Bundesgerichtshof Urteil, 17. Jan. 2018 - 2 StR 180/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2018:170118U2STR180.17.0
17.01.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 180/17
vom
17. Januar 2018
in der Strafsache
gegen
wegen bewaffneten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge
ECLI:DE:BGH:2018:170118U2STR180.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Januar 2018, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl als Vorsitzender,
die Richterinnen am Bundesgerichtshof Dr. Bartel, Wimmer, die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Grube, Schmidt,
Staatsanwalt als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 7. Februar 2017 mit den zugehörigen Feststellungen
a) im Fall II.2. der Urteilsgründe und
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II.1 der Urteilsgründe) und wegen unerlaubten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitführen eines Gegenstandes, der seiner Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt ist, in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II.2 der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.

I.

2
1. Nach den Feststellungen stand der Angeklagte im Verdacht, der Drogenlieferant des gesondert verfolgten D. zu sein. Am 4. August 2016 wurde den Ermittlungsbehörden bekannt, dass D. ein größeres Drogengeschäft plante. Gegen 14.45 Uhr rief dieser den Angeklagten an und zitierte ihn zu seinem Garten in M. bei O. , wo der Angeklagte um 15.35 Uhr eintraf. Das Treffen wurde polizeilich observiert. Nach Verlassen des Gartens gegen 16.26 Uhr verstaute der Angeklagte im hinteren rechten Bereich seines Fahrzeugs einen Gegenstand. In diesem Moment kam bei den Polizeieinsatzkräften , die bislang davon ausgegangen waren, es handle sich bei dem Angeklagten um den Drogenlieferanten des D. , der Verdacht auf, D. habe dem Angeklagten in seinem Garten Rauschgift übergeben. Die Einsatzleiterin, Kriminaloberkommissarin Dö. , ordnete daraufhin wegen Gefahr im Verzug an, das Fahrzeug des Angeklagten zu verfolgen und zu durchsuchen, bevor die vermeintlichen Drogen in Umlauf gelangen könnten. Um das aus ihrer Sicht höherrangige Verfahren gegen D. nicht zu gefährden, erteilte sie die Weisung, dem Angeklagten vorzuhalten, er werde aufgrund einer Personen- und Fahrzeugbeschreibung im Rahmen eines Raubdelikts angehalten. Nachdem es dem Angeklagten zunächst gelungen war, sich durch verkehrswidriges Fahrverhalten kurzzeitig der polizeilichen Verfolgung zu entziehen, wurde sein PKW gegen 17.00 Uhr auf dem Parkplatz eines Schnellrestaurants festgestellt. Der Angeklagte befand sich zu diesem Zeitpunkt in dem Restaurant. Unter dem Vorwand, es handele sich um eine Routineüberprüfung betreffend ein kürzlich begangenes Raubdelikt, wurde der Angeklagte durch die Polizeibeamten Z. und M. kontrolliert und sein Kraftfahrzeug durchsucht. Dabei wurden im hinteren rechten Fondbereich 86,82 Gramm Kokain mit einem Anteil an Kokainhydrochlorid von 67,5 % (58,47 Gramm) aufgefunden. Der Angeklagte hatte dieses am Nachmitttag desselben Tages von dem gesondert verfolgten D. auf Kommission zu einem Preis von 40 € pro Gramm erhalten und beabsichtigte, es für 60 € pro Gramm weiterzuverkaufen. Eine Dokumentation der Gründe für das Vorliegen von Gefahr im Verzug erfolgte nicht.
3
2. Aufgrund dieses Rauschgiftfunds beantragte Kriminaloberkommissarin Dö. unter Einbindung des zuständigen Staatsanwalts bei dem Ermittlungsrichter des Amtsgerichts Offenbach am Main den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses für die Wohnung des Angeklagten in F. . Gegen 17.42 Uhr ordnete der Ermittlungsrichter die Durchsuchung mündlich an. Eine vorherige Anhörung des Angeklagten unterblieb, um das polizeiliche Vorgehen nicht zu gefährden.
4
Der Durchsuchungsbeschluss wurde noch am 4. August 2016 vollzogen. Dabei wurden in der Wohnung des Angeklagten 9.874,6 Gramm Cannabisharz mit einem THC-Anteil von 22,6 % (2.231,7 Gramm), 1.001,8 Gramm Marihuana mit einem THC-Anteil von 11,2 % (112,2 Gramm), 1.006,2 Gramm Marihuana mit einem THC-Anteil von 11,9 % (119,7 Gramm), 493,9 Gramm Marihuana mit einem THC-Anteil von 12,7 % (62,7 Gramm), 1.461,7 Gramm Marihuana mit einem THC-Anteil von 12,8 % (187,1 Gramm) sowie 102,54 Gramm Kokain mit einem Anteil an Kokainhydrochlorid von 72,1 % (73,93 Gramm) aufgefunden. Den überwiegenden Teil des Rauschgifts, das zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt war, verwahrte der Angeklagte in seinem Schlafzimmer, geringe Mengen auf dem Wohnzimmertisch. Dort befanden sich auch diverse Klarsichttüten als Verpackungsmaterial für Drogen sowie ein Zettel mit zahlreichen Namen und Telefonnummern. Auf einem Regalschrank im Wohnzimmer neben dem Wohnzimmertisch lag griffbereit eine gefüllte und funktionsfähige Dose Pfefferspray, die der Angeklagte im Jahr 2013 erworben hatte und dort aufbewahrte, um sich und seinen Betäubungsmittelbestand zu schützen. Im Kleiderschrank des Angeklagten wurde ferner ein Bargeldbetrag in Höhe von 4.000 € sowie in einer Gürteltasche des Angeklagten ein weiterer Bargeldbetrag in Höhe von 640 € aufgefunden und sichergestellt.
5
Der Angeklagte hatte die in seiner Wohnung aufgefundenen Drogen sowie 4.000 € Bargeld am 31. Juli 2016 von einem Unbekannten, dessen Identität die Kammer nicht klären konnte, zur Aufbewahrung erhalten. Als Entlohnung für seine Verwahrtätigkeit sollte der Angeklagte von dem Unbekannten 10 Gramm Marihuana zum Eigenkonsum sowie 1.000 € erhalten.
6
3. Das Landgericht stützt seine Feststellungen im Wesentlichen auf das umfassende Geständnis des Angeklagten und die Aussagen der ermittelnden Polizeibeamten. Zu Art, Menge und Qualität des im Fahrzeug und in der Woh- nung des Angeklagten aufgefundenen und sichergestellten Rauschgifts hat die Strafkammer das Betäubungsmittelgutachten des Hessischen Landeskriminalamts vom 26. September 2016 verlesen.
7
Der Angeklagte hat der Verwertung von Beweismitteln, die mit der Durchsuchung seines Kraftfahrzeuges und seiner Wohnung im Zusammenhang stehen, in der Hauptverhandlung widersprochen.

II.

8
Die Revision des Angeklagten führt in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang zum Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet.
9
1. Der Schuld- und Strafausspruch im Fall II.1 der Urteilsgründe hält rechtlicher Nachprüfung stand.
10
a) Die zulässig erhobene Verfahrensrüge einer Verletzung der §§ 102, 105 StPO hat keinen Erfolg.
11
Das Landgericht hat seine Feststellungen auf das umfassende Geständnis des Beschwerdeführers in der Hauptverhandlung gestützt, dem zu diesem Zeitpunkt die Hintergründe der gegen ihn durchgeführten Ermittlungsmaßnahmen bereits bekannt waren. Lediglich die Feststellungen zum Wirkstoffgehalt des sichergestellten Kokains beruhen auf der im Anschluss an die Durchsuchung des Fahrzeugs erfolgten Sicherstellung und Untersuchung des Rauschgifts. Aber auch insoweit besteht kein Verwertungsverbot:
12
Die durch die Einsatzleiterin Dö. angeordnete Durchsuchung des PKW war rechtmäßig. Sie hat ihre Kollegen angewiesen, „die Verfolgung des Angeklagten aufzunehmen und aufgrund von Gefahr im Verzug, bevor die vermeint- lichen Drogen in Umlauf gelangten, den Angeklagten anzuhalten und ihn zu durchsuchen.“ Während die Intention, das Inverkehrbringen der Drogen zu ver- hindern, für eine präventive Maßnahme spricht, deutet die Annahme von Gefahr im Verzug auf repressives Handeln hin.
13
Wenn eine Maßnahme – wie hier – sowohl der Gewinnung von Beweismitteln als auch der Gefahrenabwehr dient, besteht grundsätzlich kein Vorrang strafprozessualer Eingriffsbefugnisse. Polizeibehörden dürfen daher auch während eines bereits laufenden Ermittlungsverfahrens aufgrund präventiver Ermächtigungsgrundlagen zum Zwecke der Gefahrenabwehr tätig werden. Die Rechtmäßigkeit der Maßnahme ist dann ausschließlich nach den gefahrenabwehrrechtlichen Voraussetzungen zu beurteilen. Die Verwertbarkeit der dabei gewonnenen Beweismittel im Strafverfahren bestimmt sich nach § 161 Abs. 2 Satz 1 StPO (Senat, Urteil vom 26. April 2017 – 2 StR 247/16, NJW 2017, 3173 Rn. 37 ff.). Letztlich kann die rechtliche Einordnung der Maßnahme hier dahingestellt bleiben, da sowohl die gefahrenabwehrrechtlichen als auch die strafprozessualen Voraussetzungen für die Durchsuchung des PKWs gegeben waren.
14
aa) Die Voraussetzungen der gefahrenabwehrrechtlichen Eingriffsgrundlage des § 37 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 HSOG (i.V.m. § 36 Abs. 1 Nr. 1 HSOG bzw. § 40 Nr. 1 und 4 HSOG) lagen zum Zeitpunkt der Durchsuchung vor. Aus den Telefonüberwachungsmaßnahmen und der Observation des Treffens des Angeklagten mit dem gesondert Verfolgten D. waren aus Sicht der handelnden Polizeibeamten tatsächliche Anhaltspunkte dafür gegeben, dass der Angeklagte in seinem Fahrzeug Drogen, mithin (verbotene) Gegenstände im Sinne von § 37 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 HSOG (i.V.m. § 40 Nrn. 1 und 4 HSOG) mit sich führte, von denen eine erhebliche Gefahr für die Volksgesundheit ausging. Einer vorherigen richterlichen Anordnung bedurfte es nach dem Hessi- schen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht. Da die Er- kenntnisse aus der Fahrzeugdurchsuchung der Aufklärung einer „schweren Straftat“ im Sinne des § 100aAbs. 2 Nr. 7 StPO dienten, aufgrund derer eine Durchsuchung nach der Strafprozessordnung ohne weiteres hätte angeordnet werden dürfen, liegen auch die Voraussetzungen des § 161 Abs. 2 Satz 1 StPO vor.
15
bb) Die Durchsuchung des Kraftfahrzeuges des Angeklagten war auch als repressive Maßnahme zulässig. Ein Verstoß gegen den Richtervorbehalt ist nicht zu besorgen. Die Annahme von Gefahr im Verzug hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.
16
Gefahr im Verzug liegt dann vor, wenn die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde (vgl. BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 – 2 BvR 1444/00, BVerfGE 103, 142, 154; Senat, Urteil vom 6. Oktober 2016 – 2 StR 46/15, BGHSt 61, 266, 273; BGH, Urteil vom 10. Juli 2014 – 3 StR 140/14, NStZ-RR 2014, 318, 319; Beschluss vom 30. August 2011 – 3 StR 210/11, NStZ 2012, 104 jeweils mwN). Für die Frage, ob die Ermittlungsbehörden eine richterliche Entscheidung rechtzeitig erreichen können, kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem die Staatsanwaltschaft oder ihre Hilfsbeamten die Durchsuchung für erforderlich hielten (BGH, Urteil vom 18. April 2007 – 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 288 f.).
17
Dieser Zeitpunkt war vorliegend gegeben, als der Angeklagte den Garten des anderweitig Verfolgten D. überraschend mit einem Päckchen verließ. Erst zu diesem Zeitpunkt war bei den observierenden Beamten, die bislang davon ausgingen, bei dem Angeklagten handele es sich um einen Drogenlieferanten des D. , der Verdacht aufgekommen, D. seinerseits habe dem Angeklagten Drogen übergeben (vgl. zur nicht vorhersehbaren Aufgreifsituation: Löwe-Rosenberg/Tsambikakis, StPO, 26. Aufl., § 105 Rn. 87). Da eine unverzügliche Weitergabe der vermeintlichen Drogen durch den Angeklagten zu befürchten war, ist die Annahme von Gefahr im Verzug rechtlich nicht zu beanstanden. Die mangelnde Dokumentation der Dringlichkeit der Maßnahme ist hier unbeachtlich, da die Beschreibung der tatsächlichen Umstände das Vorliegen von Gefahr im Verzug als evident erscheinen lässt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2005 – 2 BvR 308/04, NJW 2005, 1637, 1639; Senat, Beschluss vom 15. März 2017 – 2 StR 23/16, NStZ 2017, 713). Die kurzzeitige Flucht des Angeklagten führte zu keiner Zäsur der kurz zuvor rechtmäßig angeordneten Maßnahme (vgl. Senat, Beschluss vom 15. März 2017 – 2 StR 23/16, aaO).
18
b) Soweit der Angeklagte beanstandet, die Staatsanwaltschaft habe gegen die Grundsätze der Aktenwahrheit und –klarheit verstoßen, weil zum Zeitpunkt der Anklageerhebung der Akteninhalt suggeriert habe, bei der Durchsuchung des Kraftfahrzeuges habe es sich um eine zufällige Maßnahme gehandelt und die wesentlichen Unterlagen, aus denen sich der tatsächliche Hintergrund der Durchsuchung ergebe, seien erst drei Tage nach Anklageerhebung durch die Polizei übersandt worden, handelt es sich der Sache nach um die Rüge des fairen Verfahrens (vgl. Senat, Urteil vom 26. April 2017 – 2 StR 247/16, NJW 2017, 3173, 3178 f.). Unschädlich ist, dass der Beschwerdeführer den verletzten Verfahrensgrundsatz nicht explizit benennt. Denn die Angriffsrichtung – hier die Beeinträchtigung der Verteidigung durch die Zurückhaltung von für das Ermittlungsverfahren wesentlichen Informationen – ergibt sich noch ausreichend aus dem Revisionsvorbringen (vgl. Senat, Urteil vom 29. November 1989 – 2 StR 264/89, NJW 1990, 584, 585; KK-StPO/Gericke, 7. Aufl., § 344 Rn. 34). Jedoch führt hier bereits widersprüchlicher Tatsachenvortrag zur Unzulässigkeit der Rüge (BGH, Beschluss vom 28. August 1997 – 1 StR 291/97, NStZ1998, 52; Urteil vom 19. Oktober 2005 – 1 StR 117/05, NStZ-RR 2006, 181, 182 mwN). So macht die Revision geltend, die Verfahrensakte sei, nachdem der staatsanwaltschaftliche Sachbearbeiter auf Blatt 172 ff. der Akte den Abschluss der Ermittlungen vermerkt habe, dem Gericht ohne Hinweis auf das Hintergrundverfahren und den tatsächlich der Durchsuchung des Kraftfahrzeugs zugrundeliegenden Sachverhalt vorgelegt worden. An späterer Stelle teilt sie hingegen mit, auf Blatt 112 der Verfahrensakten finde sich eine Dokumentation des durch die Kriminalpolizei kontaktierten Bereitschaftsrichters vom 4. August 2016 folgenden Inhalts:
19
„Am4.8. um ca. 18 h rief K 34 an und teilte folgenden Sachverhalt mit: Der Beschuldigte K. , geb. , wh S. str. in F. wurde bereits abgehört, er sei bei einem BtM-Geschäft beobachtet , danach kontrolliert worden, in seinem Fzg. sei 89 gr. Kokain gefunden worden , der StA von der StA DA hat Durchsuchung seiner Wohnräume in F. be- antragt.“
20
Aus diesem Vermerk ergibt sich eindeutig, dass der Durchsuchung des Kraftfahrzeuges strafprozessuale Maßnahmen gegen den Angeklagten vorangegangen waren, was auch der Verteidigung aufgrund entsprechender Akteneinsicht bekannt gewesen sein muss.
21
c) Auch die Überprüfung des Urteils aufgrund der Sachrüge hat im Fall II.1 der Urteilsgründe keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
22
2. Hingegen hält die Verurteilung des Angeklagten in Fall II.2. der Urteilsgründe wegen bewaffneten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auf die Sachrüge hin rechtlicher Nachprü- fung nicht stand, sodass es insoweit auf die Verfahrensbeanstandungen nicht ankommt.
23
Die Feststellungen des Landgerichts zum Umgang des Angeklagten mit den in seiner Wohnung aufgefundenen Drogen sind widersprüchlich.
24
So stellt die Kammer einerseits fest, der Angeklagte habe die in seiner Wohnung sichergestellten Betäubungsmittel zum überwiegenden Teil aufbewahrt , um durch eine „Bunkerhaltung“ den Betäubungsmittelhandel eines unbekannt gebliebenen Hintermanns zu fördern. Lediglich 10 Gramm Marihuana sowie 1.000 € Bargeld habe er als Entlohnung für seine Hilfeleistungen erhalten. In Widerspruch dazu führt die Kammer an anderer Stelle aus, der Angeklagte habe die Drogen in seiner Wohnung zum gewinnbringenden Weiterverkauf gelagert; ferner habe er eine Dose Pfefferspray wissentlich in seinem Wohnzimmer aufbewahrt, um sich und seinen Betäubungsmittelbestand zu schützen; Verkaufsverhandlungen und Absatzbemühungen hinsichtlich der Drogen hätten im Wohnzimmer stattgefunden.
25
Damit bleibt unklar, ob der Tatrichter seinen rechtlichen Bewertungen zugrunde gelegt hat, dass der Angeklagte in seinem Wohnzimmer selbst Betäubungsmittel verkaufte, er seine Wohnung dem unbekannten Hintermann zum Verkauf des Rauschgifts zur Verfügung stellte oder sich seine Tätigkeit in einer reinen „Bunkerhaltung“ erschöpfte.
26
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
27
Sollte der neue Tatrichter feststellen, die Tätigkeit des Angeklagten habe sich in einer „Bunkerhaltung“ für einen Drittenerschöpft, könnte neben einer Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge tateinheitlich Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, nicht jedoch ein bewaffnetes „Sichverschaffen“ gegeben sein (vgl. BGH, Urteil vom 13. August 2009 – 3 StR 224/09, BGHR BtMG § 30a Abs. 2 Sichverschaffen 2). Ein bewaffnetes Sichverschaffen von Betäubungsmitteln gemäß § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG setzt wie der Erwerb voraus, dass der Täter die tatsächliche Verfügungsgewalt mit der Möglichkeit und dem Willen erlangt, über die Sache als eigene zu verfügen. Danach hätte sich der Angeklagte die verwahrten Betäubungsmittel nicht verschafft, wenn es ihm nicht freigestanden hätte, in irgendeiner Weise selbst über das Rauschgift zu verfügen. Allenfalls hinsichtlich des Anteils, welchen er von dem Unbekannten zum Eigenkonsum erhalten sollte, käme ein Sichverschaffen in Betracht (vgl. Weber, BtMG, 5. Aufl., § 29 Rn. 1258 ff. mwN). Angesichts der bislang festgestellten Menge von 10 Gramm Marihuana wäre die Schwelle zur nicht geringen Menge indes nicht überschritten. Appl Bartel Wimmer Grube Schmidt

