Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Dez. 2014 - IX ZR 88/14
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
beschlossen:
Der Streitwert wird auf 214.051,11 € festgesetzt.
Gründe:
- 1
- Die Beschwerde deckt keinen Zulassungsgrund auf.
- 2
- 1. Soweit das Berufungsgericht eine mindestens drohende Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin als Grundlage der subjektiven Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO festgestellt hat, greift ein Zulassungsgrund nicht durch.
- 3
- Das Berufungsgericht hat das Schreiben der Beklagten vom 11. Oktober 2007 in tatrichterlicher Auslegung ohne zulassungsrelevanten Rechtsfehler dahin gedeutet, dass die Beklagte den gesamten Darlehensbetrag fällig gestellt hat, zu dessen Rückzahlung die Schuldnerin außerstande war. Von einer unbe- denklichen Willensrichtung der Beteiligten kann nicht mit Rücksicht auf einen ernsthaften, aber gescheiterten Sanierungsversuch ausgegangen werden, weil es nach den tatgerichtlichen Feststellungen sowohl an einem endgültigen, schlüssigen Sanierungskonzept (vgl. BGH, Urteil vom 3. April 2014 - IX ZR 201/13, WM 2014, 1009 Rn. 40 f) als auch der Zustimmung der hauptsächlichen Kreditgeber (vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 2011 - IX ZR 156/09, WM 2012, 146 Rn. 13) und der um Nachschüsse ersuchten Kommanditisten fehlte.
- 4
- 2. Die geltend gemachten Gehörsrügen (Art. 103 Abs. 1 GG) greifen nicht durch.
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- a) Im Blick auf den angebotenen Zeugen- und Sachverständigenbeweis ist das Berufungsgericht zutreffend von einer fehlenden Substantiierung ausgegangen.
- 6
- b) Der Antritt des Zeugenbeweises unter Bezug auf den "zuständigen Mitarbeiter" war überdies auch deshalb unbeachtlich, weil die Beweisperson nicht benannt wurde. Die Berufung auf das "Zeugnis NN" reicht als Beweisantritt gemäß § 373 ZPO grundsätzlich nicht aus (BGH, Urteil vom 16. März 1983 - VIII ZR 346/81, NJW 1983, 1905, 1908 aE; vom 4. März 2011 - V ZR 190/10, NJW 2011, 1738 Rn. 8). Ausnahmsweise ist ein Angebot auf Vernehmung eines mit "NN" benannten Zeugen zu berücksichtigen, wenn dieser - etwa durch Hinweis auf seine konkrete betriebliche Funktion - hinreichend individualisierbar ist (BGH, Urteil vom 5. Mai 1998 - VI ZR 24/97, NJW 1998, 2368, 2369). Die pauschale Benennung eines "instruierten Mitarbeiters" lässt die gebotene Individualisierung vermissen (BFH, Beschluss vom 29. Juni 2010 - III B 168/09, BFH/NV 2010, 1847 Rn. 7). Ebenso verhält es sich im Streitfall, wo sich die Beklagte auf das Zeugnis des "zuständigen Mitarbeiters" berufen hat.
- 7
- c) Das Berufungsgericht hat kein aus seiner rechtlichen Warte erhebliches tatsächliches Vorbringen der Beklagten übergangen. Der zum 31. Dezember 2006 erstellte, von der Beschwerde einseitig zu ihren Gunsten fehlinterpretierte Jahresabschluss der Schuldnerin ist jedenfalls für die Beurteilung ihrer Zahlungsfähigkeit ohne Bedeutung, weil er nicht den hier einschlägigen Zahlungszeitraum ab November 2007 betrifft (vgl. BGH, Urteil vom 19. Juni 2012 - II ZR 243/11, WM 2012, 1539 Rn. 16). Das Prolongationsangebot der Schuldnerin im Schreiben vom 25. September 2007 war aufgrund der Fälligstellung des Darlehens durch das Schreiben vom 11. Oktober 2007 überholt.
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- 3. Die angefochtene Entscheidung wirft, soweit das Berufungsgericht aus der Kenntnis der drohenden Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin die subjekti- ven Voraussetzungen des § 133 Abs. 1 InsO hergeleitet hat, einen Rechtsfortbildungsbedarf nicht auf.
Vorinstanzen:
LG Berlin, Entscheidung vom 07.02.2013 - 5 O 82/12 -
KG Berlin, Entscheidung vom 21.03.2014 - 14 U 24/13 -
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(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wußte, daß die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und daß die Handlung die Gläubiger benachteiligte.
