Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Okt. 2019 - XII ZB 118/19

published on 02/10/2019 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Okt. 2019 - XII ZB 118/19
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Amtsgericht Deggendorf, XVII 402/17, 09/01/2018
Landgericht Deggendorf, 13 T 38/18, 22/02/2019

Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 118/19
vom
2. Oktober 2019
in der Betreuungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
In einem Betreuungsverfahren ersetzt die Bekanntgabe des Sachverständigengutachtens
an den Verfahrenspfleger oder an den Betreuer grundsätzlich nicht
die notwendige Bekanntgabe an den Betroffenen persönlich (im Anschluss an
Senatsbeschluss vom 8. August 2018 - XII ZB 139/18 - FamRZ 2018, 1769).
BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2019 - XII ZB 118/19 - LG Deggendorf
AG Deggendorf
ECLI:DE:BGH:2019:021019BXIIZB118.19.0

Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. Oktober 2019 durch den Vorsitzenden Richter Dose und die Richter Prof. Dr. Klinkhammer, Schilling, Dr. Günter und Dr. Botur
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird der Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Deggendorf vom 22. Februar 2019 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 5.000 €

Gründe:

I.

1
Für die Betroffene wurde mit Beschluss vom 22. September 2016 eine umfassende Betreuung eingerichtet, deren Aufhebung sie begehrt.
2
Mit Schreiben vom 11. Dezember 2017 hat die Betroffene die "Kündigung" der Betreuung erklärt. Das Amtsgericht hat dieses Schreiben als Antrag auf Aufhebung der Betreuung gewertet und ihn mit Beschluss vom 9. Januar 2018 zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das Landgericht verworfen. Diese Entscheidung hat der Senat auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen mit Beschluss vom 24. Oktober 2018 (XII ZB 188/18) aufgehoben. Nach Zurückverweisung des Verfahrens hat das Landgericht ein medizinisches Sachverständigengutachten zur Frage des Fortbestehens der medizinischen Voraussetzungen für die angeordnete Betreuung eingeholt, das der Sachverständige am 10. Januar 2019 vorgelegt hat. Dieses Gutachten ist dem Betreuer, dem Verfahrenspfleger und den beteiligten Eltern der Betroffenen, nicht jedoch der Betroffenen selbst übermittelt worden. Das Landgericht hat nach Anhörung der Betroffenen die Beschwerde zurückgewiesen. Mit ihrer erneuten Rechtsbeschwerde erstrebt die Betroffene weiterhin die Aufhebung der Betreuung.

II.

3
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur erneuten Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Die Rechtsbeschwerde rügt zu Recht, dass das im Beschwerdeverfahren eingeholte Sachverständigengutachten der Betroffenen nicht mit seinem vollen Wortlaut persönlich zur Verfügung gestellt wurde.
4
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats setzt die Verwertung eines Sachverständigengutachtens als Grundlage einer Entscheidung in der Hauptsache gemäß § 37 Abs. 2 FamFG voraus, dass das Gericht den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt hat. Insoweit ist das Gutachten mit seinem vollen Wortlaut im Hinblick auf die Verfahrensfähigkeit eines Betroffenen (§ 275 FamFG) grundsätzlich auch ihm persönlich zur Verfügung zu stellen. Davon kann nur unter den Voraussetzungen des § 288 Abs. 1 FamFG abgesehen werden (vgl. Senatsbeschlüsse vom 26. September 2018 - XII ZB 395/18 - FamRZ 2019, 139 Rn. 7 und vom 15. August 2018 - XII ZB 10/18 - FamRZ 2018, 1770 Rn. 15).
5
2. Diesen Anforderungen wird das vorliegende Verfahren nicht gerecht.
6
a) Weder aus den Feststellungen des Landgerichts noch aus den Gerichtsakten lässt sich entnehmen, dass der Inhalt des Gutachtens der Betroffenen mit seinem vollen Wortlaut zur Verfügung gestellt worden ist. Ausweislich des Protokolls des Landgerichts vom 22. Februar 2019 wurde der Sachverständige im Anhörungstermin nur ergänzend zu seinem schriftlichen Gutachten angehört. Dies genügt den verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, weil der Betroffenen damit die Möglichkeit genommen worden ist, sich auf den Anhörungstermin ausreichend vorzubereiten und durch die Erhebung von Einwendungen und durch Vorhalte an den Sachverständigen eine andere Einschätzung zu erreichen (vgl. Senatsbeschluss vom 16. Mai 2018 - XII ZB 14/18 - NJW-RR 2018, 964 Rn. 8).
7
b) Die Bekanntgabe des Gutachtens an den Verfahrenspfleger ersetzt eine Bekanntgabe an den Betroffenen nicht, denn der Verfahrenspfleger ist - anders als ein Verfahrensbevollmächtigter - nicht Vertreter des Betroffenen im Verfahren. Durch eine Bekanntgabe an den Verfahrenspfleger kann allenfalls dann ein notwendiges Mindestmaß rechtlichen Gehörs sichergestellt werden, wenn das Gericht von der vollständigen schriftlichen Bekanntgabe eines Gutachtens an den Betroffenen entsprechend § 288 Abs. 1 FamFG absieht, weil zu besorgen ist, dass die Bekanntgabe die Gesundheit des Betroffenen schädigen oder zumindest ernsthaft gefährden werde, und die Erwartung gerechtfertigt ist, dass der Verfahrenspfleger mit dem Betroffenen über das Gutachten spricht (vgl. Senatsbeschluss vom 8. August 2018 - XII ZB 139/18 - FamRZ 2018, 1769 Rn. 11 mwN). Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Insbesondere enthält das Sachverständigengutachten keinen Hinweis darauf, dass die Betroffene durch dessen Bekanntgabe Gesundheitsnachteile entsprechend § 288 Abs. 1 FamFG zu befürchten hätte.
8
c) Ebenso wenig konnte die erforderliche persönliche Bekanntgabe des Sachverständigengutachtens an die Betroffene durch die Übersendung des Gutachtens an den Betreuer ersetzt werden. Selbst wenn der Betreuer mit der Betroffenen über das Gutachten gesprochen hätte, wofür jedoch Feststellungen fehlen, genügte dies allein nicht, um dem Anspruch der Betroffenen auf rechtliches Gehör gerecht zu werden (vgl. Senatsbeschluss vom 8. August 2018 - XII ZB 139/18 - FamRZ 2018, 1769 Rn. 12 mwN).
9
3. Gemäß § 74 Abs. 5 und 6 Satz 2 FamFG ist der angefochtene Beschluss aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.
10
4. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung , zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG). Dose Klinkhammer Schilling Günter Botur
Vorinstanzen:
AG Deggendorf, Entscheidung vom 09.01.2018 - XVII 402/17 -
LG Deggendorf, Entscheidung vom 22.02.2019 - 13 T 38/18
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(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig

(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem gesamten Inhalt des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. (2) Das Gericht darf eine Entscheidung, die die Rechte eines Beteiligten beeinträchtigt, nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen

(1) Von der Bekanntgabe der Gründe eines Beschlusses an den Betroffenen kann abgesehen werden, wenn dies nach ärztlichem Zeugnis erforderlich ist, um erhebliche Nachteile für seine Gesundheit zu vermeiden. (2) Das Gericht hat der zuständigen Behö
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(1) Das Gericht entscheidet nach seiner freien, aus dem gesamten Inhalt des Verfahrens gewonnenen Überzeugung.

(2) Das Gericht darf eine Entscheidung, die die Rechte eines Beteiligten beeinträchtigt, nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen, zu denen dieser Beteiligte sich äußern konnte.

(1) Von der Bekanntgabe der Gründe eines Beschlusses an den Betroffenen kann abgesehen werden, wenn dies nach ärztlichem Zeugnis erforderlich ist, um erhebliche Nachteile für seine Gesundheit zu vermeiden.

(2) Das Gericht hat der zuständigen Behörde den Beschluss über die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts oder Beschlüsse über Umfang, Inhalt oder Bestand einer solchen Maßnahme stets bekannt zu geben. Andere Beschlüsse sind der zuständigen Behörde bekannt zu geben, wenn sie vor deren Erlass angehört wurde.

(1) Das Rechtsbeschwerdegericht hat zu prüfen, ob die Rechtsbeschwerde an sich statthaft ist und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen.

(2) Ergibt die Begründung des angefochtenen Beschlusses zwar eine Rechtsverletzung, stellt sich die Entscheidung aber aus anderen Gründen als richtig dar, ist die Rechtsbeschwerde zurückzuweisen.

(3) Der Prüfung des Rechtsbeschwerdegerichts unterliegen nur die von den Beteiligten gestellten Anträge. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die geltend gemachten Rechtsbeschwerdegründe nicht gebunden. Auf Verfahrensmängel, die nicht von Amts wegen zu berücksichtigen sind, darf die angefochtene Entscheidung nur geprüft werden, wenn die Mängel nach § 71 Abs. 3 und § 73 Satz 2 gerügt worden sind. Die §§ 559, 564 der Zivilprozessordnung gelten entsprechend.

(4) Auf das weitere Verfahren sind, soweit sich nicht Abweichungen aus den Vorschriften dieses Unterabschnitts ergeben, die im ersten Rechtszug geltenden Vorschriften entsprechend anzuwenden.

(5) Soweit die Rechtsbeschwerde begründet ist, ist der angefochtene Beschluss aufzuheben.

(6) Das Rechtsbeschwerdegericht entscheidet in der Sache selbst, wenn diese zur Endentscheidung reif ist. Andernfalls verweist es die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und des Verfahrens zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Beschwerdegericht oder, wenn dies aus besonderen Gründen geboten erscheint, an das Gericht des ersten Rechtszugs zurück. Die Zurückverweisung kann an einen anderen Spruchkörper des Gerichts erfolgen, das die angefochtene Entscheidung erlassen hat. Das Gericht, an das die Sache zurückverwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung zugrunde liegt, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(7) Von einer Begründung der Entscheidung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.