Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Okt. 2009 - VIII ZB 97/08

bei uns veröffentlicht am20.10.2009
vorgehend
Landgericht München I, 35 O 18550/07, 23.06.2008
Oberlandesgericht München, 18 U 4079/08, 17.11.2008

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZB 97/08
vom
20. Oktober 2009
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 233 B, Fd, Ff
Erteilt ein Rechtsanwalt einer bis dahin sorgfältig arbeitenden Büroangestellten
die konkrete Einzelanweisung, einen von ihm unterzeichneten Antrag auf
Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vorab an das Berufungsgericht
zu faxen, ist es ihm nicht als Organisationsverschulden anzurechnen, wenn
die Angestellte dieser Weisung zwar nachkommt, dabei aber die zusätzlich
bestehende, durch die Einzelanweisung nicht außer Kraft gesetzte allgemeine
Anweisung missachtet, bei Faxsendungen - insbesondere bei fristgebundenen
Schriftsätzen - den Versand des Schriftstücks abzuwarten und den
Sendebericht auf die gelungene Übermittlung des Schriftsatzes zu überprüfen.
BGH, Beschluss vom 20. Oktober 2009 - VIII ZB 97/08 - OLG München
LG München I
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Oktober 2009 durch den
Vorsitzenden Richter Ball, die Richterinnen Dr. Milger und Dr. Hessel, den Richter
Dr. Schneider sowie die Richterin Dr. Fetzer

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten wird der Beschluss des 18. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 17. November 2008 aufgehoben. Dem Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München vom 23. Juni 2008 gewährt. Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 4.881,78 €

Gründe:

I.

1
Die Klägerin hat den Beklagten auf Zahlung rückständiger Leasingraten, auf Schadensersatz wegen vorzeitiger Rückgabe des geleasten Fahrzeugs und auf Ersatz von Abholungskosten in Höhe von insgesamt 8.178,70 € in Anspruch genommen. Das der Klage teilweise stattgebende Urteil des Landgerichts ist dem Beklagten am 1. Juli 2008 zugestellt worden. Die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten ist am 1. August 2008 beim Oberlandesgericht eingegangen. Mit Schriftsatz vom 28. August 2008 hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um drei Wochen bis zum 22. September 2008 beantragt. Das Fristverlängerungsgesuch ist allerdings erst am 2. September 2008 per Telefax und als Einwurf- oder Postsendung am 3. September 2008 beim Oberlandesgericht eingegangen.
2
Der Vorsitzende des zuständigen Senats hat mit Verfügung vom 2. September 2008 die Frist zur Begründung der Berufung um drei Wochen verlängert. Auf den Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 22. September 2008, per Telefax am selben Tag beim Oberlandesgericht eingegangen, hat der Vorsitzende eine weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis einschließlich 30. September 2008 bewilligt. Die Berufungsbegründung des Beklagten ist am 30. September zum Oberlandesgericht gelangt.
3
Mit Verfügung vom 1. Oktober 2008 hat der Vorsitzende den Hinweis erteilt , der Antrag auf Verlängerung dieser Frist sei erst am 2. September und damit nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist per Fax beim Oberlandesgericht eingegangen, weswegen die Fristverlängerungen ins Leere gingen und die Frist zur Berufungsbegründung versäumt sei. Daraufhin hat der Beklagtenvertreter den ursprünglichen Fristverlängerungsantrag wiederholt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und der Frist zur Stellung eines Verlängerungsantrags begehrt.
4
Zur Rechtfertigung seines Wiedereinsetzungsgesuchs hat der Beklagte vorgetragen und glaubhaft gemacht, eine seit über zwei Jahren in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten tätige, äußerst sorgfältig und gründlich arbeitende Anwaltsgehilfin habe den Auftrag erhalten, das Fristverlängerungsgesuch vom 28. August 2008 vorab an das Oberlandesgericht zu faxen. Sie habe den vom Prozessbevollmächtigten unterzeichneten und in der Unterschriftenmappe an sie zurückgeleiteten Schriftsatz am Abend des 1. September 2008 auf das Faxgerät gelegt. Zuvor habe sie sich im Fristenbuch vergewissert, dass eine Faxsendung an diesem Tag noch rechtzeitig gewesen sei. Wie sich im Nachhinein herausgestellt habe - das zerrissene Sendeprotokoll sei später im zum Schreddern vorgesehenen Altpapier aufgefunden worden -, habe die Mitarbeiterin den Schriftsatz am 1. September 2008 um 16.59 Uhr an die richtige Faxnummer gesendet. Sie habe aber wegen des anstehenden Dienstschlusses ausnahmsweise den Ausdruck des Sendejournals nicht abgewartet und daher nicht erkannt, dass die Faxsendung nicht erfolgreich übermittelt worden sei. Am darauf folgenden Tag sei der Schriftsatz ordnungsgemäß an das Oberlandesgericht gefaxt worden.
5
Das Oberlandesgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen. Dabei hat es ausgeführt, es sei nicht glaubhaft gemacht, dass der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Sorgfalt eines ordentlichen Anwalts eingehalten habe und der Fristverstoß ausschließlich auf ein - dem Beklagten nicht zuzurechnendes - Verschulden des Büropersonals zurückzuführen sei. Eine Glaubhaftmachung setze voraus, dass die eine Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen überwiegend wahrscheinlich seien. Hieran fehle es, wenn der Sachvortrag - wie hier - widersprüchlich und damit nicht nachvollziehbar sei. Es sei nicht ersichtlich , weshalb das Fristverlängerungsgesuch vom 28. August 2008 nicht bis zum Ablauf des 1. September 2008 übermittelt worden sei. Daher sei eine ausreichende Beurteilungsgrundlage für ein fehlendes Verschulden des Beklagtenvertreters nicht vorhanden.
6
Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Rechtsbeschwerde. Der Beklagte macht in erster Linie geltend, die gewährte Fristverlängerung sei trotz ihrer Fehlerhaftigkeit wirksam, so dass die Berufungsbegründungsfrist gewahrt sei. Falls gleichwohl eine Fristversäumung bejaht werde, sei jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Denn die verspätete Übermittlung des Fristverlängerungsgesuchs beruhe ausschließlich auf einem - dem Beklagten nicht anzulastenden - Fehlverhalten der Bürokraft seines Prozessbevollmächtigten. Das Oberlandesgericht habe unter Verletzung der verfassungsrechtlich verbürgten Grundsätze auf Gewährung rechtlichen Gehörs und auf Einhaltung eines fairen Verfahrens davon abgesehen, den Beklagten auf eine erforderliche Ergänzung seines Vorbringens hinzuweisen. Die vom Gericht geäußerten Zweifel an der Nachvollziehbarkeit und Wahrscheinlichkeit des geschilderten Geschehensablaufs hätten - soweit überhaupt erheblich - durch einfache Erläuterungen ausgeräumt werden können. Da das Oberlandesgericht die gebotenen Hinweise unterlassen habe, könne der Beklagte ergänzende Angaben nachholen.

II.

7
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
8
1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gefordert ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO). Die angegriffene Entscheidung ist unter Missachtung des Verfahrensgrundrechts auf Gewährung rechtli- chen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) ergangen und verletzt zudem den verfassungsrechtlich verbürgten Anspruch des Beklagten auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Denn sie überspannt in unzumutbarer , aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise die Anforderungen an die Darlegung und Glaubhaftmachung eines Wiedereinsetzungsgrundes (vgl. Senatsbeschluss vom 16. November 2004 - VIII ZB 32/04, NJWRR 2005, 1006, unter III 2 m.w.N.).
9
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Zwar hat der Beklagte die Frist zur Berufungsbegründung versäumt. Ihm ist aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne Verschulden daran gehindert war, diese Frist einzuhalten (§ 233 ZPO). Nach dem glaubhaft gemachten und im Rechtsbeschwerdeverfahren ergänzten Vorbringen des Beklagten beruht das Fristversäumnis ausschließlich auf einem - weder dem Prozessbevollmächtigten noch der von ihm vertretenen Partei anzulastenden (§ 85 Abs. 2 ZPO) - Fehlverhalten der mit der Versendung des Fristverlängerungsantrags vom 28. August 2008 beauftragten Büroangestellten.
10
a) Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde hat der Beklagte die Frist zur Begründung seiner am 1. August 2008 eingelegten Berufung versäumt. Dem am 2. September 2008, also einen Tag nach Ablauf der Berufungsbegründungfrist (§ 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO), eingegangenen Fristverlängerungsgesuch hätte der Vorsitzende des zuständigen Berufungssenats nicht stattgeben dürfen. Denn eine abgelaufene Frist kann - was letztlich auch die Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel zieht - nicht verlängert werden. Die gleichwohl gewährte Fristverlängerung blieb damit - wie auch das Berufungsgericht nachträglich erkannt hat - ohne Wirkung. Dies hat der Bundesgerichtshof im Jahr 1991 unter ausdrücklicher Aufgabe der von der Rechtsbeschwerde angeführten gegenteiligen höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden (BGHZ 116, 377, 378 f.; vgl. auch BGH, Beschluss vom 24. Januar 1996 - XII ZB 184/95, NJW-RR 1996, 513, unter II 2). Dem hat sich das Schrifttum überwiegend angeschlossen (Zöller/Heßler, ZPO, 27. Aufl., § 520 Rdnr. 16a; Musielak /Ball, ZPO, 7. Aufl., § 520 Rdnr. 12; Reichold in: Thomas/Putzo, ZPO, 29. Aufl., § 520 Rdnr. 15; aA MünchKommZPO/Rimmelspacher, 3. Aufl., § 520 Rdnr. 19).
11
b) Dem Beklagten ist aber auf sein rechtzeitig angebrachtes Gesuch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen schuldloser Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Die Fristversäumung beruht nach den glaubhaft gemachten Angaben des Beklagten nicht auf einem - ihm zuzurechnenden - Eigenverschulden seines Prozessbevollmächtigten, sondern allein auf einer fehlerhaften Erledigung der dessen Büropersonal übertragenen Aufgaben.
12
aa) Ein Rechtsanwalt hat zwar durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen , dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig erstellt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Er muss aber nicht jeden zur Fristwahrung erforderlichen Arbeitsschritt persönlich ausführen, sondern ist grundsätzlich befugt, einfachere Verrichtungen zur selbständigen Erledigung seinem geschulten Personal zu übertragen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 2007 - II ZB 20/07, NJW-RR 2008, 576, Tz. 15; vom 4. April 2007 - III ZB 109/06, NJW-RR 2007, 1429, Tz. 7; vom 11. Februar 2003 - VI ZB 38/02, NJW-RR 2003, 935, unter 1; jeweils m.w.N.). Dies gilt auch für die Übermittlung eines fristgebundenen Schriftsatzes mittels eines Telefaxgerätes (BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 2007, aaO; vom 4. April 2007, aaO; vom 14. Februar 2006 - VI ZB 44/05, NJW 2006, 1521, Tz. 12; vom 11. Februar 2003, aaO; vgl. ferner Senatsbeschluss vom 17. Juli 2007 - VIII ZB 107/06, juris , Tz. 4; jeweils m.w.N.).
13
bb) Diesen Anforderungen hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten genügt. Er hat seiner seit zwei Jahren in seinem Büro tätigen Angestellten, die sich bis dahin als sorgfältig und zuverlässig erwiesen hatte, die konkrete Einzelanweisung erteilt, das ihr rechtzeitig zum 1. September 2008 in einer Unterschriftenmappe zugeleitete, vom Beklagtenvertreter unterzeichnete Fristverlängerungsgesuch vorab per Fax an das Berufungsgericht zu übermitteln. Bei ordnungsgemäßer Befolgung dieser Weisung und bei Beachtung der - sie ergänzenden - allgemeinen Anweisungen über die bei Faxsendungen einzuhaltende Verfahrensweise wäre der rechtzeitige Eingang eines formgerechten Fristverlängerungsantrags (§ 130 Nr. 6 ZPO) beim Berufungsgericht gewährleistet gewesen. Der Beklagte hat im Rechtsbeschwerdeverfahren unter Bezugnahme auf die bereits dem Berufungsgericht vorgelegte eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten ergänzend vorgetragen, im Büro seines Prozessbevollmächtigten bestehe die allgemeine Anweisung, bei Faxsendungen - insbesondere bei fristgebundenen Schriftsätzen - den Versand des Schriftstücks abzuwarten und den Sendebericht auf die gelungene Übermittelung des Schriftsatzes (Aufdruck "OK") zu überprüfen. Damit hat er nach seinem glaubhaft gemachten Vorbringen ausreichende organisatorische Maßnahmen für eine rechtzeitige Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen getroffen.
14
cc) Das Berufungsgericht hat gleichwohl ausreichenden Vortrag zu der Handhabung von Sendeprotokollen und zur Gewährleistung der Ausgangskontrolle vermisst. Es hat letztlich aus dem der Angestellten unterlaufenen Fehler und dem Umstand, dass der ursprüngliche Sendebericht zum Altpapier gelangt ist, den Schluss auf eine unzureichende Büroorganisation bei der Versendung von Telefaxen gezogen. Dem ist nicht zu folgen.
15
Zunächst hätte das Berufungsgericht seine Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch nicht auf die vom ihm beanstandete Lückenhaftigkeit des Beklagtenvorbringens stützen dürfen, ohne vorher auf bestehende Bedenken hinzuweisen und dem Beklagten die Möglichkeit zu geben, Unklarheiten auch nach Ablauf der in § 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 ZPO geregelten Frist auszuräumen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 13. Juni 2007 - XII ZB 232/06, NJW 2007, 3212, Tz. 5, 8; vom 19. Juni 2006 - II ZB 25/05, NJW-RR 2006, 1501, Tz. 9, 13; vgl. ferner BGH, Beschluss vom 4. März 2004 - IX ZB 71/03, FamRZ 2004, 1552, unter [II 2] b, jeweils m.w.N.). Auf einen solchen Hinweis hätte der Beklagte dem Berufungsgericht - wie nun in der Rechtsbeschwerde geschehen - nachvollziehbar erläutern können, dass das Faxjournal vom 1. September 2008 deswegen in den Altpapierbehälter gelangt ist, weil sich die Anweisung, die Journale zu den Akten zu nehmen, nur auf Sendeberichte bezog, die eine erfolgreiche Übermittlung dokumentierten. Angesichts der klaren Weisung, die erfolgreiche Versendung eines Schriftstücks per Fax abzuwarten, besteht und bestand für den Beklagtenvertreter keine Veranlassung, auch Sendeprotokolle über fehlgeschlagene Sendungen aufzubewahren. Soweit das Berufungsgericht Vortrag des Beklagten dazu vermisst hat, wer und aus welchen Gründen die fehlgeschlagene Faxübermittlung erneut am Folgetag in die Wege geleitet hat, hat der Beklagte im Rechtsbeschwerdeverfahren ergänzend vorgetragen, eine seiner zwei weiteren Mitarbeiterinnen habe die Versendung erfolgreich vorgenommen. Dieses Vorbringen steht nicht in Widerspruch zu der eidesstattlichen Versicherung der ursprünglich mit der Angelegenheit betrauten Bürokraft. Diese hat lediglich erklärt, sich nach dem 1. September 2008 nicht mehr persönlich mit der Sache befasst zu haben.
16
Soweit das Berufungsgericht eine lückenlose Darlegung aller weiteren im konkreten Fall angefallenen Arbeitsschritte und ergriffenen Maßnahmen verlangt , überspannt es die Anforderungen an die Darlegung eines ordnungsgemäßen Bürobetriebs. Es ist unerheblich, wann der Kanzleikraft das vom Beklagtenvertreter unterzeichnete Schriftstück zugegangen ist. Der Beklagtenvertreter war auch nicht gehalten, die Bürokraft anzuweisen, den Schriftsatz sofort nach Erhalt an das Gericht zu faxen. Laufende Fristen dürfen grundsätzlich ausgeschöpft werden (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2007 - III ZB 73/07, juris, unter 2). Auch sonstige Maßnahmen waren vom Beklagtenvertreter nicht zu fordern. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die mit der Erledigung der Aufgabe betraute Angestellte bereits in der Vergangenheit die Versendung fristgebundener Schriftstücke bis kurz vor Dienstschluss zurückstellte und die übertragene Aufgabe dann aus Zeitgründen nicht mehr ordnungsgemäß ausführte. Ob der Beklagtenvertreter seiner Angestellten die Anweisung erteilt hat, sich zu vergewissern, dass das Fristverlängerungsgesuch unterzeichnet war, ist im Streitfall ohne Bedeutung. Denn das Schriftstück war nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen des Beklagten ordnungsgemäß unterschrieben. Unerheblich ist schließlich auch, ob und welche Anweisung über die Notierung erledigter Fristen bestand. Die Fristversäumung beruhte ausschließlich auf anderen Gründen.
17
dd) Dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten kann auch nicht angelastet werden, dass er die Ausführung der ausgegebenen Anweisungen nicht überwacht hat. Die seiner Mitarbeiterin erteilte Anweisung, das unterzeichnete Fristverlängerungsgesuch - aus Gründen der Fristwahrung - per Fax an das Berufungsgericht zu übermitteln, hatte - ebenso wie die daneben bestehende grundsätzliche Weisung, den Sendebericht abzuwarten und darauf zu überprüfen , ob die Übermittlung erfolgreich durchgeführt wurde - einfache Aufgaben zum Gegenstand. Bei solchen Tätigkeiten darf ein Rechtsanwalt regelmäßig darauf vertrauen, eine ansonsten zuverlässig und sorgfältig arbeitende Bürokraft werde sie fehlerfrei erledigen (Senatsbeschluss vom 17. Juli 2007, aaO; BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 2007, aaO; vom 4. April 2007, aaO; vom 11. Februar 2003, aaO; jeweils m.w.N.). Ihn trifft keine Verpflichtung, sich anschließend zu vergewissern, ob die Weisung ordnungsgemäß ausgeführt wurde (Senatsbeschluss vom 29. Juli 2003 - VIII ZB 107/02, FamRZ 2003, 1650; BGH, Beschlüsse vom 30. Oktober 2008 - III ZB 54/08, NJW 2009, 296, Tz. 10; vom 9. Dezember 2003 - VI ZB 26/03, NJW-RR 2004, 711, unter II; jeweils m.w.N.). Dies gilt in gleicher Weise für allgemeine Weisungen und für konkrete Anweisungen im Einzelfall (BGH, Beschlüsse vom 11. Februar 2003, aaO, m.w.N.; vom 3. September 1998 - IX ZB 46/98, VersR 1999, 1170, unter [II] 2 b bb; jeweils m.w.N.). Dass der Beklagtenvertreter am Tag des Fristablaufs aufgrund eines auswärtigen Gerichtstermins daran gehindert war, die Ausführung der seiner Kanzleimitarbeiterin übertragenen Aufgabe zu überwachen, begründet damit kein eigenes Verschulden des Anwalts.
18
ee) Der verspätete Zugang des Fristverlängerungsgesuchs beruht damit ausschließlich auf einem dem Beklagten nicht zuzurechnenden Fehlverhalten der Büroangestellten seines Prozessbevollmächtigten. Dem Beklagten ist auch nicht als Verschulden anzulasten, dass sein Prozessvertreter von der Möglichkeit einer Fristverlängerung Gebrauch gemacht hat. Denn dieser durfte darauf vertrauen, dass den - unter Darlegung eines erheblichen Grundes im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gestellten und nicht von der Zustimmung des Gegners abhängigen - Verlängerungsanträgen stattgegeben wird (vgl. Senatsbeschlüsse vom 10. März 2009, VIII ZB 55/06, NJW-RR 2009, 933, Tz. 12; vom 11. Sep- tember 2007 - VIII ZB 73/05, juris, Tz. 7; BGH, Beschlüsse vom 20. Juni 2006 - VI ZB 14/06, juris, Tz. 6; vom 4. März 2004 - IX ZB 121/03, NJW 2004, 1742, unter 2; jeweils m.w.N.). Ball Dr. Milger Dr. Hessel Dr. Schneider Dr. Fetzer
Vorinstanzen:
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Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Jan. 2011 - VIII ZB 44/10

