Bundesgerichtshof Beschluss, 10. März 2011 - VII ZB 28/10
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Gründe:
I.
- 1
- Das klageabweisende Urteil des Landgerichts ist den damaligen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 16. Oktober 2009 zugestellt worden. Der Berufungsschriftsatz vom 13. November 2009 ist am 18. November 2009 beim Berufungsgericht eingegangen. Das ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin mit Verfügung vom 19. November 2009 mitgeteilt worden. Die Klägerin hat am Montag, dem 7. Dezember 2009, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt. Sie hat dazu vorgetragen , der allein sachbearbeitende Rechtsanwalt habe am Freitag und Samstag, dem 20. und 21. November 2009, an einer Baurechtstagung in M. teilgenommen und habe daher erst am Montag, dem 23. November 2009, von der Mitteilung des Berufungsgerichts Kenntnis erlangt. Zur Glaubhaftmachung hat die Klägerin eine Teilnahmebescheinigung des Tagungsveranstalters vorgelegt. Hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist hat die Klägerin vorgetragen, der Berufungsschriftsatz sei bei ihren Prozessbevollmächtigten am 13. November 2009 um 16.00 Uhr von einem privaten Postzustelldienst abgeholt worden, der ihn am 14. November 2009 dem Berufungsgericht hätte zustellen sollen. Der Schriftsatz sei am 13. November 2009 um 19.52 Uhr bei dem Postzustelldienst erfasst worden, die Zustellung sei dort für den 14. November 2009 vorgesehen gewesen. Der verspätete Zugang habe nicht aufgeklärt werden können. Zur Glaubhaftmachung hat die Klägerin eine diese Tatsachen bestätigende E-Mail des Postzustelldienstes vorgelegt.
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- Das Berufungsgericht hat die beantragte Wiedereinsetzung versagt und die Berufung der Klägerin als unzulässig verworfen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Rechtsbeschwerde.
II.
- 3
- 1. Die gemäß § 238 Abs. 2 Satz 1, § 522 Abs. 1 Satz 4, § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig, weil zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderlich ist (§ 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO). Indem das Berufungsgericht der Klägerin zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist verweigert hat, hat es das Verfahrensgrundrecht der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt. Es hat zudem nicht die ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beachtet.
- 4
- 2. Die Rechtsbeschwerde ist begründet.
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- a) Das Berufungsgericht lässt es dahinstehen, ob die Klägerin den Wiedereinsetzungsantrag innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO gestellt hat. Davon ist auszugehen. Die Klägerin hat glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter von der Versäumung der Berufungsfrist erst am 23. November 2009 erfahren hat und dass ihn hieran kein Verschulden trifft.
- 6
- b) Das Berufungsgericht hält den Wiedereinsetzungsantrag für unbegründet. Zwar könne eine Prozesspartei auch bei Einschaltung eines privaten Beförderungsdienstes grundsätzlich darauf vertrauen, dass die normalen Postlaufzeiten eingehalten würden. Die Klägerin habe aber nicht glaubhaft gemacht, dass der Berufungsschriftsatz tatsächlich am 13. November 2009 dem privaten Zustelldienst überlassen worden sei. Die vorgelegte E-Mail bestätige lediglich die Übergabe eines an das Berufungsgericht gerichteten Großbriefes von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin an den Zustelldienst. Es gehe daraus aber nicht hervor, dass es sich um den Berufungsschriftsatz im vorliegenden Verfahren gehandelt habe. Es sei daher möglich, dass die Postsendung einen anderen, ebenfalls an das Berufungsgericht gerichteten Schriftsatz enthalten habe.
- 7
- c) Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Das Berufungsgericht hat der Klägerin zu Unrecht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist versagt.
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- aa) Zutreffend geht das Berufungsgericht allerdings davon aus, dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerin auch bei Einschaltung eines privaten Beförderungsdienstes mangels gegenteiliger Anhaltspunkte darauf vertrauen durften , dass die normalen Postlaufzeiten eingehalten werden (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Januar 2008 - XII ZB 155/07, NJW-RR 2008, 930).
- 9
- bb) Die Rechtsbeschwerde rügt jedoch zu Recht, dass das Berufungsgericht gegen seine Hinweispflicht nach § 139 Abs. 1 ZPO verstoßen und damit zugleich den Anspruch der Klägerin auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes und auf rechtliches Gehör verletzt hat.
