Bundesgerichtshof Beschluss, 12. Sept. 2019 - 5 StR 399/19

bei uns veröffentlicht am12.09.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 399/19
vom
12. September 2019
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:120919B5STR399.19.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 12. September 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 10. April 2019, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist, mit den Feststellungen aufgehoben; ausgenommen hiervon bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen Bedrohung in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und ist im Übrigen im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte seit Herbst 2017 mit der Zeugin H. liiert, die ab dem Jahreswechsel 2017/2018 überwiegend bei ihm wohnte. Die Zeugin war seit vielen Jahren mit dem später Geschädigten S. K. eng befreundet und stellte ihm in der Zeit ihrer Abwesenheit ihre Wohnung zur Verfügung. Auch der Angeklagte lernte so den Zeugen K. kennen. Beide kamen zunächst gut miteinander aus und absolvierten einen gemeinsamen Montageeinsatz in Frankreich. Zwischen beiden ergaben sich nicht näher aufklärbare finanzielle Verflechtungen, die zumindest ein wechselseitiges Sich-Aushelfen mit Geld und den Verkauf einer Play-Station zum Gegenstand hatten.
3
Ende Mai 2018 kühlte sich das Verhältnis zwischen dem Angeklagten und der Zeugin H. einerseits sowie andererseits dem Zeugen K. merklich ab. Gegenüber dem Zeugen K. schlug es schließlich in Verachtung und Feindseligkeit um. Grund hierfür war, dass der Angeklagte vom Zeugen 200 bis 500 Euro forderte, die dieser nicht bezahlte. Unabhängig von der objektiven Berechtigung dieser Forderung, lebte der Angeklagte jedenfalls in der Vorstellung, der Zeuge K. schulde ihm noch dieses Geld. Zudem nahm der Angeklagte an, der Zeuge habe eine sexuelle Beziehung zur Zeugin H. , zumal da er nach wie vor deren Wohnung nutzte. Der Angeklagte wurde zunehmend eifersüchtig und fand sich in seinem Verdacht bestätigt, als er in der Wohnung der Zeugin ein benutztes Kondom entdeckte. Als der Zeuge anfing , den Kontakt mit dem Angeklagten zu meiden und eine Nachfrage wegen des Geldes unbeantwortet zu lassen, gelangte der Angeklagte zur Auffassung, er werde von dem Zeugen „auf ganzer Linie für dumm verkauft“ und entschloss sich, sich dies auf keinen Fall gefallen zu lassen, sondern seine Interessen mit Nachdruck durchzusetzen.
4
Der Angeklagte bedrohte den Zeugen zwischen dem 21. Juni und 2. Juli 2018 mit acht, teilweise im Minutenabstand gesendeten Textnachrichten, damit dieser die finanziellen Forderungen doch noch erfülle. Der Zeuge reagierte auf die Drohnachrichten nicht und leistete insbesondere nicht die vom Angeklagten beanspruchte Zahlung. Der Angeklagte kam resignierend zu der Erkenntnis , dass es ihm mit dieser Methode nicht gelingen werde, den Zeugen zur Zahlung zu bringen; er nahm von weiteren Drohungen Abstand. An seiner Wut wegen der unerledigten finanziellen Forderungen und der vermuteten sexuellen Beziehung zwischen dem Zeugen und der Zeugin H. änderte sich nichts.
5
Am 1. September 2018 sah der unter dem Einfluss von Alkohol und Betäubungsmitteln stehende Angeklagte, der mit dem Fahrrad unterwegs war, wie der Zeuge K. einkaufen ging und rief im die Worte „S. , du Rattenassi!“ zu. Der Zeuge, der nun einen Angriff des Angeklagten befürchtete, ging beschleunigten Schrittes zum Einkaufsmarkt. Spätestens in diesem Moment verdichtete sich die bei dem Angeklagten ohnehin bestehende Wut auf den Zeugen und seine latente Bereitschaft, dem Zeugen sein vermeintliches Fehlverhalten heimzuzahlen, zu dem Entschluss eines handgreiflichen Angriffs. Der Angeklagte klappte ein mitgeführtes Messer auf, fuhr hinter dem Zeugen her und stach ihm mit bedingtem Tötungsvorsatz von hinten knapp unterhalb der Nieren in den Rücken. Die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten war dabei durch das Zusammenwirken einer Impulskontrollstörung mit dem Alkohol- und Betäubungsmittelkonsum nicht ausschließbar erheblich vermindert. Das Messer blieb stecken und der Zeuge ging durch die Wucht des Stiches zu Boden. Der vom Fahrrad gestiegene Angeklagte ging zu dem am Boden liegenden Zeugen. Als dieser sich plötzlich erhob und wegrannte, folgte ihm der Angeklagte zu Fuß, konnte ihn aber nicht einholen, weshalb er schließlich von der weiteren Verfolgung Abstand nahm. Durch den Stich kam es zu einer Verletzung des Dickdarms , die ohne die alsbald durchgeführte Notoperation konkret lebensgefährlich gewesen wäre.
6
2. Das Landgericht hat jede Textnachricht als eine Tat der Bedrohung angesehen und bei dem mit bedingtem Tötungsvorsatz geführten Messerstich das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe angenommen. Motiv des Angeklagten sei seine Wut auf den Zeugen wegen der Nichterfüllung der finanziellen Forderungen und des vermuteten Verhältnisses mit der Zeugin H. gewesen. Die Tat stehe in einem krassen Missverhältnis hierzu, nachvollziehbar sei allenfalls eine Körperverletzung wie ein Schlag auf die Nase. An der Motivlage ändere sich auch nichts dadurch, dass die tatsächliche Begehung der Tat durch die beim Angeklagten bestehende Impulskontrollstörung maßgeblich begünstigt worden sei. Denn ob und inwieweit sich der Angeklagte letztlich zwischen Begehung und Nicht-Begehung der Tat frei habe entscheiden können , habe keine Auswirkungen auf die Gefühle und Motive, die ihn dazu veranlasst hätten, die Möglichkeit der Tatbegehung überhaupt in Erwägung zu ziehen.