bei uns veröffentlicht am 11.01.2011

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VIII ZB 44/10 vom 11. Januar 2011 in dem Rechtsstreit Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Januar 2011 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die Richterin Dr. Hessel und die Richter Dr. Achilles, Dr. Sch

Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Apr. 2010 - VIII ZB 84/09

bei uns veröffentlicht am 27.04.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VIII ZB 84/09 vom 27. April 2010 In dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 233 B, Fd, Ff Ein Rechtsanwalt darf die Übersendung von fristgebundenen Schriftsätzen einschließlich de

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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

(1) Die von dem Bevollmächtigten vorgenommenen Prozesshandlungen sind für die Partei in gleicher Art verpflichtend, als wenn sie von der Partei selbst vorgenommen wären. Dies gilt von Geständnissen und anderen tatsächlichen Erklärungen, insoweit sie nicht von der miterschienenen Partei sofort widerrufen oder berichtigt werden.

(2) Das Verschulden des Bevollmächtigten steht dem Verschulden der Partei gleich.

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZB 20/07
vom
3. Dezember 2007
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Der Rechtsanwalt darf sich darauf verlassen, dass eine ausgebildete und bisher zuverlässig
arbeitende Büroangestellte seiner Anweisung folgend den unterzeichneten
Berufungsbegründungsschriftsatz vollständig und unverändert per Telefax an das
Berufungsgericht versendet, auch wenn ihr der Schriftsatz ungeheftet übergeben
wird bzw. zur Übermittlung per Telefax auseinandergeheftet werden muss.
BGH, Beschluss vom 3. Dezember 2007 - II ZB 20/07 - KG Berlin
LG Berlin
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 3. Dezember 2007
durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Kraemer,
Dr. Strohn, Caliebe und Dr. Reichart

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Beklagten zu 2 wird der Beschluss des 26. Zivilsenats des Kammergerichts vom 30. April 2007 aufgehoben. Dem Beklagten zu 2 wird Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 50.651,26 €

Gründe:

1
I. Der Beklagte zu 2 hat mit Schriftsatz vom 15. Februar 2007 gegen das ihm am 17. Januar 2007 zugestellte Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. Januar 2007, Az. 18 O 250/06, fristgerecht Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren erhielt beim Kammergericht das Aktenzeichen 26 U 16/07. Am 19. März 2007 nachmittags übermittelten die Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 2 dem Kammergericht mittels Telefax einen - am Folgetag zur Ge- schäftsstelle des Berufungsgerichts gelangten - Schriftsatz vom 19. März 2007. Seite 1 dieses Schriftsatzes lautet: "In dem Rechtsstreit R. u.a. . /. H. - 26 U 263/06 - begründen wir namens des Beklagten zu 2, Herrn G. , die mit Schriftsatz vom 8.12.2006 eingelegte Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 01.11.2006, Az. 18 O 530/05 mit dem Antrag, unter Abänderung des am 01.11.2006 verkündeten Urteils des Landgerichts Berlin, Az. 18 O 530/05, die Klage abzuweisen".
2
Das Original dieses Schriftsatzes ging am 20. März 2007 auf dem Postweg bei dem Berufungsgericht ein. Gegen die Beklagten waren zu diesem Zeitpunkt bei dem Berufungsgericht neun Berufungsverfahren mit nahezu identischem Streitstoff, aber unterschiedlichen Klägern anhängig. Am 27. März 2007 reichten die Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 2 zu diesem Schriftsatz eine weitere Seite 1 zu den Akten. In diesem Schriftstück waren der Name der Klägerin, der Verkündungstermin und das Aktenzeichen des angefochtenen Urteils, das Datum der Berufungseinlegung und das Aktenzeichen des Kammergerichts zutreffend angegeben.
3
Der Vorsitzende des Berufungssenats hat den Beklagten zu 2 mit Verfügung vom 27. März 2007 darauf hingewiesen, dass der Senat beabsichtige, die Berufung als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht rechtzeitig begründet worden sei. Der Beklagte zu 2 hat die Auffassung vertreten, die Berufungsbegründung sei rechtzeitig eingegangen, weil der am 19. März eingehende Berufungsbegründungsschriftsatz trotz des fehlerhaften Deckblatts dem richtigen Rechtsstreit habe zugeordnet werden können. Da die Berufungsbegründung in dem dort genannten Parallelverfahren bereits vollständig vorgelegen habe, sei offensichtlich gewesen, dass der Schriftsatz, der das aktuelle Datum getragen habe, fehlerhafte Angaben enthalten habe. Vorsorglich hat der Beklagte zu 2 Wieder- einsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt und hat die Berufung begründet.
4
Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs hat der Beklagte zu 2 vorgetragen:
5
Sein Prozessbevollmächtigter habe am 19. März 2007, dem Tag des Ablaufs der Berufungsbegründungsfrist, den Berufungsbegründungsschriftsatz unterzeichnet und die ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte Frau S. angewiesen, den Schriftsatz an das Kammergericht zu faxen. Frau S. habe den zu faxenden Schriftsatz auf ihren Schreibtisch neben die - als Vorlage zur Erstellung der Berufungsbegründung in diesem Verfahren ausgedruckte - Berufungsbegründung eines Parallelverfahrens gelegt; versehentlich habe sie die Deckblätter der Schriftsätze vertauscht und den Schriftsatz mit dem nunmehr falschen Deckblatt an das Kammergericht gefaxt. Anschließend habe sie dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt mitgeteilt, dass sie die Berufungsbegründung in dieser Sache per Fax abgesandt habe. Dieser habe daraufhin die Frist im Fristenbuch gelöscht. Den Schriftsatz habe sie unverändert zur Post gegeben. Bei Frau S. handle es sich um eine zuverlässige Bürokraft, die, wie regelmäßige Kontrollen seiner Prozessbevollmächtigten ergeben hätten, ihre Aufgaben seit über drei Jahren sorgfältig und fehlerfrei ausgeführt habe.
6
II. 1. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die Berufung des Beklagten zu 2 unter Zurückweisung des Wiedereinsetzungsantrags als unzulässig verworfen.
7
Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
8
Der am 19. März 2007 bei der gemeinsamen Briefannahmestelle des Kammergerichts eingegangene Schriftsatz vom gleichen Tag sei nicht geeignet gewesen, die Berufungsbegründungsfrist zu wahren, da er infolge eines falschen Geschäftszeichens des Kammergerichts, einer falschen Bezeichnung der Gegenpartei, eines unrichtigen Verkündungsdatums des angefochtenen Urteils und eines unrichtigen Geschäftszeichens der Vorinstanz dem hiesigen Verfahren ohne ergänzende Angaben des Beklagten zu 2 nicht rechtzeitig habe zugeordnet werden können. Die Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 2 hätten frühestens nach Vorlage des Schriftsatzes an die Geschäftsstelle am Tag nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist, als diese habe feststellen können, dass in dem genannten Parallelverfahren bereits eine Berufungsbegründung vorgelegen habe, auf einen möglichen Fehler hingewiesen werden können. Der Beklagte zu 2 habe auch nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass er ohne Verschulden an der Einhaltung der Frist zur Begründung der Berufung verhindert gewesen sei. Der Vortrag, die Büroangestellte seiner Prozessbevollmächtigten habe die erste Seite des Berufungsbegründungsschriftsatzes in diesem Verfahren mit der ersten Seite der ausgedruckten Berufungsbegründung eines Parallelverfahrens verwechselt, könne den Beklagten zu 2 nicht entlasten. Gerade wenn mehrere gleichartige Berufungsverfahren bei einem Senat anhängig seien , bei denen die Begründung der Berufung in der Sache wortgleich ausfalle, habe der Rechtsanwalt dafür Sorge zu tragen, dass die verfahrensbezogenen Angaben in dem Schriftsatz zutreffend seien, zumal er durch seine Unterschrift für die Richtigkeit und Vollständigkeit des Schriftsatzes einstehe. Er habe deshalb auch dafür Sorge zu tragen, dass sein Schriftsatz nicht - etwa zur Vorbereitung der Telefax-Übermittlung - in der Weise auseinander genommen werde, dass hierbei Blätter mit denen anderer Schriftsätze vermengt oder vertauscht würden.
9
Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts wendet sich der Beklagte zu 2 mit seiner Rechtsbeschwerde.
10
2. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO. Sie ist auch im Übrigen zulässig. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO), weil das Berufungsgericht die Anforderungen an die Sorgfaltspflichten eines Prozessbevollmächtigten überspannt und dadurch den Anspruch des Beklagten zu 2 auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verletzt hat.
11
3. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
12
a) Rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass der Beklagte zu 2 die Berufungsbegründungsfrist (§ 520 Abs. 2 ZPO) versäumt hat. Der am 19. März 2007 beim Kammergericht eingegangene Schriftsatz hat die Berufungsbegründungsfrist nicht gewahrt, weil ihm nicht zweifelsfrei zu entnehmen war, dass es sich hierbei um die Begründung der in diesem Verfahren eingelegten Berufung handelte. Der Schriftsatz enthielt nicht nur ein unzutreffendes Geschäftszeichen des Kammergerichts und eine unrichtige Bezeichnung der Gegenpartei, sondern auch ein falsches Aktenzeichen der Vorinstanz, ein fehlerhaftes Verkündungsdatum des angefochtenen Urteils und ein unzutreffendes Datum der Berufungseinlegung. Unrichtige Angaben schaden zwar dann nicht, wenn auf Grund sonstiger, innerhalb der Berufungsbegründungsfrist erkennbarer Umstände für Gericht und Prozessgegner zweifelsfrei feststeht, welchem Rechtsmittelverfahren die Begründung zuzuordnen ist (st. Rspr. vgl. BGH, Beschl. v. 24. April 2003 - III ZB 94/02, NJW 2003, 1950; v. 18. April 2000 - VI ZB 1/00, NJW-RR 2000, 1371; v. 25. Februar 1993 - VII ZB 22/92, NJW 1993, 1719, 1720, jeweils für die Berufungsschrift). Diese Voraussetzung ist indessen hier nicht erfüllt. Weder aus dem eingereichten Schriftsatz selbst noch aus der Akte des dort genannten, beim Kammergericht anhängigen (Parallel -)Verfahrens ist erkennbar, dass die übermittelte Berufungsbegründung dieses - beim Kammergericht unter dem Aktenzeichen 26 U 16/07 anhängige - Verfahren betreffen sollte. Im Hinblick auf die insgesamt neun Parallelverfahren beruft sich der Beklagte zu 2 zu Unrecht darauf, den Bediensteten der Geschäftstelle habe klar sein müssen, dass dieses Verfahren gemeint gewesen sei, weil in dem Rechtsstreit 26 U 263/06, zu dem das fehlerhafte Deckblatt gehörte , bereits die Berufungsbegründung vorgelegen habe.
13
b) Dem Beklagten zu 2 ist jedoch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren; denn die Fristversäumung beruht nicht auf einem - ihm nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden - Verschulden seiner Prozessbevollmächtigten.
14
Die Auffassung des Berufungsgerichts, der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 2 habe dafür Sorge tragen müssen, dass der Berufungsschriftsatz nicht zum Zweck der Vorbereitung der Übermittlung per Telefax auseinandergeheftet wird und hierbei Blätter des Schriftsatzes mit denen anderer Schriftsätze vertauscht werden, ist rechtsfehlerhaft.
15
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes gehört es zu den Aufgaben eines Prozessbevollmächtigten, dafür zu sorgen, das ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig hergestellt wird und innerhalb der Frist bei dem zuständigen Gericht eingeht. Er muss jedoch zu diesem Zweck nicht jeden Arbeitsschritt persönlich ausführen, sondern ist grundsätzlich befugt, einfachere Verrichtungen zur selbständigen Erledigung auf sein geschultes und zuverlässiges Büropersonal zu übertragen. Dies gilt auch für die Übermittlung einer Berufungsbegründungsschrift mittels eines Telefaxgerätes (BGH, Beschl. v.
4. April 2007 - III ZB 109/06, NJW-RR 2007, 1429,1430; v. 28. 0ktober 1993 - VII ZB 22/93, NJW 1994, 329; BVerfG, Beschl. v. 27. September 1995 - 1 BvR 414/95, NJW 1996, 309, 310). Der Rechtsanwalt darf sich nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. nur BGH, Beschl. vom 4. April 2007 - III ZB 85/06, NJW-RR 2007, 1430, 1431) grundsätzlich darauf verlassen, dass eine ausgebildete Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt und ordnungsgemäß ausführt. Fehler des Büropersonals, die nicht auf eigenes Verschulden des Rechtsanwalts zurückzuführen sind, hat die Partei nicht zu vertreten (BVerfG, Beschl. v. 27. September 1995 aaO; BGH, Beschl. v. 28.Oktober 1993 aaO).
16
Allerdings kann sich die eigene Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts erhöhen , wenn auf Grund besonderer Umstände die Gefahr besteht, dass die an das Büropersonal übertragenen Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt werden (Zöller/Greger, ZPO 26. Aufl. § 233 Rdn. 23 "Büropersonal und -organisation"; BGH, Beschl. v. 26. August 1999 - VII ZB 12/99, NJW 1999, 3783, 3784). Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Eine besondere Sorgfalt des sachbearbeitenden Rechtsanwalts war hier nicht schon deshalb geboten, weil die Berufungsbegründung in dem Parallelverfahren als Vorlage für die Berufungsbegründung in dieser Sache ausgedruckt worden war. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten zu 2 musste nicht in Betracht ziehen, dass die bisher zuverlässig arbeitende Rechtsanwaltsfachangestellte die Deckblätter beider Schriftsätze vertauschen und die Berufungsbegründung mit einem unrichtigen Deckblatt versenden würde. Dies war auch nicht etwa deshalb zu befürchten, weil die Berufungsbegründung erst am Nachmittag des letzten Tages der Frist per Fax an das Berufungsgericht übermittelt wurde. Ebenso wenig kommt in diesem Zusammenhang dem Umstand Bedeutung zu, dass bei dem Berufungssenat mehrere Berufungen mit den gleichen Beklagten und mit einem identischen Streitstoff anhängig waren, die jedoch nicht am gleichen Tag begründet wurden. Der sachbearbeitende Prozessbevollmächtigte war deshalb entgegen der Meinung der Beschwerdeerwiderung nicht verpflichtet, der lediglich abstrakt bestehenden Verwechslungsgefahr durch einen besonderen Hinweis vorzubeugen; vielmehr durfte er ohne weiteres darauf vertrauen, dass die mit der Versendung mittels Telefax beauftragte Rechtsanwaltsfachangestellte den ihr übergebenen unterzeichneten Berufungsbegründungsschriftsatz unverändert an das Berufungsgericht versenden würde, auch wenn er ungeheftet war bzw. zur Übermittlung per Telefax auseinandergeheftet werden musste.