- 10
- Das Berufungsgericht hätte die Klägerin auf seine Zweifel zum Inhalt des Großbriefs hinweisen und ihr Gelegenheit zur Ergänzung ihres Vorbringens hinsichtlich des Versands des Berufungsschriftsatzes geben müssen. Die Klägerin hatte in ihrem Wiedereinsetzungsantrag dargelegt, den Berufungsschriftsatz am 13. November 2009 um 16.00 Uhr dem Postzustelldienst übergeben zu haben. Der Schriftsatz ging auch tatsächlich, wenn auch verspätet, beim Berufungsgericht ein. Es ging im Wiedereinsetzungsverfahren daher aus Sicht der Klägerin in erster Linie um den Grund für diese Verzögerung und um die Frage des Verschuldens. Es musste sich ihren Prozessbevollmächtigen dagegen nicht aufdrängen, dass das Berufungsgericht Zweifel daran haben könnte, dass es sich bei dem vom Postzustelldienst in seiner E-Mail genannten Großbrief nicht um den Berufungsschriftsatz handeln könnte und dass deshalb insoweit von vornherein nähere Erläuterungen und weitere Glaubhaftmachung erforderlich sein könnten. Auf den notwendigen Hinweis hätte die Klägerin in zulässiger Weise ergänzend vortragen können (vgl. BGH, Beschlüsse vom 9. Februar 2010 - XI ZB 34/09, FamRZ 2010, 636; vom 16. Dezember 2009 - IV ZB 30/09, FamRZ 2010, 458 und vom 13. Juni 2007 - XII ZB 232/06, NJW 2007, 3212, je m.w.N.).
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- 3. Der Senat kann in der Sache selbst entscheiden. Die Klägerin hat in der Rechtsbeschwerde dargelegt, was sie nach dem gebotenen Hinweis ergänzend dem Berufungsgericht gegenüber vorgetragen hätte: Im vorliegenden und in einem Parallelverfahren seien am 13. November 2009 die Berufungsschriftsätze gefertigt und von einer Kanzleiangestellten in einem einzigen Großbrief dem Postzustelldienst übergeben worden; weitere Rechtsstreitigkeiten seien seinerzeit beim Berufungsgericht nicht anhängig gewesen. Die Klägerin hat eine entsprechende eidesstattliche Versicherung der Kanzleiangestellten vorgelegt. Da das Berufungsgericht den Hinweis unterlassen hat, ist dieses klarstellende Vorbringen der Klägerin bei der Entscheidung über die Rechtsbeschwerde zu berücksichtigen.
- 12
- Der Klägerin war danach unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist zu gewähren. Sie hat glaubhaft gemacht, dass die Kanzleiangestellte ihrer Prozessbevollmächtigten den Berufungsschriftsatz zusammen mit einem weiteren am 13. November 2009 dem Postzustelldienst übergeben hat. Dies wird noch dadurch bestätigt, dass das Berufungsgericht selbst ausführt, in einem anderen Verfahren sei ebenfalls ein Berufungsschriftsatz der Prozessbevoll- mächtigten der Klägerin vom 13. November 2009 am 18. November 2009 eingegangen. Damit ist davon auszugehen, dass die Prozessbevollmächtigten der Klägerin an der Versäumung der Berufungsfrist kein Verschulden trifft.
- 13
- Die Verwerfung der Berufung als unzulässig ist gegenstandslos.
Eick Leupertz
Vorinstanzen:
LG Konstanz, Entscheidung vom 05.10.2009 - 4 O 493/05 F -
OLG Karlsruhe in Freiburg, Entscheidung vom 27.01.2010 - 9 U 140/09 -
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Annotations
(1) Das Verfahren über den Antrag auf Wiedereinsetzung ist mit dem Verfahren über die nachgeholte Prozesshandlung zu verbinden. Das Gericht kann jedoch das Verfahren zunächst auf die Verhandlung und Entscheidung über den Antrag beschränken.
(2) Auf die Entscheidung über die Zulässigkeit des Antrags und auf die Anfechtung der Entscheidung sind die Vorschriften anzuwenden, die in diesen Beziehungen für die nachgeholte Prozesshandlung gelten. Der Partei, die den Antrag gestellt hat, steht jedoch der Einspruch nicht zu.
(3) Die Wiedereinsetzung ist unanfechtbar.
