Bundesgerichtshof Beschluss, 10. März 2011 - VII ZB 28/10

bei uns veröffentlicht am10.03.2011
vorgehend
Landgericht Konstanz, 4 O 493/05 F, 05.10.2009
Oberlandesgericht Karlsruhe, 9 U 140/09, 27.01.2010

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VII ZB 28/10
vom
10. März 2011
in dem Rechtsstreit
Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. März 2011 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kniffka und die Richter Dr. Kuffer, Bauner,
Dr. Eick und Prof. Leupertz

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe, 9. Zivilsenat in Freiburg, vom 27. Januar 2010 aufgehoben. Der Klägerin wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist gewährt. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Beschwerdewert: 45.000 €

Gründe:

I.

1
Das klageabweisende Urteil des Landgerichts ist den damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16. Oktober 2009 zugestellt worden. Der Berufungsschriftsatz vom 13. November 2009 ist am 18. November 2009 beim Berufungsgericht eingegangen. Das ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Verfügung vom 19. November 2009 mitgeteilt worden. Die Klägerin hat am Montag, dem 7. Dezember 2009, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Sie hat dazu vorgetragen , der allein sachbearbeitende Rechtsanwalt habe am Freitag und Samstag, dem 20. und 21. November 2009, an einer Baurechtstagung in M. teilgenommen und habe daher erst am Montag, dem 23. November 2009, von der Mitteilung des Berufungsgerichts Kenntnis erlangt. Zur Glaubhaftmachung hat die Klägerin eine Teilnahmebescheinigung des Tagungsveranstalters vorgelegt. Hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist hat die Klägerin vorgetragen, der Berufungsschriftsatz sei bei ihren Prozessbevollmächtigten am 13. November 2009 um 16.00 Uhr von einem privaten Postzustelldienst abgeholt worden, der ihn am 14. November 2009 dem Berufungsgericht hätte zustellen sollen. Der Schriftsatz sei am 13. November 2009 um 19.52 Uhr bei dem Postzustelldienst erfasst worden, die Zustellung sei dort für den 14. November 2009 vorgesehen gewesen. Der verspätete Zugang habe nicht aufgeklärt werden können. Zur Glaubhaftmachung hat die Klägerin eine diese Tatsachen bestätigende E-Mail des Postzustelldienstes vorgelegt.
2
Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung versagt und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.

II.

3
1. Die gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Indem das Berufungsgericht der Klägerin zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist verweigert hat, hat es das Verfahrensgrundrecht der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Es hat zudem nicht die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beachtet.
4
2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
5
a) Das Berufungsgericht lässt es dahinstehen, ob die Klägerin den Wiedereinsetzungsantrag innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO gestellt hat. Davon ist auszugehen. Die Klägerin hat glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter von der Versäumung der Berufungsfrist erst am 23. November 2009 erfahren hat und dass ihn hieran kein Verschulden trifft.
6
b) Das Berufungsgericht hält den Wiedereinsetzungsantrag für unbegründet. Zwar könne eine Prozesspartei auch bei Einschaltung eines privaten Beförderungsdienstes grundsätzlich darauf vertrauen, dass die normalen Postlaufzeiten eingehalten würden. Die Klägerin habe aber nicht glaubhaft gemacht, dass der Berufungsschriftsatz tatsächlich am 13. November 2009 dem privaten Zustelldienst überlassen worden sei. Die vorgelegte E-Mail bestätige lediglich die Übergabe eines an das Berufungsgericht gerichteten Großbriefes von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin an den Zustelldienst. Es gehe daraus aber nicht hervor, dass es sich um den Berufungsschriftsatz im vorliegenden Verfahren gehandelt habe. Es sei daher möglich, dass die Postsendung einen anderen, ebenfalls an das Berufungsgericht gerichteten Schriftsatz enthalten habe.
7
c) Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat der Klägerin zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist versagt.
8
aa) Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerin auch bei Einschaltung eines privaten Beförderungsdienstes mangels gegenteiliger Anhaltspunkte darauf vertrauen durften , dass die normalen Postlaufzeiten eingehalten werden (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 155/07, NJW-RR 2008, 930).
9
bb) Die Rechtsbeschwerde rügt jedoch zu Recht, dass das Berufungsgericht gegen seine Hinweispflicht nach § 139 Abs. 1 ZPO verstoßen und damit zugleich den Anspruch der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes und auf rechtliches Gehör verletzt hat.
10
Das Berufungsgericht hätte die Klägerin auf seine Zweifel zum Inhalt des Großbriefs hinweisen und ihr Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vorbringens hinsichtlich des Versands des Berufungsschriftsatzes geben müssen. Die Klägerin hatte in ihrem Wiedereinsetzungsantrag dargelegt, den Berufungsschriftsatz am 13. November 2009 um 16.00 Uhr dem Postzustelldienst übergeben zu haben. Der Schriftsatz ging auch tatsächlich, wenn auch verspätet, beim Berufungsgericht ein. Es ging im Wiedereinsetzungsverfahren daher aus Sicht der Klägerin in erster Linie um den Grund für diese Verzögerung und um die Frage des Verschuldens. Es musste sich ihren Prozessbevollmächtigen dagegen nicht aufdrängen, dass das Berufungsgericht Zweifel daran haben könnte, dass es sich bei dem vom Postzustelldienst in seiner E-Mail genannten Großbrief nicht um den Berufungsschriftsatz handeln könnte und dass deshalb insoweit von vornherein nähere Erläuterungen und weitere Glaubhaftmachung erforderlich sein könnten. Auf den notwendigen Hinweis hätte die Klägerin in zulässiger Weise ergänzend vortragen können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2010 - XI ZB 34/09, FamRZ 2010, 636; vom 16. Dezember 2009 - IV ZB 30/09, FamRZ 2010, 458 und vom 13. Juni 2007 - XII ZB 232/06, NJW 2007, 3212, je m.w.N.).
11
3. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden. Die Klägerin hat in der Rechtsbeschwerde dargelegt, was sie nach dem gebotenen Hinweis ergänzend dem Berufungsgericht gegenüber vorgetragen hätte: Im vorliegenden und in einem Parallelverfahren seien am 13. November 2009 die Berufungsschriftsätze gefertigt und von einer Kanzleiangestellten in einem einzigen Großbrief dem Postzustelldienst übergeben worden; weitere Rechtsstreitigkeiten seien seinerzeit beim Berufungsgericht nicht anhängig gewesen. Die Klägerin hat eine entsprechende eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten vorgelegt. Da das Berufungsgericht den Hinweis unterlassen hat, ist dieses klarstellende Vorbringen der Klägerin bei der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde zu berücksichtigen.
12
Der Klägerin war danach unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren. Sie hat glaubhaft gemacht, dass die Kanzleiangestellte ihrer Prozessbevollmächtigten den Berufungsschriftsatz zusammen mit einem weiteren am 13. November 2009 dem Postzustelldienst übergeben hat. Dies wird noch dadurch bestätigt, dass das Berufungsgericht selbst ausführt, in einem anderen Verfahren sei ebenfalls ein Berufungsschriftsatz der Prozessbevoll- mächtigten der Klägerin vom 13. November 2009 am 18. November 2009 eingegangen. Damit ist davon auszugehen, dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerin an der Versäumung der Berufungsfrist kein Verschulden trifft.
13
Die Verwerfung der Berufung als unzulässig ist gegenstandslos.
Kniffka Kuffer Bauner
Eick Leupertz
Vorinstanzen:
LG Konstanz, Entscheidung vom 05.10.2009 - 4 O 493/05 F -
OLG Karlsruhe in Freiburg, Entscheidung vom 27.01.2010 - 9 U 140/09 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 574 Rechtsbeschwerde; Anschlussrechtsbeschwerde


(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn1.dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder2.das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.§ 542 Ab

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(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 139 Materielle Prozessleitung


(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über

Zivilprozessordnung - ZPO | § 234 Wiedereinsetzungsfrist


(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschw

Zivilprozessordnung - ZPO | § 238 Verfahren bei Wiedereinsetzung


(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken. (2) A

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(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.

(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.

(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.

(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.

(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.

(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass

1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat,
2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat,
3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und
4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
Das Berufungsgericht oder der Vorsitzende hat zuvor die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung der Berufung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer binnen einer zu bestimmenden Frist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der Beschluss nach Satz 1 ist zu begründen, soweit die Gründe für die Zurückweisung nicht bereits in dem Hinweis nach Satz 2 enthalten sind. Ein anfechtbarer Beschluss hat darüber hinaus eine Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen zu enthalten.

(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.

(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn

1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder
2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
§ 542 Abs. 2 gilt entsprechend.

(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn

1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder
2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.

(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.

(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.

(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.

(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.

(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.

(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 155/07
vom
23. Januar 2008
in der Familiensache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO §§ 233 B, Fc, 520 Abs. 2
Eine Prozesspartei darf auch bei Nutzung eines privaten Kurierdienstes (hier:
Kölner Anwaltverein-Kurierdienst GmbH) darauf vertrauen, dass werktags aufgegebene
Postsendungen am folgenden Werktag im regionalen Auslieferungsgebiet
ausgeliefert werden. Anderes gilt nur, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür
vorliegen, dass im Einzelfall mit längeren Postlaufzeiten zu rechnen ist (im Anschluss
an BGH Beschluss vom 13. Mai 2004 - V ZB 62/03 - NJW-RR 2004,
1217).
BGH, Beschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 155/07 - OLG Köln
AG Köln
Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Januar 2008 durch den
Richter Sprick, die Richterin Weber-Monecke, den Richter Prof. Dr. Wagenitz,
die Richterin Dr. Vézina und den Richter Dose

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 25. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Köln vom 11. September 2007 aufgehoben. Dem Kläger wird gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Berufung gegen das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 3. April 2007 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Streitwert: 16.960 €

Gründe:

I.

1
Die Parteien streiten um Trennungsunterhalt. Das Amtsgericht hat die Beklagte verurteilt, an den Kläger rückständigen Unterhalt in Höhe von 5.941,94 € nebst Zinsen zu zahlen und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Urteil wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 24. April 2007 zugestellt.
2
Mit einem am 11. Mai 2007 eingegangenen Schriftsatz legte der Kläger gegen das amtsgerichtliche Urteil Berufung ein. Die Berufungsbegründung des Klägers vom 21. Juni 2007 ging am (Dienstag) 26. Juni 2007 beim Oberlandesgericht ein. Auf den Hinweis des Berufungsgerichts, dass die Berufungsbegründung verspätet eingegangen sei, beantragte der Kläger mit einem am gleichen Tag eingegangenen Schriftsatz vom 28. Juni 2007 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trug er vor, sein Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsbegründung bereits am (Freitag) 22. Juni 2007 unterzeichnet und seiner Rechtsanwaltsfachangestellten mit der Weisung übergeben, den Schriftsatz in das Gerichtsfach für das Oberlandesgericht Köln der Postannahmestelle für Rechtsanwälte bei dem Amtsgericht Köln einzulegen. Dabei habe sein Rechtsanwalt die Angestellte darauf hingewiesen, dass die Berufungsbegründungsfrist am 24. Juni 2007 ablaufe und der Schriftsatz deswegen - sicherheitshalber - noch am gleichen Tag (22. Juni 2007) bis spätestens 12.00 Uhr in das entsprechende Fach einzulegen sei. Entsprechend habe die Rechtsanwaltsfachangestellte die an das Oberlandesgericht Köln adressierte Berufungsbegründung noch vor 12.00 Uhr in dieses Fach eingelegt. Durch die Bediensteten der Postannahmestelle des Amtsgerichts Köln würden sämtliche Gerichtsfächer einschließlich des Gerichtsfaches für das Oberlandesgericht Köln letztmalig um 13.00 Uhr geleert; so sei auch am Freitag, dem 22. Juni 2007 verfahren worden. Die vorsortierten Schriftsätze würden dann am nächsten Werktag von den Mitarbeitern der Kölner Anwaltverein-Kurierdienst GmbH an die entsprechenden Gerichte angeliefert. So seien auch am (Montag) 25. Juni 2007 entsprechende Schriftsätze an das Oberlandesgericht Köln befördert worden. Sein Prozessbevollmächtigter habe sich dem Kurierdienst des Kölner Anwaltvereins angeschlossen. Ihm sei seit dem Jahre 1996 kein einziger Fall bekannt geworden , in dem ein bis mittags um 12.00 Uhr in eines der Gerichtsfächer der Postannahmestelle des Amtsgerichts Köln eingelegter Schriftsatz nicht am nächsten Werktag an das im Schriftstück ausgewiesene Gericht zugestellt worden sei. Diesen Vortrag hat der Kläger durch eidesstattliche Versicherungen seines Pro- zessbevollmächtigten und dessen Rechtsanwaltsfachangestellter glaubhaft gemacht.
3
Das Berufungsgericht hat dem Kläger die beantragte Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist versagt und die Berufung als unzulässig verworfen. Zwar könne sich ein Absender auf die Zuverlässigkeit der Postdienste verlassen, wenn er ein mit vollständiger und richtiger Anschrift versehenes und ausreichend frankiertes Schriftstück zur Post gebe. Für die Inanspruchnahme eines privaten Beförderungsdienstes gelte dies entsprechend. Die Partei müsse im Fall einer verzögerten Übermittlung die Organisationsstruktur für eine zeitgerechte Beförderung nicht darlegen, weil sie sich regelmäßig der Kenntnis des Postdienstnutzers entziehe. Hier sei der Prozessbevollmächtigte des Klägers durch die Mitteilungen der Kölner Anwaltverein-Kurierdienst GmbH jedoch darauf hingewiesen worden, dass bei Einlegung eines für das Oberlandesgericht Köln sowie für andere Gerichte außerhalb von Köln bestimmten Schriftstücks in das jeweilige Fach bei der Postannahmestelle des Amtsgerichts Köln keine Gewähr für einen fristgerechten Zugang der Anwaltspost übernommen werde. Außerdem befinde sich über dem für das Oberlandesgericht Köln bestimmten Fach ein Warnhinweisschild mit dem Aufdruck "keine Fristsachen einlegen". Wenn der Kläger gleichwohl zwei Tage vor Fristablauf einen Berufungsbegründungsschriftsatz in dieses Fach bei der Postannahmestelle des Amtsgerichts Köln eingelegt habe, habe er nicht darauf vertrauen dürfen, dass der Schriftsatz fristgerecht beim Oberlandesgericht Köln eingehe. Unter diesen Umständen habe es ihm oblegen, sich jedenfalls am Tag des Fristablaufs durch Rückfrage bei der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts von einem fristgerechten Eingang zu überzeugen. Weil der Prozessbevollmächtigte des Klägers dem nicht nachgekommen sei, habe er die Fristversäumung zu verschulden, was dem Kläger zuzurechnen sei.
4
Dagegen wendet sich die Rechtsbeschwerde des Klägers.

II.

5
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 238 Abs. 2, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO i.V.m. § 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zulässig , weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
6
1. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Senatsbeschlüsse vom 9. Februar 2005 - XII ZR 225/04 - FamRZ 2005, 791, 792 m.w.N. und vom 18. Juli 2007 - XII ZB 32/07 - FamRZ 2007, 1722) dient das Rechtsinstitut der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand in besonderer Weise dazu, den Rechtsschutz und das rechtliche Gehör zu garantieren. Daher gebieten es die Verfahrensgrundrechte auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG), den Zugang zu den Gerichten und den in den Verfahrensordnungen vorgesehenen Instanzen nicht in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BVerfGE 88, 118, 123 ff., BGHZ 151, 221, 227 m.w.N.). Gegen diesen Grundsatz verstößt die angefochtene Entscheidung.
7
2. Das Berufungsgericht hat dem Kläger zu Unrecht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt. Denn der verspätete Zugang beim Oberlandesgericht ist nicht auf ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers zurückzuführen , das dem Kläger nach § 85 Abs. 2 ZPO zugerechnet werden könnte.
8
a) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG NJW 1999, 3701, 3702, 2000, 2657, 2658 und NJW-RR 2002, 1005 f.) und des Bundesgerichtshofs (Senatsbeschluss vom 18. Juli 2007 - XII ZB 32/07 - FamRZ 2007, 1722, 1723, BGH Beschlüsse vom 13. Mai 2004 - V ZB 62/03 - NJW-RR 2004, 1217 f. m.w.N. und vom 19. Juli 2007 - I ZB 100/06 - zur Veröffentlichung bestimmt) dürfen einem Prozessbeteiligten Verzögerungen der Briefbeförderung oder Briefzustellung nicht als Verschulden angerechnet werden. Er darf vielmehr darauf vertrauen, dass die Postlaufzeiten eingehalten werden, die seitens der Deutschen Post AG für den Normalfall festgelegt werden. In seinem Verantwortungsbereich liegt es allein, das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß abzugeben, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Deutschen Post AG den Empfänger fristgerecht erreichen kann. Anders liegt es nur, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass im Einzelfall mit längeren Postlaufzeiten zu rechnen ist (BVerfG NJW 1995, 1210; BGH Beschlüsse vom 9. Dezember 1992 - VIII ZB 30/92 - NJW 1993, 1332 und vom 25. Januar 1993 - II ZB 18/92 - NJW 1993, 1333, 1334). Dies gilt auch für die Nutzung privater Kurierdienste (BVerfG NJW 2000, 2657, 2658; NJW-RR 2002, 1005).
9
Daran hat sich durch Erlass der Postuniversaldienstleistungsverordnung (PUDLVO) vom 15. Dezember 1999 (BGBl. I S. 2418) nichts geändert. Zwar können danach die Deutsche Post AG und andere Unternehmer, die Universaldienstleistungen im Briefverkehr anbieten, die Postlaufzeiten nicht mehr selbst frei festlegen. Sie sind ihnen vielmehr für den Normalfall verbindlich vorgegeben. Nach § 2 Ziff. 3 PUDLVO müssen die Unternehmen sicherstellen, dass sie an Werktagen aufgegebene Inlandssendungen im gesamten Bundesgebiet im Jahresdurchschnitt mindestens zu 80 % am ersten und zu 95 % bis zum zweiten auf die Einlieferung folgenden Werktag ausliefern. Zwar ist bei diesem Prozentsatz nicht auszuschließen, dass diese vorgeschriebenen Brieflaufzeiten im Einzelfall verfehlt werden. Für die Frage, ob der Rechtsanwalt sich auf eine rechtzeitige Zustellung des Schriftsatzes verlassen konnte, ist aber nicht auf solche unvorhersehbaren Ausnahmefälle, sondern darauf abzustellen, ob die Postlaufzeiten regelmäßig in einem Umfang eingehalten werden, der bei einzelnen Bürgern das berechtigte Vertrauen in die Einhaltung dieser Postlaufzeiten begründet. Das ist nach den jetzt gesetzlich vorgegebenen Quoten der Fall. Ohne konkrete Anhaltspunkte muss deswegen niemand mit längeren Postlaufzeiten rechnen, die eine ernste Gefahr der Fristversäumung begründen (BGH Beschlüsse vom 13. Mai 2004 - V ZB 62/03 - NJW-RR 2004, 1217, 1218 und vom 15. April 1999 - IX ZB 57/98 - NJW 1999, 2118).
10
b) Der Kläger hat vorgetragen und durch die eidesstattliche Versicherung seines Prozessbevollmächtigten glaubhaft gemacht, dass Briefsendungen, die - wie hier - bis mittags 12.00 Uhr in dem entsprechenden Gerichtsfach der Postannahmestelle des Amtsgerichts Köln eingelegt werden, stets am nächsten Werktag durch den Kurierdienst des Kölner Anwaltvereins bei dem im Schriftstück ausgewiesenen Gericht zugestellt werden. Er durfte deswegen darauf vertrauen, dass die an das Oberlandesgericht adressierte und bereits am (Freitag ) 22. Juni 2007 in das entsprechende Fach des Oberlandesgerichts eingelegte Berufungsbegründung spätestens am (Montag) 25. Juni 2007 beim Berufungsgericht eingehen würde. Dafür bedurfte es auch keines weiteren Vortrags zu der Organisationsstruktur des Kurierdienstes, weil diese sich regelmäßig der Kenntnis des Nutzers entzieht. Die Organisation der Postverteilung obliegt allein dem Anwaltverein. Der einzelne Anwalt ist, selbst wenn er Mitglied des Anwaltvereins und vertraglich mit dessen Kurierdienst verbunden ist, gegenüber den Angestellten des Anwaltvereins weder weisungs- noch kontrollbefugt (BVerfG NJW-RR 2002, 1005, 1006). Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hatte damit alles in seinem Verantwortungsbereich Liegende getan, nämlich das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß aufgegeben, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen des in Anspruch genommenen Kurierdienstes den Empfänger fristgerecht erreichen konnte (vgl. Senatsbeschluss vom 18. Juli 2007 - XII ZB 32/07 - FamRZ 2007, 1722, 1723). Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts war er deswegen nicht gehalten, sich am Tag des Fristablaufs durch Rückfrage bei der Geschäftsstelle des Berufungsgerichts von einem rechtzeitigen Eingang der Berufungsbegründung zu überzeugen.
11
Einem schutzwürdigen Vertrauen des Prozessbevollmächtigten des Klägers auf den rechtzeitigen Eingang der Berufungsbegründung steht auch nicht entgegen, dass die von ihm in Anspruch genommene Kölner AnwaltvereinKurierdienst GmbH in ihren Verträgen mit den Nutzern eine Zusicherung für die rechtzeitige Ablieferung bestimmter Schriftsätze beim Empfänger ablehnt. Denn nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts ist nicht auf eine rechtlich verbindliche Zusicherung, sondern allein auf die nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen bei regelmäßigem Betriebsablauf anfallenden Beförderungszeiten abzustellen. In der Verantwortung des Absenders liegt es allein, das zu befördernde Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß zur Post zu geben, dass es bei normalem Verlauf der Dinge den Empfänger fristgerecht erreichen kann (BVerfG NJW-RR 2002, 1005). Wenn dem Prozessbevollmächtigten keine besonderen Umstände bekannt sind, die zu einer Verlängerung der normalen Postlaufzeiten führen können, darf er darauf vertrauen, dass diese eingehalten werden (BGH Beschlüsse vom 30. September 2003 - VI ZB 60/02 - NJW 2003, 3712, 3713 und vom 19. Juli 2007 - I ZB 100/06 - zur Veröffentlichung bestimmt).
12
Schließlich folgt auch aus den Feststellungen des Berufungsgerichts, wonach an dem Fach für die an das Oberlandesgericht Köln gerichteten Schriftsätze ein Hinweisschild mit den Worten "keine Fristsachen einlegen" an- gebracht ist, kein Verschulden des Prozessbevollmächtigten des Klägers. Entgegen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts kann einer solchen Mitteilung kein Hinweis auf eine verzögerliche Zustellung der an das Oberlandesgericht Köln gerichteten Schriftsätze entnommen werden. Näher liegt es vielmehr, mit der Rechtsbeschwerde die Bedeutung dieses Hinweises darin zu finden, dass nicht schon das Einlegen von Fristsachen in dieses für das Oberlandesgericht Köln bestimmte Fach die Frist wahrt, weil es sich nicht um eine gemeinsame Briefannahmestelle beider Gerichte handelt. Wegen dieses Hinweises musste der Prozessbevollmächtigte des Klägers deswegen nicht befürchten, dass seine Berufungsbegründung - abweichend von dem vorgetragenen und eidesstattlich versicherten üblichen Ablauf des Zustelldienstes - verspätet beim Berufungsgericht eingehen würde.
13
c) Weil den Prozessbevollmächtigten des Klägers somit kein Verschulden an der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist trifft, ist dem Kläger die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers deswegen zu Unrecht als unzulässig verworfen und wird erneut über die rechtzeitig eingelegte und begründete Berufung zu befinden haben. Sprick Weber-Monecke Wagenitz Vézina Dose
Vorinstanzen:
AG Köln, Entscheidung vom 03.04.2007 - 318 F 55/05 -
OLG Köln, Entscheidung vom 11.09.2007 - 25 UF 73/07 -

(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.

(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.

(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.

(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.

(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XI ZB 34/09
vom
9. Februar 2010
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zur Hinweispflicht des Gerichts, wenn dieses das Vorbringen in einem Wiedereinsetzungsgesuch
(hier: genaue Umstände des Posteinwurfs der Berufungsschrift) als
ergänzungsbedürftig ansieht.
BGH, Beschluss vom 9. Februar 2010 - XI ZB 34/09 - OLG Düsseldorf
LG Düsseldorf
Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Wiechers, den Richter Dr. Joeres, die Richterin Mayen und die Richter
Dr. Grüneberg und Maihold
am 9. Februar 2010

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des 16. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 27. Juli 2009 aufgehoben. Den Klägern wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist gewährt. Die Sache wird zur Entscheidung über die Berufung der Kläger an das Berufungsgericht zurückverwiesen, dem auch die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens vorbehalten bleibt. Der Gegenstandswert beträgt 47.451,23 €.

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat mit Urteil vom 17. April 2009, zugestellt am 24. April 2009, die Klage der Kläger gegen die beklagte Bank auf Schadensersatz im Zusammenhang mit der Finanzierung ihrer Beteiligung an einer stillen Gesellschaft abgewiesen. Hiergegen haben die Kläger mit einem erst am 26. Mai 2009 beim Berufungsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Nachdem das Berufungsgericht die Kläger darauf hingewiesen hatte, dass die Berufungsfrist bereits am Montag, dem 25. Mai 2009 abgelaufen sei, haben sie beantragt, ihnen gegen die Versäumung der Berufungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
2
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags haben die Kläger vorgetragen : Ihr Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsschrift am Freitag, dem 22. Mai 2009 gefertigt. Sodann sei diese zusammen mit anderen Schriftstücken nach Kanzleischluss um 18.30 Uhr zur Post gebracht und dort in den Briefkasten eingeworfen worden. Der Briefkasten werde an diesem Tag noch um 20.45 Uhr geleert, so dass ihr Prozessbevollmächtigter davon habe ausgehen dürfen, dass die Berufungsschrift beim Berufungsgericht spätestens am darauf folgenden Montag eingehen würde.
3
Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht den Antrag der Kläger auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und ihre Berufung als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Kläger hätten nicht substantiiert dargelegt, dass die Berufungsschrift rechtzeitig zur Post gegeben worden sei. Vielmehr erschöpfe sich ihr Vorbringen in einer allgemeinen Schilderung. Insoweit fehlten sowohl nachvollziehbare Angaben zur Postausgangskontrolle ihres Prozessbevollmächtigten als auch die genaue Darlegung , welche Person welche Post ausgefächert, kuvertiert, in den Sammelumschlag gepackt, zum Briefkasten gebracht und wann genau dort eingeworfen habe.

II.

4
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
5
1. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO in Verbindung mit § 522 Abs. 1 Satz 4, § 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Denn die angefochtene Entscheidung verletzt die Verfahrensgrundrechte der Kläger auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Sie steht zudem nicht in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.
6
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat den Klägern zu Unrecht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist versagt.
7
a) Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass einer Prozesspartei Verzögerungen der Briefbeförderung oder der Briefzustellung durch die Deutsche Post AG nicht als Verschulden angerechnet werden dürfen. Sie darf vielmehr darauf vertrauen, dass die Postlaufzeiten eingehalten werden, die seitens der Deutschen Post AG für den Normalfall festgelegt werden. Ein Versagen dieser Vorkehrungen darf der Partei im Rahmen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht als Verschulden angerechnet werden, weil sie darauf keinen Einfluss hat. Im Verantwortungsbereich einer Partei, die einen fristgebundenen Schriftsatz auf dem Postweg befördern lässt, liegt es allein, das Schriftstück so rechtzeitig und ordnungsgemäß aufzugeben, dass es nach den organisatorischen und betrieblichen Vorkehrungen der Deutschen Post AG den Empfänger fristgerecht erreichen kann (BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2007 - XII ZB 32/07, NJW 2007, 2778, Tz. 13 und vom 20. Mai 2009 - IV ZB 2/08, NJW 2009, 2379, Tz. 8; BVerfG NJW 1995, 1210, 1211; 2003, 1516; jeweils m.w.N.). Dabei darf eine Partei grundsätzlich darauf vertrauen , dass im Bundesgebiet werktags aufgegebene Postsendungen am folgenden Werktag ausgeliefert werden. Ohne konkrete Anhaltspunkte muss ein Rechtsmittelführer deshalb nicht mit Postlaufzeiten rechnen, die die ernsthafte Gefahr der Fristversäumung begründen (BGH, Beschluss vom 20. Mai 2009 - IV ZB 2/08, NJW 2009, 2379, Tz. 8 m.w.N.).
8
b) Die Rechtsbeschwerde rügt jedoch zu Recht, dass das Berufungsgericht nicht auf eine Ergänzung des Vorbringens der Kläger zu den tatsächlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrundes und deren Glaubhaftmachung hingewirkt hat. Damit hat es seiner Hinweispflicht nach § 139 ZPO nicht genügt und zugleich den Anspruch der Kläger auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes und auf rechtliches Gehör verletzt.
9
aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs muss eine Partei im Rahmen ihres Antrags auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gemäß § 236 Abs. 2 ZPO die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen vortragen und glaubhaft machen. Hierzu gehört eine aus sich heraus verständliche , geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus denen sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen die Fristversäumnis beruht (vgl. nur BGH, Beschluss vom 3. Juli 2008 - IX ZB 169/07, NJW 2008, 3501, Tz. 15 m.w.N.). Zwar müssen nach § 234 Abs. 1, § 236 Abs. 2 ZPO alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sein können, innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist vorgetragen werden.
Jedoch dürfen nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, noch nach Fristablauf erläutert und vervollständigt werden (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 13. Juni 2007 - XII ZB 232/06, NJW 2007, 3212, Tz. 8 und vom 3. April 2008 - I ZB 73/07, GRUR 2008, 837, Tz. 12, jeweils m.w.N.).
10
bb) Gemessen an diesen Grundsätzen hätte das Berufungsgericht den Klägern Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vorbringens im Wiedereinsetzungsantrag zu den Umständen des Posteinwurfs der Berufungsschrift geben müssen.
11
Die Kläger hatten mit dem Wiedereinsetzungsantrag geltend gemacht, ihre Berufungsschrift sei noch am Freitag, dem 22. Mai 2009 nach Kanzleischluss um 18.30 Uhr in einen Briefkasten an der Post eingeworfen worden. Es musste sich dem Berufungsgericht danach aufdrängen, dass weiterer Vortrag zu den Einzelheiten des Posteinwurfs deshalb unterblieben war, weil die Kläger diesen in Anbetracht des zeitlichen Abstands zwischen dem Kanzleischluss und der letzten Leerung des Briefkastens nicht für erforderlich hielten. Da dies nach Auffassung des Berufungsgerichts doch der Fall war, hätte es die Kläger nach § 139 ZPO auf fehlenden Vortrag zur konkreten Person und zur genauen Uhrzeit des Briefeinwurfs hinweisen müssen und ihnen Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vorbringens im Wiedereinsetzungsantrag geben müssen. Die gegenteilige Verfahrensweise des Berufungsgerichts stellt eine Überraschungsentscheidung dar, die den Anspruch der Kläger auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes und rechtlichen Gehörs verletzt.
12
Die angefochtene Entscheidung beruht auch auf dieser Verletzung der Verfahrensgrundrechte der Kläger. In ihrer Gegenvorstellung haben sie glaub- haft vorgebracht, dass eine bei ihrem Prozessbevollmächtigten beschäftigte und namentlich benannte Auszubildende die Berufungsschrift um 18.40 Uhr in den Briefkasten eingeworfen hat. Hierbei handelt es sich nicht um neues Vorbringen , sondern nur um eine Darstellung des für den Wiedereinsetzungsantrag maßgeblichen Sachverhalts, die exakter war als die bisherige Schilderung, so dass es vom Berufungsgericht noch zu berücksichtigen gewesen wäre. Auf der Grundlage dieses ergänzenden Vortrags hätte das Berufungsgericht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht ablehnen dürfen, weil die Kläger dann mit einem rechtzeitigen Eingang ihrer Berufungsschrift bei dem Berufungsgericht rechnen durften und ihnen der verzögerte Postlauf nicht zuzurechnen ist.
13
c) Der rechtzeitig gestellte Wiedereinsetzungsantrag der Kläger ist somit begründet. Darüber kann der Senat gemäß § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO selbst entscheiden , weil es keiner weiteren Tatsachenfeststellungen bedarf. Das Berufungsgericht wird nunmehr in der Sache über die Berufung der Kläger zu entscheiden haben.
Wiechers Joeres Mayen Grüneberg Maihold

Vorinstanzen:
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 17.04.2009 - 13 O 176/08 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 27.07.2009 - I-16 U 109/09 -

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZB 30/09
vom
16. Dezember 2009
in dem Rechtsstreit
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterinnen
Dr. Kessal-Wulf und Harsdorf-Gebhardt
am 16. Dezember 2009

beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 13. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 21. Juli 2009 aufgehoben.
Dem Kläger wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung gewährt.
Die Sache wird zur Verhandlung und Entscheidung über die Berufung des Klägers an das Berufungsgericht zurückverwiesen , dem auch die Entscheidung über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens vorbehalten bleibt.
Beschwerdewert: 13.833 €

Gründe:


1
I. Der Kläger erstrebt die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Frist zur Berufungsbegründung. Er hat gegen das klageabweisende Urteil des Landgerichts fristgerecht Berufung eingelegt. Die Berufungsbegründungsfrist wurde auf Antrag des Klägers bis zum 26. Juni 2009 verlängert. Die Berufungsbegründung vom 26. Juni 2009 ging am selben Tag per Telefax bei dem Landgericht und nach Weiterleitung einen Tag später sowie im Original am 29. Juni 2009 bei dem Oberlandesgericht ein. Mit einem dort am 27. Juni 2009 eingegangenen Schriftsatz hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beantragt.
2
Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs hat er ausgeführt und glaubhaft gemacht: Die erfahrene und zuverlässig arbeitende Rechtsanwaltsfachangestellte seiner Prozessbevollmächtigten habe die Berufungsbegründung wegen des bevorstehenden Kanzleiumzugs erst am 26. Juni 2009 nach Diktat gefertigt und gegen 20.00 Uhr den fertigen und unterzeichneten Schriftsatz per Telefax übermittelt. Dabei habe sie fälschlicherweise nicht die darin angegebene Telefaxnummer des Oberlandesgerichts , sondern die des Landgerichts verwendet. Die Mitarbeiterin sei sich sicher gewesen, die Berufungsbegründung ordnungsgemäß an das richtige Gericht gefaxt zu haben. Sie habe auf dem Sendebericht den o.k.-Vermerk unter der Ergebnisspalte sowie die Zahl der übermittelten Seiten kontrolliert. Warum die Mitarbeiterin zu diesem Zeitpunkt nicht bemerkt habe, dass sie das erstinstanzliche Gericht anstelle des Oberlandesgerichts angefaxt habe, könne sie sich nicht erklären. Als sie am 27. Juni 2009 den Sendebericht in die Akte abgeheftet habe, sei ihr die fehlerhafte Übermittlung aufgefallen. Seine Prozessbevollmächtigte habe ihrer Angestellten mit Rücksicht auf deren über 15-jährige Berufserfahrung ohne Bedenken die Notierung und Überwachung der Fristen und Termine anvertrauen dürfen und bei regelmäßigen Kontrollen keinen Grund zu Beanstandungen gefunden.
3
Das Oberlandesgericht hat durch Beschluss vom 21. Juli 2009 den Wiedereinsetzungsantrag abgelehnt und die Berufung als unzulässig verworfen. Es hat ein Organisationsverschulden der Prozessbevollmächtigten des Klägers hinsichtlich der gebotenen Ausgangskontrolle bei Telefaxschreiben angenommen. Weder dem Wiedereinsetzungsgesuch noch der eidesstattlichen Versicherung der Rechtsanwaltsfachangestellten sei zu entnehmen, dass die Prozessbevollmächtigte des Klägers durch klare Anweisungen für eine Büroorganisation gesorgt habe, die eine Überprüfung der durch Telefax übermittelten fristgebundenen Schriftsätze auch auf die Verwendung der zutreffenden Empfängernummer hin gewährleiste. Die Mitarbeiterin habe nach ihren Angaben lediglich die störungsfreie und vollständige Übermittlung überprüft, einen Abgleich der verwendeten Faxnummer mit der in dem Schriftsatz angegebenen Nummer aber unterlassen. Dem sei nicht zu entnehmen, ob überhaupt eine generelle oder konkrete Weisung der Prozessbevollmächtigten des Klägers zur Kontrolle der Sendenummer existiert habe.
4
Mit Gegendarstellung vom 11. August 2009 hat der Kläger angegeben und glaubhaft gemacht, im Büro seiner Prozessbevollmächtigten habe allgemein die ausdrückliche Anweisung bestanden, dass die Angestellte bei fristwahrenden Schriftsätzen, die am letzten Tag der Frist gefaxt würden, die Sendeberichte darauf kontrolliere, ob die Empfängernummer auf dem Sendeprotokoll mit der Empfängernummer auf dem Schriftsatz übereinstimme, die Seitenzahl und den o.k.-Vermerk überprü- fe und erst nach ordnungsgemäßer Übermittlung die Frist streiche. Die Mitarbeiterin seiner Prozessbevollmächtigten sei sich am 26. Juni 2009 beim Löschen der Frist sicher gewesen, diese Anweisungen ordnungsgemäß erfüllt und insbesondere den Schriftsatz an das Oberlandesgericht übermittelt zu haben.
5
Durch Beschluss vom 26. August 2009 hat das Oberlandesgericht die Gegenvorstellung des Klägers zurückgewiesen. Daraufhin hat der Kläger gegen die angefochtene Entscheidung Rechtsbeschwerde eingelegt.
6
II.DieRechtsbeschwer de hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses, zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
7
1. Die nach den §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alt. ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Die angefochtene Entscheidung verletzt die Verfahrensgrundrechte des Klägers auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).
8
2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Berufungsgericht hat dem Kläger zu Unrecht die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist versagt.

