Bundesgerichtshof Urteil, 30. Jan. 2019 - 2 StR 500/18

bei uns veröffentlicht am30.01.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 500/18
vom
30. Januar 2019
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen schwerer räuberischer Erpressung u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:300119U2STR500.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 30. Januar 2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Franke,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl, Prof. Dr. Eschelbach, Meyberg, Wenske,
Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger des Angeklagten M. ,
Rechtanwältin als Verteidigerin des Angeklagten O. ,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 23. Mai 2018 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Angeklagten freigesprochen wurden.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten O. wegen schwerer räuberischer Erpressung unter Einbeziehung der Strafe aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen; im Übrigen hat es ihn freigesprochen. Den Angeklagten M. hat es insgesamt freigesprochen. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft mit der Sachrüge, soweit Freisprüche erfolgt sind. Das darauf beschränkte Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte O. kam kurz vor dem 22. November 2012 mit zwei Unbekannten überein, die Sparkasse in M. -K. zu überfallen. Gegen 9.35 Uhr betrat der Angeklagte O. die Sparkassenräume, sahsich um und verließ die Sparkasse wieder nach weniger als einer Minute. Gegen 9.50 Uhr betraten zwei maskierte und mit schwarzen Schusswaffen ausgerüstete Täter, die Handschuhe trugen, die Sparkassenfiliale. Ein Täter bedrohte den Bankangestellten S. mit der Waffe, forderte „kein Alarm“ und schob S. zu dem im Schalterraum befindlichen „Cash-Safe“. Der zweite Täter bedrohte währenddessen die Zeugin H. und drängte diese in den Tresorraum , wo sie auf seine Aufforderung die Tresortür öffnete, allerdings mangels eines weiteren Schlüssels nur, soweit dadurch der Zugriff auf Münzgeldbestände eröffnet wurde. Zur selben Zeit versuchte der Bankangestellte S. auf Anweisung des ersten Täters, den „Cash-Safe“ zu öffnen, der mit einer Zeit- schaltuhr ausgestattet war. Weil der Täter irrtümlich annahm, S. habe einen Alarmknopf betätigt, wurde er aggressiv und forderte: „kein Alarm, mach keinen Scheiß“. Schließlich näherte sich die Zeugin H. mitdem sie bedro- henden zweiten Täter und öffnete den „Cash-Safe“, aus dem sie 11.500 Euro entnahm und in eine von den Tätern mitgeführte Tüte steckte. Dann kamen der Filialleiter K. und die Sparkassenkundin Ho. aus einem Beratungszimmer und wurden von den Tätern bedroht. Alle Anwesenden wurden mit den Worten „Schlafen legen“ aufgefordert, sichauf den Boden zu legen. Der Filialleiter K. öffnete schließlich aus Angst vor der Drohung der Täter, ihn zu erschießen , den Tresor, entnahm rund 50.000 Euro und legte das Geld in die von den Tätern mitgeführte Tüte. Nachdem die Täter eine weitere Kundin gezwungen hatten, sich zu den anderen Personen auf den Boden zu legen, verließen sie den Tatort. Sie trafen den Angeklagten O. und fuhren zu dritt mit einem Pkw nach Belgien (Fall 1).
4
Wegen dieser Tat hat das Landgericht den Angeklagten O. verurteilt , aber den Angeklagten M. freigesprochen.
5
Freispruch zugunsten beider Angeklagten erfolgte ferner in drei weiteren Fällen (unten I.2. – I.4.):
6
2. Am 12. Februar 2013 überfielen zwei maskierte und mit schwarzen Schusswaffen ausgerüstete Täter die Filiale der VR-Bank N. in H. -R. , bedrohten die Zeugen Mü. und B. mit den Wor- ten „Überfall“ und „kein Alarm“. Sie forderten Geld aus dem Tresor, der aber wegen seiner Sicherungen nicht sogleich zu öffnen war. Stattdessen entnahm der Bankangestellte Mü. 2.500 Euro aus einem Geldautomaten und legte sie in eine von den Tätern mitgeführte Plastiktüte. Nachdem die Täter die Bankangestellten und anwesende Kunden – mit den Worten „schlafen legen“ – gezwungen hatten, sich auf den Boden zu legen, flohen sie vom Tatort, wobei sie noch den Zeugen Kl. , der gerade die Bank betreten wollte, niederschlugen (Fall 2).
7
3. Am 15. Februar 2013 gegen 9.17 Uhr überfielen zwei maskierte, mit schwarzen Schusswaffen ausgerüstete Täter die Filiale der Sparkasse A. in M. -H. . Ein Täter trug Handschuhe der Marke Karrimor. An der Sturmhaube eines Täters befand sich ein Emblem derselben Marke. Mit dem Ruf „Überfall“ wurden die Bankangestellte Br. sowie die Kundin M. - J. bedroht. Die Zeugin M. -J. musste sich auf den Boden legen , während die Angestellte Br. von einem der Täter zum Tresorraum gedrängt wurde. Auf dem Weg dorthin kam der Zeuge F. entgegen und wurde von dem Täter mit den Worten „leg dich schlafen“ zu Boden gezwungen.
Die Zeugin Br. entnahm unter den Drohungen des Täters 91.580 Euro aus dem Tresor und legte diese in eine vom Täter mitgeführte Tasche. Währenddessen wurde die Bankkundin P. , die gerade die Filiale betrat, von dem anderen Täter zu Boden gezwungen. Dann flohen die Täter vom Tatort, wobei einer der Zeugin P. Reizgas ins Gesicht sprühte. Die Täter flohen mit einem in der Nähe mit laufendem Motor wartenden Pkw, der von einem Dritten geführt wurde (Fall 3).
8
4. Am 21. März 2013 gegen 9.14 Uhr überfielen zwei mit Sturmhauben maskierte, mit schwarzen Schusswaffen ausgerüstete Täter die Filiale der Sparkasse A. in M. -Ka. . Auf der Sturmhaube eines Täters befand sich ein Emblem der Marke Lafuma. Einer der Täter trug schwarze Sneaker-Schuhe mit weißen Schnürsenkeln und weißer Sohlenumrandung. Die Täter bedrohten die Filialleiterin J. und zwangen den Bankangestellten Fo. , sich auf den Boden zu legen. Ein Täter zwang die hinzukommende Bankangestellte D. , den Tresor zu öffnen und das Geld in einen mitge- führten Jutebeutel zu füllen. Außerdem äußerte er „Automat. Automat“. Darauf- hin entnahm die Zeugin D. aus einem Geldautomaten Bargeld. Der ande- re Täter verlangte mit dem Ausdruck „schlafen“ von der Filialleiterin J. , dass sie sich zu dem Zeugen Fo. auf den Boden legen sollte. Gleiches forderte er von den nacheinander hinzukommenden Bankkundinnen C. , T. und R. . Schließlich versprühte ein Täter Reizgas. Sie erbeuteten 164.995 Euro (Fall 4).
9
5. Am 11. April 2013 fuhren die Angeklagten zusammen mit dem gesondert verfolgten Bo. mit einem mit gestohlenem Kennzeichen ausgestatteten Pkw nach Bl. in der Nähe der deutsch-belgischen Grenze, wo sie mit langsamer Fahrgeschwindigkeit die Sparkassenfiliale passierten. Dabei wurden sie von Polizeibeamten beobachtet, was die Angeklagten registrierten. Sie flohen nach Belgien, wobei sie bei einer Verfolgungsfahrt mehrfach auf Polizeibeamte schossen. Auf dem weiteren Fluchtweg wurden sie gestellt und festgenommen, wobei Bo. eine zur scharfen Waffe umgebaute Schreckschusspistole und M. eine schwarze Pistole mitführte. Im Fluchtfahrzeug wurden Sturmhauben der Marken Lafuma und Karrimor, Handschuhe der Marke Karrimor, CS-Gas und ein nicht funktionsfähiger Schreckschussrevolver gefunden, ferner eine dunkle Jacke Marke North Face sowie schwarze Sneaker mit weißen Schnürsenkeln und weißer Sohlenumrandung.
10
Aufgrund der Handlungen vom 11. April 2013 sind die Angeklagten durch Urteil des Landgerichts Trier wegen versuchten Mordes in zwei tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und unerlaubten Eingriffs in den Straßenverkehr, ferner wegen Verabredung zu einem Verbrechen des schweren Raubes oder der schweren räuberischen Erpressung in Tateinheit mit Verbringen von Schusswaffen und Munition in den Geltungsbereich des Waffengesetzes zu Gesamtfreiheitsstrafen von acht Jahren (M. ) beziehungsweise sechs Jahren (O. ) verurteilt worden.

