Bundesgerichtshof Urteil, 19. Dez. 2006 - 1 StR 583/06
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
für Recht erkannt:
Von Rechts wegen
Gründe:
- 1
- Der 1934 geborene, nicht vorbestrafte Angeklagte wurde wegen einer Reihe von Sexualdelikten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Tatopfer waren Enkelinnen seiner Lebensgefährtin. Die erste abgeurteilte Tat beging er 2001 zum Nachteil der 1988 geborenen V. R. , weitere Taten zwischen 2005 und 2006 zum Nachteil der 1999 geborenen Zwillinge S. und Sa. R. .
- 2
- Seine auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützte Revision bleibt erfolglos.
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- 1. Der Angeklagte hatte zu Beginn der Hauptverhandlung den Ausschluss der Öffentlichkeit beantragt (§ 171b GVG). Die Strafkammer kam diesem Antrag weitgehend nach, jedoch wurde die Öffentlichkeit erst nach Verlesung der Anklageschrift und nicht bei der Urteilsverkündung ausgeschlossen.
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- Die Revision hält es unter Hinweis auf § 338 Nr. 6 StPO für rechtsfehlerhaft , dass die Öffentlichkeit nicht auch für die genannten Verfahrensabschnitte ausgeschlossen wurde. Die Rüge versagt schon im Ansatz:
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- a) § 338 Nr. 6 StPO ist nur einschlägig, wenn die Öffentlichkeit in ungesetzlicher Weise beschränkt worden ist, also nicht, wenn unter Nichtanwendung oder Verletzung der Vorschriften über den möglichen Ausschluss der Öffentlichkeit öffentlich verhandelt worden ist (st. Rspr., vgl. schon BGHSt 10, 202, 206 f.; vgl. auch Kuckein in KK 5. Aufl. § 338 Rdn. 84 m.w.N.).
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- b) Im Übrigen sind Entscheidungen gemäß § 171b Abs. 1 und Abs. 2 GVG gemäß § 171b Abs. 3 GVG unanfechtbar und daher gemäß § 336 Satz 2 StPO der Überprüfung durch das Revisionsgericht entzogen. Dies gilt auch für solche Entscheidungen, durch die, wie hier, der Ausschluss der Öffentlichkeit in einem geringeren Umfang als beantragt beschlossen worden ist (BGH NStZ 1996, 243 m.w.N.).
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- 2. Die Sachrüge bleibt ebenfalls erfolglos:
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- a) Der Schuldspruch ist rechtsfehlerfrei. Soweit der Angeklagte im Fall C. I. der Urteilsgründe (Tat zum Nachteil von V. R. ) auch wegen sexueller Nötigung verurteilt wurde, liegen dem folgende Feststellungen zu Grunde: Der Angeklagte „packte“ die Geschädigte und „zog“ sie zu sich. Sie leistete „Widerstand“, indem sie ihn „wegdrückte“, er „zog sie jedoch wieder zu sich“, entblößte sie und schob seinen Finger in ihre Scheide. Dabei leistete die Geschädigte „keinen weiteren Widerstand“, sondern sie war „starr vor Angst“. Der Senat teilt nicht die Auffassung der Revision, hieraus ergebe sich, dass der Angeklagte keine „Gewalt in Form von körperlichem Zwang zur Vorbereitung der eigentlichen sexuellen Handlung aufgewandt“ habe. Der Angeklagte hat gegen V. Gewalt zur Überwindung körperlichen Widerstands jedenfalls dadurch ausgeübt, dass er sie gegen ihr Sträuben - erneut - an sich heranzog, um an ihr sexuelle Handlungen vorzunehmen. Dies hat auch der Generalbundesanwalt schon in seinem Antrag vom 15. November 2006 zutreffend näher ausgeführt. Hierauf nimmt der Senat Bezug. Auch im Übrigen ist der Schuldspruch rechtsfehlerfrei.
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- b) Ebenso hält auch der Strafausspruch rechtlicher Überprüfung stand.
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- (1) Dies gilt auch, soweit die Strafkammer die Möglichkeit einer erheblichen Einschränkung der Schuldfähigkeit des Angeklagten verneint hat.
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- Wie der Generalbundesanwalt hierzu im Ansatz zutreffend ausführt und belegt, ist eine nähere Erörterung der Schuldfähigkeit zwar nicht bei jedem Täter geboten, der - wie der Angeklagte - jenseits einer bestimmten Altersgrenze erstmals Sexualstraftaten begeht. Sie kann aber dann angezeigt sein, wenn weitere Besonderheiten bestehen, die auf eine für die Beurteilung der Schuldfähigkeit relevante Möglichkeit altersbedingter Enthemmtheit hinweisen. Solche Besonderheiten - so der Generalbundesanwalt - lägen hier vor. Die Strafkammer habe zwar ausdrücklich festgestellt, dass der Angeklagte „geistig und körperlich gesund“ sei, aber auch, dass er “seit etwa anderthalb Jahren impotent“ sei.
- 12
- Der Senat sieht keinen Rechtsfehler.