II.


7
1. Das Landgericht hat die Annahme des Mordmerkmals der niedrigen Beweggründe nicht tragfähig begründet.
8
a) Ein Beweggrund ist dann niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Die Beurteilung der Frage, ob ein Beweggrund „niedrig“ ist und – in deutlich weiterreichendem Maße als bei einem Totschlag – als verachtenswert erscheint , hat auf Grund einer Gesamtwürdigung aller äußeren und inneren für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblichen Faktoren, insbesondere der Umstände der Tat, der Lebensverhältnisse des Täters und seiner Persönlichkeit zu erfolgen. Bei einer Tötung aus Wut, Ärger, Hass oder Rache kommt es darauf an, ob diese Antriebsregungen ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruhen (st. Rspr., vgl. nur BGH, Urteil vom 28. November 2018 – 5 StR 379/18, NStZ 2019, 206 mwN). Wut oder Verärgerung sind als niedrig einzustufen , wenn sie unter Berücksichtigung der Beziehung zwischen Täter und Opfer eines beachtlichen Grundes entbehren (vgl. MüKo-StGB/Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 73 mwN). Entscheidungserheblich sind demnach die Gründe, die den Täter in Wut oder Verzweiflung versetzt oder ihn zur Tötung aus Hass oder Eifersucht gebracht haben. Anzustellen ist eine Gesamtbetrachtung, die sowohl die näheren Umstände der Tat sowie deren Entstehungsgeschichte als auch die Persönlichkeit des Täters und dessen Beziehung zum Opfer einschließt (MüKo-StGB/Schneider, aaO, Rn. 100 mwN).
9
In subjektiver Hinsicht muss hinzukommen, dass der Täter die Umstände , die die Niedrigkeit seiner Beweggründe ausmachen, in ihrer Bedeutung für die Tatausführung ins Bewusstsein aufgenommen hat und, soweit gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen in Betracht kommen, diese gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern kann. Dies ist nicht der Fall, wenn der Täter außer Stande ist, sich von seinen gefühlsmäßigen und triebhaften Regungen freizumachen (BGH, Beschluss vom 22. März 2017 – 2 StR 656/13, NStZ 2018,

527).


10

b) Nach diesen Maßstäben sind die Ausführungen des Landgerichts zum Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe lückenhaft, denn es mangelt an der gebotenen Gesamtwürdigung.

