BGH 2 StR 59/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2016:200716U2STR59.16.0
bei uns veröffentlicht am20.07.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 27. Oktober 2015 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2

1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lernte der Angeklagte, der aus Nigeria stammt, die Geschädigte, die ebenfalls Nigerianerin ist, im Februar oder März 2014 durch die Zeugen A. und Y. kennen. Anschließend hielten sie über Kurznachrichten miteinander Kontakt. Am 26. November 2014 reiste der Angeklagte auf ihre Anregung zu der Geschädigten. In ihrer Unterkunft bereitete sie ihm ein Essen. Nachdem er gegessen hatte, äußerte er den Wunsch, den Geschlechtsverkehr auszuüben. Dies lehnte die Geschädigte ab. Darauf packte der Angeklagte sie am Arm, zog sie aufs Bett, hielt sie mit einer Hand fest und zog ihr mit der anderen Hand die Hose aus. Dann drang er in sie ein. Als er ihren Oberkörper auf das Bett drückte, riss ihr Top im V-Ausschnitt ein. Der Angeklagte führte den ungeschützten Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss durch.

3

Danach band sich die Geschädigte einen Wickelrock um und verließ das Zimmer. Sie schloss die Zimmertür ab und rief im Treppenhaus mit ihrem Mobiltelefon die Polizei. Nach Eintreffen der Polizeibeamten zeigte sie auf den Angeklagten und erklärte, er habe sie vergewaltigt. Der Angeklagte war überrascht und behauptete, es sei nicht zum Geschlechtsverkehr gekommen. Die Geschädigte zog darauf ihren Rock hoch, griff zwischen ihre Beine und präsentierte den Beamten Reste von Sperma.

4

2. Der Angeklagte hat die Tatbegehung bestritten und behauptet, die Geschädigte habe sich ausgezogen, aufs Bett gelegt und ihn zum Geschlechtsverkehr verführt. Der  Vergewaltigungsvorwurf treffe nicht zu. Er habe sich mit dem Zeugen A.  zerstritten und dieser habe die Geschädigte zu einer Racheaktion instrumentalisiert.

5

Das Landgericht hat die Einlassung des Angeklagten für widerlegt erachtet und ist den Zeugenaussagen der Geschädigten gefolgt. Besondere Beweisbedeutung komme der Tatsache zu, dass ihr Top eingerissen gewesen sei und Zellspuren mit dem DNA-Muster des Angeklagten aufgewiesen habe. Mit der Einlassung, die Geschädigte habe sich vor dem Geschlechtsverkehr entkleidet, sei dies nicht vereinbar. Obwohl der Angeklagte nach Erstattung des Sachverständigengutachtens zur Spurenauswertung durch Unterbrechung der Hauptverhandlung „drei Wochen Zeit hatte, um seine Verteidigung auf das Gutachten einzurichten, hat er dem Gericht keine Erklärung dafür, wie seine DNA auf das Top der Zeugin Aj. gelangt sein könne, aufgezeigt. Die Kammer vermag sich die DNA-Spur des Angeklagten auf dem Top der Zeugin deshalb nur dadurch zu erklären, dass, wie die Zeugin ausgesagt hat, der Angeklagte das Top der Zeugin angefasst hat, als er ihren Oberkörper mit der Hand auf das Bett drückte.“

II.

6

Die Revision des Angeklagten ist mit der Sachrüge begründet. Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist lückenhaft.

7

Es geht um einen Fall, in dem in der entscheidenden Frage, ob der Geschlechtsverkehr des Angeklagten mit der Nebenklägerin einvernehmlich erfolgte, wie es der Angeklagte behauptet, oder vom Angeklagten erzwungen wurde, wie es die Geschädigte darstellt, letztlich Aussage gegen Aussage steht. Zudem hat die Geschädigte nach Ansicht des Landgerichts teilweise falsche Angaben gemacht, welche sich allerdings auf Umstände zu ihrem ungesicherten Aufenthaltsstatus beziehen. In einem solchen Fall ist eine besonders sorgfältige Gesamtwürdigung aller Umstände durch das Tatgericht erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Februar 2014 – 1 StR 700/13). Seine Urteilsgründe müssen genau erkennen lassen, dass es alle Umstände, welche die Entscheidung beeinflussen können, in seine Überlegungen einbezogen hat. Hierbei sind das Gewicht und Zusammenspiel der einzelnen Indizien zusammenfassend zu bewerten (vgl. Senat, Urteil vom 19. November 2008 – 2 StR 394/08). Dies hat die Strafkammer nicht ausreichend beachtet.

8

Die Annahme, die Antragung der Zellspur mit DNA vom Angeklagten sei nur dadurch erklärbar, dass sie beim Niederdrücken der zunächst bekleideten Geschädigten durch den Angeklagten an das Top gelangt sei, lässt eine konkret in Betracht kommende Alternative unberücksichtigt. Die Geschädigte präsentierte den Polizeibeamten unmittelbar nach deren Eintreffen Spermaspuren und hatte dadurch selbst Zellmaterial, das vom Angeklagten stammte, an der Hand. Nach ihrer Zeugenaussage in der Hauptverhandlung hatte sie das Top „zu diesem Zeitpunkt noch angehabt. Sie habe das Top noch während des polizeilichen Einsatzes ausgezogen und hingeworfen. Die Beamten hätten jedoch nur ihren Wickelrock und das Bettzeug mitgenommen.“ Daraus ergibt sich die nahe liegende Möglichkeit, dass die Geschädigte das Zellmaterial vom Angeklagten an dem Kleidungsstück angetragen hat. Mit dieser Alternative hätte sich das Landgericht auseinandersetzen müssen. Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass dies nicht geschehen ist. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Urteil darauf beruht.

Fischer                        Appl                        Eschelbach

                 Ott                          Zeng

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Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Feb. 2014 - 1 StR 700/13

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Bundesgerichtshof Urteil, 04. Okt. 2017 - 2 StR 219/15

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 7 0 0 / 1 3
vom
6. Februar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 6. Februar 2014 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 10. Juli 2013 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
1. Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die erhobenen Verfahrensrügen nicht ankommt.
2
2. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
a) Wenn Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung im Wesentlichen davon abhängt, welchen Angaben das Gericht folgt, müssen die Urteilsgründe erkennen lassen, dass der Tatrichter alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Das gilt besonders, wenn sich sogar die Unwahrheit eines Aussage- teils des Belastungszeugen herausstellt (vgl. Senat, Beschluss vom 19. Oktober 2000 – 1 StR 439/00, NStZ 2001, 161, 162).
4
b) Diesen besonderen Anforderungen genügt die Beweiswürdigung nicht.
5
aa) Vorliegend handelt es sich um einen Fall, in dem zu der entscheidenden Frage, ob der Geschlechtsverkehr mit der Nebenklägerin einvernehmlich erfolgte (wie der Angeklagte behauptet) oder vom Angeklagten erzwungen wurde (wie die Nebenklägerin behauptet), letztlich Aussage gegen Aussage steht (vgl. insoweit auch BGH, Beschluss vom 3. April 2002 – 3 StR 33/02, NStZ 2002, 494). Zudem hat die Nebenklägerin mehrfach nachweislich die Unwahrheit gesagt (beim Notruf, hinsichtlich ihres in der Wohnung aufhältlichen Bruders, zum Nachtatgeschehen) und dabei nicht nur wiederholt die Polizei, sondern auch das Gericht angelogen.
6
bb) Nicht einbezogen in die bei dieser Lage notwendige besonders sorgfältige Gesamtwürdigung hat die Kammer den Inhalt eines vom Angeklagten aufgezeichneten Streitgesprächs zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin , das nach den Feststellungen der Kammer nach dem anklagegegenständlichen Vorfall stattgefunden hat. In diesem Gespräch wirft die Nebenklägerin dem Angeklagten im Kern vor, er nutze sie aus, weil er das Geld, das er verdiene, seinen Verwandten schicke. Er solle seine Sachen holen und die Wohnung verlassen, sonst werde die Nebenklägerin ihn erstechen und dafür ins Gefängnis gehen. Wörtlich sagte die Nebenklägerin in diesem Zusammen- hang: „Ich bin so dumm, weil ich jedesMal, wenn du Sex haben willst, es dir auch gebe.“ Vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte kurz zuvor die Neben- klägerin vergewaltigt haben soll, war dieser Inhalt des Streitgesprächs für die Beweiswürdigung ersichtlich von besonderem Belang und hätte deshalb in die Gesamtwürdigung einbezogen werden müssen.
7
cc) Soweit die Kammer meint, das Verletzungsbild bei dem Angeklagten lasse sich mit den Angaben der Nebenklägerin besser in Einklang bringen als mit der Einlassung des Angeklagten, ist dies nicht ohne weiteres nachvollziehbar. Die Kammer findet es näherliegend, dass die Nebenklägerin – wie sie angibt – dem Angeklagten eine größere Kratzverletzung an der Brust unter seinem T-Shirt zugefügt hat, indem sie, als er zur Ausübung des Geschlechtsverkehrs auf ihr lag, den Halsausschnitt seines T-Shirts nach unten gezogen und über den Halsausschnitt unter sein T-Shirt gefasst und ihn gekratzt habe. Demgegenüber sei fernerliegend, dass diese Verletzung – wie der Angeklagte behauptet – erst später entstanden sei, als sich beide in der Wohnung gegenüber gestanden hätten, denn dann hätte die Nebenklägerin dem ihr körperlich überlegenen Angeklagten unter das T-Shirt fassen müssen. Dabei erörtert die Kammer indes nicht die Einlassung des Angeklagten, der angegeben hat, sein Unterhemd sei kaputt gegangen, als ihn die Nebenklägerin aus dem Bett gezogen habe, und erst anschließend sei die Verletzung an seiner Brust erfolgt. Träfe die Einlassung des Angeklagten zu, hätte die Nebenklägerin zur Verursachung des Kratzers womöglich nicht unter ein T-Shirt des Angeklagten fassen müssen.
8
dd) Zu weiten Teilen der Einlassung des Angeklagten, eben auch zu der Frage, ob er – wie er behauptet – ein Unterhemd anhatte, das die Nebenklägerin kaputt gemacht hat, verhält sich das Urteil nicht. In den Urteilsgründen heißt es insoweit, dass die Kammer die Einlassung des Angeklagten zum Nachtatgeschehen zum Teil als unwiderleglich erachtet. Welche Teile der umfangreichen Einlassung des Angeklagten (mit Ausnahme des aufgezeichneten Telefonge- sprächs) dies sind, wird aus dem Urteil nicht hinreichend deutlich. Die Kammer teilt auch nicht für das Revisionsgericht nachvollziehbar mit, welchen Teilen der Einlassung des Angeklagten (mit Ausnahme des unmittelbaren Tatgeschehens) sie aus welchen Gründen keinen Glauben schenkt und sie für widerlegt erachtet.
9
ee) Nicht ohne weiteres nachvollziehbar sind für den Senat in diesem Zusammenhang auch die Schlussfolgerungen, welche die Kammer aus dem Spurenbild an der Unterhose der Nebenklägerin gezogen hat. Einige der Spuren , die sich aus den im Urteil in Bezug genommenen Lichtbildern (§ 267 Abs. 1 Satz 3 StPO) ergeben, scheinen jedenfalls auf den ersten Blick nicht ohne weiteres mehr für die Schilderung der Nebenklägerin als für diejenige des Angeklagten zu sprechen.
10
ff) Hinzu kommt, dass das Landgericht die gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben der Nebenklägerin sprechenden Indizien jeweils eher isoliert in den Blick genommen hat. Bei der Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Tatopfers sowie der Glaubhaftigkeit seiner Angaben darf sich der Tatrichter indes nicht darauf beschränken, Umstände, die gegen die Zuverlässigkeit der Aussage sprechen können, gesondert und einzeln zu erörtern sowie getrennt voneinander zu prüfen, um festzustellen, dass sie jeweils nicht geeignet seien, die Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen. Selbst wenn nämlich jedes einzelne Glaubwürdigkeit oder Glaubhaftigkeit möglicherweise in Frage stellende Indiz noch keine Bedenken gegen die den Angeklagten belastende Aussage aufkommen ließe, so kann doch eine Häufung von – jeweils für sich erklärbaren – Fragwürdigkeiten bei einer Gesamtschau zu durchgreifenden Zweifeln an der Richtigkeit eines Tatvorwurfs führen (vgl. BGH, Urteil vom 19. November 2008 – 2 StR 394/08).
11
3. Die Gesamtwürdigung der Beweise, die für und gegen die Glaubhaftigkeit der Tatschilderungen der einzigen Belastungszeugin sprechen, erscheint daher insgesamt unvollständig und leidet unter Darstellungsmängeln. Die Sache bedarf deshalb neuer tatrichterlicher Prüfung. Angesichts der besonderen Umstände des Falls (mehrfache Falschangaben der Hauptbelastungszeugin) kann sich für das neue Tatgericht ausnahmsweise auch die Einholung eines Glaubwürdigkeitsgutachtens anbieten (vgl. BGH, Urteil vom 12. November 2003 – 2 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 87 f.).
Wahl Rothfuß Graf
Jäger Mosbacher