Bundesgerichtshof Urteil, 05. Juni 2013 - 2 StR 537/12

bei uns veröffentlicht am05.06.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 537/12
vom
5. Juni 2013
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. Juni 2013,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer,
Dr. Appl,
Dr. Berger,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Ott,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gießen vom 1. Juni 2012
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte des Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung in 186 Fällen schuldig ist; die Einzelstrafen für die Fälle 52, 58, 74, 77, 92, 103, 121, 149, 165 bis 171, 174, 185, 194, 200, 201, 206, 207 und 209 entfallen;
b) hinsichtlich der in den Fällen 1 bis 9, 24, 61 bis 65, 88 bis 91, 93, 123 bis 133, 152 und 153 verhängten Einzelgeldstrafen dahin geändert, dass die Tagessatzhöhe auf jeweils 29 Euro festgesetzt wird. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 209 Fällen jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung zu der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklag- te mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Das Rechtsmittel führt zu einer Änderung des Schuldspruchs und zu der aus der Urteilsformel ersichtlichen Teilaufhebung des Strafausspruchs. Im Übrigen bleibt es ohne Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen arbeitete der Angeklagte seit 1988 bei der S. GmbH ("S. "), zuletzt als Fachkraft für Integration. Sein Aufgabengebiet umfasste vor allem die Integration von behinderten Werkstattmitarbeitern auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Zu seiner Tätigkeit gehörte es, Kontakte zu Arbeitgebern aufzubauen und Möglichkeiten für den Einsatz von behinderten Mitarbeitern aus den Werkstätten zu finden; dabei verhandelte der Angeklagte auch sog. Leistungs- und Arbeitsassistenzverträge mit den Betrieben und bereitete diese zur Unterschrift durch die Geschäftsführung der "S. " vor. Vertragsinhalt war u.a., dass die Betriebe für die Betreuung der behinderten Menschen eine monatliche Vergütung erhielten, die von dem Angeklagten bei in den Betrieben geführten Reflexionsgesprächen - in der Regel im Zweimonatsrhythmus - in bar gegen Quittung ausgezahlt wurde.
3
2. Zur Finanzierung seines übersteigerten Alkoholkonsums und seines aufwändigen Lebensstils nahm der Angeklagte im Tatzeitraum April 2006 bis März 2010 Manipulationen bei der Vertragsgestaltung und Abrechnung vor. So bereitete er für die Geschäftsführung der "S. " Vertragsurkunden zur Unterschrift vor, die auf Seite 1 eine an den jeweiligen Beschäftigungsbetrieb zu zahlende monatliche Vergütung von in der Regel 550 Euro für jeden Mitarbeiter auswiesen. Mit den Beschäftigungsbetrieben hingegen vereinbarte er eine Vergütung von lediglich 50 Euro für jeden Mitarbeiter und tauschte die erste Seite der Vertragsurkunde nach entsprechender Änderung der Vergütung am PC aus mit der Folge, dass den Beschäftigungsbetrieben Vertragsurkunden mit einem Vergütungsanspruch in Höhe von nur 50 Euro vorlagen, während die bei der "S. " hinterlegten Verträge einen Vergütungsanspruch der Betriebe von 550 Euro für jeden Mitarbeiter auswiesen.