11
aa) Die Schwurgerichtskammer hat nicht näher geprüft, ob die Wut des Angeklagten auf sein Opfer ihrerseits auf einer niedrigen Gesinnung beruht, sondern sogleich auf das Missverhältnis zwischen Tat und Anlass abgestellt. Damit hat sie die gebotene Prüfung wesentlich verkürzt. Insbesondere bleibt unberücksichtigt, dass der Zeuge dem Angeklagten – jedenfalls aus dessen Sicht – seit geraumer Zeit eine nicht unerhebliche Summe Geld schuldete und sich verschiedenen Rückzahlungsansinnen entzogen hatte. Auch hat das Landgericht nicht in den Blick genommen, dass die Eifersucht des Angeklagten, der die Zeugin H. bei sich wohnen ließ, aus seiner Sicht nicht jeden vernünftigen Grundes entbehrte. Ob all dies geeignet ist, die Beweggründe des Angeklagten als auf einer niedrigen Gesinnung beruhend anzusehen, bedarf umfassender tatgerichtlicher Bewertung.
12
bb) Die erforderliche neue Gesamtbetrachtung bei der Prüfung niedriger Beweggründe wird dazu Anlass geben, auch die subjektive Seite des Mordmerkmals genauer als bislang in den Blick zu nehmen.
13
2. Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs wegen versuchten Mordes und des an sich rechtsfehlerfrei getroffenen tateinheitlichen Schuldspruchs wegen gefährlicher Körperverletzung.
14
3. Nicht bestehen bleiben können auch die Schuldsprüche wegen Bedrohung in acht Fällen. Zum einen hat der Generalbundesanwalt zutreffend darauf hingewiesen, dass die konkurrenzrechtliche Bewertung bei denjenigen Textnachrichten zweifelhaft ist, die binnen weniger Minuten an einem Tag versandt wurden. Zum anderen liegt nach den Feststellungen des Landgerichts nahe, dass es sich ohnehin lediglich um eine Tat der (fehlgeschlagenen) versuchten Nötigung handelt, hinter der die Bedrohungstaten zurücktreten würden (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2014 – 5 StR 20/14 mwN).
15
4. Um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zur Motivlage des Angeklagten zu ermöglichen, können lediglich die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen aufrecht erhalten bleiben. Insoweit bleibt die Revision des Angeklagten aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts erfolglos.
Mutzbauer Schneider Berger
Mosbacher Köhler

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
5 StR 379/18
vom
28. November 2018
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Totschlags u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:281118U5STR379.18.0

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 28. November 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Mutzbauer,
die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. König, Dr. Berger, Prof. Dr. Mosbacher, Köhler als beisitzende Richter,
Staatsanwalt als Vertreter des Generalbundesanwalts,
Rechtsanwalt B. als Verteidiger des Angeklagten F. R. ,
Rechtsanwalt S. , Rechtsanwalt St. als Verteidiger des Angeklagten R. –B. ,
Rechtsanwalt C. als Verteidiger des Angeklagten M. R. (geb. 1993),
Rechtsanwalt W. als Vertreter des Nebenklägers S. H. ,
Rechtsanwalt Wi. als Vertreter des Nebenklägers F. H. ,
Rechtsanwalt T. als Vertreter des Nebenklägers A. H. ,
Rechtsanwalt W. als Vertreter des Nebenklägers S. Z. ,
Rechtsanwalt H. als Vertreter der Nebenklägerin M. H. ,
Rechtsanwältin B. als Vertreterin der Nebenkläger D. , F. und R. K. , diese gesetzlich vertreten durch H. K. ,
Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 15. September 2017 betreffend die Angeklagten F. R. , R. –B. und M. R. (geb. 1993) im Schuldspruch im Fall 3 der Urteilsgründe mit den Feststellungen zum Tatmotiv und betreffend den Angeklagten M. R. (geb. 1993) darüber hinaus im Gesamtstrafausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
2. Die Revisionen der Angeklagten werden verworfen. Diese haben die Kosten ihrer Rechtsmittel und die den Nebenklägern hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen , der Angeklagte R. –B. zudem die durch das Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten und die dem Adhäsionskläger durch sein Rechtsmittel entstandenen notwendigen Auslagen.