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Strafprozeßordnung - StPO | § 102 Durchsuchung bei Beschuldigten


Bei dem, welcher als Täter oder Teilnehmer einer Straftat oder der Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist, kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen sowo

Strafprozeßordnung - StPO | § 105 Verfahren bei der Durchsuchung


(1) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) angeordnet werden. Durchsuchungen nach § 103 Abs. 1 Satz 2 ordnet der Richter

Strafprozeßordnung - StPO | § 161 Allgemeine Ermittlungsbefugnis der Staatsanwaltschaft


(1) Zu dem in § 160 Abs. 1 bis 3 bezeichneten Zweck ist die Staatsanwaltschaft befugt, von allen Behörden Auskunft zu verlangen und Ermittlungen jeder Art entweder selbst vorzunehmen oder durch die Behörden und Beamten des Polizeidienstes vornehmen z

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Bei dem, welcher als Täter oder Teilnehmer einer Straftat oder der Datenhehlerei, Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei verdächtig ist, kann eine Durchsuchung der Wohnung und anderer Räume sowie seiner Person und der ihm gehörenden Sachen sowohl zum Zweck seiner Ergreifung als auch dann vorgenommen werden, wenn zu vermuten ist, daß die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln führen werde.

(1) Durchsuchungen dürfen nur durch den Richter, bei Gefahr im Verzug auch durch die Staatsanwaltschaft und ihre Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) angeordnet werden. Durchsuchungen nach § 103 Abs. 1 Satz 2 ordnet der Richter an; die Staatsanwaltschaft ist hierzu befugt, wenn Gefahr im Verzug ist.

(2) Wenn eine Durchsuchung der Wohnung, der Geschäftsräume oder des befriedeten Besitztums ohne Beisein des Richters oder des Staatsanwalts stattfindet, so sind, wenn möglich, ein Gemeindebeamter oder zwei Mitglieder der Gemeinde, in deren Bezirk die Durchsuchung erfolgt, zuzuziehen. Die als Gemeindemitglieder zugezogenen Personen dürfen nicht Polizeibeamte oder Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft sein.

(3) Wird eine Durchsuchung in einem Dienstgebäude oder einer nicht allgemein zugänglichen Einrichtung oder Anlage der Bundeswehr erforderlich, so wird die vorgesetzte Dienststelle der Bundeswehr um ihre Durchführung ersucht. Die ersuchende Stelle ist zur Mitwirkung berechtigt. Des Ersuchens bedarf es nicht, wenn die Durchsuchung von Räumen vorzunehmen ist, die ausschließlich von anderen Personen als Soldaten bewohnt werden.

(1) Zu dem in § 160 Abs. 1 bis 3 bezeichneten Zweck ist die Staatsanwaltschaft befugt, von allen Behörden Auskunft zu verlangen und Ermittlungen jeder Art entweder selbst vorzunehmen oder durch die Behörden und Beamten des Polizeidienstes vornehmen zu lassen, soweit nicht andere gesetzliche Vorschriften ihre Befugnisse besonders regeln. Die Behörden und Beamten des Polizeidienstes sind verpflichtet, dem Ersuchen oder Auftrag der Staatsanwaltschaft zu genügen, und in diesem Falle befugt, von allen Behörden Auskunft zu verlangen.

(2) Soweit in diesem Gesetz die Löschung personenbezogener Daten ausdrücklich angeordnet wird, ist § 58 Absatz 3 des Bundesdatenschutzgesetzes nicht anzuwenden.

(3) Ist eine Maßnahme nach diesem Gesetz nur bei Verdacht bestimmter Straftaten zulässig, so dürfen die auf Grund einer entsprechenden Maßnahme nach anderen Gesetzen erlangten personenbezogenen Daten ohne Einwilligung der von der Maßnahme betroffenen Personen zu Beweiszwecken im Strafverfahren nur zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden, zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach diesem Gesetz hätte angeordnet werden dürfen. § 100e Absatz 6 Nummer 3 bleibt unberührt.

(4) In oder aus einer Wohnung erlangte personenbezogene Daten aus einem Einsatz technischer Mittel zur Eigensicherung im Zuge nicht offener Ermittlungen auf polizeirechtlicher Grundlage dürfen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu Beweiszwecken nur verwendet werden (Artikel 13 Abs. 5 des Grundgesetzes), wenn das Amtsgericht (§ 162 Abs. 1), in dessen Bezirk die anordnende Stelle ihren Sitz hat, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme festgestellt hat; bei Gefahr im Verzug ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

37
d) Die aufgrund der gefahrenabwehrrechtlich zulässigen Fahrzeugdurchsuchung gewonnenen Erkenntnisse konnten im vorliegenden Fall nach § 161 Abs. 2 Satz 1 StPO gegen den Angeklagten im Strafverfahren verwendet werden.

(1) Zu dem in § 160 Abs. 1 bis 3 bezeichneten Zweck ist die Staatsanwaltschaft befugt, von allen Behörden Auskunft zu verlangen und Ermittlungen jeder Art entweder selbst vorzunehmen oder durch die Behörden und Beamten des Polizeidienstes vornehmen zu lassen, soweit nicht andere gesetzliche Vorschriften ihre Befugnisse besonders regeln. Die Behörden und Beamten des Polizeidienstes sind verpflichtet, dem Ersuchen oder Auftrag der Staatsanwaltschaft zu genügen, und in diesem Falle befugt, von allen Behörden Auskunft zu verlangen.

(2) Soweit in diesem Gesetz die Löschung personenbezogener Daten ausdrücklich angeordnet wird, ist § 58 Absatz 3 des Bundesdatenschutzgesetzes nicht anzuwenden.

(3) Ist eine Maßnahme nach diesem Gesetz nur bei Verdacht bestimmter Straftaten zulässig, so dürfen die auf Grund einer entsprechenden Maßnahme nach anderen Gesetzen erlangten personenbezogenen Daten ohne Einwilligung der von der Maßnahme betroffenen Personen zu Beweiszwecken im Strafverfahren nur zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden, zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach diesem Gesetz hätte angeordnet werden dürfen. § 100e Absatz 6 Nummer 3 bleibt unberührt.

(4) In oder aus einer Wohnung erlangte personenbezogene Daten aus einem Einsatz technischer Mittel zur Eigensicherung im Zuge nicht offener Ermittlungen auf polizeirechtlicher Grundlage dürfen unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu Beweiszwecken nur verwendet werden (Artikel 13 Abs. 5 des Grundgesetzes), wenn das Amtsgericht (§ 162 Abs. 1), in dessen Bezirk die anordnende Stelle ihren Sitz hat, die Rechtmäßigkeit der Maßnahme festgestellt hat; bei Gefahr im Verzug ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 46/15
vom
6. Oktober 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Betrugs
BGHSt: ja
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
––––––––––––––––––––––––––-
Satz 2
1. Die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge, mit der ein Beweisverwertungsverbot wegen
Fehlern bei einer Durchsuchung zur Sicherstellung von Sachbeweisen geltend
gemacht wird, setzt keinen auf den Zeitpunkt des § 257 Abs. 1 StPO befristeten
Widerspruch des verteidigten Angeklagten gegen die Verwertung voraus. Es
bedarf auch keiner vorgreiflichen Anrufung des Gerichts gemäß § 238 Abs. 2
2. Ist beim Ermittlungsrichter ein Durchsuchungsbeschluss beantragt, ist auch dann,
wenn dieser sich außerstande sieht, die Anordnung ohne Vorlage der Akte zu erlassen
, für eine staatsanwaltschaftliche Prüfung des Vorliegens von Gefahr im
Verzug regelmäßig kein Raum mehr, es sei denn, es liegen neue Umstände vor,
die sich nicht aus dem vorangegangenen Prozess der Prüfung und Entscheidung
über den ursprünglichen Antrag auf Durchsuchung ergeben.
3. Der Hypothese eines möglichen rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs kommt bei grober
Verkennung von Bedeutung und Tragweite des Richtervorbehalts im Rahmen
der Abwägungsentscheidung über ein Beweisverwertungsverbot keine Bedeutung
zu.
BGH, Urteil vom 6. Oktober 2016 - 2 StR 46/15 - LG Köln
ECLI:DE:BGH:2016:061016U2STR46.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Verhandlung vom 5. Oktober 2016 in der Sitzung am 6. Oktober 2016, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Fischer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Krehl, Dr. Eschelbach, Zeng, Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Bartel,
Staatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Verteidiger,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Köln vom 25. Juli 2014 mit den Feststellungen aufgehoben , soweit der Angeklagte in den Fällen 23-101, 105-106, 109-110 verurteilt worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betruges in 79 Fällen sowie wegen versuchten Betruges in 25 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und Adhäsionsentscheidungen getroffen.

I.


2
Nach den Feststellungen des Landgerichts verabredeten der Angeklagte und der Zeuge H. im Jahre 2010 bei hälftiger Gewinnteilung, fortan unter falschen Identitäten vorgeblich Karten für Fußball-Champions-League- und DFB-Pokalspiele zu verkaufen, um hiermit in einer Vielzahl von Fällen auf serienmäßige , betrügerische Weise an Geld zu gelangen. Aufgabe des Zeugen H. war es dabei im Wesentlichen, mit gefälschten Ausweispapieren Bankkonten zu eröffnen. Die eigentliche Tatbegehung oblag dem Angeklagten. Dieser schaltete unter falschem Namen bundesweit Zeitungsannoncen, in denen er auf vermeintliche Kartenangebote aufmerksam machte. Zur Kontaktaufnahme nutzte er auf Falschpersonalien lautende E-Mail-Adressen und Handynummern. Per Mail oder Telefon täuschte er den Interessenten gegenüber vor, über Eintrittskarten zu verfügen. Dadurch veranlasste er eine Vielzahl von Interessenten , Geldbeträge auf die von dem Zeugen H. eröffneten Konten zu überweisen. Wie von vornherein geplant, erhielten die Interessenten nach der Überweisung keine Gegenleistung.
3
Über einen Zeitraum von jedenfalls zwei Jahren kam es zu einer Vielzahl solcher Geschäfte, die später auch auf AIDA-Kreuzfahrten oder angeblich aus Insolvenzverwertungen stammende iPhones erstreckt wurden. Die Zusammenarbeit mit dem Zeugen H. wurde nach finanziellen Streitigkeiten Ende des Jahres 2012 beendet. Der Angeklagte setzte sein Tun danach allein fort.
4
Insgesamt gab es zwischen August 2011 und April 2013 104 solcher Verkaufsvorgänge, wobei es in 25 Fällen nicht zu einem Geldeingang auf den vom Angeklagten angegebenen Konten und deshalb auch nicht zu einem Schaden der getäuschten Besteller gekommen ist. 18 Geschäfte initiierte der Angeklagte ab Februar 2013 allein.
5
Der Angeklagte, der bereits zuvor mit den Tatvorwürfen konfrontiert worden war, wurde am 7. Mai 2013 festgenommen, bei der gleichzeitigen Durch- suchung der Wohnung wurde ein laufendes Netbook vorgefunden und beschlagnahmt. Ein Koffer mit wichtigen Dokumenten, der in der Wohnung des Angeklagten hinter einer Küchenleiste versteckt war, wurde nach einem Hinweis der Zeugin G. , der Ex-Lebensgefährtin des Angeklagten, am 13. Mai 2013 sichergestellt.
6
Der Angeklagte hat eine Zusammenarbeit mit dem Zeugen H. und insoweit einige Taten im Zusammenhang mit dem Verkauf von AIDA-Kreuzfahrten eingeräumt. Er hat darüber hinaus gestanden, nach dem Zerwürfnis mit dem Zeugen die ab Februar 2013 durchgeführten Geschäfte allein betrieben zu haben. Im Übrigen hat er eine Tatbeteiligung bestritten.
7
Das Landgericht hat seine Überzeugung von der Täterschaft in den von dem Angeklagten eingeräumten Fällen vor allem auf sein Geständnis und im Übrigen insbesondere auf den Inhalt des bei dem Angeklagten sichergestellten Koffers (mit Unterlagen und auf Datenträgern gespeicherten Daten, die für die Tatbegehung insoweit unerlässlich waren) gestützt.

II.


