Bundesgerichtshof Urteil, 23. Okt. 2007 - 1 StR 238/07

bei uns veröffentlicht am23.10.2007

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 238/07
vom
23. Oktober 2007
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 23. Oktober
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Kolz,
Hebenstreit,
Dr. Graf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt und
Hochschullehrer
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenkläger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger wird das Urteil des Landgerichts Traunstein vom 5. Dezember 2006 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenkläger zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Körperverletzung in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung zu Geldstrafe verurteilt. Der Angeklagte wendet sich mit der auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde gestützten Revision gegen seine Verurteilung. Die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft und die Revisionen der Nebenkläger rügen die Verletzung materiellen Rechts und begehren die Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge.
2
Anders als das Rechtsmittel des Angeklagten haben die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger Erfolg.

I.

3
1. Festgestellt ist:
4
Der Angeklagte, ein niedergelassener Arzt, betrieb ab Anfang 1996 neben seiner Praxis eine Therapiestation zur Behandlung von Drogenabhängigen. Bis zum Januar 1999 führte er dort an 75 Patienten einen narkosegestützten Opiat- und Arzneimittelentzug (sog. "Turboentzug") durch. Am 15. Januar 1999 ab 14.30 Uhr erfolgte ein solcher "Turboentzug" auch bei dem damals 33-jährigen Patienten R. K. , der während der Behandlung verstarb.
5
R. K. hatte seit seiner Jugend Betäubungs- und Arzneimittelmissbrauch , insbesondere phasenweise massiven Heroinkonsum betrieben. Zwei stationäre Klinikaufenthalte mit dem Ziel eines Entzugs hatte er abgebrochen ; eine weitere stationäre Therapie hatte nur vorübergehenden Erfolg. Zuletzt wurde R. K. mit Methadon substituiert; hinzu trat ein unkontrollierter Beikonsum von anderen Betäubungsmitteln.
6
Im Vorfeld der Behandlung übersandte der Angeklagte zweimal von ihm selbst gefertigte Merkblätter, in denen wahrheitswidrig angegeben war, "alle bisher … durchgeführten narkosegestützten Entgiftungen … (sind) komplikationsfrei verlaufen". Bei zwei Telefonaten fragte die Mutter des R. K. ausdrücklich, ob "bei einem Turboentzug schon einmal etwas passiert sei, insbesondere … jemand gestorben sei"; dies verneinte der Angeklagte jeweils. Zuvor war jedoch eine andere Patientin anlässlich eines "Turboentzugs" in den Praxisräumen des Angeklagten verstorben, wobei dieser selbst die Todesbe- scheinigung dahingehend ausgefüllt hatte, dass nicht aufgeklärt sei, ob ein natürlicher oder ein nichtnatürlicher Tod vorliege.
7
R. K. stellte sich am 28. Dezember 1998 beim Angeklagten vor. Der Angeklagte äußerte, dass er Methadon nur schwer entziehen könne und deshalb bis zum vorgesehenen Termin am 11. Januar 1999 eine Umstellung auf Dihydrocodein erfolge. Weiterhin verordnete er R. K. insbesondere auch das Medikament Temgesic mit dem Wirkstoff Buprenorphin. Er hielt vor dem "Turboentzug" die sichere Einstellung des Patienten auf ein "Opiat" nicht für erforderlich. Zum vorgesehenen Termin erschien R. K. beim Angeklagten , der ihm mitteilte, dass der Termin auf den 15. Januar 1999 verschoben werden müsse, weil eine Nachtschwester erkrankt sei. Am 12. Januar 1999 unterzeichnete der Patient eine schriftliche "Erklärung zur Einwilligung in den Drogenentzug".
8
Am 15. Januar 1999 gegen 10.00 Uhr wurden R. K. auf Verordnung des Angeklagten zahlreiche Medikamente verabreicht, darunter Temgesic und Dihydrocodein. Um 14.30 Uhr wurde durch die Gabe zahlreicher weiterer Medikamente die Narkose eingeleitet. Nachdem zwei Mitarbeiter des Angeklagten ihren Dienst beendet hatten, war ab ca. 22.10 Uhr der Angeklagte zur Überwachung des Patienten allein in den Praxisräumen, was diesem verschwiegen worden war. Der Tubus, der dem Patienten um 18.30 Uhr gesetzt worden war, wurde um 22.00 Uhr entfernt; um 2.00 Uhr des Folgetages entfernte der Angeklagte auch den Fingersensor, mit dem die Sauerstoffsättigung des Blutes gemessen werden konnte. Jedenfalls ab diesem Zeitpunkt war die Überwachung des Patienten unzureichend; eine Überwachung der Atemfrequenz sowie der Sauerstoffsättigung des Blutes erfolgte nicht mehr.
9
Bei R. K. entwickelte sich in diesem Zeitraum ein hämorrhagisches Lungenödem. Er hatte vor Behandlungsbeginn zahlreiche "Giftstoffe" (Doxepin, Diazepam, Methadon, Dihydrocodein) aufgenommen, wobei insbesondere das Dihydrocodein im hochtoxischen Bereich selbst für körperlich Schwerstabhängige lag. Durch das Medikament Temgesic konnten diese "Giftstoffe" zunächst nicht zur Wirkung gelangen. Erst durch das allmähliche Nachlassen der Wirkung von dessen Wirkstoff Buprenorphin konnten die anderen "Giftstoffe" Wirkung zeigen. Daneben entwickelte sich bei R. K. eine Lungenentzündung als Folge einer Aspiration von Erbrochenem während der Narkose.
10
Um 4.00 Uhr bemerkte der Angeklagte die Unterversorgung des Patienten. Rettungsbemühungen blieben allerdings erfolglos; um 5.27 Uhr wurde der Tod von R. K. festgestellt. Ob das Lungenödem oder die Lungenentzündung todesursächlich war, hat das Landgericht nicht festzustellen vermocht; eine andere Todesursache hat es allerdings ausgeschlossen.
11
Bei adäquater Überwachung hätte die aspirationsbedingte Lungenentzündung ebenso wie das hämorrhagische Lungenödem infolge der "Opiatintoxikation" entdeckt werden können. Der Todeseintritt auf Grund der "Opiatintoxikation" wäre bei Überwachung auch sicher verhinderbar gewesen. An der Lungenentzündung wäre R. K. bei - auf eine frühzeitige Entdeckung hin erfolgter - intensiv-medizinischer Versorgung zwar möglicherweise ebenfalls verstorben, jedoch erst nach einem mehrtägigen bis mehrwöchigen Intensivaufenthalt in einer Klinik.
12
R. K. hätte sich nicht am 15. Januar 1999 einem "Turboentzug" unterzogen, wenn er darüber unterrichtet worden wäre, dass es bereits früher zu einem Todesfall gekommen war, dass ab 22.10 Uhr eine Überwachung al- lein durch den Angeklagten stattfand und dass der Angeklagte unter den Anhängern dieser Außenseitermethode eine Mindermeinung einnimmt, nämlich dahingehend, dass die vorherige sichere Einstellung auf ein "Opiat" nicht erforderlich sei. Der Angeklagte hielt es seinerseits für möglich und nahm es billigend in Kauf, dass R. K. von der Behandlung Abstand genommen hätte, wenn er dementsprechend unterrichtet gewesen wäre.
13
2. Die Schwurgerichtskammer hat die festgestellte Tat rechtlich wie folgt bewertet:
14
a) Der Tatbestand der Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB sei bereits deshalb erfüllt, weil der Angeklagte R. K. willentlich unter Narkose gesetzt und ihm den Körper erheblich belastende Medikamente verabreicht habe.
15
Die Einwilligung des Patienten in die konkrete Behandlung (vgl. § 228 StGB) hat die Kammer als unwirksam erachtet, da die Aufklärung durch den Angeklagten unter drei Gesichtspunkten mangelhaft gewesen sei: Er habe der Wahrheit zuwider erklärt, alle bei ihm durchgeführten narkosegestützten Entgiftungen seien komplikationsfrei verlaufen, und dabei den früheren Todesfall verschwiegen. Er habe den Irrtum erregt, es sei durchgängig eine Nachtschwester anwesend. Ferner habe er den Patienten nicht darüber aufgeklärt, dass er den "Turboentzug" nicht nach den gängigen Kriterien derjenigen durchführe, die diese Außenseitermethode betrieben. Diese Aufklärungsmängel seien auch ursächlich für die Einwilligung gewesen.
16
b) Der Tatbestand der fahrlässigen Tötung nach § 222 StGB sei ebenfalls verwirklicht, weil er durch unzureichende Überwachung in der Tatnacht von 2.00 Uhr bis 4.00 Uhr fahrlässig den Tod des Patienten verursacht habe.
17
c) Allerdings könnten die gesetzlichen Merkmale einer Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 Abs. 1 StGB nicht angenommen werden. Es fehle an der hierfür erforderlichen Ursächlichkeit der Körperverletzung für die Todesfolge. Weil R. K. nämlich bereits vor Behandlungsbeginn - ohne Kenntnis des Angeklagten - zahlreiche "Giftstoffe" zu sich genommen habe, sei nach dem Zweifelssatz zu dessen Gunsten davon auszugehen, dass R. K. auch dann an einem hämorrhagischen Lungenödem als Folge einer "normalen Opiatintoxikation" verstorben wäre, wenn kein "Turboentzug" durchgeführt worden wäre.