- Von Rechts wegen -

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagten F. R. , R. –B. und M. R. (geb. 1993, genannt „Mu. “) wegen Totschlags in Tateinheit mit versuchtem Totschlag in drei Fällen, mit schwerer Körperverletzung und mit gefährlicher Körperverletzung in drei Fällen jeweils zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt (13 Jahre, elf Jahre, sieben Jahre und sieben Monate), wobei der Angeklagte M. R. (geb. 1993) zusätzlich wegen eines weiteren Falls der gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen worden ist. Zugunsten des Nebenklägers H. hat die Strafkammer zudem eine Adhäsionsentscheidung gegen den Angeklagten R. –B. getroffen.Die gegen dieses Urteil gerichteten Revisionen der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, haben ganz überwiegend Erfolg, während die Revisionen der Angeklagten unbegründet sind.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts kam es zwischen den seit vielen Jahren befreundeten Familien R. und H. /H. zum Streit. Auslöser war die fahrlässige Zufügung einer erheblichen Schnittverletzung an der Hand des A. H. am 13. Dezember 2015 durch den alkoholisierten Mitangeklagten M. N. , den Bruder der Angeklagten F. R. und Zaim R. –B. und Onkel des Angeklagten M. „Mu. “ R. . N. hatte ohne Anlass zwei Glasflaschen auf den Geschädigten geworfen (Tat 1). Hierfür wurde er vom Landgericht wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt. Noch aus der Klinik, in der die Schnittverletzung medizinisch versorgt wurde, machte der Geschädigte dem Angeklagten N. telefonisch Vorhaltungen, woraufhin dieser ihn auslachte und verhöhnte. Hierüber geriet H. in Wut und beleidigte N. mit den Wor- ten: „Ich ficke deine Toten! Ich ficke deinen toten Vater!“. Dies traf N. be- sonders, weil eine solche Beleidigung in der Volksgruppe der Roma, der beide Familien angehören, eine schwere Kränkung darstellt, er zudem früh seinen Vater verloren hatte und sich derartiges durch einen Jüngeren gegenüber einem Älteren in seinem Kulturkreis nicht geziemte. Nach einer Aussprache zwischen verschiedenen Mitgliedern der beiden Familien zwei bis drei Tage später kam man überein, die Angelegenheit als erledigt zu betrachten.
3
Am späten Abend des 25. Dezember 2015 trafen „Mu. “ R. und der Mitangeklagte M. R. (geb. 1989) in einer Sportsbar auf Mitglieder der Familie H. /H. . Die beiden angetrunkenen Angeklagten stellten A. H. wegen seines Verhaltens zur Rede und misshandelten ihn durch eine Ohrfeige und einen Tritt gegen das Bein, so dass er hinfiel und erhebliche Schmerzen erlitt (Tat 2). In der Folge kam es zu Telefongesprächen zwischen Vater und Bruder des Geschädigten, den Nebenklägern S. H. und Z. , auf der einen Seite und F. R. und N. auf der anderen Seite, bei denen sie wechselseitig schwere Kränkungen austauschten und insbesondere immer wieder ankündigten, verstorbene Angehörige der jeweiligen Gegenseite „ficken“ zu wollen.
4
Am nächsten Tag hatte der Nebenkläger Z. den Plan gefasst, ein Treffen mit den Angeklagten in einem von beiden Familien häufig frequentierten Café herbeizuführen, um die Angelegenheit zu klären. Er unterrichtete hiervon die übrigen Geschädigten und weitere Familienmitglieder, die sich ebenfalls zum Café begaben. Vor Ort eingetroffen rief Z. gegen 13 Uhr den Mitangeklagten N. an. Nicht ausschließbar forderte Z. den Mitangeklagten N. – ohne dass neue Beleidigungen fielen – auf, gemeinsam mit seiner Familie zu dem Café zu kommen, um sich zu entschuldigen. Kurz nach diesem Anruf fuhren die Angeklagten mit weiteren Familienmitgliedern zum Treffpunkt. F. R. hatte eine scharfe Schusswaffe eingesteckt, der Angeklagte R. –B. undein weiterer (Mit-)Angeklagter jeweils ein Küchenmesser. Nach dem Eintreffen der Fahrzeuge vor Ort kamen ihnen die Nebenkläger Z. , A. H. und H. (mit einem Schlagring bewaffnet) und der später getötete D. H. (zu seiner Verteidigung mit einem Hammer bewaffnet) entgegen.
5
