Bundesgerichtshof Urteil, 03. Mai 2011 - 1 StR 100/11

bei uns veröffentlicht am03.05.2011

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 100/11
vom
3. Mai 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Mai 2011,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Rothfuß,
Hebenstreit,
Prof. Dr. Sander,
Richterin am Landgericht
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 2. November 2010 wird verworfen. Die Kosten des Rechtsmittels sowie die der Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Betruges in 113 Fällen - unter Freispruch im Übrigen - zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten verurteilt unter Einbeziehung einer Geldstrafe aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Nürnberg vom 18. Februar 2010 sowie der mit Urteil des Amtsgerichts Hof vom 31. März 2010 verhängten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten. Mit ihrer auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision beanstandet die Staatsanwaltschaft die Gesamtstrafenbildung. Dem Rechtsmittel bleibt der Erfolg versagt.

I.


2
Der Verurteilung wegen der Betrugstaten liegt Folgendes zugrunde:
3
In der Zeit vom 28. Januar 2008 bis zum 28. Juli 2008 erwarb die Angeklagte in 108 Fällen Bekleidungsstücke, Lebensmittel und Spirituosen unter unberechtigter Verwendung von EC-Karten anderer Personen im Lastschriftverfahren. Die Summe der 108 Einzelbeträge (von 17,27 € bis 390,02 €) ergibt ei- nen Gesamtschaden in Höhe von 11.134,85 €. „Die erlangten Waren verkaufte sie überwiegend in Second-Hand-Geschäften, um an Geld zu gelangen, welches sie nahezu ausschließlich für die Beschaffung von Amphetamin verwendete.“ In fünf weiteren Fällen schloss die Angeklagte während der Monate März und April 2008 unter einer anderen Identität Mobilfunkverträge ab, um mit den dabei erlangten SIM-Karten ohne Bezahlung telefonieren zu können, bzw. um die Karten ihrem damaligen Lebensgefährten zu überlassen. Hieraus entstand ein weiterer Schaden in Höhe von 1.013,02 €.
4
Die Strafkammer hat festgestellt, dass die Angeklagte gewerbsmäßig handelte. Der Festsetzung der Einzelstrafen legte das Landgericht deshalb den Strafrahmen des § 263 Abs. 3 StGB zugrunde, sofern der jeweilige Schaden nicht unter 30,00 € lag. In diesen Fällen beließ es die Strafkammer beim Strafrahmen des § 263 Abs. 1 StGB. Sie hat dann bei einem Betrugsschaden unter 30,00 € jeweils einen Monat, bei einem Schaden von 30,00 bis 149,99 € sechs Monate und bei darüber liegenden Schadenshöhen sieben Monate Freiheitsstrafe verhängt.
5
Aus diesen Einzelstrafen bildete die Strafkammer dann - unter Einbeziehung der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und fünf Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Hof und der Geldstrafe von 50 Tagessätzen aus dem Strafbefehl des Amtsgerichts Nürnberg - eine Gesamtstrafe in Höhe von drei Jahren und zwei Monaten.

II.