II.

11
Die Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.
12
1. Wird der Angeklagte aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, so müssen nach Mitteilung des Anklagevorwurfs diejenigen Tatsachen festgestellt werden, die der Tatrichter für erwiesen hält. Auf dieser Grundlage ist in der Beweiswürdigung darzulegen, aus welchen Gründen die für einen Schuldspruch erforderlichen weiteren Feststellungen nicht getroffen werden können (vgl. Senat, Urteil vom 15. August 2018 – 2 StR 152/18, NStZ-RR 2018, 314 f.). Hier kann offenbleiben, ob das Urteil schon deshalb rechtlich zu beanstanden ist, weil es den Anklagevorwurf nicht mitteilt.
13
2. Jedenfalls weist die Beweiswürdigung Rechtsfehler auf.
14
a) Das Revisionsgericht hat es regelmäßig hinzunehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 – 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt. Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen. Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten , zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vor- liegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat.
15
b) Nach diesen Maßstäben leidet das angefochtene Urteil an durchgreifenden Rechtsfehlern.
16
aa) Die Beweiswürdigung ist lückenhaft, weil erkennbar wesentliche Umstände nicht in eine umfassende Gesamtwürdigung einbezogen wurden.
17
Zwar müssen die Gründe eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Erforderlich ist aber die erkennbare Berücksichtigung der wesentlichen Umstände des Einzelfalls. Insoweit fordert der Bundesgerichtshof von den Tatgerichten eine erschöpfende Würdigung. Erkennt das Tatgericht auf Freispruch, obwohl nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung ein erheblicher Tatverdacht gegen die Angeklagten besteht, muss es in seiner Beweiswürdigung die wesentlichen für und gegen die Angeklagten sprechenden Erwägungen einbeziehen und in einer Gesamtwürdigung betrachten (vgl. BGH, Urteil vom 22. August 2002 – 5 StR 240/02, NStZ-RR 2002, 338 f.). Daran fehlt es hier.
18
Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass das Landgericht die Vorgeschichte der Serie von gleichartigen Banküberfällen, die in zeitlichem und räumlichem Zusammenhang begangen wurden, in seine Überlegungen einbezogen hat. Es referiert zwar die Feststellungen des gegen die Angeklagten beim Landgericht Trier ergangenen Urteils wegen der Vorfälle vom 11. April 2013. Danach wohnten die Angeklagten seit August 2012 gemeinsam in einer Wohnung in An. . Sie lernten in dieser Zeit den anderweitig verfolgten Bo. kennen. Alle drei verbrachten einen großen Teil ihrer Zeit gemeinsam in einem Internet-Cafe, wo sie illegalen „Geschäften“ nachgingen. Der Angeklagte M. recherchierte im Internet, dass Bo. an Überfällen beteiligt gewesen sei, was dieser als unzutreffende Anschwärzung durch Dritte bezeichnete. M. kaufte die später sichergestellten Schusswaffen, die auch O. sah, als sie längere Zeit in der gemeinsam genutzten Wohnung auf einem Tisch lagen. Die beiden Angeklagten und der gesondert verfolgte Bo. überlegten, wie sie durch Straftaten ihren Lebensunterhalt finanzieren könnten. Bo. und M. suchten im Internet nach Banken und Sparkassen in Deutschland nahe der belgischen Grenze für Raubüberfälle. Danach erfolgten die auf vergleichbare Art und Weise begangenen Banküberfälle vom 22. November 2012, 12. Februar 2013, 15. Februar 2013 und 21. März 2013. An der Tat vom 11. April 2013 waren die Angeklagten und Bo. sicher beteiligt , weil sie anschließend nach einer Polizeiflucht mit Schusswechsel ergriffen wurden. Diese Umstände könnten sich bruchlos in die Feststellungen zur Begehung der Serie von Raubüberfällen einfügen.
19
Die im angefochtenen Urteil referierten Feststellungen des Landgerichts Trier sind allerdings für sich genommen nicht in Rechtskraft erwachsen. Feststellungen rechtskräftiger Urteile und deren Beweiswürdigung binden einen neu entscheidenden Tatrichter nicht. Diese Tatsachen und Beweisergebnisse, die sich aus einem anderweitig ergangenen rechtskräftigen Urteil ergeben, können aber im Strengbeweisverfahren in die neue Hauptverhandlung eingeführt und bei eigener Überzeugung des neuen Tatrichters von den Tatsachen in dessen Urteil verwertet werden. Der Tatrichter darf sie nur nicht ungeprüft aus dem früheren Urteil übernehmen. Er kann sich von der Richtigkeit der Schlüsse des früheren Tatrichters nach eigener Beweiserhebung selbst überzeugen (vgl. BGH, Beschluss vom 3. Juni 1997 – 1 StR 183/97, BGHSt 43, 106, 107 f.).
20
Die Strafkammer hätte demnach – auch unter eigener Würdigung der früheren Beweisgründe des rechtskräftigen Urteils – prüfen können, ob es sich die Überzeugung von den dort festgestellten Tatsachen bilden kann. Dies wäre wegen der erkennbaren Beweisbedeutung dieser Umstände geboten gewesen, zumal das Landgericht von einer Tatbegehung durch dieselbe Tätergruppe ausgegangen ist. Es hatte nur Zweifel daran, ob weitere Tatbeteiligte im Einzelfall – dann möglicherweise auch anstelle des einen oder anderen Angeklagten – mitgewirkt haben. Aus der im Urteil des Landgerichts Trier beschriebenen Vorgeschichte hätte sich jedoch bei entsprechendem Nachweis für das vorliegende Urteil möglicherweise entnehmen lassen können, dass ausschließlich die Angeklagten und Bo. diese Überfälle ausgeführt haben. Darauf deutet die Tatsache hin, dass sich weder aus dem Urteil des Landgerichts Trier, soweit es im angefochtenen Urteil mitgeteilt wurde, noch aus den vom Landgericht selbst getroffenen Feststellungen ein konkreter Hinweis auf die Einbeziehung einer weiteren Person in die Taten ergibt. Die Feststellung von DNA-Mischspuren an den sichergestellten Kleidungsstücken liefert keinen solchen Hinweis, da sie nichts über die Art und Weise sowie den Zeitpunkt der Antragung der Spuren besagt.
21
bb) Die Beweiswürdigung begegnet auch in anderer Hinsicht durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
22
Indem das Landgericht einerseits unter ausführlicher Erörterung der zahlreichen dafür maßgeblichen Beweisanzeichen (UA S. 53 bis 67) darlegt, die Beweisaufnahme habe einen „sicheren Bezug“ der Angeklagten zu der verfahrensgegenständlichen Tatserie ergeben, sich andererseits aber die erforderliche Gewissheit, diese seien an den Taten in den Fällen 1 bis 4 beteiligt gewesen , nicht zu verschaffen vermocht hat, lassen die Urteilsgründe besorgen, dass an die für eine Verurteilung der Angeklagten erforderliche Überzeugung überspannte Anforderungen gestellt worden sind. Der Senat kann nicht ausschließen , dass das Landgericht, hätte es diejenigen Indizien in ein Ausschlussverfahren einbezogen, auf die es seine Annahme gestützt hat, alle Banküberfälle seien von derselben Tätergruppe ausgeführt worden, zur Überzeugung von der Täterschaft der Angeklagten und des gesondert verfolgten Bo. – ohne Beteiligung eines Dritten – auch in den Fällen 1 bis 4 gelangt wäre. Es kommt hinzu, dass das Landgericht vornehmlich jedes Beweisanzeichen einzeln für sich in den Blick genommen und bewertet hat. Die rechtlich gebotene, hier aber unterbliebene Gesamtschau aller Indizien unter Berücksichtigung der vom Landgericht Trier im dortigen Verfahren getroffenen Feststellungen , insbesondere der enge räumliche und zeitliche Zusammenhang aller Taten , die überwiegend vergleichbare Art und Weise der Tatausführung und die Tatsache, dass Waffen und Bekleidungsstücke von derselben Art, wie sie bei den Banküberfällen verwendet wurden, bei den Angeklagten gefunden wurden, könnte ebenfalls eine tragfähige Beweisgrundlage für die Überzeugung von einer Begehung der Taten durch die Angeklagten ergeben.
23
c) Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Freisprüche auf den genannten Rechtsfehlern beruhen.
Franke Appl Eschelbach Meyberg Wenske