Kurz nach dem Aussteigen und einem allenfalls kurzen Wortwechsel erkannten F. R. und R. –B. sowieein weiterer (Mit-)Angeklagter, dass die anderen nicht zurückstecken wollten. Sie entschlossen sich, diese gemeinsam unter Einsatz ihrer Waffen anzugreifen und ihnen schwerste, auch tödliche Verletzungen zuzufügen, um sich für die vorangegangenen verbalen Kränkungen zu rächen (Tat 3). In Umsetzung dieses Plans stach oder hieb der Angeklagte R. –B. mit mindestens bedingtem Tötungsvorsatz mit dem Messer wuchtig auf den Kopf des Nebenklägers H. und traf dessen zur Abwehr erhobenes Handgelenk. Zeitgleich drangen ein oder mehrere (Mit-)Angeklagte von hinten auf H. ein und versetzten ihm einen Stich zwischen die Schulterblätter und einen weiteren in das rechte Schulterblatt. Ebenfalls mit dem Messer attackiert wurden S. und D. H. , wobei S. H. Stichverletzungen an der rechten Flanke, im Bereich des rechten Schulterblattes sowie zwischen den Schulterblättern erlitt, D. H. einen Stich im linken oberen Rückenbereich.
6
„Spätestens kurz nach dem Beginn der Auseinandersetzung“, den er von seinem Fahrzeug aus beobachtet hatte, lief der Angeklagte „Mu. “ R. von hinten auf den Nebenkläger Z. zu, der etwas abseits der Kämpfen- den stand und auf diese schaute. Mit großer Wucht und mindestens bedingtem Tötungsvorsatz stach „Mu. “ R. dem geschädigtenZ. das Messer in Höhe des Übergangs der Hals- zur Brustwirbelsäule in den Rücken, woraufhin der Nebenkläger sofort zusammenbrach und nahezu bewegungsunfähig auf dem Bauch liegen blieb. F. R. gab mit zumindest bedingtem Tötungsvorsatz einen Schuss auf D. H. und einen aufgesetzten Bauchschuss auf S. H. ab. Anschließend richtete er die Waffe auf den Kopf des am Boden liegenden Nebenklägers Z. , um ihn zu erschießen; seine Waffe versagte allerdings, so dass er sein Vorhaben aufgeben musste. Als die vier Angegriffenen erkennbar schwer verletzt waren, fuhren die Angeklagten weg, während sich andere Mitglieder beider Familien um die Verletzten kümmerten. Von mehreren Anwohnern informiert, trafen bald auch Polizei und Feuerwehr ein.
7
Der Nebenkläger H. erlitt durch die Stiche und Hiebe einen Bruch des rechten Handgelenks mit Durchtrennung von zwei Strecksehnen, einen Bruch des rechten Schulterblatts sowie eine Öffnung der linken Brusthöhle mit Einblutung und einem Pneumothorax. Es bestand akute Lebensgefahr, der nur durch eine Notoperation begegnet werden konnte; diese führte zum Verlust eines Teils des Lungenoberlappens. Der Nebenkläger ist immer noch beeinträchtigt.
8
Der Nebenkläger S. H. erlitt einen Rumpfsteckschuss, der u.a. zur Perforation des Dickdarms mit Kotaustritt in die Bauchhöhle und Zerreißung des Wurmfortsatzes führte. Einer der Stiche eröffnete die Brusthöhle. Beide Verletzungen waren konkret lebensgefährlich. Noch heute leidet der Nebenkläger ganz erheblich unter den Folgen der Tat.
9
Der Nebenkläger Z. erlitt eine potentiell lebensgefährliche Verletzung des Rückenmarks in Höhe des sechsten Halswirbelkörpers, infolge des- sen es zu sensomotorischen und neurologischen Ausfällen kam. Trotz erheblicher Anstrengungen ist eine Lähmung des linken Armes und Beines und dadurch bedingt eine Störung der Motorik und Tiefensensibilität verblieben. Auch Blasenfunktion und Stuhlgang sind beeinträchtigt, die Erektionsfähigkeit verloren gegangen. Mit Hilfe eines Rollators kann er sich mühsam etwa 300 Meter aus eigener Kraft fortbewegen. Zudem hat er trotz entsprechender Medikation noch immer Schmerzen. Eine deutliche Besserung dieses Zustandes ist nicht zu erwarten.
10
D. H. erlitt neben der Schussverletzung im Unterbauch mit Verletzung von Leber, Darm, Magen und Niere eine 9 cm tiefe Stichverletzung im Bereich des linken Rückens, durch die es zur Eröffnung der Brusthöhle und zum Anstich der Aorta kam. Aufgrund des hierdurch verursachten großen Blutverlustes verstarb er trotz Wiederbelebungsmaßnahmen noch am Tatort.
11
2. Die Schwurgerichtskammer hat das Handeln der drei Angeklagten sowie eines weiteren unbekannt gebliebenen Mittäters aufgrund des Tatablaufs als von einem spätestens vor Ort spontan gefassten gemeinsamen Tatentschluss geleitet angesehen und sämtliche Tatbeiträge gegenseitig zugerechnet.
12
Ein Handeln aus niedrigen Beweggründen im Sinne von § 211 Abs. 2 StGB hat das Landgericht nicht angenommen, sondern darauf abgestellt, dass die Wut der Angeklagten auf die Geschädigten aus der vorangegangenen heftigen verbalen Auseinandersetzung herrührte, in deren Verlauf sie schwerwiegenden Schmähungen durch die Nebenkläger S. H. und Z. ausgesetzt gewesen seien. Zwar hätten sich die Geschädigten H. und D. H. hieran nicht beteiligt; diese seien aber am Tattag zusammen mit den anderen beiden Nebenklägern den Angeklagten streitbereit gegenübergetreten und hätten sich damit auf deren Seite und hinter die ehrverletzenden Äußerungen gestellt.

