das Fragerecht nicht zu gewährleisten war.
4. Die im Hinblick auf die Garantie des Fragerechts Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK vorzunehmende Auslegung des § 141 Abs. 3 StPO führt daher dazu, daß die Staatsanwaltschaft verpflichtet war, die Bestellung eines Verteidigers nach dieser Vorschrift (also nicht nur für die einzelne Ermittlungshandlung ) noch vor der Zeugenvernehmung zu beantragen. Hier sind keine Umstände erkennbar, die es gerechtfertigt hätten, daß auch die Benachrichtigung des bestellten Verteidigers unterbleiben konnte (die Entscheidung BGHSt 29, 1
betrifft einen anderen Fall: ein bereits tätiger Verteidiger wurde aus Gründen, die in seiner Person lagen, nicht benachrichtigt).

a) Angemessen und geeignet ist dieser Ausgleich grundsätzlich aber nur, wenn der Verteidiger zu einer sachgerechten Mitwirkung an der Vernehmung auch in der Lage war.
In Fällen der vorliegenden Art läßt sich die Zuverlässigkeit der Belastungsaussage des einzigen Tatzeugen in der Regel nur dann beurteilen – insbesondere kann nur so die Hypothese einer bewußten Falschbeschuldigung ausgeschlossen werden –, wenn der Inhalt der Aussage einer Analyse unterzogen werden kann (sog. Aussageanalyse, grundlegend dazu BGHSt 45, 164). Zentral dafür ist die Detailliertheit der Aussage. Eine Aussage kann mittels der Aussageanalyse nur dann als glaubhaft beurteilt werden, wenn sie signifikante Realitätskriterien aufweist. In bezug auf das Fragerecht muß dabei den Detailkriterien besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden, namentlich den Realkennzeichen , die eine Verflechtung mit objektivierbaren zeitlichen und örtlichen Umständen belegen.
Deshalb muß der Verteidiger – soll das Fragerecht nicht beeinträchtigt sein – regelmäßíg Gelegenheit haben, sich vor der Vernehmung mit dem Beschuldigten zu besprechen, weil er nur so in der Lage ist, sachkundige Fragen, insbesondere Kontrollfragen, wie Situationsfragen (vgl. Bender/Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 2. Aufl. Band II Rdn. 610) zu stellen. Solche Fragen – nicht notwendig zum engen Kern des Tatvorwurfs –, mit denen insbesondere die zeitliche und räumliche Verflechtung der Aussagedetails überprüft
wird, können regelmäßig nur mit einem entsprechenden Hintergrundwissen gestellt werden.

b) Auch wenn der Verteidiger die Möglichkeit der Rücksprache mit dem Beschuldigten hatte, können ergänzende Fragen an den Zeugen erforderlich sein, deren Notwendigkeit sich erst ergibt, nachdem der Beschuldigte vom Inhalt der Zeugenaussage Kenntnis erlangt hat. Hier kann eine durch die Abwesenheit des Beschuldigten bedingte Beeinträchtigung des Fragerechts dadurch ausgeglichen werden, daß die Verteidigung Gelegenheit erhält, auch nachträglich Fragen an den Zeugen zu stellen oder stellen zu lassen (vgl. Gollwitzer aaO Art. 6 MRK Rdn. 227). Die nachträgliche Befragung kann auch durch Vorlage eines schriftlichen Fragenkatalogs erfolgen, zumal auf diese Weise weitgehend ausgeschlossen werden kann, daß der Untersuchungszweck gefährdet wird. Da in Fällen der vorliegenden Art der Zeuge nicht anonym ist, kommen die Bedenken des EGMR (vgl. die Fälle Kostovski Nr. 42; Windisch Nr. 28 einerseits und den Fall Isgrò Nr. 35 andererseits) zur schriftlichen Befragung des anonymen Zeugen nicht zum Tragen.

c) Der Senat hat hier nicht über den – möglicherweise anders zu beurteilenden – Fall zu entscheiden, daß durch ein Zusammenwirken des Verteidigers mit dem Beschuldigten (vgl. BGHSt 29, 1) oder auch nur allein als Folge der Konsultation der Untersuchungszweck gefährdet sein könnte. Hier könnte allerdings wenigstens eine nachträgliche (schriftliche) Befragung angezeigt sein.

d) In künftigen Fällen kann auch eine Vernehmung mittels Videokonferenz nach § 168e StPO eine angemessene und geeignete, und oft sogar die beste Möglichkeit sein, um das Fragerecht zu gewährleisten.

IV.


Das Unterlassen der rechtzeitigen Bestellung eines Verteidigers hat das Fragerecht der Verteidigung bei der ermittlungsrichterlichen Zeugenvernehmung beeinträchtigt. Dieses Versäumnis mindert den Beweiswert des Vernehmungsergebnisses , das durch den Rückgriff auf den Vernehmungsrichter zur Grundlage der Urteilsfindung wurde. Damit wirkte der im Vorverfahren begangene Verfahrensfehler in der Hauptverhandlung fort; das unterliegt der revisionsgerichtlichen Prüfung (§ 337 StPO; vgl. BGHR StPO § 349 Abs. 1 Unzulässigkeit

1).


1. Der Senat hält eine Beweiswürdigungs-Lösung für sachgerechter als ein Verwertungsverbot für den Rückgriff auf den Vernehmungsrichter. Bei der Beweiswürdigungs-Lösung darf zwar auf den Vernehmungsrichter zurückgegriffen werden, allerdings sind dann – ähnlich wie beim anonymen Zeugen (grundlegend BGHSt 17, 382; vgl. zuletzt BGH NStZ 1998, 97; StV 1999, 7; NStZ 2000, 265; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 27; siehe auch BVerfG – Kammer – NJW 1997, 999 sowie BGHSt 45, 321: konventionswidrige Tatprovokation) – besonders strenge Beweis- und Begründungsanforderungen aufzustellen.

a) Auch das grundsätzlich bestehende Verwertungsverbot des § 252 StPO (vgl. BGH NJW 2000, 596, zur Veröffentlichung vorgesehen in BGHSt
45, 203 und BGH NJW 2000, 1247, zur Veröffentlichung vorgesehen in BGHSt 45, 342) gilt nicht uneingeschränkt.
Zwar kann der Rückgriff auf den Vernehmungsrichter ausgeschlossen sein, wenn gegen die Benachrichtigungspflicht der §§ 168c, 224 StPO verstoßen wurde (BGHSt 9, 24; 29, 1; 26, 332; 29, 131, 140; 42, 86; 42, 391; BGH NStZ 1987, 132; 1989, 282).
In seiner neueren Rechtsprechung hat der Bundesgerichtshof bei pflichtwidrig versagten Beteiligungsrechten aber mehr auf die Beeinträchtigung des Beweiswerts abgestellt und deshalb eine Lösung auf der Ebene der Beweiswürdigung bevorzugt, indem das richterliche in ein nichtrichterliches Vernehmungsprotokoll nach § 252 Abs. 2 Satz 2 StPO mit geringerem Beweiswert ”herabgestuft” wird (BGHSt 34, 231, 234, 235; BGH StV 1992, 232; BGH NStZ 1998, 312).
Auch hat der Bundesgerichtshof (BGHSt 29, 1; 42, 391) bei einem berechtigten Ausschluß von der Anwesenheit oder einer berechtigten Nichtbenachrichtigung kein Verwertungsverbot aufgrund fehlender Beteiligungsrechte angenommen.

b) Für die konventionskonforme Auslegung des deutschen Strafprozeßrechts ist eine Gesamtbetrachtung des Verfahrens vorzunehmen. Dazu gehört, daß das gesamte Beweisverfahren im Lichte des Fragerechts gesehen werden muß (vgl. Fall Barberà Nr. 76). Nach der Rechtsprechung des EGMR kommt es dabei zudem auch auf die Art und Weise der Beweiserhebung an. Unter diesem Gesichtspunkt stellt der EGMR zwar in erster Linie auf das Beweisverfah-
ren und weniger auf die Beweiswürdigung selbst ab. Jedoch findet im Rahmen der Gesamtbetrachtung auch die Beweiswürdigung Berücksichtigung, wie gerade die Differenzierung des EGMR in den Fällen Unterpertinger und Asch zeigt. Da die Gesamtbetrachtung vom jeweiligen Einzelfall abhängt, liegt es nahe, eine dem konkreten Fall gerecht werdende Lösung zu finden. Das ist mit der Beweiswürdigungs-Lösung am besten zu erreichen; sie hält der Senat deshalb für vorzugswürdig.
Bei der Beweiswürdigungs-Lösung ist zwar zu bedenken, daß auf ein Vernehmungsergebnis zurückgegriffen wird, an dessen Zustandekommen die Verteidigung unter Beeinträchtigung des rechtlichen Gehörs nicht mitwirken konnte. Aber insofern ist die Verteidigung in einer ähnlichen Lage wie bei dem ”im Dunkel bleibenden” (BGHSt 17, 382, 386) anonymen Zeugen. Dort ist die Beeinträchtigung des Fragerechts häufig sogar noch stärker, weil nicht einmal die Person des Zeugen bekannt ist und weil auf bestimmte Fragen oft keine Antwort gegeben wird. Wenn daher die Beweiswürdigungs-Lösung beim anonymen Zeugen ein konventionsgemäßer Ausgleich ist, muß dies auch für die vorliegende Fallgestaltung gelten.
Auf die Vergleichbarkeit der Problematik des Fragerechts hat der Bundesgerichtshof bereits in BGHSt 17, 382, 385 f. hingewiesen: ”Einem anonymen Gewährsmann gegenüber versagen jedoch nicht nur die Rechte aus den §§ 240, 257 StPO – insoweit ist die Lage nicht wesentlich anders, als wenn der Wissensträger zwar bekannt ist, in der Hauptverhandlung aber nicht vernommen werden kann –...”.
Die Verneinung eines Verwertungsverbots erweist sich auch systemkonform mit der Strafzumessungs-Lösung bei einem Konventionsverstoß aufgrund einer unzulässigen Tatprovokation (BGHSt 45, 321).
2. Daß das Vernehmungsergebnis infolge unterbliebener Verteidigerbestellung fehlerhaft zustande gekommen ist, muß daher bei der tatrichterlichen Beweiswürdigung besondere Beachtung finden. Diese muß vor allem zwei Anforderungen genügen:

a) Zunächst ist zu beachten, daß der originäre Zeuge in der Hauptverhandlung nicht zur Verfügung steht. Dazu gilt, was der Bundesgerichtshof schon 1962 (BGHSt 17, 382, 385) ausgeführt hat: ”Bei einem Zeugen vom Hörensagen besteht zunächst ganz allgemein eine erhöhte Gefahr der Entstellung oder Unvollständigkeit in der Wiedergabe von Tatsachen, die ihm von demjenigen vermittelt worden sind, auf den sein Wissen zurückgeht. Je größer die Zahl der Zwischenglieder, desto geringer ist der Beweiswert der Aussage. Schon dieser Gesichtspunkt mahnt zur Vorsicht”.
Hier ist zwar der unmittelbar gehörte Zeuge ein Ermittlungsrichter, dessen Vernehmungsergebnis grundsätzlich, auch wegen der in § 168c Abs. 2 bestimmten Beteiligungsrechte, eine gewichtige Beweiskraft zukommt (vgl. BGHSt 45, 342; BGH NStZ 1998, 312). Die Verteidigung hatte aber keine Möglichkeit zur Befragung des originären Zeugen. Insofern muß der Tatrichter zusätzlich beachten, daß die Glaubwürdigkeitsbeurteilung mit dem Instrumentarium der Aussageanalyse begrenzt ist, weil die Aussage durch das Fehlen eines kontradiktorischen Verhörs (§ 69 Abs. 2 StPO) nur beschränkt aufgeklärt und vervollständigt werden kann.

b) Deshalb gilt auch hier wie beim gesperrten Zeugen (BGHSt 17, 382, 386): Auf die Angaben des Vernehmungsrichters kann eine Feststellung regelmäßig nur dann gestützt werden, wenn diese Bekundungen durch andere wichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden.