II.

18
Die Revision des Angeklagten bleibt erfolglos.
19
1. Die Verfahrensrügen dringen aus den in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 29. Juni 2007 dargelegten Gründen nicht durch. Ergänzend bemerkt der Senat:
20
a) Die Rüge, zwei Befangenheitsgesuche seien zu Unrecht - als unzulässig - verworfen worden (§ 338 Nr. 3, §§ 24 ff. StPO), ist ihrerseits bereits unzulässig (vgl. § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). Denn die Revision teilt das Prozessgeschehen nicht mit, das dem ersten der beiden zusammenhängenden Gesuche vorausging. Hierzu hat die in der Sache unwidersprochen gebliebene Revisionsgegenerklärung der Staatsanwaltschaft (§ 347 Abs. 1 Satz 2 StPO) unter Vorlage von dienstlichen Stellungnahmen des Vorsitzenden, des Berichterstatters und des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft vorgetragen, der Vorsitzende habe in der Hauptverhandlung vor Stellung des Gesuchs erläutert, dass der Beschluss über die Ablehnung der Beweisanträge am Tag vor seiner Verkündung lediglich entworfen worden war; die Beratung und Fassung war jedoch unter Mitwirkung aller Kammermitglieder einschließlich der Schöffen am Tag der Verkündung erfolgt.
21
Dieses Prozessgeschehen ist hier für die Beurteilung der Unzulässigkeit der Gesuche nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO ("völlige Ungeeignetheit") relevant. Denn ein solches Vorgehen kann auf keine rechtlichen Bedenken stoßen; vielmehr ist es - zumal in Fällen der Bescheidung komplexer Beweisanträge - regelmäßig sachgerecht.
22
b) Die Rüge, ein Beweisantrag sei rechtsfehlerhaft wegen Bedeutungslosigkeit abgelehnt worden (§ 244 Abs. 3 Satz 2 StPO), hat der Generalbundesanwalt zu Recht als unzulässig bewertet, weil sich der - von der Revisionsbegründung als "Anlage 11" in Bezug genommene - Ablehnungsbeschluss vom 21. November 2006 nicht im Anlagenkonvolut befindet.
23
2. In sachlich-rechtlicher Hinsicht ebenfalls ohne Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ist sowohl die Verurteilung wegen Körperverletzung nach § 223 Abs. 1 StGB (nachfolgend a) als auch diejenige wegen fahrlässiger Tötung nach § 222 StGB (nachfolgend b):
24
a) Ärztliche Heileingriffe - hier das willentliche Versetzen des Patienten in Narkose und das Verabreichen den Körper erheblich belastender Medikamente durch den "Turboentzug" - erfüllen den Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung und bedürfen daher grundsätzlich der Einwilligung des Patienten, um rechtmäßig zu sein. Die Einwilligung kann aber wirksam nur erteilt werden, wenn der Patient in gebotener Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden ist (vgl. BGHR StGB § 223 Abs. 1 Heileingriff 4; BGH, Urt. vom 5. Juli 2007 - 4 StR 549/06 - Rdn. 16).
25
Die Kammer hat zu Recht die Aufklärung durch den Angeklagten unter den drei im Urteil genannten Gesichtspunkten - früherer Todesfall, fehlende Nachtschwester, keine Einstellung auf nur ein "Opiat" (vgl. oben I. 2. a)) - als mangelhaft und die daraufhin erteilte Einwilligung als unwirksam erachtet. Ebenso zutreffend hat sie das verwirklichte Risiko vom Schutzzweck der verletzten Aufklärungspflichten umfasst angesehen (UA S. 36; vgl. BGHR aaO).
26
Zu Unrecht meint der Beschwerdeführer, das Verschweigen des früheren Todesfalls begründe deshalb keinen relevanten Aufklärungsmangel, weil die Patientin auch "zufällig im Zusammenhang mit der Behandlung" verstorben sein könnte. Der Zweifelssatz ist hier kein tauglicher Maßstab für den Umfang der den Angeklagten treffenden Aufklärungspflicht. Diese Pflicht bestand unabhängig davon, ob die "konkrete Todesursache" abschließend geklärt ist. Die Aufklärung soll nämlich den Patienten gerade in die Lage versetzen, eine autonome Entscheidung darüber zu treffen, ob er sich dem körperlichen Eingriff unterzieht, und etwaige - auch unklare - Risiken zu beurteilen. Deswegen hat die Kammer zutreffend darauf abgestellt, dass bereits eine frühere Behandlung entgegen den Äußerungen des Angeklagten nicht komplikationsfrei verlief und die Patientin in seinen Praxisräumen verstarb, zumal er selbst die "konkrete Todesursache" als nicht geklärt ansah (UA S. 21).
27
Unter dem Gesichtspunkt einer von der Revision behaupteten hypothetischen Einwilligung (hierzu BGHR StGB § 223 Abs. 1 Heileingriff 2; 4; 7) ist zudem zu beachten, dass sich eine Einwilligung in einen ärztlichen Heileingriff - jedenfalls bei Fehlen einer weitergehenden Aufklärung - nur auf eine nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft ("lege artis") durchgeführte Heilbehandlung bezieht. Die Prüfung einer hypothetischen Einwilligung in den "Turboentzug" gerade am 15. Januar 1999 hat daher zu unterstellen, R. K. hätte um die unzureichende Überwachung durch den Angeklagten am Folgetag ab 2.00 Uhr gewusst (vgl. BGH, Urt. vom 5. Juli 2007 - 4 StR 549/06 - Rdn. 18 f. m.w.N.). Dann hätte er aber zumindest auf "eine weitere Verschiebung (des Termins) … Wert gelegt" (UA S. 25).
28
b) Daneben hat die Kammer auch zutreffend angenommen, dass die vom Angeklagten pflichtwidrig verursachte unzulängliche Überwachung des Patienten zumindest dazu führte, dass dessen Tod - für den Angeklagten vorhersehbar - vorzeitig eintrat (hierzu Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis 3. Aufl. Rdn. 221 ff. m.w.N.), so dass der Angeklagte auch den Tatbestand der fahrlässigen Tötung rechtswidrig und schuldhaft verwirklicht hat.

III.