II.


13
Die Revisionen der Staatsanwaltschaft sind begründet.
14
1. Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft sind wirksam auf den Schuldund Strafausspruch im Fall 3 der Urteilsgründe (Geschehen am 26. Dezember 2015) beschränkt. Die Beschwerdeführerin greift das Urteil nur insoweit an, als sie in diesem Fall auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen eine Verurteilung der Angeklagten wegen Mordes und versuchten Mordes statt wegen Totschlags und versuchten Totschlags erstrebt und die gegen den Ange- klagten „Mu. “R. für diesen Fall verhängte Strafe als unverhältnismäßig milde beanstandet. Diese Beschränkung ist zulässig. Zur Überprüfung steht damit der gesamte (tateinheitliche) Schuldspruch im Fall 3 (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Mai 1967 – 2 StR 129/67, BGHSt 21, 256, 258).
15
2. Die Ablehnung niedriger Beweggründe hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
16
a) Ein Beweggrund ist dann niedrig, wenn er nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. Ob dies der Fall ist, beurteilt sich aufgrund einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt. Gefühlsregungen wie Wut, Zorn, Ärger, Hass und Rachsucht kommen nur dann als niedrige Beweggründe in Betracht, wenn sie nicht menschlich verständlich, sondern Ausdruck einer niedrigen Gesinnung des Täters sind (vgl.
BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 – 5 StR 341/05, NStZ 2006, 286, 287 mwN). Dabei ist der Maßstab für die Bewertung eines Beweggrundes den Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland zu entnehmen und nicht den Anschauungen einer Volksgruppe, die die sittlichen und rechtlichen Werte dieser Rechtsgemeinschaft nicht anerkennt (vgl. BGH, aaO und Beschluss vom 28. November 2017 – 5 StR 480/17, NStZ 2018, 92).
17
b) Daran gemessen erweist sich die Entscheidung des Landgerichts, die Angeklagten im Fall 3 gemäß dem Antrag der Staatsanwaltschaft lediglich wegen Totschlags in Tateinheit mit versuchtem Totschlag in drei Fällen zu verurteilen , als rechtsfehlerhaft.
18
aa) Es mangelt bereits an der gebotenen Gesamtwürdigung. Die überaus knappen Ausführungen des Landgerichts zu der Frage, ob die Angeklagten aus niedrigen Beweggründen gehandelt haben, blenden hierfür relevante Umstände vollständig aus. Unberücksichtigt bleibt dabei insbesondere, dass letzter Auslöser der gegenseitigen Beschimpfungen das unberechtigte gewaltsame Vorgehen der Angeklagten „Mu. “ und M. R. gegen den schon zuvor vom Mitangeklagten N. verletzten Nebenkläger A. H. war. Zudem hat die Strafkammer nicht in Rechnung gestellt, dass die Auslöschung von Menschenleben und die Zufügung schwerster Verletzungen wegen verbaler Herabsetzung verstorbener Angehöriger nicht mehr als noch verständliche Reaktion auf erlittene Schmach erscheinen, sondern eine besonders verachtenswerte Form der Selbstjustiz darstellen können. Auch das jedenfalls bei dem hinrichtungsartigen Versuch der Tötung des Nebenklägers Z. von unbedingtem Vernichtungswillen geprägte und allen Angeklagten zurechenbare Tatbild hat die Strafkammer nicht in die gebotene Gesamtwürdigung eingestellt.
19
bb) Nicht tragfähig ist auch die in diesem Zusammenhang vom Landgericht angestellte Erwägung, das Vorgehen gegen die an den Beleidigungen in keiner Weise beteiligten Geschädigten H. und D. H. sei deshalb nicht von niedrigen Beweggründen getragen, weil sich diese auf die Seite der zwei anderen Geschädigten und damit hinter die ehrverletzenden Äußerungen gestellt hätten. Das gemeinsame Vorgehen lässt vor dem Hintergrund der Vorgeschichte nicht die Wertung zu, die an den gegenseitigen Beleidigungen unbeteiligten Geschädigten hätten sich die Schmähungen ihrer Familienmitglieder gleichsam zu eigen gemacht, weshalb ihre (versuchte) Tötung weniger verwerflich erscheine. Einen Grund, sich an diesen für vorangegangenes Unrecht zu rächen, gab es nicht. Vielmehr hätte das Landgericht in diesem Zusammenhang erwägen müssen, dass die Tötung von Personen lediglich aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Familie der im Vorfeld mit den Angeklagten in Streit geratenen Personen und aufgrund ihres gemeinsamen Auftretens mit diesen wegen der Inkonnexität von Anlass und Tat nach den Maßstäben der hiesigen Rechtsordnung besonders verwerflich sein kann (vgl. auch BGH, Beschluss vom 10. Januar 2006 – 5 StR 341/05, NJW 2006, 1008, 1011).
20
cc) Schließlich sind die Feststellungen zu den Tatmotiven der Angeklagten unklar. Während die Strafkammer einerseits feststellt, die Angeklagten F. R. und R. –B. hättengehandelt, um sich für die vorangegangenen verbalen Kränkungen zu rächen, wird bei der Prüfung niedriger Beweggründe als gemeinsames Tatmotiv aller Angeklagter ihre Wut auf die Geschädigten aufgrund der vorangegangenen verbalen Auseinandersetzung angenommen. Zwischen beiden Handlungsantrieben können aber gerade im Kontext der Prüfung niedriger Beweggründe Unterschiede bestehen (vgl. näher MüKoStGB /Schneider, 3. Aufl., § 211 Rn. 95 ff. einerseits und 100 ff. andererseits, jeweils mwN).
21
c) Vom Rechtsfehler sind demnach allein die Feststellungen des Schwurgerichts zu den Handlungsmotiven der Angeklagten betroffen; sie müssen deshalb aufgehoben werden (vgl. § 353 Abs. 2 StPO). Die übrigen Feststellungen können hingegen bestehen bleiben und um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.