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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 15. August 2018, an der teilgenommen haben: Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Schäfer als Vorsitzender, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel, Richter am Bundesgerichtshof Schmidt, Staatsanwältin beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung, Bundesanwältin beim Bundesgerichtshof bei der Verkündung als Vertreterinnen der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerin B. , Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerin Ba. , Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 7. November 2017 im Rechtsfolgenausspruch dahin ergänzt, dass die sichergestellten Betäubungsmittel – 103,57 Gramm Kokainhydrochloridzubereitung, 5 Gramm MDMA-Zubereitung, 5,82 Gramm Marihuana, 24 Ecstasytabletten sowie 0,19 Gramm Marihuana – sowie zwei Feinwaagen eingezogen werden. Die weiter gehende Revision wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten – bei Freispruch im Übrigen – wegen Vergewaltigung in drei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige, vorsätzlicher Körperverletzung in vier Fällen, unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an Minderjährige in zwei Fällen, vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen sowie unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Darüber hinaus hat es eine isolierte Fahrerlaubnissperre von einem Jahr verhängt.
2
Hiergegen richtet sich die zuungunsten des Angeklagten eingelegte, wirksam auf die unterlassene Einziehungsentscheidung sowie auf den Teilfreispruch des Angeklagten vom Tatvorwurf der gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil der Zeugin J. beschränkte und auf die Sachrüge gestützte Revision der Staatsanwaltschaft.
3
Die vom Generalbundesanwalt allein im Hinblick auf die unterbliebene Einziehungsentscheidung vertretene Revision der Staatsanwaltschaft hat in diesem Umfang Erfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.

I.