6
Die Gesamtstrafenbildung ist nach Auffassung der Beschwerdeführerin rechtsfehlerhaft. Zum einen sei die Strafe unvertretbar niedrig und habe sich von ihrer gesetzlichen Bestimmung, angemessener Schuldausgleich zu sein, vollständig gelöst. Zum anderen habe die Strafkammer in ihre Strafzumessungserwägungen in unzulässiger Weise Gesichtspunkte der Strafvollstreckung einbezogen im Hinblick auf die in § 35 BtMG eröffnete Möglichkeit von deren Zurückstellung.
7
Damit hat es folgende Bewandtnis:
8
Die Angeklagte konsumierte ab 2007 - mit zwei mehrmonatigen Unterbrechungen - Amphetamin bis zu ihrer Festnahme am 26. August 2009. An diesem Tag hatte sie ca. 20 Gramm Crystal-Speed (mit ca. 15 Gramm Metamphetaminbase) aus der Tschechischen Republik unerlaubt nach Deutschland eingeführt und war entdeckt worden. Wegen dieser Tat wurde sie am 31. März 2010 zu den einbezogenen zwei Jahren und fünf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. Die Angeklagte befand sich seit dem 26. August 2009 in Untersuchungs- und Strafhaft bis die weitere Strafvollstreckung mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 20. Juli 2010 zur therapeutischen Behandlung der Angeklagten gemäß § 35 BtMG zurückgestellt wurde. „Seit dem 22. Juli 2010 befindet sich die Angeklagte in stationärer Langzeittherapie in E. . Sie nimmt dort am regulären Therapieprogramm, bestehend aus Psychotherapie (Einzel- und Gruppengespräche), Arbeitstherapie sowie Ergo- bzw. Freizeittherapie teil. Sie hat sich gut in die dortige Hausgemeinschaft integriert und an die Regelungen und die Disziplin in der Einrichtung angepasst. Von Beginn der Therapie an zeigt die Angeklagte eine nach Einschätzung der behan- delnden Therapeutin Dipl.-Psychologin M. glaubhafte und stabile Veränderungs- und Abstinenzmotivation. Sie beweist eine überzeugende intrinsische (aus dem Inneren kommende) Motivation, ihr Leben zukünftig drogenfrei zu gestalten. Alle in der Einrichtung durchgeführten Alkohol- und Urinkontrollen verliefen negativ. Die Therapie verläuft nach Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen Dr. W. sehr erfolgversprechend.“
9
Vor diesem Hintergrund hat die Strafkammer am Ende Ihrer Erwägungen zur Bildung der Gesamtstrafe ausgeführt:
10
„Schließlich war unter dem Gesichtspunkt der Wirkung der Strafe auf die Angeklagte zu Gunsten der Angeklagten zu berücksichtigen, dass diese bei einer höheren als der ausgesprochenen Gesamtfreiheitsstrafe ihre Langzeittherapie zunächst für weiteren Strafvollzug hätte unterbrechen müssen. Denn insoweit wäre gemäß § 35 Abs. 6 Nr. 1 BtMG die Zurückstellung der Vollstreckung zu widerrufen, weil der noch nicht durch Untersuchungs- oder Strafhaft bzw. anrechenbare Therapie erledigte Strafrest bei einer höheren Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre übersteigen würde. Die Angeklagte hätte mithin einige Monate bis zum erneuten Erreichen eines Strafrestes von nicht mehr als zwei Jahren aus der Therapie in den Strafvollzug überführt werden müssen, was nach Darstellung des Sachverständigen Dr. W. den Therapieerfolg nachhaltig gefährden würde.“

III.


11