29
Die auf die Sachbeschwerde gestützten Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenkläger haben demgegenüber Erfolg. Im Urteil ist nicht unter allen gebotenen Gesichtspunkten erörtert, ob sich der Angeklagte wegen Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 Abs. 1 StGB strafbar gemacht hat.
30
1. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass Grundlage dieser Prüfung allein die Körperverletzung ist, die der Angeklagte dadurch beging , dass er R. K. willentlich Medikamente verabreichte und ihn unter Narkose setzte (vgl. oben I. 2. a)). Ebenfalls rechtsfehlerfrei hat das Landgericht davon abgesehen, auch die unzureichende Überwachung als durch Unterlassen begangene vorsätzliche Körperverletzung zu bewerten. Zwar trat auch insoweit ein Körperverletzungserfolg ein, weil sich der Gesundheitszustand von R. K. während der unzureichenden Überwachung erheblich verschlechterte. Das Landgericht hat jedoch einen - zumindest bedingten - Verletzungsvorsatz nicht festgestellt. Ein solcher Vorsatz ist nach den Feststellungen auch fern liegend, insbesondere weil die Überwachung durch den Angeklagten bis 2.00 Uhr zureichend war, dieser den verschlechterten Zustand um 4.00 Uhr bemerkte und sofort geeignete, wenngleich erfolglose Rettungsbemühungen entfaltete. Vielmehr liegt es nahe, dass der Angeklagte - wenngleich pflichtwidrig - darauf vertraute, die weitere Behandlung verlaufe komplikationsfrei. Daher ist es revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Urteil einen etwaigen Körperverletzungsvorsatz im Hinblick auf die unzureichende Überwachung nicht erörtert.
31
2. Auf der Grundlage der Feststellungen kann allerdings nicht abschließend beurteilt werden, ob der Angeklagte gerade mit dem Heileingriff eine zurechenbare Ursache für den Tod des R. K. setzte. Dies hätte näherer Erörterung bedurft.
32
Die Kammer ist im rechtlichen Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass bei fahrlässigen Erfolgsdelikten, zu denen im Sinne von § 18 StGB auch die erfolgsqualifizierten Delikte gehören, der ursächliche Zusammenhang zwischen dem pflichtwidrigen Verhalten und dem Tötungs- und Verletzungserfolg entfällt, wenn der gleiche Erfolg auch bei pflichtgemäßem Verhalten des Täters eingetreten wäre, der Erfolg also für ihn unvermeidbar gewesen wäre (vgl. BGHSt 49, 1, 4; Tröndle/Fischer, StGB 54. Aufl. vor § 13 Rdn. 18e). Wäre die Körperverletzung nicht in diesem Sinne ursächlich für den Tod von R. K. geworden, so hätte sich auch die tatbestandsspezifische Gefahr nicht darin unmittelbar niederschlagen können (vgl. BGHSt 48, 34, 37; Tröndle/Fischer aaO § 227 Rdn. 2a ff. m.w.N.).
33
Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist die Kammer hinsichtlich der beiden alternativ in Betracht kommenden Todesursachen zu Gunsten des Angeklagten davon ausgegangen, dass R. K. nicht an der aspirationsbedingten Lungenentzündung, sondern an dem hämorrhagischen Lungenödem verstarb. Hätte die Lungenentzündung als Folge einer Aspiration während der Narkose zum Tod des Patienten geführt, wäre die Verursachung durch den Heileingriff evident. Wird hingegen angenommen, R. K. sei an dem hämorrhagischen Lungenödem als Folge einer "Opiatintoxikation" verstorben, weil er bereits vor Behandlungsbeginn ohne Kenntnis des Angeklagten zahlreiche "Giftstoffe" zu sich genommen hatte, ist mit der Kammer grundsätzlich in Betracht zu ziehen, dass der Tod auch dann eingetreten wäre, wenn sich R. K. im Fall mangelfreier Aufklärung nicht dem Heileingriff unterzogen hätte.
34
Im Hinblick auf die Todesursächlichkeit einer "normalen Opiatintoxikation" hat die Kammer allerdings nicht erkennbar bedacht, dass der Heileingriff nicht nur daraus bestand, den Patienten in Narkose zu versetzen, sondern auch daraus, dass "vor und während der Narkose … den Körper erheblich belastende Medikamente verabreicht" wurden. Der Heileingriff ist jedoch als Ganzes zu betrachten. Insbesondere die mehrtägige Gabe des mit einer hohen Rezeptoraffinität ausgestatteten Wirkstoffs Buprenorphin könnte hier geeignet gewesen sein, R. K. erst zu einem erhöhten Beikonsum von toxischen Substanzen zu veranlassen. Daneben könnte von Bedeutung sein, in welchem Umfang die zusätzliche Verabreichung von Dihydrocodein durch den Angeklagten zur letalen Dosis an "Opiaten" beitrug. Schließlich war dem Angeklagten bekannt, dass sein Patient schwerstabhängig war. Gerade deswegen hätte es abhängig von Wirkung und Risiken der Medikation und den sonstigen konkreten Umständen geboten sein können, diesen über die Wirkung der verabreichten Medikamente - insbesondere von Temgesic - zu informieren und ihn über mögliche Risiken aufzuklären. Dies gilt umso mehr, als der Angeklagte darauf verzichtete, seinen Patienten sicher auf ein "Opiat" einzustellen. Im Fall einer derartigen Aufklärung könnte R. K. naheliegenderweise auf den erhöhten Beikonsum verzichtet haben. Allgemein bestehen Zweifel, ob ein ambulanter "Turboentzug" unter diesen vom Landgericht festgestellten Bedingungen überhaupt - unabhängig von dem Überwachungsverschulden - als ein "lege artis" durchgeführter Heileingriff zu bewerten ist. Zu all dem verhält sich das Urteil nicht, obwohl eine Erörterung hier geboten gewesen wäre.
35
Derartige Feststellungen selbst zu treffen, ist dem Revisionsgericht verwehrt. Der Senat bemerkt allerdings, dass die Annahme eines fehlenden Zusammenhangs zwischen Körperverletzung und Todesfolge in Anbetracht der bereits getroffenen Feststellungen eher fern liegt. Auch war es insoweit weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Sachverhaltsvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (st. Rspr., vgl. nur Senatsurt. vom 19. Dezember 2006 - 1 StR 326/06 - Rdn. 25 m.w.N.).
36
3. Auf dem Erörterungsmangel beruht das Urteil, weil der Angeklagte möglicherweise wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt worden wäre, wenn die Kammer bei der Prüfung des ursächlichen und gefahrspezifischen Zusammenhangs nicht erkennbar den Blick auf das In-Narkose-Versetzen verengt hätte. Nack Wahl Kolz Hebenstreit Graf

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Gesetz über den Lastenausgleich


Lastenausgleichsgesetz - LAG

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 244 Beweisaufnahme; Untersuchungsgrundsatz; Ablehnung von Beweisanträgen


(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme. (2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

Strafgesetzbuch - StGB | § 223 Körperverletzung


(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Der Versuch ist strafbar.

Strafprozeßordnung - StPO | § 26a Verwerfung eines unzulässigen Ablehnungsantrags


(1) Das Gericht verwirft die Ablehnung eines Richters als unzulässig, wenn 1. die Ablehnung verspätet ist,2. ein Grund zur Ablehnung oder ein Mittel zur Glaubhaftmachung nicht oder nicht innerhalb der nach § 26 Absatz 1 Satz 2 bestimmten Frist angege

Strafgesetzbuch - StGB | § 227 Körperverletzung mit Todesfolge


(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. (2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahre

Strafgesetzbuch - StGB | § 222 Fahrlässige Tötung


Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Strafprozeßordnung - StPO | § 347 Zustellung; Gegenerklärung; Vorlage der Akten an das Revisionsgericht


(1) Ist die Revision rechtzeitig eingelegt und sind die Revisionsanträge rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form angebracht, so ist die Revisionsschrift dem Gegner des Beschwerdeführers zuzustellen. Diesem steht frei, binnen einer Woche eine sch

Strafgesetzbuch - StGB | § 18 Schwerere Strafe bei besonderen Tatfolgen


Knüpft das Gesetz an eine besondere Folge der Tat eine schwerere Strafe, so trifft sie den Täter oder den Teilnehmer nur, wenn ihm hinsichtlich dieser Folge wenigstens Fahrlässigkeit zur Last fällt.

Strafgesetzbuch - StGB | § 228 Einwilligung


Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

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(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Wer eine Körperverletzung mit Einwilligung der verletzten Person vornimmt, handelt nur dann rechtswidrig, wenn die Tat trotz der Einwilligung gegen die guten Sitten verstößt.

Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Ist die Revision rechtzeitig eingelegt und sind die Revisionsanträge rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form angebracht, so ist die Revisionsschrift dem Gegner des Beschwerdeführers zuzustellen. Diesem steht frei, binnen einer Woche eine schriftliche Gegenerklärung einzureichen. Wird das Urteil wegen eines Verfahrensmangels angefochten, so gibt der Staatsanwalt in dieser Frist eine Gegenerklärung ab, wenn anzunehmen ist, dass dadurch die Prüfung der Revisionsbeschwerde erleichtert wird. Der Angeklagte kann die Gegenerklärung auch zu Protokoll der Geschäftsstelle abgeben.

