Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Aug. 2014 - VI ZR 308/13

bei uns veröffentlicht am19.08.2014
vorgehend
Landgericht Ingolstadt, 33 O 623/11, 30.01.2013
Oberlandesgericht München, 10 U 750/13, 26.06.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
VI ZR 308/13
vom
19. August 2014
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 19. August 2014 durch den
Vorsitzenden Richter Galke, den Richter Wellner, die Richterinnen
Diederichsen, von Pentz und den Richter Offenloch

beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers wird der Beschluss des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 26. Juni 2013 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 23.680,17 €

Gründe:


I.


1
Der Kläger nimmt den Beklagten auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens nach einem Verkehrsunfall in Anspruch. Der Kläger ist Zeitsoldat. Seine Dienststelle befindet sich in der M-I.-Kaserne in M. Am 20. Januar 2010 gegen 7.05 Uhr bei 0 Grad Celsius und nassen Straßen überquerte der Kläger - der eine Tarnuniform trug - zu Fuß den vor dem Kaserneneingang gelegenen und als solchen gekennzeichneten Fußgängerüberweg. Als er etwa die Mitte der Straße erreicht hatte, wurde er von dem vom Beklagten zu 1 geführten und bei der Beklagten zu 2 versicherten Kraftfahrzeug erfasst und schwer verletzt. Der Kläger behauptet, der Beklagte zu 1 habe sich der Unfallstelle mit überhöhter Geschwindigkeit genähert. Die Beklagten behaupten, der Kläger sei plötzlich und unvermittelt im Lichtkegel des Scheinwerfers des Fahrzeuges aufgetaucht. Die sofort eingeleitete Vollbremsung habe die Kollision nicht mehr verhindern können.
2
Das Landgericht hat der Klage auf der Grundlage einer Haftungsquote von 50 % entsprochen. Es hat die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 6.235,44 € (Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 €, Haushaltsführungsschaden in Höhe von 1.340,16 €, Fahrtkosten in Höhe von 382,50 €, Schadenspauschale in Höhe von 12,78 € abzüglich geleisteter Zahlungen der Beklagten in Höhe von 10.500 €) zu zahlen. Darüber hinaus hat es festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger 50 % seiner weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen. Die weiter gehende Klage hat es abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 26. Juni 2013 einstimmig als unbegründet zurückgewiesen. Es hat dabei zugrunde gelegt, dass die Beklagten lediglich in Höhe von 40 % hafteten. Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Nichtzulassungsbeschwerde.

II.


3
Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs in entscheidungserheblicher Weise verletzt.
4
1. Unter entscheidungserheblichem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist das Berufungsgericht zu der Beurteilung gelangt, der Kläger habe sich durch ein Beharren auf seinem Vorrecht offensichtlich unvernünftig der Gefahr ausgesetzt , auf dem Fußgängerüberweg angefahren zu werden.
5
a) Das Berufungsgericht hat ausgeführt, dass sich die offensichtlich unvernünftige Selbstgefährdung des Klägers vorliegend darin gezeigt habe, dass er entweder auf den Verkehr überhaupt nicht geachtet habe, etwa weil er in Eile gewesen sei, oder den Beklagten zu 1 gesehen und gemeint habe, dass dieser noch rechtzeitig werde anhalten können. Im Hinweisbeschluss, auf den das Berufungsgericht in seinem Zurückweisungsbeschluss Bezug genommen hat, hat es weiter ausgeführt, der Kläger habe selbst nicht vorgetragen, dass er vor dem Überqueren des Fußgängerüberwegs angehalten habe, um den fließenden Verkehr zu beobachten. Auch habe er nicht dargelegt, aus welchen Gründen er das herannahende Fahrzeug des Beklagten zu 1 nicht habe erkennen können. Unerheblich sei, dass es möglich sein könne, dass der Beklagte zu 1 schneller als mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h gefahren sei. Seine diesbezügliche Behauptung habe der Kläger nicht bewiesen.
6
b) Gegen diese Beurteilung wendet sich die Nichtzulassungsbeschwerde mit Erfolg. Sie beanstandet zu Recht, dass das Berufungsgericht eine vom Kläger vorgetragene alternative Möglichkeit der Unfallverursachung, die ein schuldhaftes Verhalten des Klägers ausschließen oder jedenfalls in günstigerem Licht erscheinen lassen könnte, unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG nicht berücksichtigt hat. Der Kläger hatte mit Schriftsatz vom 10. Juni 2011, S. 3 vorgetragen, der Beklagte zu 1 habe seiner Lebensgefährtin unmittelbar nach dem Unfall erklärt, mit einer Geschwindigkeit von 60 bis 65 km/h gefahren zu sein. Die vom Kläger zum Beweis dieser Behauptung benannte Zeugin S. ist zu dieser Frage nicht vernommen worden. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt darüber hinaus zu Recht, dass das Berufungsgericht die Angaben des Sachverständigen in seinem Gutachten vom 4. Februar 2010, S. 10 sowie in der mündlichen Verhandlung vom 4. Februar 2010 (Protokoll S. 12 unten) nicht berücksichtigt hat, wonach die Geschwindigkeit des Fahrzeugs der Beklagten noch nach der Kollision rund 45 km/h betragen habe bzw. wonach von einer Kollisionsgeschwindigkeit von 45 bis 50 km/h auszugehen sei, obwohl der Beklagte zu 1 vor der Kollision eine Vollbremsung eingeleitet hatte. Diese ihm günstigen Angaben hat sich der Kläger jedenfalls konkludent zu eigen gemacht (vgl. Senatsurteil vom 8. Januar 1991 - VI ZR 102/90, VersR 1991, 467, 468; Senatsbeschluss vom 30. November 2010 - VI ZR 25/09, VersR 2011, 1158 Rn. 9).
7
Das Berufungsgericht hat darüber hinaus - wie die Nichtzulassungsbeschwerde zu Recht geltend macht - den Vortrag des Klägers in der Klageschrift und im Schriftsatz vom 10. Juni 2011 nicht berücksichtigt, wonach der Beklagte die örtlichen Verhältnisse bestens kenne, weil er in der Nähe wohne und deshalb gewusst habe, dass sich dort ein Fußgängerüberweg befinde, der zu der Kaserne führe und von Soldaten in der Zeit zwischen 7.00 Uhr und 7.15 Uhr benutzt werde.
8
2. Die Gehörsverletzung ist auch entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht bei der gebotenen Berücksichtigung des Vorbringens des Klägers zu einer anderen Beurteilung gelangt wäre.