c) Daß eine – sorgfältigste (BGHSt 17, 382, 386) – Überprüfung der von dem Vernehmungsrichter wiedergegebenen Aussage nach diesen Maßstäben erfolgt ist, muß der Tatrichter in einer für das Revisionsgericht nachprüfbaren Weise im Urteil deutlich machen.
3. Diesen – bislang allerdings vom Bundesgerichtshof noch nicht aufgestellten besonderen Beweiswürdigungs- und Begründungsanforderungen – genügt das angefochtene Urteil nicht. Insbesondere liegen keine anderen wichtigen Gesichtspunkte außerhalb der Aussage vor, die das eigentliche Tatgeschehen bestätigen.
Das Landgericht hat eine Beweiswürdigung vorgenommen, die ersichtlich davon ausging – und insoweit auch rechtsfehlerfrei ist –, den Beweiswürdigungs - und Begründungsanforderungen bei Fällen von ”Aussage gegen Aussage” zu genügen. Es hat seine Überzeugung ganz entscheidend auf die Angaben der Geschädigten beim Ermittlungsrichter gestützt. Dabei hat es auch eine fachkundige Analyse des Inhalts der dort getätigten Aussage vorgenommen und insbesondere auf Detailkriterien abgestellt.
Schon hierbei wäre allerdings zu bedenken gewesen, daß gerade das Gewicht der ”Einbettung in den Gesamtlebenssachverhalt” und der Schilderung ”von Details und Begleiterscheinungen” durch das Fehlen eines kontradiktori-
schen Verhörs beschränkt war. Daß weitere Beweismittel die ”Kammer in ihrer Überzeugungsbildung stützen und diese abrunden”, reicht im Hinblick auf das fehlerhaft zustande gekommene ermittlungsrichterliche Vernehmungsergebnis nicht aus, um der vom Senat daraus abgeleiteten Anforderung zu genügen, daß die Aussage durch andere wichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt wird. Die anderen Zeugen waren keine Augenzeugen des sexuellen Kerngeschehens und teilweise Zeugen vom Hörensagen. Auch objektive Beweismittel von Gewicht, mit denen die von der Geschädigten bekundeten sexuellen Handlungen bestätigt worden wären, standen nicht zur Verfügung.
Auf diesem Rechtsfehler beruht das angefochtene Urteil. Der Senat hat nicht selbst auf Freispruch erkannt (§ 354 Abs. 1 StPO), denn er kann nicht ausschließen, daß bei einer Zurückverweisung in einer erneuten Hauptverhandlung noch Tatsachen festgestellt werden könnten, die für eine Verurteilung tragfähig wären.
Schäfer Maul Nack Boetticher Kolz

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 493/06
vom
29. November 2006
BGHSt: ja
Veröffentlichung: ja
__________________
MRK Art. 6 Abs. 3 Buchst. d, StPO § 168c
Zum Recht auf konfrontative Befragung nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK (in
Fortführung von BGHSt 46, 93).
BGH, Beschluss vom 29. November 2006 - 1 StR 493/06 - LG München I
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen zu 1.: Vergewaltigung u.a.
zu 2.: Beihilfe zum Menschenhandel u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29. November 2006 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 12. April 2006 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Angeklagten verurteilt worden sind. Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten S. K. wegen Vergewaltigung und Menschenhandels in Tateinheit mit ausbeuterischer und dirigierender Zuhälterei zur Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten, den Angeklagten D. Ko. wegen Beihilfe zum Menschenhandel und Bedrohung zur Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Im Übrigen hat es die Angeklagten freigesprochen.
2
Die Revisionen der Angeklagten haben mit einer auf der Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens (Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Buchst. d MRK) gestützten Verfahrensrüge Erfolg. Auf die weiteren Verfahrenrügen und die Sachbeschwerde kommt es daher nicht mehr an.

I.

3
Zentral für die Überführung der Angeklagten, die in der Hauptverhandlung von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machten und während des Ermittlungsverfahrens die Taten bestritten hatten, sind die Angaben der Geschädigten E. P. gegenüber der Polizei und vor dem Ermittlungsrichter. In der Hauptverhandlung wurden vier Protokolle über polizeiliche Vernehmungen verlesen und eine Bild-Ton-Aufzeichnung über eine Vernehmung vor dem Ermittlungsrichter vorgeführt. Zudem hörte das Landgericht drei Polizeibeamte und den Ermittlungsrichter. Die Geschädigte, eine polnische Staatsangehörige , war unmittelbar nach der letzten Vernehmung nach Polen zurückgekehrt. Aufgrund ihres Nichterscheinens zur Hauptverhandlung trotz formloser Ladung sowie ihrer Unmutsäußerungen gegenüber dem Ermittlungsrichter behandelte sie das Landgericht als unerreichbar.
4
1. Die Revisionen machen die Verletzung des Rechts auf konfrontative Befragung nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK geltend. Die Angeklagten und ihre Verteidiger hätten zu keinem Zeitpunkt - weder während des Ermittlungsverfahrens noch in der Hauptverhandlung - die Gelegenheit gehabt, der Geschädigten Fragen zu stellen oder Vorhalte zu machen. Insbesondere auch bei ihrer Aussage vor dem Ermittlungsrichter sei ihnen eine konfrontative Befragung versagt gewesen. Der Angeklagte S. K. sei zwar anwesend gewesen, jedoch von der weiteren Vernehmung ausgeschlossen worden, bevor er sein Fragerecht hätte ausüben können. Sein (Wahl-)Verteidiger sei nicht benachrichtigt worden. Der Angeklagte D. Ko. , gegen den damals - trotz bestehenden Anfangsverdachts - das Ermittlungsverfahren formal noch nicht geführt worden sei, sei ebenfalls nicht benachrichtigt worden. Ihm sei auch kein Pflichtverteidiger beigeordnet worden.
5
2. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
6
Am 2. August 2005 gegen 11.00 Uhr wurden zwei Fahrgäste der Münchener Trambahn auf eine lautstarke Auseinandersetzung zwischen dem Angeklagten S. K. und der Geschädigten aufmerksam. Der Angeklagte versuchte, die Geschädigte gegen ihren Willen aus dem Fahrgastraum zu zerren und zu tragen. Als der Angeklagte der Aufforderung der beiden Fahrgäste, die Geschädigte loszulassen, nicht nachkam, drohten sie ihm an, die Polizei zu rufen. Während der Angeklagte daraufhin erklärte, dies sei nicht erforderlich, da es sich lediglich um einen Beziehungsstreit handele, äußerte die Geschädigte "polizia, ja, ja". Daraufhin wurde die Polizei informiert.
7
Eine Polizeibeamtin, die der polnischen Sprache mächtig ist, führte mit der Geschädigten noch an der Trambahnstation ein informatorisches Gespräch. Anschließend wurde die Geschädigte einer sachverständigen Ärztin vorgestellt und in der Folgezeit bis zum 11. August 2005 fünfmal polizeilich vernommen. Der Angeklagte S. K. wurde noch am 2. August 2005 festgenommen und befindet sich aufgrund Haftbefehls vom 3. August 2005 seither ununterbrochen in Untersuchungshaft. Von der Staatsanwaltschaft wurde das Ermittlungsverfahren formal zunächst nur gegen ihn, nicht gegen den Angeklagten D. Ko. geführt, obwohl die Zeugin auch diesen schon bei den Vernehmungen am 2. und 3. August 2005 belastete und der Haftbefehl ihn als anderweitig Verfolgten bezeichnet.
8
Am 9. August 2005 beantragte die Staatsanwaltschaft, die Geschädigte ermittlungsrichterlich zu vernehmen und den Angeklagten S. K. hierzu zu laden. Die Vernehmung, zu der der Angeklagte S. K. , nicht aber der - damals noch nicht als Beschuldigter eingetragene - Angeklagte D. Ko. geladen wurde, wurde am 16. August 2005 durchgeführt. Sie wurde auf Bild-Ton-Träger aufgezeichnet und dem in einem Nebenraum befindlichen Angeklagten S. K. zeitgleich in Bild und Ton übertragen. Während ihrer Aussage äußerte die - "lustlos und emotionslos" wirkende - Zeugin, dass sie "das alles nicht mitmachen" möchte, sie "nur zurück nach Polen" wolle und es sie sehr störe, wenn der Angeklagte zuhöre; sie versuchte, den Vernehmungsraum zu verlassen. Daraufhin schloss der Ermittlungsrichter den Angeklagten , ohne dass dieser zuvor hätte zu Wort kommen können, von der weiteren Vernehmung aus.
9
Bereits mit an die Staatsanwaltschaft München I adressiertem Schreiben vom 3. August 2005 hatte sich Rechtsanwalt W. als Verteidiger des Angeklagten S. K. angezeigt. Das Schreiben war am 4. August 2005 bei der allgemeinen Eingangsstelle der Justizbehörden in München und am 5. August 2005 bei der Staatsanwaltschaft München I eingegangen. Es wurde der sachbearbeitenden Staatsanwältin allerdings erst am 19. August 2005, dem zuständigen Ermittlungsrichter erst am 24. August 2005 vorgelegt, sodass er den Verteidiger vom Vernehmungstermin nicht mehr benachrichtigen konnte. Zu weiteren die Vernehmung der Geschädigten betreffenden Maßnahmen sah der Ermittlungsrichter keine Veranlassung, zumal diese zwischenzeitlich ausgereist war.
10
3. Im Rahmen der Beweiswürdigung begründet das Landgericht seine Überzeugung von der Schuld der Angeklagten wie folgt:
11
Die Angeklagten seien durch die Angaben der Geschädigten überführt. Die - über die Protokolle, die Bild-Ton-Aufzeichnung und die Vernehmungspersonen eingeführte - Aussage sei glaubhaft, weil sie in einer unvorhergesehenen Stresssituation entstanden, detailreich, in einen vielschichtigen Kontext einge- bunden, konstant und frei von Belastungseifer sei. In mehreren Punkten würden die Angaben durch andere Beweismittel bestätigt.
12
Die Überzeugung des Landgerichts von der Glaubhaftigkeit der Aussage stützt sich dabei wesentlich auf deren "Entstehungsgeschichte": Die zwei Fahrgäste sagten in der Hauptverhandlung zu der Auseinandersetzung in der Trambahn aus. Die die polnische Sprache beherrschende Polizeibeamtin wurde zu dem informatorischen Gespräch vernommen; sie berichtete, die Geschädigte habe ihr bereits das wesentliche Tatgeschehen geschildert: Die Geschädigte sei vom Angeklagten D. Ko. ca. ein Monat zuvor von Polen nach Deutschland gebracht und in München dem Angeklagten S. K. übergeben worden. Dieser halte sie seither in seiner Wohnung fest, habe sie vergewaltigt und zwangsprostituiert. Außerdem habe die Geschädigte geäußert, dass sie, weil sie auf Druck Milchausfluss aus der Brust sowie Schmierblutungen habe , befürchte, vom Angeklagten S. K. schwanger zu sein. Die sachverständige Ärztin berichtete über - offensichtlich durch die Auseinandersetzung in der Trambahn verursachte - Hautverfärbungen bei der Geschädigten; bei der Untersuchung habe diese gesagt, sie habe deshalb in der Trambahn sitzen bleiben wollen, weil der Angeklagte sie zu einem Freier habe bringen wollen.
13
Ferner stellt das Landgericht fest, dass die Angaben der Geschädigten von Zeugen bestätigt wurden, soweit sie von einer Fahrt des Angeklagten D. Ko. nach Polen im Juni 2005 sowie von ihrem Besuch in einer Gaststätte etwa am 25. Juli 2005 berichtete.
14
Schließlich setzt sich das Landgericht eingehend mit möglicherweise entlastenden Umständen auseinander und zeigt Widersprüche zwischen den polizeilichen Beschuldigtenvernehmungen der beiden Angeklagten auf. In diesem Zusammenhang teilt das Urteil mit, dass der Angeklagte S. K. sich dahingehend eingelassen hatte, er habe die Geschädigte auf Bitten des Angeklagten D. Ko. bei sich aufgenommen und ab dem zweiten Tag nach ihrer Ankunft täglich einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit ihr gehabt.

II.