(2) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, beträgt der Zeitraum nach Absatz 1 Satz 1 vier Jahre.
(3) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, welche dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, tritt an die Stelle der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nach Absatz 1 Satz 2 die eingetretene. Hatte der andere Teil mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung getroffen oder diesem in sonstiger Weise eine Zahlungserleichterung gewährt, wird vermutet, dass er zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte.
(4) Anfechtbar ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138) geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen worden ist oder wenn dem anderen Teil zur Zeit des Vertragsschlusses ein Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt war.
Der Zeugenbeweis wird durch die Benennung der Zeugen und die Bezeichnung der Tatsachen, über welche die Vernehmung der Zeugen stattfinden soll, angetreten.
Tatbestand
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I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) erhielt Kindergeld für ihre Tochter (T). Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) hob mit Bescheid vom 4. April 2008 die Festsetzung für die Monate November 2005 bis August 2006, Dezember 2006 bis Februar 2007 und April 2007 bis Juli 2007 auf und forderte einen Betrag von insgesamt 2.618 € zurück, da T in diesen Zeiträumen nicht als Bewerberin für einen Ausbildungsplatz gemeldet gewesen sei und die Klägerin auch keine Unterlagen vorgelegt habe, aus denen eine ernsthafte Ausbildungsstellensuche ersichtlich sei. Der Einspruch hatte keinen Erfolg. Im anschließenden Verfahren vor dem Finanzgericht (FG) bot die Klägerin im Schriftsatz vom 19. Juni 2009 das "Zeugnis eines instruierten Mitarbeiters der Personalabteilung des jeweiligen Betriebes" an. Mit Erklärung vom 9. September 2009 verzichtete sie auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Das FG wies die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, T sei in den streitigen Zeiträumen nicht bei der Berufsberatung gemeldet gewesen. Ausreichende Nachweise für eigene Bemühungen um einen Ausbildungsplatz habe die Klägerin nicht vorgelegt.
- 2
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Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, das FG sei seiner Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts nicht nachgekommen, da es die angebotenen Beweise nicht erhoben habe. Außerdem habe es das rechtliche Gehör verletzt. Sie, die Klägerin, habe vorgetragen, bei welchen Ausbildungsbetrieben sich T beworben habe, auch habe sie Kopien von Bewerbungsschreiben und Absagen vorgelegt. Weiterhin habe sie die Zeugeneinvernahme von Mitarbeitern der Personalabteilung der jeweiligen Betriebe angeboten. Das Gericht hätte darüber hinaus T als Zeugin vernehmen können. Eine weitere Aufklärung des Sachverhalts wäre geboten und notwendig gewesen. Das angefochtene Urteil sei eine Überraschungsentscheidung. Sie, die Klägerin, habe dem Gericht mitgeteilt, dass weitere schriftliche Nachweise zu den Bewerbungsbemühungen nicht mehr vorhanden seien. Außerdem habe sie um einen richterlichen Hinweis für den Fall gebeten, dass das Gericht weiteren Sach- und Rechtsvortrag als notwendig erachten sollte. Ungeachtet dessen habe das FG ein klageabweisendes Urteil gefällt. Mit einer solchen Verfahrensbeendigung sei nicht zu rechnen gewesen.
Entscheidungsgründe
- 3
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II. Die Beschwerde ist unbegründet und wird durch Beschluss zurückgewiesen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die von der Klägerin geltend gemachten Verfahrensmängel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegen nicht vor.
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1. Die Rüge der Verletzung der Verpflichtung zur Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) führt nicht zum Erfolg.
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a) Die Klägerin ist der Ansicht, das FG hätte von Amts wegen T als Zeugin vernehmen müssen. Dieses Vorbringen rechtfertigt jedoch nicht die Zulassung der Revision. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, weshalb sich dem FG --auch ohne entsprechenden Antrag-- eine Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen (s. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. Oktober 2008 X B 248/07, BFH/NV 2009, 186).