(2) Nach Eingang der Gegenerklärung oder nach Ablauf der Frist sendet die Staatsanwaltschaft die Akten an das Revisionsgericht.

(1) Das Gericht verwirft die Ablehnung eines Richters als unzulässig, wenn

1.
die Ablehnung verspätet ist,
2.
ein Grund zur Ablehnung oder ein Mittel zur Glaubhaftmachung nicht oder nicht innerhalb der nach § 26 Absatz 1 Satz 2 bestimmten Frist angegeben wird oder
3.
durch die Ablehnung offensichtlich das Verfahren nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden sollen.

(2) Das Gericht entscheidet über die Verwerfung nach Absatz 1, ohne daß der abgelehnte Richter ausscheidet. Im Falle des Absatzes 1 Nr. 3 bedarf es eines einstimmigen Beschlusses und der Angabe der Umstände, welche den Verwerfungsgrund ergeben. Wird ein beauftragter oder ein ersuchter Richter, ein Richter im vorbereitenden Verfahren oder ein Strafrichter abgelehnt, so entscheidet er selbst darüber, ob die Ablehnung als unzulässig zu verwerfen ist.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 549/06
vom
5. Juli 2007
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. Juli 2007,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin Yvonne A. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen des Angeklagten und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 27. Juni 2006 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Die Nebenklägerin, die Ehefrau des Tatopfers, erhebt die Sachrüge und erstrebt mit ihrem Rechtsmittel eine Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB.
2
Beide Rechtsmittel haben Erfolg.

I.


3
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4
Der Angeklagte betreibt seit 1993 als niedergelassener Chirurg eine Arztpraxis in Halle. Seit dem Jahr 2001 bildete er sich auf dem Gebiet der ästhetischen Chirurgie fort und führte fortan in seiner Praxis auch ambulante kosmetische chirurgische Eingriffe durch. Insbesondere nahm er Fettabsaugungen (Liposuktionen) vor und entfernte Fettschürzen (Fettschürzenplastik). Solchen kosmetischen Operationen unterzog sich auch Nevzet A. , der an den Folgen des zweiten Eingriffs verstarb.
5
Ende April/Anfang Mai 2002 führte der Angeklagte bei seinem Patienten im Beisein eines Narkosearztes und einer Krankenschwester den ersten ambulanten Eingriff durch. Er saugte zunächst bei lokaler Betäubung am Bauch des Nevzet A. Fett ab und entfernte anschließend in Vollnarkose operativ die Fettschürze ; außerdem richtete er einen Bauchdeckenbruch. Über die Risiken einer Fettabsaugung und des Betäubungsverfahrens war Nevzet A. vor dieser Operation aufgeklärt worden. Der Eingriff verlief komplikationslos.
6
Am 29. Juni 2002 wurde Nevzet A. ein weiteres Mal vom Angeklagten operiert. Bei diesem Eingriff sollten in lokaler Anästhesie von der ersten Operation herrührende Narbenstummel entfernt und - auf Vorschlag des Angeklagten - nochmals Fett abgesaugt werden. Eine (erneute) Aufklärung über die Risiken einer Fettabsaugung unterblieb; eine Einwilligungserklärung unterzeichnete der Patient nicht. Da am Operationstag - einem Samstag - eine Krankenschwester nicht zur Verfügung stand, bat der Angeklagte seinen Schwager, einen auf medizinischem Gebiet unerfahrenen Chemiestudenten, ihn bei Hilfstätigkeiten, etwa beim Austausch von Fettmengenbehältern, zu unterstützen. Das Patientenmonitoring meinte der Angeklagte selbst vornehmen zu können. Gegen 10.30 Uhr verabreichte der Angeklagte dem Patienten zunächst ein Schlaf förderndes Medikament, später ein solches gegen Angst- und Spannungszustän- de sowie ein opiathaltiges schmerzstillendes Mittel. Er legte ihm außerdem eine Blutdruckmanschette, ein Pulsoximeter und eine Sauerstoffmaske an und schloss ihn an ein EKG-Gerät an. Gegen 12.00 Uhr begann der Angeklagte mit der Operation. Zur Vorbereitung der späteren Fettabsaugung infiltrierte er zunächst vier Liter einer Infusionslösung in den Bauchraum des Patienten. Weil dieser dabei über Schmerzen klagte, verabreichte der Angeklagte ihm nochmals 7,5 mg des Schmerz stillenden Mittels, woraufhin Nevzet A. tief einschlief und zu schnarchen begann. Dem Angeklagten war nicht bewusst, dass die kombinierte Gabe der verabreichten Medikamente das Risiko des Auftretens einer zentralen Atemdepression beim Patienten potenzierte. Auch das tiefe Einschlafen , das dem Zustand einer Vollnarkose gleichkam und auf eine Überdosierung der verabreichten Medikamente hinwies, beunruhigte den Angeklagten nicht. Er begann vielmehr nach der Einwirkungszeit der Infusionslösung (ca. 1 ½ Stunden nach Operationsbeginn) mit dem Absaugen des Fetts. Zu diesem Zeitpunkt litt Nevzet A. bereits an einer medikamentenbedingten Atemdepression , was durch das Beschlagen der Sauerstoffmaske deutlich wurde. Die Operation hätte deshalb sofort abgebrochen und es hätten geeignete Gegenmaßnahmen eingeleitet werden müssen. Das Beschlagen der Sauerstoffmaske, das der Angeklagte bemerkt hatte, vermochte er jedoch nicht richtig zu deuten. Erst ca. 20 Minuten später, als ein Überwachungsgerät Alarmsignale aussandte , registrierte der Angeklagte den besorgniserregenden Zustand seines Patienten und brach die Operation ab. Er versuchte zunächst, Nevzet A. an ein Beatmungsgerät anzuschließen und führte, als dies misslang, eine Mund-zuMund -Beatmung und eine Herzmassage durch. Einen Beatmungsbeutel, der eine wirkungsvollere Beatmung gewährleistet hätte, hatte der Angeklagte nicht zur Hand. Die Gabe von Gegenmitteln zur Behebung der Atemdepression erwog er nicht. Auch die Herbeirufung des Notarztes verzögerte sich, weil der Angeklagte die Telefonnummer der Rettungsstelle nicht greifbar hatte. Noch vor Eintreffen des Notarztes erlitt Nevzet A. als Folge der Überdosierung der verabreichten Medikamente einen Herzstillstand und verstarb. Danach gab der Angeklagte der Ehefrau des Patienten ein Blankoformular mit einer Einwilligung in die Operation und sagte zu ihr, sie solle das Formular unterschreiben "wie ihr Mann".
7
2. Nach Auffassung des Landgerichts ist der Tod des Patienten auf mehrere Sorgfaltsverstöße des Angeklagten zurückzuführen. Dieser habe nämlich - die auf vier Liter Absaugmenge angelegte Liposuktion statt - regelgerecht - in Vollnarkose in lokaler Anästhesie vorgenommen, - die Operation ohne geschultes Personal durchgeführt, so dass ein kontinuierliches Patientenmonitoring nicht gewährleistet gewesen sei, - eine Medikamentenkombination verabreicht, ohne sich über die hierdurch erhöhte Gefährdung des Patienten im Klaren gewesen zu sein, - frühe Hinweise auf die Überdosierung der Medikamente (tiefer Schlaf des Patienten ) und den Beginn einer Atemdepression (Beschlagen der Sauerstoffmaske ) nicht erkannt und deshalb Gegenmaßnahmen nicht rechtzeitig ergreifen können, und schließlich - sei er nur unzureichend auf die Notfallsituation vorbereitet gewesen.
8
Eine vorsätzliche Körperverletzung (mit Todesfolge) hat das Landgericht nicht angenommen, da die Vornahme des Eingriffs selbst durch eine hypothetische Einwilligung des Patienten gerechtfertigt gewesen sei und den Angeklagten in Bezug auf die Überdosierung der Medikamente nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf treffe.

II.