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- Die Strafkammer, die sich der Bedeutung des Alters des Angeklagten und seiner bisherigen Straflosigkeit für die Strafzumessung erkennbar bewusst war, stellt ausdrücklich fest, dass der Angeklagte „gesund“ sei. Eine hiergegen gerichtete Aufklärungsrüge ist nicht erhoben. Besonderheiten, die die Annahme von Gesundheit ohne weitere Darlegung schon aus sachlich-rechtlichen Gründen als lückenhaft erscheinen lassen könnten (vgl. die in BGH NStZ 1999, 297 im Einzelnen aufgeführten und belegten Beispiele für derartige Besonderheiten; vgl. auch BGH NStZ-RR 2006, 38, wo der Angeklagte seit vielen Jahren wegen einer Nervenkrankheit medikamentös behandelt werden musste), sind nicht ersichtlich. Insbesondere ergeben sich solche Besonderheiten nicht aus der festgestellten Impotenz.
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- (2) Auch die Ausführungen der Revision vermögen die Möglichkeit eines Rechtsfehlers nicht zu verdeutlichen. Die Revision verkennt, dass der Tatrichter nicht gehalten ist, den Strafrahmen, der sich aus der Angabe der einschlägigen Strafvorschriften ergibt, auch noch zahlenmäßig zu bezeichnen (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Mai 2006 - 1 StR 190/06; Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl. Rdn. 792). Dies gilt auch dann, wenn sich der anzuwendende Strafrahmen , wie hier im Fall der Tat zum Nachteil von V. R. , aus § 52 Abs. 2 StGB ergibt.
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- (3) Auch im Übrigen ist der Strafausspruch rechtsfehlerfrei.
Kolz Elf
Annotations
(1) Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat (§ 11 Absatz 1 Nummer 5 des Strafgesetzbuchs) Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde. Das gilt nicht, soweit das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt. Die besonderen Belastungen, die für Kinder und Jugendliche mit einer öffentlichen Hauptverhandlung verbunden sein können, sind dabei zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt bei volljährigen Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch die Straftat verletzt worden sind.
(2) Die Öffentlichkeit soll ausgeschlossen werden, soweit in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184k des Strafgesetzbuchs) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuchs), wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 des Strafgesetzbuchs) oder wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuchs ein Zeuge unter 18 Jahren vernommen wird. Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.
(3) Die Öffentlichkeit ist auszuschließen, wenn die Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 vorliegen und der Ausschluss von der Person, deren Lebensbereich betroffen ist, beantragt wird. Für die Schlussanträge in Verfahren wegen der in Absatz 2 genannten Straftaten ist die Öffentlichkeit auszuschließen, ohne dass es eines hierauf gerichteten Antrags bedarf, wenn die Verhandlung unter den Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 oder des § 172 Nummer 4 ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat.
(4) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden, soweit die Personen, deren Lebensbereiche betroffen sind, dem Ausschluss der Öffentlichkeit widersprechen.
(5) Die Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 4 sind unanfechtbar.
Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,
- 1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn - a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder - b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und - aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind, - bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder - cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
- 2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war; - 3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist; - 4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat; - 5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat; - 6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind; - 7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind; - 8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.
(1) Die Öffentlichkeit kann ausgeschlossen werden, soweit Umstände aus dem persönlichen Lebensbereich eines Prozessbeteiligten, eines Zeugen oder eines durch eine rechtswidrige Tat (§ 11 Absatz 1 Nummer 5 des Strafgesetzbuchs) Verletzten zur Sprache kommen, deren öffentliche Erörterung schutzwürdige Interessen verletzen würde. Das gilt nicht, soweit das Interesse an der öffentlichen Erörterung dieser Umstände überwiegt. Die besonderen Belastungen, die für Kinder und Jugendliche mit einer öffentlichen Hauptverhandlung verbunden sein können, sind dabei zu berücksichtigen. Entsprechendes gilt bei volljährigen Personen, die als Kinder oder Jugendliche durch die Straftat verletzt worden sind.
(2) Die Öffentlichkeit soll ausgeschlossen werden, soweit in Verfahren wegen Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174 bis 184k des Strafgesetzbuchs) oder gegen das Leben (§§ 211 bis 222 des Strafgesetzbuchs), wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen (§ 225 des Strafgesetzbuchs) oder wegen Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den §§ 232 bis 233a des Strafgesetzbuchs ein Zeuge unter 18 Jahren vernommen wird. Absatz 1 Satz 4 gilt entsprechend.
(3) Die Öffentlichkeit ist auszuschließen, wenn die Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 vorliegen und der Ausschluss von der Person, deren Lebensbereich betroffen ist, beantragt wird. Für die Schlussanträge in Verfahren wegen der in Absatz 2 genannten Straftaten ist die Öffentlichkeit auszuschließen, ohne dass es eines hierauf gerichteten Antrags bedarf, wenn die Verhandlung unter den Voraussetzungen der Absätze 1 oder 2 oder des § 172 Nummer 4 ganz oder zum Teil unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattgefunden hat.
(4) Abweichend von den Absätzen 1 und 2 darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden, soweit die Personen, deren Lebensbereiche betroffen sind, dem Ausschluss der Öffentlichkeit widersprechen.
(5) Die Entscheidungen nach den Absätzen 1 bis 4 sind unanfechtbar.
Der Beurteilung des Revisionsgerichts unterliegen auch die Entscheidungen, die dem Urteil vorausgegangen sind, sofern es auf ihnen beruht. Dies gilt nicht für Entscheidungen, die ausdrücklich für unanfechtbar erklärt oder mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar sind.
(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt.
(2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen.
(3) Geldstrafe kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 41 neben Freiheitsstrafe gesondert verhängen.
(4) Auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Absatz 1 Nummer 8) muss oder kann erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Gesetze dies vorschreibt oder zulässt.