4
Das Landgericht hat – soweit für das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft von Bedeutung – folgende Feststellungen und Wertungen getroffen: 1. Fall 12 (Fall 18 der Anklageschrift):
5
a) Am 1. März 2017 verfügte der Angeklagte in dem von ihm bewohnten Zimmer in der Wohnung seiner Mutter, straße in A. , über 103,57 Gramm Kokainhydrochloridzubereitung, 5 Gramm MDMA-Zubereitung, 5,82 Gramm Marihuana sowie 24 Ecstasytabletten; darüber hinaus besaß er in seiner Wohnung, straße in A. ein Schnellverschlusstütchen mit 0,19 Gramm Marihuana. Der Angeklagte beabsichtigte, mindestens die Hälfte der sichergestellten Betäubungsmittel gewinnbringend weiter zu veräußern; die andere Hälfte war zum Eigenkonsum bestimmt.
6
b) Der Angeklagte hatte den Besitz der aufgefundenen Betäubungsmittel gestanden. Seine Einlassung, dass diese allein zum Eigenkonsum und nicht wenigstens teilweise zur gewinnbringenden Weiterveräußerung bestimmt waren, hat das Landgericht als widerlegt erachtet. Dabei hat es auf die erhebliche , schon für sich genommen über einen Eigenkonsum hinausweisende und teilweise bereits portionierte Betäubungsmittelmenge sowie darauf abgestellt, dass bei dem Angeklagten außerdem Verkaufsutensilien (Feinwaagen) sowie eine nicht unerhebliche Menge Bargeld sichergestellt werden konnte, deren Herkunft aus legalen Quellen fern liege, da der Angeklagte Sozialhilfe beziehe. Es hat ihn daher des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen und ihn – unter Ablehnung eines minder schweren Falls – zu einer Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Das Landgericht hat im Rahmen der Strafzumessung strafmildernd berücksichtigt, dass „die Betäubungsmittel nebst Verkaufsutensilien sichergestellt werden konnten.“
7
2. Zum Teilfreispruch vom Vorwurf der zum Nachteil der Zeugin J. begangenen gefährlichen Körperverletzung (Fall 17 der Anklageschrift ):
8
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf, die Zeugin J. körperlich verletzt zu haben, indem er mit einem goldenen Taschenmesser seine Initialen in ihre Haut im unteren Bereich des Rückens in einer Höhe von rund zehn Zentimetern und einer Breite von rund zwanzig Zentimetern in ihre Haut ritzte, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Auf der Grundlage der Einlassung des Angeklagten, der die Tat als solche eingeräumt, aber unwiderlegt behauptet hatte, dass die Zeugin J. zunächst vorgeschlagen habe, ihm ihre Initialen mit einem Messer in die Haut zu ritzen und nach seiner Ablehnung dieses Vorschlags mit seinem Gegenvorschlag, dies bei ihr zu tun, einverstanden gewesen sei, hat es angenommen, dass die den Tatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB erfüllende Tat infolge einer wirksamen Einwilligung der Zeugin nicht als rechtswidrig anzusehen sei. Die Tat sei angesichts der konkreten Verletzungsfolgen auch nicht sittenwidrig. Die „Behand- lung“der Zeugin durch den Angeklagten sei nicht lebensgefährdend gewesen und habe infolge der Narbenbildung auch keine dauernde erhebliche Entstellung nach sich gezogen; die Buchstaben seien zwar unsauber und mit mehrfach gezogenen Strichen in einer beträchtlichen Größe von acht bis zehn Zentimetern eingeritzt worden; eine erhebliche Entstellung sei damit jedoch nicht verbunden. Darüber hinaus sei zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass die Narben nicht von dauerhafter Natur seien, sondern entfernt oder überdeckt werden könnten.
9
Die Kammer hat ihre Überzeugung, dass die Geschädigte wirksam in die Körperverletzungshandlung des Angeklagten eingewilligt habe, insbesondere darauf gestützt, dass die Zeugin, die sich in der Hauptverhandlung auf Erinnerungslücken berufen und angegeben hatte, nicht mehr zu wissen, von wem die Idee des Ritzens stamme und ob sie damit einverstanden gewesen sei, zeitnah nach der Tat – am 12. November 2016 – in einem Chat-Verkehr mit dem Angeklagten das Geschehen thematisiert, dem Angeklagten auf Anforderung ein Bild der Verletzung übermittelt und beide das Bild zustimmend kommentiert hatten. Aus dem Umstand, dass die Zeugin J. erst in einer Nachricht am 13. November 2016 über Schmerzen geklagt hatte, hat die Kammer geschlossen , dass die Zeugin ihre Einwilligung in die Körperverletzung nachträglich bereut habe.

II.

10
1. Das Landgericht hat – ersichtlich versehentlich – unterlassen, die im Urteil im Einzelnen festgestellten Betäubungsmittelzubereitungen und Betäubungsmittelutensilien – zwei Feinwaagen – gemäß § 33 Satz 1 BtMG, § 74 StGB einzuziehen. In den Urteilsgründen sind die sichergestellten Gegenstände im Einzelnen festgestellt und der abgeurteilten Tat des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge eindeutig zugeordnet (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Februar 2017 – 3 StR 557/16, NStZ-RR 2017, 220). Daher kann der Senat – dem Antrag des Generalbundesanwalts folgend – in entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO die Entscheidung selbst nachholen; ein Entscheidungsspielraum, dass die Gegenstände auch wieder freigegeben werden könnten (vgl. BGH, Urteil vom 30. September 1986 – 1 StR 497/86, NStE Nr. 1 zu § 33 BtMG), besteht insoweit nicht.
11
2. Demgegenüber hält der Freispruch des Angeklagten vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung rechtlicher Überprüfung stand.
12
a) Die Urteilsgründe genügen den formellen Anforderungen an einen Teilfreispruch (§ 267 Abs. 5 Satz 1 StPO).
13
aa) Wird der Angeklagte aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, so müssen nach Mitteilung des Anklagevorwurfs im Urteil zunächst diejenigen Tatsachen dargestellt werden, die das Tatgericht für erwiesen erachtet. Erst auf dieser Grundlage ist in der Beweiswürdigung darzulegen, aus welchen Gründen die zur Verurteilung notwendigen Feststellungen nicht getroffen werden konnten (BGH, Urteil vom 8. Mai 2014 – 1 StR 722/13, NStZ-RR 2014, 220 (Ls.); Urteil vom 21. Oktober 2003 – 1 StR 544/02, BGHR StPO § 267 Abs. 5 Freispruch 13, jeweils mwN). Hierdurch wird das Revisionsgericht in die Lage versetzt, nachzuprüfen, ob der Freispruch auf rechtlich bedenkenfreien Erwägungen beruht (BGH, Urteil vom 8. Mai 2014 – 1 StR 722/13, aaO; Urteil vom 5. Februar 2013 – 1 StR 405/12, NJW 2013, 1106, jeweils mwN).
14
bb) Diesen Anforderungen wird das Urteil gerecht. Zwar hat die Strafkammer nicht – wie geboten – zunächst die Feststellungen geschlossen dargestellt , die sie für erwiesen gehalten hat, sondern hat diese mit beweiswürdigenden Erwägungen vermischt. Unter den hier gegebenen Umständen gefährdet der hierin liegende Darstellungsmangel den Bestand des Freispruchs jedoch nicht. Die Ausführungen des Landgerichts versetzen das Revisionsgericht hinreichend in die Lage, nachzuprüfen, ob der Teilfreispruch auf rechtsfehlerfreien Erwägungen beruht.
15
b) Das Urteil genügt auch den inhaltlichen Anforderungen an ein freisprechendes Urteil.
16
aa) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an dessen Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist das vom Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Dem Tatgericht obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 6. September 2016 – 1 StR 104/15, juris Rn. 33, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen , wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ- RR 2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung erstreckt sich allein darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16, juris Rn. 9 mwN). Das Tatgericht ist gehalten, sich mit den von ihm festgestellten Tatsachen unter allen für die Entscheidung wesentlichen Gesichtspunkten auseinander zu setzen, wenn sie geeignet sind, das Beweisergebnis zu beeinflussen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, aaO). Das Tatgericht darf zudem keine überspannten Anforderungen an die für eine Verurteilung erforderliche Gewissheit stellen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 26. Juli 2016 – 1 StR 607/15, juris Rn. 12 mwN).
17
bb) Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht. Es ist insbesondere nicht zu erkennen, dass das Landgericht überspannte Anforderungen an die für die Verurteilung erforderliche Gewissheit gestellt hätte.
18
Das Landgericht hat seine Überzeugung, dass die Zeugin in das Handeln des Angeklagten wirksam eingewilligt hat, knapp, aber tragfähig belegt. Widersprüche oder Lücken weisen diese Darlegungen nicht auf. Soweit die Staatsanwaltschaft eine Lücke unter Hinweis auf die Aussagen der Zeugin J. in der Hauptverhandlung, die in die Urteilsgründe keine Aufnahme gefunden haben, sowie unter Bezugnahme auf Aktenbestandteile zu belegen sucht, zeigt dieses Vorbringen im Rahmen der allein erhobenen Sachrüge keinen sachlichrechtlichen Erörterungsmangel auf. Soweit die Staatsanwaltschaft Ausführungen dazu vermisst, dass die Zeugin sich der Tragweite der erteilten Einwilligung bewusst gewesen sei, vermag der Senat einen den Bestand des Urteils gefährdenden Erörterungsmangel nicht zu erkennen.
19
cc) Soweit die Staatsanwaltschaft schließlich geltend macht, das Landgericht habe der Prüfung der Frage, ob die Tat trotz Einwilligung als rechtswidrig anzusehen ist, weil die Tat gegen die guten Sitten verstoße (§ 228 StGB), einen falschen Maßstab zugrunde gelegt, teilt der Senat diese Bedenken nicht.
20
Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es für die Beurteilung der Sittenwidrigkeit zwar nicht allein, aber vor allem auf die ex-ante zu bestimmende Art und Schwere des Rechtsgutsangriffs ankommt (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 – 3 StR 233/14, BGHSt 60, 166, 176 f.). Für die Sittenwidrigkeit der Tat ist entscheidend, ob die Körperverletzung wegen des besonderen Gewichts des jeweiligen tatbestandlichen Rechtsgutsangriffs unter Berücksichtigung des Umfangs der eingetretenen Körperverletzung und des damit verbundenen Gefahrengrads für Leib und Leben des Opfers trotz Einwilligung des Rechtsgutsträgers nicht mehr als von der Rechtsordnung hinnehmbar erscheint (Senat, Urteil vom 26. Mai 2004 – 2 StR 505/03, BGHSt 49, 166, 169 ff.). Diesen rechtlichen Maßstab hat das Landgericht der Prüfung der Frage der Sittenwidrigkeit der Tat zugrunde gelegt. Dass es die Tat unter Berücksichtigung der konkret eingetretenen Verletzungsfolgen nicht als sittenwidrig angesehen hat, ist von Rechts wegen unbedenklich. Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft begegnet es auch keinen rechtlichen Bedenken, dass das Landgericht zur Beurteilung der Sittenwidrigkeit die Zwecksetzung des Handelns des Angeklagten, die Geschädigte gleichsam zu „zeichnen“, unberücksichtigt gelassen hat. Die Weite und Konturenlosigkeit des Merkmals der guten Sitten in § 228 StGB erfordert, dieses strikt auf das Rechtsgut der Körperverletzungsdelikte zu beziehen und auf seinen Kerngehalt zu reduzieren (BGH, Urteil vom 22. Januar 2014 – 3 StR 233/14, BGHSt 60, 166, 178). Gesellschaftliche Vorstellungen oder der durch die Tat verfolgte Zweck können lediglich dazu führen, dass ihretwegen eine Einwilligung trotz massiver Rechtsgutsverletzungen Wirksamkeit entfalten kann (BGH, Urteil vom 22. Januar 2014 – 3 StR 233/14, BGHSt 60, 166, 178 f.). Zur Feststellung eines Sittenverstoßes und damit – über die Unbeachtlichkeit der Einwilligung – zur Begründung der Strafbarkeit von einvernehmlich vorgenommenen Körperverletzungen können sie nicht herangezogen werden (BGH, Urteil vom 22. Januar 2014 – 3 StR 233/14, BGHSt 60, 166, 179).
21
Soweit die Staatsanwaltschaft im Übrigen im Hinblick auf die von ihr vermisste Bewertung der Zweckrichtung der Tat auf den Umstand abstellt, dass der Angeklagte das von der Zeugin erbetene Foto, das die ihr zugefügte Verletzung zeigt, in seinem Bekanntenkreis verbreitet habe, handelt es sich um urteilsfremdes Vorbringen, das im Rahmen der Sachrüge keine Berücksichtigung finden kann. Schäfer RiBGH Prof. Dr. Krehl befindet Eschelbach sich im Urlaub und ist deshalb gehindert zu unterschreiben. Schäfer Bartel Schmidt