4
In der Folge ließ sich der Angeklagte in der Regel alle zwei Monate unter Bezeichnung der hinterlegten und jeweils zur Auszahlung anstehenden Verträge und den konkret zu erfüllenden Zahlungsverpflichtungen den benötigten Betrag von der Kasse der "S. " als Vorlage auszahlen. Es war nicht aufklärbar, ob die Beträge immer genau anhand der Verträge konkret ausgerechnet waren oder ob auch überschlagene Pauschalsummen ausgezahlt wurden (UA 8 f.); möglicherweise verauslagte der Angeklagte vereinzelt auch selbst Gelder und rechnete später gegenüber der Kasse ab (UA 9). Tatsächlich zahlte er den Betrieben nur die mit diesen vereinbarten geringeren Summen, also in der Regel 100 Euro für zwei Monate, aus und ließ sich hierüber jeweils eine Quittung ausstellen. Diese Quittung veränderte er dann dergestalt, dass er vor die 100 Euro eine weitere "1" setzte, so dass die jeweilige Quittung einen Betrag von 1.100 Euro auswies. Sodann legte er die veränderten Quittungen der Kasse der "S. " vor. Ausgehend von den vorgelegten Quittungen verbuchten die Mitarbeiter der Kasse die Beträge und rechneten die Vorlage ab bzw. erstatteten dem Angeklagten die von ihm selbst verauslagten angeblich höheren Beträge. Auf diese Weise entstand der "S. " im Tatzeitraum ein Schaden in Höhe von mindestens 214.260 Euro.

II.

5
1. Der Schuldspruch wegen Betrugs zum Nachteil der "S. " jeweils in Tateinheit mit Urkundenfälschung ist nur hinsichtlich der Anzahl der abgeurteilten Fällen zu beanstanden.
6
a) Im Ergebnis zutreffend hat das Landgericht allerdings die konkurrenzrechtliche Bewertung der betrügerischen Handlungen des Angeklagten nicht an die Platzierung der einzelnen verfälschten Verträge bei der Buchhaltung der "S. " angeknüpft. Dabei kann offen bleiben, ob die Auffassung des Landgerichts zutrifft, die Hinterlegung des jeweiligen Vertrages stelle lediglich eine Vorbereitungshandlung für die späteren auf seiner Grundlage verwirklichten betrügerischen Einzelakte dar und könne diese schon deswegen nicht zur Tateinheit verbinden (vgl. BGH NStZ 1985, 70). Denn selbst wenn die Vorlage des jeweiligen Vertrages bereits als Teil der tatbestandlichen Täuschungshandlung des Angeklagten zu bewerten wäre, könnte sie die darauf aufbauenden betrügerischen Einzelakte (deshalb) nicht zur Tateinheit zusammenführen , weil deren Anzahl und damit der Umfang des auf der Basis des jeweiligen Vertrages erstrebten Gesamtschadens offen blieb und es darüber hinaus zur Realisierung der jeweiligen Einzelakte noch zahlreicher Zwischenschritte bedurfte, wie etwa der tatsächlichen Arbeitsaufnahme des Betreuten bei dem Betrieb und der Aktualisierung der Täuschung durch Verlangen der Vorschusszahlungen zur Begleichung der angeblichen Forderungen des Betriebs.
7
Keiner abschließenden Entscheidung bedarf es auch, ob nicht entgegen der Ansicht des Landgerichts bereits durch die Auszahlung des Vorschusses der Betrugsschaden jeweils eingetreten war und es sich bei der Vorlage der verfälschten Quittungen durch den Angeklagten zur Abrechnung des Vorschus- ses nicht lediglich um einen für sich nicht gesondert strafbaren Sicherungsbetrug handelte. Denn selbst wenn das der Fall wäre, würde dies nichts an der Zahl der vom Angeklagten tatmehrheitlich begangenen Betrugstaten ändern, da nach den Feststellungen nichts dafür spricht, dass es mehr Vorschusszahlungen als dazu vorgenommene Abrechnungen gab.
8
b) Auf dieser Grundlage rechtfertigen die Feststellungen indes nur einen Schuldspruch wegen 186 Einzeltaten. Der Angeklagte hat teilweise an einem Tag mehrere Beträge unter Vorlage der jeweiligen Quittungen abgerechnet. Es war nicht aufklärbar, ob dies zu verschiedenen Zeitpunkten im Laufe des Tages geschah. Bei gleichzeitiger Vorlage mehrerer Quittungen aufgrund einer einheitlichen Willensentschließung wäre aber eine natürliche Handlungseinheit und damit nur eine Tat im materiell-rechtlichen Sinne anzunehmen (vgl. BGH NStZ-RR 2010, 375). Hiervon ist zu Gunsten des Angeklagten auszugehen und ebenso davon, dass die gleichzeitige Vorlage mehrerer Quittungen der Abrechnung je gleichzeitig ausbezahlter Vorschüsse diente.