Die Gesamtstrafenbildung ist im Ergebnis frei von Rechtsfehlern. Die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Argumente sind allerdings durchaus beachtlich. Letztlich liegt die Gesamtstrafenbildung aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles aber gleichwohl noch im Rahmen des dem Tatrichter hierbei einzuräumenden Beurteilungsspielraums.
12
Die Einbeziehung der Auswirkungen der Strafhöhe auf die Therapie, in der sich die Angeklagte derzeit befindet, liegt hier noch im Rahmen der nach § 46 StGB zulässigen Strafzumessungserwägungen.
13
Die Beschwerdeführerin verweist zwar zu Recht darauf, dass sich die Höhe der Gesamtfreiheitsstrafe nicht wesentlich an den (formellen) Voraussetzungen des § 35 Abs. 3 Nr. 2 BtMG ausrichten darf, um es einem Angeklagten zu ermöglichen, nach Ablauf einer überschaubaren Zeitspanne zur Behandlung seiner Betäubungsmittelabhängigkeit eine stationäre Drogenentwöhnungstherapie anzutreten (vgl. BGH, Beschluss vom 4. März 2009 - 2 StR 37/09 - Rn. 3 f. mwN).
14
Im vorliegenden Fall stellt sich der Sachverhalt jedoch anders dar. Es ging und geht nicht darum, der Angeklagten die Möglichkeit zu einem alsbaldigen Antritt einer Therapie zu eröffnen. Vielmehr befindet sich die Angeklagte - aufgrund der einbezogenen Verurteilung unter den Voraussetzungen des § 35 BtMG - bereits seit geraumer Zeit in entsprechender Behandlung. Die Angeklagte hat sich hierauf sehr positiv eingelassen. Dank ihrer engagierten Mitarbeit hat die Therapie schon weitgehend Erfolg gezeigt.
15
Mit der Erwägung, diesen Erfolg der Therapie zu stabilisieren und nicht zu gefährden, hat das Landgericht auf die Wirkung der Strafe für das zukünftige Leben der Angeklagten abgestellt. Da hierbei von maßgeblicher Bedeutung ist, dass die unter den Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 BtMG begonnene und weit fortgeschrittene Therapie nicht unterbrochen wird, durfte die Strafkammer bei der Festsetzung der Gesamtstrafe - unter Einbeziehung der Verurteilung, die bislang die Grundlage für den Vollstreckungsaufschub bot - auch die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1, Abs. 3 Satz 2 BtMG in den Blick nehmen, solange das Maß des Schuldangemessenen nicht unterschritten wird.
16
Die dazu von der Beschwerdeführerin vertretene Auffassung, die von der Strafkammer gebildete Gesamtstrafe stelle keinen gerechten Schuldausgleich mehr dar, ist zwar nicht fern liegend. Der Senat vermag sie im vorliegenden Fall letztlich nicht zu teilen. Die Taten haben einen gemeinsamen Ursachenzusammenhang. Sie beruhen auf der - weitgehend überwundenen - Betäubungsmittelabhängigkeit der Angeklagten. Dies rechtfertigt hier einen engen Zusammenzug bei der Bildung der Gesamtstrafe, ein Vorgang, der sich mathematischer Betrachtung ohnehin entzieht. Schematismus ist hierbei ebenso nicht angebracht (BGH, Urteil vom 8. August 2001 - 1 StR 291/01). Der Tatrichter darf sich bei der Gesamtstrafenbildung nicht von der Summe der Einzelstrafen leiten lassen (BGH, Beschluss vom 25. August 2010 - 1 StR 410/10). Unter Berücksichtigung der weiteren Begründung der Strafkammer zur Festsetzung der Gesamtstrafe, vermag der Senat auch insoweit keinen Rechtsfehler zu erkennen. Die Rechtsfolge weicht hier noch nicht nach unten von dem ab, was als gerechter Schuldausgleich noch angesehen werden kann. Nack Wahl Rothfuß Hebenstreit Sander