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 114/11
vom
10. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. August
2011, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Prof. Dr. Sander,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin,
die Nebenklägerin persönlich,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 27. Oktober 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung , auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten von dem Vorwurf der sexuellen Nötigung u.a. aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Hiergegen richtet sich die Revision der Nebenklägerin. Diese hat mit der Sachrüge Erfolg, da die Beweiswürdigung des Landgerichts rechtsfehlerhaft ist. Eines näheren Eingehens auf die zusätzlich erhobenen Aufklärungsrügen bedarf es somit nicht.

I.


2
1. In der (im Wesentlichen auf den Angaben der Nebenklägerin im Ermittlungsverfahren beruhenden) unverändert zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft Konstanz vom 12. Juli 2010 ist dem Angeklagten zur Last gelegt worden, dass er bei der Behandlung der Nebenklägerin in mindestens acht Fällen gegen deren Willen aus sexuellen Gründen mit seinem Finger in deren Vaginalbereich eingedrungen sei. Der Angeklagte hat die Vorwürfe bestritten. Das Landgericht hat sich nicht von seiner Schuld zu überzeugen vermocht. Hinsichtlich des Sachverhalts konnte es lediglich folgende Feststellungen treffen:
3
In der Zeit von August bis November 2009 begab sich die damals 18 Jahre alte Nebenklägerin wegen ihres Heuschnupfens mindestens fünf Mal in die Behandlung des als Heilpraktiker tätigen Angeklagten. Dieser war ihr persönlich bekannt, da sie bei dessen Tochter eine Ausbildung zur Kosmetikerin absolvierte. Zur Behandlung des Heuschnupfens führte der Angeklagte bei der Nebenklägerin jeweils zunächst eine Eigenblutbehandlung durch, bei der er ihr das zuvor entnommene Blut in ihren Gesäßmuskel spritzte und die Einstichstelle mit einer schmerzstillenden Salbe massierte. Anschließend nahm er noch eine Lymphdrainage vor, bei der er die Lymphknoten mit einem Massagegerät abtastete.
4
Mitte bzw. Ende November 2009 kam es wegen häufiger Krankmeldungen zu einem Streit zwischen der Nebenklägerin und ihrer Arbeitgeberin, der Tochter des Angeklagten, woraufhin die Nebenklägerin ihren Ausbildungsplatz vorzeitig kündigte.
5
In einem Brief vom 13. Januar 2010 schrieb der Angeklagte der Nebenklägerin Folgendes: „Meine Liebe Jenni. Beginnend möchte ich dich bitten, dass dieser Brief nur uns beide betrifft !!!! Es tut mir sehr leid, dass ich dich nicht mehr hier haben kann. (…) Ich hoffe, dass die Zuneigung zu dir nicht der Grund deiner Kündi- gung gewesen ist. (…) Bitte (…) mach keine trotz Aktionen mit der A. (…). Ich grüße und küsse dich herzlich, bitte melde dich. PS: Wenn du mir schreiben willst, dann schreibe als Absender Apotheke R. “.
6
Dieser Brief veranlasste die Nebenklägerin, zur Polizei zu gehen und gegen den Angeklagten Anzeige zu erstatten.
7
2. Zur Begründung des Freispruchs hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt:
8
Die Nebenklägerin und die Zeugin G. , die einen (von der Staats- anwaltschaft nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellten) „vergleichbaren Vorfall“ wie die Nebenklägerin geschildert habe, hätten auf die Strafkammer zwar „keinen unglaubwürdigen Eindruck“ gemacht. Dennoch seien Zweifel an der Glaubhaf- tigkeit der Aussagen der beiden miteinander bekannten Zeuginnen verblieben. So habe es in der Aussage der Nebenklägerin „Unsicherheiten bzw. Abweichungen zu ihren polizeilichen Angaben, die auch den Kernbereich der Tatvor- würfe betreffen“, gegeben. Außerdem hätten beide Zeuginnen ein Belastungs- motiv, da sie beide mit der Tochter des Angeklagten Streit gehabt hätten.