8
Die Revision des Angeklagten hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg, soweit sie sich gegen die Verurteilung in den Fällen 23-101, 105-106, 109-110 wendet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
9
1. Der Angeklagte rügt zu Recht, dass sich das Landgericht in den genannten Fällen bei seiner Überzeugungsbildung auf Beweise gestützt hat, die es nicht hätte verwerten dürfen, da sie bei einer Durchsuchung gewonnen wor- den waren, die unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt (§ 105 Abs. 1 Satz 1 StPO) durchgeführt wurden und daher rechtswidrig waren.
10
a) Am 13. Mai 2013 wurde in der Wohnung des Angeklagten hinter einer Küchenleiste versteckt ein Koffer gefunden, in dem sich wichtige Dokumente und Datenträger befanden. Auf die darin enthaltenen Unterlagen und auf die auf den Datenträgern gespeicherten Dateien hat sich die Strafkammer bei ihrer Überzeugungsbildung in den oben genannten Fällen gestützt. Zu der Durchsuchung , die zur Auffindung dieser Beweismittel führte, kam es wie folgt:
11
Am 12. Mai 2013 rief die Zeugin G. , die ehemaligeLebensgefährtin des Angeklagten, den Zeugen KHK L. an und bat um ein Treffen für den folgenden Tag. Im Rahmen dieses Treffens informierte sie den Polizeibeamten darüber, dass in der Wohnung des Angeklagten, der sich seit dem 7. Mai 2013 in Untersuchungshaft befand, hinter der Küchenleiste noch ein Koffer mit wichtigen Dokumenten aufbewahrt sei. KHK L. teilte dies der zuständigen Staatsanwältin mit, die „Gefahr im Verzug“ annahm und das gezielteSuchen des Koffers anordnete. Durch KHK L. wurde noch am 13. Mai 2013 inder Wohnung des Angeklagten ein Koffer mit Inhalt am angegebenen Ort aufgefunden , sichergestellt (UA S. 164 f.) und sein Inhalt gesichtet.
12
Dem Vermerk der Staatsanwältin vom 13. Mai 2013 zur Begründung einer Eilzuständigkeit der Staatsanwaltschaft lässt sich entnehmen, dass sie von KHK L. um 16.40 Uhr darüber informiert worden sei, dass sich in der Wohnung des Angeklagten noch ein Koffer befinde, der bei der am 7. Mai 2013 erfolgten Durchsuchung nicht gefunden worden sei. Die ehemalige Lebensgefährtin des Angeklagten, die im Besitz eines Schlüssels zur Wohnung sei, sei von dessen Verteidigern gebeten worden, diesen aus der Wohnung zu holen und an diese zu übergeben. Der Versuch um 16.44 Uhr, einen Haftrichter im Polizeipräsidium zu erreichen, der bereits mit dem Verfahren befasst gewesen sei, sei fehlgeschlagen. Um 16.45 Uhr sei im Bereitschaftsdienst des Amtsgerichts Richter am Amtsgericht Ki. erreicht worden. Dieser habe den Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses ohne Vorlage der Akte abgelehnt. Daraufhin sei das Vorliegen von Gefahr im Verzug geprüft worden. Ein Zuwarten sei angesichts der heutigen Entwicklung nicht möglich. Zum einen sei die Vorlage der Akte derzeit nicht möglich, da sich diese beim Amtsgericht mit dem Antrag auf Erlass eines Beschlagnahmebeschlusses befinde. Zum anderen bestehe die konkrete Gefahr, dass Beweismittel durch die Zeugin G. beiseite geschafft würden. Überdies habe das Amtsgericht am 7. Mai 2013 einen Durchsuchungsbeschluss erlassen, so dass davon auszugehen sei, dass ein solcher auch im Hinblick auf die Aussage der Zeugin und die bei der Durchsuchung am 7. Mai 2013 aufgefundenen Beweismittel erneut erlassen würde. Die Genehmigung zur Wohnungsdurchsuchung sowie zur Öffnungdes Koffers sei KHK L. um 16.50 Uhr mitgeteilt worden.
13
b) Die Rüge des Angeklagten, die aus der Durchsuchung gewonnenen Erkenntnisse seien wegen eines Verstoßes gegen den Richtervorbehalt unverwertbar , ist zulässig. Es lässt sich der Revisionsbegründung zwar nicht zweifelsfrei entnehmen, ob der Angeklagte in der Hauptverhandlung bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt der Verwertung der bei der Durchsuchung am 13. Mai 2013 gewonnenen Beweismittel widersprochen hat. Dies steht der Zulässigkeit der Rüge mit Blick auf § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht im Wege. Ausführungen zum Zeitpunkt des Widerspruchs wären nur erforderlich, wenn für den verteidigten Angeklagten die Pflicht bestünde, zur Aufrechterhaltung einer Rügemöglichkeit der Unverwertbarkeit des fehlerhaft im Vorverfahren erhobenen Beweises bis zum Zeitpunkt des Äußerungsrechts zu diesbezüglichen Be- weiserhebungen in der Hauptverhandlung gemäß § 257 Abs. 1 StPO zu widersprechen.
14
Dies wird in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nach der vor allem zu Fällen einer Verletzung der §§ 136 Abs. 1 Satz 2, 163a Abs. 4 Satz 2 StPO entwickelten Widerspruchslösung für unselbständige Beweisverwertungsverbote gefordert: Hat ein Verteidiger in der Hauptverhandlung mitgewirkt und hat der verteidigte Angeklagte der Verwertung des Inhalts einer ohne Belehrung über sein Recht, sich redend oder schweigend verteidigen und jederzeit den Beistand eines Verteidigers in Anspruch nehmen zu können, zustande gekommenen Aussage zugestimmt, so besteht kein Verwertungsverbot; dasselbe gilt aber auch, wenn der verteidigte Angeklagte der Verwertung nicht widersprochen hat. Der Widerspruch muss spätestens in der Erklärung enthalten sein, die der Angeklagte oder sein Verteidiger im Anschluss an diejenige Beweiserhebung abgibt, die sich auf den Inhalt der ohne Belehrung gemachten Aussage bezieht (BGH, Beschluss vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 225 f.; Urteil vom 12. Januar 1996 - 5 StR 756/94, BGHSt 42, 15, 22 f.). Der rechtzeitige Widerspruch als Bewirkungshandlung ist danach eine Entstehungsvoraussetzung des Verwertungsverbots (Meixner, Das Widerspruchserfordernis des BGH bei Beweisverwertungsverboten, 2015, S. 17 ff.). Nach dem Zeitpunkt des § 257 Abs. 1 StPO kann er nicht mehr nachgeholt werden. Daher bedarf der fristgerechte Widerspruch gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO entsprechender Darlegungen im Rahmen einer Verfahrensrüge zum Revisionsgericht.
15
Der Bundesgerichtshof hat bisher aber nicht entschieden, ob diese Widerspruchslösung auch für unselbständige Beweisverwertungsverbote wegen Fehlern bei der Durchsuchung oder Beschlagnahme gilt (vgl. BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 296 f.). Dagegen spricht, dass eine Dispositionsmacht der Verteidigung über den auf diese Weise erfassten Sachbeweis, anders als bezüglich der Äußerungen des Beschuldigten, die durch verfahrensfehlerhafte Vernehmungen (§§ 136 Abs. 1 Satz 2, 163a Abs. 4 Satz 2 StPO) oder durch Gesprächsüberwachungen (§§ 100a, 100f StPO; vgl. BGH, Beschluss vom 7. März 2006 - 1 StR 316/05, BGHSt 51, 1, 3) im Vorverfahren erlangt wurden, grundsätzlich nicht besteht. Seine früheren Angaben kann der Angeklagte aus seiner Erinnerung erläutern und erklären, er kann sie durch eine Sacheinlassung ersetzen oder dementieren; er kann auch aus seiner Sicht die Äußerungssituation, die zur staatlichen Informationsbeschaffung geführt hat, darstellen. Dann aber erscheint es nachvollziehbar, ihm ferner die Disposition über die Verwertbarkeit seiner früheren Angaben zu überlassen. Bei der staatlichen Erfassung von Sachbeweisen (Urkunden oder Augenscheinsobjekten ) bestehen keine vergleichbaren Dispositionsmöglichkeiten. Die Verteidigung darf dem staatlichen Strafverfahren sächliche Beweismittel grundsätzlich nicht entziehen, wenn sie verwertbar und dem hoheitlichen Zugriff ausgesetzt sind. Die Art und Weise der Erlangung solcher Sachbeweise durch die Ermittlungsbehörden , auf die der Beschuldigte keinen Einfluss hat, ist deshalb vom Gericht von Amts wegen aufzuklären, soweit Verfahrensfehler bei diesem Vorgang in Betracht kommen. Auf einen Widerspruch gegen die Beweisverwertung kommt es dafür nicht an. Dies gilt insbesondere dann, wenn sich - wie hier - auch ohne besonderen Hinweis der Verteidigung konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Ermittlungsmaßnahme nicht den gesetzlichen Eingriffsvoraussetzungen entspricht. Versäumnisse der Verteidigung dürfen insoweit nicht dazu führen, dass an sich rechtswidrig erlangtes Beweismaterial ohne weiteres zur Grundlage einer strafrechtlichen Verurteilung des Angeklagten werden kann.
16
Selbst wenn eine Dispositionsbefugnis der Verteidigung angenommen werden würde, weil sie - auch im Hinblick auf ihr günstige Erkenntnisse aus den verfahrensfehlerhaft erlangten Sachbeweisen - selbst entscheiden können soll, ob sie die Verwertung dieser Erkenntnisse wünscht (vgl. BGH aaO, BGHSt 51, 1, 3), würde dies nicht bedeuten, dass eine Entscheidung hierüber bis zu dem in § 257 Abs. 1 StPO genannten Zeitpunkt erfolgt sein muss. Es genügt jedenfalls , wenn der Angeklagte so rechtzeitig auf die mögliche Unverwertbarkeit von Erkenntnissen hinweist, dass das Tatgericht dies in der Beweisaufnahme prüfen kann. Eine (zwingende) Begründung dafür, warum ein Widerspruch unbedingt bis zu dem in § 257 Abs. 1 StPO genannten Zeitpunkt erklärt sein muss, findet sich nicht. § 257 Abs. 1 StPO ist vielmehr eine Schutzbestimmung zugunsten der Verfahrensbeteiligten, wonach ihnen zu den Beweiserhebungen in der Hauptverhandlung jeweils das rechtliche Gehör zu gewähren ist. Die Änderung des Normgehalts in eine Befristung für eine Prozesserklärung zur Herbeiführung eines Beweisverwertungsverbots, das mangels rechtzeitigen Widerspruchs im gesamten weiteren Instanzenzug präkludiert ist, ergibt sich daraus nicht. Auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Disponibilität möglicher Rechtsverstöße ist es nicht geboten, eine frühzeitige Festlegung der Verteidigung zu fordern. Würde man statt eines Widerspruchs eine Beanstandung nach § 238 Abs. 2 StPO gegen die Anordnung der Beweiserhebung durch den Vorsitzenden fordern (vgl. BGH aaO, BGHSt 51, 1, 4), wäre eine solche Beanstandung auch an keine Frist gebunden (vgl. KK/Schneider, StPO, 7. Aufl., § 238 Rn. 17).
17
Soweit der Angeklagte in seiner Revisionsbegründung jedenfalls vorgetragen hat, der Verwertung der Erkenntnisse aus dem sichergestellten Koffer überhaupt widersprochen zu haben, ist seine Rüge damit zulässig erhoben.
18
c) Die Rüge ist auch begründet. Die bei der Durchsuchung des Koffers aufgefundenen Beweismittel unterliegen einem Beweisverwertungsverbot.
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Die am 13. Mai 2013 durchgeführte Durchsuchung war wegen Missachtung des Richtervorbehalts rechtswidrig. Eine gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO grundsätzlich erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung lag nicht vor. Die Gestattung der Durchsuchung durch die ermittelnde Staatsanwältin beruhte nicht auf einer rechtmäßigen Inanspruchnahme der sich aus § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO ergebenden Eilkompetenz. Gefahr im Verzug lag nicht vor. Der deshalb vorliegende Kompetenzmangel bei der Anordnung der Durchsuchung führt hier zur Unverwertbarkeit der auf diesem Wege sichergestellten Sachbeweise.
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aa) Gefahr im Verzug ist gegeben, wenn die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährdet hätte (vgl. BVerfGE 103, 142, 154; BGHSt 51, 285, 288). Ob ein angemessener Zeitraum zur Verfügung steht, innerhalb dessen eine Entscheidung des zuständigen Richters erwartet werden kann, oder ob bereits eine zeitliche Verzögerung wegen des Versuchs der Herbeiführung einer richterlichen Entscheidung den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde und daher eine nichtrichterliche Durchsuchungsanordnung ergehen darf, haben die Ermittlungsbehörden zunächst selbst zu prüfen. Dabei darf Gefahr im Verzug nicht vorschnell angenommen werden, damit die bei Wohnungsdurchsuchungen auch aus Art. 13 Abs. 2 GG fließende Regelzuständigkeit des Richters nicht unterlaufen wird. Aus diesem Grund reichen auf reine Spekulationen, hypothetische Erwägungen oder auf kriminalistische Alltagserfahrungen gestützte, fallunabhängige Vermutungen nicht aus, Gefahr im Verzug zu begründen (vgl. BVerfGE 103, 142, 155; 139, 245, 270). Regelmäßig ist daher auch der Versuch zu unternehmen, eine richterliche Entscheidung herbeizuführen. Haben die Ermittlungsbehörden den zuständigen Ermittlungs- oder Eilrichter mit der Sache befasst, ist für ihre Eilkompetenz kein Raum mehr. Sie kann (nur) durch nachträglich eintretende oder neu bekannt werdende tatsächliche Umstände, die sich nicht aus dem Prozess der Prüfung des Durchsuchungsantrags und der Entscheidung darüber ergeben , neu begründet werden (BVerfG, Beschluss vom 16. Juni 2015 - 2 BvR 2718/10, 1849, 2808/11, BVerfGE 139, 245, 269 ff.).
21
Gemessen daran ist die Annahme von Gefahr im Verzug nicht tragfähig begründet. Die ermittelnde Staatsanwältin hat den Eilrichter erreicht und bei ihm den Erlass einer Durchsuchungsanordnung beantragt. Damit hat sie zu erkennen gegeben, dass zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen einer staatsanwaltschaftlichen Eilanordnung nicht gegeben waren. Mit der Befassung des Eilrichters aber endet grundsätzlich die Eilzuständigkeit der Ermittlungsbehörden; es ist nunmehr Sache des Ermittlungsrichters, über den beantragten Eingriff zu entscheiden (BVerfGE 139, 245, 273 ff.). Auch soweit während des durch den Richter in Anspruch genommenen Entscheidungszeitraums nach dessen Befassung die Gefahr eines Beweismittelverlusts eintritt, etwa weil dieser auf ein mündlich gestelltes Durchsuchungsbegehren hin die Vorlage schriftlicher Antragsunterlagen oder einer Ermittlungsakte fordert, Nachermittlungen anordnet oder schlicht bis zum Eintritt der Gefahr eines Beweismittelverlusts noch nicht entschieden hat, lebt die Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden nicht wieder auf. Dies gilt unabhängig davon, aus welchen Gründen die richterliche Entscheidung über den Durchsuchungsantrag unterbleibt (vgl. BVerfGE 139, 245, 273). Der ermittelnden Staatsanwältin war es deshalb verwehrt, erneut in eine eigene Sachprüfung einzutreten, nachdem der Eilrichter eine Entscheidung ohne Vorlage der Akte abgelehnt hatte. Es hätte ihr vielmehr oblegen, dem Eilrichter die Akte zur Verfügung zu stellen, damit dieser in Kenntnis des Ermittlungs- standes sachgerecht über den Antrag entscheiden kann. Dass dies nach ihrer Ansicht nicht möglich gewesen sei, weil diese beim Amtsgericht mit dem Antrag auf Erlass eines Beschlagnahmebeschlusses liege, ändert daran nichts. Es erschließt sich nicht ohne Weiteres, dass es nicht möglich sein soll, eine beim Amtsgericht befindliche Akte einem Eilrichter bei demselben Gericht zugänglich zu machen; selbst wenn damit organisatorische Schwierigkeiten verbunden wären , wäre es zur Gewährleistung des präventiven Rechtsschutzes durch den Richter geboten, diese aus dem Weg zu räumen. Wenn die ermittelnde Staatsanwältin bei dieser Sachlage nicht einmal den Versuch unternimmt, die Akten beizubringen, belegt dies eine grundsätzliche Verkennung der Bedeutung des Richtervorbehalts.
22