15
Die Revisionen machen mit Recht geltend, dass infolge von Fehlern im Ermittlungsverfahren das Recht der Angeklagten auf konfrontative Befragung der Geschädigten nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK verletzt wurde. Da die Angaben der Geschädigten nicht durch gewichtige Gesichtspunkte außerhalb ihrer Aussage gestützt werden, kann das Urteil keinen Bestand haben.
16
1. Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK garantiert - als eine besondere Ausformung des Grundsatzes des fairen Verfahrens nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MRK - das Recht des Angeklagten, "Fragen an Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen". Die Befragung des Zeugen hat dabei grundsätzlich, aber nicht zwingend in der Hauptverhandlung in Anwesenheit des Angeklagten zu erfolgen. Ist ein Zeuge lediglich im Ermittlungsverfahren oder sonst außerhalb der Hauptverhandlung vernommen worden, muss dem Angeklagten entweder zu dem Zeitpunkt, in dem der Zeuge seine Aussage macht, oder in einem späteren Verfahrensstadium die Gelegenheit gegeben werden, den Zeugen selbst zu befragen, unter Umständen über seinen Verteidiger befragen zu lassen. Selbst wenn der Angeklagte zu keinem Zeitpunkt die Gelegenheit zur konfrontativen Befragung des Zeugen hatte, verstößt dies jedoch nicht ohne weiteres gegen Art. 6 Abs. 3 Buchst. d i.V.m. Abs. 1 Satz 1 MRK. Entscheidend ist vielmehr, ob das Verfahren in seiner Gesamtheit einschließlich der Art und Weise der Beweiserhebung und -würdigung fair war (st. Rspr.; vgl. EGMR, Urteile vom 19. Dezember 1990 - Nr. 26/1989/186/246 - Delta gegen Frankreich = ÖJZ 1991, 425, 426; vom 28. August 1992 - Nr. 39/1991/291/362 - Artner gegen Ös- terreich = EuGRZ 1992, 476; vom 7. August 1996 - Nr. 48/1995/554/640 - Ferrantelli und Santangelo gegen Italien = ÖJZ 1997, 151, 152; vom 14. Dezember 1999 - Nr. 37019/97 - A.M. gegen Italien = StraFo 2000, 374, 375; vom 18. Oktober 2001 - Nr. 37225/97 - N.F.B. gegen Deutschland = NJW 2003, 2297; vom 20. Dezember 2001 - Nr. 33900/96 - P.S. gegen Deutschland = NJW 2003, 2893, 2894; vom 23. November 2005 - Nr. 73047/01 - Haas gegen Deutschland = JR 2006, 289, 291; BGHSt 46, 93, 94 ff. m. w. Nachw.; BGH NStZ 2004, 505, 506; 2005, 224, 225; NStZ-RR 2005, 321).
17
Bei der Prüfung, ob insgesamt ein faires Verfahren vorlag, kommt es nach der Rechtsprechung des EGMR insbesondere auch darauf an, ob der Umstand, dass der Angeklagte keine Gelegenheit zur konfrontativen Befragung hatte, der Justiz zuzurechnen ist (EGMR [Ferrantelli & Santangelo] ÖJZ 1997, 151, 152; [Haas] JR 2006, 289, 291). Zwar muss die Justiz auch aktive Schritte unternehmen, um den Angeklagten in die Lage zu versetzen, Zeugen zu befragen oder zumindest befragen zu lassen. Allerdings ist sie nicht zu Unmöglichem verpflichtet (impossibilium nulla est obligatio). Vorausgesetzt, dass ihr keine mangelnde Sorgfalt bei den Bemühungen vorzuwerfen ist, dem Angeklagten die konfrontative Befragung von Zeugen zu ermöglichen, ist im Fall deren Unerreichbarkeit die fehlende Gelegenheit zur Befragung hinzunehmen (EGMR [Haas] aaO m. w. Nachw.).
18
Davon, ob die unterbliebene konfrontative Befragung eines Zeugen der Justiz zuzurechnen ist, ist nach der Rechtsprechung des EGMR der Beweiswert der Angaben dieses Zeugen abhängig. So hat der EGMR entschieden, dass im Fall ausreichender, jedoch fehlgeschlagener Bemühungen seitens der Justiz eine Verurteilung aufgrund der Angaben eines nicht kontradiktorisch vernommenen Zeugen - bei äußerst sorgfältiger ("extreme care") Würdigung - möglich ist, solange sie nicht einzig und allein ("solely") auf diesen Angaben beruht (EGMR [Artner] EuGRZ 1992, 476; [Haas] JR 2006, 289, 291). Insbesondere bei Vorliegen von Verfahrensfehlern hat er demgegenüber bereits dann einen Konventionsverstoß angenommen, wenn sich die Verurteilung zwar nicht allein, aber in einem entscheidenden Ausmaß ("to a decisive extent") auf Angaben eines solchen Zeugen stützt (EGMR [Delta] ÖJZ 1991, 425, 426; [A.M.] StraFo 2000, 374, 375; [P.S.] NJW 2003, 2893, 2894).
19
Bei der Anwendung des deutschen Strafprozessrechts ist die MRK in der Auslegung, die sie durch Rechtsprechung des EGMR erfahren hat, zu berücksichtigen (BVerfG NJW 2004, 3407; BGHSt 45, 321, 328 f.). Daher gilt für die tatrichterliche Beweiswürdigung: Ist die unterbliebene konfrontative Befragung eines Zeugen der Justiz zuzurechnen, kann eine Verurteilung auf dessen Angaben nur gestützt werden, wenn diese durch andere gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden (BGHSt 46, 93, 106; BGH NStZ 2005, 224, 225; NStZ-RR 2005, 321; vgl. auch BGH NJW 2003, 3142, 3144; NStZ 2004, 505, 506 f.).
20
2. Dass die Angeklagten keine Gelegenheit hatten, die Geschädigte zu befragen, beruht, wie die Strafkammer zutreffend festgestellt hat, auf Fehlern im Ermittlungsverfahren. Ob sie die Unerreichbarkeit der Geschädigten in der Hauptverhandlung mit Recht bejaht hat, braucht der Senat daher nicht zu entscheiden.
21
a) Entgegen § 168c Abs. 5 Satz 1 StPO wurde der Verteidiger des Angeklagten S. K. nicht von der ermittlungsrichterlichen Vernehmung der Geschädigten am 16. August 2005 benachrichtigt. Dies beruht auf einem Verschulden der Justiz, da die am 4. August 2005 bei den Justizbehörden in München eingegangene schriftliche Verteidigungsanzeige erst am 19. August 2005 der sachbearbeitenden Staatsanwältin und erst am 24. August 2005 dem zu- ständigen Ermittlungsrichter vorgelegt wurde. Für den Rechtsverstoß macht es keinen Unterschied, ob die erforderliche Benachrichtigung absichtlich, versehentlich oder unter Verkennung der gesetzlichen Voraussetzungen unterblieben ist (BVerfG [Kammer] NJW 2006, 672, 673; BGH NJW 2003, 3142, 3143 m. w. Nachw.).
22
Weiterhin wurde der - zunächst anwesende - Angeklagte S. K. selbst nach Unmutsäußerungen der Geschädigten und ihrem Versuch, den Vernehmungsraum zu verlassen, von der weiteren ermittlungsrichterlichen Vernehmung ausgeschlossen, bevor er von seinem Fragerecht hätte Gebrauch machen können. Nach der Würdigung der Strafkammer war indessen ein - hier auch fern liegender - Ausschlussgrund nach § 168c Abs. 3 StPO nicht gegeben. Der Ausschluss des Angeklagten drängte im Übrigen auch dazu, die Wahrnehmung seines Fragerechts durch einen Verteidiger sicherzustellen (BGHSt 46, 93, 97 ff.).
23
b) Der Angeklagte D. Ko. wurde von der ermittlungsrichterlichen Vernehmung der Geschädigten ebenfalls entgegen § 168c Abs. 5 Satz 1 StPO nicht benachrichtigt. Obwohl das Ermittlungsverfahren formal nicht gegen ihn geführt wurde, hatte er bereits den Status eines Beschuldigten. Da die Geschädigte ihn bei den polizeilichen Vernehmungen am 2. und 3. August 2005 belastet hatte, wurde er Beschuldigter spätestens durch den Antrag der Staatsanwaltschaft auf ihre ermittlungsrichterliche Vernehmung, weil dieser auf die Sicherung der Aussage auch ihn betreffend gerichtet war. Ein Verdächtiger wird zum Beschuldigten, wenn die Ermittlungsbehörden faktisch Maßnahmen ergreifen , die erkennbar darauf abzielen, gegen ihn wegen einer Straftat vorzugehen (BGHR StPO § 55 Abs. 1 Verfolgung 3; BGH NJW 2003, 3142, 3143). Dass gegen den Angeklagten D. Ko. ebenfalls wegen der von der Geschädigten geschilderten Straftaten ermittelt werden sollte, ergibt sich zudem aus dem gegen den Angeklagten S. K. erlassenen Haftbefehl vom 3. August 2005, in dem der Angeklagte D. Ko. als anderweitig Verfolgter bezeichnet ist. Die Staatsanwaltschaft hätte daher auch auf die Benachrichtigung dieses Angeklagten hinwirken müssen.
24
Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Benachrichtigung nach § 168c Abs. 5 Satz 2 StPO lagen in Anbetracht der nach §§ 168e, 58a StPO getrennt durchgeführten Vernehmung fern und wurden von der Strafkammer infolgedessen nicht geprüft (hierzu BGH NJW 2003, 3142, 3144), zumal dann wiederum die Beiordnung eines Pflichtverteidigers erforderlich geworden wäre.
25
3. Die Strafkammer ist zwar - auf der Grundlage von BGHSt 46, 93, 103 ff. - im Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass der Tatnachweis voraussetzt , dass die Angaben der Geschädigten durch gewichtige Gesichtspunkte außerhalb der Aussage bestätigt werden. Sie legt diesbezüglich aber nicht die hier gebotenen strengen Maßstäbe an, so dass das Urteil sich im Ergebnis als rechtsfehlerhaft erweist.
26
Die Strafkammer hat eine fachkundige - für sich genommen rechtsfehlerfreie - Aussageanalyse vorgenommen. Schon hierbei wäre allerdings zu bedenken gewesen, dass gerade den Merkmalen, dass die Angaben "detailreich" und "in einen vielschichtigen Kontext eingebunden" sind, infolge des Fehlens einer kontradiktorischen Erörterung ein geringeres Gewicht zukommt (Senat, Urteil vom 25. Juli 2000 - 1 StR 169/00 - Umdr. S. 27 f., in BGHSt 46, 93 nicht abgedruckt

).

27
Die weiteren Beweismittel, die das Urteil zur Bestätigung der Aussage anführt, genügen hier im Hinblick darauf, dass die unterbliebene konfrontative Befragung der Justiz zuzurechnen ist, den sich daraus ergebenden besonderen Beweiswürdigungs- und Begründungsanforderungen nicht. Die Überzeugung der Kammer stützt sich wesentlich auf die "Entstehungsgeschichte" der Aussage , die Auseinandersetzung in der Trambahn und die ersten zeitnah erfolgten Äußerungen der Geschädigten; beides wird durch Zeugen- und Sachverständigenbeweis bestätigt. Was die Auseinandersetzung in der Trambahn anbelangt, so ließe sie sich jedoch auch mit einem vom Angeklagten - gleichfalls zeitnah - behaupteten Beziehungsstreit in Einklang bringen. Dies gilt umso mehr, als nach den Urteilsfeststellungen die Geschädigte selbst aussagte, sie habe etwa vor den Familienmitgliedern so getan, als habe sie eine Beziehung mit dem Angeklagten S. K. . Dass die Auseinandersetzung bei den beiden Fahrgästen nicht den "Eindruck eines Beziehungsstreits erweckte", ist indessen nicht ausreichend mit Tatsachen belegt und stellt ein bloßes Werturteil dieser Zeugen dar. Die ersten Äußerungen der Geschädigten gegenüber der Polizei sprechen zwar - als wichtiger Teil der Aussagegenese - für die Glaubhaftigkeit der Aussage; es handelt sich hierbei aber nicht um Gesichtspunkte, die außerhalb der Aussage liegen. Die auf eine Schwangerschaft der Geschädigten hindeutenden Umstände (Milchausfluss und Schmierblutungen) sind zudem nicht aussagekräftig bezüglich der Feststellung, dass der Geschlechtsverkehr nicht einvernehmlich stattfand.
28
Soweit sich die Überzeugung der Strafkammer darauf stützt, dass die Angaben der Geschädigten von Zeugen insofern bestätigt wurden, als sie von einer Fahrt des Angeklagten D. Ko. nach Polen im Juni 2005 sowie von ihrem Besuch in einer Gaststätte etwa am 25. Juli 2005 berichtete, fehlt es an einem hinreichenden Bezug zu den festgestellten Taten. Auch teilt das Urteil nicht mit, ob und wie sich die Angeklagten bei ihren polizeilichen Vernehmungen hierzu eingelassen hatten.
29
Augenzeugen, die Angaben zum Kerngeschehen machen konnten, standen dem Landgericht nicht zur Verfügung. Auch objektive Beweismittel, mit denen die von der Geschädigten geschilderten Taten bestätigt worden wären, waren nicht vorhanden (vgl. Senat aaO S. 28).
30
4. Auf dem Rechtsfehler beruht das angegriffene Urteil (§ 337 Abs. 1 StPO). Ein Freispruch durch den Senat selbst kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil eine erneute Vernehmung der Geschädigten, die dem Fragerecht der Angeklagten nach Art. 6 Abs. 3 Buchst. d MRK Rechnung trägt, nicht auszuschließen ist. Nack Wahl Boetticher Kolz Elf

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
das Opfer länger als eine Woche der Freiheit beraubt oder
2.
durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung eine schwere Gesundheitsschädigung des Opfers verursacht.

(4) Verursacht der Täter durch die Tat oder eine während der Tat begangene Handlung den Tod des Opfers, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(5) In minder schweren Fällen des Absatzes 3 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 4 auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.

(2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

1
Die Verurteilung des Angeklagten wegen tateinheitlich begangener Freiheitsberaubung im Fall II. 2. der Urteilsgründe (Raubgeschehen zum Nachteil der Frieda S. ) hat keinen Bestand. Soweit das Tatopfer während des Überfalls an den Händen gefesselt worden ist, liegt tatbestandlich eine Freiheitsberaubung schon deshalb nicht vor, weil das Opfer hierdurch in seiner persönlichen Fortbewegungsfreiheit, das heißt in seiner Fähigkeit, aufgrund eigener Willensentschließung seinen Aufenthalt zu verändern (vgl. BGHSt 14, 314, 316; 32, 183, 188), nicht beeinträchtigt war. Soweit das Tatopfer während des eigentlichen Raubgeschehens infolge der Bedrohungssituation an einer Flucht gehindert war, ist zwar der Tatbestand des § 239 StGB erfüllt; dieser tritt jedoch im Wege der Gesetzeskonkurrenz hinter § 249 StGB zurück, da die Freiheitsbe- raubung hier nur das tatbestandsmäßige Mittel zur Begehung des Raubes war (vgl. Tröndle/Fischer StGB 54. Aufl. § 239 Rd. 18).

