Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Nov. 2002 - V ZB 49/02

published on 21/11/2002 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 21. Nov. 2002 - V ZB 49/02
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
V ZB 49/02
vom
21. November 2002
In der Freiheitsentziehungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
AsylVfG §§ 13 Abs. 1, 14, 55 Abs. 1 S. 3

a) Die Aufenthaltsgestattung des unerlaubt aus einem sicheren Drittstaat in die
Bundesrepublik Deutschland eingereisten Ausländers setzt einen förmlichen Asylantrag
voraus.

b) Ein Asylgesuch setzt mehr als die bloße Verwendung des Wortes "Asyl" voraus;
hinzutreten müssen Erklärungen des Betroffenen oder sonstige tatsächliche Umstände
, die erkennen lassen, daß er Schutz vor einer aus seiner Sicht gegebenen
politischen Verfolgung sucht.
BGH, Beschl. v. 21. November 2002 - V ZB 49/02 - OLG Düsseldorf
LG Wuppertal
Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 21. November 2002 durch
die Richter Tropf, Dr. Klein, Dr. Lemke, Dr. Gaier und Dr. Schmidt-Räntsch

beschlossen:
Die sofortige weitere Beschwerde gegen den Beschluß der 6. Zivilkammer des Landgerichts Wuppertal vom 25. Juni 2002 wird auf Kosten des Betroffenen zurückgewiesen.
Der Antrag des Betroffenen vom 15. Juli 2002 auf Bewilligung von Prozeßkostenhilfe wird abgelehnt.
Der Gegenstandswert für das Verfahren der weiteren Beschwerde wird auf 3.000

Gründe:

I.

Der Betroffene, pakistanischer Staatsangehöriger, wurde am 22. April 2002 in einem Waldgebiet nahe W. ohne gültige Papiere festgenommen. Nach seinen Angaben war er über Italien nach Deutschland eingereist. Bei seiner Vernehmung durch die Polizei erklärte er unter anderem:
"Jetzt bin ich hier und jetzt bleib ich auch hier. Wo ich genau hinwollte , ist mir egal. ... Wenn ich Arbeit bekomme, dann arbeite ich auch. N. hat mir gesagt, wenn ich in Deutschland bin, dann bekomme ich auch Asyl. Deshalb bin ich jetzt hier.“
Nach Anhörung des Betroffenen, bei der dieser seine gegenüber der Polizei gemachten Angaben als richtig bestätigte, hat das Amtsgericht gegen ihn mit Beschluß vom 23. April 2002 Sicherungshaft gemäß § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AuslG für die Dauer von drei Monaten angeordnet. Hiergegen hat der Betroffene mit anwaltlichem Schriftsatz vom 5. Mai 2002 Beschwerde eingelegt. Am 8. Mai 2002 wurde der Ausländerbehörde der Antragstellerin vom Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mitgeteilt, daß der Betroffene dort einen Asylantrag gestellt habe. Aus diesem Grunde wurde der Betroffene am 16. Mai 2002 aus der Haft entlassen. Daraufhin hat er im Beschwerdeverfahren die Feststellung beantragt, daß die Anordnung der Haft rechtswidrig gewesen sei. Mit Beschluß vom 25. Juni 2002, dem Betroffenen zugestellt am 1. Juli 2002, hat das Landgericht festgestellt, daß die Fortdauer der Haft vom 9. Mai 2002 bis zum 16. Mai 2002 rechtswidrig gewesen sei; im übrigen hat es den Feststellungsantrag und die Beschwerde zurückgewiesen. Dagegen richtet sich die am 15. Juli 2002 beim Landgericht eingegangene sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen, die das Oberlandesgericht zurückweisen möchte. Es sieht sich daran jedoch durch den Beschluß des Oberlandesgerichts Köln vom 15. April 2002, 16 Wx 58/02, gehindert und hat die Sache deshalb dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt.

II.


Die Vorlage ist gemäß § 28 Abs. 2 FGG i. V. mit § 103 Abs. 2 Satz 1 AuslG und § 3 Satz 2 FEVG zulässig, da das vorlegende Gericht bei der Auslegung der bundesgesetzlichen Vorschrift des § 13 Abs. 1 AsylVfG von dem auf weitere Beschwerde ergangenen Beschluß des Oberlandesgerichts Köln vom 15. April 2002 abweichen will.