17
Rechtsfehlerhaft ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, der Prozessbevollmächtigte habe dafür Sorge tragen müssen, dass bei der Faxübermittlung der zusammengehörende Schriftsatz nicht entheftet wurde.
Goette Kraemer Strohn Caliebe Reichart
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 10.01.2007 - 18 O 250/06 -
KG Berlin, Entscheidung vom 30.04.2007 - 26 U 16/07 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
III ZB 109/06
vom
4. April 2007
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zur Ausgangskontrolle, wenn die richtig adressierte Berufungsschrift durch
Telefax an ein unzuständiges Gericht gesendet wird, und zur Pflicht dieses
Gerichts, die Berufungsschrift im ordentlichen Geschäftsgang weiterzuleiten.
BGH, Beschluss vom 4. April 2007 - III ZB 109/06 - OLG Nürnberg
LG Nürnberg-Fürth
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. April 2007 durch den
Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Streck, Dr. Kapsa, Dörr und
Dr. Herrmann

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Kläger gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg, 4. Zivilsenat, vom 26. Oktober 2006 - 4 U 1632/06 - wird als unzulässig verworfen.
Die Kläger haben die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens aus einem Wert von 15.645,53 € zu tragen.

Gründe:


I.


1
Die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 15.645,53 € nebst Zinsen gerichtete Klage wurde durch Urteil des Landgerichts vom 30. Mai 2006, das dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 8. Juni 2006 zugestellt wurde, abgewiesen. Ihre an das Oberlandesgericht adressierte Berufung ging in ihrer Urschrift dort am 11. Juli 2006 ein. Die Berufungsschrift war zuvor bereits am 10. Juli 2006 um 9.55 Uhr auf dem Telefaxgerät der Geschäftsstelle einer Zivilkammer des Landgerichts empfangen und, da sie an das im selben Gebäude residierende Oberlandesgericht gerichtet war, an das Berufungsgericht weitergeleitet worden, wo sie ebenfalls am 11. Juli 2006 einging.

2
Nach gerichtlichen Hinweisen haben sich die Kläger auf den Standpunkt gestellt, es sei nicht ersichtlich, weshalb der ordnungsgemäß adressierte Schriftsatz nicht innerhalb der Geschäftszeit unverzüglich an die Einlaufstelle des Berufungsgerichts weitergeleitet worden sei. Ihren hilfsweise gestellten Wiedereinsetzungsantrag haben sie damit begründet, ihr Prozessbevollmächtigter habe die Berufungseinlegungsfrist und die ordnungsgemäße Adressierung selbst kontrolliert und seiner zuverlässigen Bürovorsteherin die ausdrückliche Weisung erteilt, die Rechtsmittelschrift vorab per Telefax, sodann per Post zu übermitteln und den Sendebericht zu kontrollieren. Dieser habe einen "OKVermerk" aufgewiesen. Eine mögliche Verwechslung der Faxnummer durch die Bürovorsteherin könne ihnen nicht als Verschulden zugerechnet werden.
3
Das Berufungsgericht hat die Berufung der Kläger als unzulässig verworfen und ihnen die Erteilung der Wiedereinsetzung versagt.

II.


4
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist nicht zulässig, weil weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert. Das Berufungsgericht hat auf der Grundlage der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entschieden.
5
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass die Berufungsschrift nicht innerhalb der am 10. Juli 2006 abgelaufenen Frist beim Oberlandesgericht eingegangen ist. Das zieht auch die Rechtsbeschwerde nicht in Zweifel. Der Umstand, dass Landgericht und Oberlandesgericht in demselben Gebäude residieren, ändert nichts daran, dass die an ein Telefaxgerät der Geschäftsstelle einer Zivilkammer des Landgerichts gesendete Berufungsschrift erst am folgenden Tag in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Oberlandesgerichts gelangte.
6
2. Es ist auch rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht den Klägern die Erteilung von Wiedereinsetzung versagt hat.
7
a) Grundsätzlich ist ein Rechtsanwalt befugt, einfachere Verrichtungen zur selbständigen Erledigung auf sein geschultes und zuverlässiges Büropersonal zu übertragen. Das gilt auch für die Übermittlung einer Berufungsschrift mittels eines Telefaxes (BGH, Beschluss vom 28. Oktober 1993 - VII ZB 22/93 - NJW 1994, 329; BVerfG NJW 1996, 309).
8
b) Allerdings muss der Rechtsanwalt durch organisatorische Vorkehrungen sicherstellen, dass die Telefaxnummer des angeschriebenen Gerichts verwendet wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom 3. Dezember 1996 - XI ZB 20/96 - NJW 1997, 948; vom 11. März 2004 - IX ZR 20/03 - BGH-Report 2004, 978, 979; vom 6. Juni 2005 - II ZB 9/04 - NJW-RR 2005, 1373; vom 10. Mai 2006 - XII ZB 267/04 - NJW 2006, 2412, 2413 Rn. 7; vom 26. September 2006 - VIII ZB 101/05 - NJW 2007, 996, 997 Rn. 8; vom 13. Februar 2007 - VI ZB 70/06 - juris Rn. 8). Hierzu gehört, dass bei der erforderlichen Ausgangskontrol- le in der Regel ein Sendebericht ausgedruckt und dieser auf die Richtigkeit der verwendeten Empfängernummer überprüft wird, um Fehler bei der Eingabe, der Ermittlung der Faxnummer oder ihrer Übertragung in den Schriftsatz aufdecken zu können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Mai 2006 aaO Rn. 12; vom 26. September 2006 aaO Rn. 8).
9
c) Dass der Prozessbevollmächtigte der Kläger diesen Maßstäben an eine entsprechende Organisation der Ausgangskontrolle nachgekommen wäre, ist dem gestellten Wiedereinsetzungsantrag nicht zu entnehmen. Dort ist lediglich glaubhaft gemacht, dass die Bürovorsteherin angewiesen wurde, die Rechtsmittelschrift per Telefax zu übermitteln und im Hinblick auf den bevorstehenden Fristablauf den Sendebericht zu kontrollieren. Welche Vorkehrungen im Büro des Prozessbevollmächtigten bestanden, um Fehler bei der Ermittlung der Faxnummer aufdecken zu können, ist nicht dargelegt worden.
10
d) Die Kläger können sich nicht darauf berufen, dass eine solche Kontrolle im Hinblick auf den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 24. Juni 2004 (VII ZB 35/03 - NJW 2004, 2830, 2831) entbehrlich wäre. Auch diese Entscheidung geht von der grundsätzlichen Notwendigkeit einer Kontrolle aus (vgl. auch BGH, Beschluss vom 6. Juni 2005 - II ZB 9/04 - NJW-RR 2005, 1373), behandelt aber zusätzlich den Gesichtspunkt, dass sich ein Rechtsanwalt in der Regel auf ein seit Jahren bewährtes EDV-Programm in der jeweils neuesten Fassung verlassen darf und er nicht gehalten ist, eine Abgleichung der Faxnummer mit den Angaben in Anschreiben des Gerichts oder im Telefonbuch vorzunehmen, weil dies dem Einsatz des EDV-Programms die Rationalisierungswirkung nehmen würde. Dass die Bürovorsteherin die verwendete Faxnummer einer vergleichbar sicheren Quelle entnommen hätte, die ein Verschulden in der Ausgangskontrolle ausschlösse oder gestatten würde, die Sorgfaltsanforderungen an die Ausgangskontrolle zu verringern (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 13. Februar 2007 - VI ZB 70/06 - juris Rn.11), ist jedoch weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.
11
3. Wiedereinsetzung ist den Klägern auch nicht deshalb zu erteilen, weil die Versäumung der Frist auf einem Verschulden des Gerichts beruhen würde.
12
a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf ein Rechtssuchender darauf vertrauen, dass das mit der Sache befasst gewesene Gericht den bei ihm eingereichten, aber für das Rechtsmittelgericht bestimmten Schriftsatz im ordentlichen Geschäftsgang dorthin weiterleiten wird. Geht der Schriftsatz dabei so zeitig ein, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, darf die Partei auch darauf vertrauen, dass er noch fristgerecht beim Rechtsmittelgericht eingeht. Geschieht dies tatsächlich nicht, so ist der Partei Wiedereinsetzung unabhängig davon zu gewähren, auf welchen Gründen die fehlerhafte Einreichung beruht (vgl. BVerfGE 93, 99, 115 f; BVerfG NJW 2005, 2137, 2138). Der Bundesgerichtshof ist dieser Rechtsprechung gefolgt (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Juli 2000 - III ZB 28/00 - NJW-RR 2000, 1730, 1731; Beschlüsse vom 28. Januar 2003 - VI ZB 29/02 - juris Rn. 8; vom 6. Juni 2005 - II ZB 9/04 - NJW-RR 2005, 1373; vom 3. Juli 2006 - II ZB 24/05 - NJW 2006, 3499 Rn. 5).
13
b) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Geschäftsstelle des Landgerichts, in der das Telefax empfangen wurde, die Berufungsschrift in das allgemeine Auslauffach gelegt. Dieses wird von den Wachtmeistern dreimal täglich, nämlich zwischen 7.00 Uhr und 7.30 Uhr, zwischen 9.00 Uhr und 9.30 Uhr sowie zwischen 13.00 Uhr und 13.30 Uhr, geleert. Das um 9.55 Uhr eingegangene Telefaxschreiben wurde von den Wachtmeistern beim letzten Gang entnommen und gelangte in die Wachtmeisterei, wo es in ein für das Oberlandesgericht bestimmtes Fach eingelegt wurde. Von dort wurde es bei dem nächsten Dienstgang, der am folgenden Tag stattfand, dem Oberlandesgericht zugeleitet.
14
Dieser normale Geschäftsgang, der nicht darauf eingerichtet sein muss, fehlgeleitete Schriftstücke frühzeitig zu entdecken und gesondert zu befördern, ist nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat auch zutreffend festgestellt, dass der Berufungsschriftsatz nicht mit einem augenfälligen Hinweis auf eine besondere Eilbedürftigkeit versehen war. Nur bei einer inhaltlichen Durchsicht der Berufungsschrift wäre daher aufgefallen, dass im Hinblick auf die Zustellung des angefochtenen Urteils am 8. Juni 2006 die Berufungsfrist am 10. Juli 2006, einem Montag, ablief. Zu einer solchen inhaltlichen Überprüfung war die Geschäftsstelle der Zivilkammer des unzuständigen Landgerichts nicht verpflichtet. Umso weniger bestand eine Pflicht, die Kläger innerhalb der Rechts- mittelfrist telefonisch oder per Telefax auf die fehlerhafte Einlegung des Rechtsmittels hinzuweisen (vgl. BVerfG NJW 2001, 1343).
Schlick Streck Kapsa
Dörr Herrmann
Vorinstanzen:
LG Nürnberg-Fürth, Entscheidung vom 30.05.2006 - 1 O 2044/05 -
OLG Nürnberg, Entscheidung vom 26.10.2006 - 4 U 1632/06 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 38/02
vom
11. Februar 2003
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn ein Rechtsanwalt die Anweisung
erteilt hat, die von ihm in Gegenwart seiner Büroangestellten unterzeichnete
Rechtsmittelschrift per Telefax an das Rechtsmittelgericht zu senden, die Angestellte
aber aufgrund einer Verwechslung eine nicht unterzeichnete Abschrift übermittelt.
BGH, Beschluß vom 11. Februar 2003 - VI ZB 38/02 - OLG Jena
LG Gera
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. Februar 2003 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen
und die Richter Pauge und Zoll

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluß des 7. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts vom 10. Juni 2002 aufgehoben. Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt. Beschwerdewert: 95.743,64

