Bundesgerichtshof Urteil, 21. März 2018 - 1 StR 404/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2018:210318U1STR404.17.0
21.03.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 404/17
vom
21. März 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:210318U1STR404.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 21. März 2018, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof Dr. Raum, die Richter am Bundesgerichtshof Prof. Dr. Jäger, Prof. Dr. Radtke, die Richterin am Bundesgerichtshof Dr. Fischer und der Richter am Bundesgerichtshof Dr. Bär,
Richterin am Landgericht als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Verteidiger,
die gesetzliche Vertreterin H. des Nebenklägers – in der Verhandlung –, Rechtsanwalt – in der Verhandlung – als Vertreter des Nebenklägers, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 16. Mai 2017 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
3
Der Angeklagte ist der leibliche Vater des am 14. Februar 2015 geborenen Nebenklägers D. . Zusammen mit der Kindsmutter hat er das ge- meinsame Sorgerecht für das Kind und wohnte zum Zeitpunkt der Tat mit der Familie in einer gemeinsamen Wohnung. D. war bis zum Tattag ein ruhiges und im Wesentlichen ziemlich pflegeleichtes Kind und vollkommen gesund. Nur die operativ behandelten Verformungen der Füße führten dazu, dass er Spezialschuhe tragen und den größten Teil des Tages anbehalten sollte.
4
Am 24. August 2015 vertraute die Mutter gegen 17.00 Uhr den gemeinsamen Sohn dem Angeklagten an und begab sich für circa zwei Stunden außer Haus. Der Angeklagte sollte dem Kind den Rest des Fläschchens geben und ihm seine Spezialschuhe anziehen. Als der Angeklagte gegen 18.00 Uhr begann , dem Kind diese Schuhe anzuziehen, wehrte es sich dagegen, so dass dies geraume Zeit dauerte. In der Folge wurde das Kind weinerlich, so dass der Angeklagte gegen 18.30 Uhr das Kind auf den Arm nahm, um es zu beruhigen, was aber nicht gelang. Das Kind machte plötzlich eine Vorwärtsbewegung mit dem Kopf, wobei es versehentlich den Angeklagten mit dem Kopf an der Nase traf, was diesem geringe Schmerzen zufügte. Der Angeklagte, der durch die vorherigen Probleme mit dem Kind schon aufgebracht und überfordert war, geriet nun in Rage, packte es mit beiden Händen unter den Achseln und schüttelte es mehrfach mit ganz erheblichem Krafteinsatz in schneller Abfolge, wobei er das Kind heftig, ruckartig und sehr schnell vor seinem eigenen Körper hin und her bewegte. Durch dieses unkontrollierte Vor- und Zurückschlagen und durch Rotationsbewegungen des Kopfes kam es bei dem Kind zu einem schweren Schütteltrauma mit Subduralblutungen, einer Hirnschwellung, schweren Substanzverletzungen des Gehirns und Netzhautblutungen an beiden Augen. Dem Angeklagten war zuvor bekannt, dass ein solches heftiges Schütteln von Kindern lebensgefährlich ist und zu schwersten Verletzungen bis hin zum Tod führen kann.
5
Nachdem sich der Angeklagte nach wenigen Sekunden des Schüttelns wieder beruhigt hatte, bemerkte er, dass sein Sohn leblos war, nur noch Schnappatmung aufwies und unkontrolliert mit den Extremitäten zuckte. Daraufhin stellte der Angeklagte sich mit seinem Sohn gegen 18.40 Uhr unter die kalte Dusche, um diesen wieder zu beleben und begann mit Herzdruckmassage und Mund-zu-Nase-Beatmung. Nachdem diese Maßnahmen keinen Erfolg zeigten, verständigte er den Rettungsdienst, der das Kind in die Klinik einlieferte , wo wegen akuter Lebensgefahr auf Grund der durch Blutungen verursachten Gehirnschwellung eine Notoperation durchgeführt wurde. Durch das Schütteltrauma kam es beim Kind zu irreversiblen Schädigungen mit einem vollständigen Verlust des Sehvermögens, des Sprechvermögens, einer erheblichen Verminderung des Hörvermögens sowie zu schweren spastischen Lähmungen, einer schweren geistigen Behinderung und einer durch die Hirnschädigung weiter hervorgerufene Epilepsie, so dass das Kind für den Rest seines Lebens ein voller Pflegefall mit 24-stündiger Betreuungsnotwendigkeit bleiben wird.