II.


9
Das freisprechende Urteil hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Die Beweiswürdigung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
10
1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Spricht das Gericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Insbesondere ist es ihm verwehrt, die Beweiswürdigung des Tatrichters durch seine eigene zu ersetzen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20).
11
Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich somit darauf, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung von einem rechtlich unzutreffenden Ansatz ausgeht, etwa hinsichtlich des Umfangs und der Bedeutung des Zweifelssatzes , wenn sie lückenhaft ist, wenn sie widersprüchlich oder unklar ist, gegen Gesetze der Logik oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt werden (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08 und 9. März 2011 - 2 StR 467/10 mwN). Insbesondere ist die Beweiswürdigung auch dann rechtsfehlerhaft, wenn die Beweise nicht erschöpfend gewürdigt werden (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 - 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20, sowie BGH, Urteil vom 21. November 2006 - 1 StR 392/06) oder sich den Urteilsgründen nicht entnehmen lässt, dass die einzelnen Beweisergebnisse in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08 mwN).

12
2. Diesen Anforderungen an eine rechtsfehlerfreie Beweiswürdigung wird das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht nicht gerecht.
13
a) Die Beweiswürdigung ist bereits deshalb rechtsfehlerhaft, weil es an einer geschlossenen Darstellung der Aussagen der Nebenklägerin und der Zeugin G. fehlt.
14
Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen - wie hier - Aussage gegen Aussage steht, muss aber der entscheidende Teil einer Aussage in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist.
15
aa) Die Darstellung der Aussagen der Nebenklägerin bei der Polizei und in der Hauptverhandlung beschränkt sich auf die Wiedergabe und Bewertung einzelner aus dem Gesamtzusammenhang der Aussage gerissener Angaben, die das Landgericht als „Unsicherheiten bzw. Abweichungen“ bezeichnet, „die auch den Kernbereich der Tatvorwürfe betreffen“. Die Bekundungen der Ne- benklägerin zu den von ihr erhobenen Vergewaltigungsvorwürfen, insbesondere konkrete Details zum unmittelbaren Tatgeschehen, werden dagegen nicht mitgeteilt. Auch ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen, ob die Nebenklägerin die vom Landgericht aufgezeigten Widersprüche im Aussageinhalt nachvollziehbar erklären konnte oder nicht. Auf dieser Grundlage kann der Senat schon nicht hinreichend überprüfen, ob das Landgericht eine fachgerechte Analyse der - im Urteil nicht weiter mitgeteilten - Aussage der Nebenklägerin zum Kern- geschehen vorgenommen und die dabei von ihr aufgezeigten „Unsicherheiten bzw. Abweichungen“ zutreffend gewichtet hat (zur Gewichtung von Aussage- konstanz und Widerspruchsfreiheit vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1997 - 4 StR 526/96).
16
bb) Eine zusammenhängende Schilderung der von der Zeugin G. gegen den Angeklagten erhobenen Vorwürfe ist den Urteilsgründen ebenfalls nicht zu entnehmen. Die Ausführungen im angefochtenen Urteil beschränken sich auf den Hinweis, die Zeugin habe einen „vergleichbaren Vorfall“ geschildert. Weitere Einzelheiten der Aussage werden nicht mitgeteilt. Der Senat kann daher auch in Bezug auf die Aussage der Zeugin G. nicht überprüfen, ob das Landgericht die für die Glaubhaftigkeitsbeurteilung wesentlichen Umstände erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat, zumal das Landgericht seine Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin G. mit einem Streit zwischen ihr und der Tochter des Angeklagten begründet hat, ohne hierüber nähere Einzelheiten, z.B. zur Ursache, zum genauen Zeitpunkt, zum Verlauf oder zur Intensität des Streits, mitzuteilen.
17
b) Das Landgericht hat seine Zweifel an der Schuld des Angeklagten wesentlich auf „Abweichungen bzw. Unsicherheiten“ in der Aussage der Ne- benklägerin gestützt. So habe die Nebenklägerin unterschiedliche Angaben zum erstmaligen Einsatz eines Massagestabes - bei der ersten bzw. bei der zweiten Behandlung durch den Angeklagten - gemacht. Auch habe sie sich an die Anzahl der Behandlungstermine nur noch „grob“ erinnern können; zunächst habe sie von vier bis fünf, später dann von fünf bis acht Terminen gesprochen. Bei der Bewertung dieser ungenauen Gedächtnisleistungen der Nebenklägerin hätte sich das Landgericht mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob diese derart schwerwiegend sind, dass sie Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt der Aussage erlauben. Denn nicht jede Inkonstanz stellt bereits einen Hinweis auf eine mangelnde Glaubhaftigkeit der Angaben insgesamt dar (BGH, Urteil vom 30. Juli 1999 - 1 StR 618/98, BGHSt 45, 164, 172). Das Landgericht lässt dabei zudem auch die Einlassung des Angeklagten außer Acht, die in diesem Zusammenhang nicht wesentlich von den Angaben der Nebenklägerin abweicht. So hat der Angeklagte nicht nur angegeben, dass er die Nebenklägerin fünfmal in seiner Praxis behandelt habe, sondern auch, dass er dabei regelmäßig das Massagegerät eingesetzt habe.
18
c) Aus dem Brief vom 13. Januar 2010, den der Angeklagte an die Nebenklägerin geschrieben hat und der letztlich nach den Feststellungen der Aus- löser für ihre Strafanzeige gewesen ist, konnte das Landgericht keine „zwingenden Schlüsse“ hinsichtlich der Tatvorwürfe ziehen. Diese Formulierung lässt besorgen, dass das Landgericht die Anforderungen, die an die richterliche Überzeugung von der Schuld des Angeklagten zu stellen sind, überspannt hat. Voraussetzung für die Überzeugung des Tatrichters von einem bestimmten Sachverhalt ist nicht eine absolute, das Gegenteil denknotwendig ausschließende Gewissheit. Vielmehr genügt ein nach der Lebenserfahrung ausreichendes Maß an Sicherheit, das vernünftige Zweifel nicht aufkommen lässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 29. Oktober 2003 - 5 StR 358/03 mwN).
19
d) Bei der Bewertung des Briefes vom 13. Januar 2010 hat sich das Landgericht zudem lediglich mit den Textstellen auseinandergesetzt, in denen der Angeklagte von seiner Zuneigung zu der Nebenklägerin spricht, sie auffordert , Trotzreaktionen zu unterlassen, und sie bittet, bei Schreiben an ihn einen falschen Absender anzugeben. Dagegen bleibt die für ein Schreiben eines Therapeuten an seine Patientin ungewöhnliche Grußformel „ich küsse dich herzlich“ unerörtert. Für eine Erörterung auch dieser Textstelle hätte hier schon deshalb Anlass bestanden, weil der Angeklagte an anderer Stelle des Briefes seine Zuneigung zur Nebenklägerin zum Ausdruck bringt, so dass die von ihm verwendete Grußformel darauf hindeuten könnte, dass es bei der Behandlung der Nebenklägerin zu sexuellen Handlungen gekommen war.
20
e) Die erforderliche Gesamtschau der Beweisergebnisse fehlt.
21
Liegen mehrere Beweisanzeichen vor, so genügt es nicht, sie jeweils einzeln abzuhandeln. Das einzelne Beweisanzeichen ist vielmehr mit allen anderen Indizien in eine Gesamtwürdigung einzustellen. Erst die Würdigung des gesamten Beweisstoffes entscheidet letztlich darüber, ob der Richter die Überzeugung von der Schuld des Angeklagten und den sie tragenden Feststellungen gewinnt. Auch wenn keine der Indiztatsachen für sich allein zum Nachweis der Täterschaft des Angeklagten ausreichen würde, besteht die Möglichkeit, dass sie in ihrer Gesamtheit dem Tatrichter die entsprechende Überzeugung vermitteln können (BGH, Urteile vom 30. März 2004 - 1 StR 354/03 und 15. Juli 2008 - 1 StR 231/08 jew. mwN).
22
Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, dass die Umstände, die für eine Täterschaft des Angeklagten sprechen, im Zusammenhang gewürdigt worden sind. Das Landgericht hat diese lediglich einzeln erörtert und nur geprüft, ob sie für sich allein zur Überführung des Angeklagten ausreichen. Dies genügt hier den Anforderungen an eine lückenlose Beweiswürdigung schon deshalb nicht, weil die Nebenklägerin und die Zeugin G. - wie dies an mehreren Stellen des Urteils ausgeführt wird (UA S. 7, 13 und 14) - auf das Landgericht „keinen unglaubwürdigen Eindruck“ gemacht haben. Der Senat kann daher nicht aus- schließen, dass das Landgericht bei einer umfassenden Gesamtschau der belastenden Umstände den jeweils isoliert aufgezeigten Zweifeln an der Glaubhaftigkeit der Aussagen der Nebenklägerin und der Zeugin G. ein geringe- res Gewicht beigemessen und sich nicht nur von der Richtigkeit ihrer Angaben, sondern letztlich auch von der Täterschaft des Angeklagten überzeugt hätte.
Nack Wahl Elf Graf Sander
5 StR 240/02