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b) Soweit die Klägerin geltend macht, das FG habe zu Unrecht Mitarbeiter von Firmen, bei denen sich S beworben habe, nicht als Zeugen vernommen, kann sie mit diesem Einwand schon deshalb nicht gehört werden, weil sie im Schriftsatz vom 9. September 2009 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet hat (§ 90 Abs. 2 FGO). Damit hat sie zugleich den Verzicht auf die zuvor beantragte Zeugeneinvernahme erklärt (BFH-Beschlüsse vom 5. Oktober 2000 V B 74/00, BFH/NV 2001, 330; vom 2. August 2006 VII S 56/05 (PKH), BFH/NV 2006, 2116, und vom 26. Oktober 2006 VII B 272/05, BFH/NV 2007, 725).
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c) Unabhängig hiervon brauchte das FG dem Beweisangebot nicht nachzugehen, da die Klägerin den Beweis nicht ordnungsgemäß angetreten hatte. Nach § 82 FGO i.V.m. § 373 der Zivilprozessordnung (ZPO) wird der Zeugenbeweis durch die Benennung der Zeugen und die Bezeichnung der Tatsachen, über welche die Vernehmung der Zeugen stattfinden soll, angetreten. Die Klägerin hat jedoch nur pauschal "instruierte Mitarbeiter der Personalabteilung des jeweiligen Betriebes" benannt.
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2. Das FG hat auch keine Überraschungsentscheidung getroffen und nicht den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör verletzt (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO).
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a) Eine Überraschungsentscheidung liegt vor, wenn das FG sein Urteil auf einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Auffassung nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht rechnen musste (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschluss vom 17. März 2008 IX B 258/07, BFH/NV 2008, 1180). Die Klägerin sieht eine Gehörsverletzung darin, dass das FG sein Urteil gefällt habe, ohne zuvor den Beweisangeboten nachgegangen zu sein. Ein fachkundig vertretener Prozessbeteiligter kann jedoch nicht davon überrascht sein, dass ein Gericht einen Zeugenbeweis, der nicht den Vorgaben des § 373 ZPO entspricht, nicht erhebt.
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b) Soweit die Klägerin sinngemäß beanstandet, das FG habe gegen die Pflicht zur Erteilung eines Hinweises nach § 76 Abs. 2 FGO verstoßen, ist diese Rüge ebenfalls unbegründet. Ein richterlicher Hinweis nach § 76 Abs. 2 FGO soll zur Gewährleistung eines fairen Verfahrens, zur Wahrung des Anspruchs auf rechtliches Gehör und zur Vermeidung von Überraschungsentscheidungen Schutz und Hilfestellung für die Beteiligten geben, ohne dass deren Eigenverantwortlichkeit eingeschränkt wird. Bei Beteiligten, die --wie die Klägerin-- im finanzgerichtlichen Verfahren durch einen fach- und sachkundigen Prozessbevollmächtigten vertreten sind, stellt das Unterlassen eines richterlichen Hinweises in der Regel keine Verletzung der Pflicht aus § 76 Abs. 2 FGO dar (z.B. BFH-Beschluss vom 19. Januar 2010 IV B 136/08, BFH/NV 2010, 918).
(1) Anfechtbar ist eine Rechtshandlung, die der Schuldner in den letzten zehn Jahren vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag mit dem Vorsatz, seine Gläubiger zu benachteiligen, vorgenommen hat, wenn der andere Teil zur Zeit der Handlung den Vorsatz des Schuldners kannte. Diese Kenntnis wird vermutet, wenn der andere Teil wußte, daß die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners drohte und daß die Handlung die Gläubiger benachteiligte.
(2) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, beträgt der Zeitraum nach Absatz 1 Satz 1 vier Jahre.
(3) Hat die Rechtshandlung dem anderen Teil eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht, welche dieser in der Art und zu der Zeit beanspruchen konnte, tritt an die Stelle der drohenden Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nach Absatz 1 Satz 2 die eingetretene. Hatte der andere Teil mit dem Schuldner eine Zahlungsvereinbarung getroffen oder diesem in sonstiger Weise eine Zahlungserleichterung gewährt, wird vermutet, dass er zur Zeit der Handlung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners nicht kannte.
(4) Anfechtbar ist ein vom Schuldner mit einer nahestehenden Person (§ 138) geschlossener entgeltlicher Vertrag, durch den die Insolvenzgläubiger unmittelbar benachteiligt werden. Die Anfechtung ist ausgeschlossen, wenn der Vertrag früher als zwei Jahre vor dem Eröffnungsantrag geschlossen worden ist oder wenn dem anderen Teil zur Zeit des Vertragsschlusses ein Vorsatz des Schuldners, die Gläubiger zu benachteiligen, nicht bekannt war.