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(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen. (2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Um

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(1) Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, daß er durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande handelt, die sich zur fortgesetzten Begehung von Urkundenfälschung oder Betrug verbunden hat,
2.
einen Vermögensverlust großen Ausmaßes herbeiführt oder in der Absicht handelt, durch die fortgesetzte Begehung von Betrug eine große Zahl von Menschen in die Gefahr des Verlustes von Vermögenswerten zu bringen,
3.
eine andere Person in wirtschaftliche Not bringt,
4.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger oder Europäischer Amtsträger mißbraucht oder
5.
einen Versicherungsfall vortäuscht, nachdem er oder ein anderer zu diesem Zweck eine Sache von bedeutendem Wert in Brand gesetzt oder durch eine Brandlegung ganz oder teilweise zerstört oder ein Schiff zum Sinken oder Stranden gebracht hat.

(4) § 243 Abs. 2 sowie die §§ 247 und 248a gelten entsprechend.

(5) Mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren wird bestraft, wer den Betrug als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Straftaten nach den §§ 263 bis 264 oder 267 bis 269 verbunden hat, gewerbsmäßig begeht.

(6) Das Gericht kann Führungsaufsicht anordnen (§ 68 Abs. 1).

(7) (weggefallen)

(1) Ist jemand wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden und ergibt sich aus den Urteilsgründen oder steht sonst fest, daß er die Tat auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, so kann die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrestes oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist. Als Behandlung gilt auch der Aufenthalt in einer staatlich anerkannten Einrichtung, die dazu dient, die Abhängigkeit zu beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenzuwirken.

(2) Gegen die Verweigerung der Zustimmung durch das Gericht des ersten Rechtszuges steht der Vollstreckungsbehörde die Beschwerde nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Buches der Strafprozeßordnung zu. Der Verurteilte kann die Verweigerung dieser Zustimmung nur zusammen mit der Ablehnung der Zurückstellung durch die Vollstreckungsbehörde nach den §§ 23 bis 30 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz anfechten. Das Oberlandesgericht entscheidet in diesem Falle auch über die Verweigerung der Zustimmung; es kann die Zustimmung selbst erteilen.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn

1.
auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt worden ist oder
2.
auf eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren erkannt worden ist und ein zu vollstreckender Rest der Freiheitsstrafe oder der Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt
und im übrigen die Voraussetzungen des Absatzes 1 für den ihrer Bedeutung nach überwiegenden Teil der abgeurteilten Straftaten erfüllt sind.

(4) Der Verurteilte ist verpflichtet, zu Zeitpunkten, die die Vollstreckungsbehörde festsetzt, den Nachweis über die Aufnahme und über die Fortführung der Behandlung zu erbringen; die behandelnden Personen oder Einrichtungen teilen der Vollstreckungsbehörde einen Abbruch der Behandlung mit.

(5) Die Vollstreckungsbehörde widerruft die Zurückstellung der Vollstreckung, wenn die Behandlung nicht begonnen oder nicht fortgeführt wird und nicht zu erwarten ist, daß der Verurteilte eine Behandlung derselben Art alsbald beginnt oder wieder aufnimmt, oder wenn der Verurteilte den nach Absatz 4 geforderten Nachweis nicht erbringt. Von dem Widerruf kann abgesehen werden, wenn der Verurteilte nachträglich nachweist, daß er sich in Behandlung befindet. Ein Widerruf nach Satz 1 steht einer erneuten Zurückstellung der Vollstreckung nicht entgegen.

(6) Die Zurückstellung der Vollstreckung wird auch widerrufen, wenn

1.
bei nachträglicher Bildung einer Gesamtstrafe nicht auch deren Vollstreckung nach Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 zurückgestellt wird oder
2.
eine weitere gegen den Verurteilten erkannte Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung zu vollstrecken ist.