Auch die sich an die unzutreffende Annahme der eigenen Eilkompetenz anschließende Prüfung der Staatsanwältin, ob weiteres Zuwarten die Gefahr eines Beweismittelverlusts mit sich bringe, erweist sich als rechtsfehlerhaft. Die Annahme einer konkreten Gefahr, dass Beweismittel durch die (Ex-)Lebensgefährtin des Beschuldigten beiseite geschafft würden, ist nicht durch Tatsachen belegt, erweist sich vielmehr als bloße, fernliegende Spekulation. Auf andere Möglichkeiten eines Beweismittelverlusts etwa durch den Angeklagten oder Dritte, hat die Staatsanwältin weder abgestellt noch sind Umstände ersichtlich , die konkret darauf hindeuten könnten. Die ehemalige Lebensgefährtin des zu dieser Zeit bereits inhaftierten Beschuldigten, die sich schon zu diesem Zeitpunkt auch gegenüber den Ermittlungsbehörden von ihm distanziert hatte, hatte die Ermittlungsbehörden auf die Existenz des Koffers, den sie auf Veranlassung der Verteidiger des Beschuldigten aus der Wohnung verbringen sollte, hingewiesen und insoweit das Gespräch mit der ermittelnden Polizei gesucht; die zuvor bestehende Möglichkeit, den von ihr in einem Versteck in der Wohnung aufgefundenen Koffer beiseite zu schaffen, hatte sie nicht genutzt. An- haltspunkte dafür, dass sie anderen Sinnes geworden sein und nunmehr den Koffer aus der Wohnung schaffen könnte, sind nicht ersichtlich und auch von der Staatsanwältin nicht dokumentiert worden. Angesichts ihrer von dem ermittelnden Polizeibeamten wiedergegebenen Erklärung, sie habe „kein Interesse, mit oder für den Beschuldigten etwas zu tun“, und mit Blick auf ihre weiteren Unterstützungsleistungen zur Auffindung von den Angeklagten belastenden Beweismitteln (vgl. Aktenvermerk des KHK L. vom 14. Mai 2013) wird deutlich, dass die von der ermittelnden Staatsanwältin angegebenen Gründe vorgeschoben sind und die darauf gestützte Annahme von Gefahr im Verzug objektiv nicht vertretbar war. Dies gilt in besonderem Maße mit Blick darauf, dass das Vorgehen der Ermittlungsbehörden hier nicht allein auf eine Beweissicherung durch eine Sicherstellung des Koffers beschränkt war, sondern die Anordnung des Einschreitens durch die Staatsanwaltschaft ohne Weiteres auch zur Öffnung des Koffers und dessen inhaltlicher Sichtung führte.
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bb) Das Fehlen einer richterlichen Durchsuchungsanordnung führt hier zu einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der bei der Durchsuchung gewonnenen Beweismittel.
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Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots ist zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten (BVerfG, Beschluss vom 12. April 2005 - 2 BvR 1027/02, BVerfGE 113, 29, 61; Beschluss vom 16. März 2006 - 2 BvR 954/02, NJW 2006, 2684, 2686; Beschluss vom 20. Mai 2011 - 2 BvR 2017/10, NJW 2011, 2783, 2784). Ein schwerwiegender Verstoß liegt aufgrund der oben geschilderten Umstände vor. Die ermittelnde Staatsanwältin hat die Bedeutung des Richtervorbehalts grundlegend verkannt, als sie nach der Befassung des Eilrichters in der Sache - ohne dass sich gegenüber der Sachlage zuvor etwas Neues ergeben hätte - ihre eigene Eilkompetenz allein deshalb wieder aufleben ließ, weil der Eilrichter sich zu einer Entscheidung ohne Akten nicht in der Lage gesehen hat. Dass sie keine Anstrengungen unternommen hat, dem Ermittlungsrichter die Akten beizubringen, entbehrt eines nachvollziehbaren Grundes. Schon dies stellt angesichts der dargelegten Besonderheiten des Falles für sich gesehen - ungeachtet des Umstands, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, die den Vorrang der richterlichen Entscheidung vor einer Eilkompetenz der Ermittlungsbehörden nach dessen Befassung festgestellt hat, zum Zeitpunkt der Eilanordnung der Staatsanwältin noch nicht ergangen war - eine grundlegende Verkennung der Bedeutung des Richtervorbehalts dar.
25
Hinzu kommt die objektiv unvertretbare Annahme eines durch die ExLebensgefährtin des Beschuldigten drohenden Beweismittelverlusts, der angesichts ihrer kooperativen Mitarbeit keinerlei tatsächliche Grundlage hat und auch nicht durch allgemeine kriminalistische Erwägungen gestützt wird. Dies gilt trotz des Umstands, dass bereits am 7. Mai 2013 in der Sache ein Durchsuchungsbeschluss erlassen worden war und die die Ermittlung führende Staatsanwältin davon ausging, das Amtsgericht würde im Hinblick auf die Angaben der Zeugin G. und die bei der Durchsuchung am 7. Mai 2013 aufgefundenen Beweismittel erneut einen Durchsuchungsbeschluss erlassen.
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Dem Aspekt eines möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 18. November 2003 - 1 StR 455/03, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 4) kommt bei - wie hier - grober Verkennung des Richtervorbehalts ohnehin keine Bedeutung zu (vgl. auch BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 295 f.; Beschluss vom 30. August 2011 - 3 StR 210/11, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 8; Beschluss vom 21. April 2016 - 2 StR 394/15, StraFo 2010, 338). Hier kommt hinzu, dass es eine verbindliche und abschließende richterliche Entscheidung gibt, ohne Aktenvorlage die beantragte Maßnahme abzulehnen. Die ist von der Staatsanwaltschaft zu respektieren und verbietet den Rückgriff auf einen „hypo- thetischen“ anderen Ermittlungsrichter, der dem Antrag stattgegeben hätte.
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2. Die Verurteilung in den Fällen 23-101, 105-106, 109-110, in denen wesentliche Verurteilungsgrundlage die in dem Koffer aufgefundenen Unterlagen waren (UA S. 174), kann danach keinen Bestand haben. Es ist nicht auszuschließen , dass das Landgericht in diesen Fällen ohne Berücksichtigung des in dem Koffer enthaltenen Materials nicht zu einer Verurteilung gelangt wäre. Dies führt zur Aufhebung und Zurückverweisung; angesichts der weiteren gegen den Angeklagten sprechenden Umstände (UA S. 191 ff.) ist es möglich, dass in einer neuen Hauptverhandlung auch ohne Verwertung aller anlässlich der Durchsuchung vom 13. Mai 2013 gewonnenen Erkenntnisse noch Feststellungen getroffen werden können, die einen Schuldspruch tragen.
Fischer Krehl Eschelbach
Zeng Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 1 4 0 / 1 4
vom
10. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Juli 2014,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer,
Mayer,
Gericke,
Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Spaniol
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizobersekretärin
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 28. Oktober 2013 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten dadurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Erwerbs von Betäubungsmitteln in dreizehn Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 30 € verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit einer Verfahrensrüge gegen den Teilfreispruch. Daneben beanstandet sie mit der Sachrüge die Strafzumessungserwägungen des Landgerichts. Das vom Generalbundesanwalt bezüglich des Angriffs gegen den Teilfreispruch vertretene Rechtsmittel bleibt insgesamt ohne Erfolg.
2
Nach den Feststellungen kaufte der Angeklagte von Januar bis März 2013 bei dem früheren Mitangeklagten J. in insgesamt dreizehn Fällen zwischen zwei und fünfzehn Gramm Marihuana überwiegend zum Eigenkonsum.
3
Mit der Anklage war ihm darüber hinaus zur Last gelegt worden, dem J. zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln Beihilfe geleistet zu haben, indem er diesem die von ihm selbst angemietete Wohnung im Hause F. straße in M. als Drogenbunker zur Verfügung gestellt habe. Von diesem Vorwurf hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen und zur Begründung ausgeführt, zu den in der genannten Wohnung sichergestellten Betäubungsmitteln und sonstigen Gegenständen hätten keine Feststellungen getroffen werden können. Insoweit bestehe ein Beweisverwertungsverbot , das auch die polizeilichen Einlassungen des Angeklagten und J. s umfasse.
4
I. Die Staatsanwaltschaft wendet sich gegen den freisprechenden Teil des Urteils mit der Beanstandung, das Landgericht habe mehrere Beweisanträge zu Unrecht zurückgewiesen (§ 244 Abs. 3 StPO). Die Rüge dringt nicht durch, denn sie ist nicht in zulässiger Weise erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
5
1. Folgendes Verfahrensgeschehen liegt zugrunde:
6
Die Staatsanwaltschaft hat die Vernehmung mehrerer Polizeibeamter, welche die Wohnung des Angeklagten durchsucht und danach den Angeklagten sowie J. vernommen haben, und die Verlesung eines Wirkstoffgutachtens des Landeskriminalamts Nordrhein-Westfalen zum Beweis dessen beantragt , was bei der Durchsuchung sichergestellt und in den anschließenden Vernehmungen angegeben wurde. Das Landgericht hat diese Anträge durch Beschluss mit der Begründung abgelehnt, die begehrte Beweiserhebung sei unzulässig (§ 244 Abs. 3 Satz 1 StPO).
7
2. Die Beschwerdeführerin hat mit ihrer Revisionsbegründung lediglich die Beweisanträge und den diese zurückweisenden Beschluss des Landgerichts mitgeteilt. Dies genügt hier den sich aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ergebenden Anforderungen nicht.
8
a) Die Fehlerhaftigkeit des die Beweisanträge zurückweisenden Beschlusses ergibt sich nicht bereits allein aus dessen Begründung, so dass die Vorlage weiteren Verfahrensstoffes durch den Revisionsführer nicht bereits aus diesem Grunde entbehrlich ist.
9
aa) Das Landgericht hat ein Beweisverwertungsverbot angenommen und auf dieser Grundlage zutreffend die beantragte Beweiserhebung als unzulässig im Sinne des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO bewertet (BGH, Urteil vom 29. April 2010 - 3 StR 63/10 juris Rn. 10).
10
bb) Der Umfang der Beschlussbegründung ist nicht zu beanstanden.
11
Die Begründung des Beschlusses, mit dem ein Beweisantrag zurückgewiesen wird, soll zum einen den Antragsteller davon unterrichten, wie das Gericht das Begehren beurteilt, damit er in der Lage ist, sich auf die Verfahrenslage einzustellen, die durch die Antragsablehnung entstanden ist. Zum anderen soll dem Revisionsgericht die rechtliche Überprüfung der Ablehnung ermöglicht werden (st. Rspr.; vgl. etwa Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 57. Aufl., § 244 Rn. 41a mwN). Dies gilt auch im Rahmen des § 244 Abs. 3 Satz 1 StPO (aA möglicherweise noch Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozess, 5. Aufl., S. 760, wonach ein "kurzer Hinweis" genüge; vgl. hierzu LR/Becker, StPO, 26. Aufl., § 244 Rn. 201).
12
Dem wird der Beschluss des Landgerichts gerecht. Die Strafkammer hat ausgeführt, die Beweismittel beruhten auf dem Ergebnis der ohne die erforderliche richterliche Anordnung durchgeführten Wohnungsdurchsuchung. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe kein Grund zu der Annahme bestanden , es liege Gefahr im Verzug vor. Aufgrund der willkürlichen, bewussten und groben Missachtung des Richtervorbehalts bestehe hinsichtlich der gewonnenen Beweismittel ein Verwertungsverbot. Dieses betreffe sowohl die bei der Durchsuchung gewonnenen Beweismittel als auch die auf Vorhalt der Durchsuchungsergebnisse ohne "qualifizierte" Belehrung gegenüber den Vernehmungsbeamten gemachten Angaben. Damit war für die Verfahrensbeteiligten ausreichend erkennbar, aus welchen Gründen das Tatgericht die begehrte Beweiserhebung für unzulässig hielt. Sie konnten ihr weiteres Prozessverhalten darauf einstellen und insbesondere auch erwägen, weitere (Beweis-)Anträge zu den Umständen der Wohnungsdurchsuchung zu stellen. Zur angemessenen Wahrung ihrer Rechte war es insbesondere nicht erforderlich, dass das Landgericht die nach seiner Auffassung zur Annahme eines Beweisverwertungsverbotes führende Würdigung des Verfahrensstoffes im Einzelnen darlegte. Dies war auch nicht nötig, um eine revisionsrechtliche Überprüfung zu ermöglichen, denn das Revisionsgericht hat zu der Frage, ob ein Beweisverwertungsverbot vorliegt, - anders als bei der revisionsrechtlichen Überprüfung der im Wege des Strengbeweises gewonnenen Umstände, auf deren Grundlage das Tatgericht über den Schuldspruch und die daran anknüpfenden Rechtsfolgen zu entscheiden hat - nicht lediglich diese Würdigung auf Rechtsfehler zu überprüfen, sondern selbst im Wege des Freibeweises festzustellen, ob der behauptete Verfahrensfehler vorliegt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 22. Februar 1978 - 2 StR 334/77, NJW 1978, 1390; aA LR/Becker, aaO, § 244 Rn. 32).
13
b) Gemäß den danach geltenden allgemeinen Grundsätzen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO muss der Beschwerdeführer im Rahmen einer Verfahrensrüge die den geltend gemachten Verstoß enthaltenden Tatsachen grundsätzlich so vollständig und genau darlegen, dass das Revisionsgericht allein an Hand der Revisionsbegründung in die Lage versetzt wird, über den geltend gemachten Mangel endgültig zu entscheiden. Für den Revisionsvortrag wesentliche Schriftstücke oder Aktenstellen sind im Einzelnen zu bezeichnen und - in der Regel durch wörtliche Zitate oder eingefügte Abschriften oder Ablichtungen - zum Bestandteil der Revisionsbegründung zu machen. Rügt der Beschwerdeführer die rechtsfehlerhafte Ablehnung von Beweisanträgen, so muss er, sofern sich die Fehlerhaftigkeit des Beschlusses nicht schon aus dessen Begründung ergibt, neben der Mitteilung von Antragswortlaut und Ablehnungsbegründung diejenigen weiteren Tatsachen darlegen, aus denen die Fehlerhaftigkeit des Ablehnungsbeschlusses folgt. Zum notwendigen vollständigen Rügevortrag kann es deshalb erforderlich sein, Einzelheiten des Verfahrensablaufs mitzuteilen (st. Rspr.; vgl. etwa LR/Becker, aaO, § 244 Rn. 372 ff.; KK-Gericke, 7. Aufl., § 344 Rn. 38 ff., jeweils m. zahlr. w. N.).
14
Diesen Vorgaben ist die Beschwerdeführerin mit der Vorlage allein der Beweisanträge und des diese zurückweisenden Gerichtsbeschlusses nicht nachgekommen. Dem Senat ist es nicht möglich, auf dieser Grundlage die erforderliche eigene umfassende Überprüfung des Verfahrens im Hinblick auf den behaupteten Rechtsfehler vorzunehmen. Dies beruht auf folgenden Erwägungen :
15
Der beanstandete Beschluss ist dann rechtsfehlerfrei, wenn die Ergebnisse der Wohnungsdurchsuchung sowie die Angaben des Angeklagten und des J. einem Beweisverwertungsverbot unterlagen. Deshalb ist zunächst zu beurteilen, ob die Beweisgewinnung rechtsfehlerhaft war. Dies erfordert hier die Prüfung, ob die Voraussetzungen für die Annahme von Gefahr im Verzug vorlagen mit der Folge, dass eine richterliche Anordnung der Ermittlungsmaßnahme entbehrlich war (§ 105 Abs. 1 StPO). Das setzt voraus, dass die richterliche Anordnung nicht eingeholt werden konnte, ohne dass der Zweck der Maßnahme gefährdet wurde, etwa weil der Verlust der Beweismittel drohte (BGH, Beschluss vom 11. August 2005 - 5 StR 200/05, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 6; Beschluss vom 19. Januar 2010 - 3 StR 530/09, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Gefahr im Verzug 1). War die Beweisgewinnung rechtswidrig, ist sodann zu prüfen, ob hieraus im konkreten Fall ein Beweisverwertungsverbot folgt. Dies ist nach den Umständen des Einzelfalles unter Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte und der widerstreitenden Interessen zu entscheiden. Bedeutsam ist dabei vor allem das Gewicht des in Rede stehenden Verfahrensverstoßes (vgl. im Einzelnen BVerfG, Beschluss vom 9. November 2010 - 2 BvR 2101/09, NStZ 2011, 103, 104 Rn. 42 ff.; BGH, Urteil vom 14. August 2009 - 3 StR 552/08, BGHSt 54, 69, 87; Urteil vom 20. Dezember 2012 - 3 StR 117/12, BGHSt 58, 84, 96; für den Fall einer rechtsfehlerhaften Durchsuchung vgl. BGH, Beschluss vom 18. November 2003 - 1 StR 455/03, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 4; Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 7; Beschluss vom 30. August 2011 - 3 StR 210/11, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 8). Schließlich ist gegebenenfalls zu entscheiden, wie weit das möglicherweise vorliegende Beweisverwertungsverbot reicht. Dafür könnte hier etwa von Bedeutung sein, ob die Durchsuchungsergebnisse dem Angeklagten und dem J. bei deren polizeilichen Vernehmung vorgehalten wordensind und dieser Vorhalt im Zusammenhang mit ihren Einlassungen steht, diese mithin von der rechtswidrigen Maßnahme unmittelbar beeinflusst worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 6. August 1987 - 4 StR 333/87, BGHSt 35, 32, 34). In diesem Fall würde der Annahme eines Verwertungsverbots bezüglich der polizeilichen Einlassung der Beschluss des Senats vom 16. Oktober 2007 (3 StR 413/07) nicht entgegen stehen; denn dieser betraf die Verwertbarkeit einer geständigen Einlassung, die der Angeklagte in der Hauptverhandlung abgegeben hatte und damit einen sich von der hiesigen Fallgestaltung wesentlich unterscheidenden Sachverhalt.