III.


22
Die Revisionen der Angeklagten sind unbegründet.
23
1. Die Verfahrensrüge des Angeklagten R. –B. deckt keinen Rechtsfehler auf.
24
Nach dem Vortrag der Revision hat der Verteidiger dieses ansonsten schweigenden Angeklagten in der Hauptverhandlung eine schriftlich vorformulierte Erklärung mit der Ankündigung verlesen, dass der Angeklagte sich diese zu Eigen mache. Im Anschluss an die Verlesung hat der Angeklagte ausdrücklich bestätigt, dass dies seine Einlassung sei. Damit hat sich der Angeklagte selbst zur Sache eingelassen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 28. Juni 2005 – 3 StR 176/05, NStZ-RR 2005, 353; vom 27. Februar 2007 – 3 StR 38/07, NStZ 2007, 349; vom 9. Dezember 2008 – 3 StR 516/08, NStZ 2009, 282, 283; näher MüKo-StPO/Arnoldi, § 243 Rn. 66 mwN). Die Auffassung der Revision, es handele sich bei dieser Einlassung um ein unverwertbares prozessrechtli- ches „Nullum“, trifft nicht zu.
25
2. Die von allen drei Angeklagten erhobenen Sachrügen bleiben erfolglos.
26
a) Die auf rechtsfehlerfreier Beweiswürdigung beruhenden Feststellungen tragen die Schuldsprüche. Dies gilt namentlich, soweit die Strafkammer im Fall 3 jedem Angeklagten die Handlungen der Mitangeklagten als mittäterschaftlich begangen zugerechnet hat. Der Schluss des Schwurgerichts, angesichts des schnellen und gleichzeitigen massiven Vorgehens gegen die Geschädigten eingedenk der Bewaffnung mit einer scharfen Schusswaffe und Messern hätten sich alle Beschwerdeführer und ein weiterer Mitangeklagter spätestens am Tatort spontan dazu entschlossen, unter billigender Inkaufnahme des Todes ihrer Opfer gemeinsam gegen die Geschädigten vorzugehen, ist lebensnah und aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
27
b) Soweit die Strafkammer in den Urteilsgründen ausgeführt hat, die Angeklagten seien zusätzlich in Fall 3 einer tateinheitlich verwirklichten Schlägerei nach § 231 StGB schuldig, was versehentlich nicht in den Urteilstenor Eingang gefunden habe, beschwert dieser Rechtsfehler die Angeklagten nicht. Anders als die Revision des Angeklagten F. R. kann der Senat dem Urteil nicht entnehmen, dass die Strafkammer im Fall 3 den nicht tenorierten zusätzlich verwirklichten Straftatbestand bei der Strafzumessung zum Nachteil der Angeklagten verwertet hätte.
28
c) Die Strafzumessung weist auch im Übrigen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf.
29
d) Die gegen den Angeklagten R. –B. getroffene Adhäsionsent- scheidung zugunsten des Neben- und Adhäsionsklägers H. ist rechtsfehlerfrei.

IV.