(7) Hat die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung widerrufen, so ist sie befugt, zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einen Haftbefehl zu erlassen. Gegen den Widerruf kann die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges herbeigeführt werden. Der Fortgang der Vollstreckung wird durch die Anrufung des Gerichts nicht gehemmt. § 462 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend.

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende,die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,das Maß der Pflichtwidrigkeit,die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowiesein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.

(1) Ist jemand wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden und ergibt sich aus den Urteilsgründen oder steht sonst fest, daß er die Tat auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, so kann die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrestes oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist. Als Behandlung gilt auch der Aufenthalt in einer staatlich anerkannten Einrichtung, die dazu dient, die Abhängigkeit zu beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenzuwirken.

(2) Gegen die Verweigerung der Zustimmung durch das Gericht des ersten Rechtszuges steht der Vollstreckungsbehörde die Beschwerde nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Buches der Strafprozeßordnung zu. Der Verurteilte kann die Verweigerung dieser Zustimmung nur zusammen mit der Ablehnung der Zurückstellung durch die Vollstreckungsbehörde nach den §§ 23 bis 30 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz anfechten. Das Oberlandesgericht entscheidet in diesem Falle auch über die Verweigerung der Zustimmung; es kann die Zustimmung selbst erteilen.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn

1.
auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt worden ist oder
2.
auf eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren erkannt worden ist und ein zu vollstreckender Rest der Freiheitsstrafe oder der Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt
und im übrigen die Voraussetzungen des Absatzes 1 für den ihrer Bedeutung nach überwiegenden Teil der abgeurteilten Straftaten erfüllt sind.

(4) Der Verurteilte ist verpflichtet, zu Zeitpunkten, die die Vollstreckungsbehörde festsetzt, den Nachweis über die Aufnahme und über die Fortführung der Behandlung zu erbringen; die behandelnden Personen oder Einrichtungen teilen der Vollstreckungsbehörde einen Abbruch der Behandlung mit.

(5) Die Vollstreckungsbehörde widerruft die Zurückstellung der Vollstreckung, wenn die Behandlung nicht begonnen oder nicht fortgeführt wird und nicht zu erwarten ist, daß der Verurteilte eine Behandlung derselben Art alsbald beginnt oder wieder aufnimmt, oder wenn der Verurteilte den nach Absatz 4 geforderten Nachweis nicht erbringt. Von dem Widerruf kann abgesehen werden, wenn der Verurteilte nachträglich nachweist, daß er sich in Behandlung befindet. Ein Widerruf nach Satz 1 steht einer erneuten Zurückstellung der Vollstreckung nicht entgegen.

(6) Die Zurückstellung der Vollstreckung wird auch widerrufen, wenn

1.
bei nachträglicher Bildung einer Gesamtstrafe nicht auch deren Vollstreckung nach Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 zurückgestellt wird oder
2.
eine weitere gegen den Verurteilten erkannte Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung zu vollstrecken ist.

(7) Hat die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung widerrufen, so ist sie befugt, zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einen Haftbefehl zu erlassen. Gegen den Widerruf kann die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges herbeigeführt werden. Der Fortgang der Vollstreckung wird durch die Anrufung des Gerichts nicht gehemmt. § 462 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 291/01
vom
8. August 2001
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 8. August
2001, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Schluckebier,
Hebenstreit,
Bundesanwalt
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 19. Februar 2001 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit von einer den Betrag von 2.760 DM übersteigenden Verfallsanordnung abgesehen wurde.
Die weitergehende Revision wird verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vierzehn Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Außerdem hat das Landgericht den Verfall von 2.760 DM angeordnet. Mit der zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision erhebt die Staatsanwaltschaft eine Verfahrensrüge und beanstandet die Verletzung materiellen Rechts. Die umfassend eingelegte Revision wird vom Generalbundesanwalt
nur insoweit vertreten, als das Landgericht von einer weitergehenden Verfallsanordnung abgesehen hat. In diesem Unfang hat das Rechtsmittel auch Erfolg.

I.