16
All diese Gesichtspunkte können vom Senat ohne Kenntnis des die durchgeführte Durchsuchung und die anschließenden Vernehmungen betreffenden Akteninhalts nicht bewertet werden. So ist etwa der Inhalt der anlässlich der Durchsuchung gefertigten polizeilichen Vermerke sowohl für die Annahme von Gefahr im Verzug als auch für die Beurteilung des Gewichts eines eventuellen Verfahrensverstoßes von wesentlicher Bedeutung.
17
c) Der Vortrag des maßgebenden Verfahrensstoffs durch die Revisionsführerin war auch nicht deshalb entbehrlich, weil sie auch die Sachrüge erhoben und das Landgericht im Rahmen seiner schriftlichen Urteilsgründe nähere Ausführungen zu dem nach seiner Ansicht bestehenden Beweisverwertungsverbot gemacht hat (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1999 - 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 204 f.; KK-Gericke, aaO, § 344 Rn. 39 mwN). Denn den vorliegenden Urteilsgründen können die maßgebenden Verfahrensvorgänge jedenfalls nicht mit der erforderlichen Klarheit entnommen werden. Das Landgericht hat lediglich die von ihm für wesentlich erachteten Beweisergebnisse dargestellt und in erster Linie unter deren Würdigung seine Auffassung begründet, es liege ein Beweisverwertungsverbot vor. Der Senat hat indes - wie dargelegt - als Revisionsgericht eine eigene freibeweisliche Würdigung vorzunehmen. Hierzu ist im vorliegenden Fall aus den dargelegten Gründen die Kenntnisnahme des maßgebenden Akteninhalts durch ihn selbst unerlässlich; diese kann nicht durch die Darstellung vom Landgericht ausgewählter Teile ersetzt werden. Auch der Generalbundesanwalt hat in seiner Antragsschrift auf bestimmte, die Vernehmungen betreffende tatsächliche Umstände abgestellt, die dem Senat weder im Revisionsverfahren zur Kenntnis gebracht worden sind noch sich aus den schriftlichen Urteilsgründen ergeben (s. etwa Antragsschrift S. 8).
18
II. Bezüglich der Sachrüge, mit der die Revision die Strafzumessung angreift und dabei eine Verletzung des § 46 StGB geltend macht, ist das Rechtsmittel aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts zutreffend ausgeführten Erwägungen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Becker Schäfer Mayer RiBGH Gericke befindet sich Spaniol im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 210/11
vom
30. August 2011
in der Strafsache
gegen
wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 30. August
2011 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 4. Januar 2011, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge verurteilt worden ist,
b) im Gesamtstrafenausspruch.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Angeklagte rügt mit seiner Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, soweit es sich gegen den Schuldspruch wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie die hierfür verhängte Einzelstrafe richtet. Dagegen kann die Verurteilung wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge keinen Bestand haben. Insoweit rügt der Beschwerdeführer zu Recht, dass sich das Landgericht bei seiner Überzeugungsbildung auf Beweise gestützt hat, die es nicht hätte verwerten dürfen, da sie bei Wohnungsdurchsuchungen gewonnen worden waren, die unter Verstoß gegen den Richtervorbehalt der Art. 13 Abs. 2 GG und § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO durchgeführt worden und daher rechtswidrig waren.
2
1. Folgendes liegt zugrunde:
3
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts erwarb der Angeklagte unter anderem vor dem 17. Februar 2010 insgesamt 1.938,95 Gramm Marihuana und 377,16 Gramm Haschisch, die er zum Teil in dem von ihm in der elterlichen Wohnung genutzten Zimmer deponierte. Dort bewahrte er außerdem für seinen Zugriff einen Schlagring auf, der zur Verletzung von Personen geeignet und vom Angeklagten dazu bestimmt war. Die restlichen Betäubungsmittel lagerte er mit Wissen seiner früheren Freundin in deren Zimmer, das sich in der von ihrem Vater gemieteten Wohnung befand und in dem sich der Angeklagte regelmäßig - gelegentlich auch über Nacht - aufhielt. Neun Zehntel der Betäubungsmittel waren zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt.
4
b) Das Landgericht hat seine Überzeugung von diesem Sachverhalt trotz des Widerspruchs des Angeklagten gegen die Beweisverwertung in der Haupt- verhandlung auf die bei den Durchsuchungen der genannten Räume in der Nacht vom 17. auf den 18. Februar 2010 erlangten Erkenntnisse und ergänzend - die im Zimmer der Freundin deponierten Betäubungsmittel betreffend - auf deren Zeugnis in der Hauptverhandlung gestützt. Zu diesen Durchsuchungen kam es wie folgt:
5
Die polizeilichen Ermittlungen gegen den Angeklagten wurden im November 2009 aufgrund eines anonymen telefonischen Hinweises aufgenommen. Im Januar 2010 folgten Erkenntnisse aus der Vernehmung einer Vertrauensperson. Auf richterliche Anordnung wurde ab Januar 2010 die Telekommunikation des Angeklagten überwacht. In der ersten Februarhälfte ergaben mitgeschnittene Telefonate Anhaltspunkte dafür, der Angeklagte sei am 11./12. Februar 2010 zwecks Beschaffung von Betäubungsmitteln in die Niederlande gefahren und habe dort eine Anzahlung geleistet, habe die ihm angebotenen Betäubungsmittel aber wegen ihrer schlechten Qualität nicht in die Bundesrepublik Deutschland eingeführt. Am Mittag des 17. Februar 2010 ergab die Überwachung der Telekommunikation, dass der Angeklagte mit der Mitangeklagten A. K. sowie seiner früheren Freundin noch an diesem Tag erneut in die Niederlande mit dem Ziel der Beschaffung von Betäubungsmitteln fahren werde. Ab dem frühen Abend hielten sich Einsatzkräfte der Polizei für eine spätere Wohnungsdurchsuchung bereit und observierten den Angeklagten , der - wie die Mitangeklagte A. K. und seine frühere Freundin - nach der Wiedereinreise kurz nach 22.00 Uhr desselben Tages vorläufig festgenommen wurde. Der sachbearbeitende Polizeibeamte kontaktierte zwischen 22.00 Uhr und 23.00 Uhr die diensthabende Staatsanwältin, die Durchsuchungen in den Wohnungen der vorläufig Festgenommenen wegen Gefahr im Verzug anordnete. Die Anordnung wurde in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrem Erlass nicht schriftlich dokumentiert. Der sachbearbeitende Polizeibeam- te hatte sich vor dem Ende des richterlichen Bereitschaftsdienstes bei dem Amtsgericht Düsseldorf um 21.00 Uhr nicht um den Erlass von Durchsuchungsbeschlüssen durch den Ermittlungsrichter bemüht, weil er die bis zum Nachmittag des 17. Februar 2010 erlangten Erkenntnisse für zu vage hielt, im Verlauf des 17. Februar 2010 mit sonstigen Dingen befasst war und die Erfahrung gemacht hatte, Durchsuchungsbeschlüsse aufgrund von Erkenntnissen aus der Telekommunikationsüberwachung würden nicht "auf Halde produziert".
6
2. Vor diesem Hintergrund unterliegen die aus den Durchsuchungen erlangten Erkenntnisse - entgegen der Ansicht des Landgerichts - einem Beweisverwertungsverbot.
7
a) Die in der Nacht vom 17. auf den 18. Februar 2010 durchgeführten Durchsuchungen waren wegen Missachtung des Richtervorbehalts rechtswidrig. Eine gemäß Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO grundsätzlich erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung lag nicht vor. Die Anordnung der diensthabenden Staatsanwältin beruhte nicht auf einer rechtmäßigen Inanspruchnahme ihrer sich aus § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO ergebenden Eilkompetenz.
8
Zwar darf Gefahr im Verzug angenommen werden, falls die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährdet (BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00, BVerfGE 103, 142, 154; BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 288). Es steht aber nicht im Belieben der Strafverfolgungsbehörden, wann sie eine Antragstellung in Erwägung ziehen. Sie dürfen nicht so lange mit dem Antrag an den Ermittlungsrichter warten, bis die Gefahr eines Beweismittelverlusts tatsächlich eingetreten ist, und damit die von Verfassungs wegen vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters unterlaufen (BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00, BVerfGE 103, 142, 155; Beschluss vom 4. Februar 2005 - 2 BvR 308/04, NJW 2005, 1637, 1638 f.). Für die Frage, ob die Ermittlungsbehörden eine richterliche Entscheidung rechtzeitig erreichen können, kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem die Staatsanwaltschaft oder ihre Hilfsbeamten die Durchsuchung für erforderlich halten (BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 288 f.).
9
Dies war hier nach jeglicher kriminalistischer Erfahrung spätestens am Nachmittag des 17. Februar 2010 der Fall, als sich die für diesen Abend geplante Beschaffungsfahrt in die Niederlande konkret abzeichnete. Dass noch im Verlauf des 17. Februar 2010 vom Angeklagten und seiner früheren Freundin bewohnte Zimmer zu durchsuchen seien, drängte sich auf. Nur durch einen alsbaldigen Zugriff wäre auszuschließen gewesen, dass mögliche Mittäter in den Wohnungen befindliche Betäubungsmittel beseitigten. Dementsprechend hielten sich bereits ab dem frühen Abend des 17. Februar 2010 Polizeikräfte zur Durchführung der Durchsuchungen bereit. Schon daher konnte die erst nach 22.00 Uhr erlassene Durchsuchungsanordnung der Staatsanwaltschaft - jenseits jeder fehlenden Dokumentation - nicht mehr auf Gefahr im Verzug gestützt werden. Hinzu kommt, dass dem sachbearbeitenden Polizeibeamten bereits seit Januar 2010 Erkenntnisse vorlagen, die zu einer richterlichen Anordnung der Überwachung der Telekommunikation geführt hatten, so dass sich die Notwendigkeit einer alsbaldigen Wohnungsdurchsuchung evident ergab, mithin nicht einer überraschenden Verfahrenssituation entsprang.
10
b) Das Fehlen einer richterlichen Durchsuchungsanordnung führt hier zu einem Beweisverwertungsverbot hinsichtlich der bei der Durchsuchung gewonnenen Beweismittel.
11
Die Annahme eines Beweisverwertungsverbots ist von Verfassungs wegen zumindest bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen , bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer Acht gelassen worden sind, geboten (BVerfG, Beschluss vom 12. April 2005 - 2 BvR 1027/02, BVerfGE 113, 29, 61; Beschluss vom 16. März 2006 - 2 BvR 954/02, NJW 2006, 2684, 2686; Beschluss vom 20. Mai 2011 - 2 BvR 2072/10, DAR 2011, 457, 459). Ein solcher schwerwiegender Verstoß liegt aufgrund der oben geschilderten Umstände vor. Die Feststellungen des Landgerichts, der sachbearbeitende Polizeibeamte sei am Nachmittag des 17. Februar 2010 stark beansprucht gewesen, habe seine Erkenntnisse zugleich noch für zu vage gehalten und schlechte Erfahrungen mit der Beschaffung von Anordnungen auf Vorrat gemacht, ändern an dieser Bewertung nichts. Wenn sich der sachbearbeitende Polizeibeamte Gedanken darum machte, ob ein Ersuchen um Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses erfolgversprechend sei, war er - von einem sonst möglicherweise bestehenden Organisationsmangel abgesehen - ersichtlich nicht durch eine Überlastung daran gehindert, die Gesetzmäßigkeit seines Vorgehens zu überprüfen. Seine Annahme, die von ihm gewonnenen Erkenntnisse hätten zwar im Januar 2010 für den Erlass einer Anordnung auf der Grundlage der §§ 100a, 100b StPO ausgereicht, eine Anordnung nach §§ 102, 105 StPO am Nachmittag des 17. Februar 2010 trotz der weiteren Verdichtung des Tatverdachts aber (noch) nicht getragen, ist nicht nachzuvollziehen. Da am Nachmittag des 17. Februar 2010 feststand, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit noch am selben Tag eine vorläufige Festnahme des Angeklagten erfolgen werde, die eine Durchsuchung nach sich ziehen werde, konnte auch ein "Erfahrungswert" des sachbearbeitenden Polizeibeamten zu Vorratsbeschlüssen des Ermittlungsrichters offensichtlich keine Verbindlichkeit beanspruchen.
12
c) Dem - für andere Fallgestaltungen zur Einschränkung der Annahme von Beweisverwertungsverboten entwickelten - Aspekt eines möglichen hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs (BGH, Urteil vom 17. März 1983 - 4 StR 640/82, BGHSt 31, 304, 306; Urteil vom 15. Februar 1989 - 2 StR 402/88, NStZ 1989, 375, 376; Beschluss vom 18. November 2003 - 1 StR 455/03, BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 4) kann bei solcher Verkennung des Richtervorbehalts keine Bedeutung zukommen (BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 295 f.). Die Einhaltung der durch Art. 13 Abs. 2 GG und § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO festgelegten Kompetenzregelung könnte in diesen Fällen bei Anerkennung des hypothetisch rechtmäßigen Ersatzeingriffs als Abwägungskriterium bei der Prüfung des Vorliegens eines Beweisverwertungsverbots stets unterlaufen und der Richtervorbehalt sogar letztlich sinnlos werden. Bei Duldung grober Missachtungen des Richtervorbehalts entstünde gar ein Ansporn, die Ermittlungen ohne Einschaltung des Ermittlungsrichters einfacher und möglicherweise erfolgversprechender zu gestalten. Damit würde das wesentliche Erfordernis eines rechtstaatlichen Ermittlungsverfahrens aufgegeben, dass Beweise nicht unter bewusstem Rechtsbruch oder gleichgewichtiger Rechtsmissachtung erlangt werden dürfen (BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, BGHSt 51, 285, 296).
13
d) Ob vorliegend der Gesichtspunkt einer fehlenden Berührung des Rechtskreises des Angeklagten (BGH, Beschluss vom 21. Januar 1958 - GSSt 4/57, BGHSt 11, 213, 214 ff.; Beschluss vom 27. Februar 1992 - 5 StR 190/91, BGHSt 38, 214, 220; Urteil vom 21. Juli 1994 - 1 StR 83/94, BGHSt 40, 211, 217) der Anerkennung eines Verwertungsverbots entgegenstehen könnte, soweit Erkenntnisse anlässlich der Durchsuchung des Zimmers der früheren Freundin gewonnen wurden, bedarf keiner Vertiefung. Der Angeklagte war zur Zeit der Durchsuchung berechtigter Mitnutzer und damit in den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 und 2 GG einbezogen (von Mangoldt/ Klein/Starck/Gornig, GG, Bd. 1, 5. Aufl., Art. 13 Rn. 28; Herdegen in Bonner Kommentar zum GG, Art. 13 Rn. 36 [Stand: Oktober 1993]).
14
e) Da ein Beweisverwertungsverbot schon aus anderen Gründen eingreift , kann der Senat weiter offen lassen, ob das Fehlen eines richterlichen Bereitschaftsdienstes während der Nachtzeit in einer Großstadt wie Düsseldorf als ein schwerwiegender Organisationsmangel anzusehen ist (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2010 - 3 StR 530/09, wistra 2010, 231, 232).
15
3. Die Verurteilung wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge kann danach keinen Bestand haben. Damit entfällt der Gesamtstrafenausspruch.
16
Eine eigene Sachentscheidung nach § 354 Abs. 1 StPO ist dem Senat nicht möglich. Er kann den Angeklagten nicht vom Vorwurf des bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge freisprechen, denn es ist nicht völlig auszuschließen, dass in der neuenHauptverhandlung auch ohne Verwertung aller anlässlich der Durchsuchungen gewonnenen Erkenntnisse noch Feststellungen getroffen werden können, die einen Schuldspruch tragen.
Becker Pfister Schäfer RiBGH Mayer befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker Menges
Nachschlagewerk ja
BGHSt ja
Veröffentlichung ja
Eine bewusste Missachtung oder gleichgewichtig grobe Verkennung
der Voraussetzungen des für Wohnungsdurchsuchungen
bestehenden Richtervorbehalts kann die Annahme
eines Verbots der Verwertung bei der Durchsuchung gewonnener
Beweismittel rechtfertigen.
BGH, Urteil vom 18. April 2007 – 5 StR 546/06
LG Berlin –