9
Danach ergeben sich nur 186 Betrugstaten (je in Tateinheit mit Urkundenfälschung ). Da weitere Feststellungen, die eine abweichende konkurrenzrechtliche Bewertung rechtfertigen könnten, nicht zu erwarten sind, hat der Senat den Schuldspruch entsprechend abgeändert.
10
2. Der Strafausspruch ist - ausgenommen die Festsetzung der Tagessatzhöhe - wie vom Generalbundesanwalt im einzelnen dargelegt rechtsfehlerfrei und kann bestehen bleiben. Der Erörterung bedarf nur folgendes:
11
a) Bei der Bestimmung der Tagessatzhöhe zu den verhängten Einzelgeldstrafen ist dem Landgericht offenkundig ein Rechenfehler unterlaufen. Die festgestellten wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten rechtfertigen unter Berücksichtigung zu zahlender Unterhaltsleistungen eine Tagessatzhöhe nicht von 90, sondern von nur 29 Euro, die der Senat entsprechend § 354 Abs. 1 StPO selbst festsetzt.
12
b) Die Schuldspruchänderung bedingt zwar auch den Wegfall der für die entfallenen Taten jeweils verhängten Einzelstrafen; einer Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs bedarf es gleichwohl nicht, da durch die Zusammenfassung mehrerer Taten zu jeweils einer einheitlichen Tat der Schuldgehalt hier insgesamt unverändert bleibt (BGH, Beschluss vom 7. Januar 2011 - 4 StR 409/10 mwN.). Im Hinblick auf den unverändert gebliebenen Gesamtschaden und die hohe Anzahl der verbliebenen Einzelstrafen schließt der Senat aus, dass die verhängte Gesamtfreiheitsstrafe bei zutreffender Beurteilung des Konkurrenzverhältnisses niedriger ausgefallen wäre.
13
3. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Der nur geringe Teilerfolg der Revision rechtfertigt keine abweichende Entscheidung.
Becker Fischer Appl Berger Ott

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Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


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(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 409/10
vom
7. Januar 2011
in der Strafsache
gegen
BGHSt: nein
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
Den Gerichtsvollzieher trifft kraft seiner gesetzlichen Stellung als Vollstreckungsorgan
im Rahmen des ihm erteilten Vollstreckungsauftrags eine Vermögensbetreuungspflicht
gegenüber dem Vollstreckungsgläubiger.