(1) Dieses Gesetz regelt den Umgang mit Waffen oder Munition unter Berücksichtigung der Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.

(2) Waffen sind

1.
Schusswaffen oder ihnen gleichgestellte Gegenstände und
2.
tragbare Gegenstände,
a)
die ihrem Wesen nach dazu bestimmt sind, die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit von Menschen zu beseitigen oder herabzusetzen, insbesondere Hieb- und Stoßwaffen;
b)
die, ohne dazu bestimmt zu sein, insbesondere wegen ihrer Beschaffenheit, Handhabung oder Wirkungsweise geeignet sind, die Angriffs- oder Abwehrfähigkeit von Menschen zu beseitigen oder herabzusetzen, und die in diesem Gesetz genannt sind.

(3) Umgang mit einer Waffe oder Munition hat, wer diese erwirbt, besitzt, überlässt, führt, verbringt, mitnimmt, damit schießt, herstellt, bearbeitet, instand setzt oder damit Handel treibt. Umgang mit einer Schusswaffe hat auch, wer diese unbrauchbar macht.

(4) Die Begriffe der Waffen und Munition sowie die Einstufung von Gegenständen nach Absatz 2 Nr. 2 Buchstabe b als Waffen, die Begriffe der Arten des Umgangs und sonstige waffenrechtliche Begriffe sind in der Anlage 1 (Begriffsbestimmungen) zu diesem Gesetz näher geregelt.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 233/08
vom
8. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 8. Oktober 2008 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt an der Oder vom 21. Dezember 2007 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen im dritten Tatkomplex einschließlich derjenigen zu den Verletzungen des Tatopfers, dem Zustand des Tatfahrzeugs und zu der Fahrtstrecke (UA S. 10 bis 11, Zeile 18) aufrechterhalten. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit unerlaubtem Besitz einer Schusswaffe sowie wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr" zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es ihm die Fahrerlaubnis entzogen, seinen Führerschein eingezogen und eine Sperrfrist von vier Jahren für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis festgesetzt.
2
Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
3
1. Spätestens während der Fahrt durch ein Waldgebiet fasste der Angeklagte den Entschluss, den im Range Rover neben ihm sitzenden Zeugen Jörg B. zu töten, „wobei seine Motivlage nicht geklärt werden konnte.“ Der Angeklagte hielt den Range Rover gegen 11:30Uhr unter einem Vorwand auf dem Randstreifen der Landstraße an und verließ das Fahrzeug. Unbemerkt von Jörg B. , der im Range Rover wartete, kehrte der Angeklagte zu dem Fahrzeug zurück, öffnete die Fahrertür und schoss mit seiner Pistole vom Typ Beretta auf Jörg B. , um diesen unter Ausnutzung seiner Arg- und Wehrlosigkeit zu töten. Das Projektil durchdrang die Muskulatur des Geschädigten oberhalb des linken Schlüsselbeins. Jörg B. verließ den Range Rover und rannte im Zick Zack auf die Straße und von dort aus in den Wald. Die weiteren drei Schüsse, die der Angeklagte auf den fliehenden Jörg B. abgab, verfehlten diesen. „Er geriet aus dem Blickfeld des Angeklagten, der dem Zeugen nicht in den Wald folgte, sondern bei seinem Fahrzeug verblieb und sein Tötungsvorhaben als gescheitert ansah.“
4
Der Angeklagte wendete den Range Rover und verblieb am Tatort. Als Jörg B. "nach einiger Zeit" aus dem Wald herauskam und versuchte, den Fahrer eines etwa 40 m vor dem Range Rover haltenden BMW zu veranlassen, ihn mitzunehmen, beugte sich der Angeklagte aus seinem Fahrzeug heraus und schoss erneut auf Jörg B. , ohne diesen zu treffen. Der Angeklagte folgte Jörg B. , der wegzulaufen versuchte, mit dem Range Rover. Als er diesen erreicht hatte, hielt er sein Fahrzeug an und rief Jörg B. zu: “Was hab ich getan , was hab ich getan, steig ein.“ Jörg B. forderte den Angeklagten auf, die Waffe wegzuwerfen, was dieser tat, stieg in den Range Rover ein und bat den Angeklagten, ihn ins Krankenhaus zu fahren.
5
Während der Fahrt auf der Landstraße telefonierte Jörg B. mit seinem Bruder. Der Angeklagte entschloss sich, Jörg B. zu töten, weil er befürchtete, dieser werde seinem Bruder den wirklichen Tathergang schildern. Er beschleunigte den Range Rover auf etwa 100 km/h und lenkte ihn „kurz nach 11:51" Uhr gezielt nach rechts mit der rechten Vorderfront gegen einen am Randstreifen stehenden Baum. Jörg B. überlebte den Unfall.
6
2. Nach Auffassung des Landgerichts hat der Angeklagte den fünften Schuss auf Jörg B. aufgrund eines neuen Tatenschlusses abgeben und hat danach freiwillig die weitere Ausführung der Tat aufgegeben. Der strafbefreiende Rücktritt gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 StGB erstrecke sich aber nicht auf den vorangegangenen Mordversuch, weil der Angeklagte diesen als fehlgeschlagen angesehen habe. Dies hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
7
Bei einem mehraktigen Geschehen ist der Rücktritt hinsichtlich des ersten Tatabschnitts allerdings dann ausgeschlossen, wenn dieser als ein bereits fehlgeschlagener Versuch zu erachten ist (vgl. BGHSt 34, 53, 55; 41, 368, 369; 44, 91, 94). Von einem solchen, auch durch spätere Handlungen nicht mehr rücktrittsfähigen fehlgeschlagenen Versuch ist - bei aktivem Tun - jedoch nur dann auszugehen, wenn der Täter nach dem Misslingen des vorgestellten Tatablaufs zu der Annahme gelangt, er könne die Tat nicht mehr ohne zeitliche Zäsur mit den bereits eingesetzten oder anderen bereitliegenden Mitteln vollen- den, so dass ein erneutes Ansetzen notwendig sei, um zum gewünschten Ziel zu gelangen (BGHSt 41, 368, 369 m.w.N.). Zwar hat der Angeklagte nach den bisherigen Feststellungen sein Vorhaben, den Jörg B. zu töten, nach dessen Flucht in den Wald als gescheitert angesehen. Diese Feststellung findet aber in der Beweiswürdigung des Landgerichts keine Grundlage. Vielmehr lässt die – entgegen der Auffassung der Revision – rechtsfehlerfrei festgestellte objektive Sachlage, die insoweit von Bedeutung ist, als sie Rückschlüsse auf die innere Einstellung des Täters gestattet (vgl. BGHR StGB § 24 Abs. 1 Satz 1 Freiwilligkeit 7), nicht ohne Weiteres den Schluss zu, der Angeklagte habe den Mordversuch nach Abgabe des vierten Schusses als gescheitert angesehen. Nach den bisherigen Feststellungen hatte der Angeklagte auch nach Abgabe des vierten Schusses objektiv weiterhin die Möglichkeit, die Tat ohne zeitliche Zäsur mit dem bereits eingesetzten Mittel zu vollenden. In seiner funktionstüchtigen Pistole befanden sich noch zwei Patronen, so dass er das Tatopfer hätte verfolgen können, um in eine günstigere Schussposition zu gelangen. Anhaltspunkte dafür , dass der Angeklagte hierzu – etwa aus physischen Gründen – nicht in der Lage gewesen wäre, enthält das Urteil nicht.
8
Es ist daher nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte nach dem vierten Schuss die ihm möglich erscheinende weitere Ausführung der Tat freiwillig aufgegeben hat und dass er sowohl von dem Mordversuch als auch von dem dann rechtlich selbständigen nachfolgenden weiteren Tötungsversuch strafbefreiend zurückgetreten ist. Nach den bisherigen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen kommt aber, worauf die Revision zutreffend hingewiesen hat, auch in Betracht, dass der Angeklagte von der Verfolgung Jörg B. s deshalb absah, weil er mit dessen alsbaldiger Rückkehr zur Straße rechnete und die Tat dann vollenden wollte. Insoweit hätte der Prüfung bedurft, ob die dann durch einen fortbestehenden Tötungsvorsatz verbundenen Einzelakte bis zum Weg- werfen der Pistole in einem derart unmittelbaren räumlichen und zeitlichen Zusammenhang stehen, dass das gesamte Handeln des Angeklagten in diesen Handlungsabschnitten auch für einen Dritten als einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint (vgl. BGH NStZ 2005, 263; 2007, 399, jew. m. w. N.).
9
Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung.
10
3. Soweit der Angeklagte im dritten Handlungsabschnitt des Tatgeschehens versucht hat, Jörg B. zu töten, indem er mit dem Range Rover mit hoher Geschwindigkeit gezielt mit der Beifahrerseite des Fahrzeugs gegen einen Straßenbaum fuhr, ist der Schuldspruch wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zwar für sich genommen im Ergebnis rechtlich nicht zu beanstanden. Der Senat hebt das Urteil aber gleichwohl auch insoweit auf, um dem neuen Tatrichter Gelegenheit zu geben, zu den Motiven des Angeklagten - und damit auch zu den in Betracht kommenden Mordmerkmalen - widerspruchsfreie Feststellungen zu treffen. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen in diesem Handlungsabschnitt können jedoch bestehen bleiben. Die ihnen zu Grunde liegende Beweiswürdigung ist entgegen der Auffassung der Revision rechtlich nicht zu beanstanden; insbesondere weist sie auch keine Lücken auf.
11
4. Die Ausführungen im Rahmen der rechtlichen Würdigung geben Anlass auf Folgendes hinzuweisen:
12
a) Wer die tatsächliche Gewalt über eine Waffe außerhalb der eigenen Wohnung, Geschäftsräume oder des eigenen befriedeten Besitztums ausübt, führt eine Waffe (Anlage 1 zu § 1 Abs. 1 WaffG Abschnitt 2 Nr. 4). Der gemäß § 52 Abs. 1 Nr. 1 WaffG strafbare unerlaubte Besitz und das nach dieser Vor- schrift strafbare unerlaubte Führen einer Waffe stehen in Tateinheit (vgl. BGH NStZ 2001, 101).
13
b) Soweit das Landgericht neben einer das Leben gefährdenden Behandlung im Sinne des § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB auch die Tatbestandsvariante des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB bejaht und das eingesetzte Kraftfahrzeug als gefährliches Werkzeug angesehen hat, wird vorsorglich auf die Entscheidung des Senats vom 16. Januar 2007 - 4 StR 524/06 (BGHR StGB § 224 Abs. 1 Nr. 2 i.d.F. des 6. StrRG Werkzeug 3) hingewiesen.
14
c) Die Gefährdung des vom Täter geführten, ihm aber nicht gehörenden Fahrzeugs scheidet aus dem Schutzbereich des § 315 b StGB aus (vgl. BGHSt 27, 40; Fischer StGB 55. Aufl. § 315 c Rdn. 15 b m.w.N.).
Tepperwien Maatz Athing
Ernemann Mutzbauer

(1) Hat der Verurteilte aus Anlaß einer Tat, die Gegenstand des Verfahrens ist oder gewesen ist, Untersuchungshaft oder eine andere Freiheitsentziehung erlitten, so wird sie auf zeitige Freiheitsstrafe und auf Geldstrafe angerechnet. Das Gericht kann jedoch anordnen, daß die Anrechnung ganz oder zum Teil unterbleibt, wenn sie im Hinblick auf das Verhalten des Verurteilten nach der Tat nicht gerechtfertigt ist.

(2) Wird eine rechtskräftig verhängte Strafe in einem späteren Verfahren durch eine andere Strafe ersetzt, so wird auf diese die frühere Strafe angerechnet, soweit sie vollstreckt oder durch Anrechnung erledigt ist.

(3) Ist der Verurteilte wegen derselben Tat im Ausland bestraft worden, so wird auf die neue Strafe die ausländische angerechnet, soweit sie vollstreckt ist. Für eine andere im Ausland erlittene Freiheitsentziehung gilt Absatz 1 entsprechend.

(4) Bei der Anrechnung von Geldstrafe oder auf Geldstrafe entspricht ein Tag Freiheitsentziehung einem Tagessatz. Wird eine ausländische Strafe oder Freiheitsentziehung angerechnet, so bestimmt das Gericht den Maßstab nach seinem Ermessen.