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 18. April 2007
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. April 2007,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richter Dr. Jäger
alsbeisitzendeRichter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt Sch.
alsVerteidigerfürdenAngeklagten R. ,
Rechtsanwalt H. ,
Rechtsanwalt Z.
alsVerteidigerfürdenA ngeklagten G. ,
Justizhauptsekretärin
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle

für Recht erkannt:
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten R. gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. Februar 2006 werden verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und die hierdurch den Angeklagten R. und G. entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Der Angeklagte R. trägt die Kosten seines Rechtsmittels.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten R. wegen versuchten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Gegen diesen Angeklagten hat die Strafkammer ferner den Verfall von 1.000 Euro angeordnet. Den Mitangeklagten G. hat das Landgericht von dem Vorwurf freigesprochen, in zwei Fällen ohne Erlaubnis mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben zu haben. Mit ihren vom Generalbundesanwalt vertretenen Revisionen wendet sich die Staatsanwaltschaft gegen die Freisprechung des Angeklagten G. und beanstandet bezüglich des Angeklagten R. , dass dieser Angeklagte nicht wegen vollendeten unerlaubten Handeltreibens verurteilt worden ist. Der Ange- klagte R. wendet sich mit der allgemein erhobenen Sachrüge gegen seine Verurteilung. Sämtliche Rechtsmittel bleiben erfolglos.
2
1. Den Angeklagten liegt Folgendes zur Last:
3
a) Der Angeklagte G. erwarb über 50.000 Ecstasy Tabletten (Wirkstoffgehalt über 3 kg MDMA) und verwahrte sie zum gewinnbringenden Weiterverkauf in der vom Zeugen B. vermieteten Wohnung in der F. Straße in B . G. gab dem Angeklagten R. am 16. Februar 2004 1.000 Euro gegen das Versprechen, aus der Wohnung eine Tüte voller Betäubungsmittel zu holen und diese in den Kofferraum eines in der Nähe geparkten Pkw zu verbringen (Anklagevorwurf 1).
4
b) Der Angeklagte G. erwarb später 3,5 kg Marihuana (Wirkstoffgehalt 412 g THC) und verwahrte dieses zum beabsichtigten gewinnbringenden Weiterverkauf bis zum 18. Februar 2005 in einer Wohnung in der P. - straße in B. (Anklagevorwurf 2).
5
2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
a) Zu Anklagevorwurf 1:
6
Der Angeklagte R. erhielt am 16. Februar 2004 von einem ihm nicht weiter bekannten „M. “ 1.000 Euro nebst einem Wohnungsschlüssel, um einen zugeschweißten gefüllten Beutel aus der Wohnung F. Straße zu einem Pkw zu verbringen. R. stellte sich vor, in dem Beutel würden sich mindestens 300 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von nicht mehr als 9 g THC befinden. Als R. am Morgen des 17. Februar 2004 im Begriff war, die Wohnung mit dem Schlüssel zu öffnen, wurde er festgenommen.
7
Das Landgericht hat aufgrund folgender Umstände darüber hinaus gehende Ermittlungsergebnisse wegen Missachtung des Gebots, einen richterlichen Beschluss zur Wohnungsdurchsuchung zu erlangen, als unverwertbar erachtet: Am 16. Februar 2004 öffnete der Vermieter wegen eines Wasserschadens gewaltsam die Wohnung. Er informierte die Polizei von seinem Verdacht , in der Wohnung Betäubungsmittel gefunden zu haben. Gegen 15.30 Uhr durchsuchten drei Polizeibeamte die Wohnung und informierten ihre Fachdienststelle von dem möglichen Rauschgiftfund. Deren Mitarbeiter trafen gegen 17.00 Uhr ein, stellten die aufgefundenen Betäubungsmittel sicher und brachten sie zur polizeitechnischen Untersuchungsstelle. Die Polizei „besetzte“ nun die Wohnung, um mögliche Drogenhändler dingfest zu machen. Am nächsten Morgen wurde der Angeklagte R. vorläufig festgenommen, als er versuchte , die Wohnungstür zu öffnen.
8
Das Landgericht hat mit weiteren beweiswürdigenden Erwägungen die Täterschaft des Angeklagten G. in Zweifel gezogen und dazu Folgendes ausgeführt: Das Auffinden einer türkischen Zeitung und DNA eines anderen Mannes – außer der des Angeklagten in aufgefundenen Zigarettenkippen – sowie die G. ausdrücklich entlastende Einlassung des R. sprächen gegen die Täterschaft des schweigenden Angeklagten G. . Ferner hätten die in die Hauptverhandlung eingeführten Telefongespräche des Angeklagten G. und die in seinem Pkw überwachten Gespräche keinen Bezug dieses Angeklagten zu Rauschgift in der F. Straße erbracht.
9
b) Zu Anklagevorwurf 2:
10
Der Angeklagte G. hielt sich während der letzten vier Wochen vor seiner Festnahme am 18. Februar 2005 in der Wohnung des Zeugen Zo. in der P. straße auf. Dies war der Polizei bekannt. Der die Ermittlungen gegen G. führende Zeuge Kriminalkommissar Si. war darüber hinaus am 18. Februar 2005 über den jeweiligen Aufenthaltsort des Tatverdächtigen informiert. Si. erfuhr gegen 15.47 Uhr, dass sich G. um ein Gerät bemühte , um in seinem Fahrzeug – tatsächlich angebrachte – polizeiliche Or- tungs- und Abhörgeräte aufzufinden. Si. erörterte eine deshalb aus polizeilicher Sicht gebotene Festnahme des G. mit dem zuständigen Staatsanwalt. G. wurde mit Zustimmung des Staatsanwalts schließlich um 17.30 Uhr festgenommen, worüber Si. um 20.00 Uhr den Staatsanwalt informierte ; dabei bat er ferner um die Genehmigung, die Wohnung des Zo. durchsuchen zu dürfen. Der Staatsanwalt ordnete die Wohnungsdurchsuchung auf Grund angenommener eigener Eilkompetenz an, ohne die Anrufung eines Ermittlungsrichters zu erwägen und eine Gefahr für den Verlust von Beweismitteln zu dokumentieren.
11
Das Landgericht hat auch die bei dieser Durchsuchung gewonnenen Beweismittel wegen Missachtung des Gebots, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss herbeizuführen, mit einem Beweisverwertungsverbot belegt und ergänzend darauf hingewiesen, dass auf Grund weiterer Umstände das fehlende Bemühen um richterliche Durchsuchungsgenehmigungen nicht lediglich eine einzelne Nachlässigkeit der Ermittlungsbehörden dargestellt hat, sondern in eine Kette weiterer Ermittlungsmängel eingereiht gewesen ist: - Ermittlungsbeamte hatten eine DNA-Probe des Angeklagten G. vor dessen Festnahme durch eine fingierte Verkehrskontrolle erschlichen. Dabei wurde das bei dem Alkoholtest verwendete Mundstück einbehalten und dem Angeklagten auf seinen Rückgabewunsch hin stattdessen ein unbenutztes Austauschstück übergeben.
- Entgegen dem Inhalt eines Durchsuchungsberichts vom 28. Februar 2005 hatten Polizeibeamte gar nicht versucht, einen Durchsuchungsbeschluss für eine der Mutter des Angeklagten G. gehörende Garage zu erlangen.
- Eine dem Angeklagten gehörende wertvolle Werkzeugkiste war – einem polizeilichen Aktenvermerk widersprechend – nicht vernichtet
worden. Sie befand sich weiter im Besitz der Polizei und konnte während der Hauptverhandlung in Augenschein genommen werden.
- Während der polizeilichen Beschuldigtenvernehmung des Zeugen Zo. wurde diesem mitgeteilt, ein anwaltlicher Beistand wäre nicht nötig, weil es sich „nur um eine Vernehmung“ handeln würde.
- Schließlich machte der Sitzungsstaatsanwalt während der Beweisaufnahme Vorhalte aus staatsanwaltschaftlichen Nachermittlungen, ohne diese zuvor dem erkennenden Gericht übergeben zu haben.
12
3. Die Freisprechung des Angeklagten G. hält den Revisionsangriffen stand.
13
a) Auf die von der Staatsanwaltschaft lediglich erhobene Sachrüge ist der Senat allenfalls befugt, auf der Grundlage der Urteilsfeststellungen zu prüfen , ob die Subsumtion des Landgerichts dessen verfahrensrechtliche Folgerungen rechtfertigt (vgl. Meyer-Goßner, StPO 49. Aufl. § 261 Rdn. 38). Der weitergehende vom Generalstaatsanwalt bei dem Kammergericht formulierte Revisionsangriff , die im Zusammenhang mit der Annahme von Beweisverwertungsverboten getroffenen Feststellungen des Landgerichts seien lückenhaft – dem sich der Generalbundesanwalt angeschlossen hat –, entzieht sich der Betrachtung. Solches hätte die Erhebung einer Verfahrensrüge mit weitergehendem Sachvortrag (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) vorausgesetzt, die indes nicht vorliegt (vgl. BGHSt 19, 273, 275, 279; 48, 240, 250; Kuckein in KK 5. Aufl. § 337 Rdn. 30).
14
b) Der Senat kann dahinstehen lassen, ob das Landgericht zu Anklagevorwurf 1 für die aus der Wohnung F. Straße stammenden Betäubungsmittel zu Unrecht ein Beweisverwertungsverbot angenommen hat. Die Freisprechung des Angeklagten G. beruht jedenfalls nicht auf einem etwaigen Rechtsfehler. Das Landgericht hat die erhobenen Beweise insgesamt hinreichend deutlich dahingehend gewürdigt, dass aus sachlichen Erwägungen nicht zu überwindende Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten G. bestanden haben. Solches hat das Revisionsgericht hinzunehmen (vgl. BGH NJW 2006, 925, 928 m.w.N., insoweit in BGHSt 50, 299 nicht abgedruckt).
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c) Soweit das Landgericht hinsichtlich des in der Wohnung des Zeugen Zo. aufgefundenen Rauschgifts ein Beweisverwertungsverbot angenommen hat, hält diese Wertung der – hier, wie ausgeführt, von vornherein nur eingeschränkt möglichen – rechtlichen Prüfung stand.
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aa) Die am 18. Februar 2005 um 20.05 Uhr aufgrund der um 20.00 Uhr getroffenen Anordnung des Staatsanwalts erfolgte Durchsuchung der Wohnung war wegen Missachtung des Richtervorbehalts rechtswidrig. Eine gemäß Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO grundsätzlich erforderliche richterliche Durchsuchungsanordnung lag nicht vor (vgl. BVerfGE 103, 142, 153; BGHR StPO § 105 Durchsuchung 4). Die Anordnung des Staatsanwalts beruhte nicht auf einer rechtmäßigen Inanspruchnahme seiner sich aus § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO ergebenden Eilkompetenz.
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Bei der hier zu beurteilenden Durchsuchungsanordnung hätte Gefahr im Verzug angenommen werden können, falls die vorherige Einholung der richterlichen Anordnung den Erfolg der Durchsuchung gefährdet hätte (vgl. BVerfGE 103, 142, 154; BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 6). Bei der Prüfung dieser Voraussetzung steht es aber nicht im Belieben der Strafverfolgungsbehörden , wann sie eine Antragstellung in Erwägung ziehen. Sie dürfen nicht so lange mit dem Antrag an den Ermittlungsrichter zuwarten, bis etwa die Gefahr eines Beweismittelverlusts tatsächlich eingetreten ist, und damit die von Verfassungs wegen vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters unterlaufen (BVerfGE 103, 142, 155; BVerfG – Kammer – NJW 2005, 1637, 1638 f.). Für die Frage, ob die Ermittlungsbehörden eine richterliche Entscheidung rechtzeitig erreichen können, kommt es deshalb auf den Zeitpunkt an, zu dem die Staatsanwaltschaft oder ihre Hilfsbeamten die Durchsuchung für erforderlich hielten (Stellungnahme des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs in BVerfGE aaO S. 148).
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Solches war hier nach jeglicher kriminalistischer Erfahrung spätestens zum Zeitpunkt des Entschlusses zur Festnahme des G. am Nachmittag des 18. Februar 2005 der Fall (vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2005, 1637, 1638 f.; AG Kiel StV 2002, 536, 537 jeweils zu ähnlichen Sachverhalten). Die sofortige Suche nach Sachbeweisen am gewöhnlichen Aufenthaltsort des G. drängte sich auf. Nur durch einen alsbaldigen Zugriff wäre auszuschließen gewesen, dass mögliche Mittäter in der Wohnung befindliches Rauschgift beseitigen. Schon daher konnte die erst um 20.00 Uhr erfolgte Durchsuchungsanordnung – jenseits jeder fehlenden Dokumentation (vgl. BVerfG – Kammer – aaO S. 1639; BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 5) – nicht mehr auf Gefahr im Verzug gestützt werden. Hinzu kommt, dass den Polizeibeamten durch G. s Beobachtung schon mindestens vier Wochen lang dessen Aufenthalt in Zo. s Wohnung bekannt war (UA S. 22) und dass sich die Notwendigkeit einer alsbaldigen Wohnungsdurchsuchung aufdrängte, mithin nicht einer überraschenden Verfahrenssituation entsprang.
19
bb) Die Rechtswidrigkeit der Wohnungsdurchsuchung rechtfertigt vorliegend die Annahme eines Verwertungsverbots hinsichtlich der bei der Durchsuchung sichergestellten Betäubungsmittel.
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(1) Die Frage, unter welchen Voraussetzungen bei Missachtung des sich aus Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO ergebenden Richtervorbehalts ein Verwertungsverbot hinsichtlich der aus der Wohnung zu Tage geförderten Beweismittel anzunehmen ist, hat der Gesetzgeber nicht entschieden (vgl. Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO 26. Aufl. Einl. Abschn. L Rdn. 16). So ist – wie auch bei der Prüfung eines Verwertungsverbots bei Verstößen gegen andere Erhebungsvorschriften – davon auszugehen, dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd ist (BGHSt 44, 243, 249). Vielmehr ist diese Frage nach inzwischen gefestigter Rechtsprechung jeweils nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der widerstreitenden Interessen zu entscheiden (BGHSt aaO m.w.N.). Dabei muss beachtet werden, dass die Annahme eines Verwertungsverbots, auch wenn die Strafprozessordnung nicht auf Wahrheitserforschung „um jeden Preis“ gerichtet ist, eines der wesentlichen Prinzipien des Strafverfahrensrechts einschränkt, nämlich den Grundsatz, dass das Gericht die Wahrheit zu erforschen und dazu die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken hat, die von Bedeutung sind. Daran gemessen bedeutet ein Beweisverwertungsverbot eine Ausnahme, die nur nach ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift oder aus übergeordneten wichtigen Gründen im Einzelfall anzuerkennen ist (BGHSt aaO m.w.N.). Maßgeblich mit beeinflusst wird das Ergebnis der demnach vorzunehmenden Abwägung vom Gewicht des infrage stehenden Verfahrensverstoßes (BGHSt aaO m.w.N.). Dieses wird seinerseits wesentlich von der Bedeutung der im Einzelfall betroffenen Rechtsgüter bestimmt (BGHSt aaO).
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(2) Indes können einzelne Rechtsgüter durch Eingriffe fern jeder Rechtsgrundlage so massiv beeinträchtigt werden, dass dadurch das Ermittlungsverfahren als ein nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geordnetes Verfahren nachhaltig beschädigt wird. Dann wäre jede andere Lösung als die Annahme eines Verwertungsverbots – jenseits des in § 136a Abs. 3 Satz 2 StPO normierten – unerträglich (vgl. BGHSt 31, 304, 308; Eisenberg, Beweisrecht der StPO 5. Aufl. Rdn. 363; Gössel aaO Rdn. 33 und 178). Solches wurde in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beispielsweise angenommen bei der Durchführung von Abhörmaßnahmen unter Verstoß gegen völkerrechtliche Grundsätze (BGHSt 36, 396, 398 ff.) oder ohne richterliche Anordnung (BGHSt 31, 304, 306 f.; 35, 32, 34) oder zur gezielten Verleitung des Angeklagten zum unbewussten Schaffen von Anknüpfungstatsachen für ein Sachverständigengutachten (BGHSt 34, 39), ferner bei der Einbeziehung eines Raumgesprächs zwischen Eheleuten in die Telefonüberwachung (BGHSt 31, 296) und bei akusti- scher Wohnraumüberwachung in einem nicht allgemein zugänglichen, als Wohnung zu bewertenden Vereinsbüro (BGHSt 42, 372, 377 zu § 100c Abs. 1 StPO a.F.) und in einem Krankenzimmer (BGHSt 50, 206).
22
Solchen Fallgestaltungen ist der vorliegend zu beurteilende Sachverhalt nicht ausreichend ähnlich. Die Durchsuchungsanordnung war dem Staatsanwalt nicht schlechthin verboten, sondern in Eilfällen gestattet. Gefahr im Verzug lag hier zwar nicht vor. Die Verletzung des Richtervorbehalts hat aber aus objektiver Sicht geringeres Gewicht, als wenn, wie etwa im Falle des § 100b Abs. 1 StPO, der Polizei die Anordnung von Eingriffen der betreffenden Art schlechthin untersagt ist (Roxin NStZ 1989, 376, 379). Zudem kommt bei der hier gebotenen objektiven Sicht dem Umstand Bedeutung zu, dass ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss höchstwahrscheinlich zu erlangen gewesen wäre (vgl. Roxin aaO; ders. Strafverfahrensrecht, 25. Aufl. S. 182 Rdn. 21). Daran bestehen hier kaum Zweifel, wenngleich eine umfassende Prüfung aufgrund einer nicht ausreichend ausgeführten Verfahrensrüge nicht erfolgen kann. Immerhin waren gegen G. bereits Maßnahmen nach § 100c Abs. 1 Nr. 1 lit. b und Nr. 2 StPO a.F. erlassen, deren Anordnung strengere Voraussetzungen zu erfüllen hatten, als es der Erlass eines Durchsuchungsbeschlusses erfordert hätte.
23
(3) In Sonderfällen schwerwiegender Rechtsverletzungen, die durch das besondere Gewicht der jeweiligen Verletzungshandlung bei grober Verkennung der Rechtslage geprägt sind, sind Beweismittel darüber hinaus unverwertbar, weil der Staat – soweit nicht notstandsähnliche Gesichtspunkte Gegenteiliges ermöglichen sollten (vgl. BGHSt 31, 304, 307; 34, 39, 51 f.) – auch in solchen Fällen aus Eingriffen ohne Rechtsgrundlage keinen Nutzen ziehen darf (Roxin, Strafverfahrensrecht aaO S. 193 Rdn. 46; vgl. auch Gössel aaO Rdn. 175). Eine Verwertung würde hier gegen die Grundsätze eines fairen Verfahrens verstoßen (vgl. BGHSt 24, 125, 131; Roxin NStZ aaO).
24
So ist eine von dem Ermittlungsrichter oder dem Staatsanwalt angeordnete Telefonüberwachung rechtswidrig – mit der Folge eines Verwertungsverbots –, falls deren Entscheidung nach dem Maßstab (objektiver) Willkür oder grober Fehlbeurteilung nicht mehr vertretbar gewesen ist (BGHSt 41, 30, 34; vgl. auch BGHSt 32, 68, 70; 47, 362, 366; 48, 240, 248; einschränkend BGHSt 51, 1). Für Fälle fehlerhafter Wohnungsdurchsuchungen ist dies in der Rechtsprechung weitgehend anerkannt, falls der Richtervorbehalt bewusst umgangen worden ist (vgl. BVerfGE 113, 29, 61; BVerfG – Kammer – NJW 2006, 2684, 2686; BVerfG – Kammer – Beschluss vom 12. August 2005 – 2 BvR 1404/04; LG Osnabrück StV 1991, 152, 153; AG Offenbach StV 1993, 406, 407 f.; LG Darmstadt StV 1993, 573 f.; AG Kiel StV 2002, 536, 538; OLG Koblenz NStZ 2002, 660; AG Tiergarten in Berlin StV 2003, 663, 664; StraFo 2007, 73, 74; LG Heilbronn StV 2005, 380, 381; vgl. noch weitergehend AG Braunschweig StV 2001, 393 und LG Saarbrücken StV 2003, 434, 436). Diese Auffassung wird von Stimmen in der Literatur geteilt (Meyer-Goßner aaO § 98 Rdn. 7; Krekeler NStZ 1993, 263, 265). In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird bei willkürlicher Annahme von Gefahr im Verzug oder bei Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers ein Verwertungsverbot für notwendig gehalten (BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 4), was im Schrifttum ebenfalls vertreten wird (Schäfer in Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 105 Rdn. 119; Pfeiffer, StPO 5. Aufl. § 105 Rdn. 7; grundsätzlich Roxin, Strafverfahrensrecht aaO S. 193 Rdn. 46; allgemein bei Willkür Nack in KK 5. Aufl. Vor § 94 Rdn. 11; Krekeler/Löffelmann in AnwK-StPO Einleitung Rdn. 141). Diesen Ansätzen folgt der Senat.
25
Die Notwendigkeit der Annahme eines Verwertungsverbots ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Beachtlichkeit des Richtervorbehalts und zu den inhaltlichen Anforderungen, denen die Durchsuchungsbeschlüsse genügen müssen, angelegt (vgl. allgemein Landau NStZ 2007, 121, 128). Richterliche Durchsuchungsanordnungen sind nach Wortlaut und Systematik des Art. 13 Abs. 2 GG die Regel und die nichtrichterlichen die Ausnahme (BVerfGE 103, 142, 153). Vor allem wegen der grund- rechtssichernden Schutzfunktion des Richtervorbehalts ist „Gefahr im Verzug“ eng auszulegen (BVerfGE aaO), weshalb die Pflicht, einen Durchsuchungsbeschluss zu beantragen, den Spielraum der Ermittlungsbeamten begrenzt, das Ermittlungsverfahren nach kriminalistischen und taktischen Erwägungen frei zu gestalten (BVerfG aaO S. 155). Der bloße abstrakte Hinweis, eine richterliche Entscheidung sei gewöhnlicherweise zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht zu erlangen, kann Gefahr im Verzug nicht begründen, weil dem korrespondierend die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Gerichte besteht, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters, auch durch die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes , zu sichern (BVerfG aaO S. 156; BVerfG – Kammer – StV 2006, 676). Damit ist das Gebot, den Richtervorbehalt einzuhalten, für das durch rechtsstaatliche Grundsätze geprägte Ermittlungsverfahren so wesentlich, dass jedenfalls grobe Verstöße nicht sanktionslos gelassen werden dürfen (Schäfer aaO § 105 Rdn. 118; Krehl JR 2001, 491, 494). Genauso wie es nicht tragbar wäre, bei jeglichem Irrtum der Beamten über die tatsächlichen Voraussetzungen der Gefahr im Verzug oder bei sonstigen weniger gewichtigen Verstößen gegen irgendwelche die Art und Weise der Durchsuchung regelnden Vorschriften auch bei schwerwiegenden Straftaten ein Verwertungsverbot anzunehmen, wäre es für die Rechtsgemeinschaft und ihre Vorstellung vom Recht unerträglich, könnte der verfassungsrechtlich abgesicherte Schutz der Wohnung samt Richtervorbehalt stets folgenlos selbst willkürlich ausgehebelt werden (vgl. Schäfer aaO § 105 Rdn. 119).
26
Hier liegt schon die Annahme außerordentlich nahe, dass die Polizeibeamten den Richtervorbehalt bewusst ignoriert und die Inanspruchnahme der Eilkompetenz des Staatsanwalts provoziert haben. Das Unterlassen der Polizeibeamten , sich um einen Durchsuchungsbeschluss für die Wohnung des Zo. zu bemühen, ist angesichts des Ganges der Ermittlungen unverständlich. Der Umstand, dass sich G. in der Wohnung des Zo. aufgehalten hat, war den ermittelnden Kriminalbeamten schon mindestens vier Wochen vor der Festnahme des G. bekannt (UA S. 22). Die Verdachtslage, wie sie ferner ersichtlich im Blick auf die nach § 100c Abs. 1 Nr. 1 lit. b und Nr. 2 StPO a.F.
angeordneten Maßnahmen angenommen wurde und sich zudem durch wenigstens im Allgemeinen auf Rauschgift bezogene Gespräche des G. im überwachten Pkw ergab, machte es immer dringlicher, spätestens zum Zeitpunkt der Festnahme des G. auch die Wohnung des Zo. zu durchsuchen. Vor dem Hintergrund der Vollstreckbarkeit eines Durchsuchungsbeschlusses über einen Zeitraum von bis zu sechs Monaten (BVerfGE 96, 44) wäre mit einem gewissen zeitlichen Vorlauf der polizeiliche Zugriff für die Ermittlungen förderlich und der Rechtsordnung entsprechend mit Beantragung eines Durchsuchungsbeschlusses ohne Schwierigkeiten vorzubereiten gewesen. Spätestens mit der am 18. Februar 2005 um 15.47 Uhr von den Polizeibeamten gefassten Festnahmeabsicht erlangte die nach kriminalistischer Erfahrungsregel notwendige Wohnungsdurchsuchung und damit die Erlangung eines Durchsuchungsbeschlusses höchste Priorität, die indes gänzlich unbeachtet blieb. Erst zweieinhalb Stunden nach der Festnahme des G. erheischten die Kriminalbeamten – ohne dass ermittlungsbezogene Besonderheiten dies erklären konnten – eine Entscheidung des ebenfalls nur über eine Eilkompetenz verfügenden Staatsanwalts, ohne die mögliche Inanspruchnahme eines Ermittlungsrichters zuvor auch nur erwogen zu haben (vgl. auch AG Tiergarten in Berlin StraFo 2007, 73, 74 zu Existenz und Bekanntheit des jeweiligen Bereitschaftsrichters