Das vorlegende Gericht geht davon aus, daß ein Ausländer auch im Fall der unerlaubten Einreise aus einem sicheren Drittstaat durch das gegenüber einer mit ausländerrechtlichen Fragen befaßten amtlichen Stelle geäußerte Asylgesuch eine der Anordnung von Sicherungshaft gemäß § 57 Abs. 2 AuslG entgegenstehende Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Abs. 1 AsylVfG erwerben kann, wenn und weil die betreffende Stelle – Polizei, Ausländerbehörde oder Haftrichter – zur Aufnahme und Weiterleitung des Gesuchs an die zuständige Behörde, die Bundesanstalt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, verpflichtet ist. Ein zur Weiterleitung verpflichtendes Asylgesuch im Sinne von § 13 Abs. 1 AsylVfG liege allerdings nicht vor, wenn sich der Betroffene – wie hier - ohne weitere Begründung auf Asyl berufe und sein Begehren nicht erkennen lasse, daß er politische Verfolgung fürchtet. Demgegenüber meint das Oberlandesgericht Köln, bereits die Verwendung des Wortes "Asyl“ lasse mangels entgegenstehender Anhaltspunkte darauf schließen, daß sich der Betroffene auf politische Gründe berufen wolle; eine weitergehende Begründung sei nicht erforderlich.
Die im Beschwerdeverfahren zu prüfende Rechtmäßigkeit der Haftanordnung hängt damit nach der für die Zulässigkeit der Vorlage maßgeblichen rechtlichen Beurteilung des vorlegenden Gerichts (vgl. Senat, Beschl. v. 28. Februar 2001, V ZB 8/01, NVwZ-Beilage I 7/2001, 62 m. w. Nachw.) von der streitigen Rechtsfrage ab, welche Anforderungen an das Vorliegen eines Asylgesuchs zu stellen sind. Zwar haben beide Oberlandesgerichte ein übereinstimmendes Verständnis von dem in § 13 Abs. 1 AsylVfG im Sinne eines formlosen Asylgesuchs (Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl., § 13 AsylVfG Rdn. 3) verwendeten Begriff des Asylantrags. Insbesondere gehen sie davon aus, daß
ein Asylgesuch im Rechtssinn nur dann vorliegt, wenn sich dem geäußerten Willen des Ausländers entnehmen läßt, daß er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht. Meinungsunterschiede bestehen jedoch bei der Subsumtion des Sachverhalts, nämlich der nicht näher begründeten Berufung auf Asyl, unter die gesetzliche Vorschrift des § 13 Abs. 1 AsylVfG. Damit betrifft der Streit die Auslegung dieser Rechtsnorm (vgl. BGH, Beschl. v. 9. Oktober 1956, II ZB 11/56, NJW 1957, 19, 20; Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 14. Aufl., § 28 Rdn. 13; Jansen, FGG, 2. Aufl., § 28 Rdn. 8; Bumiller/Winkler, FGG, 7. Aufl., § 28 Rdn. 6).

III.


Die sofortige weitere Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet.
1. Soweit das Landgericht die sofortige Beschwerde des Betroffenen mit Beschluß vom 25. Juni 2002 zurückgewiesen hat, ist die sofortige weitere Beschwerde gemäß §§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 2 FGG i. V. mit § 103 Abs. 2 Satz 1 AuslG, § 3 Satz 2 FEVG statthaft. Sie wurde vom Betroffenen form- und fristgerecht eingelegt (§§ 29 Abs. 4, 21 Abs. 2, 22 Abs. 1 FGG). Zwar hat der Senat ein Rechtsschutzbedürfnis für die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme verneint, wenn sich in einer Abschiebungshaftsache die Hauptsache durch Entlassung des Betroffenen aus der Haft erledigt hat (Senat, BGHZ 139, 254). Zwischenzeitlich hat jedoch das Bundesverfassungsgericht in diesen Fällen ein Feststellungsinteresse im Hinblick auf das bei Freiheitsentziehungen bestehende Rehabilitierungsinteresse des Betroffenen anerkannt (BVerfG,
Beschl. v. 5. Dezember 2001, NJW 2002, 2456). Dem ist das Landgericht in dem angefochtenen Beschluß zu Recht gefolgt.
2. In der Sache selbst hat die sofortige weitere Beschwerde keinen Erfolg , da die Anordnung der Sicherungshaft durch das Amtsgericht rechtmäßig war.