9
3. Bei der neuen Verhandlung wird das Berufungsgericht Gelegenheit haben, sich auch mit den weiteren Einwendungen des Klägers auseinanderzusetzen. Es wird dabei insbesondere zu beachten haben, dass der Ersatzanspruch des Klägers, den als Fußgänger im Gegensatz zu den Beklagten keine Gefährdungshaftung trifft, gemäß § 9 StVG, § 254 BGB nur dann gekürzt werden darf, wenn feststeht, dass er den Schaden durch sein Verhalten mitverursacht oder mitverschuldet hat. Auf die "bloße Unterstellung der wahrscheinlichsten Parameter" (vgl. Zurückweisungsbeschluss S. 3 unter 2. a) kann ein Mitverschulden des Klägers nicht gestützt werden. Erforderlich ist vielmehr eine Überzeugung des Gerichts nach dem Beweismaß des § 286 ZPO.Die Darlegungsund Beweislast für ein Fehlverhalten des Klägers trifft dabei die Beklagten.
10
Das Berufungsgericht wird auch zu berücksichtigen haben, dass es sich bei dem Schmerzensgeldanspruch und dem Anspruch auf Ersatz materiellen Schadensersatzes um prozessual selbständige Streitgegenstände handelt (Senat , Beschluss vom 25. April 1989 - VI ZB 13/89, VersR 1989, 818; Urteil vom 22. Mai 1984 - VI ZR 228/82, VersR 1984, 782, 783; BGH, Urteil vom 18. März 1959 - IV ZR 182/58, BGHZ 30, 7, 18; Zöller, ZPO, 30. Auflage, Einleitung Rn. 73). Sie unterliegen jeweils für sich genommen dem Verbot der reformatio in peius (vgl. BGH, Urteil vom 12. September 2002 - IX ZR 66/01, VersR 2003, 509).
Galke Richter am Bundesgerichtshof Diederichsen Wellner ist wegen Urlaubs gehindert, seine Unterschrift beizufügen Galke
von Pentz Offenloch

Vorinstanzen:
LG Ingolstadt, Entscheidung vom 30.01.2013 - 33 O 623/11 -
OLG München, Entscheidung vom 26.06.2013 - 10 U 750/13 -

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Aug. 2014 - VI ZR 308/13

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Aug. 2014 - VI ZR 308/13

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Aug. 2014 - VI ZR 308/13 zitiert 6 §§.

Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland - GG | Art 103


(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. (2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. (3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafge

Zivilprozessordnung - ZPO | § 286 Freie Beweiswürdigung


(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei.