9
Revision des Angeklagten
10
Die Revision des Angeklagten hat mit der Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 5 i.V.m. § 231 Abs. 2 StPO Erfolg. Eines Eingehens auf die weitere vom Beschwerdeführer erhobene Verfahrensrüge und die Sachrüge bedarf es daher nicht.
11
Das Landgericht hat am vierten Verhandlungstag, am 27. Juni 2006, die Hauptverhandlung mit Beweisaufnahme, Schlussvorträgen und Urteilsverkündung in Anwendung des § 231 Abs. 2 StPO in Abwesenheit des Angeklagten in der Annahme zu Ende geführt, dieser sei bei der Fortsetzung der Hauptverhandlung eigenmächtig ausgeblieben. Die für solches Vorgehen unerlässliche Eigenmächtigkeit des Ausbleibens lag indes, wie der Beschwerdeführer noch ausreichend (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) vorgetragen und was sich im Rahmen des vom Senat durchgeführten Freibeweisverfahrens auch als erwiesen bestätigt hat, nicht vor.
12
Der Angeklagte war am Vortag des vierten Hauptverhandlungstags, am 26. Juni 2006, auf Veranlassung einer Allgemeinärztin durch den Notarztdienst zur Abklärung eines akuten Koronarsyndroms zur Behandlung in die Klinik für Innere Medizin des Krankenhauses H. eingewiesen und dort stationär bis zum 28. Juni 2006 unter permanenter Monitorüberwachung behandelt worden. Dass die Strafkammer, der hiervon - ersichtlich ebenso wie dem Verteidiger - nichts bekannt war, von eigenmächtigem Ausbleiben ausgehen konnte, ist ohne Bedeutung (vgl. Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 231 Rdn. 25 m.N.). Die Hauptverhandlung ist hier mit einer Sachverhandlung fortgesetzt und am selben Tag mit dem Urteil abgeschlossen worden, so dass der erwiesenermaßen ohne Verschulden ausgebliebene Angeklagte auch keine Möglichkeit hatte, auf Heilung durch Nachholung der von ihm versäumten wesentlichen Teile der Verhandlung hinzuwirken.

III.


13
Revision der Nebenklägerin
14
Die Revision der Nebenklägerin führt zum Erfolg, da das Landgericht ein vorsätzliches Handeln des Angeklagten in Bezug auf eine Körperverletzung zum Nachteil seines Patienten und damit einhergehend eine (vorsätzliche) Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB mit rechtsfehlerhafter Begründung abgelehnt hat.
15
Die Annahme des Landgerichts, die zweite bei Nevzet A. durchgeführte Liposuktion sei durch eine (hypothetische) Einwilligung des Patienten gerechtfertigt gewesen, hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
16
Zwar ist das Landgericht in seinem rechtlichen Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass ärztliche Heileingriffe (vorsätzliche) Körperverletzungshandlungen darstellen und deshalb grundsätzlich der Einwilligung des Patienten bedürfen , um rechtmäßig zu sein. Diese Einwilligung kann aber wirksam nur erteilt werden, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden ist (vgl. BGHR StGB § 223 Abs. 1 Heileingriff 4 m.w.N.; Ehlers/Broglie, Arzthaftungsrecht 2. Aufl. Rdn. 769). Dies ist hier nicht gesche- hen. Nicht zu beanstanden ist der weitere Ausgangspunkt der Schwurgerichtskammer , dass die Rechtswidrigkeit auch dann entfallen kann, wenn im Falle eines Aufklärungsmangels, wie er hier beim zweiten operativen Eingriff gegeben war, der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Operation eingewilligt hätte (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 16 = BGHR StGB § 223 Abs. 1 Heileingriff 7).
17
Das Landgericht hat eine hypothetische Einwilligung in die mit dem operativen Eingriff verbundenen Körperverletzungshandlungen des Angeklagten mit der Begründung angenommen, der Angeklagte habe seinem Patienten zwar nicht vor der verfahrensgegenständlichen, jedoch vor der ersten Operation "alle Risiken einer Fettabsaugung" (UA 28) erläutert, Nevzet A. sei damals mit dem Eingriff einverstanden gewesen und hätte deshalb selbst bei nochmaliger Aufklärung auch dem zweiten Eingriff zugestimmt (UA 29).
18
Diese Wertung lässt außer Acht, dass sich eine Einwilligung in einen ärztlichen Heileingriff, jedenfalls bei Fehlen einer weitergehenden Aufklärung, nur auf eine lege artis, d.h. nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft durchgeführte Heilbehandlung bezieht (vgl. BGHSt 43, 306, 309; Geiß/Greiner, Arzthaftungsrecht 4. Aufl., S. 168 Rdn. 13). Die Durchführung der zweiten Operation war jedoch, anders als dies bei der ersten Liposuktion im April/Mai 2002 der Fall war, vom Angeklagten von vornherein so angelegt, dass sie nicht dem medizinischen Standard entsprach. Nach den Feststellungen war weder die vom Angeklagten vorgesehene Narkosemethode (Lokalanästhesie statt Vollnarkose ) unter den gegebenen Umständen regelgerecht gewählt, noch hatte er, was in Anbetracht der unzureichenden Notfallvorbereitung eine besondere Risikoerhöhung darstellte, ein kontinuierliches Patientenmonitoring während des Eingriffs sichergestellt, da er sich eines medizinischen Laien statt einer ausgebildeten Krankenschwester als Hilfspersonal bediente.
19
Das Landgericht hätte deshalb bei Prüfung der Frage, ob eine (hypothetische ) Einwilligung des Patienten vorlag, nicht lediglich auf die Umstände der ersten, kunstgerecht durchgeführten Operation abstellen dürfen, sondern hätte in den Blick nehmen und erörtern müssen, ob Nevzet A. auch in Kenntnis der vorgenannten, von der ersten Operation abweichenden Umstände in den Eingriff eingewilligt hätte. Dies dürfte allerdings schon in Anbetracht dessen, dass es sich weder um eine eilbedürftige, noch um eine medizinisch indizierte, sondern lediglich um eine kosmetische Behandlung handelte, die ohnehin erheblich genaueren Aufklärungsanforderungen unterliegt (vgl. Geiß/Greiner aaO S. 167 Rdn. 9), kaum anzunehmen sein.
20
Im Falle des Fehlens einer (hypothetischen) Einwilligung stellt sich der operative Eingriff des Angeklagten jedoch als tatbestandsmäßige und rechtswidrige Körperverletzung dar. Eine vorsätzliche Tat könnte dem Angeklagten nur dann nicht vorgeworfen werden, wenn er, was das Urteil nicht ergibt, nach den bisherigen Feststellungen aber eher fern liegt, irrig vom Vorliegen eines rechtfertigenden Sachverhalts ausgegangen wäre (vgl. hierzu BGHR StGB § 223 Abs. 1 Heileingriff 4 m.w.N.).
Tepperwien Kuckein Athing
Ernemann Sost-Scheible

(1) Wer eine andere Person körperlich mißhandelt oder an der Gesundheit schädigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
Urteil
4 StR 549/06
vom
5. Juli 2007
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 5. Juli 2007,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Kuckein,
Athing,
Dr. Ernemann,
Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwältin
als Vertreterin der Nebenklägerin Yvonne A. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen des Angeklagten und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 27. Juni 2006 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Die Nebenklägerin, die Ehefrau des Tatopfers, erhebt die Sachrüge und erstrebt mit ihrem Rechtsmittel eine Verurteilung des Angeklagten wegen Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB.
2
Beide Rechtsmittel haben Erfolg.

I.