30
Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass das zur erneuten Verhandlung berufene Schwurgericht zu prüfen haben wird, ob sich die Angeklagten – wie das Landgericht in den Urteilsgründen ausgeführt hat – im Fall 3 der Urteilsgründe zusätzlich einer tateinheitlich verwirklichten (vgl. BGH, Urteil vom 10. Juni 2009 – 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309, 310) Beteiligung an einer Schlägerei (§ 231 Abs. 1 StGB) schuldig gemacht haben.
Mutzbauer König Berger
Mosbacher Köhler

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR20/14
vom
11. März 2014
in der Strafsache
gegen
wegen räuberischer Erpressung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. März 2014 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 12. Juni 2013 nach § 349 Abs. 4 StPO
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und versuchter Nötigung verurteilt ist,
b) im Strafausspruch aufgehoben. 2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, Bedrohung und versuchter Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Seine Revision führt zu einer Schuldspruchänderung, die die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich zieht. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
Nach den Feststellungen wollte der Angeklagte bei dem Geschädigten O. Schulden aus einem Drogengeschäft eintreiben. Mit einem Zeu- gen, der die Adresse des Geschädigten kannte, begab er sich zu dessen Wohnung und forderte O. zunächst im Treppenhaus und sodann in dessen Wohnung zur Zahlung auf. Er drückte den Geschädigten gegen die Wand, beschimpfte und schlug ihn, ohne dadurch Schmerzen oder Verletzungen zu verursachen. Schließlich packte er ihn am Hals und „drückte so stark zu, dass O. Luftnot verspürte und den Angeklagten mit seinen Händen zurückstieß , um Luft holen zu können.“ Unter dem Eindruck „der zuvor erlittenen Gewalt“ übergab O. sein Smartphone dem Angeklagten. Um ihn von einer Anzeige abzuhalten, drohte der Angeklagte dem Geschädigten, ihn abzustechen , wenn er zur Polizei ginge. Dennoch erstattete O. am nächsten Morgen Strafanzeige.
3
Das Landgericht hat eine lebensgefährdende Behandlung nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB angenommen, da der Angeklagte den Geschädigten bis zum Eintritt von Luftnot würgte. Die Feststellungen tragen die Annahme einer das Leben gefährdenden Behandlung indessen nicht. Diese setzt zwar nicht voraus, dass das Opfer der Körperverletzung tatsächlich in Lebensgefahr geraten ist. Erforderlich ist aber, dass die nach den konkreten Umständen des Einzelfalls als Körperverletzung zu beurteilende Handlung geeignet war, eine Lebensgefahr herbeizuführen (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 13. Juni 2006 – 4 StR 123/06, BGHR StGB § 224 Abs. 1 Nr. 5 Lebensgefährdung 1). Ein kurz- fristiges Würgen, das der Geschädigte durch einfaches Zurückstoßen beenden konnte und das keine Würgemale, sondern allenfalls eine leichte Rötung hinterließ , erfüllt diese Voraussetzungen nicht (vgl. Fischer, StGB, 61. Aufl., § 224 Rn. 12c).
4
Darüber hinaus hält auch die Annahme von Tateinheit zwischen versuchter Nötigung und Bedrohung der sachlich-rechtlichen Prüfung nicht stand. Das Landgericht hat übersehen, dass die Bedrohung auch hinter der nur versuchten Nötigung zurücktritt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2005 – 1 StR 455/05, NStZ 2006, 342; Beschluss vom 24. Januar 1990 – 3 StR477/89, BGHR StGB § 240 Abs. 3 Konkurrenzen 2; Rissing-van Saan in LK, StGB, 12. Aufl., Vor § 52 Rn. 105).
5
Der Senat hat den Schuldspruch entsprechend geändert. Er hält es für ausgeschlossen, dass in einer neuen Verhandlung noch weitergehende Feststellungen zu den konkreten Umständen des Falles getroffen werden können, die eine Verurteilung wegen gefährlicher Körperverletzung rechtfertigen würden.
6
Die Schuldspruchänderung zieht die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei zutreffender rechtlicher Würdigung zu einer noch milderen Strafe gelangt wäre, deren – etwa mögliche – Aussetzung zur Bewährung bei den Vorbelastungen des An- geklagten freilich fernläge. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es bei dem bloßen Subsumtionsfehler nicht. Das neue Tatgericht hat die Strafe auf der Grundlage des geänderten Schuldspruchs und der bisherigen Feststellungen, die allenfalls durch neue ihnen nicht widersprechende Feststellungen zu ergänzen wären, festzusetzen.
Basdorf Sander Schneider Berger Bellay