a) Nach § 57 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i. V. mit § 61 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 AuslG ist ein Ausländer zur Sicherung der Zurückschiebung auf richterliche Anordnung in Haft zu nehmen, wenn er aufgrund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig ist. Ausweislich der Antragsschrift vom 23. April 2002 beabsichtigte die Ausländerbehörde der Antragstellerin, den Betroffenen nach Italien zurückzuschieben. Von dort aus war der Betroffene ohne die erforderliche Aufenthaltsgenehmigung (§ 3 Abs. 1 Satz 1 AuslG) und ohne Paß und damit unerlaubt eingereist (§ 58 Abs. 1 AuslG). Er war deshalb gemäß § 42 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 AuslG vollziehbar zur Ausreise verpflichtet. Durch die gegenüber der Polizei erfolgte Berufung auf "Asyl" hat der Betroffene keine Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erworben. Dabei kommt es entgegen der Auffassung des vorlegenden Gerichts nicht darauf an, ob die Erklärung des Betroffenen als Asylgesuch im Sinne von § 13 Abs. 1 AsylVfG zu verstehen ist. Da der Betroffene aus einem sicheren Drittstaat (§ 26 a Abs. 2 AsylVfG) unerlaubt eingereist war, setzte die Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylVfG einen förmlichen Asylantrag im Sinne von § 14 AsylVfG voraus, den der Betroffene jedoch erst nach der Haftanordnung gestellt hat. Soweit das vorlegende Gericht annimmt, bereits das – formlose – Asylgesuch könne eine Aufenthaltsgestattung begründen, wenn die Stelle, der gegenüber es geäußert wird, zu seiner Aufnahme und Weiterleitung
an die Bundesanstalt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge verpflichtet sei, findet dies in § 55 Abs. 1 AsylVfG keine Stütze. Die an das Asylgesuch anknüpfende Aufenthaltsgestattung nach Satz 1 dieser Vorschrift ist der wirksamen Asylantragstellung zeitlich vorgelagert, um den durch die verfassungsrechtliche Asylgarantie geforderten Abschiebungs- und Verfolgungsschutz effektiv zu gewährleisten (Marx, AsylVfG, 3. Aufl., § 55 Rdn. 4). Der aus einem sicheren Drittstaat unerlaubt eingereiste Ausländer genießt aber nach Art. 16 a Abs. 2 GG kein Asylrecht, so daß in diesen Fällen für eine Vorverlagerung des Aufenthaltsrechts keine Veranlassung besteht. Darüber hinaus schreibt das Asylverfahrensgesetz eine Weiterleitung nur für schriftliche Asylanträge vor, die bei der Ausländerbehörde eingereicht werden (§ 14 Abs. 2 Satz 2 AsylVfG). Die Aufnahme eines mündlichen Antrags zur Niederschrift und dessen Weiterleitung , zumal durch die Polizei oder den Haftrichter, ist weder im Verwaltungsverfahrensgesetz noch im Asylverfahrensgesetz vorgesehen. Mündliche Anträge sind danach nur bei der Bundesanstalt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge möglich (Renner, a. a. O., § 14 Rdn. 5, 14; Marx, a. a. O., § 14 Rdn. 10). War dem Betroffenen damit der Aufenthalt im Bundesgebiet im Zeitpunkt der Haftanordnung – noch – nicht gestattet, dann bestehen an deren Rechtmäßigkeit keine Zweifel.

b) Unabhängig hiervon ist dem vorlegenden Gericht allerdings darin zuzustimmen , daß die Erklärung des Betroffenen gegenüber der Polizei nicht als Asylgesuch verstanden werden kann. Die vom Oberlandesgericht Köln vertretene Auffassung, allein die Verwendung des Wortes "Asyl" lasse darauf schließen, daß sich der Betroffene auf politische Gründe berufen wolle, verkennt , daß der Asylbegriff keinen vorgegebenen allgemeingültigen Inhalt hat, sondern als Rechtsbegriff der näheren Ausgestaltung durch den Gesetzgeber
und die Rechtsprechung unterliegt. Es kann deshalb nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß derjenige, der diesen Begriff verwendet, ihn gerade in dem durch § 13 Abs. 1 AsylVfG festgelegten Sinn versteht. Denkbar ist weiterhin , daß dem jeweils Betroffenen die Bedeutung des Wortes "Asyl" überhaupt nicht bekannt ist (vgl. den der Entscheidung OVG Münster, NVwZ-RR 1989, 390 zugrundeliegenden Sachverhalt). Ein Asylgesuch setzt daher mehr als die bloße Verwendung des Wortes "Asyl" voraus (OVG Münster, a. a. O; Marx, a. a. O, § 13 Rdn. 3). Hiervon ist auch der Gesetzgeber ausgegangen (BT-Drucks. 9/875, S. 15). Hinzutreten müssen Erklärungen des Betroffenen, insbesondere eine kurze Begründung seines Asylbegehrens, oder sonstige tatsächliche Umstände, die erkennen lassen, daß der Betroffene Schutz vor einer aus seiner Sicht gegebenen politischen Verfolgung sucht (KG, FGPrax 1997, 116; Renner, a. a. O., § 13 AsylVfG, Rdn. 4 f; GK-AsylVfG, Stand: Juli 1998, § 13 Rdn. 38 f). Derartige Anhaltspunkte sind im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Den Angaben des Betroffenen gegenüber der Polizei läßt sich lediglich entnehmen, daß er bereit ist zu arbeiten. Dies deutet eher darauf hin, daß seine Einreise wirtschaftlich motiviert war.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 15 Abs. 1, 14 Abs. 3 FEVG.
4. Prozeßkostenhilfe für das Verfahren über die sofortige weitere Be- schwerde war mangels hinreichender Erfolgsaussicht nicht zu bewilligen (§ 114 ZPO i. V. mit § 103 Abs. 2 Satz 1 AuslG, § 3 Satz 2 FEVG, § 14 FGG).
Tropf Klein Lemke Gaier Schmidt-Räntsch
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Annotations

(1) Eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, erhält auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die grenzüberschreitende Prozesskostenhilfe innerhalb der Europäischen Union gelten ergänzend die §§ 1076 bis 1078.

(2) Mutwillig ist die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung, wenn eine Partei, die keine Prozesskostenhilfe beansprucht, bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung absehen würde, obwohl eine hinreichende Aussicht auf Erfolg besteht.