II.

6
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet.
7
1. Der Schuldspruch wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen ist rechtsfehlerfrei. Der Erörterung bedarf allein die Frage der Verurteilung des Angeklagten wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen.
8
a) Eine rohe Misshandlung im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB ist anzunehmen , wenn der Täter einem anderen eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung zufügt, die sich in erheblichen Handlungsfolgen äußert (BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 – 3 StR 633/14, NStZ-RR 2015, 369, 370 f.; Beschlüsse vom 19. Januar 2016 – 4 StR 511/15, NStZ 2016, 472; vom 28. Februar 2007 – 5StR 44/07, NStZ 2007, 405 und vom 22. April 1997 – 4 StR 140/97 Rn.8 mwN), wobei sich diese Tatalternative – anders als das Quälen – auf ein einzelnes Körperverletzungsgeschehen bezieht. Eine solche für die rohe Misshandlung notwendige gefühllose Gesinnung liegt nur vor, wenn der Täter bei der Misshandlung das notwendig als Hemmung wirkende Gefühl für das Leiden des Misshandelten verloren hat, das sich bei jedem menschlich und verständlich Denkenden eingestellt haben würde (BGH, Urteil vom 23. Juli 2015 – 3 StR 633/14, NStZ-RR 2015, 369, 371 und Beschluss vom 28. Februar 2007 – 5 StR 44/07, NStZ 2007, 405; Stree/Sternberg-Lieben in Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl., § 225 Rn. 13).
9
b) Gemessen daran kann aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe den Feststellungen und Wertungen des Landgerichts noch zweifelsfrei entnommen werden, dass der Angeklagte die Tat aus einer gefühllosen Gesinnung heraus begangen hat.
10
Insbesondere ist der vom Landgericht gezogene Schluss, dass es dem Angeklagten bei seinem sich nur über einen Zeitraum von wenigen Sekunden heftigen Schüttelns hinziehenden Vorgehens (UA S. 5) in subjektiver Hinsicht darum ging, "das Kind zu maßregeln und ohne Rücksicht auf Verluste zur Ruhe zu bringen, ohne dass eine besonders belastende Situation für den Angeklagten selbst vorgelegen hätte" (UA S. 13), nicht zu beanstanden. Den engen zeitlichen Zusammenhang zwischen dem Schreien und dem unmittelbar darauf folgenden Schütteln des Kindes mit massivster Gewalt aus einem relativ nichtigen Anlass, ohne dass es nach den Feststellungen des Landgerichts (UA S. 13) – anders als im Fall von BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 – 5 StR 44/07, NStZ 2007, 405, Rn. 8 – zuvor zu einem dauerhaften Einwirken auf das Nervenkostüm des Angeklagten mit einer besonders belastenden Situation der Überforderung über einen längeren Zeitraum gekommen war, durfte das Landgericht als Zeichen dafür werten, dass der Angeklagte bei der Tatausführung das als Hemmung wirkende Gefühl für das Leiden seines Sohnes verloren hatte. Er handelte mithin aus gefühlloser Gesinnung, was eine rohe Misshandlung kennzeichnet (vgl. BGH aaO Rn. 6).
11
2. Auch der Strafausspruch weist, wie im Antrag des Generalbundesanwalts näher ausgeführt, keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Raum Jäger Radtke Fischer Bär

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Strafgesetzbuch - StGB | § 225 Mißhandlung von Schutzbefohlenen


(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die 1. seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,2. seinem Hausstand angehört,3. von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder4.