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt wegen einer Lebensmittelvergiftung von dem Beklagten im Wege der abgesonderten Befriedigung gem. § 157 VVG Ersatz materieller und immaterieller Schäden. Das Landgericht hat der Klage teilweise stattgegeben. Das Urteil ist den Prozeßbevollmächtigten des Klägers am 8. März 2002 zugestellt worden. Am 8. April 2002, einem Montag, ist beim Oberlandesgericht per Telefax eine Berufungsschrift aus der Kanzlei der Prozeßbevollmächtigten des Klägers eingegangen; zwei Tage später das Original. Beide Schriftstücke enthielten keine Unterschriften. Lediglich die zusammen mit dem Original eingereichte beglaubigte Abschrift der Berufungsschrift war von
Rechtsanwalt W. unterzeichnet. Hierauf wies das Oberlandesgericht die Pro- zeßbevollmächtigten des Klägers am 9. oder 10. April 2002 hin. Am 15. April 2002 hat der Kläger (erneut) Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung hat er vorgetragen, das Fehlen der Unterschrift auf der per Telefax übermittelten Rechtsmittelschrift beruhe auf einem Versehen einer Angestellten seiner Prozeßbevollmächtigten. Rechtsanwalt W. habe die Berufungsschrift in Anwesenheit der im Berufsausbildungsverhältnis beschäftigten Rechtsanwaltsfachangestellten H. unterzeichnet und diese angewiesen , den Schriftsatz per Telefax an das Oberlandesgericht zu übersenden. Da Frau H. auch eine beglaubigte und eine einfache Abschrift für die postalische Übersendung an das Oberlandesgericht habe fertigen sollen, habe sie weitere Exemplare ausgedruckt und auf dem Schreibtisch abgelegt. Anschließend habe sie per Telefax versehentlich ein nicht unterzeichnetes Exemplar übermittelt. Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung des Klägers als unzulässig verworfen, weil die Versäumung der Berufungsfrist auf einem Organisationsverschulden seines Prozeßbevollmächtigten beruhe. Dieser habe es versäumt , sein Büropersonal anzuweisen, Schriftstücke vor ihrer Absendung auf Unterzeichnung zu überprüfen. Daneben sei ihm vorzuwerfen, bei der Unterzeichnung nicht zugleich das Original-Telefax unterschrieben zu haben. Ein weiterer Organisationsmangel liege darin, daß keine organisatorischen Vorkehrungen dafür getroffen worden seien, per Telefax zu übermittelnde Schriftstücke von den Postsendungen zu trennen. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Rechtsbeschwerde.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gem. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im übrigen zulässig, denn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluß verletzt den Kläger in seinem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip ). Dieser verbietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten seines Prozeßbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen er auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen mußte (vgl. BVerfGE 79, 372, 376 f.; BVerfG, NJW-RR 2002, 1004, 1005). 1. Das Berufungsgericht übersieht, daß es nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes für den Ausschluß des einer Partei zuzurechnenden Verschuldens ihres Anwalts (§§ 85 Abs. 2, 233 ZPO) an der Fristversäumung auf allgemeine organisatorische Vorkehrungen bzw. Anweisungen für die Fristwahrung in einer Anwaltskanzlei dann nicht mehr ankommt, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. September 1995 - XI ZB 13/95 - VersR 1996, 348; vom 18. März 1998 - XII ZB 180/96 - NJW-RR 1998, 1360 f.; vom 6. Juli 2000 - VII ZB 4/00 - NJW 2000, 2823; vom 2. Juli 2001 - II ZB 28/00 - NJW-RR 2002, 60 und vom 1. Juli 2002 - II ZB 11/01 - NJW-RR 2002, 1289 f.). Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, daß eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt (BGH, Beschluß vom 13. April 1997 - XII ZB
56/97 - NJW 1997, 1930). So liegt der Fall hier, denn der Prozeßbevollmäch- tigte des Klägers hatte der Auszubildenden H. konkret aufgetragen, die von ihm in ihrer Gegenwart unterzeichnete Berufungsschrift per Telefax an das Oberlandesgericht zu senden. Hätte Frau H. diese Einzelanweisung befolgt, wäre die Berufungsfrist gewahrt worden. Bei dieser Sachlage ist nicht ersichtlich, daß sich Mängel bei der allgemeinen Organisation des Anwaltsbüros in einer die Wiedereinsetzung ausschließenden Weise ausgewirkt haben könnten (vgl. hierzu Senatsbeschluß vom 5. November 2002 - VI ZR 399/01 - NJW 2003, 435 f. und BGH, Beschluß vom 9. Januar 2001 - VIII ZB 26/00 - NJW-RR 2001, 782 f.). Das für die Fristversäumung ursächliche Versehen der Büroangestellten H. steht dem Wiedereinsetzungsbegehren des Klägers nicht entgegen. Einer Partei ist nur ein Verschulden ihres Prozeßbevollmächtigten, nicht aber dasjenige seines Büropersonals zuzurechnen (§ 85 Abs. 2 ZPO; vgl. BGH, Beschluß vom 28. Oktober 1993 - VII ZB 22/93 - VersR 1994, 955). Zwar trägt ein Rechtsanwalt die Verantwortung dafür, daß eine einwandfreie Rechtsmittelschrift rechtzeitig bei dem zuständigen Gericht eingeht (BGH, Beschluß vom 10. Februar 1982 - VIII ZB 76/81 - VersR 1982, 471). Zur Erfüllung seiner Pflicht darf der Anwalt aber eine einfache Aufgabe einer zuverlässigen Angestellten übertragen, ohne daß er die ordnungsgemäße Erledigung überwachen muß (BGH, Beschlüsse vom 10. Februar 1982, aaO und vom 4. November 1981 - VIII ZB 59/81 und VIII ZB 60/81 - VersR 1982, 190). Das gilt nicht nur für allgemeine Weisungen, sondern auch und erst recht - wie hier - für eine konkrete mündliche Weisung im Einzelfall (BGH, Beschlüsse vom 29. April 1994 - V ZR 62/93 - VersR 1994, 1494 f. und vom 3. September 1998 - IX ZB 46/98 - VersR 1999, 1170 f.). Die Versendung der Rechtsmittelschrift per Telefax ist eine einfache Bürotätigkeit, mit der eine im zweiten Lehrjahr stehende Auszubildende beauftragt werden darf, sofern sie mit einer solchen Tätigkeit vertraut ist und
eine regelmäßige Kontrolle ihrer Tätigkeit keine Beanstandungen ergeben hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 14. Juli 1994 - VII ZB 7/94 - VersR 1995, 238, 239; vom 6. Dezember 1995 - VIII ZR 12/95 - VersR 1996, 910 und vom 27. Februar 2002 - I ZB 23/01 - NJW-RR 2002, 1070, 1071). Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt, wie der Kläger durch Vorlage eidesstattlicher Versicherungen des Rechtsanwalts W. und der Auszubildenden H. glaubhaft gemacht hat. 2. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts kann dem Prozeßbevollmächtigten des Klägers auch nicht vorgeworfen werden, bei der Unterzeichnung der (später wohl als beglaubigte Abschrift eingereichten) Berufungsschrift nicht zugleich das Original-Telefax unterschrieben zu haben. Die Unterzeichnung eines zweiten Exemplars der Berufungsschrift war zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht möglich, denn nach dem glaubhaft gemachten Vortrag des Klägers hat Frau H. weitere Exemplare erst nach Unterzeichnung des ersten ausgedruckt. Dieser Arbeitsablauf ist nicht zu beanstanden, da zur wirksamen und rechtzeitigen Berufungseinlegung die Existenz eines einzigen Exemplars genügte. Weitergehende Anforderungen stellt die Rechtsprechung nicht.
3. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kann auch nicht mit der Erwägung des Berufungsgerichts versagt werden, den Prozeßbevollmächtigten des Klägers treffe ein Organisationsverschulden wegen unzureichender Ausgangskontrolle , weil die per Telefax zu versendenden Schriftstücke nicht von den zur postalischen Übersendung vorgesehenen Exemplaren getrennt würden. Ob die Organisationspflichten eine allgemeine Anweisung zu einer solchen Trennung erfordern, kann hier dahinstehen, da bei Befolgung der Einzelanweisung eine Verwechslung der Schriftstücke ausgeschlossen gewesen wäre und sich deshalb die vom Berufungsgericht aufgeworfene Frage nicht stellt.
Müller Greiner Diederichsen Pauge Zoll

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 44/05
vom
14. Februar 2006
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zur Ausgangskontrolle bei Übersendung einer Rechtsmittelbegründungsschrift mittels
Telekopie (Telefax) nach der Weisung, das ordnungsgemäß unterzeichnete
Handaktenexemplar vollständig zu übermitteln, wenn das Original der Rechtsmittelbegründungsschrift
am letzten Tag der Frist laut telefonischer Auskunft nicht beim
Rechtsmittelgericht eingegangen ist.
BGH, Beschluss vom 14. Februar 2006 - VI ZB 44/05 - KG Berlin
LG Berlin
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Februar 2006 durch die
Vizepräsidentin Dr. Müller und die Richter Dr. Greiner, Pauge, Stöhr und Zoll

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 20. Zivilsenats des Kammergerichts Berlin vom 7. Juli 2005 aufgehoben. Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Gegenstandswert der Rechtsbeschwerde: 90.000 €

Gründe:

I.

1
Die Klägerin begehrt von den Beklagten als Gesamtschuldnern wegen angeblich fehlerhafter Betreuung bei ihrer Geburt ein Schmerzensgeld von mindestens 55.000 € sowie die Feststellung ihrer Ersatzpflicht hinsichtlich aller materiellen und immateriellen Schäden.
2
Das klageabweisende Urteil des Landgerichts vom 9. Dezember 2004 ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 14. Februar 2005 zugestellt worden. Die Klägerin hat am 16. Februar 2005 Berufung eingelegt und Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 14. Mai 2005, einem Samstag, erhalten. Am 17. Mai 2005 (Dienstag nach Pfingsten) erkundigten sich Büroangestellte des Prozessbevollmächtigten der Klägerin am Vormittag (Frau H.) und am Nachmittag (Frau B.) telefonisch nach dem Eingang des Originals der Berufungsbegründungsschrift auf der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts. Sie erhielten die Auskunft, dass das Original noch nicht eingegangen sei. Wenig später am selben Tag ging beim Berufungsgericht die Telekopie der Berufungsbegründungsschrift vom 13. Mai 2005 ein, wies jedoch keine Unterschrift auf. Nach Eingang teilte die Geschäftsstelle der Büroangestellten B. des Prozessbevollmächtigten der Klägerin telefonisch mit, dass ein 23 Seiten umfassender Schriftsatz als Telefax eingegangen sei. Am 18. Mai 2005 übersandte die Büroangestellte des Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Seite 23 mit der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten per Fax. Das Original der Berufungsbegründung vom 13. Mai 2005 ging am 19. Mai 2005 beim Berufungsgericht ein. Am 31. Mai 2005 hat die Klägerin Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung ihres Prozessbevollmächtigten und seiner Büroangestellten B. sowie einer Gesprächsnotiz vom 17. Mai 2005 beantragt. Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand abgewiesen und die Berufung der Klägerin mit Beschluss vom 7. Juli 2005 als unzulässig verworfen.

II.

3
1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe nicht ausreichend dargetan, dass ihren Prozessbevollmächtigten an der Versäumung der Frist kein Verschulden treffe. Zwar sei der Schriftsatz schon am 13. Mai 2005 auf den normalen Postweg gegeben worden. Es sei jedoch nicht ersichtlich, wer mit der Einlieferung der Post beauftragt worden sei, wann und wo der Schriftsatz zur Post gelangt und welcher Briefkasten mit welchen Leerungszeiten benutzt worden sei.
4
Die Klägerin habe auch nicht dargelegt, ihren Prozessbevollmächtigten treffe kein Verschulden daran, dass das Fax vom 17. Mai 2005 keine Unterschrift aufweise, wie das erforderlich sei. Auch habe die Klägerin nicht glaubhaft gemacht, dass das Fehlen der Unterschrift erst am 18. Mai 2005 von der Büroangestellten B. bemerkt worden sei. Die entsprechende Angabe in der eidesstattlichen Versicherung der Büroangestellten stehe in Widerspruch zu einer Notiz über das Gespräch der Büroangestellten mit der Geschäftsstelle. Ein Mitverschulden des Gerichts sei nicht gegeben, denn die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle sei nicht verpflichtet gewesen, den eingegangenen Schriftsatz darauf zu überprüfen, ob er unterschrieben sei.
5
2. Die Rechtsbeschwerde der Klägerin ist statthaft (§§ 574 Abs. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO). Sie ist auch im Übrigen zulässig, denn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluss verletzt die Klägerin in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip - Art. 20 Abs. 3 GG). Dieser verbietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflicht ihres Prozessbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen musste (vgl. Senatsbeschluss vom 9. Dezember 2003 - VI ZB 26/03 - VersR 2005, 138; BVerfGE 79, 372, 376 f.; BVerfG NJW-RR 2002, 1004).
6
a) Allerdings hat das Berufungsgericht nicht verkannt, dass nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausnahmsweise ein Schriftsatz auch ohne Unterschrift eines zugelassenen Rechtsanwalts die Frist zur Berufungsbegründung wahren kann. Darauf weist bereits der Wortlaut des § 130 ZPO hin ("soll"). Der erkennende Senat sieht jedoch keine Veranlassung, im vorliegenden Fall von dem Unterschriftserfordernis als Wirksamkeitserfordernis abzuweichen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 2005 - XI ZR 128/04 - NJW 2005, 2086, 2087; a.A. Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 130 Rn. 22 m.w.N.). Die Unterschrift soll die Identifizierung des Urhebers der Prozesshandlung als zugelassener Rechtsanwalt ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen , die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 2005 - XI ZR 128/04 - aaO). Für den Anwaltsprozess bedeutet dies, dass die Berufungsbegründung von einem dazu bevollmächtigten und bei dem Prozessgericht postulationsfähigen Rechtsanwalt nach eigenverantwortlicher Prüfung genehmigt und unterschrieben sein muss. Die Rechtsprechung hat von diesem Grundsatz Ausnahmen anerkannt, worauf die Rechtsbeschwerde - im Ansatzpunkt richtig - hinweist. So kann das Fehlen der Unterschrift ausnahmsweise dann unschädlich sein, wenn sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen ergibt, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen (vgl. BGH, Urteil vom 10. Mai 2005 - XI ZR 128/04 - aaO, 2088 mit umfangreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, Bundesarbeitsgerichts und Bundesge- richtshofs). Diese Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes zur ausnahmsweisen Wirksamkeit nicht unterzeichneter Rechtsmittelbegründungsschriften trägt dem Anspruch der Prozessbeteiligten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) sowie ihren Rechten aus Art. 19 Abs. 4 und Art. 103 Abs. 1 GG Rechnung, die es verbieten , den Zugang zur jeweiligen nächsten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren und dazu an die Beachtung formeller Voraussetzungen für die Geltendmachung des Rechtsschutzbegehrens überspannte Anforderungen zu stellen.
7
Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ergeben hier jedoch die Umstände im Zusammenhang mit der Übermittlung der Berufungsbegründungsschrift keine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft des Prozessbevollmächtigten der Klägerin sowie seinen Willen, für ihren Inhalt die Verantwortung zu übernehmen und sie an das Berufungsgericht zu übermitteln. Das hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler erkannt. Dem Kammergericht ist am 17. Mai 2005 innerhalb der Begründungsfrist lediglich bekannt geworden, dass eine Berufungsbegründung am 13. Mai 2005 auf dem Postweg abgesandt worden ist. Der telefonischen Mitteilung war nicht mit der erforderlichen Sicherheit zu entnehmen, wer für diesen Schriftsatz verantwortlich war. Das ergab sich insbesondere nicht aus dem Umstand, dass den Mitarbeitern des Prozessbevollmächtigten der Klägerin der Ablauf der Begründungsfrist bekannt war. Ebenso wie die (später versandte) Telekopie konnte auch die Berufungsbegründungsschrift versehentlich ohne Unterschrift geblieben sein. Der maschinenschriftliche Vermerk unter der Telekopie, der den mit dem Zusatz "Rechtsanwalt" wiedergegebenen Vor- und Nachnamen des Prozessbevollmächtigten der Klägerin enthielt, bot keine Gewähr dafür, dass dieser die Verantwortung für die Berufungsbegründung übernommen und diese willentlich an das Berufungsgericht übermittelt hatte. Der Zusatz konnte auch bei anderer Urheberschaft angebracht sein. Es kann daher auch keine Rede davon sein, dass das Erfordernis der Schriftform im gegebenen Fall zum Selbstzweck geworden wäre. Das Berufungsgericht hat nach allem keine überspannten Anforderungen aufgestellt oder gar Verfahrensgrundrechte der Klägerin verletzt.
8
b) Es hat jedoch verkannt, dass der Klägerin aus anderen Gründen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren war.
9
aa) Die Rechtsbeschwerde macht allerdings nicht geltend, dass die Klägerin vor dem Tatrichter vorgetragen habe, die Berufungsbegründung sei entgegen den üblichen Postlaufzeiten hier erst nach dem 17. Mai 2005 beim Berufungsgericht eingegangen und dieser Umstand sei der Klägerin nicht zuzurechnen. Soweit sie in der Rechtsbeschwerdebegründung ein Verschulden der Deutschen Post AG andeutet, ist hierfür substantiierter Vortrag innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist weder dargetan noch glaubhaft gemacht.
10
bb) Die Rechtsbeschwerde weist jedoch mit Erfolg darauf hin, die Übermittlung eines Exemplars der Berufungsbegründung ohne Unterschrift innerhalb der Berufungsbegründungsfrist sei der Klägerin nicht als Verschulden zuzurechnen. Die entgegenstehende Ansicht des Kammergerichts verletzt Verfahrensgrundrechte der Klägerin und erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.
11
Die Mitarbeiterin Frau B. hat - wie die Rechtsbeschwerde darlegt - die Berufungsbegründung neu ausgedruckt, weil das von dem postulationsfähigen Prozessbevollmächtigten der Klägerin unterschriebene Aktenexemplar beidseits bedruckt und deshalb nur schlecht als Faxvorlage geeignet war. Die Mitarbeiterin hat dann jedoch die letzte neu ausgedruckte und deshalb nicht unterschriebene Seite mit übersandt, anstatt die letzte unterschriebene Seite des Exemplars der Handakten zu senden. Dieses Versäumnis der Büromitarbeiterin hat das Berufungsgericht fälschlich dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin und damit dieser selbst (§ 85 Abs. 2 ZPO) zugerechnet. Es hat eine entsprechende allgemeine Anweisung des Klägervertreters unterstellt, jedoch Zweifel daran geäußert, ob eine solche Anweisung ausreichend wäre, weil die Zusammenstellung des Schriftsatzes durch eine Büroangestellte nicht der erforderlichen eigenverantwortlichen Prüfung durch einen postulationsfähigen Anwalt genüge. Dem ist nicht zu folgen, denn der Anwalt hat insoweit eine eindeutige Anweisung erteilt, wie bei einer Duplex-Kopie in den Handakten zu verfahren war.
12
Das Berufungsgericht hat ferner in Würdigung des Parteivortrags und der vorgelegten Unterlagen für nicht glaubhaft gemacht gehalten, dass das Fehlen der Unterschrift nicht schon am 17. Mai 2005, sondern erst am Folgetag von der Angestellten Frau B. bemerkt worden ist. Der Entscheidung des Berufungsgerichts ist aber nicht zu entnehmen, aus welchem Grund das hieraus folgende Versäumnis der Angestellten der Klägerin zuzurechnen sein soll. Dass Frau B. die Bedeutung der Unterschrift kannte, ergibt sich aus ihrer eidesstattlichen Erklärung. § 278 BGB ist nicht anwendbar. Eine dieser Vorschrift entsprechende Regelung fehlt. § 85 Abs. 2 ZPO ordnet keine Zurechnung für fehlerhaftes Verhalten der Büroangestellten des Prozessbevollmächtigten an. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat den ihm obliegenden Pflichten bei der Übermittlung der Berufungsbegründungsschrift an das Berufungsgericht genügt mit der eindeutigen Anweisung, wie zu verfahren war für den Fall, dass das Original der unterzeichneten Rechtsmittelbegründungsschrift nicht rechtzeitig während der Geschäftszeit beim Rechtsmittelgericht einging. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeerwiderung hatte er damit nicht dem Büropersonal überlassen, selbstständig eine Berufungsbegründung zu erstellen. Die Anweisung ging vielmehr dahin, die vorhandene und unterzeichnete Rechtsmittelbegründung vollständig auf elektronischem Wege zu übermitteln. Diese Bürotätigkeit durfte der Pro- zessbevollmächtigte auf sein Büropersonal delegieren (vgl. BGH, Beschluss vom 7. November 1999 - IV ZB 18/99 - VersR 2000, 338).
13
Vergeblich beanstandet die Beschwerdeerwiderung fehlenden Vortrag zur Ausgangskontrolle bei einer Faxübersendung dahin, ob die Sendung vollständig und mit Unterschrift erfolgt ist. Eine gesonderte Kontrollanweisung war angesichts der unmißverständlichen Weisung, das ordnungsgemäß unterzeichnete Handaktenexemplar vollständig zu übermitteln, nicht erforderlich. Eine Kontrolle hatte sich nach dieser Weisung darauf zu erstrecken, dass das Handaktenexemplar vollständig einschließlich der unterzeichneten letzten Seite übermittelt wurde. Dass das Büropersonal sich im hier zu entscheidenden Fall daran nicht gehalten hat, ist der Klägerin nicht zuzurechnen. Müller Greiner Pauge Stöhr Zoll
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 09.12.2004 - 6 O 71/03 -
KG Berlin, Entscheidung vom 07.07.2005 - 20 U 34/05 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZB 107/06
vom
17. Juli 2007
in dem Rechtsstreit
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Ball, den Richter Dr. Frellesen sowie die Richterinnen Hermanns, Dr. Milger und
Dr. Hessel
am 17. Juli 2007

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 26. Oktober 2006 aufgehoben.