Zivilprozessordnung - ZPO | § 544 Nichtzulassungsbeschwerde


(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde). (2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn1.der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Eur

Bürgerliches Gesetzbuch - BGB | § 254 Mitverschulden


(1) Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem

Straßenverkehrsgesetz - StVG | § 9 Mitverschulden


Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt, so finden die Vorschriften des § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit der Maßgabe Anwendung, dass im Fall der Beschädigung einer Sache das Verschulden desjenigen, welcher

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Aug. 2014 - VI ZR 308/13 zitiert oder wird zitiert von 3 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Aug. 2014 - VI ZR 308/13 zitiert 1 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Nov. 2010 - VI ZR 25/09

bei uns veröffentlicht am 30.11.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS VI ZR 25/09 vom 30. November 2010 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO §§ 156, 286 A Gibt der medizinische Sachverständige in seinen mündlichen Ausführungen neue und ausführlich
2 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Aug. 2014 - VI ZR 308/13.

Oberlandesgericht München Endurteil, 12. Jan. 2018 - 10 U 1616/17

bei uns veröffentlicht am 12.01.2018

Tenor 1. Die Berufung des Beklagten zu 2) vom 16.05.2017 gegen das „Zwischenurteil“ (Teilgrundurteil) des LG München I vom 13.04.2017 wird als unzulässig verworfen. 2. Auf die Berufung des Beklagten zu 1) vom 12.05.

Oberlandesgericht München Endurteil, 16. Sept. 2016 - 10 U 750/13

bei uns veröffentlicht am 16.09.2016

Tenor 1. Auf die Berufung des Klägers vom 21.02.2013 wird das Schlussurteil des LG Ingolstadt vom 30.01.2013, Az.: 33 O 623/11, abgeändert und wie folgt neugefasst: I. Die Beklagten werden verurteilt, an den Kläger samtverbindlich

Referenzen

(1) Die Nichtzulassung der Revision durch das Berufungsgericht unterliegt der Beschwerde (Nichtzulassungsbeschwerde).

(2) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nur zulässig, wenn

1.
der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer 20 000 Euro übersteigt oder
2.
das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen hat.

(3) Die Nichtzulassungsbeschwerde ist innerhalb einer Notfrist von einem Monat nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sechs Monaten nach der Verkündung des Urteils bei dem Revisionsgericht einzulegen. Mit der Beschwerdeschrift soll eine Ausfertigung oder beglaubigte Abschrift des Urteils, gegen das die Revision eingelegt werden soll, vorgelegt werden.

(4) Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens aber bis zum Ablauf von sieben Monaten nach der Verkündung des Urteils zu begründen. § 551 Abs. 2 Satz 5 und 6 gilt entsprechend. In der Begründung müssen die Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2) dargelegt werden.

(5) Das Revisionsgericht gibt dem Gegner des Beschwerdeführers Gelegenheit zur Stellungnahme.

(6) Das Revisionsgericht entscheidet über die Beschwerde durch Beschluss. Der Beschluss soll kurz begründet werden; von einer Begründung kann abgesehen werden, wenn sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist, oder wenn der Beschwerde stattgegeben wird. Die Entscheidung über die Beschwerde ist den Parteien zuzustellen.

(7) Die Einlegung der Beschwerde hemmt die Rechtskraft des Urteils. § 719 Abs. 2 und 3 ist entsprechend anzuwenden. Mit der Ablehnung der Beschwerde durch das Revisionsgericht wird das Urteil rechtskräftig.

(8) Wird der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision stattgegeben, so wird das Beschwerdeverfahren als Revisionsverfahren fortgesetzt. In diesem Fall gilt die form- und fristgerechte Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde als Einlegung der Revision. Mit der Zustellung der Entscheidung beginnt die Revisionsbegründungsfrist.

(9) Hat das Berufungsgericht den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör in entscheidungserheblicher Weise verletzt, so kann das Revisionsgericht abweichend von Absatz 8 in dem der Beschwerde stattgebenden Beschluss das angefochtene Urteil aufheben und den Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverweisen.

(1) Vor Gericht hat jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör.

(2) Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.

(3) Niemand darf wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden.