).


27
Der Senat kann es letztlich dahingestellt sein lassen, ob gerade auch im Blick auf das vorhergegangene Erschleichen von DNA-Material des Angeklagten G. und nachfolgende Unkorrektheiten bei den weiteren polizeilichen Ermittlungen aus einer Gesamtschau aller Rechtsverstöße die Annahme einer grundlegenden Vernachlässigung von Richtervorbehalten durch die Polizeibeamten und – daraus abgeleitet – deren vorsätzlicher Missachtung in jedem Einzelfall zu rechtfertigen wäre. Da der Senat die Bewertung der Durchsuchung vom 16. Februar 2004 offen gelassen hat, stützt er sich nicht auf diese Gesamtschau , wie sie das Landgericht vorgenommen hat. Er kann den Feststellungen des Landgerichts jedoch entnehmen, dass jedenfalls der ermittelnde Staatsanwalt – mag er auch möglicherweise von der Polizei in gewisser Weise instrumentalisiert worden sein – objektiv willkürlich eine Wohnungsdurchsuchung ohne richterliche Anordnung gestattet und damit den Richtervorbehalt bewusst ignoriert oder gleichgewichtig gröblich missachtet hat. Solches ergibt die Gesamtschau folgender Umstände (UA S. 21):
28
Dem vom Landgericht als Zeugen vernommenen Staatsanwalt war – selbstverständlich – der Richtervorbehalt bekannt. Bei der Erörterung der Festnahme des G. hatte er an eine Durchsuchung aber „nicht gedacht“ und auf die zeitliche Diskrepanz zwischen Festnahme und Durchsuchung der Wohnung „nicht geachtet“. Selbst zum Zeitpunkt des Erlasses der Durchsuchungsanordnung – eine Stunde vor Beginn der Nachtzeit im Sinn des § 104 Abs. 3 StPO – war es nicht von vornherein aussichtslos, zumindest noch eine fernmündliche Genehmigung eines Ermittlungsrichters (vgl. BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 5) zu erreichen (vgl. BVerfG – Kammer – StV 2006, 676; AG Tiergarten in Berlin StraFo 2007, 73, 74; Meyer-Goßner aaO § 105 Rdn. 2). Eine solche einzuholen, hat der Staatsanwalt aber weder erwogen, noch hat er die Voraussetzungen der von ihm in Anspruch genommenen Eilkompetenz dokumentiert (vgl. BVerfG – Kammer – NJW 2005, 1637, 1639; BGHSt 47, 362, 366; BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 5). Der Staatsanwalt hat ferner gegen die ihm obliegende Pflicht verstoßen, für die Rechtmäßigkeit des Ermittlungsverfahrens und damit für die Einhaltung des Richtervorbehalts durch die Polizei Sorge zu tragen (vgl. Meyer-Goßner aaO § 160 Rdn. 1 m.w.N.). Damit ist er seiner Funktion als Herr des Ermittlungsverfahrens nicht gerecht geworden , wie seiner Bekundung vor dem Landgericht zu entnehmen ist, die Polizei ermittele „autark“ (UA S. 21), so dass er sich mithin um Rechtsverstöße der in seinem Verfahren ermittelnden Hilfsbeamten nicht zu kümmern habe. Ein Staatsanwalt, der – wie hier – seine gegenüber den ermittelnden Polizeibeamten bestehende Leitungsfunktion so weitgehend ignoriert, was zu einer Ausschaltung des Ermittlungsrichters über einen Zeitraum von zweieinhalb Stunden geführt hat, und der sich – ohne die Anrufung eines Ermittlungsrichters auch nur zu erwägen – sachlich unbegründet und ohne Dokumentation auf seine Eilkompetenz beruft, missachtet den Richtervorbehalt bewusst oder verkennt ihn in gleichgewichtiger Weise gröblich. Solches rechtfertigt – mangels besonderer ermittlungsbezogener Umstände (vgl. BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung
4) – das vom Landgericht angenommene Beweisverwertungsverbot.
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(4) Dem – für andere Fallgestaltungen zur Einschränkung der Annahme von Beweisverwertungsverboten entwickelten – Aspekt eines möglichen hypothetischen rechtmäßigen Ermittlungsverlaufs (vgl. BGHSt 31, 304, 306; BGH NStZ 1989, 375, 376; BGHR StPO § 105 Durchsuchung 4; Roxin, Strafverfahrensrecht aaO S. 182 Rdn. 21) kann bei solcher Verkennung des Richtervorbehalts keine Bedeutung zukommen (vgl. schon BGHSt 31 aaO; Roxin aaO S. 182 f. Rdn. 21; Gössel aaO Rdn. 178). Die Einhaltung der durch Art. 13 Abs. 2 GG und § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO festgelegten Kompetenzregelung könnte bei Anerkennung des hypothetischen rechtmäßigen Ersatzeingriffs in diesen Fällen stets unterlaufen (vgl. Schäfer aaO § 105 Rdn. 117) und der Richtervorbehalt sogar letztlich sinnlos werden (Roxin, Strafverfahrensrecht aaO S. 183 Rdn. 21 m.w.N.). Bei Duldung grober Missachtungen des Richtervorbehalts entstünde gar ein Ansporn, die Ermittlungen ohne Ermittlungsrichter einfacher und möglicherweise erfolgversprechender zu gestalten (vgl. Roxin NStZ 1995, 465, 467 f.). Damit würde ein wesentliches Erfordernis eines rechtstaatlichen Ermittlungsverfahrens aufgegeben, dass Beweise nicht unter bewusstem Rechtsbruch oder gleichgewichtiger Rechtsmissachtung erlangt werden dürfen (vgl. Roxin NStZ 1989, 376, 379; ders. Strafverfahrensrecht aaO S. 193 Rdn. 46).
30
(5) Ob vorliegend der Gesichtspunkt einer fehlenden Berührung des Rechtskreises des Angeklagten (vgl. BGHSt[GS] 11, 213, 215 f.; BGHSt 22, 35, 38; 40, 211, 214 f.) der Anerkennung eines Verwertungsverbotes entgegenstehen könnte, bedarf keiner Vertiefung (vgl. dazu Gössel aaO Rdn. 38 ff.). Der Angeklagte war zur Zeit der Durchsuchung ersichtlich berechtigter Mitnutzer der Wohnung des Zo. (vgl. Blank in Schmidt-Futterer, Mietrecht 8. Aufl. § 540 Rdn. 32; Teichmann in Jauernig, BGB 11. Aufl. § 535 Rdn. 12; jeweils m.w.N.) und damit in den Schutzbereich des Art. 13 Abs. 1 GG einbezogen (vgl. BVerfGE 109, 279, 326).
31
(6) Der Senat kann ferner die Beantwortung der Frage dahingestellt sein lassen, ob das angenommene Verwertungsverbot einen Widerspruch des Verteidigers in der Hauptverhandlung vorausgesetzt hätte (vgl. Gössel aaO Rdn. 33 und 174) – was herrschender Tendenz der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entspräche (vgl. BGHR StPO § 100a Verwertungsverbot 11; BGHSt 50, 206, 215 f.; 51, 1; Gössel aaO Rdn. 29 m.w.N.), die indes jenseits der Fälle von dem Rechtsverstoß berührter Verteidigungsrechte, deren effektive Verletzung der Betroffene selbst optimal beurteilen kann und die uneingeschränkt seiner Disponibilität unterliegen, zu hinterfragen wäre – oder ob sich solches im Blick auf die betroffenen, für den Angeklagten nicht zweifelsfrei umfassend disponiblen Rechtsgüter verbieten würde (vgl. BGHSt 51, 1, 3). Die Revision der Staatsanwaltschaft kann jedenfalls aus solchen Erwägungen nicht erfolgreich sein, weil zur Frage, ob und wie der Verwertung der Beweismittel, die sich zu dem Ergebnis der Durchsuchung der Wohnung des Zo. verhalten, widersprochen worden ist, nichts vorgetragen ist (vgl. BGHR StPO § 100a Verwertungsverbot

11).