(5) Für die Anrechnung der Dauer einer vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 111a der Strafprozeßordnung) auf das Fahrverbot nach § 44 gilt Absatz 1 entsprechend. In diesem Sinne steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozeßordnung) gleich.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 504/15
vom
24. August 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:240816U2STR504.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. August 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, die Richterinnen am Bundesgerichtshof Dr. Ott, Dr. Bartel,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin als Verteidigerin des Angeklagten,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 22. Juni 2015 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass im Fall II. 2 der Urteilsgründe die tateinheitliche Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung entfällt. 2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten und auf sachlich-rechtliche Einwendungen gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen den Strafausspruch.
2
Die Revision des Angeklagten hat den aus dem Urteilstenor ersichtlichen geringen Teilerfolg und führt zum Wegfall des Schuldspruchs wegen vorsätzlicher Körperverletzung im Fall II. 2 der Urteilsgründe; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.

3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
1. Nach einer gemeinsam mit Freunden in einer Diskothek verbrachten Nacht begegnete der erheblich alkoholisierte und infolge einer körperlichen Auseinandersetzung mit unbekannten Dritten aggressiv gestimmte Angeklagte am 19. Oktober 2014 gegen 5.30 Uhr in einer Grünanlage der ihm unbekannten 75 Jahre alten Nebenklägerin. Seine Frage, ob er ihr helfen könne, beantwortete die Nebenklägerin dahin, dass er sie in Ruhe lassen solle. Aus Wut über diese Zurückweisung versetzte der Angeklagte ihr unvermittelt einen Faustschlag ins Gesicht, in dessen Folge die dem Angeklagten körperlich deutlich unterlegene Nebenklägerin zu Boden stürzte. Anschließend schlug der Angeklagte mehrfach wuchtig mit der Faust auf Gesicht und Kopf der Nebenklägerin ein.
Dabei war ihm bewusst, dass diese Faustschläge geeignet waren, die Nebenklägerin lebensgefährlich zu verletzen. Er ließ schließlich von der laut um Hilfe rufenden, erhebliche Gesichtsverletzungen aufweisenden Nebenklägerin ab und entfernte sich.
5
2. Nach einiger Zeit fasste der Angeklagte den Entschluss, zur Nebenklägerin zurückzukehren. Er packte die mittlerweile auf einer Parkbank sitzende , durch die vorhergehenden Misshandlungen erheblich verletzte und wehrlose Nebenklägerin, riss sie zu Boden und setzte sich auf sie. Anschließend versetzte er ihr zielgerichtet einen weiteren wuchtigen Faustschlag gegen den Kopf, durch den sie Schmerzen erlitt; er öffnete seine Hose, entblößte seinen erigierten Penis und forderte die Nebenklägerin durch eine Geste auf, den Oralverkehr an ihm zu vollziehen. Die sich zur Wehr setzende Nebenklägerin kniff den Angeklagten in die Hoden. Daraufhin schob der Angeklagte Hose und Unterhose der Nebenklägerin gegen ihren Widerstand nach unten, stieß seine flache Hand mit „äußerst massiver Wucht“ in die Vagina der Nebenklägerin und bewegte sie mehrere Male heftig hin und her. Dabei fügte er ihr, wie er erkannte und billigte, schwere, den Bauchraum und den Darm eröffnende lebensgefährliche Pfählungsverletzungen zu. Die Nebenklägerin schrie vor Schmerzen laut auf, rief anhaltend um Hilfe und kotete sich ein. Schließlich ließ der Angeklagte von der schwer verletzten Frau ab und entfernte sich.
6
Die Nebenklägerin wurde von Polizeikräften in ein Krankenhaus transportiert und ihr Leben durch eine sofortige Notoperation gerettet. Die erlittenen ausgeprägten Pfählungsverletzungen erforderten eine Rekonstruktion von Vulva und Vagina der Nebenklägerin; sie befand sich bis zum 27. Oktober 2014 in stationärer Behandlung und litt noch zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung unter den Folgen des Tatgeschehens.

7
Sachverständig beraten ist das Landgericht, das aufgrund der vagen Trinkmengenangaben des Angeklagten sowie einer sehr langen Trinkzeit zwischen 12.00 Uhr am Vortag und 3.30 Uhr am Tattag eine maximale Blutalkoholkonzentration nicht zu berechnen vermochte, von einer möglichen Blutalkoholkonzentration von 4,34 Promille ausgegangen, es hat angenommen, dass die Schuldfähigkeit des trinkgewohnten Angeklagten infolge des zuvor genossenen Alkohols nicht ausschließbar erheblich vermindert (§ 21 StGB) gewesen ist.

II.

8
Die Revision des Angeklagten:
9
1. Die Feststellungen, die auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhen, tragen den Schuldspruch wegen besonders schwerer Vergewaltigung im Fall II. 2 der Urteilsgründe, nicht jedoch den Schuldspruch wegen tateinheitlich hierzu verwirklichter vorsätzlicher Körperverletzung.
10
a) Entgegen der Auffassung der Revision bestehen keine Zweifel daran, dass der Angeklagte den Straftatbestand des § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchstabe a) und b) StGB verwirklicht hat. Die Handlungen des Angeklagten sind – entgegen der Auffassung der Revision – ungeachtet der Frage, ob die Tat eher „Wut- und Bestrafungscharakter“ trug, als sexuelle Handlungen im Sinne des § 184g Nr. 1 StGB aF (nunmehr: § 184h Nr. 1 StGB) anzusehen.
11
Bei objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild eindeutig sexualbezogenen Handlungen kommt es auf die Motivation des Täters nicht an (vgl. etwa BGH, Urteile vom 24. September 1980 – 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336, 338; vom 10. März 2016 – 3 StR 437/15, NJW 2016, 2049). Gleichgültig ist deshalb, ob er die sexuelle Handlung aus Wut, als Akt der Bestrafung , aus Sadismus oder aus anderen Gründen vornimmt (vgl. Senat, Urteil vom 14. März 2012 – 2 StR 561/11, BGHR StGB § 178 Abs. 1 Sexuelle Handlung 9, NStZ-RR 2013, 10, 12). Der ausdrücklichen Feststellung einer sexuellen Absicht des Täters bedarf es bei objektiv sexualbezogenen Handlungen, anders als bei äußerlich ambivalenten Handlungen, nicht. Insoweit genügt es, wenn sich der Täter der Sexualbezogenheit seines Handelns bewusst ist (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2007 – 4 StR 459/07, BGHR StGB § 184g Sexuelle Handlung 2, NStZ-RR 2008, 339, 340). Hieran bestehen ausweislich der tatrichterlichen Feststellungen keine Zweifel.
12
b) Jedoch hält die Annahme, der Angeklagte habe tateinheitlich hierzu den Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) verwirklicht , indem er der Nebenklägerin einen Faustschlag versetzte, rechtlicher Überprüfung nicht stand.
13
Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe diente der Faustschlag bereits der Umsetzung des Tatentschlusses des Angeklagten, die Nebenklägerin zur Vornahme einer sexuellen Handlung - der Ausführung des Oralverkehrs an sich - zu nötigen. Er war damit Teil der gezielt zum Zwecke der sexuellen Nötigung seines Opfers eingesetzten Gewalt des Angeklagten, die mit der in unmittelbarem Anschluss verwirklichten besonders schweren Vergewaltigung eine Tat im Rechtssinne bildete. Bei dieser Sachlage wird – worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat - der Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB von § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchstabe a) StGB verdrängt (Fischer StGB, 63. Aufl., § 177 Rn. 105a).

14
Die Korrektur des Schuldspruchs lässt den Strafausspruch unberührt. Die Strafkammer hat die tateinheitliche Verwirklichung dieses Delikts ausdrücklich nicht strafschärfend berücksichtigt (UA S. 53). Vor diesem Hintergrund schließt der Senat aus, dass der Tatrichter eine mildere Strafe verhängt hätte, wenn er die Konkurrenzverhältnisse, die den Schuldgehalt der Tat im Übrigen unberührt lassen, rechtsfehlerfrei beurteilt hätte.
15
3. Der Strafausspruch weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
16
a) Die strafschärfende Erwägung, der Angeklagte habe sein Opfer „aus nichtigem Anlass angegriffen“ und die Tat aus „nicht nachvollziehbarem Anlass“ begangen, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
17
aa) Allerdings wäre es rechtlich bedenklich, wenn der Tatrichter dem Angeklagten mit der genannten Erwägung das Fehlen verständlicher Motive für seine Tat strafschärfend zur Last gelegt hätte. Nachvollziehbare, verständliche Motive für eine Tatbegehung sind strafmildernd, das bloße Fehlen verständlicher Motive jedoch nicht strafschärfend zu berücksichtigen (Senat, Beschluss vom 23. März 2011 – 2 StR 35/11; Beschluss vom 17. April 2012 – 2 StR 73/12, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 37; Beschluss vom 15. September 2015 – 2 StR 21/15, NStZ-RR 2016, 40; vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 46 Rn. 73; 76b a.E.; vgl. aber auch BGH, Urteil vom 9. Januar 2013 – 5 StR 395/12, BGHR StGB § 224 Strafzumessung 1). Es wäre rechtsfehlerhaft, dem Fehlen eines Strafmilderungsgrunds strafschärfende Bedeutung beizumessen (Niemöller, GA 2012, 337 ff.).

18
bb) Die revisionsgerichtliche Überprüfung der Strafzumessung hat sich jedoch am sachlichen Gehalt der tatrichterlichen Ausführungen und nicht an ihren – möglicherweise missverständlichen oder sonst unzulänglichen – Formulierungen zu orientieren (BGH, Beschluss vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349 f.; Senat, Urteil vom 9. Oktober 2013 – 2 StR 119/13, StV 2014, 478, 479). Die vom Tatrichter gebrauchte Formulierung, der Angeklagte habe die Nebenklägerin „aus nichtigem Anlass“ angegriffen, stellte ersichtlich auf das Tatmotiv ab; nach den Feststellungen entschloss sich der Angeklagte zu dem körperlichen Angriff auf die Nebenklägerin, weil er sich durch die erfolgte Zurückweisung seines Angebots, ihr zu helfen, „provoziert und verärgert“ fühlte. Die Kammer hat durch die genannte Strafzumessungserwägung ersichtlich nicht einen fehlenden Strafmilderungsgrund strafschärfend berücksichtigt, sondern – rechtlich unbedenklich – auf ein auffälliges Missverhältnis zwischen Anlass und Tat abgestellt. Der Tatrichter hat damit die Tätermotivation und da- mit zugleich die aus der Tat sprechende „Gesinnung“ im Sinne des § 46 Abs. 2 StGB als besonders verwerflich charakterisiert und strafschärfend berücksichtigt. Dies ist – wie beispielsweise das Mordmerkmal des niedrigen Beweggrundes zeigt, der die Tat bei einem „eklatanten Missverhältnis zwischen Anlass und Tat“als Mord qualifiziert und mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht (vgl. Fischer StGB, 63. Aufl., § 211 Rn. 18) – von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
19
b) Zu einer Erörterung des vertypten Strafmilderungsgrunds des TäterOpfer -Ausgleichs (§ 46a StGB) bestand vorliegend kein Anlass. Zwar hat der Angeklagte an die Nebenklägerin ein Schmerzensgeld gezahlt und sich zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldbetrags verpflichtet. Es fehlt jedoch – wiedie tatrichterliche Feststellung, die Nebenklägerin habe diese Entschuldi- gung des Angeklagten „mit starrer Miene aufgenommen“ (UA S. 17) belegt – erkennbar an dem von § 46a Nr. 1 StGB vorausgesetzten kommunikativen, auf einen umfassenden friedensstiftenden Ausgleich der Tatfolgen angelegten Prozess zwischen Täter und Opfer (BGH, Urteil vom 3. November 2011 – 3 StR 267/11, NStZ-RR 2012, 43; Senat, Urteil vom 11. September 2013 – 2 StR 131/13, BGHR StGB § 46a Anwendungsbereich 4, NStZ-RR 2013, 372).
20
c) Auch die Bemessung der Gesamtstrafe begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Zwar hat die Strafkammer insoweit zunächst pauschal auf die für die Bemessung der Einzelstrafen maßgeblichen, für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände verwiesen (vgl. UA S. 54). Anschließend hat sie jedoch auf den strafmildernden Umstand des engen zeitlichen, örtlichen und situativen Zusammenhangs beider Taten abgestellt und den gemäß § 54 Abs. 1 Satz 3 StGB erforderlichen eigenständigen Strafzumessungsakt damit – wie geboten – an „gesamtstrafenspezifischen Kriterien“ (Senat, Beschluss vom 5. August 2010 – 2 StR 340/10; vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 2013 – 4 StR 217/13, StraFo 2013, 477; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 54 Rn. 6 mwN) orientiert. Ausgehend hiervon hat sie die im Fall II. 2 der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten als Einsatzstrafe maßvoll auf acht Jahre und sechs Monate erhöht. Dies ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.

III.