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bei uns veröffentlicht am 28.02.2007

5 StR 44/07 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 28. Februar 2007 in der Strafsache gegen wegen schwerer Körperverletzung u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Februar 2007 beschlossen: 1. Auf die Revision des Angeklagten wird da

Bundesgerichtshof Urteil, 23. Juli 2015 - 3 StR 633/14

bei uns veröffentlicht am 23.07.2015

BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 3 S t R 6 3 3 / 1 4 vom 23. Juli 2015 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung u.a. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Juli 2015, an der teilgenommen

Referenzen

(1) Wer eine Person unter achtzehn Jahren oder eine wegen Gebrechlichkeit oder Krankheit wehrlose Person, die

1.
seiner Fürsorge oder Obhut untersteht,
2.
seinem Hausstand angehört,
3.
von dem Fürsorgepflichtigen seiner Gewalt überlassen worden oder
4.
ihm im Rahmen eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses untergeordnet ist,
quält oder roh mißhandelt, oder wer durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für sie zu sorgen, sie an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat in die Gefahr

1.
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung oder
2.
einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung
bringt.

(4) In minder schweren Fällen des Absatzes 1 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren, in minder schweren Fällen des Absatzes 3 auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
3 S t R 6 3 3 / 1 4
vom
23. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Juli 2015,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Becker,
die Richter am Bundesgerichtshof
Pfister,
Hubert,
Mayer,
Gericke
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers,
Justizamtsinspektor
als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision des Nebenklägers wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 22. August 2014 mit den Feststellungen aufgehoben , soweit es die Angeklagte betrifft.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen und mit unterlassener Hilfeleistung zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Den Mitangeklagten E. hat es wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zur Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die (allein) gegen die Verurteilung der Angeklagten H. gerichtete Revision des Nebenklägers erstrebt deren Verurteilung wegen schwerer Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 3 StGB und rügt die Verletzung materiellen Rechts.
2
Das zulässige Rechtsmittel (§ 395 Abs. 1 Nr. 3, § 400 Abs. 1 StPO; vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 2001 - 3 StR 400/00, BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 11 mwN) führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils mit den Feststellungen, soweit es die Angeklagte betrifft.

I.


3
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen das Folgende festgestellt:
4
Am 1. März 2014 war der Mitangeklagte E. ab etwa 20 Uhr in seiner Wohnung alleine mit dem rund fünf Monate alten Säugling L. , dem leiblichen Sohn seiner damaligen Lebensgefährtin - der Angeklagten H. - aus einer früheren Beziehung. Als L. quengelte, holte der Mitangeklagte E. aus dem Schlafzimmer einen selbstgebastelten Schlagstock aus Eisen und schlug damit dem Säugling - um diesen zum Schweigen zu bringen - heftig je einmal auf die linke und auf die rechte Stirnseite des Kopfes. L. erlitt hierdurch beidseitig ein schweres Schädel/Hirn-Trauma mit ausgedehntem Knochenbruchsystem in beiden Scheitelregionen. Zudem erlitt er ein subdurales Hämatom, Einblutungen in tiefergelegene Hirnstrukturen sowie massive Hämatome an der rechten Kopfschwarte und im Stirnbereich. Aufgrund der Schläge wurde L. zumindest für kurze Zeit bewusstlos und litt an neurologischen Einschränkungen, sodass er sich entweder in einem Dämmerzustand befand oder längere Zeit bewusstlos war. Deswegen hörte er unmittelbar nach den Schlägen auf, Geräusche von sich zu geben. E. nahm L. daraufhin aus dem "Maxi-Cosi", in den ihn die Angeklagte gelegt hatte, und legte ihn in das Kinderbett.
5
Etwa zehn Minuten später kam auch die Angeklagte, die von einem Imbiss Essen geholt hatte, hinzu. Als sie feststellte, dass L. nicht mehr in dem "Maxi-Cosi" lag, fragte die Angeklagte nach seinem Verbleib. E. antwortete, dass L. gequengelt und er ihn ins Bett gelegt habe. Die Angeklagte schaute daraufhin kurz im Schlafzimmer nach. Zwar zeigten sich zu diesem Zeitpunkt schon die Folgen der Schläge bei L. , die Angeklagte bemerkte diese jedoch aufgrund der Verdunklung des Schlafzimmers nicht. Auch in der Folgezeit erkannte sie den Zustand des Kindes zunächst nicht.
6
Am nächsten Morgen gegen 05:45 Uhr erwachte die Angeklagte und wollte das Kind aus dem Bett heben. Dabei fiel ihr auf, dass sein Kopf anders als gewöhnlich aussah. Daraufhin legte sie L. aufs Bett und schaltete das Licht an. In der Folge stellte sie fest, dass der gesamte Kopf des Kindes angeschwollen war, die Stirnpartie sowie die Augen lila und blau unterlaufen waren. Als sie den Kopf anfasste, fühlte sich dieser unnormal weich an. Erschrocken rief sie nach dem Mitangeklagten E. und sagte, er solle sich L. anschauen , der Kopf sei weich und blau. Auf die Frage der Angeklagten, was passiert sei, antwortete E. , es sei nichts passiert und gab sich erstaunt über das Aussehen des Säuglings. Obgleich der Angeklagten sofort klar war, dass L. in ärztliche Behandlung musste, unternahm sie zunächst nichts. Sie hatte Angst, dass ihr - ginge sie ins Krankenhaus - das Kind weggenommen würde. Zudem vermutete sie eine Beteiligung von E. an den Verletzungen und wollte diesen möglicherweise schützen. Es besteht indes kein Anhalt für die Annahme , dass sie mit dem Tode des Kindes rechnete und ihn billigend in Kauf nahm. Die Angeklagte entschloss sich sodann, zunächst ihre Mutter zu kontaktieren , um diese um Rat zu bitten. Nachdem die Mutter jedoch nicht ans Telefon ging, begab sich die Angeklagte zurück zu L. in das Schlafzimmer.
7
Etwa gegen 08:30 Uhr gelang es der Angeklagten, ihre Mutter zu erreichen. Sie erzählte ihr wahrheitswidrig, sie sei mit L. auf der Treppe gestürzt und dieser sei nun am Kopf verletzt. Die Mutter kam daraufhin zur Wohnung gefahren, holte die Angeklagte und L. ab und brachte diesen in die Kinderklinik , wo er etwa gegen elf Uhr aufgenommen werden konnte. Das Kind war zu diesem Zeitpunkt ruhig und in einem Dämmerzustand, wenngleich es aufgrund der Schwellung unter Schmerzen litt. Seine Stirnpartie war stark angeschwollen und zeigte - wie auch im Bereich der Augen - eine bläulich/lila Verfärbung. Die Augen waren teilweise zugeschwollen.
8
Der Säugling musste rund drei Wochen in stationärer Behandlung bleiben. Er wurde einige Tage nach seiner Aufnahme am Kopf operiert, wobei die Impressionsfraktur behoben und die subduralen sowie die intrazerebralen Blutungsanteile ausgeräumt wurden. Nach seiner Entlassung entwickelte er sich altersgerecht, wenngleich er Entwicklungsverzögerungen im motorischen Bereich zeigt. Ob bei ihm dauerhafte Folgeschäden auftreten werden, ist (noch) nicht absehbar. In vergleichbaren Fällen kommt es bei etwa 40 Prozent der Kinder zu Folgeschäden bis hin zu massiven körperlichen und geistigen Behinderungen. Da bei der Operation ein Teil des beschädigten Gehirngewebes entfernt werden musste, besteht auch die Gefahr, dass sich eine Epilepsie entwickelt.
9
2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat das Landgericht die Angeklagte wegen gefährlicher Körperverletzung durch Unterlassen gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5, § 13 StGB in Tateinheit mit Misshandlung von Schutzbefohlenen gemäß § 225 Abs. 1 Nr. 1 StGB und mit unterlassener Hilfeleistung gemäß § 323c StGB schuldig gesprochen. Soweit das Landgericht bei der rechtlichen Würdigung § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB nennt, handelt es sich ersichtlich um ein Schreibversehen, wie sich aus der Liste der angewendeten Vorschriften und dem allein auf § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB gestützten Schuldspruch gegen den Mitangeklagten E. ergibt.

II.


10
Das Urteil gegen die Angeklagte hat auf die Revision des Nebenklägers keinen Bestand, da es sowohl zu ihrem Vorteil als auch zu ihrem Nachteil durchgreifende Rechtsfehler enthält; letzteres ist auf die Revision des Nebenklägers ebenfalls zu berücksichtigen (§ 301 StPO entsprechend; vgl. § 401 Abs. 3 Satz 1 StPO).
11
1. Wie der Nebenkläger zu Recht beanstandet, hat das Landgericht zum Vorteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft nicht geprüft, ob sie den Verbrechenstatbestand gemäß § 225 Abs. 3 Nr. 1 und 2 StGB - gegebenenfalls durch Unterlassen - verwirklicht hat, obwohl es von einer durch die Angeklagte begangenen Tat gemäß § 225 Abs. 1 StGB ausgegangen und nach den Feststellungen des Landgerichts die Verwirklichung aller Alternativen des Qualifikationstatbestandes jedenfalls nicht ausgeschlossen ist. Dies führt wegen der Einheitlichkeit der Tat zur Aufhebung des Urteils insgesamt, soweit es die Angeklagte betrifft. Ohne Belang ist insoweit, dass die tateinheitliche ausgeurteilte unterlassene Hilfeleistung kein Nebenklagedelikt ist (vgl. § 395 Abs. 1 bis 3 StPO).
12
Im Einzelnen:
13
Der Verbrechenstatbestand des § 225 Abs. 3 StGB setzt voraus, dass der Täter die schutzbefohlene Person durch die Tat, also durch einen Angriff im Sinne von § 225 Abs. 1 StGB, in die konkrete Gefahr des Todes, einer schweren Gesundheitsbeschädigung (Nr. 1; vgl. S/S-Stree/Sternberg-Lieben, StGB, 29. Aufl., § 225 Rn. 19 ff.) oder in die konkrete Gefahr einer erheblichen Schädigung der körperlichen oder seelischen Entwicklung bringt (Nr. 2). Entscheidend ist danach, dass eine der in § 225 Abs. 1 StGB umschriebenen tatbe- standlichen Handlungen die naheliegende Möglichkeit begründet, sie werde zu den in den Alternativen des § 225 Abs. 3 StGB genannten Weiterungen führen (vgl. LK/Hirsch, StGB, 11. Aufl., § 225 Rn. 24). Unter schweren Gesundheitsbeschädigungen im Sinne der Nummer 1 sind solche Gesundheitsschäden zu verstehen, die mit einer anhaltenden nachhaltigen Beeinträchtigung der physischen oder psychischen Leistungsfähigkeit verbunden sind oder in einer lebensbedrohenden , qualvollen oder ernsten und langwierigen Krankheit bestehen. Die in der Nummer 2 genannte erhebliche Entwicklungsschädigung erfordert , dass der normale Ablauf des körperlichen oder seelischen Entwicklungsprozesses dauernd oder nachhaltig gestört ist (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 25 mwN). Handelt es sich um eine Unterlassungstat, so begründet der Täter die tatbestandlich vorausgesetzte konkrete Gefahr, wenn er deren Entstehen durch sein Eingreifen hätte abwenden können. Auch wenn vor der Tat bereits Schäden oder die Gefahr von Schäden im Sinne der Qualifikation gemäß § 225 Abs. 3 StGB bestehen, kann der Tatbestand gleichwohl verwirklicht werden. Zur Hervorrufung ("bringen") der für den qualifizierten Fall vorausgesetzten Gefahren ist dann aber erforderlich, dass die Tat die Gefahr verursacht, die bereits vorhandenen oder zu befürchtenden Schäden in erheblichem Maß zu vergrößern bzw. die wegen einer bereits gegebenen individuellen Schadensdisposition bestehenden Gefahren messbar zu steigern (vgl. S/S-Stree/SternbergLieben , aaO, Rn. 22; BeckOK-StGB/Eschelbach, § 225 Rn. 33). In subjektiver Hinsicht ist bezüglich der Verursachung der tatbestandlichen Gefahren des qualifizierten Falles (zumindest bedingter) Vorsatz erforderlich.
14
Das Vorliegen dieser tatbestandlichen Voraussetzungen kann im vorliegenden Fall nicht abschließend beurteilt werden, da das Landgericht keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob und ggf. wie sich die durch den Mitangeklagten E. bewirkten Verletzungen des Kindes während der Zeit, in der die Angeklagte eine ärztliche Versorgung pflichtwidrig unterlassen hat, hinsichtlich der tatbestandlichen Gefahren entwickelt haben. Eine wesentliche Gefahrerhöhung im Sinne von § 225 Abs. 3 StGB in diesem Zeitraum kann indes - vor allem mit Blick auf das bestehende subdurale Hämatom und die Einblutungen in die Hirnstrukturen - auch nicht ausgeschlossen werden.
15
2. Der Schuldspruch ist indes auch zum Nachteil der Angeklagten rechtsfehlerhaft. Die Feststellungen des angefochtenen Urteils, das keinerlei Subsumtion enthält, belegen - neben dem unzweifelhaft bestehenden Schutzverhältnis zwischen der Angeklagten und ihrem Sohn - keine der in den Tatbestandsalternativen des § 225 Abs. 1 StGB bezeichneten Tathandlungen hinreichend und tragen daher die Verurteilung der Angeklagten wegen Misshandlung eines Schutzbefohlenen nicht.
16
Im Einzelnen:
17
Das Quälen, das rohe Misshandeln und die böswillige Fürsorgepflichtverletzung sind selbständige Begehungsformen der Misshandlung Schutzbefohlener gemäß § 225 Abs. 1 StGB. Die beiden Tatalternativen des Quälens und des Misshandelns können durch aktives Tun oder pflichtwidriges Unterlassen begangen werden. Bei der Alternative des böswilligen Vernachlässigens der Fürsorgepflicht handelt es sich um ein echtes Unterlassungsdelikt (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 15).
18
a) Quälen im Sinne des § 225 Abs. 1 StGB bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender (erheblicher) Schmerzen oder Leiden körperlicher oder seelischer Art. Es wird im Allgemeinen durch mehrere Tathandlungen bewirkt, wobei oft erst deren ständige Wiederholung den be- sonderen Unrechtsgehalt des Quälens verwirklicht (BGH, Urteile vom 30. März 1995 - 4 StR 768/94, BGHSt 41, 113, 115; vom 17. Juli 2007 - 5 StR 92/07, NStZ-RR 2007, 304, 306). Die zugefügten Schmerzen oder Leiden müssen über die typischen Auswirkungen einzelner Körperverletzungshandlungen hinausgehen. Ist dies der Fall, so kann Quälen durch Unterlassen allerdings auch dadurch verwirklicht werden, dass die gebotene ärztliche Hilfe durch die Eltern des Kindes nicht veranlasst wird (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 17). In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter den Vorsatz hat, dem Opfer erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Auswirkungen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperverletzungshandlung verbunden sind (vgl. BGH, Beschluss vom 20. März 2012 - 4 StR 561/11, NStZ 2013, 466, 467 mwN). Diese tatbestandlichen Voraussetzungen belegen die Feststellungen weder in objektiver noch in subjektiver Hinsicht. Die Angeklagte hat dadurch, dass sie es nach dem Erkennen der schweren Verletzung ihres Kindes über mehrere Stunden pflichtwidrig unterlassen hat, den Säugling einer ärztlichen Versorgung zuzuführen, nach den bisherigen Feststellungen bei diesem keine Schmerzen oder Leiden im Sinne von § 225 Abs. 1 Alternative 1 StGB verursacht, die über die Folgen der durch den Mitangeklagten E. begangenen Körperverletzung des Säuglings und ihrer eigenen, durch das pflichtwidrige Unterlassen an dem Kind begangenen Körperverletzung hinausgingen. Den Urteilsgründen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Angeklagte einen entsprechenden Vorsatz hatte.
19
b) Rohes Misshandeln im Sinne der Vorschrift liegt vor, wenn der Täter einem anderen eine Körperverletzung aus gefühlloser Gesinnung zufügt, die sich in erheblichen Handlungsfolgen äußert. Eine gefühllose Gesinnung ist gegeben , wenn der Täter bei der Misshandlung das - notwendig als Hemmung wirkende - Gefühl für das Leiden des Misshandelten verloren hat, das sich bei jedem menschlich und verständlich Denkenden eingestellt haben würde (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2007 - 5 StR 44/07, NStZ 2007, 405 mwN). Dass die Angeklagte die durch ihr pflichtwidriges Unterlassen begangene Körperverletzung des Kindes aus einer solchen Gesinnung heraus begangen hat, ist den Urteilsgründen nicht zu entnehmen. Vielmehr war nach den bisherigen Feststellungen nicht Gefühllosigkeit der Grund für ihr pflichtwidriges Verhalten gegenüber ihrem Säugling, sondern die Furcht, bei Aufsuchen eines Krankenhauses das Kind zu verlieren und möglicherweise der Wille, ihren Lebensgefährten , den Mitangeklagten E. , zu schützen, da sie dessen Beteiligung an den schweren Verletzungen des Kindes vermutete.
20
c) Die Misshandlung eines Schutzbefohlenen ist schließlich auch gegeben , wenn der Täter durch böswillige Vernachlässigung seiner Pflicht, für die schutzbedürftige Person zu sorgen, diese an der Gesundheit schädigt. Böswillig handelt, wer seine Pflicht für einen anderen zu sorgen, aus einem verwerflichen Beweggrund vernachlässigt (vgl. LK/Hirsch, aaO, Rn. 18). Das Gesinnungsmerkmal der Böswilligkeit ist gekennzeichnet durch feindseliges Verhalten aus Bosheit, Lust an fremdem Leid, Hass und anderen verwerflichen Gründen, etwa auch aus Geiz und Eigensucht. Gleichgültigkeit, Abgestumpftheit oder Schwäche sowie Überforderung wegen mangelnder Reife reichen hingegen in der Regel nicht aus (vgl. LK/Hirsch, aaO). Bei der Prüfung von Böswilligkeit, die eine Erforschung der Motive des Täters erfordert, sind psychopathologische Befunde, wie Depressionen oder Persönlichkeitsstörungen zu berücksichtigen (vgl. BeckOK-StGB/Eschelbach, aaO, Rn. 24 ff. mwN). Daran gemessen ist auch die Verwirklichung dieser Tatbestandsalternative durch die Angeklagte jedenfalls nicht hinreichend belegt. Die festgestellten Motive der Angeklagten für ihr pflichtwidriges Verhalten - die Angst, ihr werde das Kind weggenommen und der Schutz ihres Freundes, des Mitangeklagten E. - sind jedenfalls nicht ohne weiteres unter das Merkmal der Böswilligkeit zu subsumieren, zumal das Landgericht sie auch nicht entsprechend, etwa als selbstsüchtig und verwerflich , bewertet hat.
21
3. Der Senat weist den neuen Tatrichter darauf hin, dass er alle in Tateinheit mit dem Nebenklagedelikt stehenden Delikte - auch Offizialdelikte - erneut zu prüfen haben wird (vgl. BGH, Urteil vom 9. November 1993 - 5 StR 539/93, BGHSt 39, 390, 391; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 400 Rn. 7a mwN). Hinsichtlich der tateinheitlich abgeurteilten unterlassenen Hilfeleistung gemäß § 323c StGB gilt, dass diese regelmäßig als subsidiär hinter einer durch Unterlassen begangenen gefährlichen Körperverletzung und/oder der Misshandlung eines Schutzbefohlenen zurücktritt bzw. von diesen verdrängt wird (vgl. MüKoStGB/Freund, 2. Aufl., § 13 Rn. 289, 291, § 323c Rn. 125 ff.).
Becker Pfister Hubert RiBGH Mayer befindet sich Gericke im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Becker
8
Das Landgericht schließt aus dem Umstand, dass der Angeklagte „sein Ruhebedürfnis kompromisslos und ohne Berücksichtigung der Leiden seines Säuglings“ (UA S. 31) durchgesetzt hat, auf dessen rohe Gesinnung. Diese Erwägung steht indes in Widerspruch zu der strafmildernd herangezogenen Feststellung, der Angeklagte sei durch das laute dauerhafte Schreien des Säuglings angespannt gewesen (UA S. 32), und geht daran vorbei, dass der Angeklagte hinsichtlich der schweren Folgen seiner Tat nicht vorsätzlich gehandelt hat.