9
a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Prozessbevollmächtigte des Klägers die Übermittlung der Berufungsbegründung per Telefax ihrer Büroangestellten überlassen durfte. Ein Rechtsanwalt darf die einfach zu erledigende Aufgabe einer Telefaxübermittlung einer zuverlässigen, hinreichend geschulten und überwachten Bürokraft übertragen und braucht die Ausführung eines solchen Auftrags nicht konkret zu überwachen oder zu kontrollieren (BGH, Beschlüsse vom 20. Oktober 2009 - VIII ZB 97/08 - juris Tz. 12; vom 9. April 2008 - I ZB 101/06 - NJW-RR 2008, 1288 Tz. 8; vom 11. Februar 2003 - VI ZB 38/02 - NJW-RR 2003, 935 unter 1, jeweils m.w.N.). Da die Telefaxnummer des Oberlandesgerichts deutlich erkennbar und korrekt im Adressfeld der Berufungsbegründungsschrift angegeben war, bestand für die Prozessbevollmächtigte des Klägers - wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat - kein Anlass, die Mitarbeiterin ausdrücklich auf die Verwendung dieser Nummer hinzuweisen. Vielmehr konnte sie sich darauf verlassen, dass ihre Angestellte, die bislang bei Kontrollen keinen Anlass zu Beanstandungen gegeben hatte, die Versendung des Schriftsatzes per Telefax korrekt vornehmen werde.
10
Entgegen b) der Auffassung des Berufungsgerichts ist der Prozessbevollmächtigten des Klägers kein Organisationsverschulden hinsichtlich der gebotenen Ausgangskontrolle anzulasten.
11
Nach aa) ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs genügt der Rechtsanwalt seiner Pflicht zur wirksamen Ausgangskontrolle fristwahrender Schriftsätze nur dann, wenn er seine Angestellten anweist , nach einer Übermittlung per Telefax anhand des Sendeprotokolls zu überprüfen, ob der Schriftsatz vollständig und an das richtige Gericht übermittelt worden ist. Erst danach darf die Frist im Fristenkalender gestrichen werden (BGH, Beschlüsse vom 14. Mai 2008 - XII ZB 34/07 - NJW 2008, 2508 Tz. 11; vom 9. April 2008 aaO Tz. 10; vom 19. März 2008 - III ZB 80/07 - NJW-RR 2008, 1379 Tz. 5; vom 18. Juli 2007 - XII ZB 32/07 - NJW 2007, 2778 Tz. 6; vom 13. Februar 2007 - VI ZB 70/06 - NJW 2007, 1690 Tz. 8; vom 18. Mai 2004 - VI ZB 12/03 - FamRZ 2004, 1275 unter II 1; vom 3. Dezember 1996 - XI ZB 20/96 - NJW 1997, 948, jeweils m.w.N.).
12
bb) Dazu hat der Kläger in der Begründung seines Wiedereinsetzungsgesuchs nicht hinreichend konkret vorgetragen. Er hat aber mit seiner Gegendarstellung vom 11. August 2009 dargetan und glaubhaft gemacht , dass seine Prozessbevollmächtigte ihrer Mitarbeiterin die klare und unmissverständliche generelle Weisung erteilt habe, bei Versendung von fristwahrenden Schriftsätzen per Telefax die Frist erst nach ordnungsgemäßer Kontrolle der Empfängernummer, der Seitenzahlen und des o.k.-Vermerks auf dem Sendebericht zu löschen. Dieser nach Erlass des angefochtenen Beschlusses und auch nach Ablauf der Frist zur Beantragung der Wiedereinsetzung, die bei Versäumung der Berufungsbegründungsfrist nach § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO einen Monat beträgt, nachgeholte Vortrag des Klägers war zu berücksichtigen.
13
Zwar (1) müssen gemäß §§ 236 Abs. 2 Satz 1, 234 Abs. 1 ZPO grundsätzlich alle Tatsachen, die für die Gewährung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Bedeutung sein können, innerhalb der Antragsfrist vorgetragen werden (Senatsbeschluss vom 20. Januar 1999 - IV ZB 22/98 - r+s 1999, 263 unter 3 c; BGH, Beschlüsse vom 13. Juni 2007 - XII ZB 232/06 - NJW 2007, 3212 Tz. 8; vom 10. Mai 2006 - XII ZB 42/05 - NJW 2006, 2269 unter III 1; vom 12. Mai 1998 - VI ZB 10/98 - NJW 1998, 2678 unter II; vom 8. April 1997 - VI ZB 8/97 - NJW 1997, 2120 unter II 3 a). Allerdings dürfen erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten gewesen wäre, nach Fristablauf und auch noch mit der Rechtsbeschwerde erläutert oder vervollständigt werden (BGH, Beschlüsse vom 18. Juli 2007 aaO Tz. 14; vom 13. Juni 2007 aaO; vom 10. Mai 2006 aaO m.w.N.; vom 6. Mai 1999 - VII ZB 6/99 - NJW 1999, 2284 unter 3 c m.w.N.; vom 12. Mai 1998 aaO m.w.N.; vom 8. April 1997 aaO m.w.N.; vom 10. Februar 1994 - VII ZB 25/03 - VersR 1994, 1368 unter 2 a m.w.N.).
14
(2) Um eine solche Vervollständigung handelt es sich bei dem Vorbringen in der Gegendarstellung des Klägers. Die Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs stellte sich unter Beachtung des zutreffenden rechtlichen Ansatzpunktes des Berufungsgerichts als erkennbar ergänzungsbedürftig dar. Die Darstellung, dass die Rechtsanwaltsfachangestellte die ordnungsgemäße Übermittlung des Schriftsatzes anhand des ausgedruckten Sendeberichts überprüft habe, spricht für eine vorgeschriebene Ausgangskontrolle, lässt aber deren Ausgestaltung nicht genau erkennen. Soweit es in dem Wiedereinsetzungsgesuch heißt, die Mitarbeiterin habe auf dem Sendebericht den o.k.-Vermerk unter der Ergebnisspalte sowie die übermittelten Seiten kontrolliert, folgt daraus nicht, dass nicht auch die gewählte Faxnummer zu überprüfen war. Für eine entsprechende Anweisung der Prozessbevollmächtigten des Klägers spricht vielmehr der Zusatz, dass der Mitarbeiterin zur Zeit der Überprüfung nicht aufgefallen sei, dass sie das erstinstanzliche Gericht anstatt des Oberlandesgerichts angefaxt habe, was sie sich selbst nicht erklären könne. Das Vorbringen des Klägers zu der Überprüfung des Sendeberichts deutet jedenfalls darauf hin, dass dazu eine allgemeine Kanzleianweisung im Büro der Prozessbevollmächtigten des Klägers be- stand, wobei die Ausführungen in dem Wiedereinsetzungsgesuch der Präzisierung bedurften. Das Berufungsgericht hätte daher dem Kläger aufgeben müssen, ergänzend zur Ausgangskontrolle in der Kanzlei seiner Prozessbevollmächtigten vorzutragen. Da das Berufungsgericht den gebotenen Hinweis unterlassen hat, ist das ergänzende Vorbringen des Klägers in der Gegendarstellung bei der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde zu beachten.
15
c) Danach ist der Wiedereinsetzungsantrag des Klägers begründet, weil die Prozessbevollmächtigte des Klägers für eine den anerkannten Anforderungen genügende Ausgangskontrolle bei der Versendung fristwahrender Schriftsätze per Telefax Sorge getragen hatte. Dies kann der Senat nach § 577 Abs. 5 Satz 1 ZPO selbst entscheiden. Das Berufungsgericht wird sich nunmehr in der Sache mit der Berufung des Klägers zu befassen haben.
Terno Dr. Schlichting Seiffert
Dr. Kessal-Wulf Harsdorf-Gebhardt
Vorinstanzen:
LG Köln, Entscheidung vom 24.03.2009 - 2 O 585/08 -
OLG Köln, Entscheidung vom 21.07.2009 - 13 U 69/09 -