32
cc) Gegen die gefundene Rechtsauffassung kann nicht mit Erfolg geltend gemacht werden, der Schutz der Volksgesundheit – bei dem hier objektiv vorliegenden Verbrechen gemäß § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG – und die Pflicht des Rechtsstaats zur effektiven Strafverfolgung (vgl. hierzu BGHSt[GS] 42, 139, 157; Landau NStZ 2007, 121, 128 f.) werde so vernachlässigt. Das sichergestellte Rauschgift unterliegt gemäß § 33 Abs. 2 Satz 1 BtMG, § 76a Abs. 1 StGB der Einziehung. Es wird dem illegalen Rauschgiftmarkt nicht mehr zur Verfügung stehen. Die Sorge um einen Effektivitätsverlust wird vorliegend – jenseits erhobener grundsätzlicher Einwendungen gegen diesen Aspekt (vgl. Roxin NStZ 1997, 18, 20) – schon deshalb relativiert, weil bei Duldung eines bewussten oder gleichgewichtig schweren Rechtsbruchs durch Ermittlungsbeamte ein Ansehensverlust des rechtsstaatlichen Ermittlungsverfahrens bei der rechtstreuen Bevölkerung zu befürchten wäre, den es zu verhindern gilt und der seinerseits etwa durch verändertes Anzeige- oder Aussageverhalten infolge schwindenden Vertrauens in die Lauterkeit der Ermittlungsorgane zu Effektivitätsverlusten führen könnte. Ferner wird die Bedeutung des Beweismittelverlustes durch Annahme eines Verwertungsverbots hier dadurch gemindert, dass zur Überführung des Angeklagten andere, im Allgemeinen erfolgversprechende Ermittlungsmethoden (Maßnahmen nach §§ 100a, 100c a.F. StPO) angewandt werden konnten, deren Ergebnisse indes nur im vorliegenden Einzelfall – ohne dass solches von der Revisionsführerin beanstandet worden wäre – zur Überzeugungsbildung des Landgerichts nicht ausgereicht haben.
33
dd) Der Senat ist nicht zu einer Anfrage gemäß § 132 Abs. 2 GVG genötigt. Die Erwägungen des 2. Strafsenats (NStZ 1989, 375, 376) zum hypothetischen Ersatzeingriff waren für die Entscheidung nicht tragend (vgl. Roxin NStZ 1989, 376, 378). Die gefundene Rechtsauffassung stimmt mit der vom 1. Strafsenat (BGHR StPO § 105 Abs. 1 Durchsuchung 4) vertretenen überein.
34
4. Die die Verurteilung des Angeklagten R. betreffenden Revisionen sind ebenfalls unbegründet. Das Landgericht hat sich auf Grund einer wertenden Betrachtung aller Tatumstände angesichts des Gewinnstrebens des R. , seiner Tatinitiative und seines vorgesehenen vorübergehenden Besitzes des Rauschgifts von einem mittäterschaftlichen Mitwirken des Angeklagten überzeugt. Die Annahme nur eines (untauglichen) Versuchs begegnet keinen Bedenken, weil der Angeklagte seine Kuriertätigkeit zu einem Zeitpunkt ausführen sollte, als das zu transportierende Rauschgift durch polizeilichen Aufgriff bereits aus der Bunkerwohnung entfernt und dadurch der Verfügungsmacht des Auftraggebers des Angeklagten entglitten war (vgl. BGHR BtMG § 29 Abs. 1 Nr. 1 Handeltreiben 1; BGHSt[GS] 50, 252, 263). Auch gegen den Rechtsfolgenausspruch können Bedenken nicht erhoben werden.
Basdorf Raum Brause Schaal Jäger
37
d) Die aufgrund der gefahrenabwehrrechtlich zulässigen Fahrzeugdurchsuchung gewonnenen Erkenntnisse konnten im vorliegenden Fall nach § 161 Abs. 2 Satz 1 StPO gegen den Angeklagten im Strafverfahren verwendet werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 StR 224/09
vom
13. August 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 13. August
2009, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
der Richter am Bundesgerichtshof
von Lienen,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer,
Mayer
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof in der Verhandlung,
Staatsanwalt bei der Verkündung
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 7. Januar 2009, soweit es ihn betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Schuldspruch im Fall II 3 der Urteilsgründe wegen bewaffneten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge;
b) im gesamten Strafausspruch und im Maßregelausspruch. 2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorgenannte Urteil, soweit es den Angeklagten K. betrifft, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Schuldspruch im Fall II 3 der Urteilsgründe wegen bewaffneten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge;
b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch. 3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel und die dem Angeklagten durch die Revision der Staatsanwaltschaft entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
4. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bewaffneten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II 3 der Urteilsgründe) und wegen "gewerbsmäßigen" Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 30 Fällen (Fälle II 1 und 2 der Urteilsgründe) zu der Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
2
Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge. In Einzelausführungen beanstandet sie den Schuldspruch wegen bewaffneten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln.
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Die auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision der Staatsanwaltschaft wendet sich gegen den Schuldspruch zu Fall II 3 und - nach dem ausdrücklich formulierten Revisionsantrag - den Rechtsfolgenausspruch insgesamt. Sie ist der Auffassung, dass der Angeklagte im Fall II 3 wegen täterschaftlichen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu verurteilen gewesen wäre, beanstandet die dem Angeklagten zugebilligte Strafmilderung nach § 31 BtMG und rügt, dass das Landgericht nicht den Vorwegvollzug eines Teils der Freiheitsstrafe vor der Maßregel angeordnet sowie von der Anordnung des Verfalls von Wertersatz abgesehen hat.
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Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat in vollem Umfang Erfolg; die Revision des Angeklagten ist nur teilweise begründet.
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I. Revision des Angeklagten
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1. Der Schuldspruch im Fall II 3 der Urteilsgründe hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
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a) Nach den Feststellungen konsumierte der drogenabhängige Angeklagte u. a. etwa 5 Gramm Kokain wöchentlich. Zur Finanzierung seines Bedarfs und zur Begleichung seiner Schulden bei den Lieferanten verkaufte er daneben Kokain in Einzelmengen von einer Konsumeinheit. Am 1. Mai 2008 übergaben ihm die zwei Händler, von denen er die Drogen bezog, 1.651,84 Gramm eines in mehrere Plastiktüten verpackten und zum Weiterverkauf bestimmten Kokaingemischs mit einem Wirkstoffgehalt von 38,2 %. Dieses sollte er kurzfristig auf seinem Gartengrundstück "bunkern"; nach 24 Stunden wollten es die Überbringer wieder abholen. Als Gegenleistung sollte der Angeklagte 25 Gramm des Gemischs erhalten. Noch vor der Abholung der Betäubungsmittel traf am Folgetag die Polizei auf dem Grundstück ein. Der Angeklagte beschäftigte sich zu diesem Zeitpunkt mit den auf der Terrasse liegenden Plastiktüten. In der Jackentasche trug er ein einhändig bedienbares Klappmesser mit ca. 8 Zentimeter Klingenlänge bei sich; in der Küche der Gartenlaube verwahrte er auf einem Schrank in einer Plastikschachtel einen mit 5 Kartuschen geladenen Schreckschussrevolver nebst weiterer Munition.
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b) Diese Feststellungen tragen nicht den Schuldspruch wegen bewaffneten Sichverschaffens von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (§ 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG).
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Das Sichverschaffen setzt wie der Erwerb voraus, dass der Täter die tatsächliche Verfügungsgewalt mit der Möglichkeit und dem Willen erlangt, über die Sache als eigene zu verfügen (Weber, BtMG 3. Aufl. § 29 Rdn. 1113, 1055 m. w. N.). Danach hat sich der Angeklagte das verwahrte Kokain nicht verschafft. Nach dem Willen der Überbringer hat es dem Angeklagten nicht freigestanden , in irgendeiner Weise über das Kokain zu verfügen. Ebenso wenig hat er sich die Verfügungsgewalt hierüber aus eigenem Willensentschluss angemaßt. Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausführt , ändert hieran auch der Umstand nichts, dass der Angeklagte aus der zu verwahrenden Gesamtmenge 25 g als Entlohnung erhalten sollte. Der Angeklagte ist weder ermächtigt gewesen, diese Teilmenge während der Verwahrzeit selbst auszusondern, noch hat er dies aus eigenem Entschluss getan.
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Mit der Aufhebung des Schuldspruchs in diesem Fall entfällt die entsprechende Einzelstrafe sowie die Gesamtstrafe.
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2. Auf die Revision des Angeklagten aufzuheben sind darüber hinaus auch die Einzelstrafen, die das Landgericht für die 30 Taten des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln festgesetzt hat (Fälle II 1 und 2).
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a) Das Landgericht hat gewerbsmäßiges Handeln des Angeklagten festgestellt und ist daher von besonders schweren Fällen nach § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG ausgegangen. Dessen Strafrahmen hat es nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB ermäßigt, weil nicht auszuschließen sei, dass der Angeklagte zum Zeit- punkt der Begehung der Taten in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war. Anschließend hat es "den vertypten Strafmilderungsgrund des § 31 BtMG angewandt". Aufgrund weiterer Erwägungen zur "Strafzumessung" gelangt es zu Freiheitsstrafen von jeweils sechs Monaten.
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b) Danach ist zu besorgen, dass den Einzelstrafen eine fehlerhafte Strafrahmenwahl zugrunde liegt. Bejaht der Tatrichter einen besonders schweren Fall trotz des Vorliegens eines vertypten Strafmilderungsgrunds, so müssen seine Darlegungen dem Revisionsgericht grundsätzlich erkennbar machen, dass er sich bewusst ist, trotz Verwirklichung des Regelbeispieles wegen dieses Milderungsgrundes - allein oder in Zusammenhang mit anderen Umständen - entweder den besonders schweren Fall verneinen oder aber den Strafrahmen des besonders schweren Falls gemäß § 49 StGB mildern zu können (BGH NStZ 1990, 595; StV 1999, 490). Zureichende Erwägungen hierzu hat die Kammer nicht angestellt, obwohl dies angesichts zweier vertypter Milderungsgründe geboten war.
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c) Auch ausgehend von einem besonders schweren Fall nach § 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BtMG ist die Bemessung der Einzelstrafen nicht ohne Rechtsfehler. §§ 31 BtMG, 49 Abs. 2 StGB erlauben es dem Gericht, ein erhöhtes Mindestmaß der angedrohten Freiheitsstrafe auf das gesetzliche Mindestmaß zurückzuführen. Dies gilt auch dann, wenn es den Strafrahmen bereits aus anderem Grund gemildert hat, etwa auf Grund des vorrangig zu prüfenden § 49 Abs. 1 StGB (Fischer, StGB 56. Aufl. § 49 Rdn. 5; § 50 Rdn. 7 m. w. N.). Von der Milderungsmöglichkeit des § 49 Abs. 2 StGB Gebrauch zu machen steht im Ermessen des Gerichts; es kann den vertypten Grund stattdessen auch als allgemeinen Strafmilderungsgrund berücksichtigen. In welcher Weise die Kammer ihr Ermessen ausgeübt hat, teilen die Urteilsgründe indes nicht mit. Es bleibt offen, ob sie das nach § 29 Abs. 3 BtMG, §§ 21, 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB errechnete (erhöhte) Mindestmaß nochmals abgesenkt oder dieses beibehalten hat. Hierdurch ist der Angeklagte beschwert, denn es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht von einer erhöhten Strafrahmengrenze ausgegangen ist, ohne deren Absenken auf das gesetzliche Mindestmaß gemäß §§ 31 BtMG, 49 Abs. 2 StGB zu erwägen. Dies kann sich auf die Bemessung der Einzelstrafen ausgewirkt haben.
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3. Schließlich hat auch der Maßregelausspruch keinen Bestand.
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a) Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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Das Landgericht hat zwar bei der Erörterung des Maßregelausspruchs festgestellt, der Angeklagte sei drogenabhängig; seine Sucht und der hiervon ausgehende Beschaffungsdruck seien ursächlich für die abzuurteilenden Taten gewesen. Dies steht jedoch im Widerspruch zu den Darlegungen zu § 21 StGB. Danach konnte das Landgericht eine verminderte Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei Begehung der Taten wegen verbliebener Zweifel an einer Abhängigkeit und am Bestehen eines Beschaffungsdrucks lediglich nicht ausschließen.
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Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 Satz 1 StGB setzt indes die sichere Feststellung eines Hangs voraus, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Kann dieser Hang lediglich nicht ausgeschlossen werden, so ist für eine Unterbringung kein Raum (BGH NStZ-RR 2003, 106, 107). Die widersprüchlichen Feststellungen hierzu vermögen somit die Maßregelanordnung nicht zu tragen.
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Wird die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu Unrecht angeordnet , ist der Angeklagte hierdurch auch beschwert.
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b) Überdies hat das Landgericht § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB nicht beachtet. Nach dieser Vorschrift soll das Gericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt neben einer zeitigen Freiheitsstrafe von über drei Jahren bestimmen, dass ein Teil der Strafe vor der Maßregel zu vollziehen ist; dabei ist dieser Teil der Strafe so zu bemessen, dass nach seiner Vollziehung und einer anschließenden Unterbringung eine Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung nach § 67 Abs. 5 Satz 1 StGB möglich ist. Auch durch die Nichtanwendung von § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB ist der Angeklagte beschwert , weil die von § 67 Abs. 1 StGB abweichende Vollstreckungsreihenfolge auch der Sicherung des Therapieerfolges dient und bei dessen Eintritt die Möglichkeit besteht, dass der Angeklagte unter Anrechnung der Unterbringungsdauer schon zum Halbstrafenzeitpunkt entlassen wird (BGH, Beschl. vom 21. August 2007 - 3 StR 263/07; vgl. Fischer aaO § 67 Rdn. 10).
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4. Im Übrigen hat die revisionsrechtliche Prüfung des angefochtenen Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Dessen weitergehendes Rechtsmittel erweist sich daher als unbegründet.
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II. Revision der Staatsanwaltschaft
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1. Auch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall II 3, der zugehörigen Einzelstrafe und der Gesamtstrafe.
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a) Rechtsfehlerfrei ist zwar die Auffassung des Landgerichts, der Angeklagte habe sich durch die Verwahrung des Teils des Kokaingemischs, den seine Auftraggeber nach Abholung der Betäubungsmittel selbst gewinnbringend veräußern wollten, lediglich der Beihilfe zu deren Betäubungsmittelhandel in nicht geringer Menge schuldig gemacht.
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Für die Abgrenzung von Täterschaft und Teilnahme gelten auch im Betäubungsmittelrecht die Grundsätze des allgemeinen Strafrechts (BGHSt 51, 219, 221). Es bedarf einer wertenden Betrachtung aller von der Vorstellung der Beteiligten umfassten Umstände; wesentliche Kriterien können das eigene Interesse am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteiligung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille hierzu sein (Fischer aaO vor § 25 Rdn. 4 m. w. N.). Bei der Einbindung in Umsatzgeschäfte kommt es darauf an, welche Bedeutung der konkreten Beteiligungshandlung im Rahmen des Gesamtgeschäfts zukommt (BGH aaO S. 222 f.). Nicht ausschlaggebend ist die Frage der Entlohnung. Kann der Beteiligte, wie etwa ein reiner Kurier, auf das eigentliche Umsatzgeschäft keinen Einfluss nehmen, so ist er Gehilfe, auch wenn er für seine Tätigkeit entlohnt wird (BGH aaO S. 223).
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Nach diesen Maßstäben hat das Landgericht die Tathandlung des Angeklagten insoweit zutreffend nur als Beihilfe bewertet. Die dem Angeklagten obliegende kurzfristige Verwahrung war im Rahmen des von seinen Auftraggebern geplanten Verkaufs der Kokainmenge erkennbar von untergeordneter Bedeutung. In die Verkäufe selbst sollte der Angeklagte nicht eingebunden sein, Lieferanten und Abnehmer blieben ihm unbekannt. Auch ein eigenes Interesse des Angeklagten an der Veräußerung des Kokains bestand nicht, da die ihm zugesagte Entlohnung nicht von einem Verkaufserfolg abhängen sollte. Seine Stellung kam der eines reinen Kuriers gleich.

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b) Indes hat das Landgericht nicht bedacht, dass für das Handeltreiben mit Betäubungsmitteln schon deren absatzorientierte Beschaffung genügt. Der Tatbestand ist bereits dann erfüllt, wenn der Täter einen Dritten ernsthaft verpflichtet hat, ihm die zur Veräußerung bestimmten Betäubungsmittel zu liefern (Weber aaO Rdn. 343, 331). Dies kann hier hinsichtlich der dem Angeklagten versprochenen 25 Gramm des Kokaingemischs der Fall sein. Dass sich der Angeklagte diese versprechen ließ, um sie ganz oder teilweise zu veräußern, liegt nach den Feststellungen nahe. Hiermit hätte sich das Landgericht auseinandersetzen müssen.
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2. Ebenfalls auf die Revision der Staatsanwaltschaft aufzuheben ist der Strafausspruch im Übrigen. Die Zubilligung der Strafmilderung nach § 31 Nr. 1 BtMG ist nicht frei von Rechtsfehlern, die den Angeklagten begünstigen.
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Das Landgericht stellt fest, dass der Angeklagte die Zeugen H. und R. als Lieferanten des in den Fällen II 1 und 2 veräußerten und als Überbringer des im Fall II 3 verwahrten Kokains bezeichnet hat. Es hält diese Aussage insbesondere deshalb für glaubwürdig, weil beim Angeklagten kein Motiv erkennbar sei, die Zeugen zu Unrecht zu belasten. Selbst wenn Zweifel an der vollumfänglichen Richtigkeit der Darstellung des Angeklagten bestünden, ließen sich diese nicht zur sicheren Gewissheit der Strafkammer widerlegen.
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Dies lässt besorgen, dass das Landgericht die rechtlichen Anforderungen an die Feststellung eines Aufklärungserfolgs im Sinne von § 31 Nr. 1 BtMG verkannt hat. Ein Aufklärungserfolg setzt voraus, dass die Strafverfolgungsbehörden auf Grund der Angaben des Angeklagten abgesicherte Erkenntnisse zu Tatgenossen und deren Tatbeiträgen gewonnen haben. Für die Frage, ob ein Aufklärungserfolg vorliegt, kommt es entscheidend auf die Überzeugung des Tatrichters in der Hauptverhandlung an; der Zweifelssatz ist nicht anzuwenden (BGH NStZ 2003, 162 m. w. N.). Bei der Beurteilung der Glaubhaftigkeit der belastenden Aussage ist es regelmäßig ein wesentlicher Gesichtspunkt, ob sich der Angeklagte hierdurch in seinem Verfahren im Hinblick auf § 31 BtMG entlasten wollte (vgl. Weber, BtMG 3. Aufl. § 31 Rdn. 142 m. w. N.).
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Damit, dass ein Bemühen um Strafmilderung Beweggrund des Angeklagten für die Belastung der Zeugen gewesen sein könnte, hat sich das Landgericht indes nicht auseinandergesetzt. Naheliegend wäre dies auch deshalb gewesen , weil die weiteren Darlegungen ohnehin auf Zweifel des Landgerichts an der Glaubhaftigkeit der Aussage schließen lassen. Solche Zweifel hätten auch schon für sich die Feststellung eines Aufklärungserfolgs ausgeschlossen.
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3. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt gemäß § 301 StPO weiter zur Aufhebung des Urteils im Ausspruch über die Maßregel, da die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt rechtsfehlerhaft ist (oben I. 3.).
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Ihr Rechtsmittel erfasst - auch wenn es, wie der Vertreter der Bundesanwaltschaft in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat ausgeführt hat, auf das Fehlen einer Entscheidung zur Vollstreckungsreihenfolge beschränkt sein sollte - die Anordnung der Maßregel insgesamt; die Beschränkung auf die unterbliebene Entscheidung über die Reihenfolge der Vollstreckung gemäß § 67 Abs. 2 Satz 2 StGB wäre nicht wirksam, da nach den tatrichterlichen Feststellungen schon Zweifel blieben, ob beim Angeklagten der Hang besteht, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen (vgl. BGH NStZ-RR 2009, 48).
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4. Schließlich hat die Revision der Staatsanwaltschaft Erfolg, soweit das Landgericht von der Anordnung des Verfalls von Wertersatz abgesehen hat.
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Das Landgericht hat dies damit begründet, dass der Wert des Erlangten im Vermögen des Betroffenen nicht mehr vorhanden ist (§ 73 c Abs. 1 Satz 2 StGB). Im Gegensatz dazu hat es an anderer Stelle im Urteil ausdrücklich festgestellt , dass beim Angeklagten eine erhebliche Summe Bargeld in szenetypischer Stückelung sichergestellt worden sei.
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III. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:
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1. Hinsichtlich der dem Angeklagten versprochenen Teilmenge aus dem verwahrten Kokaingemisch (oben II. 1. b) sind mehrere Fallgestaltungen denkbar.
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a) Schiede insoweit nach den neuen Feststellungen ein Handeltreiben des Angeklagten aus, bliebe Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG; die Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge stünde hiermit in Tateinheit. Eine Verurteilung allein wegen Beihilfe zum Handeltreiben würde den Unrechtsgehalt der Tat nicht erschöpfen, weil darin nicht zum Ausdruck käme, dass der Angeklagte die Verfügungsmacht über das Betäubungsmittel innehatte (Weber aaO § 29 Rdn. 1244 m. w. N.).
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b) Hätte der Angeklagte mit einer Menge Handel getrieben, welche die Qualifikation des § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG nicht erreicht, träte zum Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nebst Beihilfe zum Betäubungsmittelhandel in nicht geringer Menge tateinheitlich ein Handeltreiben mit Betäu- bungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 (i. V. m. Abs. 3 Satz 2 Nr. 1) BtMG hinzu. Hinter andere, nicht zum Verbrechen aufgestufte Begehungsformen tritt der Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG nicht zurück (Weber aaO § 29 a Rdn. 170 m. w. N.).
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c) Hätte der Angeklagte dagegen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben, bestünde zwar Tateinheit mit einer Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, da jeweils ein anderer Teil der Gesamtmenge betroffen wäre. Indes träte der Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zurück; im Verhältnis zu anderen Begehungsformen , die ihrerseits Verbrechen sind, bleibt der Besitz Auffangtatbestand , weil er gegenüber den anderen Alternativen des § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BtMG geringeren Unrechtsgehalt aufweist (Weber aaO § 29 Rdn. 1249 f.; § 29 a Rdn. 172 jew. m. w. N.).
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2. Bewaffnetes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30 a Abs. 2 Nr. 2 BtMG setzt ein Mitsichführen des Gegenstands , also dessen Griffnähe voraus. Wird der Gegenstand, wie hier der Schreckschussrevolver, in einem anderen Raum in einem Behältnis verwahrt, ist Griffnähe nicht ohne weiteres gegeben; es bedarf einer konkreten Darlegung der räumlichen Verhältnisse (BGH NStZ 2000, 433). Einen mitgeführten Gegenstand , der keine Schusswaffe ist, muss der Täter zur Verletzung von Per- sonen bestimmt haben. Dies ist hinsichtlich des Klappmessers nicht festgestellt; bei einem Messer der beschriebenen Art liegt dies auch nicht so nahe, dass auf Ausführungen dazu verzichtet werden könnte (vgl. BGHSt 43, 266, 267 f.).
VRiBGH Becker Sost-Scheible und RiBGH von Lienen befinden sich im Urlaub und sind daher gehindert zu unterschreiben. Sost-Scheible Schäfer Mayer

(1) Mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren wird bestraft, wer Betäubungsmittel in nicht geringer Menge unerlaubt anbaut, herstellt, mit ihnen Handel treibt, sie ein- oder ausführt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1) und dabei als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden hat.

(2) Ebenso wird bestraft, wer

1.
als Person über 21 Jahre eine Person unter 18 Jahren bestimmt, mit Betäubungsmitteln unerlaubt Handel zu treiben, sie, ohne Handel zu treiben, einzuführen, auszuführen, zu veräußern, abzugeben oder sonst in den Verkehr zu bringen oder eine dieser Handlungen zu fördern, oder
2.
mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel treibt oder sie, ohne Handel zu treiben, einführt, ausführt oder sich verschafft und dabei eine Schußwaffe oder sonstige Gegenstände mit sich führt, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind.

(3) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren.