Bundesgerichtshof Urteil, 20. Nov. 2019 - 2 StR 175/19

bei uns veröffentlicht am20.11.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 175/19
vom
20. November 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
hier: Revision der Nebenklägerin A. B.
ECLI:DE:BGH:2019:201119U2STR175.19.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 20. November 2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Franke,
die Richter am Bundesgerichtshof Dr. Appl, Zeng, Dr. Grube, Schmidt,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt als Verteidiger,
Rechtsanwältin als Vertreterin der Nebenklägerin A. B. ,
Rechtsanwalt als Vertreter des Nebenklägers H. G. ,
die Nebenklägerin G. A. – in Person –,
Rechtsanwalt als Vertreter der Nebenklägerin G. A. ,
die Nebenklägerin B. G. – in Person –,
Amtsinspektorin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Nebenklägerin A. B. wird das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 29. August 2018 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision der Nebenklägerin, mit der sie eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes erstrebt. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen war der kurdisch-stämmige Angeklagte, verheiratet und Vater von fünf Kindern, unzufrieden und gelangweilt in seiner Ehe, weswegen er stets auf der Suche nach Flirts und Affären war. So lernte er im April 2017 das spätere Tatopfer, die selbstbewusste, weltoffene und ihm intellektuell überlegene, ebenfalls kurdisch-stämmige S. G. kennen. Diese hatte sich nach zwanzig Ehejahren von ihrem Ehemann einvernehmlich getrennt und wohnte mit ihren drei Töchtern in F. . Mit der Zeit entwickelte sich die Affäre zwischen dem Angeklagten und S. G. zu einer echten Liebesbeziehung. Während die Familie des Angeklagten von dem Verhältnis zunächst keine Kenntnis hatte, stand die Familie der S. G. dem Angeklagten wegen dessen „bestimmerischen Art“ ablehnend gegenüber. Überschattet war die Beziehung zudem von der extremen – grundlosen – Eifersucht des Angeklagten, der S. G. misstraute und deshalb u.a. ihren Chat-Verkehr nahezu rund um die Uhr überwachte, um ihr dann entsprechende Vorhaltungen und Vorwürfe zu machen. Spätestens im August 2017 zweifelte S. G. , die sich überwacht und eingeengt fühlte, ob der Angeklagte wirklich der richtige Partner für sie sein könne.
3
Am 20. August 2017 kam es im Pkw des Angeklagten auf einem Waldparkplatz zu einer – wiederholten – Aussprache über ihre Beziehung. Als S. G. dem Angeklagten vorhielt, krankhaft eifersüchtig zu sein und ankündigte , die Beziehung beenden sowie eventuell zu ihrem Ehemann zurückkehren zu wollen, kam es zunächst zu einer lautstarken verbalen Auseinandersetzung. Voller Wut gab der Angeklagte der Geschädigten sodann eine Backpfeife, die diese erwiderte, indem sie zurückschlug. Der schwer gekränkte Angeklagte würgte nunmehr die Geschädigte, bis sie verstarb. Dabei handelte er spontan und ungeplant in einer durch Verzweiflung, Ausweglosigkeit und Hoffnungslosigkeit geprägten Gefühlslage vor dem Hintergrund seiner Angst, Eifersucht, Trauer und seiner Zerrissenheit. Anschließend zog er die Leiche aus dem Auto in einen Straßengraben und bedeckte sie mit Sträuchern, bevor er nach Frankreich floh, wo er am 26. August 2017 aufgrund eines Europäischen Haft- befehls festgenommen und von wo er am 14. September 2017 nach Deutschland ausgeliefert wurde.
4
2. Die Schwurgerichtskammer vermochte nicht die Überzeugung zu gewinnen , dass der Angeklagte die Geschädigte heimtückisch, zur Verdeckung einer Straftat oder aus niedrigen Beweggründen tötete.

II.

5
Die Revision der Nebenklägerin A. B. ist zulässig.
6
Der auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revisionsbegründung ist hinreichend deutlich zu entnehmen, dass die Nebenklägerin mit ihrem Rechtsmittel nicht nur – was unzulässig wäre – eine höhere Strafe, sondern in zulässiger Weise eine Verurteilung des Angeklagten wegen Mordes erstrebt und dieses Anfechtungsziel auch mit ihrer nicht näher ausgeführten Sachrüge verfolgt.
7
Die Rüge ist auch begründet.
8
1. Die Rüge der Verletzung der Aufklärungspflicht mit dem Ziel einer Verurteilung wegen Mordes ist aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts unzulässig im Sinne des § 344 Abs. 2 StPO.
9
2. Die Rüge der Verletzung materiellen Rechts führt zur Aufhebung des Urteils mit den zugrundeliegenden Feststellungen.
10
Das Nichtvorliegen niedriger Beweggründe hat die Schwurgerichtskam- mer damit begründet, es bleibe „maßgeblich für den (nicht ausschließbar) spon- tanen Tatentschluss, die S. G. zu töten, ein Motivbündel aus Angst, Eifersucht, Trauer, Hilflosigkeit, Verzweiflung und [innerer] Zerrissenheit, sich zwischen seiner Familie und seiner großen Liebe zu entscheiden zu müssen“ (UA S. 40).
11
Welches dieser Motive handlungsleitend gewesen sei, vermochte das Landgericht nicht festzustellen. Die dem zugrunde liegende Beweiswürdigung begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken:
12
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, juris Rn. 9 mwN). Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, juris Rn. 8). Die revisionsgerichtliche Prüfung erstreckt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 21. August 2019 – 1 StR 218/19; Senat, Urteil vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16, juris Rn. 20; BGH, Urteil vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16, juris Rn. 9). Dabei muss sich aus den Urteilsgründen ergeben, dass die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, für die es weder eine belastbare Tatsachengrundlage noch einen gesicherten Erfahrungssatz gibt (vgl. Senat, Beschluss vom 8. November 1996 – 2 StR 534/96, juris Rn. 9; BGH, Urteil vom 27. April 2017 – 4 StR 434/16, juris Rn. 8).
13
b) Nach diesen Maßstäben hält die Beweiswürdigung zur Tatmotivation des Angeklagten sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
14
aa) Der Angeklagte hat in seinem in der Hauptverhandlung am 22. August 2018 abgelegten, vom Landgericht als glaubhaft bewerteten Geständnis gerade nicht vorgebracht, die Getötete aus Angst, Eifersucht, Trauer, Hilflosigkeit, Verzweiflung und innerer Zerrissenheit erwürgt zu haben. Er hat vielmehr geschildert, die Auseinandersetzung habe damit begonnen, dass die – wegen von ihm vermuteter Sexualkontakte zu anderen Männern zur Rede gestellte – S. G. ihm eröffnet habe, sich von ihm eingeengt zu fühlen und zu erwägen, zu ihrem Ehemann zurückzukehren. Deswegen sei er sehr wütend geworden und habe ihr vorgeworfen, dass er ihretwegen Frau und Kinder aufgegeben habe. Sie hingegen habe ihn angeschrien, was er denke, wer er sei. Es sei ihre Entscheidung , mit wem sie zusammen sei. Er sei ehrlos und seine Frau habe ihn bestimmt verlassen, weil er krankhaft eifersüchtig sei. Durch diese Äußerungen habe er sich sehr gekränkt gefühlt und ihr eine Backpfeife verpasst. Sie habe zurückgeschlagen. Es sei ein Hin und Her entstanden. Plötzlich habe er ihr mit seinen Händen den Hals zugedrückt.
15
bb) Diese Einlassung drängte zu der naheliegenden Schlussfolgerung, dass der Angeklagte die Getötete aus denselben Beweggründen erwürgte, aus denen heraus er ihr unmittelbar zuvor eine Backpfeife versetzt hatte, nämlich aus Wut und aus Kränkung aufgrund ihrer Äußerungen. Das Landgericht hat es versäumt, diese sich aufdrängende Motivlage in seine Erwägungen einzubeziehen. Die Beweiswürdigung bleibt infolge dieses Erörterungsmangels lückenhaft.
16
cc) Es ist nicht auszuschließen, dass die Schwurgerichtskammer bei rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung zu der Überzeugung gelangt wäre, dass der Angeklagte aus Wut und Kränkung den Entschluss fasste, S. G. zu erwürgen. Auch unter Berücksichtigung des dem Tatrichter insoweit zustehenden Beurteilungsspielraums ist es nicht auszuschließen, dass das Landgericht einen solchen Handlungsantrieb als niedrigen Beweggrund im Sinne des § 211 Abs. 2 StGB bewertet hätte, zumal der Angeklagte angesichts seines eigenen Verhaltens keinen nachvollziehbaren Anlass hatte, sich gekränkt zu fühlen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. September 2019 ‒ 5 StR 399/19).
17
3. Um dem neu zur Entscheidung berufenen Tatrichter eine umfassende, in sich stimmige Beurteilung der subjektiven Tatseite zu ermöglichen, hebt der Senat das gesamte Urteil mit den Feststellungen auf.
18
Der neue Tatrichter wird zudem den Anrechnungsmaßstab für die in dieser Sache in Frankreich erlittene Auslieferungshaft zu bestimmen haben.
Franke Appl Zeng Grube Schmidt

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Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafgesetzbuch - StGB | § 211 Mord


(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft. (2) Mörder ist, wer aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitt

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(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

9
1. Das Revisionsgericht hat es regelmäßig hinzunehmen, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, denn die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1966 – 1 StR 305/66, BGHSt 21, 149, 151). Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (vgl. BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78, BGHSt 29, 18, 20). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 18. Januar 2011 – 1 StR 600/10, NStZ 2011, 302; vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97, BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 16). Insbesondere sind die Beweise erschöpfend zu würdigen (BGH, Beschluss vom 7. Juni 1979 – 4 StR 441/78 aaO). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 2012 – 4 StR 360/12, NStZ 2013, 180). Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 – 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind (vgl. BGH, Urteile vom 6. November 1998 – 2 StR 636/97 aaO; vom 26. Juni 2003 – 1 StR 269/02, NStZ 2004, 35, 36). Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. BGH, Urteile vom 17. Juli 2014 – 4 StR 129/14 Rn. 7; vom 18. August 2009 – 1 StR 107/09, NStZ-RR 2010, 85, 86; vom 21. Oktober 2008 – 1 StR 292/08, NStZ-RR 2009, 90, 91).
8
a) Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht vorbehalten (§ 261 StPO). Spricht das Tatgericht einen Angeklagten frei, weil es Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies vom Revisionsgericht grundsätzlich hinzunehmen, da die Beweiswürdigung Sache des Tatgerichts ist. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr., vgl. etwa BGH, Urteil vom 10. Dezember 2014 – 5 StR 136/14 mwN). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87; Sander in LR-StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 182 mwN).

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 218/19
vom
21. August 2019
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge
ECLI:DE:BGH:2019:210819U1STR218.19.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. August 2019, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum,
der Richter am Bundesgerichtshof Bellay, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Hohoff, der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Leplow und die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Pernice,
Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger des Angeklagten B. ,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung –, Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger des Angeklagten K. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München II vom 26. November 2018, soweit es die Angeklagten B. und K. betrifft, im Strafausspruch mit den Feststellungen zur subjektiven Tatseite hinsichtlich des Umfangs der Betäubungsmittelmenge aufgehoben.
Die weitergehenden Revisionen der Staatsanwaltschaft werden verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die Revisionen der Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil werden verworfen.
Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagten B. und K. der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen und den Angeklagten B. zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und den Angeklagten K. zu einer solchen von vier Jahren verurteilt. Dagegen richten sich die auf die Sachrüge gestützten Revisionen der Angeklagten, die ohne Erfolg bleiben. Die zuungunsten der Angeklagten eingelegten und auf sachlich-rechtliche Einwendungen gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft haben in dem aus der Urteilsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen veräußerte der nicht revidierende Mitangeklagte Ba. Ende August/Anfang September 2017 über einen unbekannten Mittelsmann mit dem Namen „G. “, der die Verkaufsverhandlungen führte, ca. 50 Kilogramm Marihuana an einen oder mehrere unbekannte Abnehmer. Zur Übergabe der Betäubungsmittel fuhr der Mitangeklagte Ba. am 1. September 2017 mit einem Pkw Toyota, dessen Kofferraum vollständig bis zur Höhe der Kofferraumabdeckung mit Marihuanapaketen gefüllt war, Richtung M. . Der Mitangeklagte wurde auf einem in der Ferienzeit wenig frequentierten Schulparkplatz in O. von den Angeklagten B. und K. , die mit einem gemieteten Pkw A1 fuhren, in Empfang genommen. Beide sollten den Mitangeklagten Ba. sodann zu dem eigentlichen Übergabeortund den unbekannt gebliebenen Abnehmern in A. geleiten. Die Angeklagten B. und K. hatten sich zu dieser Unterstützungsleistung gegenüber einem ihnen vertrauten – unbekannt gebliebenen – Hintermann bereit erklärt. Als die Angeklagten sich in das Fahrzeug des Mitangeklagten Ba. Begeben hatten, wurden sie von der Polizei festgenommen. Das im Pkw Toyota transportierte Marihuana – insgesamt 47,95 Kilogramm mit einer Reinmenge von 5,27 Kilogramm THC – wurde sichergestellt.
3
Die Angeklagten B. und K. wussten, dass in dem Pkw Toyota Marihuana zum gewinnbringenden Weiterverkauf transportiert wird. Die konkrete Menge des transportierten Rauschgifts war den Angeklagten B. und

K.

nicht bekannt. Sie rechneten damit, dass es eine Menge von bis zu zehn Kilogramm war; von einer größeren Menge als zehn Kilogramm gingen beide nicht aus und nahmen eine solche Menge auch nicht in Kauf.
4
2. Das Landgericht hat angenommen, die Angeklagten seien nicht die Endabnehmer des von dem Mitangeklagten Ba. nach O. transportierten Marihuanas, und hat sie der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen. Die Strafkammer hat zudem einen bedingten Vorsatz der Angeklagten hinsichtlich der tatsächlich transportierten Gesamtmenge verneint und für den Schuldumfang lediglich auf eine Menge von zehn Kilogramm Marihuana abgestellt.

II.

5
Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet. Die Nachprüfung des Urteils deckt keine die Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.

III.

6
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft haben hinsichtlich der jeweiligen Strafaussprüche Erfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet.
7
1. Die Schuldsprüche der Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge halten rechtlicher Überprüfung stand. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich der Annahme einer Beihilfe der Angeklagten zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ist rechtlich nicht zu beanstanden.
8
a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14 Rn. 9 mwN). Das Revisionsgericht hat die tatrichterliche Beweiswürdigung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14 Rn. 8). Die revisionsgerichtliche Prüfung erstreckt sich allein darauf , ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlichrechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteile vom 1. Februar 2017 – 2 StR 78/16 Rn. 20 und vom 13. Juli 2016 – 1 StR 94/16 Rn. 9). Dabei muss sich aus den Urteilsgründen ergeben, dass die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, für die es weder eine belastbare Tatsachengrundlage noch einen gesicherten Erfahrungssatz gibt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 1996 – 2 StR 534/96 Rn. 9; Urteil vom 27. April 2017 – 4 StR 434/16 Rn. 8).
9
b) Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist – entgegen der Auffassung der Revision – nicht bereits deshalb lückenhaft und damit durchgreifend rechtsfehlerhaft , weil es an einer Darstellung der Einlassungen der Angeklagten fehlt (zu dem Erfordernis der Wiedergabe der Einlassung in den Urteilsgründen vgl.
BGH, Beschlüsse vom 27. September 2017 – 4 StR 142/17 Rn. 5 ff.; vom 30. Dezember 2014 – 2 StR 403/14 Rn. 3 und vom 10. Dezember 2014 – 3 StR 489/14 Rn. 5). Die Strafkammer hat die am letzten Hauptverhandlungstag abgegebenen Einlassungen der Angeklagten eingangs der Beweiswürdigung zusammengefasst dargestellt. Auch die früheren – teilweise abweichenden – Einlassungen der Angeklagten sind den Urteilsgründen in ausreichendem Umfang zu entnehmen.
10
c) Nach den zuvor genannten Maßstäben ist zudem die tatrichterliche Beweiswürdigung dahingehend, die Angeklagten seien nicht die Empfänger des in dem Pkw Toyota transportierten Marihuanas gewesen, sondern hätten nur Lotsenfunktion wahrgenommen und seien daher lediglich als Gehilfen anzusehen , nicht zu beanstanden. Das Landgericht hat sich mit allen für diese Frage relevanten Umständen auseinandergesetzt und es vor diesem Hintergrund nicht als erwiesen angesehen, dass die Angeklagten auch Empfänger des Rauschgifts waren, was zumindest einen möglichen Schluss beinhaltet. Diese tatsächliche Würdigung, die dem Tatrichter obliegt, ist vom Revisionsgericht hinzunehmen.
11
d) Da der Umfang des transportierten Rauschgifts – auf der Grundlage der insoweit rechtsfehlerfreien Feststellungen des Landgerichts, die maßgeblich auf (Teil-)Geständnisse der Angeklagten gestützt sind – nach der Vorstellung der Angeklagten jedenfalls zehn Kilogramm und damit eine nicht geringe Menge im Sinne von § 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG umfasste, haben die Schuldsprüche der Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Bestand.
12
2. Die jeweiligen Strafaussprüche sind hingegen aufzuheben, da das Landgericht den Schuldumfang rechtsfehlerhaft bestimmt hat. Die Beweiswür- digung zur subjektiven Tatseite hält hinsichtlich der tatsächlichen Menge des transportierten Rauschgifts rechtlicher Überprüfung nicht stand.
13
a) Für die Annahme bedingten Vorsatzes bezüglich der transportierten Menge gilt für einen Drogenkurier, der dem vorliegenden Fall eines Lotsen für das Drogenfahrzeug vergleichbar ist, nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Folgendes: Ein Kurier, der sich zum Transport von Betäubungsmitteln bereit erklärt und weder auf die Menge des ihm übergebenen Rauschgifts Einfluss nehmen noch diese Menge überprüfen kann, wird in der Regel damit rechnen müssen, dass ihm mehr Rauschgift zum Transport übergeben wird, als man ihm offenbart hat. Das gilt jedenfalls dann, wenn zwischen ihm und seinem Auftraggeber kein persönliches Vertrauensverhältnis besteht. Ist ihm bei dieser Sachlage die tatsächliche Menge der Betäubungsmittel gleichgültig, so handelt er mit bedingtem Vorsatz bezüglich der tatsächlich transportierten Gesamtmenge (vgl. BGH, Urteile vom 5. Juli 2017 – 2 StR 110/17 Rn. 8 und vom 21. April 2004 – 1 StR 522/03 Rn. 10; Beschluss vom 31. März 1999 – 2 StR 82/99 Rn. 6).
14
Von diesen Maßstäben ist auch das Landgericht ausgegangen. Die Beweiserwägungen lassen allerdings den von der Strafkammer gezogenen Schluss nicht zu, die Angeklagten hätten allenfalls mit einer Marihuanamenge bis zu zehn Kilogramm gerechnet. Diese Schlussfolgerung stellt sich im Ergebnis daher lediglich als Vermutung dar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Angeklagten allein Lotsendienste wahrgenommen haben. Vor diesem Hintergrund kann aus dem Umstand, dass die Angeklagten selbst in der Vergangenheit mit deutlich geringeren Betäubungsmittelmengen Handel trieben – der Angeklagte B. mit einer Menge von einem Kilogramm und der Angeklagte K. mit bis zu drei Kilogramm Marihuana –, kein Rückschluss auf die Menge Rauschgift gezogen werden, mit denen der Mitangeklagte Ba. oder der unbekannte Abnehmer , und damit für die Angeklagten dritte Personen, Handel trieben. Auch der Umstand, dass der Auftraggeber dem Angeklagten K. nach dessen Einlassung versichert haben soll, bei Begehung der Tat keine größeren Probleme im Rahmen seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt zu bekommen, ist für die Frage des Vorsatzes hinsichtlich der Mehrmenge ohne Bedeutung. Denn dass jedes Drogengeschäft, das eine nicht geringe Menge an Betäubungsmitteln zum Gegenstand hat, für die weitere Therapie von Relevanz ist, liegt auf der Hand. Anders als die Strafkammer meint, kommt es für die Frage des Vorsatzes auch nicht maßgeblich darauf an, ob ein besonderes Vertrauensverhältnis zwischen den Angeklagten und ihrem Auftraggeber bestand. Ein solches erlangt nach der Rechtsprechung als Umstand, der gegen einen bedingten Vorsatz (des Drogenkuriers) sprechen könnte, lediglich dann Bedeutung, wenn der Auftraggeber den Angeklagten konkrete Angaben zur Menge des transportierten Rauschgifts gemacht hätte und die Angeklagten wegen des Vertrauensverhältnisses auf dessen Angaben hätten vertrauen dürfen, was jedoch nicht festgestellt ist. Soweit das Landgericht in der Beweiswürdigung anführt, der vernommene Kriminalbeamte Kr. habe den Eindruck gewonnen, der Angeklagte K. sei aufrichtig schockiert gewesen, als er erfuhr, dass der gesamte Kofferraum randvoll mit Marihuanapaketen beladen war, vermag dieser Umstand allein und ohne weitere Würdigung die Ablehnung eines bedingten Vorsatzes hinsichtlich der Mehrmenge nicht ohne weiteres zu tragen, zumal das Landgericht sich auf diesen Gesichtspunkt erkennbar nicht maßgeblich gestützt hat. Es kann in diesem Zusammenhang aber auch Bedeutung erlangen, dass – wie das Landgericht zugleich ausgeführt hat – der Angeklagte K. in dieser Situation abgestrit- ten habe, überhaupt von dem Betäubungsmittel im Pkw Kenntnis zu haben (UA S. 34).
15
b) Da der Senat nicht sicher auszuschließen vermag, dass die Strafe ohne den rechtlichen Mangel im Blick auf die erheblichen Mengenunterschiede (vorgestellte Menge: zehn Kilogramm; tatsächlich transportierte Menge: fast 50 Kilogramm Marihuana) höher ausgefallen wäre, sind die jeweiligen Strafaussprüche aufzuheben. Insoweit ist auch von Bedeutung, dass – soweit hinsichtlich der Mehrmenge lediglich Fahrlässigkeit der Angeklagten feststellbar ist – diese Menge gleichwohl als tatschulderhöhend gewertet und mithin strafschärfend berücksichtigt werden könnte (vgl. BGH, Urteil vom 21. April 2004 – 1 StR 522/03 Rn. 13). Die Feststellungen des Landgerichts zur subjektiven Tatseite hinsichtlich des Umfangs der Betäubungsmittel sind gemäß § 353 Abs. 2 StPO aufzuheben, da sie von dem Rechtsfehler betroffen sind. Die übrigen Feststellungen haben Bestand. Das neue Tatgericht kann ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen dürfen.
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20
Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters (§ 261 StPO). Ihm obliegt es, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein, es genügt, dass sie möglich sind (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148 mwN). Es kommt nicht darauf an, ob das Revisionsgericht angefallene Erkenntnisse anders gewürdigt oder Zweifel überwunden hätte. Vielmehr hat es die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen , wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteil vom 24. März 2015 – 5 StR 521/14, NStZ-RR 2015, 178, 179). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen die Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 1. Juni 2016 – 1 StR 597/15, Rn. 27, zit. nach juris, mwN [insoweit in NStZ-RR 2016, 272 nicht abgedruckt]). Das Urteil muss erkennen lassen, dass der Tatrichter solche Umstände, die geeignet sind, die Entscheidung zu Gunsten oder zu Ungunsten des Angeklagten zu beeinflussen , erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Aus den Urteilsgründen muss sich ferner ergeben, dass die einzelnen Beweisergebnisse nicht nur isoliert gewertet, sondern in eine umfassende Gesamtwürdigung eingestellt wurden (st. Rspr.; vgl. nur Senat, Urteil vom 23. Juli 2008 – 2 StR 150/08, NJW 2008, 2792, 2793 mwN). Rechtsfehlerhaft ist eine Beweiswürdigung schließlich dann, wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt worden sind. Dabei ist es weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten von Annahmen aus- zugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte erbracht hat (vgl. etwa Senat, Urteil vom 22. September 2016 – 2 StR 27/16, Rn. 26, zit. nach juris mwN).
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a) Die Beweiswürdigung ist dem Tatgericht vorbehalten (§ 261 StPO). Es obliegt allein ihm, sich unter dem umfassenden Eindruck der Hauptverhandlung ein Urteil über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten zu bilden. Seine Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend zu sein; es genügt, dass sie möglich sind (siehe nur BGH, Beschlüsse vom 7. August 2014 – 3 StR 224/14 Rn. 5 [in NStZ-RR 2014, 349 nur redaktioneller Leitsatz] und vom 25. Februar 2015 – 4 StR 39/15 Rn. 2 [NStZ-RR 2015, 180 nur redaktioneller Leitsatz]). Der Beur- teilung durch das Revisionsgericht unterliegt nur, ob dem Tatgericht Rechtsfeh- ler unterlaufen sind. Das ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich , unklar oder lückenhaft ist, wenn sie gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder das Gericht überspannte Anforderungen an die Überzeugungsbildung gestellt hat (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 10. Dezember 2014 – 5 StR 136/14 mwN und vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15, Rn. 18; BGH, Beschluss vom 25. Februar 2015 – 4 StR 39/15 Rn. 2 [NStZ-RR 2015, 180 nur redaktioneller Leitsatz]). Dabei hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung selbst dann hinzunehmen, wenn eine andere Beurteilung näher gelegen hätte oder überzeugender gewesen wäre (vgl. BGH, Urteile vom 5. Dezember 2013 – 4 StR 371/13, NStZ-RR 2014, 87 und vom 15. Dezember 2015 – 1 StR 236/15 Rn. 18; siehe auch BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – 4 StR 569/15 Rn. 26; Sander in LR-StPO, 26. Aufl., § 261 Rn. 182 mwN). Die Überzeugung des Tatgerichts muss in den Feststellungen und der diesen zugrunde liegenden Beweiswürdigung allerdings eine ausreichende objektive Grundlage finden (BGH, Urteil vom 19. April 2016 – 5 StR 594/15 Rn. 6; vgl. auch BGH, Beschluss vom 22. August 2013 – 1 StR 378/13, NStZ-RR 2013, 387, 388). Es ist im Fall einer Verurteilung des Angeklagten grundsätzlich verpflichtet, die für den Schuldspruch wesentlichen Beweismittel im Rahmen seiner Beweiswürdigung heranzuziehen und einer erschöpfenden Würdigung zu unterziehen (vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 20. März 2002 – 5 StR 448/01 und vom 25. Februar 2015 – 4 St4 StR 39/15 Rn. 2 [NStZ-RR 2015, 180 nur redaktioneller Leitsatz]).
8
a) Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit des Richters setzt objektive Grundlagen voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 1996 – 2 StR 534/96, BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 26). Die Beweiswürdigung muss deshalb auf einer tragfähigen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage unter vollständiger Ausschöpfung des verfügbaren Beweismaterials beruhen. Dies ist in den Urteilsgründen in einer dem Erfordernis der rationalen Nachvollziehbarkeit der Beweiswürdigung entsprechenden Weise darzulegen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Oktober 2013 – 4 StR 135/13, NStZ-RR 2014, 15; Urteil vom 17. Juli 2007 – 5 StR 186/07, NStZ-RR 2008, 148, 149 f.). Diese müssen ergeben, dass alle Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, in die Beweiswürdigung einbezogen worden sind (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 159 f.; Miebach in MüKo-StPO, § 261 Rn. 108 mwN) und gezogene Schlussfolgerungen nicht lediglich Vermutungen sind, für die es weder eine belastbare Tatsachengrundlage noch einen gesicherten Erfahrungssatz gibt (vgl. BGH Beschluss vom 8. November 1996 – 2 StR 534/96, BGHR StPO § 261 Überzeugungsbildung 26). Die Wiedergabe einer bestimmten Zeugenaussage und de- ren Würdigung sind danach geboten, wenn sich deren Erörterung als wesentlicher Gesichtspunkt aufdrängte (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1982 – 3 StR 453/82, NStZ 1983, 133).

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 399/19
vom
12. September 2019
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:120919B5STR399.19.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 12. September 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 10. April 2019, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, mit den Feststellungen aufgehoben; ausgenommen hiervon bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Bedrohung in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte seit Herbst 2017 mit der Zeugin H. liiert, die ab dem Jahreswechsel 2017/2018 überwiegend bei ihm wohnte. Die Zeugin war seit vielen Jahren mit dem später Geschädigten S. K. eng befreundet und stellte ihm in der Zeit ihrer Abwesenheit ihre Wohnung zur Verfügung. Auch der Angeklagte lernte so den Zeugen K. kennen. Beide kamen zunächst gut miteinander aus und absolvierten einen gemeinsamen Montageeinsatz in Frankreich. Zwischen beiden ergaben sich nicht näher aufklärbare finanzielle Verflechtungen, die zumindest ein wechselseitiges Sich-Aushelfen mit Geld und den Verkauf einer Play-Station zum Gegenstand hatten.
3
Ende Mai 2018 kühlte sich das Verhältnis zwischen dem Angeklagten und der Zeugin H. einerseits sowie andererseits dem Zeugen K. merklich ab. Gegenüber dem Zeugen K. schlug es schließlich in Verachtung und Feindseligkeit um. Grund hierfür war, dass der Angeklagte vom Zeugen 200 bis 500 Euro forderte, die dieser nicht bezahlte. Unabhängig von der objektiven Berechtigung dieser Forderung, lebte der Angeklagte jedenfalls in der Vorstellung, der Zeuge K. schulde ihm noch dieses Geld. Zudem nahm der Angeklagte an, der Zeuge habe eine sexuelle Beziehung zur Zeugin H. , zumal da er nach wie vor deren Wohnung nutzte. Der Angeklagte wurde zunehmend eifersüchtig und fand sich in seinem Verdacht bestätigt, als er in der Wohnung der Zeugin ein benutztes Kondom entdeckte. Als der Zeuge anfing , den Kontakt mit dem Angeklagten zu meiden und eine Nachfrage wegen des Geldes unbeantwortet zu lassen, gelangte der Angeklagte zur Auffassung, er werde von dem Zeugen „auf ganzer Linie für dumm verkauft“ und entschloss sich, sich dies auf keinen Fall gefallen zu lassen, sondern seine Interessen mit Nachdruck durchzusetzen.
4
Der Angeklagte bedrohte den Zeugen zwischen dem 21. Juni und 2. Juli 2018 mit acht, teilweise im Minutenabstand gesendeten Textnachrichten, damit dieser die finanziellen Forderungen doch noch erfülle. Der Zeuge reagierte auf die Drohnachrichten nicht und leistete insbesondere nicht die vom Angeklagten beanspruchte Zahlung. Der Angeklagte kam resignierend zu der Erkenntnis , dass es ihm mit dieser Methode nicht gelingen werde, den Zeugen zur Zahlung zu bringen; er nahm von weiteren Drohungen Abstand. An seiner Wut wegen der unerledigten finanziellen Forderungen und der vermuteten sexuellen Beziehung zwischen dem Zeugen und der Zeugin H. änderte sich nichts.
5
Am 1. September 2018 sah der unter dem Einfluss von Alkohol und Betäubungsmitteln stehende Angeklagte, der mit dem Fahrrad unterwegs war, wie der Zeuge K. einkaufen ging und rief im die Worte „S. , du Rattenassi!“ zu. Der Zeuge, der nun einen Angriff des Angeklagten befürchtete, ging beschleunigten Schrittes zum Einkaufsmarkt. Spätestens in diesem Moment verdichtete sich die bei dem Angeklagten ohnehin bestehende Wut auf den Zeugen und seine latente Bereitschaft, dem Zeugen sein vermeintliches Fehlverhalten heimzuzahlen, zu dem Entschluss eines handgreiflichen Angriffs. Der Angeklagte klappte ein mitgeführtes Messer auf, fuhr hinter dem Zeugen her und stach ihm mit bedingtem Tötungsvorsatz von hinten knapp unterhalb der Nieren in den Rücken. Die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war dabei durch das Zusammenwirken einer Impulskontrollstörung mit dem Alkohol- und Betäubungsmittelkonsum nicht ausschließbar erheblich vermindert. Das Messer blieb stecken und der Zeuge ging durch die Wucht des Stiches zu Boden. Der vom Fahrrad gestiegene Angeklagte ging zu dem am Boden liegenden Zeugen. Als dieser sich plötzlich erhob und wegrannte, folgte ihm der Angeklagte zu Fuß, konnte ihn aber nicht einholen, weshalb er schließlich von der weiteren Verfolgung Abstand nahm. Durch den Stich kam es zu einer Verletzung des Dickdarms , die ohne die alsbald durchgeführte Notoperation konkret lebensgefährlich gewesen wäre.
6
2. Das Landgericht hat jede Textnachricht als eine Tat der Bedrohung angesehen und bei dem mit bedingtem Tötungsvorsatz geführten Messerstich das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe angenommen. Motiv des Angeklagten sei seine Wut auf den Zeugen wegen der Nichterfüllung der finanziellen Forderungen und des vermuteten Verhältnisses mit der Zeugin H. gewesen. Die Tat stehe in einem krassen Missverhältnis hierzu, nachvollziehbar sei allenfalls eine Körperverletzung wie ein Schlag auf die Nase. An der Motivlage ändere sich auch nichts dadurch, dass die tatsächliche Begehung der Tat durch die beim Angeklagten bestehende Impulskontrollstörung maßgeblich begünstigt worden sei. Denn ob und inwieweit sich der Angeklagte letztlich zwischen Begehung und Nicht-Begehung der Tat frei habe entscheiden können , habe keine Auswirkungen auf die Gefühle und Motive, die ihn dazu veranlasst hätten, die Möglichkeit der Tatbegehung überhaupt in Erwägung zu ziehen.

II.


7
1. Das Landgericht hat die Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe nicht tragfähig begründet.
8
a) Ein Beweggrund ist dann niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Die Beurteilung der Frage, ob ein Beweggrund „niedrig“ ist und – in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag – als verachtenswert erscheint , hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit zu erfolgen. Bei einer Tötung aus Wut, Ärger, Hass oder Rache kommt es darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 28. November 2018 – 5 StR 379/18, NStZ 2019, 206 mwN). Wut oder Verärgerung sind als niedrig einzustufen , wenn sie unter Berücksichtigung der Beziehung zwischen Täter und Opfer eines beachtlichen Grundes entbehren (vgl. MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 73 mwN). Entscheidungserheblich sind demnach die Gründe, die den Täter in Wut oder Verzweiflung versetzt oder ihn zur Tötung aus Hass oder Eifersucht gebracht haben. Anzustellen ist eine Gesamtbetrachtung, die sowohl die näheren Umstände der Tat sowie deren Entstehungsgeschichte als auch die Persönlichkeit des Täters und dessen Beziehung zum Opfer einschließt (MüKo-StGB/Schneider, aaO, Rn. 100 mwN).
9
In subjektiver Hinsicht muss hinzukommen, dass der Täter die Umstände , die die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung ins Bewusstsein aufgenommen hat und, soweit gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen in Betracht kommen, diese gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern kann. Dies ist nicht der Fall, wenn der Täter außer Stande ist, sich von seinen gefühlsmäßigen und triebhaften Regungen freizumachen (BGH, Beschluss vom 22. März 2017 – 2 StR 656/13, NStZ 2018,