3
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
4
Der Angeklagte betreibt seit 1993 als niedergelassener Chirurg eine Arztpraxis in Halle. Seit dem Jahr 2001 bildete er sich auf dem Gebiet der ästhetischen Chirurgie fort und führte fortan in seiner Praxis auch ambulante kosmetische chirurgische Eingriffe durch. Insbesondere nahm er Fettabsaugungen (Liposuktionen) vor und entfernte Fettschürzen (Fettschürzenplastik). Solchen kosmetischen Operationen unterzog sich auch Nevzet A. , der an den Folgen des zweiten Eingriffs verstarb.
5
Ende April/Anfang Mai 2002 führte der Angeklagte bei seinem Patienten im Beisein eines Narkosearztes und einer Krankenschwester den ersten ambulanten Eingriff durch. Er saugte zunächst bei lokaler Betäubung am Bauch des Nevzet A. Fett ab und entfernte anschließend in Vollnarkose operativ die Fettschürze ; außerdem richtete er einen Bauchdeckenbruch. Über die Risiken einer Fettabsaugung und des Betäubungsverfahrens war Nevzet A. vor dieser Operation aufgeklärt worden. Der Eingriff verlief komplikationslos.
6
Am 29. Juni 2002 wurde Nevzet A. ein weiteres Mal vom Angeklagten operiert. Bei diesem Eingriff sollten in lokaler Anästhesie von der ersten Operation herrührende Narbenstummel entfernt und - auf Vorschlag des Angeklagten - nochmals Fett abgesaugt werden. Eine (erneute) Aufklärung über die Risiken einer Fettabsaugung unterblieb; eine Einwilligungserklärung unterzeichnete der Patient nicht. Da am Operationstag - einem Samstag - eine Krankenschwester nicht zur Verfügung stand, bat der Angeklagte seinen Schwager, einen auf medizinischem Gebiet unerfahrenen Chemiestudenten, ihn bei Hilfstätigkeiten, etwa beim Austausch von Fettmengenbehältern, zu unterstützen. Das Patientenmonitoring meinte der Angeklagte selbst vornehmen zu können. Gegen 10.30 Uhr verabreichte der Angeklagte dem Patienten zunächst ein Schlaf förderndes Medikament, später ein solches gegen Angst- und Spannungszustän- de sowie ein opiathaltiges schmerzstillendes Mittel. Er legte ihm außerdem eine Blutdruckmanschette, ein Pulsoximeter und eine Sauerstoffmaske an und schloss ihn an ein EKG-Gerät an. Gegen 12.00 Uhr begann der Angeklagte mit der Operation. Zur Vorbereitung der späteren Fettabsaugung infiltrierte er zunächst vier Liter einer Infusionslösung in den Bauchraum des Patienten. Weil dieser dabei über Schmerzen klagte, verabreichte der Angeklagte ihm nochmals 7,5 mg des Schmerz stillenden Mittels, woraufhin Nevzet A. tief einschlief und zu schnarchen begann. Dem Angeklagten war nicht bewusst, dass die kombinierte Gabe der verabreichten Medikamente das Risiko des Auftretens einer zentralen Atemdepression beim Patienten potenzierte. Auch das tiefe Einschlafen , das dem Zustand einer Vollnarkose gleichkam und auf eine Überdosierung der verabreichten Medikamente hinwies, beunruhigte den Angeklagten nicht. Er begann vielmehr nach der Einwirkungszeit der Infusionslösung (ca. 1 ½ Stunden nach Operationsbeginn) mit dem Absaugen des Fetts. Zu diesem Zeitpunkt litt Nevzet A. bereits an einer medikamentenbedingten Atemdepression , was durch das Beschlagen der Sauerstoffmaske deutlich wurde. Die Operation hätte deshalb sofort abgebrochen und es hätten geeignete Gegenmaßnahmen eingeleitet werden müssen. Das Beschlagen der Sauerstoffmaske, das der Angeklagte bemerkt hatte, vermochte er jedoch nicht richtig zu deuten. Erst ca. 20 Minuten später, als ein Überwachungsgerät Alarmsignale aussandte , registrierte der Angeklagte den besorgniserregenden Zustand seines Patienten und brach die Operation ab. Er versuchte zunächst, Nevzet A. an ein Beatmungsgerät anzuschließen und führte, als dies misslang, eine Mund-zuMund -Beatmung und eine Herzmassage durch. Einen Beatmungsbeutel, der eine wirkungsvollere Beatmung gewährleistet hätte, hatte der Angeklagte nicht zur Hand. Die Gabe von Gegenmitteln zur Behebung der Atemdepression erwog er nicht. Auch die Herbeirufung des Notarztes verzögerte sich, weil der Angeklagte die Telefonnummer der Rettungsstelle nicht greifbar hatte. Noch vor Eintreffen des Notarztes erlitt Nevzet A. als Folge der Überdosierung der verabreichten Medikamente einen Herzstillstand und verstarb. Danach gab der Angeklagte der Ehefrau des Patienten ein Blankoformular mit einer Einwilligung in die Operation und sagte zu ihr, sie solle das Formular unterschreiben "wie ihr Mann".
7
2. Nach Auffassung des Landgerichts ist der Tod des Patienten auf mehrere Sorgfaltsverstöße des Angeklagten zurückzuführen. Dieser habe nämlich - die auf vier Liter Absaugmenge angelegte Liposuktion statt - regelgerecht - in Vollnarkose in lokaler Anästhesie vorgenommen, - die Operation ohne geschultes Personal durchgeführt, so dass ein kontinuierliches Patientenmonitoring nicht gewährleistet gewesen sei, - eine Medikamentenkombination verabreicht, ohne sich über die hierdurch erhöhte Gefährdung des Patienten im Klaren gewesen zu sein, - frühe Hinweise auf die Überdosierung der Medikamente (tiefer Schlaf des Patienten ) und den Beginn einer Atemdepression (Beschlagen der Sauerstoffmaske ) nicht erkannt und deshalb Gegenmaßnahmen nicht rechtzeitig ergreifen können, und schließlich - sei er nur unzureichend auf die Notfallsituation vorbereitet gewesen.
8
Eine vorsätzliche Körperverletzung (mit Todesfolge) hat das Landgericht nicht angenommen, da die Vornahme des Eingriffs selbst durch eine hypothetische Einwilligung des Patienten gerechtfertigt gewesen sei und den Angeklagten in Bezug auf die Überdosierung der Medikamente nur ein Fahrlässigkeitsvorwurf treffe.

II.


9
Revision des Angeklagten
10
Die Revision des Angeklagten hat mit der Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 5 i.V.m. § 231 Abs. 2 StPO Erfolg. Eines Eingehens auf die weitere vom Beschwerdeführer erhobene Verfahrensrüge und die Sachrüge bedarf es daher nicht.
11
Das Landgericht hat am vierten Verhandlungstag, am 27. Juni 2006, die Hauptverhandlung mit Beweisaufnahme, Schlussvorträgen und Urteilsverkündung in Anwendung des § 231 Abs. 2 StPO in Abwesenheit des Angeklagten in der Annahme zu Ende geführt, dieser sei bei der Fortsetzung der Hauptverhandlung eigenmächtig ausgeblieben. Die für solches Vorgehen unerlässliche Eigenmächtigkeit des Ausbleibens lag indes, wie der Beschwerdeführer noch ausreichend (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) vorgetragen und was sich im Rahmen des vom Senat durchgeführten Freibeweisverfahrens auch als erwiesen bestätigt hat, nicht vor.
12
Der Angeklagte war am Vortag des vierten Hauptverhandlungstags, am 26. Juni 2006, auf Veranlassung einer Allgemeinärztin durch den Notarztdienst zur Abklärung eines akuten Koronarsyndroms zur Behandlung in die Klinik für Innere Medizin des Krankenhauses H. eingewiesen und dort stationär bis zum 28. Juni 2006 unter permanenter Monitorüberwachung behandelt worden. Dass die Strafkammer, der hiervon - ersichtlich ebenso wie dem Verteidiger - nichts bekannt war, von eigenmächtigem Ausbleiben ausgehen konnte, ist ohne Bedeutung (vgl. Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 231 Rdn. 25 m.N.). Die Hauptverhandlung ist hier mit einer Sachverhandlung fortgesetzt und am selben Tag mit dem Urteil abgeschlossen worden, so dass der erwiesenermaßen ohne Verschulden ausgebliebene Angeklagte auch keine Möglichkeit hatte, auf Heilung durch Nachholung der von ihm versäumten wesentlichen Teile der Verhandlung hinzuwirken.

III.