21
Die Revision der Staatsanwaltschaft:
22
Die ungeachtet der Schuldspruchkorrektur im Fall II. 2 der Urteilsgründe wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft (vgl. BGH, Urteil vom 14. Mai 1996 – 1 StR 149/96, NStZ-RR 1996, 267) hat Erfolg. Die Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht die zugunsten des Ange- klagten vorgenommene Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB. Auch die Strafzumessung im engeren Sinne hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
23
1. Über die fakultative Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB entscheidet der Tatrichter nach seinem pflichtgemäßen Ermessen aufgrund einer Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Umstände. Einer revisionsrechtlichen Überprüfung ist die Entscheidung über die fakultative Strafrahmenverschiebung nur eingeschränkt zugänglich; insoweit steht dem Tatrichter ein weiter Ermessensspielraum zu (BGH, Urteil vom 19. Oktober 2004 – 1 StR 254/04, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 37). Es ist Aufgabe des Tatrichters, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen und gegeneinander abzuwägen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2016 – 4 ARs 16/15). Welchen Umständen er bestimmendes Gewicht beimisst, ist im Wesentlichen seiner Beurteilung überlassen (BGH, Urteil vom 2. August 2012 – 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336 f.; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 46 Rn. 146 mwN).
24
Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist zu berücksichtigen, dass der Schuldgehalt der Tat bei einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit in aller Regel vermindert ist (Senat, Beschluss vom 7. September 2015 – 2 StR 350/15, NStZ-RR 2016, 74; BGH, Urteil vom 10. November 1954 – 5 StR 476/54, BGHSt 7, 28, 30). Beruht die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit jedoch auf zu verantwortender Trunkenheit, so spricht dies in der Regel gegen eine Strafrahmenverschiebung, wenn sich aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von Straftaten infolge der Alkoholisierung vorhersehbar signifikant erhöht hat (vgl. BGH, Urteil vom 17. August 2004 – 5 StR 93/04, BGHSt 49, 239; BGH, Beschluss vom 10. Mai 2016 – 1 ARs 21/15; Beschluss vom 1. März 2016 – 5 ARs 50/15; weitergehend aber BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2015 – 3 StR 63/15, NStZ 2016, 203; Urteil vom 27. März 2003 – 3 StR 435/02, NJW 2003, 2394; Beschluss vom 28. April 2016 – 4 ARs 16/15). Dabei ist als allgemeinkundig vorauszusetzen , dass eine alkoholische Berauschung generell die Hemmschwelle gegenüber sozial auffälligem und aggressivem Verhalten zu senken pflegt (vgl. Senat, Urteil vom 15. Februar 2006 – 2 StR 419/05, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 40). Weiß der Täter oder muss er damit rechnen, dass er unter Alkoholeinfluss zu strafbaren Verhaltensweisen neigt und trinkt er trotzdem Alkohol, so spricht dies in der Regel gegen die Annahme einer Strafrahmenverschiebung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. März 2014 – 1 StR 65/14, NStZ-RR 2014, 238, und vom 10. Mai 2016 – 1 ARs 21/15). Einschlägiger Vorverurteilungen bedarf es insoweit nicht (BGH, Urteil vom 19. Oktober 2004 – 1StR 254/04, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 37). Die genannten Umstände erhöhen die Schuld und können zur Versagung einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB führen, wenn sie die infolge der Herabsetzung der Schuldfähigkeit verminderte Tatschuld aufwiegen.
25
2. Gemessen hieran hält die tatrichterliche Ermessensentscheidung im Fall II. 1 und im Fall II. 2 auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs rechtlicher Überprüfung nicht stand.
26
Die vom Landgericht angestellten Erwägungen lassen besorgen, dass es von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist.
27
Das Landgericht ist von einer verschuldeten Trunkenheit ausgegangen. Es hat im Rahmen seiner Entscheidung berücksichtigt, dass der Angeklagte nur fünf Monate vor der verfahrensgegenständlichen Tat wegen einer unter dem Einfluss von Alkohol begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Bewährung verurteilt und ihm mit Bewährungsbeschluss vom 20. Mai 2014 aufgegeben worden ist, mit seinem Bewährungs- helfer „die eventuelle Notwendigkeit von Therapiemaßnahmen zu den Problembereichen Alkohol und Aggressivität zu klären“.Ungeachtet dieser Vorverurteilung hat es dem Angeklagten eine Strafmilderung infolge verschuldeter Trunkenheit nicht versagt, weil es nicht festzustellen vermochte, dass „der Angeklagte selbst davon ausging, dass er erneut eine anlasslose Gewalttat bzw. ei- ne noch darüber hinausgehende Gewalttat begehen könnte“ (UA S. 45) und dass er „sich in Bezug auf die von ihmgetrunkene Alkoholmenge überschätzt und gedacht“ habe, „es wird schon gut gehen“ (UA S. 46). Diese Formulierun- gen lassen besorgen, dass das Landgericht von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist und nicht hinreichend bedacht hat, dass die Versagung einer Strafmilderung infolge verschuldeter Trunkenheit nicht voraussetzt , dass der Täter Art und Schwere der unter Alkoholeinfluss begangenen konkreten Tat sicher voraussieht oder hätte vorhersehen können undmüssen. Es genügt insoweit, dass er bei Anspannung der ihm möglichen Sorgfalt hätte erkennen können und müssen, dass er unter dem Einfluss von Alkohol zu Straftaten neigt. Dies lag hier jedenfalls nahe. Die vom Landgericht festgestellten und im Rahmen der zu treffenden Ermessenentscheidung nicht gänzlich unberücksichtigt gebliebenen Vorverurteilungen betrafen jeweils Gewaltdelikte und belegen, dass der Angeklagte zu aggressivem Verhalten neigt. Dass Alkohol generell geeignet ist, aggressive Verhaltensweisen zu verstärken, liegt auf der Hand. Bei dieser Sachlage erscheint nicht nachvollziehbar, inwiefern den Angeklagten unter Schuldgesichtspunkten entlasten sollte, dass er unter diesen besonderen Vorzeichen nicht bereit war, den von ihm und seinem Freundeskreis gepflegten „Lebensstil“, zu dem der übermäßige Genuss von Wodka am Wo- chenende gehörte, zu verändern und hinsichtlich der enthemmenden Wirkung von Alkohol eine gewisse „Gleichgültigkeit“ an den Tag legte.
28
3. Auch die Strafzumessung im engeren Sinne weist Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten auf.
29
a) Bei der Bemessung der Einzelstrafe im Fall II. 2 der Urteilsgründe hat der Tatrichter, worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat, nicht erkennbar bedacht, dass der Angeklagte die Nebenklägerin sowohl körperlich schwer misshandelt (§ 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchstabe a) StGB) als auch in die Gefahr des Todes gebracht (§ 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchstabe b) StGB) und damit zwei Qualifikationstatbestände mit jeweils fünfjähriger Mindeststrafandrohung verwirklicht hat. Unberücksichtigt blieb außerdem, dass der Angeklagte zunächst erfolglos versuchte, die Nebenklägerin zum Oralverkehr zu nötigen, und nach dem Misslingen dieses Versuchs eine sie besonderserniedrigende, sadistisch anmutende sexuelle Handlung an ihr vorgenommen hat.
30
b) Bedenken begegnet schließlich auch die strafmildernde Berücksichtigung der vollzogenen Untersuchungshaft von sechs Monaten. Untersuchungshaft ist, jedenfalls bei der Verhängung einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe, kein Strafmilderungsgrund; sie wird gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet. Anderes gilt nur in Fällen, in denen der Vollzug von Untersuchungshaft ausnahmsweise mit ungewöhnlichen , über das übliche Maß deutlich hinausgehenden Beschwernissen verbunden ist (Senat, Urteil vom 19. Mai 2010 – 2 StR 102/10, NStZ 2011, 100; BGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – 4 StR 303/13, NStZ-RR 2014, 82, 83). Will der Tatrichter wegen besonderer Nachteile für den Angeklagten den Vollzug der Untersuchungshaft bei der Strafzumessung strafmildernd berücksichtigen, müssen diese Nachteile in den Urteilsgründen dargelegt werden (Senat, Urteil vom 14. Juni 2006 – 2 StR 34/06, NJW 2006, 2645). Daran fehlt es hier.
31
Diese Mängel führen zur Aufhebung der Einzelstrafen und zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe. Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da es sich um Wertungsfehler handelt. Ergänzende Feststellungen , die den bereits getroffenen Feststellungen nicht widersprechen, sind möglich.

IV.

32
Bei dieser Sachlage bedurfte es keiner Entscheidung über die gegen die tatrichterliche Kostenentscheidung gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft.

V.

33
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO.

34
Die der inzwischen verstorbenen Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen waren dem Angeklagten aufzuerlegen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. September 1983 – 3 Ws 180/83, MDR 1984, 250; Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 59. Aufl., § 472 Rn. 1; a.A. KKStPO /Gieg, § 472 Rn. 2). Fischer Krehl Eschelbach RinBGH Dr. Ott ist aus tatsächlichen Gründen an der Unterschrift gehindert. Fischer Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 303/13
vom
19. Dezember 2013
in der Strafsache
gegen
wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Dezember
2013, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
Richterin am Bundesgerichtshof
Roggenbuck,
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Franke,
Dr. Mutzbauer,
Dr. Quentin
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 1. Februar 2013 im Strafausspruch in den Fällen B. I. 1.a bis 1.e der Urteilsgründe – im Fall B. I. 1a auch zugunsten des Angeklagten – sowie im Gesamtstrafenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen , Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung, Diebstahls in vier Fällen und Hehlerei unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Essen vom 23. Februar 2012 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Ferner hat es wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eine weitere Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verhängt. Gegen dieses Urteil richtet sich die wirksam auf den Strafausspruch in den Fällen B. I. 1.a bis 1.e sowie den Gesamtstrafenausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat in vollem Umfang Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils schloss sich der Angeklagte spätestens im Sommer 2011 mit den gesondert verfolgten E. M. und A. zusammen, um mit Kokain in nicht geringen Mengen Handel zu treiben. Im Dezember 2011 schloss sich ihnen noch der gesondert verfolgte B. an. In den Fällen B. I. 1.a bis 1.e der Urteilsgründe bezog die Bande zu Handelszwecken jeweils mindestens 500 g, 150 g, 200 g, 910 g und 100 g Kokain mit 10 % Wirkstoffgehalt. Im Fall B. I. 1.d waren zunächst 910 g Kokain in den Besitz der Bande gelangt; 410 g davon hatte man mangels Absatzmöglichkeit an den Lieferanten zurückgegeben. Das Landgericht hat im Fall 1.a eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten, in den Fällen 1.b bis 1.d eine Freiheitsstrafe von jeweils zwei Jahren und im Fall 1.e eine solche von einem Jahr und drei Monaten verhängt.

II.


3
Der Strafausspruch in den von der Staatsanwaltschaft angegriffenen Fällen hat keinen Bestand.
4
1. Schon die Erwägungen, mit denen die Strafkammer den Strafrahmen des § 30a Abs. 3 BtMG bejaht hat, begegnen rechtlichen Bedenken. Die Formulierung , „der Gesetzgeber hatte bei Schaffung des zusätzlich verschärften Verbrechenstatbestandes des § 30a BtMG international organisierte Drogensyndikate im Blick, die nicht nur mittels Kurieren Drogen in die Bundesrepublik einschleusen, sondern auch Absatzorganisationen aufbauen und Maßnahmen für das Waschen und den Rückfluss der Gelder aus Rauschgifthandel treffen“ lässt besorgen, dass die Strafkammer im Rahmen der Gesamtabwägung zu hohe Anforderungen an die Annahme eines „Normalfalles“ nach § 30a Abs. 1 BtMG gestellt hat (vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 1996 – 5 StR 402/95, BGHR BtMG § 30a Bande 2; Urteil vom 18. Juni 2009 – 3 StR 171/09, NStZ-RR 2009, 320, 321). Zudem sind die Wertungen zur Bandenstruktur widersprüchlich. Bei der Erörterung des minder schweren Falles geht die Strafkammer davon aus, dass die Bande um den Angeklagten besonders schlecht organisiert war (UA S. 18). Bei der rechtlichen Würdigung spricht sie hingegen von einer „aus- geklügelten Organisationsstruktur“ (UA S. 16).
5
2. Rechtsfehlerhaft hat die Strafkammer außerdem bei der konkreten Strafzumessung eine zu geringe Strafrahmenuntergrenze zugrunde gelegt, indem sie den Strafrahmen von sechs Monaten bis zehn Jahren Freiheitsstrafe des § 30a Abs. 3 BtMG angewendet hat. Dabei hat sie übersehen, dass die durch den schwereren Qualifikationstatbestand des § 30a Abs. 1 BtMG im Wege der Gesetzeskonkurrenz verdrängten Tatbestände sowohl des § 29a Abs. 1 BtMG als auch des § 30 Abs. 1 BtMG eine Sperrwirkung hinsichtlich der Mindeststrafe entfalten (BGH, Urteil vom 13. Februar 2003 – 3 StR 349/02, BGHR BtMG § 30a Abs. 3 Strafzumessung 1); für die Höchststrafe gilt demgegenüber nach der ständigen Rechtsprechung die für den Schuldspruch maßgebliche Bestimmung (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Mai 2010 – 1 StR 59/10, NStZ 2011, 98, 99; Beschluss vom 14. August 2013 – 2 StR 144/13; vgl. aber auch Beschluss vom 25. Juli 2013 – 3 StR 143/13 Rn. 7 ff., juris).
6
Die Strafkammer hat nicht erwogen, ob auch minder schwere Fälle nach § 29a Abs. 2 und § 30 Abs. 2 BtMG vorliegen. Der Senat kann deshalb nicht ausschließen, dass die Einzelstrafen in den Fällen des bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln auf diesem Fehler beruhen. Im Fall I. 1.e unterschreitet die Einzelstrafe den Strafrahmen des § 30 Abs. 1 BtMG, in den Fällen I. 1.b bis 1.d ist auf die Mindeststrafe des § 30 Abs. 1 BtMG erkannt worden. Im Fall I. 1.a ist lediglich auf eine die Mindeststrafe des § 30 Abs. 1 BtMG geringfügig übersteigende Einzelstrafe erkannt worden. Überdies lässt das Urteil zum Fall I.1.a angesichts der Betäubungsmittelmenge, die nicht über der im Fall I. 1.d gehandelten lag, eine nachvollziehbare Begründung für die Bemessung dieser Strafe vermissen. Insoweit wirkt die Aufhebung auch zugunsten des Angeklagten (§ 301 StPO).
7
3. Hinzu kommt ein weiterer Fehler zugunsten des Angeklagten bei der Bemessung aller Einzelstrafen. Das Landgericht hat im Rahmen der konkreten Strafzumessung die erlittene Untersuchungshaft strafmildernd berücksichtigt. Untersuchungshaft ist indes, jedenfalls bei der Verhängung einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe, kein Strafmilderungsgrund, es sei denn, mit ihrem Vollzug wären ungewöhnliche, über die üblichen deutlich hinausgehende Beschwernisse verbunden (BGH, Urteile vom 28. März 2013 – 4 StR 467/12 Rn. 25 und vom 10. Oktober 2013 – 4 StR 258/13 Rn. 18, jeweils mwN). Will der Tatrichter wegen besonderer Nachteile für den Angeklagten den Vollzug der Untersuchungshaft bei der Strafzumessung mildernd berücksichtigen, müssen diese Nachteile in den Urteilsgründen dargelegt werden (BGH, Urteil vom 14. Juni 2006 – 2 StR 34/06, NJW 2006, 2645). Daran fehlt es hier. Die Strafkammer hat dazu lediglich ausgeführt, dass sich der Angeklagte als besonders haftempfindlich erwiesen habe, ohne dies näher darzulegen.
8
4. Die Aufhebung der Einzelstrafen in den Fällen B. I. 1.a bis 1.d der Urteilsgründe hat – auch soweit im Fall 1.a die Revision zugunsten des Angeklagten Erfolg hat – die Aufhebung der Gesamtstrafe zur Folge.
Sost-Scheible Roggenbuck Franke
Mutzbauer Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 504/15
vom
24. August 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:240816U2STR504.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 24. August 2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, die Richterinnen am Bundesgerichtshof Dr. Ott, Dr. Bartel,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin als Verteidigerin des Angeklagten,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Köln vom 22. Juni 2015 wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass im Fall II. 2 der Urteilsgründe die tateinheitliche Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung entfällt. 2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichnete Urteil im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten und auf sachlich-rechtliche Einwendungen gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen den Strafausspruch.
2
Die Revision des Angeklagten hat den aus dem Urteilstenor ersichtlichen geringen Teilerfolg und führt zum Wegfall des Schuldspruchs wegen vorsätzlicher Körperverletzung im Fall II. 2 der Urteilsgründe; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat Erfolg.

I.

3
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
4
1. Nach einer gemeinsam mit Freunden in einer Diskothek verbrachten Nacht begegnete der erheblich alkoholisierte und infolge einer körperlichen Auseinandersetzung mit unbekannten Dritten aggressiv gestimmte Angeklagte am 19. Oktober 2014 gegen 5.30 Uhr in einer Grünanlage der ihm unbekannten 75 Jahre alten Nebenklägerin. Seine Frage, ob er ihr helfen könne, beantwortete die Nebenklägerin dahin, dass er sie in Ruhe lassen solle. Aus Wut über diese Zurückweisung versetzte der Angeklagte ihr unvermittelt einen Faustschlag ins Gesicht, in dessen Folge die dem Angeklagten körperlich deutlich unterlegene Nebenklägerin zu Boden stürzte. Anschließend schlug der Angeklagte mehrfach wuchtig mit der Faust auf Gesicht und Kopf der Nebenklägerin ein.
Dabei war ihm bewusst, dass diese Faustschläge geeignet waren, die Nebenklägerin lebensgefährlich zu verletzen. Er ließ schließlich von der laut um Hilfe rufenden, erhebliche Gesichtsverletzungen aufweisenden Nebenklägerin ab und entfernte sich.
5
2. Nach einiger Zeit fasste der Angeklagte den Entschluss, zur Nebenklägerin zurückzukehren. Er packte die mittlerweile auf einer Parkbank sitzende , durch die vorhergehenden Misshandlungen erheblich verletzte und wehrlose Nebenklägerin, riss sie zu Boden und setzte sich auf sie. Anschließend versetzte er ihr zielgerichtet einen weiteren wuchtigen Faustschlag gegen den Kopf, durch den sie Schmerzen erlitt; er öffnete seine Hose, entblößte seinen erigierten Penis und forderte die Nebenklägerin durch eine Geste auf, den Oralverkehr an ihm zu vollziehen. Die sich zur Wehr setzende Nebenklägerin kniff den Angeklagten in die Hoden. Daraufhin schob der Angeklagte Hose und Unterhose der Nebenklägerin gegen ihren Widerstand nach unten, stieß seine flache Hand mit „äußerst massiver Wucht“ in die Vagina der Nebenklägerin und bewegte sie mehrere Male heftig hin und her. Dabei fügte er ihr, wie er erkannte und billigte, schwere, den Bauchraum und den Darm eröffnende lebensgefährliche Pfählungsverletzungen zu. Die Nebenklägerin schrie vor Schmerzen laut auf, rief anhaltend um Hilfe und kotete sich ein. Schließlich ließ der Angeklagte von der schwer verletzten Frau ab und entfernte sich.
6
Die Nebenklägerin wurde von Polizeikräften in ein Krankenhaus transportiert und ihr Leben durch eine sofortige Notoperation gerettet. Die erlittenen ausgeprägten Pfählungsverletzungen erforderten eine Rekonstruktion von Vulva und Vagina der Nebenklägerin; sie befand sich bis zum 27. Oktober 2014 in stationärer Behandlung und litt noch zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung unter den Folgen des Tatgeschehens.

7
Sachverständig beraten ist das Landgericht, das aufgrund der vagen Trinkmengenangaben des Angeklagten sowie einer sehr langen Trinkzeit zwischen 12.00 Uhr am Vortag und 3.30 Uhr am Tattag eine maximale Blutalkoholkonzentration nicht zu berechnen vermochte, von einer möglichen Blutalkoholkonzentration von 4,34 Promille ausgegangen, es hat angenommen, dass die Schuldfähigkeit des trinkgewohnten Angeklagten infolge des zuvor genossenen Alkohols nicht ausschließbar erheblich vermindert (§ 21 StGB) gewesen ist.

II.

8
Die Revision des Angeklagten:
9
1. Die Feststellungen, die auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung beruhen, tragen den Schuldspruch wegen besonders schwerer Vergewaltigung im Fall II. 2 der Urteilsgründe, nicht jedoch den Schuldspruch wegen tateinheitlich hierzu verwirklichter vorsätzlicher Körperverletzung.
10
a) Entgegen der Auffassung der Revision bestehen keine Zweifel daran, dass der Angeklagte den Straftatbestand des § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchstabe a) und b) StGB verwirklicht hat. Die Handlungen des Angeklagten sind – entgegen der Auffassung der Revision – ungeachtet der Frage, ob die Tat eher „Wut- und Bestrafungscharakter“ trug, als sexuelle Handlungen im Sinne des § 184g Nr. 1 StGB aF (nunmehr: § 184h Nr. 1 StGB) anzusehen.
11
Bei objektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild eindeutig sexualbezogenen Handlungen kommt es auf die Motivation des Täters nicht an (vgl. etwa BGH, Urteile vom 24. September 1980 – 3 StR 255/80, BGHSt 29, 336, 338; vom 10. März 2016 – 3 StR 437/15, NJW 2016, 2049). Gleichgültig ist deshalb, ob er die sexuelle Handlung aus Wut, als Akt der Bestrafung , aus Sadismus oder aus anderen Gründen vornimmt (vgl. Senat, Urteil vom 14. März 2012 – 2 StR 561/11, BGHR StGB § 178 Abs. 1 Sexuelle Handlung 9, NStZ-RR 2013, 10, 12). Der ausdrücklichen Feststellung einer sexuellen Absicht des Täters bedarf es bei objektiv sexualbezogenen Handlungen, anders als bei äußerlich ambivalenten Handlungen, nicht. Insoweit genügt es, wenn sich der Täter der Sexualbezogenheit seines Handelns bewusst ist (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2007 – 4 StR 459/07, BGHR StGB § 184g Sexuelle Handlung 2, NStZ-RR 2008, 339, 340). Hieran bestehen ausweislich der tatrichterlichen Feststellungen keine Zweifel.
12
b) Jedoch hält die Annahme, der Angeklagte habe tateinheitlich hierzu den Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) verwirklicht , indem er der Nebenklägerin einen Faustschlag versetzte, rechtlicher Überprüfung nicht stand.
13
Nach dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe diente der Faustschlag bereits der Umsetzung des Tatentschlusses des Angeklagten, die Nebenklägerin zur Vornahme einer sexuellen Handlung - der Ausführung des Oralverkehrs an sich - zu nötigen. Er war damit Teil der gezielt zum Zwecke der sexuellen Nötigung seines Opfers eingesetzten Gewalt des Angeklagten, die mit der in unmittelbarem Anschluss verwirklichten besonders schweren Vergewaltigung eine Tat im Rechtssinne bildete. Bei dieser Sachlage wird – worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat - der Tatbestand des § 223 Abs. 1 StGB von § 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchstabe a) StGB verdrängt (Fischer StGB, 63. Aufl., § 177 Rn. 105a).

14
Die Korrektur des Schuldspruchs lässt den Strafausspruch unberührt. Die Strafkammer hat die tateinheitliche Verwirklichung dieses Delikts ausdrücklich nicht strafschärfend berücksichtigt (UA S. 53). Vor diesem Hintergrund schließt der Senat aus, dass der Tatrichter eine mildere Strafe verhängt hätte, wenn er die Konkurrenzverhältnisse, die den Schuldgehalt der Tat im Übrigen unberührt lassen, rechtsfehlerfrei beurteilt hätte.
15
3. Der Strafausspruch weist keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
16
a) Die strafschärfende Erwägung, der Angeklagte habe sein Opfer „aus nichtigem Anlass angegriffen“ und die Tat aus „nicht nachvollziehbarem Anlass“ begangen, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
17
aa) Allerdings wäre es rechtlich bedenklich, wenn der Tatrichter dem Angeklagten mit der genannten Erwägung das Fehlen verständlicher Motive für seine Tat strafschärfend zur Last gelegt hätte. Nachvollziehbare, verständliche Motive für eine Tatbegehung sind strafmildernd, das bloße Fehlen verständlicher Motive jedoch nicht strafschärfend zu berücksichtigen (Senat, Beschluss vom 23. März 2011 – 2 StR 35/11; Beschluss vom 17. April 2012 – 2 StR 73/12, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Wertungsfehler 37; Beschluss vom 15. September 2015 – 2 StR 21/15, NStZ-RR 2016, 40; vgl. Fischer, StGB, 63. Aufl., § 46 Rn. 73; 76b a.E.; vgl. aber auch BGH, Urteil vom 9. Januar 2013 – 5 StR 395/12, BGHR StGB § 224 Strafzumessung 1). Es wäre rechtsfehlerhaft, dem Fehlen eines Strafmilderungsgrunds strafschärfende Bedeutung beizumessen (Niemöller, GA 2012, 337 ff.).