Der zur Tatzeit 24 Jahre alte Angeklagte ist nicht vorbestraft. Mit Betäubungsmitteln hatte er bis zu den Vorfällen, die Gegenstand dieses Verfahrens sind, nichts zu tun.
Handelspartner des Angeklagten war der damals 17 Jahre alte Zeuge L. , genannt “B. ”, dessen jugendliches Alter der Angeklagte nicht kannte. Der Zeuge L. betätigte sich bereits seit drei bis vier Jahren in der Betäubungsmittelszene. Mit Urteil vom 23. Juni 2000 wurde er wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln - rechtskräftig - zu sechs Monaten Jugendstrafe verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Anfang September 2000 fragte der Zeuge L. den Angeklagten, ob er Heroin besorgen könne. Auf Drängen des Zeugen hörte sich der Angeklagte im Rahmen seiner Kontakte als Gastwirt um und tat eine Quelle auf. Von dieser erwarb der Angeklagte dann - immer entsprechend vorheriger Bestellungen des Zeugen L. - während der Monate September und Oktober 2000 in vierzehn Fällen Heroin und verkaufte es mit einem geringen Preisaufschlag an den Zeugen, und zwar zehnmal 5 Gramm zu jeweils 800 DM, zweimal 6 Gramm für 120 und 150 DM pro Gramm und weitere zweimal 15 Gramm zu jeweils 1.800 DM, insgesamt somit 92 Gramm für mindestens 13.040 DM. Der Wirk-
stoffgehalt betrug mindestens 9 % HHC. Der Zeuge L. v eräußerte das Rauschgift mit einem Gewinnaufschlag weiter.
Ausgehend vom Strafrahmen des § 29 Abs. 1 BtMG hat das Landgericht gegen den Angeklagten Einzelstrafen in Höhe von zehn Monaten bis zu einem Jahr und sechs Monaten Freiheitsstrafe verhängt und hieraus eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren gebildet, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde.
Weiter hat das Landgericht gemäß § 73a StGB den Verfall von 2.760 DM angeordnet. Bei der Festsetzung dieses Betrags orientierte sich die Kammer ausgehend von der Gesamtsumme der für den Verkauf des Heroins vereinnahmten 13.040 DM (Bruttoprinzip) “unter Berücksichtigung der Härtevorschrift des § 73c StGB” am Gewinnanteil des Angeklagten.

II.


Die Revision der Staatsanwaltschaft hat nur hinsichtlich der Verfallsanordnung Erfolg.
1. Die Verfahrensrüge (Aufklärungsrüge) greift, wie der Generalbundesanwalt ausgeführt hat, nicht durch.
2. Die Sachrüge greift nur durch, soweit eine den Betrag von 2.760 DM übersteigende Verfallsanordnung unterblieben ist. Im übrigen ist sie unbegründet.

a) Der Schuldspruch hält rechtlicher Überprüfung stand. Die Beweiswürdigung des Landgerichts - insbesondere zur fehlenden Kenntnis des Angeklagten von der Minderjährigkeit des Zeugen L. - ist weder lückenhaft noch widersprüchlich noch verstößt sie gegen Denkgesetze. Der Versuch der Beschwerdeführerin, die rechtsfehlerfrei getroffene Beweiswürdigung des Landgerichts durch eine eigene zu ersetzen, bleibt erfolglos. Ob auch eine andere Würdigung der Beweise, ein anderes Ergebnis möglich gewesen wäre, ist revisionsrechtlich unerheblich.

b) Auch der Strafausspruch hält rechtlicher Prüfung stand.
Die Strafzumessung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters. Das Revisionsgericht kann nur eingreifen, wenn Rechtsfehler vorliegen. Das ist namentlich dann der Fall, wenn der Tatrichter fehlerhafte Erwägungen anstellt oder wenn erforderliche Erwägungen oder Wertungen unterblieben sind und das Urteil auf dem Mangel beruhen kann, oder wenn sich die Strafe nicht im Rahmen des Schuldangemessenen hält. Eine ins einzelne gehende Richtigkeitskontrolle ist ausgeschlossen (BGHSt 34, 345, 359).
Auch die von der Beschwerdeführein beanstandete Gesamtstrafenbildung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die nach § 54 StPO gebotene Erhöhung der höchsten Einzelstrafe um sechs Monate ist zwar gering. Im Vordergrund steht jedoch nicht die Summe der Einzelstrafen, sondern die Gesamtwürdigung der Person des Täters und seiner Taten (BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 10). Jeder Schematismus ist verfehlt (BGHR StGB § 54 Serienstraftaten 3; BGH NStZ 2001, 365, 366; BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 11; BGH NStZ 2001, 365, 366). Hinzu treten das Verhältnis der einzelnen Straftaten zueinan-
der sowie die Frage, ob die Straftaten einem kriminellen Hang entspringen oder ob es sich um Gelegenheitsdelikte handelte (vgl. BGHSt 24, 268, 269 f.). Wie bei den Einzelstrafen braucht der Tatrichter auch bei der Gesamtstrafe nur die bestimmenden Zumessungsgründe im Urteil darzulegen (BGH aaO 271). Dies hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei getan.
Die Voraussetzungen des § 56 Abs. 2 StGB hat die Strafkammer mit tragfähigen Gründen bejaht. § 56 Abs. 3 StGB steht der Strafaussetzung zur Bewährung hier nicht entgegen.
3. Dagegen hält die Entscheidung zur Verfallsanordnung, soweit gemäß § 73 c StGB von der Anordnung des Verfalls abgesehen wurde, rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Die Strafkammer teilt schon nicht mit, ob sie dem teilweisen Verzicht auf die Anordnung des Verfalls des Wertersatzes § 73c StGB Satz 1 oder Satz 2 zugrundegelegt hat. Hinsichtlich beider Alternativen lassen die Ausführungen und Feststellungen der Strafkammer nicht erkennen, ob sie deren Voraussetzungen rechtsfehlerfrei bejaht hat.