13
Revision der Nebenklägerin
14
Die Revision der Nebenklägerin führt zum Erfolg, da das Landgericht ein vorsätzliches Handeln des Angeklagten in Bezug auf eine Körperverletzung zum Nachteil seines Patienten und damit einhergehend eine (vorsätzliche) Körperverletzung mit Todesfolge nach § 227 StGB mit rechtsfehlerhafter Begründung abgelehnt hat.
15
Die Annahme des Landgerichts, die zweite bei Nevzet A. durchgeführte Liposuktion sei durch eine (hypothetische) Einwilligung des Patienten gerechtfertigt gewesen, hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand.
16
Zwar ist das Landgericht in seinem rechtlichen Ansatz zutreffend davon ausgegangen, dass ärztliche Heileingriffe (vorsätzliche) Körperverletzungshandlungen darstellen und deshalb grundsätzlich der Einwilligung des Patienten bedürfen , um rechtmäßig zu sein. Diese Einwilligung kann aber wirksam nur erteilt werden, wenn der Patient in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden ist (vgl. BGHR StGB § 223 Abs. 1 Heileingriff 4 m.w.N.; Ehlers/Broglie, Arzthaftungsrecht 2. Aufl. Rdn. 769). Dies ist hier nicht gesche- hen. Nicht zu beanstanden ist der weitere Ausgangspunkt der Schwurgerichtskammer , dass die Rechtswidrigkeit auch dann entfallen kann, wenn im Falle eines Aufklärungsmangels, wie er hier beim zweiten operativen Eingriff gegeben war, der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in die tatsächlich durchgeführte Operation eingewilligt hätte (vgl. BGH NStZ-RR 2004, 16 = BGHR StGB § 223 Abs. 1 Heileingriff 7).
17
Das Landgericht hat eine hypothetische Einwilligung in die mit dem operativen Eingriff verbundenen Körperverletzungshandlungen des Angeklagten mit der Begründung angenommen, der Angeklagte habe seinem Patienten zwar nicht vor der verfahrensgegenständlichen, jedoch vor der ersten Operation "alle Risiken einer Fettabsaugung" (UA 28) erläutert, Nevzet A. sei damals mit dem Eingriff einverstanden gewesen und hätte deshalb selbst bei nochmaliger Aufklärung auch dem zweiten Eingriff zugestimmt (UA 29).
18
Diese Wertung lässt außer Acht, dass sich eine Einwilligung in einen ärztlichen Heileingriff, jedenfalls bei Fehlen einer weitergehenden Aufklärung, nur auf eine lege artis, d.h. nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft durchgeführte Heilbehandlung bezieht (vgl. BGHSt 43, 306, 309; Geiß/Greiner, Arzthaftungsrecht 4. Aufl., S. 168 Rdn. 13). Die Durchführung der zweiten Operation war jedoch, anders als dies bei der ersten Liposuktion im April/Mai 2002 der Fall war, vom Angeklagten von vornherein so angelegt, dass sie nicht dem medizinischen Standard entsprach. Nach den Feststellungen war weder die vom Angeklagten vorgesehene Narkosemethode (Lokalanästhesie statt Vollnarkose ) unter den gegebenen Umständen regelgerecht gewählt, noch hatte er, was in Anbetracht der unzureichenden Notfallvorbereitung eine besondere Risikoerhöhung darstellte, ein kontinuierliches Patientenmonitoring während des Eingriffs sichergestellt, da er sich eines medizinischen Laien statt einer ausgebildeten Krankenschwester als Hilfspersonal bediente.
19
Das Landgericht hätte deshalb bei Prüfung der Frage, ob eine (hypothetische ) Einwilligung des Patienten vorlag, nicht lediglich auf die Umstände der ersten, kunstgerecht durchgeführten Operation abstellen dürfen, sondern hätte in den Blick nehmen und erörtern müssen, ob Nevzet A. auch in Kenntnis der vorgenannten, von der ersten Operation abweichenden Umstände in den Eingriff eingewilligt hätte. Dies dürfte allerdings schon in Anbetracht dessen, dass es sich weder um eine eilbedürftige, noch um eine medizinisch indizierte, sondern lediglich um eine kosmetische Behandlung handelte, die ohnehin erheblich genaueren Aufklärungsanforderungen unterliegt (vgl. Geiß/Greiner aaO S. 167 Rdn. 9), kaum anzunehmen sein.
20
Im Falle des Fehlens einer (hypothetischen) Einwilligung stellt sich der operative Eingriff des Angeklagten jedoch als tatbestandsmäßige und rechtswidrige Körperverletzung dar. Eine vorsätzliche Tat könnte dem Angeklagten nur dann nicht vorgeworfen werden, wenn er, was das Urteil nicht ergibt, nach den bisherigen Feststellungen aber eher fern liegt, irrig vom Vorliegen eines rechtfertigenden Sachverhalts ausgegangen wäre (vgl. hierzu BGHR StGB § 223 Abs. 1 Heileingriff 4 m.w.N.).
Tepperwien Kuckein Athing
Ernemann Sost-Scheible

(1) Verursacht der Täter durch die Körperverletzung (§§ 223 bis 226a) den Tod der verletzten Person, so ist die Strafe Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.

(2) In minder schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

Knüpft das Gesetz an eine besondere Folge der Tat eine schwerere Strafe, so trifft sie den Täter oder den Teilnehmer nur, wenn ihm hinsichtlich dieser Folge wenigstens Fahrlässigkeit zur Last fällt.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 326/06
vom
19. Dezember 2006
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
19. Dezember 2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Boetticher,
Hebenstreit,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München I vom 24. Februar 2006 mit den Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge jeweils in zwei Fällen freigesprochen, weil es nach Ausschöpfung aller Beweismittel - so das Landgericht - Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten nicht überwinden konnte. Gegen diesen Freispruch richtet sich die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, mit der sie eine Aufklärungsrüge erhebt und die Verletzung materiellen Rechts rügt.
2
Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

3
1. Dem Angeklagten war folgender Sachverhalt zur Last gelegt worden:
4
Er sei der Rauschgiftlieferant der Zeugen H. I. , seines Cousins, und G. gewesen. Bei einem Treffen der Zeugen im Februar 1999 mit ihm in Rotterdam, bei dem eine weitere unbekannte Person - genannt "K. " - zugegen gewesen sei, habe man vereinbart, dass G. jede zweite Woche vom Angeklagten in Frankfurt Rauschgift zum Weiterverkauf erhalte und jeweils 20.000 DM an den Angeklagten bezahle. Ein bis zwei Wochen später habe der Angeklagte mit "K. " 500 g Kokain und 500 g Heroin guter Qualität aus den Niederlanden nach München verbracht und dort an G. und H. I. übergeben. In der Folgezeit habe der Angeklagte mindestens 20.000 DM erhalten.
5
Aufgrund einer Ende 1999 erneut erfolgten Anfrage seines Cousins habe der Angeklagte "K. " angewiesen, 500 g Kokain von den Niederlanden nach München zu transportieren. Der Transport und die gewinnbringende Veräußerung an H. I. sei weisungsgemäß im Januar 2000 erfolgt.
6
2. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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a) Im Februar 1999 kam es zu einem Rauschgiftgeschäft zwischen G. und H. I. auf der einen Seite und Kr. - deren Abnehmer - auf der anderen Seite. Ende 1999 gab es erneut ein Drogengeschäft zwischen H. I. und Kr. .
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Nicht feststellen konnte das Landgericht, ob die Rauschgiftlieferungen vom pauschal bestreitenden Angeklagten und/oder "K. " aus Holland kamen.
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b) Der Zeuge H. I. ist wegen seiner Beteiligung an den dem Angeklagten zur Last gelegten Taten seit dem 10. Oktober 2003 rechtskräftig verurteilt. In der Hauptverhandlung hat er sich auf ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO berufen und keine Angaben gemacht.
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3. a) Das Landgericht hat seine Bekundungen zu der Tatbeteiligung seines Cousins in der eigenen Hauptverhandlung, bei der polizeilichen und ermittlungsrichterlichen Vernehmung als Zeugen im Verfahren gegen den Angeklagten durch Einvernahme der Verhörspersonen in die Hauptverhandlung eingeführt. Es meinte, Widersprüche in den Aussagen zu sehen, die sich allein durch den Zeitablauf zwischen den Taten und den einzelnen Vernehmungen nicht ohne weiteres erklären ließen. Da die Gewinnung eines persönlichen Eindrucks und Fragestellungen zu den verschiedenen Aussagen nicht möglich gewesen seien, sehe es sich außer Stande, darauf eine Verurteilung zu stützen.
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b) Die Aussage des Zeugen G. hält das Landgericht nicht für geeignet, die früheren Bekundungen des H. I. zu stützen. Beide hätten zwar im Kernbereich annähernd gleiche Angaben zu Lieferzeit und zu Liefermenge gemacht sowie die Namen Y. I. und "K. " genannt. Es sei aber gut möglich, dass der Polizeibeamte L. dem Zeugen G. bei seiner Beschuldigtenvernehmung die Aussage H. I. vorgehalten und ihm somit dessen Äußerungen über Y. I. und "K. " mitgeteilt habe. Dies sei zu Gunsten des Angeklagten zu unterstellen und würde erklären, dass die Zeugen G. und H. I. den Angeklagten Y. I. übereinstimmend als Lieferanten bzw. Vertragspartner benannt haben. Das sei eine nicht sicher auszuschließende Variante. Auch eine Absprache zwischen G. und H. I. erscheine trotz getrennter Inhaftierung nicht völlig abwegig.