527).


10

b) Nach diesen Maßstäben sind die Ausführungen des Landgerichts zum Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe lückenhaft, denn es mangelt an der gebotenen Gesamtwürdigung.

11
aa) Die Schwurgerichtskammer hat nicht näher geprüft, ob die Wut des Angeklagten auf sein Opfer ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruht, sondern sogleich auf das Missverhältnis zwischen Tat und Anlass abgestellt. Damit hat sie die gebotene Prüfung wesentlich verkürzt. Insbesondere bleibt unberücksichtigt, dass der Zeuge dem Angeklagten – jedenfalls aus dessen Sicht – seit geraumer Zeit eine nicht unerhebliche Summe Geld schuldete und sich verschiedenen Rückzahlungsansinnen entzogen hatte. Auch hat das Landgericht nicht in den Blick genommen, dass die Eifersucht des Angeklagten, der die Zeugin H. bei sich wohnen ließ, aus seiner Sicht nicht jeden vernünftigen Grundes entbehrte. Ob all dies geeignet ist, die Beweggründe des Angeklagten als auf einer niedrigen Gesinnung beruhend anzusehen, bedarf umfassender tatgerichtlicher Bewertung.
12
bb) Die erforderliche neue Gesamtbetrachtung bei der Prüfung niedriger Beweggründe wird dazu Anlass geben, auch die subjektive Seite des Mordmerkmals genauer als bislang in den Blick zu nehmen.
13
2. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchten Mordes und des an sich rechtsfehlerfrei getroffenen tateinheitlichen Schuldspruchs wegen gefährlicher Körperverletzung.
14
3. Nicht bestehen bleiben können auch die Schuldsprüche wegen Bedrohung in acht Fällen. Zum einen hat der Generalbundesanwalt zutreffend darauf hingewiesen, dass die konkurrenzrechtliche Bewertung bei denjenigen Textnachrichten zweifelhaft ist, die binnen weniger Minuten an einem Tag versandt wurden. Zum anderen liegt nach den Feststellungen des Landgerichts nahe, dass es sich ohnehin lediglich um eine Tat der (fehlgeschlagenen) versuchten Nötigung handelt, hinter der die Bedrohungstaten zurücktreten würden (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2014 – 5 StR 20/14 mwN).
15
4. Um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zur Motivlage des Angeklagten zu ermöglichen, können lediglich die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrecht erhalten bleiben. Insoweit bleibt die Revision des Angeklagten aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts erfolglos.
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