a) Zu den Vermögensverhältnissen des Angeklagten hat die Strafkammer folgendes festgestellt: Seit etwa zwei Jahren hat der Angeklagte in St. ein Speiselokal als “verantwortlicher Wirt mit Konzessionsbesitz” betrieben. Durch die Untersuchungshaft erlitt er nicht unbeträchtliche Vermögenseinbußen. Er war gezwungen, seine Gaststätte zu verkaufen. Jedoch ist der Angeklagte noch Teilhaber und kann jederzeit wieder seine Tätigkeit in dem Betrieb
aufnehmen. Der - inhaftierte - Angeklagte hat derzeit kein Einkommen, jedoch keine Schulden.
Im übrigen hat das Landgericht die Anwendung des § 73c StGB auf folgende Erwägungen gestützt: Dem Angeklagten ist im Rahmen des Bewährungsbeschlusses auferlegt worden, 10.000 DM an eine gemeinnützige Einrichtung zu bezahlen, ohne daß ihm zur Zeit geregelte Einkünfte zur Verfügung stehen. Die nahezu dreimonatige Untersuchungshaft hatte für den strafunerfahrenen Angeklagten auch persönlich tiefgreifende Einschnitte zur Folge. Es ist eine Freiheitsstrafe verhängt worden, deren Vollstreckung habe zur Bewährung ausgesetzt werden können. Da der Angeklagte nur einen geringfügigen Aufschlag auf den von ihm gezahlten Heroinpreis vorgenommen habe, habe das Gericht “somit” lediglich eine im Wege der Schätzung gemäß § 73b StGB bestimmte Gewinnabschöpfung in Höhe von 2.760 DM ausgesprochen. “Dabei wurde”, so die Strafkammer, “durchaus berücksichtigt, daß allein der mutmaßliche Verbrauch des Drogengeldes (etwa zum Erwerb der Droge) keine unbillige Härte im Sinne des § 73c StGB darstellt; die Kammer räumte den oben genannten Erwägungen jedoch hervorragendes Gewicht bei.”

b) Falls das Landgericht § 73c Abs. 1 Satz 2 erste Alt. StGB anwenden wollte, hätte es zunächst feststellen müssen, ob das Erlangte im Vermögen des Angeklagten noch vorhanden war. Die wenig konkreten Hinweise auf den ”mutmaßlichen Verbrauch des Drogengeldes (etwa zum Erwerb der Droge)” und die “nicht unbeträchtlichen Vermögenseinbußen” durch die erlittene Untersuchungshaft genügen hierzu nicht. Der Angeklagte ist nach wie vor “Teilhaber” an einer Gaststätte. Der Wert dieses Anteils wird jedoch ebenso wenig mitgeteilt, wie der Erlös aus dem Verkauf der übrigen Anteile an der Gaststätte
und dessen Verbleib, sowie der Wert möglicher sonstiger Vermögensreste. Es ist deshalb offen und revisionsrechtlich nicht überprüfbar, ob und in welchem Unfang noch Vermögenswerte vorhanden sind, in denen sich das aus den Taten Erlangte widerfindet. Denn eine Ermessensentscheidung nach § 73c Abs. 1 Satz 2 erste Alt. StGB scheidet schon dann aus, solange und soweit der Angeklagte über Vermögen verfügt, das wertmäßig nicht hinter dem anzuordnenden Verfallbetrag zurückbleibt. In diesen Fällen liegt es nahe, daß der Wert des Erlangten im Vermögen noch vorhanden ist. Der Verfall hängt nicht davon ab, ob die vorhandenen Vermögenswerte unmittelbar mit Drogengeldern erworben wurden oder ob mit Drogengeldern andere Aufwendungen bestritten und erst mit den so eingesparten Mitteln das noch vorhandene Vermögen gebildet oder dessen Verbrauch vermieden wurde (vgl. BGH NStZ 2000, 480, 481).
Wollte sich das Landgericht auf § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB (“unbillige Härte”) stützen, so sind auch die Voraussetzungen dieser Vorschrift nicht dargetan. Da § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB auch dann gilt, wenn der Wert des Erlangten im Vermögen des Angeklagten noch vorhanden ist, müssen an dessen Voraussetzungen hohe Anforderungen gestellt werden. Die Situation muß so sein, daß die Verfallserklärung “ungerecht” wäre, daß sie das Übermaßverbot verletzen würde. Entscheidend ist, wie sich die Verfallsanordnung konkret auf das Vermögen auswirkt (BGH NStZ-RR 2000, 365). Schon hierzu fehlt es an den erforderlichen Feststellungen.
Die Erwägungen des Landgerichts sind auch im übrigen weder geeignet, eine unbillige Härte im Sinne von § 73c Abs. 1 Satz 1 StGB noch eine Billigkeitsentscheidung gemäß § 73c Abs. 1 Satz 2 StGB tragfähig zu begründen. Die Strafkammer stellt im Kern darauf ab, die Resozialisierung des Angeklag-
ten nicht durch zu hohe finanzielle Belastungen zu gefährden. Dies ist zwar auch beim Verfall eine im Grundsatz zulässige Erwägung, jedenfalls soweit es sich um den Gewinn überschreitende Beträge handelt.
Einer - fakultativen - Bewährungsauflage gemäß § 56b Abs. 2 Nr. 2 StGB (Zahlung eines Geldbetrags zugunsten einer gemeinnützigen Einrichtung oder der Staatskasse) kann bei der Anwendung der Härtevorschrift des § 73c StGB keine entscheidende Bedeutung zukommen. Vielmehr ist die Zumutbarkeit einer derartigen Auflage an der Leistungsfähigkeit eines Angeklagten unter Berücksichtigung auch der aus einem Urteil unmittelbar folgenden, grundsätzlich unabdingbaren und deshalb vorrangigen Zahlungspflichten, wie etwa einer zusätzlichen Geldstrafe (§§ 41, 53 Abs. 2 Satz 2 StGB), einer Vermögensstrafe (§ 43a StGB) oder - wie hier - einer auf einen Geldbetrag lautenden Verfallsanordnung (§ 73a StGB) zu messen.
Entgegen dem Antrag des Generalbundesanwalts und des Verteidigers konnte der Senat zur Verfallsanordnung in der Sache nicht selbst entscheiden, da die Anwendung des § 73c StGB in erster Linie Sache des Tatrichters ist und im übrigen tragfähige Feststellungen hierzu bislang fehlen.
Schäfer Wahl Boetticher Schluckebier Hebenstreit