BGH, Beschluss vom 7. Januar 2011 - 4 StR 409/10 - LG Frankenthal (Pfalz)
wegen Abgabenüberhebung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 7. Januar 2011 gemäß
§ 154 Abs. 2, § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 22. April 2010 wird
a) das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO eingestellt , soweit der Angeklagte in den Fällen II. 26, 29, 60 und 75 der Urteilsgründe verurteilt worden ist; insoweit trägt die Staatskasse die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen;
b) das vorbezeichnete Urteil im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Untreue in Tateinheit mit Gebührenüberhebung in 57 Fällen und der Abgabenüberhebung in sieben Fällen schuldig ist. Die Einzelstrafen für die Taten II. 13, 15, 18, 23, 26, 28, 29, 33, 39, 41, 44, 48, 50, 53, 55, 58, 60, 62, 65, 70, 73, 75, 77 und 81 der Urteilsgründe entfallen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen. 3. Der Angeklagte hat die verbleibenden Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen Gebührenüberhebung in 81 Fällen, jeweils in Tateinheit mit Untreue, und wegen Abgabenüberhebung in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Zudem hat es dem Angeklagten die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden, für die Dauer von zwei Jahren aberkannt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen und Wertungen erhob der Angeklagte als Gerichtsvollzieher in einer Vielzahl von Vollstreckungsverfahren zu hohe Gebühren. Nachdem der Angeklagte in den verschiedenen Vollstreckungsverfahren bereits früher tätig gewesen war und Teilzahlungen der Schuldner entgegen genommen hatte, erbrachten die Schuldner in den einzelnen Fällen jeweils weitere freiwillige Teilleistungen an den Angeklagten. Dieser hätte für die Entgegennahme dieser weiteren Teilzahlungen nach den Vorschriften des Gesetzes über Kosten der Gerichtsvollzieher (Gerichtsvollzieherkostengesetz – GvKostG) vom 19. April 2001 (BGBl. I S. 623) maximal jeweils Gebühren in Höhe von 3,60 € ansetzen dürfen. Soweit der Vollstreckungsschuldner freiwillig an den Gerichtsvollzieher zahlt, fällt - nach § 10 Abs. 2 Satz 3 GvKostG für jede Zahlung - lediglich eine Hebegebühr nach Nr. 430 KV-GvKostG in Höhe von 3 € an (Hartmann, Kostengesetze, 39. Aufl., 430 KVGv Rn. 3), die als Festgebühr die gesamte Tätigkeit des Gerichtsvollziehers abgilt. Hinzu kommt die Pauschale für sonstige bare Auslagen nach Nr. 713 KV-GvKostG in Höhe von 20 % des Betrages von 3 €. Tatsächlich berechnete der Angeklagte in den einzelnen Fällen Gebühren von 21,10 € und erhob damit um 17,50 € überhöhte Gebühren, die er jeweils von den vereinnahmten Teilzahlungen der Schuldner vor Weiterleitung an die Gläubiger in Abzug brachte.
3
2. Der Senat stellt das Verfahren aus verfahrensökonomischen Gründen auf Antrag des Generalbundesanwalts gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein, soweit der Angeklagte in den Fällen II. 26, 29, 60 und 75 der Urteilsgründe verurteilt worden ist. Den Urteilsgründen ist nämlich in den Fällen II. 29, 60 und 75 nicht hinreichend zu entnehmen, ob der Angeklagte überhöhte Gebühren anlässlich freiwilliger Teilzahlungen der Vollstreckungsschuldner erhoben hat. Im Fall II. 26 sind die von der Strafkammer getroffenen Feststellungen zu den erhaltenen und weitergeleiteten Beträgen widersprüchlich.
4
3. In den verbleibenden Fällen tragen die Feststellungen die Verurteilung des Angeklagten wegen Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB. Entgegen der Ansicht des Landgerichts hat der Angeklagte allerdings jeweils Untreuetaten zum Nachteil der Gläubiger begangen. Durch die Berechnung überhöhter Gebühren und deren Einbehalt bei der Weiterleitung der vereinnahmten Teilzahlungen hat der Angeklagte die ihm als Gerichtsvollzieher gegenüber den Gläubigern obliegende Vermögensbetreuungspflicht verletzt und den Gläubigern einen Vermögensnachteil zugefügt.
5
a) Den Gerichtsvollzieher trifft kraft seiner gesetzlichen Stellung als Vollstreckungsorgan gemäß §§ 753 ff. ZPO im Rahmen des ihm erteilten Vollstreckungsauftrags eine Vermögensbetreuungspflicht gegenüber den Gläubigern (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 20. Oktober 1959 – 1 StR 466/59, BGHSt 13, 274; RGSt 71, 31). Zwar handelt der Gerichtsvollzieher hoheitlich und wird nicht als Vertreter des Gläubigers tätig (Zöller/Stöber, ZPO, 28. Aufl., § 753 Rn. 4). Die Zwangsvollstreckung dient aber den Gläubigerinteressen. Sie erfordert als verfahrenseinleitende Prozesshandlung einen Antrag des Gläubigers. Damit bestimmt der Gläubiger Beginn, Art und Ausmaß des Vollstreckungszugriffs. Er hat die Herrschaft über seinen vollstreckbaren Anspruch und bleibt somit auch "Herr" seines Verfahrens (Zöller/Stöber aaO Vor § 704 Rn. 19). Zudem hat der Gerichtsvollzieher die Vorschriften der Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher (GVGA) zu beachten (vgl. Zöller/Stöber aaO § 753 Rn. 4). Deren Einhaltung gehört nach § 1 Abs. 4 GVGA zu den Amtspflichten des Gerichtsvollziehers. Nach § 58 Nr. 1 GVGA handelt der Gerichtsvollzieher bei der ihm zugewiesenen Zwangsvollstreckung selbständig. Er hat gemäß § 58 Nr. 2 GVGA die Weisungen des Gläubigers insoweit zu berücksichtigen, als sie mit den Gesetzen oder der Geschäftsanweisung nicht in Widerspruch stehen. Insbesondere hat der Gerichtsvollzieher nach § 106 Nr. 6 GVGA die empfangene Leistung und nach § 138 Nr. 1 GVGA bzw. § 170 GVGA gepfändetes oder ihm gezahltes Geld nach Abzug der Vollstreckungskosten unverzüglich an den Gläubiger abzuliefern. Gegen diese Amtspflichten hat der Angeklagte verstoßen, indem er das von den Vollstreckungsschuldnern erhaltene Geld im Umfang der zuviel einbehaltenen Gebühren nicht an die Gläubiger weitergeleitet hat.
6
b) Die Forderung des jeweiligen Gläubigers ist zwar nicht bereits durch die Zahlung des jeweiligen Vollstreckungsschuldners an den Angeklagten als Gerichtsvollzieher im Sinne des § 362 BGB teilweise erfüllt worden. Die Erfüllungswirkung gemäß § 362 BGB tritt bei Zahlung erst ein, wenn der Gerichtsvollzieher das empfangene Geld an den Gläubiger weitergeleitet hat. Fehlt es hieran, ist die beizutreibende Forderung nicht durch Erfüllung erloschen (BGH, Beschluss vom 29. Januar 2009 – III ZR 115/08, MDR 2009, 466; Zöller/ Stöber aaO § 754 Rn. 6). § 362 Abs. 2 BGB i.V.m. § 185 BGB ist nicht anwendbar, weil die Rechtsstellung des Gerichtvollziehers gemäß § 754 ZPO nicht auf einem bürgerlich-rechtlichen Rechtsverhältnis zum Gläubiger, sondern auf seiner Stellung als auch im Bereich der Entgegennahme freiwilliger Zahlungen hoheitlich handelndes Organ der Zwangsvollstreckung beruht.
7
Auf freiwillige Zahlungen des Schuldners an den Gerichtsvollzieher ist aber § 815 Abs. 3 ZPO analog anwendbar (BGH, Beschluss vom 29. Januar 2009 – III ZR 115/08, MDR 2009, 466, 467; Zöller/Stöber aaO § 754 Rn. 6; Musielak /Becker, ZPO, 7. Aufl., § 815 Rn. 5). Nach der überwiegenden Ansicht in der Rechtsprechung und Literatur wird § 815 Abs. 3 ZPO nicht als Erfüllungsfiktion , sondern als eine von § 270 BGB abweichende Regelung über die Gefahrtragung verstanden (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Januar 2009 – III ZR 115/08 aaO; Urteil vom 30. Januar 1987 – V ZR 220/85, ZZP 102, 366; Zöller/Stöber aaO § 815 Rn. 2; Musielak/Becker aaO § 815 Rn. 4; MünchKomm-ZPO/Gruber, 3. Aufl., § 815 Rn. 14). Der Schuldner ist bei freiwilliger Leistung unter dem Druck drohender Pfändung ebenso schutzwürdig wie bei der Wegnahme (BGH, Beschluss vom 29. Januar 2009 – III ZR 115/08 aaO; Musielak/Becker aaO § 815 Rn. 5). Dieser Schutz des Schuldners trägt dem Umstand Rechnung, dass er auf den weiteren Verfahrensablauf keinen Einfluss nehmen kann (MünchKommZPO /Gruber aaO § 815 Rn. 14). Verwendet der Gerichtsvollzieher das Geld nicht entsprechend den vollstreckungsrechtlichen Vorschriften, trägt der Gläubiger somit die Gefahr. Er kann den Schuldner nicht nochmals in Anspruch nehmen.
8
4. Die Annahme selbständiger, real konkurrierender Taten durch das Landgericht hält in den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 10. August 2010 genannten Fällen sowie in den Fällen II. 12 und 13 der Urteilsgründe der rechtlichen Überprüfung nicht stand. In diesen Fällen teilte der Angeklagte die von den Vollstreckungsschuldnern geleisteten Zahlungen auf und leitete die Gelder am selben Tag an zwei Gläubiger weiter, wobei er jeweils zu hohe Gebühren in Höhe von 17,50 € in Abzug brachte. Die jeweils am selben Tag vorgenommenen Überweisungen bzw. Ausbuchungen stehen in natürlicher Handlungseinheit. Eine solche liegt vor, wenn zwischen einer Mehrheit strafrechtlich relevanter Verhaltensweisen ein derart unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht, dass das gesamte Handeln des Täters auch für einen Dritten objektiv als einheitliches zusammengehöriges Tun erscheint, und wenn die einzelnen Betätigungen auf einer einzigen Willensentschließung beruhen (BGH, Beschlüsse vom 14. September 2010 – 4 StR 422/10; vom 3. August 2010 – 4 StR 157/10 und vom 18. Mai 2010 – 4 StR 182/10 m.w.N.). Angesichts des Umstandes, dass die am selben Tag vorgenommenen Überweisungen bzw. Ausbuchungen jeweils denselben Vollstreckungsschuldner betrafen , liegt es nahe, dass der Angeklagte die Verfügungen zusammen erledigte und nicht aufgrund eines neuen Tatentschlusses handelte.
9
Da jeweils zwei Gläubiger geschädigt wurden, ist gleichartige Idealkonkurrenz gegeben (BGH, Urteil vom 1. Oktober 1985 – 1 StR 274/85, wistra 1986, 67; BGH, Beschlüsse vom 8. April 1998 – 1 StR 128/98, NStZ-RR 1998, 234 und vom 9. März 2010 – 4 StR 23/10; vgl. auch Fischer, StGB, 58. Aufl., § 266 Rn. 194 m.w.N.).
10
5. Einer Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe bedarf es nicht. Denn durch die Zusammenfassung mehrerer Taten zu jeweils einer einzigen Tat ändert sich deren Schuldgehalt nicht (BGH, Beschlüsse vom 3. August 2010 – 4 StR 157/10 und vom 9. März 2010 – 4 StR 592/09). Der Senat schließt im Hinblick auf die Anzahl und Höhe der verbleibenden Einzelstrafen - 57 Einzelfreiheitsstrafen von einem Monat und sieben Einzelfreiheitsstrafen von drei Monaten - aus, dass die verhängte Gesamtstrafe bei zutreffender Beurtei- lung des Konkurrenzverhältnisses und ohne die eingestellten Fälle niedriger ausgefallen wäre.
11
6. Der nur geringe Teilerfolg der Revision rechtfertigt es nicht, den Angeklagten nach § 473 Abs. 4 StPO teilweise von den nach der Teileinstellung verbleibenden, durch sein Rechtsmittel entstandenen Kosten und Auslagen freizustellen.
Ernemann Roggenbuck Cierniak
Mutzbauer Bender