Gründe:

I.

1
Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin legte gegen das Urteil des Landgerichts Hannover vom 7. Juli 2006 fristgemäß Berufung beim Oberlandesgericht Celle ein. Ihm wurde vom Berufungsgericht antragsgemäß eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 5. Oktober 2006 gewährt. Mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2006 beantragte der Prozessbevollmächtigte eine weitere Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 19. Oktober 2006. Dieser Schriftsatz war an das Landgericht Hannover adressiert, ging dort per Fax am 5. Oktober 2006 ein und wurde durch Verfügung des Einzelrichters vom 6. Oktober 2006 an das Oberlandesgericht Celle weitergeleitet.
2
Das Oberlandesgericht hat den Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts wegen Versäumung der Berufungsbegrün- dungsfrist als unzulässig verworfen. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.

II.

3
Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) und hat auch in der Sache Erfolg. Das Berufungsgericht durfte die Berufung der Klägerin nicht wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig verwerfen. Denn der Klägerin ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren , weil sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten (§ 233 ZPO). Ein der Klägerin zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten (§ 85 Abs. 2 ZPO) liegt entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht vor. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Prozessbevollmächtigten überspannt.
4
Nach dem glaubhaft gemachten Vorbringen der Klägerin hatte ihr Prozessbevollmächtigter kurz nach der Unterzeichnung des Fristverlängerungsantrags vom 5. Oktober 2006 festgestellt, dass dieser fälschlich an das Landgericht Hannover adressiert war, und die Rechtsanwaltsfachangestellte B. daraufhin gebeten, diesen Schriftsatz zu schreddern und einen entsprechenden Verlängerungsantrag an das Oberlandesgericht Celle zu richten. Dem ist die Angestellte insoweit auch nachgekommen, als sie den neuen, an das Oberlandesgericht adressierten Schriftsatz erstellt und dem Rechtsanwalt zur Unterschrift vorgelegt hat. Der Rechtsanwalt brauchte, nachdem er den nunmehr zutreffend adressierten Verlängerungsantrag unterschrieben hatte, nicht damit zu rechnen, dass die bislang zuverlässig arbeitende Mitarbeiterin diesen Schriftsatz nicht an das Berufungsgericht faxen, sondern vernichten würde und statt- dessen den an das Landgericht Hannover gerichteten Schriftsatz, den sie hatte vernichten sollen, absenden würde. Die der Angestellten erteilte Weisung, den an das Landgericht adressierten Schriftsatz zu vernichten und den an das Berufungsgericht gerichteten Schriftsatz abzusenden, hatte einfache Aufgaben zum Gegenstand, bei denen der Rechtsanwalt darauf vertrauen darf, dass ein ansonsten zuverlässig arbeitender Angestellter sie richtig erledigt (vgl. Senatsbeschluss vom 4. November 1981 - VIII ZB 59/81 und VIII ZB 60/81, NJW 1982, 2670, unter II 2 a). Die ordnungsgemäße Ausführung einfacher Aufgaben muss der Rechtsanwalt bei solchen Mitarbeitern nicht persönlich überwachen (vgl. Senatsbeschluss vom 10. Februar 1982 - VIII ZR 76/81, NJW 1982, 2670, unter II 2 b cc).
5
Soweit das Berufungsgericht gemeint hat, der Prozessbevollmächtigte hätte den an das Landgericht adressierten Schriftsatz, nachdem er ihn zunächst unterschrieben hatte, persönlich vernichten müssen oder zumindest im Adressfeld das unzuständige Gericht durchstreichen und das zuständige Gericht kennzeichnen müssen, überspannt es die Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts. Dieser durfte mit der Vernichtung des unrichtig adressierten Schriftsatzes auch seine Mitarbeiterin betrauen und sich darauf verlassen, dass sie auch diesen Teil seiner Weisung ausführen würde, nachdem sie ihm den neu erstellten, nunmehr zutreffend adressierten Schriftsatz zur Unterschrift vorgelegt hatte.
6
Ebenso wenig ist ein der Klägerin zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten daraus herzuleiten, dass dieser zunächst den falsch adressierten Schriftsatz unterschrieben hatte. Dieses Versehen ist vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin rechtzeitig bemerkt und dadurch korrigiert worden, dass er einen neuen Schriftsatz an das Berufungsgericht hat erstellen lassen, den er sodann auch unterschrieben und seiner Mitarbeiterin zur Weiterleitung an das Berufungsgericht übergeben hat. Ball Dr.Frellesen Hermanns Dr.Hessel Dr.Milger
Vorinstanzen:
LG Hannover, Entscheidung vom 07.07.2006 - 8 O 292/03 -
OLG Celle, Entscheidung vom 26.10.2006 - 5 U 147/06 -

Die vorbereitenden Schriftsätze sollen enthalten:

1.
die Bezeichnung der Parteien und ihrer gesetzlichen Vertreter nach Namen, Stand oder Gewerbe, Wohnort und Parteistellung; die Bezeichnung des Gerichts und des Streitgegenstandes; die Zahl der Anlagen;
1a.
die für eine Übermittlung elektronischer Dokumente erforderlichen Angaben, sofern eine solche möglich ist;
2.
die Anträge, welche die Partei in der Gerichtssitzung zu stellen beabsichtigt;
3.
die Angabe der zur Begründung der Anträge dienenden tatsächlichen Verhältnisse;
4.
die Erklärung über die tatsächlichen Behauptungen des Gegners;
5.
die Bezeichnung der Beweismittel, deren sich die Partei zum Nachweis oder zur Widerlegung tatsächlicher Behauptungen bedienen will, sowie die Erklärung über die von dem Gegner bezeichneten Beweismittel;
6.
die Unterschrift der Person, die den Schriftsatz verantwortet, bei Übermittlung durch einen Telefaxdienst (Telekopie) die Wiedergabe der Unterschrift in der Kopie.

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

(1) Die Form des Antrags auf Wiedereinsetzung richtet sich nach den Vorschriften, die für die versäumte Prozesshandlung gelten.

(2) Der Antrag muss die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten; diese sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Prozesshandlung nachzuholen; ist dies geschehen, so kann Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZB 25/05
vom
19. Juni 2006
in der Rechtsbeschwerdesache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 233 B, 139 Abs. 2 Satz 1; GG Art. 103 Abs. 1
Unterlässt es das Gericht entgegen § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO, Art. 103 Abs. 1
GG, die um Wiedereinsetzung nachsuchende Partei auf den für seine Entscheidung
ausschließlich maßgebenden, von den Parteien ersichtlich für unerheblich
erachteten Gesichtspunkt hinzuweisen, ist der in der Beschwerde nachgeholte
Vortrag zu berücksichtigen.
BGH, Beschluss vom 19. Juni 2006 - II ZB 25/05 - OLG Bamberg
LG Schweinfurt
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 19. Juni 2006 durch
den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Goette und die Richter Kraemer, Dr. Strohn,
Caliebe und Dr. Reichart

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg vom 2. November 2005 aufgehoben.
Der Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Beschwerdewert: 3.526,08 €

Gründe:


1
I. Das Landgericht hat die Beklagte durch Teilurteil vom 4. August 2005 verurteilt, den Klägern Auskunft über ihre Beteiligung an der Beklagten durch Vorlage einer Auseinandersetzungsbilanz zum 29. September 2000 zu erteilen. Gegen die ihr am 5. September 2005 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte am 6. Oktober 2005 Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der am 5. Oktober abgelaufenen Berufungsfrist beantragt.
2
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat die Beklagte vorgetragen :
3
In der Kanzlei ihrer mit der Durchführung des Berufungsverfahrens beauftragten Prozessbevollmächtigten bestehe für die Bearbeitung fristgebundener Schriftsätze die Anweisung, Fristen nebst zweiwöchiger Vorfrist in den Fristenkalender einzutragen, sie danach auf der ersten Seite des betreffenden Schriftstücks zu notieren und ihre Eintragung im Fristenbuch durch Anbringung eines mit dem Namenszeichen versehenen Vermerks zu bestätigen. Nach Eingang der Unterlagen in der Kanzlei ihrer zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 15. September 2005 habe die für die Fristennotierung zuständige, zuverlässig arbeitende Rechtsanwaltsfachgehilfin Frau F., die über eine mehrjährige Berufserfahrung verfüge, die Fristen für Berufung und Berufungsbegründung berechnet, auf dem Urteil beide Fristen mit Vorfristen vermerkt und - entgegen der in der Kanzlei für die Bearbeitung fristgebundener Schriftsätze bestehenden Anweisung - als notiert gekennzeichnet, obwohl sie aus unerklärlichen Gründen die Berufungseinlegungsfrist mit Vorfrist im Fristenkalender nicht eingetragen habe. Ihr Prozessbevollmächtigter, dem der Vorgang anschließend vorgelegt worden sei, habe nicht damit rechnen müssen, dass ihm die Handakte trotz der bestätigten Fristennotierung zur Vorfrist und zum Ablauf der Berufungsfrist nicht vorgelegt würde.
4
II. 1. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen und die Berufung als unzulässig verworfen.
5
Zur Begründung seiner Entscheidung hat es im Wesentlichen ausgeführt:
6
Die Beklagte habe nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass sie ohne Verschulden an der Einhaltung der Berufungsfrist verhindert gewesen sei. Ihr Vorbringen lasse nicht erkennen, dass ihre Prozessbevollmächtigten wegen der unterlassenen Notierung der Berufungsfrist im Fristenkalender nicht in der Lage gewesen seien, die Berufung rechtzeitig einzulegen. Ihrem Wiedereinsetzungsgesuch sei nicht zu entnehmen, wann die Akten ihren Prozessbevollmächtigten vorgelegt worden seien. Es könne jedoch angenommen werden, dass die am 30. September 2005 an ihre Prozessbevollmächtigten versandten Akten dem sachbearbeitenden Anwalt am 4. oder 5. Oktober 2005 vorgelegen hätten.
7
Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts wendet sich die Beklagte mit ihrer Rechtsbeschwerde.
8
2. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft, §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO. Sie ist auch im Übrigen zulässig, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO).
9
Der angefochtene Beschluss verletzt in entscheidungserheblicher Weise den verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch der Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG). Unter Verstoß gegen § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO hat das Berufungsgericht seine Entscheidung - ohne die Beklagte vorher darauf hinzuweisen und ihr Gelegenheit zur Äußerung zu geben - ausschließlich auf einen Gesichtspunkt gestützt, dem die Beklagte - wie aus der Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrags ersichtlich - keine Bedeutung beigemessen hatte und den auch die Kläger nicht aufgegriffen hatten. Zwar hat die Partei im Wiedereinsetzungsantrag das fehlende Verschulden dar- zulegen und glaubhaft zu machen, § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Aus Sicht der Beklagten bestand jedoch kein Anlass, in ihrem Wiedereinsetzungsgesuch den - erst nach Ablauf der Berufungsfrist liegenden - Zeitpunkt vorzutragen, zu dem ihren zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten die Gerichtsakten erstmals zur Einsichtnahme vorlagen. Wenn das Berufungsgericht auf diesen - von den Parteien nicht beachteten - Gesichtspunkt maßgebend abstellen wollte, hätte es den genauen Zeitpunkt aufklären müssen und seine Entscheidung nicht auf Mutmaßungen stützen dürfen (BGH, Beschl. v. 13. Januar 2000 - VII ZB 20/99, NJW 2000, 1872).
10
3. Der Beklagten ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ; denn die Fristversäumung beruht nicht auf einem - ihr nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden - Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten.
11
Der Anwalt, dem nach Eingang der Berufungsunterlagen die Handakten vorgelegt wurden mit der Bestätigung, dass die dort notierten Fristen in den Fristenkalender eingetragen sind, darf sich darauf verlassen, dass ihm die Handakten spätestens am Tag des Ablaufs der Berufungsfrist wieder vorgelegt werden (vgl. BGH, Beschl. v. 12. August 1997 - VI ZB 13/97, NJW 1997, 3243 zur Begründungsfrist; v. 22. März 1995 - VIII ZB 2/95, NJW 1995, 1682). Er hat nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes den Fristenlauf nicht bei jeder Vorlage der Handakten, sondern nur, aber auch immer dann eigenverantwortlich zu überprüfen, wenn ihm die Handakten im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung vorgelegt werden, wenn sie ihm selbst bis zum Fristablauf oder einem ihm nahen Zeitpunkt vorliegen (BGH, Beschl. v. 5. Februar 2003 - VIII ZB 115/02, ZIP 2003, 1050, 1051 m.w.Nachw.). Nach der vom Bundesverfassungsgericht bestätigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ist ein Anwalt allerdings bei Übernahme eines neuen Mandats verpflichtet, die Gerichtsakten unverzüglich in eigener Verantwortung auf die laufenden Fristen zu überprüfen (BVerfG, Beschl. v. 17. Juni 1999 - 2 BvR 30/99, NJW 2000, 1633 f.; BGH, Beschl. v. 27. Februar 1997 - I ZB 50/96, NJW 1997, 1708, 1709; Beschl. v. 22. November 2000 - XII ZB 28/00, FamRZ 2001, 1143).
12
Das Berufungsgericht ist jedoch zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Gerichtsakten den zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Beklagten noch vor Ablauf der Berufungsfrist erstmals zur Einsichtnahme vorgelegen haben und der sachbearbeitende Rechtsanwalt deshalb entsprechend diesen Grundsätzen zur Prüfung der Fristen verpflichtet und in der Lage war. Dies war nach dem in der Rechtsbeschwerde ergänzten und glaubhaften Vortrag der Beklagten nicht der Fall. Denn aus dem Eingangsstempel auf der - mit der Beschwerdebegründung in Kopie vorgelegten - Mitteilung des Landgerichts Schweinfurt an die Prozessbevollmächtigten der Beklagten ist ersichtlich, dass die vom Landgericht Schweinfurt übersandten Gerichtsakten erst am 5. Oktober 2005 beim Amtsgericht Chemnitz eingetroffen sind; von dort mussten sie noch an das Landgericht Chemnitz - zum Fach der Prozessbevollmächtigten der Beklagten - weitergeleitet werden.
13
Der nachgeholte Vortrag ist zu berücksichtigen. Erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, können noch nach Ablauf der Antragsfrist mit der Beschwerde ergänzt werden (BGH, Beschl. v. 27. Februar 1997 aaO; v. 6. Mai 1999 - VII ZB 6/99, NJW 1999, 2284; v. 13. Januar 2000 aaO). Dies ist zur Wahrung des rechtlichen Gehörs umso mehr geboten, wenn es das Berufungsgericht - wie hier - entgegen § 139 Abs. 2 Satz 1 ZPO unterlassen hat, die um Wiedereinsetzung nachsuchende Partei auf den für seine Entscheidung ausschließlich maßgebenden, von dieser jedoch erkennbar übersehenen Gesichtspunkt hinzuweisen und ihr Gelegenheit zur Äußerung zu geben.
Goette Kraemer Strohn
Caliebe Reichart
Vorinstanzen:
LG Schweinfurt, Entscheidung vom 04.08.2005 - 24 O 653/02 -
OLG Bamberg, Entscheidung vom 02.11.2005 - 3 U 280/05 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
III ZB 73/07
vom
20. Dezember 2007
in dem Rechtsstreit
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Dezember 2007 durch
den Vorsitzenden Richter Schlick und die Richter Dr. Wurm, Dr. Kapsa,
Dr. Herrmann und Wöstmann

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss der 13. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 8. August 2007 - 13 S 98/07 - aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 4.257 € festgesetzt.