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 22. August 2002
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Betruges u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
22. August 2002, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf als Vorsitzender,
Richter Häger,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt G
als Verteidiger für die Angeklagte Z
Rechtsanwalt J
als Verteidiger für den Angeklagten H
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 30. November 2001 mit den jeweils zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit die Angeklagten freigesprochen worden sind,
b) in sämtlichen Strafaussprüchen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hat die Angeklagte Z wegen Unterschla- gung (Einzelgeldstrafe von 50 Tagessätzen zu 30 DM) und wegen – gemeinschaftlich mit dem Angeklagten H begangenen – Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung (Einzelfreiheitsstrafe von vier Monaten) unter Einbeziehung anderweit verhängter 13 Freiheitsstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Gegen den Angeklagten H hat es eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu 80 DM festgesetzt. Von weiteren Tatvorwürfen hat das Landgericht die Angeklagten – bei H versehentlich ohne entsprechende Tenorierung – freigesprochen. Die vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen der Staatsanwaltschaft richten sich mit der Sachrüge gegen die Freisprüche und – inso- weit rechtswirksam beschränkt – gegen sämtliche Strafaussprüche. Die Rechtsmittel haben in vollem Umfang Erfolg.

I.


Nach den – infolge der Rechtsmittelbeschränkung bestandskräftigen – Feststellungen des Landgerichts nahm die Angeklagte Z im Frühjahr 1999 während eines Besuchs des Zeugen D dessen Dokumententasche mit und leugnete einige Tage später in der Absicht, sie zu behalten , deren Besitz. Im Zusammenwirken mit ihrem Lebenspartner H fingierte sie am 18. November 1998 zu Lasten eines Geschäftskontos der Firma M M G bei der Commerzbank Berlin eine Überweisung in Höhe von über 8.000 DM zugunsten des Kontos des Angeklagten H bei der Berliner Sparkasse, über das dieser allein verfügungsberechtigt war.
Vom Vorwurf, auf gleiche Art und Weise die Firma M am 10. November 1998 um ebenfalls über 8.000 DM geschädigt (Fall VI 4) und dies zum Nachteil der Firma B am gleichen Tag in Höhe von ca. 4.000 DM und des A O bereits am 3. September 1998 in Höhe von über 3.500 DM versucht zu haben (Fälle VI 3 und 2), sprach das Landgericht die Angeklagten aus tatsächlichen Gründen frei.
Die Angeklagte Z wurde ferner von dem Vorwurf freigesprochen , zwischen April 1997 und Juni 1998 Personalausweis, Führerschein , Euroscheck- und Kontokarte des A O unterschlagen zu haben (Fall VI 1). Beide Angeklagte wurden auch von den weiteren Vorwürfen freigesprochen, diesen Personalausweis am 19. April 1999 zur Eröffnung eines Kontos unter dem Namen O bei der Postbank mißbraucht (Fall VI 6) und darauf am 3. Mai 1999 zwei Überweisungen über ca. 14.000 DM bewirkt und eine weitere in Höhe von 8.300 DM zu veranlassen versucht zu haben (Fälle VI 8, 9 und 7).

Schließlich wurden beide Angeklagte vom Vorwurf freigesprochen, am 27. November 1998 eine Straftat durch Benennung einer nicht existierenden Person als Verursacher der davor erfolgten Überweisungen zu Lasten der Firma M vorgetäuscht zu haben (Fall VI 5).

II.