II.

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Der Freispruch begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
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1. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit der Aufklärungsrüge gemäß § 244 Abs. 2 StPO die unterlassene Vernehmung des Zeugen H. I. in der Hauptverhandlung. Diesem habe kein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht gemäß § 55 StPO zugestanden. Die Rüge greift durch.
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a) Ihr liegt folgendes Geschehen zugrunde:
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Nachdem der Zeuge H. I. sich in der Hauptverhandlung auf ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht berufen hatte, wurde ihm dieses zunächst durch Verfügung des Vorsitzenden und schließlich durch Kammerbeschluss zugestanden. In diesem Beschluss wurde der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Ordnungs- und Zwangsmittel gegen den Zeugen zurückgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, der Zeuge G. habe bekundet, er vermute, H. I. sei wirklich "groß im Geschäft gewesen" und Y. I. müsse der Chef der ganzen Bande gewesen sein. Da auch der Zeuge Kr. bei seiner Beschuldigtenvernehmung bestätigt habe, H. I. sei "groß im Geschäft gewesen", bestehe der Verdacht, H. I. habe weitere Straftaten begangen, die noch nicht rechtskräftig abgeurteilt seien. Er müsse demnach damit rechnen, dass der Angeklagte seinerseits Angaben nach § 31 BtMG machen würde, die ihn - den Zeugen - belasten würden. Im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts NJW 2002, 1411, 1412 stehe dem Zeugen bei dieser Sachlage ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht zu. Zudem gebe es Differenzen zwischen seinen bisherigen richterlichen Aussagen.
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b) Das Landgericht hat ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen H. I. nicht tragfähig begründet.
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Das Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO kann grundsätzlich nur in dem Umfang greifen, in welchem die Befragung sich auf Vorgänge richtet , die im Verhältnis zu den abgeurteilten Geschehen andere Taten im verfahrensrechtlichen Sinn des § 264 Abs. 1 StPO darstellen würden. Dabei genügt es, wenn der Zeuge über Vorgänge Auskunft geben müsste, die den Verdacht gegen ihn mittelbar begründen, sei es auch nur als Teilstück in einem mosaikartig zusammengesetzten Beweisgebäude (BGH NJW 1999, 1413, 1414; BGHR StPO § 55 Abs. 1 Verfolgung 1). Besteht die konkrete Gefahr, dass er durch eine wahrheitsgemäße Aussage zugleich potentielle Beweismittel gegen sich selbst wegen noch verfolgbarer eigener Delikte liefern müsste, so ist ihm die Erteilung solcher Auskünfte nicht zumutbar (BVerfG NJW 2002, 1411, 1412).
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Eine solche Gefahr der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Zeugen H. I. hat das Landgericht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt dargetan.
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Die pauschalen Bekundungen anderer Zeugen, H. I. sei groß im Rauschgiftgeschäft tätig gewesen, sind keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte im Sinne von § 152 Abs. 2 StPO zur Einleitung weiterer, über die abgeschlossenen hinausgehenden Verfahren.
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Auch die Benennung seines Rauschgiftlieferanten in der Hauptverhandlung begründet keine weitere Gefahr der Strafverfolgung für den Zeugen H. I. , die der Selbstbelastungsfreiheit unterliegt. In der vom Landgericht zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ging es um die erstmalige Preisgabe unbekannter Rauschgiftlieferanten, die nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Gefahr für den Beschwerdeführer beinhaltete, zu- mindest mittelbare Ansatzpunkte für eine Strafverfolgung wegen von ihm begangener weiterer, nicht abgeurteilter Betäubungsmitteldelikte zu liefern. Im vorliegenden Fall war der Lieferant des Zeugen H. I. aufgrund seiner eigenen Angaben jedenfalls seit dem Jahre 2002 bekannt. Sollte seine erneute Benennung als Rauschgiftlieferanten durch den Zeugen in der Hauptverhandlung den Angeklagten dazu veranlassen, möglicherweise den Zeugen über die bereits bekannten Taten hinausgehend zu belasten, so ist dies vom Schutzzweck der verfassungsrechtlich verbürgten Selbstbelastungsfreiheit nicht umfasst (BVerfG NJW 2003, 3045, 3046).
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Die Gefahr der Strafverfolgung wegen eines Aussagedeliktes hat das Landgericht nicht konkretisiert.
22
c) Es ist nicht auszuschließen, dass die Strafkammer zu einer anderen Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten gelangt wäre, wenn sie den Zeugen H. I. in der Hauptverhandlung vernommen hätte, weil sie selbst die fehlende Gewinnung eines persönlichen Eindrucks und die fehlende Möglichkeit von Fragestellungen zur Begründung ihrer Zweifel anführt.
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Schon aufgrund der Verfahrensrüge muss das Urteil aufgehoben werden.
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2. Darüber hinaus hält die Beweiswürdigung der sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand.
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Spricht der Tatrichter einen Angeklagten frei, weil er Zweifel an seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag, so ist dies durch das Revisionsgericht in der Regel hinzunehmen. Denn die Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der Beurteilung durch das Revisionsgericht unterliegt insoweit nur, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind.
Dass ist dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder wenn an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt sind. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zu Gunsten des Angeklagten Tatvarianten zu unterstellen, für deren Vorliegen keine konkreten Anhaltspunkte erbracht sind (st. Rspr., BGH NStZRR 2003, 371; NStZ 2004, 35, 36 m.w.N.).
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Dem wird die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht gerecht.
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a) Die übereinstimmende Benennung des Angeklagten als Rauschgiftlieferant durch die Zeugen G. und H. I. sowie deren weitere übereinstimmende Angaben im Kernbereich zieht das Landgericht aufgrund abstrakttheoretischer Möglichkeiten, die realer Anknüpfungspunkte entbehren, in Zweifel. Für die Annahme, der Polizeibeamte L. habe dem Zeugen G. die Aussage des H. I. im Rahmen des Vorhalts mitgeteilt und dieser habe sie im Kernbereich übernommen, sowie für das Vorliegen einer Absprache enthält das Urteil keine konkreten Anhaltspunkte. Solche ergeben sich weder aus der Aussage des Polizeibeamten noch aus den dargelegten Angaben der beiden Zeugen, die zum Randgeschehen Ungereimtheiten und Widersprüche aufweisen , wie das Landgericht meint.
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b) Im Übrigen ist der Zweifelssatz nicht auf ein entlastendes Indiz, wie hier geschehen, anzuwenden. Der Grundsatz "in dubio pro reo" ist keine Beweis -, sondern eine Entscheidungsregel, die das Gericht erst dann zu befolgen hat, wenn es nach abgeschlossener Beweiswürdigung nicht die volle Überzeugung vom Vorliegen einer für den Schuld- und Rechtsfolgenausspruch unmittelbar entscheidungserhebliche Tatsache zu gewinnen vermag (vgl. BGHR StPO § 261 Beweiswürdigung 24, 27).
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c) Eine Gesamtschau der Urteilsgründe lässt besorgen, dass das Landgericht an die zur Verurteilung erforderliche Überzeugungsbildung überspannte Anforderungen gestellt hat. Nack Boetticher Hebenstreit Elf Graf