Gründe:


1
Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde der Beklagten ist zulässig, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO erfüllt sind. Die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichtes , weil das Berufungsgericht die Glaubhaftmachung der Tatsachen für die beantragte Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist ohne hinreichende Auseinandersetzung mit den von der Beklagten vorgetragenen Umständen verneint und damit die Grenzen tatrichterlicher Würdigung überschritten hat. Dies verletzt den Anspruch der Beklagten auf wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG).
2
1. Die Umstände für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sind glaubhaft gemacht, wenn die zur Glaubhaftmachung vorgelegte eidesstattliche Versicherung (§ 234 ZPO) eine ausreichende Wahrscheinlichkeit für den in ihr dargestellten Sachverhalt ergibt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Januar 2002 - VII ZB 32/01 - NJW 2002, 1429 f).
3
Das Berufungsgericht hat die Zurückweisung des Wiedereinsetzungsgesuches der Beklagten wegen mangelnder Glaubhaftmachung insbesondere damit begründet, dass die Angaben der Mitarbeiterin ihres Prozessbevollmächtigten in der eidesstattlichen Versicherung nicht mit dem beigelegten Journalausdruck des Faxgerätes in Übereinstimmung zu bringen sind. Dabei hat es sich rechtsfehlerhaft nicht mit dem Vorbringen der Beklagten in ihrem Wiedereinsetzungsgesuch auseinandergesetzt, dass die fünf fehlgeschlagenen Übermittlungsversuche in dem mit dem Gesuch vorgelegten Faxjournal in der fraglichen Zeit dadurch dokumentiert seien, dass die für einen Sendeauftrag vergebenen fortlaufenden Nummerierungen des Faxgerätes zwischen # 451 und # 456 fehlen. Wenn dieses Vorbringen den technischen Gegebenheiten entsprechen sollte und das Faxgerät weiterhin - wie mit der Rechtsbeschwerde geltend gemacht - bei Anwahlversuchen, bei denen es zu einer Verbindung mit der Gegenseite nicht gekommen ist, keinen Sendebericht ausdruckt, konnte das Berufungsgericht nicht zur Grundlage seiner Beurteilung der Glaubhaftmachung der zur Wiedereinsetzung vorgetragenen Tatsachen machen, dass weitere Journalausdrucke oder Faxsendeberichte von der Beklagten nicht vorgelegt wurden.
4
2. Die Entscheidung des Berufungsgerichts stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 577 Abs. 3 ZPO). Insbesondere kann der Beklagten nicht entgegengehalten werden, dass sie mit der Faxübermittlung bis 9 Minuten vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist zugewartet hat, denn Fristen können voll ausgenutzt werden (vgl. BVerfGE 69, 381, 385). Mit der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer ist das Erforderliche zur Fristwahrung getan, wenn so rechtzeitig mit der Faxübermittlung begonnen wird, dass unter normalen Umständen mit ihrem Abschluss bis 24.00 Uhr zu rechnen ist (BVerfG NJW 1996, 2857). Davon ist hier auszugehen, da die Faxübermittlung am Folgetag lediglich 1 Minute 33 Sekunden gedauert hat und die Übermittlung nach den Angaben in der eidesstattlichen Versicherung der Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten der Beklagten nicht daran gescheitert ist, dass die Telefonleitung besetzt war.
5
3. Der Senat ist an einer eigenen Entscheidung gehindert (§ 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird erneut zu prüfen haben, ob die eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten der Beklagten eine ausreichende Wahrscheinlichkeit für die unverschuldete Säumnis der Berufungsbegründungsfrist ergibt. Hierbei wird das Berufungsgericht genauer in den Blick zu nehmen haben, ob die von der Beklagten behaupteten Funktionen des Faxgerätes ihres Prozessbevollmächtigten zutreffen und ob die Feststellungen zur Funktionstüchtigkeit der Faxgeräte des Landgerichtes hin- reichenden Anlass geben, die Richtigkeit der Angaben in der eidesstattlichen Versicherung in Zweifel zu ziehen.
Schlick Wurm Kapsa
Herrmann Wöstmann
Vorinstanzen:
AG Nürtingen, Entscheidung vom 03.04.2007 - 16 C 2084/06 -
LG Stuttgart, Entscheidung vom 08.08.2007 - 13 S 98/07 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
III ZB 54/08
vom
30. Oktober 2008
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja

a) Ein Rechtsanwalt, der seiner bislang zuverlässigen Kanzleiangestellten
die Weisung erteilt, in einer von ihm bereits unterzeichneten Berufungsschrift
die falsche Bezeichnung des Berufungsgerichts zu korrigieren,
ist grundsätzlich nicht verpflichtet, die ordnungsgemäße Ausführung der
Korrektur zu überprüfen.

b) Im Fristenkalender muss nicht das zuständige Rechtsmittelgericht eingetragen
sein. Dieses hat vielmehr der Rechtsanwalt selbst zu ermitteln.
BGH, Beschluss vom 30. Oktober 2008 - III ZB 54/08 - OLG Düsseldorf
LG Wuppertal
Der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Oktober 2008 durch den
Vorsitzenden Richter Schlick, die Richter Dr. Wurm, Dörr, Wöstmann und die
Richterin Harsdorf-Gebhardt

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 24. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 27. Mai 2008 - I-24 U 77/08 - aufgehoben.
Der Beklagten wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal vom 28. Februar 2008 - 3 O 288/06 - gewährt.
Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung über die Berufung der Beklagten an das Berufungsgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens vorbehalten bleibt.
Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 104.300 € festgesetzt.

Gründe:


I.


1
Das Landgericht hat durch das den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 6. März 2008 zugestellte Urteil das der Beklagten nachteilige Versäumnisurteil aufrechterhalten. Hiergegen hat die Beklagte Berufung eingelegt mit einem an das Landgericht adressierten Schriftsatz, der dort am Montag, dem 7. April 2008, und nach Weiterleitung am 11. April 2008 beim Oberlandesgericht einging. Vom Landgericht auf die falsche Adressierung der Berufungsschrift aufmerksam gemacht, hat die Beklagte mit einem beim Oberlandesgericht am 18. April 2008 eingegangenem Schriftsatz erneut Berufung eingelegt, diese begründet und beantragt, ihr wegen der Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
2
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs hat die Beklagte vorgetragen und glaubhaft gemacht: Die erfahrene, seit 2005 bei ihren Prozessbevollmächtigten zuverlässig tätige Rechtsanwaltsfachangestellte D. habe am 7. April 2008 auftragsgemäß den Entwurf der Berufungsschrift nach Diktat gefertigt und zur Durchschrift und Unterzeichnung dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt vorgelegt. Dieser habe auf der ersten Seite der zweiseitigen Berufungsschrift zwei Fehler entdeckt, zum einen die falsche Adressierung an das Landgericht und zum anderen einen Rechtschreibfehler im Namen der Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Der Rechtsanwalt habe auf dem ersten Blatt handschriftlich vermerkt, was zu korrigieren sei, und die Berufungsschrift auf dem zweiten, nicht korrekturbedürftigen Blatt unterzeichnet. Entsprechend einer allgemein erteilten Kanzleianweisung habe er seine Mitarbeiterin angewiesen, das erste Blatt gemäß den Vermerken zu korrigieren und ihm den Schriftsatz anschließend erneut zur Durchsicht vorzulegen. Die Mitarbeiterin habe den Namen der Prozessbevollmächtigten der Gegenseite korrigiert, die Berichtigung der Adresse aber vergessen, weil sie bei ihrer Korrekturarbeit durch mehrere Mandantenanrufe unterbrochen worden sei. Da sie den Rechtsanwalt nicht in einer Besprechung habe stören wollen, habe sie ihm die Berufungsschrift nicht noch einmal vorgelegt, sondern diese vor Verlassen des Büros an das Landgericht per Telefax übermittelt und in den Postgang gegeben.
3
Durch den angefochtenen Beschluss hat das Oberlandesgericht den Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt und die Berufung als unzulässig verworfen. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit der Rechtsbeschwerde.

II.


4
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
5
1. Die gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Nach § 574 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Denn die angefochtene Entscheidung verletzt - wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt - die Verfahrensgrundrechte der Beklagten auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechts- staatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Sie steht zudem nicht in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
6
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Oberlandesgericht hat zu Unrecht der Beklagten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist versagt.
7
a) Das Berufungsgericht hat angenommen, die Beklagte habe infolge eines ihr zuzurechnenden Verschuldens ihres Prozessbevollmächtigten die Frist zur Einlegung der Berufung versäumt. Zwar dürfe sich ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf verlassen, dass Kanzleiangestellte, die fachlich ausgebildet seien und sich bisher als zuverlässig erwiesen hätten, allgemein oder speziell erteilte Weisungen beachteten. Gleichwohl müssten geeignete organisatorische Vorkehrungen getroffen werden, um die irrtümliche Versäumung von Fristen zu verhindern. Das Fehlen eines solchen Sicherungssystems, insbesondere eines Fristenkalenders, bedeute einen entscheidenden Organisationsmangel. Die Beklagte habe nicht vorgetragen, dass im Büro ihrer Prozessbevollmächtigten ein Fristenkalender geführt werde und die Weisung bestanden habe, vor Herausgabe eines fristgebundenen Schriftsatzes anhand des Fristenkalenders zu kontrollieren , ob er richtig adressiert worden sei. Wenn diese Kontrolle durchgeführt worden wäre, hätte der Rechtsanwaltsfachangestellten auffallen müssen, dass das in der Berufungsschrift noch immer als Rechtsmittelgericht angegebene "Landgericht Wuppertal" nicht übereinstimmte mit der Rechtsmittelinstanz, die im Fristenkalender zutreffend mit "Oberlandesgericht Düsseldorf" hätte eingetragen sein müssen. Die der Rechtsanwaltsfachangestellten erteilte Einzelanweisung habe den Irrtum nicht zuverlässig verhindern können.
8
b) Damit hat das Berufungsgericht Anforderungen an die Sorgfaltspflichten des Prozessbevollmächtigten der Beklagten gestellt, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung in Fällen der vorliegenden Art nicht verlangt werden.
9
Das aa) Berufungsgericht hat übersehen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Falle einer Fristversäumung den Rechtsanwalt ein der Partei zurechenbares Verschulden nicht trifft, wenn er einer bislang zuverlässigen Kanzleiangestellten eine konkrete Einzelanweisung erteilt hat, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte. Grundsätzlich trägt der Prozessbevollmächtigte die Verantwortung dafür, dass die Rechtsmittelschrift rechtzeitig bei dem zuständigen Gericht eingeht. Demgemäß muss er sich bei Unterzeichnung dieses Schriftsatzes davon überzeugen, dass er zutreffend adressiert ist (Senatsbeschluss vom 27. Februar 2003 - III ZB 82/02 - NJW-RR 2003, 934, 935 unter 2. b; BGH, Beschlüsse vom 10. Februar 1982 - VIII ZR 76/81 - NJW 1982, 2670 unter 2. b aa m.w.N.; vom 6. Mai 1992 - XII ZB 39/92 - VersR 1993, 79 m.w.N.; vom 29. Juli 2003 - VIII ZB 107/02 - NJOZ 2003, 2736, 2737 unter II. 2.). Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten ist dieser Pflicht nachgekommen und hat seiner Mitarbeiterin die klare Anweisung erteilt, die Bezeichnung des Berufungsgerichts zu korrigieren. Ihm kann auch nicht als Verschulden vorgehalten werden, dass er die Berufungsschrift vor der von ihm für erforderlich gehaltenen Korrektur unterzeichnet hat (vgl. Senatsbeschluss vom 27. Februar 2003 aaO m.w.N.; BGH, Beschlüsse vom 4. November 1981 - VIII ZB 59, 60/81 - NJW 1982, 2670, 2671 unter 2. b; vom 10. Februar 1982 aaO unter 2. b bb, cc; vom 29. Juli 2003 aaO).
10
bb) In einem solchen Fall darf der Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Büroangestellte, die sich - wie hier - bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelfallanweisung befolgt. Ihn trifft unter diesen Umständen nicht die Verpflichtung, sich anschließend über die Ausführung seiner Weisung zu vergewissern (Senatsbeschluss vom 27. Februar 2003 aaO m.w.N.; BGH, Beschlüsse vom 4. November 1981 aaO; vom 18. März 1998 - XII ZB 180/96 - NJW-RR 1998, 1360 unter II. 2. m.w.N.; vom 6. Juli 2000 - VII ZB 4/00 - NJW 2000, 2823 unter II.; vom 29. Juli 2003 aaO; vom 9. Dezember 2003 - VI ZB 26/03 - NJW-RR 2004, 711, 712 unter II. m.w.N.). Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten war daher nicht verpflichtet, die ordnungsgemäße Ausführung der Korrektur zu überprüfen. Die Anforderungen an die anwaltliche Sorgfalt würden überspannt, wollte man verlangen, dass er bei einer Angestellten, an deren Zuverlässigkeit keine Zweifel bestanden, die Vornahme einer einfachen Berichtigung der falschen Adressierung zu kontrollieren (BGH, Beschluss vom 4. November 1981 aaO). Ein Verschulden kann einem Rechtsanwalt in einer solchen Konstellation dann vorgeworfen werden, wenn er den ihm zum zweiten Mal vorgelegten und immer noch fehlerhaften Berufungsschriftsatz unterzeichnet, ohne ihn zuvor auf Richtigkeit und Vollständigkeit überprüft zu haben (BGH, Beschlüsse vom 6. Mai 1992 aaO; vom 29. Juli 2003 aaO). So liegt der Fall hier nicht. Im Übrigen ist eine besondere Kontrolle nur dann erforderlich, wenn die Rechtsmittelschrift mehrere für die Zulässigkeit relevante Fehler enthielt (BGH, Beschlüsse vom 18. Oktober 1994 - XI ZB 10/94 - NJW 1995, 263, 264 unter II.; vom 29. Juli 2003 aaO; vom 9. Dezember 2003 aaO). Eine solche Häufung von zulässigkeitsrelevanten Fehlern wies die von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten unterzeichnete Berufungsschrift nicht auf. Für die Zulässigkeit der Berufung bedeutsam war nur die Adressierung an das unzuständige Gericht, nicht aber der Schreibfehler in der Bezeichnung der Prozessbevollmächtigten der Berufungsbeklagten.
11
cc) Ein Verschulden kann dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten auch nicht deshalb angelastet werden, weil er nichts unternahm, nachdem ihm seine Mitarbeiterin entgegen seiner Weisung den Schriftsatz vor der Versendung nicht noch einmal zur Durchsicht vorgelegt hatte. Eine solche, über das gebotene Maß hinausgehende Anordnung kann nicht zu einer Verschärfung der den Rechtsanwalt treffenden Sorgfaltspflichten führen (BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2006 - XII ZB 99/06 - NJW 2007, 1455, 1456 Rn. 8 m.w.N.). Demnach musste der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die von ihm erteilte Einzelanweisung, ihm die Berufungsschrift nochmals zur Korrektur vorzulegen, nicht in Erinnerung behalten, sondern konnte sich darauf verlassen, dass seine Mitarbeiterin die Bezeichnung des Berufungsgerichts weisungsgemäß berichtigen werde.
12
dd) Unerheblich für die Entscheidung über das Wiedereinsetzungsgesuch ist die vom Berufungsgericht in den Vordergrund gestellte Frage, wie die Fristen- und Ausgangskontrolle im Büro der Prozessbevollmächtigten der Beklagten ausgestaltet war. Das Berufungsgericht stellt in diesem Zusammenhang zu Unrecht darauf ab, dass bei ordnungsgemäßer Führung eines Fristenkalenders aufgefallen wäre, dass der Berufungsschriftsatz ohne Freigabe durch den Prozessbevollmächtigten der Beklagten an das falsche Gericht gesandt worden war. Es überspannt in seinem rechtlichen Ausgangspunkt die Anforderungen an die ordnungsgemäße Führung eines Fristenkalenders, wenn es fordert, darin müsse auch das zuständige Rechtsmittelgericht eingetragen sein. Der Fristenkalender dient dazu, den Rechtsanwalt rechtzeitig an die Erledigung einer fristgebundenen Sache zu erinnern. Dazu ist es nicht erforderlich, im Fristenkalender das zuständige Rechtsmittelgericht einzutragen. Dieses hat vielmehr der Rechtsanwalt selbst zu ermitteln.
13
ee) Eine andere Beurteilung ist auch nicht unter Berücksichtigung des vom Berufungsgericht zitierten Senatsbeschlusses vom 4. April 2007 (III ZB 85/06 - NJW-RR 2007, 1430, 1431 Rn. 9 m.w.N.) geboten. Diese Entscheidung betraf einen Fall, in dem der Prozessbevollmächtigte mündlich eine Einzelanweisung zum Versand eines Schriftsatzes per Telefax erteilt hatte, ohne Vorkehrungen dagegen zu treffen, dass diese Anweisung in Vergessenheit geraten konnte. Als geeignete Vorkehrung hat der Senat die allgemeine Anordnung, sofort nach der mündlichen Weisung im Fristenkalender einen Vermerk über die gebotene Versendung per Fax anzubringen, genannt. Eine derartige Anordnung wäre hier nicht geeignet gewesen, die Versendung des Schriftsatzes an das unzuständige Gericht zu verhindern. Zudem hatte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten seiner Mitarbeiterin nicht nur mündlich aufgegeben, die Berufungsschrift zu korrigieren, sondern seine Korrekturanweisung auf dem zu korrigierenden Schriftsatz schriftlich vermerkt. Seine Einzelanweisung war auch nicht in Vergessenheit geraten. Die Rechtsanwaltsgehilfin hatte mit der Berichtigung der Berufungsschrift begonnen und dabei von beiden ihr aufgegebenen Korrekturen gerade die zulässigkeitsrelevante nicht vorgenommen. Gegen ein solches Versehen konnte und musste der Prozessbevollmächtigte der Beklagten keine Vorkehrungen treffen.
14
c) Der rechtzeitig gestellte Wiedereinsetzungsantrag der Beklagten ist daher begründet. Darüber kann der Senat gemäß § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO selbst entscheiden, weil das Berufungsgericht an der Richtigkeit des zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs vorgetragenen Sachverhalts keinen Zweifel hatte. Danach ist die Versäumung der Berufungsfrist auf ein der Beklagten nicht zuzurechnendes Verschulden der erfahrenen und ansonsten zuverlässig arbeitenden sowie ordnungsgemäß angewiesenen Rechtsanwaltsgehilfin ihrer Prozessbevollmächtigten zurückzuführen.
15
DasBerufungsgerichtwir d nunmehr in der Sache über die Berufung der Beklagten zu entscheiden haben.
Schlick Wurm Dörr
Wöstmann Harsdorf-Gebhardt
Vorinstanzen:
LG Wuppertal, Entscheidung vom 28.02.2008 - 3 O 288/07 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 27.05.2008 - I-24 U 77/08 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 26/03
vom
9. Dezember 2003
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn ein Rechtsanwalt seiner Büroangestellten
die Anweisung erteilt hat, den Namen des Berufungsklägers in
der von ihm unterzeichneten Rechtsmittelschrift zu berichtigen, dazu die erste
Seite des Schriftsatzes auszutauschen und die Berufungsschrift anschließend
per Telefax an das Rechtsmittelgericht zu übermitteln, die Angestellte den
Schriftsatz aber unverändert absendet.
BGH, Beschluß vom 9. Dezember 2003 - VI ZB 26/03 - LG Schwerin
AG Wismar
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Dezember 2003 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diede-
richsen und die Richter Pauge und Zoll

