Bundesgerichtshof Urteil, 09. Mai 2017 - 1 StR 576/16

ECLI: ECLI:DE:BGH:2017:090517U1STR576.16.0
published on 09/05/2017 00:00
Bundesgerichtshof Urteil, 09. Mai 2017 - 1 StR 576/16
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 576/16
vom
9. Mai 2017
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
ECLI:DE:BGH:2017:090517U1STR576.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 9. Mai 2017, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Graf, Bellay, die Richterin am Bundesgerichtshof Cirener und der Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Radtke, Bundesanwalt beim Bundesgerichtshof als Vertreter der Bundesanwaltschaft, Rechtsanwalt als Verteidiger, der Nebenkläger persönlich - in der Verhandlung -, Rechtsanwalt - in der Verhandlung - als Nebenklägervertreter, Justizobersekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 8. Juli 2016 wird verworfen.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt undihre Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Mit ihrer auf den Strafausspruch beschränkten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft die Verletzung sachlichen Rechts, vornehmlich die Annahme der Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs gemäß § 46a Nr. 1 StGB. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts stach die Angeklagte am 6. September 2015 in alkohol- und drogenbedingt enthemmtem Zustand ihren Arbeitgeber in dem von ihm als Mitinhaber betriebenen Café mit einem Messer fünfmal mit bedingtem Tötungsvorsatz in den Brust- und Bauchbereich. Vorausgegangen war ein Streitgespräch über einen Vorfall im Jahr 2014, bei dem der Geschädigte die Angeklagte sexuell belästigt hatte. Im Rahmen des Disputs forderte der Geschädigte die Angeklagte auf, auf ihn (doch) mit einem im Arbeitsbereich liegenden Messer einzustechen, was diese dann auch tat. Vier der mit leichter und mittlerer Wucht geführten Stiche drangen maximal ein bis eineinhalb Zentimeter in den Bauch- und Brustbereich ein; ein Stich wurde von der Jacke des Geschädigten abgehalten. Trotz des starken Blutverlustes bestand für den Geschädigten keine konkrete Lebensgefahr. Er hätte auch ohne ärztliche Hilfeleistung überlebt. Die Verletzungen sind weitgehend folgenlos verheilt. Lediglich beim Heben schwerer Gewichte treten Schmerzen auf. Wegen der psychischen Folgen der Tat hat sich der Geschädigte in psychiatrische Behandlung begeben.
3
2. Die Schwurgerichtskammer hat aufgrund der entfalteten Rettungsbemühungen der Angeklagten einen strafbefreienden Rücktritt vom Totschlagsversuch angenommen. Mit Blick auf die abstrakte Lebensgefährlichkeit der Messerstiche hat sie die Voraussetzungen der gefährlichen Körperverletzung in den Tatvarianten nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB als verwirklicht angesehen.
4
3. Bei der Strafrahmenwahl hat das Landgericht das Vorliegen eines minder schweren Falls nach § 224 Abs. 1 StGB verneint. Es hat jedoch eine Strafrahmenverschiebung gemäß § 46a Nr. 1, § 49 Abs. 1 StGB vorgenommen, weil es die Voraussetzungen eines Täter-Opfer-Ausgleichs als erfüllt angesehen hat. Insoweit hat das Landgericht festgestellt, dass die in Untersuchungshaft befindliche, geständige Angeklagte Kontakt zum Geschädigten gesucht, ihm einen Brief geschrieben und sich darin und anschließend in der Hauptverhandlung nochmals beim Geschädigten für die Tat entschuldigt hatte. Der nahm die Entschuldigung in der Hauptverhandlung an, auch wenn ihm dies nach seinem Bekunden schwer fiel. Zudem hat die vermögenslose Angeklagte, die zuvor beim Geschädigten nur geringfügige Einkünfte von monatlich 200 bis 300 Euro erzielt hatte, diesem aus ihrem Verdienst in der Untersuchungshaft von monatlich etwa 80 Euro einen Betrag von 420 Euro zukommen lassen, den sie angespart hatte. Der Geschädigte hat den Geldbetrag angenommen (UA S. 13).

II.

5
Die Revision der Staatsanwaltschaft, die wirksam auf den Strafausspruch beschränkt ist, hat keinen Erfolg.
6
1. Zwar hat die Beschwerdeführerin ihr Rechtsmittel nachträglich lediglich auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) beanstandet sie jedoch nicht.
7
Widersprechen sich Revisionsantrag und Inhalt der Revisionsbegründung , ist unter Berücksichtigung von Nr. 156 Abs. 2 RiStBV das Angriffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 22. Februar 2017 – 5 StR 545/16 mwN). Nach dem insoweit maßgeblichen Sinn der Revisionsbegründung hat hier die Beschwerdeführerin klar zu erkennen gegeben, dass sie sich allein gegen den Strafausspruch wendet und mit ihrem Rechtsmittel die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht angreifen will.
8
2. Der Strafausspruch begegnet keinen Bedenken. Insbesondere hat das Landgericht die Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB ohne Rechtsfehler als gegeben angesehen.