(4) Die Kosten der Wiedereinsetzung fallen dem Antragsteller zur Last, soweit sie nicht durch einen unbegründeten Widerspruch des Gegners entstanden sind.
(1) Das Berufungsgericht hat von Amts wegen zu prüfen, ob die Berufung an sich statthaft und ob sie in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet ist. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, so ist die Berufung als unzulässig zu verwerfen. Die Entscheidung kann durch Beschluss ergehen. Gegen den Beschluss findet die Rechtsbeschwerde statt.
(2) Das Berufungsgericht soll die Berufung durch Beschluss unverzüglich zurückweisen, wenn es einstimmig davon überzeugt ist, dass
- 1.
die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, - 2.
die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, - 3.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert und - 4.
eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist.
(3) Gegen den Beschluss nach Absatz 2 Satz 1 steht dem Berufungsführer das Rechtsmittel zu, das bei einer Entscheidung durch Urteil zulässig wäre.
(1) Gegen einen Beschluss ist die Rechtsbeschwerde statthaft, wenn
- 1.
dies im Gesetz ausdrücklich bestimmt ist oder - 2.
das Beschwerdegericht, das Berufungsgericht oder das Oberlandesgericht im ersten Rechtszug sie in dem Beschluss zugelassen hat.
(2) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 1 ist die Rechtsbeschwerde nur zulässig, wenn
- 1.
die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder - 2.
die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.
(3) In den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 ist die Rechtsbeschwerde zuzulassen, wenn die Voraussetzungen des Absatzes 2 vorliegen. Das Rechtsbeschwerdegericht ist an die Zulassung gebunden.
(4) Der Rechtsbeschwerdegegner kann sich bis zum Ablauf einer Notfrist von einem Monat nach der Zustellung der Begründungsschrift der Rechtsbeschwerde durch Einreichen der Rechtsbeschwerdeanschlussschrift beim Rechtsbeschwerdegericht anschließen, auch wenn er auf die Rechtsbeschwerde verzichtet hat, die Rechtsbeschwerdefrist verstrichen oder die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen worden ist. Die Anschlussbeschwerde ist in der Anschlussschrift zu begründen. Die Anschließung verliert ihre Wirkung, wenn die Rechtsbeschwerde zurückgenommen oder als unzulässig verworfen wird.
(1) Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.
(2) Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Die Freiheit der Person ist unverletzlich. In diese Rechte darf nur auf Grund eines Gesetzes eingegriffen werden.
(1) Die Wiedereinsetzung muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden. Die Frist beträgt einen Monat, wenn die Partei verhindert ist, die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde einzuhalten.
(2) Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Hindernis behoben ist.
(3) Nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, kann die Wiedereinsetzung nicht mehr beantragt werden.
(1) Das Gericht hat das Sach- und Streitverhältnis, soweit erforderlich, mit den Parteien nach der tatsächlichen und rechtlichen Seite zu erörtern und Fragen zu stellen. Es hat dahin zu wirken, dass die Parteien sich rechtzeitig und vollständig über alle erheblichen Tatsachen erklären, insbesondere ungenügende Angaben zu den geltend gemachten Tatsachen ergänzen, die Beweismittel bezeichnen und die sachdienlichen Anträge stellen. Das Gericht kann durch Maßnahmen der Prozessleitung das Verfahren strukturieren und den Streitstoff abschichten.
(2) Auf einen Gesichtspunkt, den eine Partei erkennbar übersehen oder für unerheblich gehalten hat, darf das Gericht, soweit nicht nur eine Nebenforderung betroffen ist, seine Entscheidung nur stützen, wenn es darauf hingewiesen und Gelegenheit zur Äußerung dazu gegeben hat. Dasselbe gilt für einen Gesichtspunkt, den das Gericht anders beurteilt als beide Parteien.
(3) Das Gericht hat auf die Bedenken aufmerksam zu machen, die hinsichtlich der von Amts wegen zu berücksichtigenden Punkte bestehen.
(4) Hinweise nach dieser Vorschrift sind so früh wie möglich zu erteilen und aktenkundig zu machen. Ihre Erteilung kann nur durch den Inhalt der Akten bewiesen werden. Gegen den Inhalt der Akten ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
(5) Ist einer Partei eine sofortige Erklärung zu einem gerichtlichen Hinweis nicht möglich, so soll auf ihren Antrag das Gericht eine Frist bestimmen, in der sie die Erklärung in einem Schriftsatz nachbringen kann.