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluß der Zivilkammer 6 des Landgerichts Schwerin vom 4. März 2003 aufgehoben , soweit zum Nachteil der Klägerin entschieden worden ist. Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt. Der Berufungskläger zu 2 hat die Kosten seiner Rechtsbeschwerde zu tragen, nachdem er diese zurückgenommen hat. Der Gegenstandswert der Beschwerdeverfahren beträgt je 3.197,28

Gründe:

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten wegen eines Verkehrsunfalls aus abgetretenem Recht ihres Ehemannes auf Schadensersatz in Anspruch. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Urteil ist dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin am 11. November 2002 zugestellt worden. Am 11. Dezem-
ber 2002 hat ihr Prozeßbevollmächtigter zunächst im Namen ihres Ehemannes Berufung eingelegt. Auf den am 30. Dezember 2002 zugegangenen Hinweis des Gerichts hat er am 13. Januar 2003 auch in ihrem Namen Berufung eingelegt und zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Zur Begründung hat die Klägerin vorgetragen , die Bürokraft ihres Prozeßbevollmächtigten, die Rechtsanwaltsfachangestellte F., habe am letzten Tag der Berufungsfrist einen Berufungsschriftsatz gefertigt, in dem fälschlicherweise nicht die Klägerin, sondern deren Ehemann als Berufungsführer aufgeführt gewesen sei. Dieses sei ihrem Prozeßbevollmächtigtem nach der Unterzeichnung aufgefallen. Er habe Frau F. daraufhin angewiesen, das Rubrum zu berichtigen, dazu die erste Seite des Schriftsatzes auszutauschen und die Berufungsschrift anschließend per Fax an das Landgericht zu übermitteln. Zusätzlich habe er auf der zweiten Seite des Schriftsatzes einen gelben Klebezettel mit dem Vermerk angebracht: „falscher Berufungskläger – austauschen H. V.“. Versehentlich habe Frau F. den unterzeichneten Schriftsatz ohne Änderung des Namens des Berufungsklägers an das Gericht gefaxt. Frau F. sei eine geschulte und sehr zuverlässige Angestellte, die, wie regelmäßige Kontrollen durch ihn ergeben hätten, Anweisungen bisher stets sorgfältig und ohne Beanstandungen ausgeführt habe. Der Ehemann der Klägerin hat seine Berufung später zurückgenommen.
Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Landgericht die begehrte Wiedereinsetzung versagt und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Hiergegen haben sowohl die Klägerin als auch ihr Ehemann Rechtsbeschwerde eingelegt. Letzterer hat seine Rechtsbeschwerde zurückgenommen. Die Klägerin hält ihre Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts und wegen grundsätzlicher Bedeutung, jedenfalls aber zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung für zulässig (§ 574 Abs. 2 Ziff. 2 und 1 ZPO).

II.


Die Rechtsbeschwerde der Klägerin ist gem. §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft. Sie ist auch im übrigen zulässig, denn die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Senats (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Der angefochtene Beschluß verletzt die Klägerin in ihrem verfassungsrechtlich gewährleisteten Anspruch auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (vgl. Art. 2 Abs.1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip). Dieser verbietet es, einer Partei die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aufgrund von Anforderungen an die Sorgfaltspflichten ihres Prozeßbevollmächtigten zu versagen, die nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht verlangt werden und mit denen sie auch unter Berücksichtigung der Entscheidungspraxis des angerufenen Gerichts nicht rechnen mußte (vgl. BVerfGE 79, 372, 376 f.; BVerfG, NJW-RR 2002, 1004, 1005).
Das Berufungsgericht übersieht, daß nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes ein der Partei zuzurechnendes Verschulden ihres Anwalts (§§ 85 Abs. 2, 233 ZPO) an der Fristversäumung grundsätzlich nicht gegeben ist, wenn der Rechtsanwalt einer Kanzleiangestellten, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung erteilt, die bei Befolgung die Fristwahrung gewährleistet hätte (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. September 1995 -XI ZB 13/95 - VersR 1996, 348; vom 18. März 1998 - XII ZB 180/96 - NJW-RR 1998, 1360 f.; vom 6. Juli 2000 - VII ZB 4/00 - NJW 2000, 2823; vom 2. Juli 2001 - II ZB 28/00 - NJW-RR 2002, 60; vom 1. Juli 2002 - II ZB 11/01 - NJW-RR 2002, 1289 f. und vom 23. Oktober 2003 - V ZB 28/03 - zur Veröffentlichung bestimmt). Ein Rechtsanwalt darf grundsätzlich darauf vertrauen, daß eine Büroangestellte, die sich bisher als zuverlässig erwiesen hat, eine konkrete Einzelanweisung befolgt (vgl. Senatsbe-
schluß vom 4. November 2003 - VI ZB 50/03 - zur Veröffentlichung bestimmt; BGH, Beschlüsse vom 23. April 1997 - XII ZB 56/97 - NJW 1997, 1930 und vom 27. Februar 2003 - III ZB 82/02 - MDR 2003, 763, 764). So liegt der Fall hier, denn der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hatte seiner Angestellten F. konkret aufgetragen, die von ihm unterzeichnete Berufungsschrift zu berichtigen , dazu die erste Seite des Schriftsatzes auszutauschen und die Berufungsschrift anschließend per Fax an das Landgericht zu übermitteln. Hätte Frau F. diese Einzelanweisung befolgt, wäre die Berufungsfrist gewahrt worden.
Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts traf den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin nicht die Pflicht, die ordnungsgemäße Ausführung der Korrektur zu überprüfen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 10. Februar 1982 - VIII ZB 76/81 - VersR 1982, 471 und vom 27. Februar 2003 - III ZB 82/02 - aaO). Eine besondere Kontrolle wäre allenfalls dann notwendig gewesen, wenn die Rechtsmittelschrift mehrere für die Zulässigkeit relevante Fehler aufgewiesen hätte (vgl. BGH, Beschluß vom 18. Oktober 1994 - X ZB 10/94 - VersR 1995, 558). Das war hier nicht der Fall. Wenn die Berufungsschrift entsprechend der Anordnung des Prozeßbevollmächtigten korrigiert worden wäre, hätte sie den sich aus § 519 ZPO ergebenden Anforderungen genügt. Insbesondere wäre die Klägerin als Partei des Berufungsverfahrens hinreichend deutlich bezeichnet gewesen. Dem steht nicht entgegen, daß es auf der zweiten Seite der Rechtsmittelschrift heißt, die Berufung werde "namens des Berufungsklägers“ eingelegt. Mängel der Parteibezeichnung in Rechtsmittelschriften sind unbeachtlich, wenn sie in Anbetracht der jeweiligen Umstände keinen vernünftigen Zweifel an der Person des Rechtsmittelklägers oder des Rechtsmittelbeklagten offenlassen (Senatsbeschluß vom 7. November 1995 - VI ZB 12/95 - VersR 1996, 251; Senatsurteile vom 15. Dezember 1998 - VI ZR 316/97 - VersR 1999, 900 und vom 19. Februar 2002 - VI ZR 394/00 -
VersR 2002, 777). Wenn die Partei eines Berufungsverfahrens namentlich und mit zutreffender Angabe ihrer Wohnungsanschrift benannt wird, ist es für ihre Identifizierung grundsätzlich ohne Belang, wenn sie statt als "Berufungsklägerin“ versehentlich als "Berufungskläger“ bezeichnet wird. Wie die Rechtsbeschwerde zutreffend geltend macht, hätten im Streitfall bei ordnungsgemäßer Ausführung der angeordneten Korrektur der Rechtsmittelschrift keine vernünftigen Zweifel daran bestanden, daß die Berufung im Namen der Klägerin eingelegt werden sollte.
Müller Greiner Diederichsen
Pauge Zoll

(1) Der Berufungskläger muss die Berufung begründen.

(2) Die Frist für die Berufungsbegründung beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. Die Frist kann auf Antrag von dem Vorsitzenden verlängert werden, wenn der Gegner einwilligt. Ohne Einwilligung kann die Frist um bis zu einem Monat verlängert werden, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt.

(3) Die Berufungsbegründung ist, sofern sie nicht bereits in der Berufungsschrift enthalten ist, in einem Schriftsatz bei dem Berufungsgericht einzureichen. Die Berufungsbegründung muss enthalten:

1.
die Erklärung, inwieweit das Urteil angefochten wird und welche Abänderungen des Urteils beantragt werden (Berufungsanträge);
2.
die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt;
3.
die Bezeichnung konkreter Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten;
4.
die Bezeichnung der neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie der Tatsachen, auf Grund derer die neuen Angriffs- und Verteidigungsmittel nach § 531 Abs. 2 zuzulassen sind.

(4) Die Berufungsbegründung soll ferner enthalten:

1.
die Angabe des Wertes des nicht in einer bestimmten Geldsumme bestehenden Beschwerdegegenstandes, wenn von ihm die Zulässigkeit der Berufung abhängt;
2.
eine Äußerung dazu, ob einer Entscheidung der Sache durch den Einzelrichter Gründe entgegenstehen.

(5) Die allgemeinen Vorschriften über die vorbereitenden Schriftsätze sind auch auf die Berufungsbegründung anzuwenden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VIII ZB 55/06
vom
10. März 2009
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Dem Unterschriftserfordernis der § 520 Abs. 5, § 130 Nr. 6 ZPO ist genügt, wenn
zwar der Berufungsbegründungsschriftsatz nicht unterschrieben ist, dieser aber einem
- von einem dazu bevollmächtigten und bei dem Prozessgericht zugelassenen
Rechtsanwalt unterzeichneten - Schriftsatz beigefügt ist, in dem ausdrücklich darauf
hingewiesen wird, dass die Berufungsbegründung mit beiliegendem Schriftsatz gesendet
werde, und beide Schriftsätze zusammen dem Gericht mit einem einheitlichen
Telefax übermittelt werden.
Der Rechtsmittelführer, der vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist unter Darlegung
eines der Gründe des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO einen ersten Antrag auf Verlängerung
dieser Frist um drei Wochen stellt, kann regelmäßig darauf vertrauen,
dass die beantragte Fristverlängerung erfolgt, auch wenn er innerhalb dieser Zeitspanne
noch keine Nachricht darüber erhalten hat, ob seinem Verlängerungsantrag
stattgegeben wurde. Reicht er die Berufungsbegründung vor dem Zeitpunkt ein, bis
zu dem er Fristverlängerung beantragt hat, kann ihm auf seinen Antrag - aus prozessökonomischen
Gründen ohne vorherige Entscheidung über den Verlängerungsantrag
- Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligt werden.
BGH, Beschluss vom 10. März 2009 - VIII ZB 55/06 - OLG Braunschweig
LG Braunschweig
Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. März 2009 durch den
Vorsitzenden Richter Ball, die Richter Dr. Wolst und Dr. Frellesen sowie die
Richterinnen Hermanns und Dr. Hessel

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Braunschweig vom 21. April 2006 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 96.402,18 €

Gründe:

I.

1
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer Bürgschaft für Forderungen aus einem Leasingvertrag in Anspruch. Das Landgericht hat die Beklagte durch Urteil vom 25. November 2005 zur Zahlung von 96.402,18 € nebst Zinsen verurteilt. Dieses Urteil ist dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 7. Dezember 2005 zugestellt worden. Er hat dagegen am 6. Januar 2006 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 6. Februar 2006 hat er beantragt, die Frist zur Begründung der Berufung um drei Wochen zu verlängern. Nachdem ihm der Vorsitzende des Berufungssenats am 24. Februar 2006 mitgeteilt hatte, dass der Verlängerungsantrag erst am 17. Februar 2006 bei Gericht eingegangen sei, hat der Prozessbevollmächtigte der Beklagten mit Schriftsatz vom 27. Februar 2006 die Kopie eines Telefaxsendeprotokolls vorgelegt, nach dem der Verlängerungsantrag bereits am 6. Februar 2006 an das Berufungsgericht per Fax übersandt worden ist. Gleichzeitig hat er vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und darauf hingewiesen, dass "die Berufungsbegründung … mit beiliegendem Schriftsatz gesendet" werde. Diese Begründungsschrift , die zusammen mit dem vorgenannten Schriftsatz vom 27. Februar 2006 per Telefax übermittelt worden ist, ist unvollständig; es fehlt die letzte Seite mit der Unterschrift des Prozessbevollmächtigten der Beklagten. Die Originale der beiden - jeweils unterschriebenen - Schriftsätze vom 27. Februar 2006 sind erst am 15. März 2006 beim Berufungsgericht eingegangen.
2
Das Berufungsgericht hat die Berufung der Beklagten als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Rechtsbeschwerde.

II.