9
a) § 46a Nr. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Opfer zu erreichen, die Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutmacht oder dieses Ziel jedenfalls ernsthaft erstrebt hat. Dies erfordert grundsätzlich einen kommunikativen Prozess zwischen Täter und Opfer, bei dem das Bemühen des Täters Ausdruck der Übernahme von Verantwortung sein und das Opfer die Leistung des Täters als friedensstiftenden Ausgleich akzeptieren muss. Die Wiedergutmachung muss auf einen umfassenden Ausgleich der durch die Straftat verursachten Folgen gerichtet sein (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juli 1995 – 1 StR 205/95, BGHR StGB § 46a Wiedergutmachung 1; Urteile vom 31. Mai 2002 – 2 StR 73/02, NStZ 2002, 646 und vom 27. August 2002 – 1 StR 204/02, NStZ 2003, 29).
10
b) Gemessen daran hat das Landgericht rechtsfehlerfrei die Voraussetzungen des § 46a Nr. 1 StGB bejaht. Entgegen der Ansicht der Revision hat die Angeklagte im Rahmen ihres Geständnisses die Verantwortung für die Tat uneingeschränkt übernommen. Dass sie – ebenso wie der Geschädigte – keine konkrete Erinnerung an das unmittelbare Tatgeschehen hatte, ändert daran nichts. Der Umstand, dass die Angeklagte bestritten hat, dass sie die Videokamera , die das Tatgeschehen (visuell) hätte aufzeichnen können, vor der Tatbegehung gezielt umgestoßen hat, lässt ihre Verantwortungsübernahme für die Tat nicht entfallen. Sie hat nämlich das Tatgeschehen gleichwohl eingeräumt und somit ihr Tun und die daraus resultierenden Folgen nicht in Abrede gestellt, insbesondere aber auch nicht die „Opfer-Position“ des Geschädigten bestritten (vgl. BGH, Urteil vom 23. Dezember 2015 – 2 StR 307/15).
11
c) Dem Urteil ist zudem hinreichend zu entnehmen, dass zwischen der Angeklagten und dem Geschädigten ein kommunikativer Prozess während ihrer Untersuchungshaft begonnen wurde. Sie hat in dem an den Geschädigten gerichteten Entschuldigungsschreiben die Verantwortung für die Tat übernommen und dies in der Hauptverhandlung wiederholt. Der Geschädigte hat die Entschuldigung – ebenso wie den von der Angeklagten angesparten und überreichten Geldbetrag – auch angenommen. Die Ansicht der Revision, der Geschädigte habe die Entschuldigung und den Geldbetrag nicht als friedensstif- tenden Ausgleich angesehen, weil er das Geld ohne „weitere Erklärung entgegen“ genommen habe und es ihm auch schwer gefallen sei, die Entschuldigung zu akzeptieren, stellt lediglich eine eigene, revisionsrechtlich unbeachtliche Bewertung der friedensstiftenden Wirkung – wie sie vom Tatgericht angenommen wurde – dar. Weitergehender Ausführungen des Landgerichts hierzu bedurfte es vorliegend nicht.
12
Schließlich hat das Landgericht die geleistete Zahlung der Angeklagten ohne Rechtsfehler als ernsthaftes Erstreben einer Wiedergutmachung bewertet. Es hat dabei zutreffend darauf abgestellt, dass der Geldbetrag zwar objektiv nicht hoch genug sei, um ihn als überwiegende Wiedergutmachung des immateriellen Schadens anzusehen. Jedoch sei der Betrag gemessen an den finanziellen Möglichkeiten der Angeklagten eine ganz erhebliche Leistung, die ihren Wiedergutmachungswillen belege. Raum Graf Bellay Cirener Radtke
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Annotations

Hat der Täter

1.
in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich), seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder deren Wiedergutmachung ernsthaft erstrebt oder
2.
in einem Fall, in welchem die Schadenswiedergutmachung von ihm erhebliche persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht erfordert hat, das Opfer ganz oder zum überwiegenden Teil entschädigt,
so kann das Gericht die Strafe nach § 49 Abs. 1 mildern oder, wenn keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu dreihundertsechzig Tagessätzen verwirkt ist, von Strafe absehen.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Hat der Täter

1.
in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich), seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder deren Wiedergutmachung ernsthaft erstrebt oder
2.
in einem Fall, in welchem die Schadenswiedergutmachung von ihm erhebliche persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht erfordert hat, das Opfer ganz oder zum überwiegenden Teil entschädigt,
so kann das Gericht die Strafe nach § 49 Abs. 1 mildern oder, wenn keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu dreihundertsechzig Tagessätzen verwirkt ist, von Strafe absehen.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

Hat der Täter

1.
in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen (Täter-Opfer-Ausgleich), seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wiedergutgemacht oder deren Wiedergutmachung ernsthaft erstrebt oder
2.
in einem Fall, in welchem die Schadenswiedergutmachung von ihm erhebliche persönliche Leistungen oder persönlichen Verzicht erfordert hat, das Opfer ganz oder zum überwiegenden Teil entschädigt,
so kann das Gericht die Strafe nach § 49 Abs. 1 mildern oder, wenn keine höhere Strafe als Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe bis zu dreihundertsechzig Tagessätzen verwirkt ist, von Strafe absehen.