9
a) Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht bei seiner Entscheidungsfindung die für die Beklagte zu 1 günstigen Angaben der vom Berufungsgericht angehörten Sachverständigen Prof. J. (gerichtlicher Sachverständige), Prof. V. (Schlichtungsgutachter) und Prof. P. (Privatgutachter ) sowie die für die Beklagte zu 1 günstigen Aussagen der Zeugen Dr. B. , Dr. Mö. und Dr. Fr. übergangen und in keiner Weise auf die Aufklärung des zwischen den Angaben der Sachverständigen Prof. J., V. und P. und den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. F. bestehenden Widerspruchs hinsichtlich der Frage hingewirkt hat, ob die fehlerhafte Handhabung der Nabelklemme als grob fehlerhaft zu bewerten ist. Der Privatsachverständige Prof. P. gab im Rahmen seiner Anhörung vor dem Berufungsgericht am 28. April 2005 an, dass eine Verletzung der Nabelschnur bei der Abnabelung passieren könne; dies sei kein Indiz für eine Sorgfaltspflichtverletzung. Der Schlichtungsgutachter Prof. V. hat sich dieser Beurteilung ausdrücklich angeschlossen. Auch der erste gerichtliche Sachverständige Prof. J. führte in seinem schriftlichen Gutachten vom 28. Januar 2003 aus, dass eine Verletzung der Nabelschnur beim Aufsetzen der Nabelklemmen nicht in jedem Fall vermeidbar sei. Es könne auch vorkommen, dass die Nabelklemmen, ohne dass dem ein grober Sorgfaltspflichtverstoß zugrunde liege, nicht bis zum Einrasten zusammengedrückt würden. Von dieser Beurteilung ist er in der mündlichen Verhandlung vom 28. April 2005 nicht abgerückt. Auch die sachverständigen Zeugen Dr. B. , der als Neonatologe mit der Erstversorgung der Klägerin befasst war, und Dr. Mö. , der die Klägerin abgenabelt hat, gaben an, dass es durchaus vorkomme, dass Nabelklemmen nicht erfolgreich gesetzt würden. So bekundete der Zeuge Dr. B. , dass Kinderärzte sich oft mit den Nabelklemmen zu befassen und auch erneut Nabelklemmen zu setzen hätten. Deshalb wisse er, dass es durchaus schwierig sei, eine solche Nabelklemme bis zum Klicken anzubringen. Nicht selten geschehe es, dass man das im letzten Augenblick nicht schaffe. Der Zeuge Dr. Mö. gab an, dass auch er schon einmal beim Setzen einer Nabelklemme zunächst gescheitert sei. Der nach Platzen der Fruchtblase zur Sectio hinzugezogene Chefarzt Dr. F. gab an, dass die Nabelschnur beim Setzen der Klemme "sehr glibberig" sei und verrutschen könne. Diese Angaben der genannten Sachverständigen und sachverständigen Zeugen durfte das Berufungsgericht bei seiner Entscheidungsfindung nicht außer Betracht lassen. Sie standen in klarem Widerspruch zu den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen Prof. F., wonach eine Verletzung der Nabelschnur ein extrem seltenes Ereignis sei, das nur durch ein grob fehlerhaftes Handeln verursacht werden könne. Das Berufungsgericht hat sowohl den allgemeinen Grundsatz übersehen, dass sich eine Partei die bei einer Beweisaufnahme zutage tretenden, ihr günstigen Umstände regelmäßig zumindest hilfsweise zu Eigen macht (vgl. Senatsurteile vom 8. Januar 1991 - VI ZR 102/90, VersR 1991, 467, 468 und vom 3. April 2001 - VI ZR 203/00, VersR 2001, 1174; Senatsbeschluss vom 10. November 2009 - VI ZR 325/08, VersR 2010, 497), als auch gegen seine Verpflichtung verstoßen, den ihm zur Entscheidung unterbreiteten Sachverhalt auszuschöpfen und sämtlichen Unklarheiten , Zweifeln oder Widersprüchen von Amts wegen nachzugehen (vgl. Senatsurteile vom 23. März 2004 - VI ZR 428/02, VersR 2004, 790; vom 8. Juli 2008 - VI ZR 259/06, VersR 2008, 1265, jeweils m.w.N.). Dem steht nicht entgegen, dass der Privatsachverständige Prof. P. und der Schlichtungsgutachter Prof. V. es als in besonders schwerem Maße sorgfaltswidrig angesehen haben, wenn Geburtshelfer eine Blutung aus der Nabelschnur nicht bemerken. Denn hierauf hat das Berufungsgericht seine Entscheidung nicht gestützt. Abgesehen davon hat der gerichtliche Sachverständige Prof. F. diese Einschätzung nicht geteilt. Er hat es für verständlich gehalten, wenn ein Geburtshelfer die durch eine Nabelklemmenverletzung verursachte Blutung nicht bemerke, da es hier um Sekundenbruchteile gehe.

Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Verletzten mitgewirkt, so finden die Vorschriften des § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuchs mit der Maßgabe Anwendung, dass im Fall der Beschädigung einer Sache das Verschulden desjenigen, welcher die tatsächliche Gewalt über die Sache ausübt, dem Verschulden des Verletzten gleichsteht.

(1) Hat bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, so hängt die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.

(2) Dies gilt auch dann, wenn sich das Verschulden des Beschädigten darauf beschränkt, dass er unterlassen hat, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die der Schuldner weder kannte noch kennen musste, oder dass er unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Die Vorschrift des § 278 findet entsprechende Anwendung.

(1) Das Gericht hat unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten sei. In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, die für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.

(2) An gesetzliche Beweisregeln ist das Gericht nur in den durch dieses Gesetz bezeichneten Fällen gebunden.