3
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
4
1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt :
5
Die Berufung sei unzulässig, weil die Berufungsbegründungsfrist versäumt worden sei. Eine wirksame Berufungsbegründung sei weder innerhalb der Zweimonatsfrist des § 520 Abs. 2 Satz 1 ZPO noch innerhalb der von dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten beantragten Fristverlängerung eingegangen. Die Berufungsbegründungsfrist habe am 7. Februar 2006 geendet. Es könne dahinstehen, ob der Prozessbevollmächtigte der Beklagten am 6. Februar 2006 und damit rechtzeitig einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gestellt habe oder ob er ohne sein Verschulden hieran gehindert gewesen sei und ihm auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren wäre. Selbst wenn dem Fristverlängerungsantrag oder dem Wiedereinsetzungsantrag stattgegeben würde, könnte die Frist nur entsprechend dem Antrag bis zum 27. Februar 2006 verlängert werden. Auch innerhalb dieser Frist sei eine wirksame Berufungsbegründung nicht eingegangen , weil die am 27. Februar 2006 per Telefax übermittelte Berufungsbegründungsschrift nicht unterschrieben gewesen sei (§ 520 Abs. 5, § 130 Nr. 6 ZPO). Die unterzeichnete Berufungsbegründung sei erst am 15. März 2006 und damit nach Ablauf der vom Prozessbevollmächtigten der Beklagten beantragten Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist eingegangen.
6
2. Die gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2, § 575 ZPO) zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Berufung der Beklagten nicht gemäß § 522 Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen werden.
7
a) Allerdings soll nach § 520 Abs. 5, § 130 Nr. 6 ZPO der Schriftsatz, mit dem die Berufung begründet wird, die Unterschrift der Person enthalten, die den Schriftsatz verantwortet. Die Unterschrift ist grundsätzlich Wirksamkeitserfordernis. Sie soll die Identifizierung des Urhebers der schriftlichen Prozesshandlung ermöglichen und dessen unbedingten Willen zum Ausdruck bringen, die volle Verantwortung für den Inhalt des Schriftsatzes zu übernehmen und diesen bei Gericht einzureichen. Das letztgenannte Erfordernis soll sicherstellen , dass es sich beim Schriftstück nicht nur um einen Entwurf handelt, sondern dass es mit Wissen und Willen des Berechtigten dem Gericht zugeleitet worden ist. Für den Anwaltsprozess bedeutet dies, dass die Berufungsbegründung von einem dazu bevollmächtigten und bei dem Prozessgericht zugelassenen Rechtsanwalt zwar nicht selbst verfasst, aber nach eigenverantwortlicher Prüfung genehmigt und unterschrieben sein muss (BGH, Urteil vom 10. Mai 2005 - XI ZR 128/04, NJW 2005, 2086, unter B II 1 a m.w.N.).
8
b) Von dem vorgenannten Grundsatz sind jedoch Ausnahmen möglich. Das Erfordernis der Schriftlichkeit ist kein Selbstzweck. Deshalb kann das Fehlen einer Unterschrift bei Vorliegen besonderer Umstände ausnahmsweise unschädlich sein, wenn sich aus anderen Anhaltspunkten eine der Unterschrift vergleichbare Gewähr für die Urheberschaft und den Willen ergibt, das Schreiben in den Rechtsverkehr zu bringen (BGH, Urteil vom 10. Mai 2005, aaO, unter B II 1 d aa). Das ist hier bei der am 27. Februar 2006 per Telefax übersandten Berufungsbegründungsschrift der Fall.
9
In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass der Mangel der Unterschrift in dem als Urschrift der Berufung gedachten Schriftsatz durch die gleichzeitig eingereichte beglaubigte Abschrift dieses Schriftsatzes behoben wird, auf der der Beglaubigungsvermerk von dem Prozessbevollmächtigten handschriftlich vollzogen worden ist (BGHZ 24, 179, 180). In einer anderen Entscheidung (BGHZ 97, 251, 254) hat der Bundesgerichtshof das Fehlen einer Unterschrift auf der Berufungsbegründung für unschädlich erachtet, wenn die nicht unterschriebene Berufungsbegründungsschrift fest mit einem von dem Rechtsanwalt unterzeichneten Begleitschreiben verbunden ist. Damit ist der hier zu entscheidende Fall vergleichbar. Der Prozessbevollmächtigte der Beklagten hat in dem von ihm unterschriebenen Schriftsatz vom 27. Februar 2006 ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Berufungsbegründung mit beiliegendem Schriftsatz gesendet werde. Die Begründungsschrift ist als Seiten 4 bis 13 desselben Telefaxes übermittelt worden. Aufgrund dieser Umstände ist zweifelsfrei erkennbar, dass der Prozessbevollmächtigte der Beklagten die Verant- wortung nicht nur für den Inhalt des von ihm unterzeichneten Schriftsatzes vom 27. Februar 2006, sondern auch der gleichzeitig damit übersandten Berufungsgründung übernehmen wollte.
10
3. Die Verwerfung der Berufung durch das Oberlandesgericht erweist sich auch nicht aus anderen Gründen im Ergebnis als richtig (§ 577 Abs. 3 ZPO).
11
a) Allerdings ist auch die Begründungsschrift vom 27. Februar 2006 erst nach Ablauf der am 7. Februar 2006 endenden Frist zur Begründung der Berufung bei Gericht eingegangen. An dem verspäteten Eingang der Berufungsbegründung vermag ein vor Fristablauf eingereichter Antrag auf Fristverlängerung nichts zu ändern. Denn eine Verlängerung der Frist ist nicht erfolgt.
12
b) Der Beklagten ist jedoch, wie von ihr vorsorglich beantragt, aus prozessökonomischen Gründen ohne vorherige Entscheidung über den Verlängerungsantrag (Senatsbeschluss vom 11. September 2007 - VIII ZB 73/05, juris, Tz. 7) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, falls sich ihre Behauptung als zutreffend erweisen sollte, ihr Prozessbevollmächtigter habe am 6. Februar 2006 - rechtzeitig vor Fristablauf - einen Antrag auf Fristverlängerung bei dem Berufungsgericht eingereicht und diesen damit begründet, er sei als einziger Sachbearbeiter wegen des derzeitigen Fristendrucks und häufiger berufs- und urlaubsbedingter Abwesenheit nicht in der Lage, die Berufung fristgerecht zu begründen. Denn ein Anwalt kann bei einem ersten Verlängerungsantrag regelmäßig darauf vertrauen, dass die beantragte Fristverlängerung um drei Wochen erfolgt, wenn - wie hier - einer der Gründe des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO dargelegt wird (Senatsbeschluss vom 11. September 2007, aaO, Tz. 7 f.; BGH, Beschluss vom 18. September 2001 - VI ZB 26/01, VersR 2001, 1579, unter 1).
13
Nichts anderes gilt, wenn zwar der Verlängerungsantrag nicht beim Berufungsgericht eingegangen oder jedenfalls nicht zu den Akten gelangt sein sollte, der Prozessbevollmächtigte der Beklagten aber, wie er vorgetragen hat, den Verlängerungsantrag rechtzeitig per Telefax abgesandt hat und aufgrund eines Telefaxsendeprotokolls mit o.k.-Vermerk davon ausgehen durfte, dass der Verlängerungsantrag auch rechtzeitig beim Berufungsgericht eingegangen ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Schriftstück ungeachtet eines solchen Sendeprotokolls den Empfänger nicht erreicht hat, ist so gering, dass sich dem Rechtsanwalt diese Möglichkeit auch dann nicht aufdrängen muss, wenn er innerhalb von drei Wochen noch keine Nachricht darüber erhalten hat, ob seinem Verlängerungsantrag stattgegeben wurde (BGH, Beschluss vom 28. März 2001 - XII ZB 100/00, VersR 2002, 1045, unter 2).

III.

14
Der angefochtene Beschluss kann somit keinen Bestand haben. Der Senat kann nicht selbst über den von der Beklagten gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung entscheiden. Dazu bedarf es weiterer tatsächlicher Feststellungen zu der Behauptung der Beklagten, ihr Prozessbevollmächtigter habe am 6. Februar 2006 einen Antrag auf Fristverlängerung bei dem Berufungsgericht eingereicht oder jedenfalls per Telefax ordnungsgemäß an das Berufungsge- richt abgesandt. Die Sache ist daher an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Ball Dr. Wolst Dr. Frellesen Hermanns Dr. Hessel
Vorinstanzen:
LG Braunschweig, Entscheidung vom 25.11.2005 - 5 O 423/05 -
OLG Braunschweig, Entscheidung vom 21.04.2006 - 2 U 4/06 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZB 14/06
vom
20. Juni 2006
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 20. Juni 2006 durch die Vizepräsidentin
Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und
die Richter Pauge und Zoll

beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Beklagten gegen den Beschluss der Zivilkammer 6 des Landgerichts Berlin vom 26. Januar 2006 wird auf seine Kosten als unzulässig verworfen. Der Gegenstandswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren beträgt 4.166,38 €.

Gründe:

I.

1
Beklagte Der hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 13. Juni 2005 zugestellte Urteil des Amtsgerichts am 29. Juni 2005 Berufung eingelegt. Mit dem am Montag, dem 15. August 2005, eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten den Antrag gestellt, die Frist zur Berufungsbegründung um einen Monat zu verlängern. Der Vorsitzende der Zivilkammer 6 des Landgerichts hat am 19. August 2005 die Verlängerung bis einschließlich 13. September 2005 verfügt. Die Berufungsbegründung ist am 15. September 2005 eingegangen. Auf den Hinweis des Gerichts vom 26. September 2005, dass die Berufung erst nach Ablauf der Frist begründet worden sei, hat der Prozessbevollmächtigte des Beklagten mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2005 erklärt, ihm sei die Verfügung vom 19. August 2005 nicht zugestellt worden. Er habe im Hinblick auf die bei allen Kammern des Landgerichts bestehende Bewilligungspraxis darauf vertrauen können, dass dem begründeten Verlängerungsantrag ohne Einschränkung stattgegeben würde. Aus diesem Grunde sei der Ablauf der Berufungsbegründungsfrist in den Fristenkalender seines Büros auf den 15. September 2005 und als Vorfrist der 8. September 2005 eingetragen worden. Zur Glaubhaftmachung für den Nichtzugang der Verlängerungsverfügung vom 19. August 2005 hat sich der Prozessbevollmächtigte auf die eidesstattlichen Versicherungen zweier Mitarbeiterinnen berufen.
2
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen, weil der Prozessbevollmächtigte des Beklagten die Berufungsbegründungsfrist schuldhaft versäumt habe und dieses Verschulden dem Beklagten zuzurechnen sei. Es hat sodann die Berufung als unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde beantragt der Beklagte, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und ihm Wiedereinsetzung in die Frist zur Berufungsbegründung zu gewähren.

II.

3
1. Die Rechtsbeschwerde ist statthaft (§ 574 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 522 Abs. 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie ist jedoch nicht zulässig, da es an den Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO fehlt. Das Berufungsgericht hat den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten zu Recht zurückgewiesen und die Berufung des Beklagten als unzulässig verworfen.
4
a) Die Berufungsbegründungsfrist lief mit dem 13. September 2005 ab. An der Wirksamkeit der Verlängerung bis zu diesem Zeitpunkt bestehen keine Zweifel, da die Verfügung vom 19. August 2005 kein gerichtsinterner Vorgang geblieben ist. Jedenfalls dem Klägervertreter ist die richterliche Verfügung am 24. August 2005 zugestellt worden. Die Verlängerung bedurfte, auch soweit sie hinter dem Antrag des Beklagtenvertreters zurückblieb, keiner förmlichen Zustellung , weil sie keine Frist in Lauf setzte (BGHZ 93, 300, 305), so dass nach § 329 Abs. 2 Satz 1 ZPO die formlose Mitteilung genügt. Die Teilablehnung der Fristverlängerung kann außerdem nach § 225 Abs. 3 ZPO nicht angefochten werden.
5
b) Entgegen der Auffassung des Rechtsbeschwerdeführers sind keine Umstände vorgetragen, aus denen sich ergeben könnte, dass er ohne Verschulden verhindert war, die Berufungsbegründungsfrist einzuhalten. Unter den gegebenen Umständen liegt ein Verschulden seines Prozessbevollmächtigten vor, das ihm gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.
6
Zwar kann dem Beklagten kein Verschulden seines Prozessvertreters insoweit angelastet werden, als dieser auf die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist in der beantragten Weise vertraute, nachdem er einen ersten Verlängerungsantrag unter Darlegung eines erheblichen Grundes im Sinne des § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO gestellt hatte (vgl. BGH, Beschluss vom 4. März 2004 - IX ZB 121/03 - VersR 2004, 1288 und Beschluss vom 11. November 1998 - VIII ZB 24/98 - VersR 1999, 1559, 1560). Dies zieht auch das Berufungsgericht nicht in Zweifel. Mit Recht nimmt es jedoch an, dass die Fristversäumnis durch die mangelhafte Organisation der Fristenkontrolle durch den Prozessbevollmächtigten des Beklagten verschuldet worden ist.
7
die Für Kontrolle von Fristen bei Fristverlängerungsanträgen gelten grundsätzlich entsprechende Voraussetzungen, wie sie nach früherem Recht (§ 519 ZPO a.F.) für die unmittelbare Fristenkontrolle von Berufung und Berufungsbegründung bestanden haben (BGH, Beschluss vom 14. Juli 1999 - XII ZB 62/99 - NJW-RR 1999, 1663; Zöller/Greger ZPO 25. Aufl. § 233 Rn. 23 - Fristverlängerung; Musielak/Grandl ZPO 4. Aufl. § 233 Rn. 29). Danach ist es erforderlich, dass das mutmaßliche Ende einer Berufungsbegründungsfrist bei oder alsbald nach Einreichung einer Berufungsschrift im Fristenkalender eingetragen wird. Anhand der gerichtlichen Eingangsbestätigung muss diese Eintragung später überprüft werden, damit sichergestellt ist, dass keine hypothetische , sondern die wirkliche Frist eingetragen wird (BGH, Beschluss vom 14. Juli 1999 - XII ZB 62/99 - aaO, m.w.N.). Denn die Eintragung nur vorläufig berechneter bzw. hypothetischer Fristen birgt eine Gefahrenquelle, da sie leicht darüber hinwegtäuschen kann, dass das wirkliche Fristende auf einen anderen Tag als angenommen fällt. Dementsprechend darf eine beantragte Fristverlängerung nicht in der Weise vorgemerkt werden, dass schon mit der Antragstellung der Endpunkt der Frist im Kalender eingetragen wird, als ob sie bereits zu diesem Zeitpunkt bewilligt worden sei. Auch hierbei handelt es sich nämlich zunächst um eine hypothetische Frist, da der Vorsitzende die Frist auch auf einen kürzeren Zeitraum als beantragt bewilligen kann. Der Eintrag des endgültigen Fristablaufs ist deshalb erst dann zulässig, wenn die Verlängerung tatsächlich gewährt worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Januar 1984 - IVa ZB 11/83 - VersR 1984, 336 f.). Der Fristenkalender muss auch Tag für Tag durchgesehen werden. In jedem Fall ist durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass vor dem beantragten Fristablauf das wirkliche Ende der Frist - ggf. durch Rückfrage bei Gericht - festgestellt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2001 - VII ZB 19/01 - und Beschluss vom 14. Juli 1999 - XII ZB 62/99 - jeweils aaO).
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Demzufolge hätte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten spätestens bei der Wiedervorlage des Vorgangs am 8. September 2005 überprüfen müssen , ob seinem Fristverlängerungsantrag entsprochen worden ist, nachdem ihm eine gerichtliche Verfügung nicht zugegangen war. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde durfte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten auf die Gewährung der beantragten Fristverlängerung nicht so lange vertrauen, wie er keine anders lautende Nachricht von dem Gericht erhielt. Er hatte sich rechtzeitig über das wirkliche Ende der Frist ggf. durch Rückfrage bei Gericht Gewissheit zu verschaffen, nachdem keine entsprechende Verfügung zugegangen war.
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Beruht die Fristversäumung auf der pflichtwidrigen Nachlässigkeit des Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 8. September 2005, kommt es nicht darauf an, weshalb ihm die Verfügung vom 19. August 2005 nicht zugegangen ist. Dies ist nicht der entscheidende Grund für die Fristversäumnis. Bei Durchführung einer sorgfältigen Fristenkontrolle hätte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten jedenfalls rechtzeitig Kenntnis vom Ablauf der Berufungsbegründungsfrist erlangt und deren Versäumung verhindern können. Im Übrigen scheidet eine Wiedereinsetzung auch dann aus, wenn zu der Fristversäumung neben dem Verschulden der Partei oder ihres Prozessbevollmächtigten auch ein Mitverschulden des Gerichts beigetragen haben sollte (vgl. BGH, Beschluss vom 26. April 2004 - II ZB 6/03 - BRAK-Mitteilungen 2004, 161).
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Da dem Antrag auf Wiedereinsetzung nicht stattzugeben war, hat das Berufungsgericht die Berufung des Beklagten wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu Recht als unzulässig verworfen.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Vorinstanzen:
AG Berlin-Charlottenburg, Entscheidung vom 09.06.2005 - 233 C 129/04 -
LG Berlin, Entscheidung vom 26.01.2006 - 6 S 16/05 -