1. Die Sachrüge führt zur Aufhebung der Freisprüche, weil die Beweiswürdigung des Landgerichts sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht standhält.
Zwar muß das Revisionsgericht grundsätzlich hinnehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob diesem Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze und gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; BGH NStZ 2002, 48; BGH NStZ-RR 2000, 171; BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 33 m. w. N.).
Hier erweist sich die Beweiswürdigung des Landgerichts als lückenhaft. Freilich können und müssen die Gründe auch eines freisprechenden Urteils nicht jeden irgendwie beweiserheblichen Umstand ausdrücklich würdigen. Das Maß der gebotenen Darlegung hängt von der jeweiligen Beweislage und insoweit von den Umständen des Einzelfalles ab; dieser kann so beschaffen sein, daß sich die Erörterung bestimmter einzelner Beweisumstände erübrigt. Insbesondere wenn das Tatgericht auf Freispruch erkennt, obwohl – wie hier – nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung gegen die Angeklagten ein ganz erheblicher Tatverdacht besteht, muß es allerdings in seiner Beweiswürdigung und deren Darlegung die ersichtlich möglicherweise
wesentlichen gegen die Angeklagten sprechenden Umstände und Erwägungen einbeziehen (BGH wistra 2002, 260, 261; BGH NStZ-RR 2000, 171) und in einer Gesamtwürdigung betrachten (BGH NJW 2002, 2188, 2189; 2002, 1811, 1812; BGH NStZ 2002, 48). Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht.

a) Im Verurteilungsfall II 2 hat sich das Landgericht mit rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung von einem mittäterschaftlichen Zusammenwirken der Angeklagten überzeugt. Dieser Fall hatte nicht anders als die Freispruchsfälle VI 2 bis 4 und 7 bis 9 fingierte Überweisungen zum Gegenstand. Das Landgericht hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, die Parallelen zu dem Verurteilungsfall gesamtwürdigend hinreichend zu berücksichtigen. Es hat insoweit insbesondere in der Mehrzahl der Fälle festgestellt, daß die Überweisung mit der gleichen (freilich eher geringeren) Wahrscheinlichkeit der Urheberschaft der Angeklagten Z wie im Verurteilungsfall erfolgt ist. Dabei begegnet auch die Annahme des Landgerichts, eine gutachterliche Bestätigung der Urheberidentität zwischen den Fällen sei nicht geeignet, eine weitergehende indizielle Belastung zu begründen (UA S. 21, 26), vor dem Hintergrund der Erweislichkeit ihrer Urheberschaft in einem der Fälle durchgreifenden Bedenken. Die Fälle VI 2 bis 4 betrafen zudem in gleicher Weise wie der Verurteilungsfall eine beabsichtigte Begünstigung des eigenen Kontos des Angeklagten H , über das dieser allein verfügungsberechtigt war. Die Fälle VI 7 bis 9 betrafen ein fingiertes Konto, für welches die Wohnanschrift der Angeklagten angegeben worden war; diese waren im Besitz von dem Kontoinhaber abhanden gekommenen Papieren. Diese Umstände hätten eine Gesamtschau aller Beweisanzeichen erfordert, die wegen ihrer Häufigkeit und gegenseitigen Durchdringung die Überzeugung von der Richtigkeit der Vorwürfe hätte begründen können (vgl. aus der st. Rspr. des BGH NJW 2002, 2188, 2189; 2002, 1811, 1812 m. w. N.).

b) Zudem widersprechen die für die Teilfreisprechung wesentlichen Erwägungen des Landgerichts über die mögliche Mitwirkung eines weiteren
unbekannten Täters den im Verurteilungsfall fehlerfrei getroffenen Feststellungen , wonach sich am 18. November 1998 und 22. Oktober 1999 weder ein Dritter in der Wohnung der Angeklagten aufhielt noch an der Überweisung mitwirkte (UA S. 14 f.; 12, 20). Verdächtigen Funden in jener Wohnung hätte daher die gleiche Indizwirkung wie im Verurteilungsfall zuerkannt werden müssen.

c) Allein wegen des jeweils engen Zusammenhangs mit den Kontenmißbrauchsfällen sind auch die Freisprüche in den Fällen VI 1, 5 und 6 aufgrund der in jenen Fällen nicht ausreichend, zudem widersprüchlich vorgenommenen Gesamtwürdigung ihrerseits als nicht tragfähig begründet anzusehen.
2. Die Revisionen dringen auch hinsichtlich der Strafaussprüche durch.

a) Die gegen die Angeklagte Z festgesetzte Geldstrafe ist allein schon deshalb aufzuheben, weil das Landgericht die Reihenfolge der Taten verwechselt und dadurch übersehen hat, daß die Unterschlagung im Frühjahr 1999 der anderen abgeurteilten Tat vom 18. November 1998 nachfolgte. Folglich hat das Landgericht, das in dem weiteren Verurteilungsfall im Blick auf parallele Straftaten eine kurzfristige Freiheitsstrafe verhängt hat, im Falle der Unterschlagung zu Unrecht ein Vorleben der Angeklagten ohne Straftaten angenommen.

b) Die für den gemeinschaftlichen Betrug in Tateinheit mit Urkundenfälschung gegen beide Angeklagte festgesetzten Strafen sind aufzuheben, weil dem neuen Tatrichter – falls er zu Schuldsprüchen kommt – Gelegenheit gegeben werden muß, für Taten einer Serie angemessene Strafen, gegebenenfalls auch aufgrund gewerbsmäßiger Begehung von Betrug (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB) und Urkundenfälschung (§ 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB), festzusetzen. Die Aufhebung der Einzelstrafen zieht die Aufhebung der ge-
gen die Angeklagte Z festgesetzten Gesamtfreiheitsstrafe nach sich.

III.


Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
Für die Beweiswürdigung zu den erneut zu prüfenden Anklagevorwürfen begründet die rechtskräftige Verurteilung der Angeklagten wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung nicht mehr als ein gravierendes Indiz für ihre Täterschaft in diesem von ihnen nicht angefochtenen Parallelfall (vgl. BGHSt 43, 106, 107 f.).
Im Fall von weiteren Schuldsprüchen ist für die von der Anklage noch angenommene bandenmäßige Begehung nach BGHSt 46, 321, 329 kein Raum. Bei der Strafzumessung werden die aus einer späten Aburteilung abzuleitenden Strafmilderungsgründe zu bedenken sein (vgl. BGHR StGB § 46 Abs. 2 Verfahrensverzögerung 13).
Angesichts des sehr unterschiedlichen Gewichts der lange zurückliegenden Vorwürfe und des erheblichen Aufwands für deren rechtliche und tatsächliche Klärung wird sich eine Anwendung des § 154 Abs. 2 StPO hinsichtlich der angelasteten Vergehen nach §§ 145d, 246, 281 StGB anbieten. Hinsichtlich möglicher Gesamtstrafenbildung mit Geldstrafen einschließlich der Begründung von Zäsuren durch entsprechende Verurteilungen erfordert der zwingend anzuwendende § 55 StGB grundsätzlich die Überprüfung der Angaben der Angeklagten über die Bezahlung von Geldstrafen.
Basdorf Häger Raum Brause Schaal