18
bb) Die revisionsgerichtliche Überprüfung der Strafzumessung hat sich jedoch am sachlichen Gehalt der tatrichterlichen Ausführungen und nicht an ihren – möglicherweise missverständlichen oder sonst unzulänglichen – Formulierungen zu orientieren (BGH, Beschluss vom 10. April 1987 – GSSt 1/86, BGHSt 34, 345, 349 f.; Senat, Urteil vom 9. Oktober 2013 – 2 StR 119/13, StV 2014, 478, 479). Die vom Tatrichter gebrauchte Formulierung, der Angeklagte habe die Nebenklägerin „aus nichtigem Anlass“ angegriffen, stellte ersichtlich auf das Tatmotiv ab; nach den Feststellungen entschloss sich der Angeklagte zu dem körperlichen Angriff auf die Nebenklägerin, weil er sich durch die erfolgte Zurückweisung seines Angebots, ihr zu helfen, „provoziert und verärgert“ fühlte. Die Kammer hat durch die genannte Strafzumessungserwägung ersichtlich nicht einen fehlenden Strafmilderungsgrund strafschärfend berücksichtigt, sondern – rechtlich unbedenklich – auf ein auffälliges Missverhältnis zwischen Anlass und Tat abgestellt. Der Tatrichter hat damit die Tätermotivation und da- mit zugleich die aus der Tat sprechende „Gesinnung“ im Sinne des § 46 Abs. 2 StGB als besonders verwerflich charakterisiert und strafschärfend berücksichtigt. Dies ist – wie beispielsweise das Mordmerkmal des niedrigen Beweggrundes zeigt, der die Tat bei einem „eklatanten Missverhältnis zwischen Anlass und Tat“als Mord qualifiziert und mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht (vgl. Fischer StGB, 63. Aufl., § 211 Rn. 18) – von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
19
b) Zu einer Erörterung des vertypten Strafmilderungsgrunds des TäterOpfer -Ausgleichs (§ 46a StGB) bestand vorliegend kein Anlass. Zwar hat der Angeklagte an die Nebenklägerin ein Schmerzensgeld gezahlt und sich zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldbetrags verpflichtet. Es fehlt jedoch – wiedie tatrichterliche Feststellung, die Nebenklägerin habe diese Entschuldi- gung des Angeklagten „mit starrer Miene aufgenommen“ (UA S. 17) belegt – erkennbar an dem von § 46a Nr. 1 StGB vorausgesetzten kommunikativen, auf einen umfassenden friedensstiftenden Ausgleich der Tatfolgen angelegten Prozess zwischen Täter und Opfer (BGH, Urteil vom 3. November 2011 – 3 StR 267/11, NStZ-RR 2012, 43; Senat, Urteil vom 11. September 2013 – 2 StR 131/13, BGHR StGB § 46a Anwendungsbereich 4, NStZ-RR 2013, 372).
20
c) Auch die Bemessung der Gesamtstrafe begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Zwar hat die Strafkammer insoweit zunächst pauschal auf die für die Bemessung der Einzelstrafen maßgeblichen, für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände verwiesen (vgl. UA S. 54). Anschließend hat sie jedoch auf den strafmildernden Umstand des engen zeitlichen, örtlichen und situativen Zusammenhangs beider Taten abgestellt und den gemäß § 54 Abs. 1 Satz 3 StGB erforderlichen eigenständigen Strafzumessungsakt damit – wie geboten – an „gesamtstrafenspezifischen Kriterien“ (Senat, Beschluss vom 5. August 2010 – 2 StR 340/10; vgl. BGH, Beschluss vom 31. Juli 2013 – 4 StR 217/13, StraFo 2013, 477; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 54 Rn. 6 mwN) orientiert. Ausgehend hiervon hat sie die im Fall II. 2 der Urteilsgründe verhängte Einzelstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten als Einsatzstrafe maßvoll auf acht Jahre und sechs Monate erhöht. Dies ist von Rechts wegen nicht zu beanstanden.

III.

21
Die Revision der Staatsanwaltschaft:
22
Die ungeachtet der Schuldspruchkorrektur im Fall II. 2 der Urteilsgründe wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft (vgl. BGH, Urteil vom 14. Mai 1996 – 1 StR 149/96, NStZ-RR 1996, 267) hat Erfolg. Die Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht die zugunsten des Ange- klagten vorgenommene Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB. Auch die Strafzumessung im engeren Sinne hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
23
1. Über die fakultative Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB entscheidet der Tatrichter nach seinem pflichtgemäßen Ermessen aufgrund einer Gesamtabwägung aller schuldrelevanten Umstände. Einer revisionsrechtlichen Überprüfung ist die Entscheidung über die fakultative Strafrahmenverschiebung nur eingeschränkt zugänglich; insoweit steht dem Tatrichter ein weiter Ermessensspielraum zu (BGH, Urteil vom 19. Oktober 2004 – 1 StR 254/04, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 37). Es ist Aufgabe des Tatrichters, auf der Grundlage des umfassenden Eindrucks, den er in der Hauptverhandlung von der Tat und der Persönlichkeit des Täters gewonnen hat, die wesentlichen entlastenden und belastenden Umstände festzustellen und gegeneinander abzuwägen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2016 – 4 ARs 16/15). Welchen Umständen er bestimmendes Gewicht beimisst, ist im Wesentlichen seiner Beurteilung überlassen (BGH, Urteil vom 2. August 2012 – 3 StR 132/12, NStZ-RR 2012, 336 f.; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 46 Rn. 146 mwN).
24
Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist zu berücksichtigen, dass der Schuldgehalt der Tat bei einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit in aller Regel vermindert ist (Senat, Beschluss vom 7. September 2015 – 2 StR 350/15, NStZ-RR 2016, 74; BGH, Urteil vom 10. November 1954 – 5 StR 476/54, BGHSt 7, 28, 30). Beruht die erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit jedoch auf zu verantwortender Trunkenheit, so spricht dies in der Regel gegen eine Strafrahmenverschiebung, wenn sich aufgrund der persönlichen oder situativen Verhältnisse des Einzelfalls das Risiko der Begehung von Straftaten infolge der Alkoholisierung vorhersehbar signifikant erhöht hat (vgl. BGH, Urteil vom 17. August 2004 – 5 StR 93/04, BGHSt 49, 239; BGH, Beschluss vom 10. Mai 2016 – 1 ARs 21/15; Beschluss vom 1. März 2016 – 5 ARs 50/15; weitergehend aber BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2015 – 3 StR 63/15, NStZ 2016, 203; Urteil vom 27. März 2003 – 3 StR 435/02, NJW 2003, 2394; Beschluss vom 28. April 2016 – 4 ARs 16/15). Dabei ist als allgemeinkundig vorauszusetzen , dass eine alkoholische Berauschung generell die Hemmschwelle gegenüber sozial auffälligem und aggressivem Verhalten zu senken pflegt (vgl. Senat, Urteil vom 15. Februar 2006 – 2 StR 419/05, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 40). Weiß der Täter oder muss er damit rechnen, dass er unter Alkoholeinfluss zu strafbaren Verhaltensweisen neigt und trinkt er trotzdem Alkohol, so spricht dies in der Regel gegen die Annahme einer Strafrahmenverschiebung (vgl. BGH, Beschlüsse vom 25. März 2014 – 1 StR 65/14, NStZ-RR 2014, 238, und vom 10. Mai 2016 – 1 ARs 21/15). Einschlägiger Vorverurteilungen bedarf es insoweit nicht (BGH, Urteil vom 19. Oktober 2004 – 1StR 254/04, BGHR StGB § 21 Strafrahmenverschiebung 37). Die genannten Umstände erhöhen die Schuld und können zur Versagung einer Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB führen, wenn sie die infolge der Herabsetzung der Schuldfähigkeit verminderte Tatschuld aufwiegen.
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2. Gemessen hieran hält die tatrichterliche Ermessensentscheidung im Fall II. 1 und im Fall II. 2 auch unter Berücksichtigung des eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs rechtlicher Überprüfung nicht stand.
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Die vom Landgericht angestellten Erwägungen lassen besorgen, dass es von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist.
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Das Landgericht ist von einer verschuldeten Trunkenheit ausgegangen. Es hat im Rahmen seiner Entscheidung berücksichtigt, dass der Angeklagte nur fünf Monate vor der verfahrensgegenständlichen Tat wegen einer unter dem Einfluss von Alkohol begangenen gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit Bewährung verurteilt und ihm mit Bewährungsbeschluss vom 20. Mai 2014 aufgegeben worden ist, mit seinem Bewährungs- helfer „die eventuelle Notwendigkeit von Therapiemaßnahmen zu den Problembereichen Alkohol und Aggressivität zu klären“.Ungeachtet dieser Vorverurteilung hat es dem Angeklagten eine Strafmilderung infolge verschuldeter Trunkenheit nicht versagt, weil es nicht festzustellen vermochte, dass „der Angeklagte selbst davon ausging, dass er erneut eine anlasslose Gewalttat bzw. ei- ne noch darüber hinausgehende Gewalttat begehen könnte“ (UA S. 45) und dass er „sich in Bezug auf die von ihmgetrunkene Alkoholmenge überschätzt und gedacht“ habe, „es wird schon gut gehen“ (UA S. 46). Diese Formulierun- gen lassen besorgen, dass das Landgericht von einem unzutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen ist und nicht hinreichend bedacht hat, dass die Versagung einer Strafmilderung infolge verschuldeter Trunkenheit nicht voraussetzt , dass der Täter Art und Schwere der unter Alkoholeinfluss begangenen konkreten Tat sicher voraussieht oder hätte vorhersehen können undmüssen. Es genügt insoweit, dass er bei Anspannung der ihm möglichen Sorgfalt hätte erkennen können und müssen, dass er unter dem Einfluss von Alkohol zu Straftaten neigt. Dies lag hier jedenfalls nahe. Die vom Landgericht festgestellten und im Rahmen der zu treffenden Ermessenentscheidung nicht gänzlich unberücksichtigt gebliebenen Vorverurteilungen betrafen jeweils Gewaltdelikte und belegen, dass der Angeklagte zu aggressivem Verhalten neigt. Dass Alkohol generell geeignet ist, aggressive Verhaltensweisen zu verstärken, liegt auf der Hand. Bei dieser Sachlage erscheint nicht nachvollziehbar, inwiefern den Angeklagten unter Schuldgesichtspunkten entlasten sollte, dass er unter diesen besonderen Vorzeichen nicht bereit war, den von ihm und seinem Freundeskreis gepflegten „Lebensstil“, zu dem der übermäßige Genuss von Wodka am Wo- chenende gehörte, zu verändern und hinsichtlich der enthemmenden Wirkung von Alkohol eine gewisse „Gleichgültigkeit“ an den Tag legte.
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3. Auch die Strafzumessung im engeren Sinne weist Rechtsfehler zugunsten des Angeklagten auf.
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a) Bei der Bemessung der Einzelstrafe im Fall II. 2 der Urteilsgründe hat der Tatrichter, worauf der Generalbundesanwalt zutreffend hingewiesen hat, nicht erkennbar bedacht, dass der Angeklagte die Nebenklägerin sowohl körperlich schwer misshandelt (§ 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchstabe a) StGB) als auch in die Gefahr des Todes gebracht (§ 177 Abs. 4 Nr. 2 Buchstabe b) StGB) und damit zwei Qualifikationstatbestände mit jeweils fünfjähriger Mindeststrafandrohung verwirklicht hat. Unberücksichtigt blieb außerdem, dass der Angeklagte zunächst erfolglos versuchte, die Nebenklägerin zum Oralverkehr zu nötigen, und nach dem Misslingen dieses Versuchs eine sie besonderserniedrigende, sadistisch anmutende sexuelle Handlung an ihr vorgenommen hat.
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b) Bedenken begegnet schließlich auch die strafmildernde Berücksichtigung der vollzogenen Untersuchungshaft von sechs Monaten. Untersuchungshaft ist, jedenfalls bei der Verhängung einer zu verbüßenden Freiheitsstrafe, kein Strafmilderungsgrund; sie wird gemäß § 51 Abs. 1 Satz 1 StGB grundsätzlich auf die zu vollstreckende Strafe angerechnet. Anderes gilt nur in Fällen, in denen der Vollzug von Untersuchungshaft ausnahmsweise mit ungewöhnlichen , über das übliche Maß deutlich hinausgehenden Beschwernissen verbunden ist (Senat, Urteil vom 19. Mai 2010 – 2 StR 102/10, NStZ 2011, 100; BGH, Urteil vom 19. Dezember 2013 – 4 StR 303/13, NStZ-RR 2014, 82, 83). Will der Tatrichter wegen besonderer Nachteile für den Angeklagten den Vollzug der Untersuchungshaft bei der Strafzumessung strafmildernd berücksichtigen, müssen diese Nachteile in den Urteilsgründen dargelegt werden (Senat, Urteil vom 14. Juni 2006 – 2 StR 34/06, NJW 2006, 2645). Daran fehlt es hier.
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Diese Mängel führen zur Aufhebung der Einzelstrafen und zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe. Einer Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht, da es sich um Wertungsfehler handelt. Ergänzende Feststellungen , die den bereits getroffenen Feststellungen nicht widersprechen, sind möglich.

IV.

32
Bei dieser Sachlage bedurfte es keiner Entscheidung über die gegen die tatrichterliche Kostenentscheidung gerichtete sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft.

V.

33
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO.

34
Die der inzwischen verstorbenen Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen waren dem Angeklagten aufzuerlegen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 30. September 1983 – 3 Ws 180/83, MDR 1984, 250; Meyer-Goßner/Schmitt StPO, 59. Aufl., § 472 Rn. 1; a.A. KKStPO /Gieg, § 472 Rn. 2). Fischer Krehl Eschelbach RinBGH Dr. Ott ist aus tatsächlichen Gründen an der Unterschrift gehindert. Fischer Bartel