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 410/10
vom
25. August 2010
in der Strafsache
gegen
BGHSt: nein
BGHR: ja
Nachschlagewerk: ja
Veröffentlichung: ja
______________________________
Eine starke Erhöhung der Einsatzstrafe legt einen Rechtsfehler bei der Gesamtstrafenbildung
gemäß § 54 StGB nicht ohne weiteres nahe.
BGH, Beschluss vom 25. August 2010 - 1 StR 410/10 - LG Augsburg
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. August 2010 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Augsburg vom 22. Januar 2010 wird als unbegründet verworfen,
da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
den Nebenklägerinnen im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Ergänzend zu den zutreffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts
merkt der Senat an:
Entgegen dem Revisionsvorbringen erfolgte die Bildung der Gesamtstrafe
gemäß § 54 StGB ohne Rechtsfehler. Der Tatrichter war nicht gehindert, die
verwirkte höchste Einzelstrafe (zwei Jahre) auf sechs Jahre und neun Monate
zu erhöhen.
1. Die Bemessung der Gesamtstrafe ist im Wege einer Gesamtschau
des Unrechtsgehalts und des Schuldumfangs vorzunehmen. Erforderlich ist bei
der Gesamtstrafenbildung nach § 54 Abs. 1 StGB ein eigenständiger Zumessungsakt
(vgl. BGH, Beschluss vom 13. November 2008 - 3 StR 485/08). Der
Summe der Einzelstrafen kommt nur ein geringes Gewicht zu, maßgeblich ist
die angemessene Erhöhung der Einsatzstrafe unter zusammenfassender Würdigung
der Person des Täters und der einzelnen Straftaten (§ 54 Abs. 1 Satz 3
StGB). Die Erhöhung der Einsatzstrafe kann geringer ausfallen, wenn zwischen
den einzelnen Taten ein enger zeitlicher, sachlicher und situativer Zusammenhang
besteht. Die wiederholte Begehung gleichartiger Taten kann der Ausdruck
einer niedriger werdenden Hemmschwelle sein. Andererseits kann hierin je
nach den Umständen des Einzelfalles ein Indiz für eine besondere kriminelle
Energie (§ 46 Abs. 2 StGB) gesehen werden. Denn aus hartnäckiger Tatwiederholung
in schneller Folge können sich durchaus gesamtstrafen-schärfende
Umstände ergeben (vgl. Fischer, StGB, 57. Aufl., § 54 Rn. 10). Gerade bei Sexualdelikten
wird die Milderungsmöglichkeit der sinkenden Hemmschwelle
durch den ständigen Druck ausgeglichen, dem das Opfer dadurch ausgesetzt
ist, dass es jederzeit mit einer neuen Tat rechnen muss (vgl. Schäfer/
Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 4. Aufl., Rn. 664).
An die Begründung der Gesamtstrafenhöhe sind umso höhere Anforderungen
zu stellen, je mehr sich die Strafe der oberen oder unteren Grenze des
Zulässigen nähert. Eine starke Erhöhung der Einsatzstrafe bedarf dann besonderer
Begründung, wenn sich diese nicht aus den fehlerfrei getroffenen Feststellungen
von selbst ergibt. Da eine "Mathematisierung" der Strafzumessung
fremd ist, kann - anders als der Revisionsführer meint - kein Rechtsfehler allein
darin gesehen werden, dass die Einsatzstrafe mehr als verdreifacht wurde (vgl.
hierzu Fischer, aaO, § 54 Rn. 7a). Derartige Überlegungen finden im Gesetz
keine Stütze. Der Tatrichter kann auch nicht dazu gezwungen werden, eine
schuldunangemessene erhöhte Einsatzstrafe festzusetzen, um die rechtsfehlerfreie
Verhängung einer tat- und schuldangemessenen Gesamtstrafe zu ermöglichen
(vgl. auch BGHR StGB § 54 Strafhöhe 1).
Das Revisionsgericht hat nur auf Rechtsfehler einzugreifen. Diese können
insbesondere dann vorliegen, wenn die Gesamtstrafe sich nicht innerhalb
des gesetzlichen Strafrahmens befindet oder die gebotene Begründung für die
Gesamtstrafe fehlt, oder wenn die Besorgnis besteht, der Tatrichter habe sich
von der Summe der Einzelstrafen leiten lassen (vgl. hierzu u.a. BGH, Beschluss
vom 3. Februar 1999 - 2 StR 678/98 - mwN). Denn eine ungewöhnlich hohe
Divergenz zwischen Einsatzstrafe und Gesamtstrafe kann (jedenfalls beim Fehlen
einer tragfähigen Begründung) die Besorgnis begründen, dass das Gericht
sich in zu starkem Maße von der Summe der Einzelstrafen hat leiten lassen
(vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, aaO, Rn. 661 mwN).
2. Solche Rechtsfehler sind im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Tatrichter
hat die Erhöhung der Einsatzstrafe nicht nur durch zulässige (vgl. u.a.
BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 1, 4) Bezugnahme auf die den Einzelstrafen
zugrunde liegenden Strafzumessungserwägungen begründet. Er hat vielmehr
zusätzlich einerseits auf "die Sexualstraftaten im sozialen Nahraum innewohnende
Wiederholungsdynamik" abgestellt und andererseits auf das "Gesamtgewicht
der Taten". Das ist rechtlich nicht zu beanstanden. Gerade das
Gesamtgewicht des abzuurteilenden Sachverhalts hat nach dem Beschluss des
Großen Senats für Strafsachen zur fortgesetzten Handlung bei der Gesamtstrafenbildung
besondere Bedeutung erlangt. Dies gilt vor allem bei Sexualstraftaten
, wo die insbesondere psychischen Folgen beim Opfer einzelnen Taten nur
schwer zugeordnet werden können, aber in ihrem Gesamtgewicht als Ergebnis
aller Einzeltaten sicher feststehen (vgl. BGHR StGB § 54 Serienstraftaten 3
mwN). In diesen Fällen ist ohnehin nicht die Zahl der Taten, sondern die durch
die Taten erfolgte Beeinträchtigung des Opfers maßgeblicher Strafzumessungsgrund
(vgl. Schäfer/Sander/van Gemmeren, aaO, Rn. 664).
Im Übrigen ergibt sich hier aus den fehlerfrei getroffenen Feststellungen,
dass der Angeklagte weit über 100 erhebliche Sexualstraftaten an zwei verschiedenen
Opfern begangen hat, wobei "beide Stieftöchter den erlebten Missbrauch
psychisch noch nicht verarbeiten konnten" (UA S. 49). Grundsätzlich
lässt nicht jede deutliche Erhöhung der Einsatzstrafe besorgen, der Tatrichter
habe sich rechtsfehlerhaft (vgl. hierzu BGHR StGB § 54 Abs. 1 Bemessung 12)
bei Bemessung der Gesamtstrafe an der Obergrenze des Strafrahmens oder
gar an der Summe der Einzelstrafen orientiert. Im vorliegenden Fall ist diese
Besorgnis ohnehin fern liegend. Der Tatrichter hat sich bei der Festsetzung der
Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten ersichtlich nicht von
der Obergrenze des Strafrahmens (15 Jahre; § 54 Abs. 2 StGB) oder gar der
Summe der Einzelstrafen (über 130 Jahre) leiten lassen.
Nack Wahl Rothfuß
Jäger Sander