Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Feb. 2009 - IV ZR 193/07

bei uns veröffentlicht am18.02.2009
vorgehend
Landgericht Verden (Aller), 8 O 449/05, 30.08.2006
Oberlandesgericht Celle, 8 U 225/06, 31.05.2007

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
IV ZR 193/07
vom
18. Februar 2009
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Eine Partei, die in Kenntnis eines bereits ergangenen Urteils eine Reise antritt
, muss noch vor der Abreise Kontakt mit ihrem Prozessbevollmächtigten
aufnehmen, ihn jedenfalls über die bevorstehende Abwesenheit unterrichten
und sicherstellen, dass rechtzeitig vor Ablauf der Rechtsmittelfrist zumindest
telefonisch eine Entscheidung über die - gegebenenfalls vorsorgliche - Einlegung
des Rechtsmittels getroffen werden kann.
BGH, Beschluss vom 18. Februar 2009 - IV ZR 193/07 - OLG Celle
LG Verden
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf
und den Richter Felsch
am 18. Februar 2009

beschlossen:
Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des 8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Celle vom 31. Mai 2007 wird zurückgewiesen.

Gründe:


1
Der am 24. Juli 2007 eingegangene und mit der Nichtzulassungsbeschwerde verbundene Wiedereinsetzungsantrag hat in der Sache keinen Erfolg. Der Kläger war nicht ohne sein Verschulden verhindert, die am 6. Juli 2007 abgelaufene Frist zur Einlegung der Beschwerde einzuhalten.
2
Das ergibt sich bereits aus seinem eigenen Vortrag: Er habe in der mündlichen Verhandlung vom 11. Mai 2007 den Eindruck eines für ihn ungünstigen Prozessverlaufs gewonnen. Deshalb sei er in einem Gespräch mit seinem Prozessbevollmächtigten vom 14. Mai 2007 übereingekommen , bei einer erfolglosen Berufung alle Rechtsmittel bis zum Bundesgerichtshof auszuschöpfen, zunächst aber das Urteil abzuwarten. Am 1. Juni 2007, dem Tag nach der Verkündung, habe er fernmündlich von dem negativen Ergebnis erfahren, das schriftliche Urteil könne aber eventuell vier Wochen dauern. Er habe daraufhin die Sekretärin seines Prozessbevollmächtigten gebeten, das Urteil nach Eingang schnell zu übersenden, damit sofort Rechtsmittel dagegen eingelegt würden. Am 9. Juni 2007 sei er telefonisch darüber informiert worden, dass in sein Haus in Brasilien eingebrochen worden sei, wegen der Gefahr der Entwendung der gesamten Einrichtung müsse er sofort kommen. Die Flugtickets habe er am 10. Juni 2007 gekauft, am 18. Juni 2007 sei er abgeflogen und am 16. Juli 2007 zurückgereist. Von dem - mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 18. Juni 2007 an ihn abgesandten - schriftlichen Urteil habe er erst nach der Rückkehr Kenntnis nehmen können. Bis zur Abreise habe er sich keine Sorgen darüber gemacht, zumal er das Schriftstück erst zum Monatsende erwartet und die Angelegenheit bei seinem Prozessbevollmächtigten in besten Händen zu wissen geglaubt habe.
3
Dieser Vortrag ist nicht geeignet, die Versäumung der Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zu entschuldigen. Eine Partei , die in Kenntnis eines bereits ergangenen Urteils eine Reise antritt, muss noch vor der Abreise Kontakt mit ihrem Prozessbevollmächtigten aufnehmen, ihn jedenfalls über die bevorstehende Abwesenheit unterrichten und sicherstellen, dass rechtzeitig vor Ablauf der Rechtsmittelfrist zumindest telefonisch eine Entscheidung über die - gegebenenfalls vorsorgliche - Einlegung des Rechtsmittels getroffen werden kann. Bleibt die Partei stattdessen untätig, trifft sie ein die Wiedereinsetzung ausschließendes Verschulden, weil sie nicht die Sorgfalt aufgewendet hat, die man verständigerweise von ihr erwarten konnte (vgl. BGH, Beschlüs- se vom 24. Juli 2000 - II ZB 22/99 - NJW 2000, 3143 unter II und vom 19. Dezember 1994 - II ZR 174/94 - VersR 1995, 810 unter 2, jeweils m.w.N.). So liegt es hier, weil es dem Kläger möglich und zumutbar war, in der Zeit zwischen dem 9. und dem 18. Juni 2007 mit seinem Prozessbevollmächtigten Kontakt aufzunehmen, dem das Berufungsurteil bereits am 6. Juni 2007 zugestellt worden war, und mit diesem die für die rechtzeitige Einlegung der Beschwerde erforderlichen Absprachen zu treffen.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch

Vorinstanzen:
LG Verden, Entscheidung vom 30.08.2006 - 8 O 449/05 -
OLG Celle, Entscheidung vom 31.05.2007 - 8 U 225/06 -

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Zivilprozessordnung - ZPO | § 233 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand


War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wieder

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Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Juli 2000 - II ZB 22/99

bei uns veröffentlicht am 24.07.2000

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS II ZB 22/99 vom 24. Juli 2000 in Sachen Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 233 I Zur schuldhaften Versäumung der Berufungsfrist durch eine Prozeßpartei, die in Kenntnis des bereits drei Wochen.
1 Urteil(e) in unserer Datenbank zitieren Bundesgerichtshof Beschluss, 18. Feb. 2009 - IV ZR 193/07.

Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Nov. 2018 - IX ZA 14/18

bei uns veröffentlicht am 22.11.2018

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS IX ZA 14/18 vom 22. November 2018 in dem Rechtsstreit Nachschlagewerk: ja BGHZ: nein BGHR: ja ZPO § 233 Satz 1 I, § 700 Abs. 1, § 339 Verfolgt der Kläger eine erhebliche Forderung mit einem Mahnbescheid

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War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
II ZB 22/99
vom
24. Juli 2000
in Sachen
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Zur schuldhaften Versäumung der Berufungsfrist durch eine Prozeßpartei,
die in Kenntnis des bereits drei Wochen zurückliegenden Verkündungstermins
für längere Zeit in das Ausland reist.
BGH, Beschluß vom 24. Juli 2000 - II ZB 22/99 - OLG München
LG München I
Der II. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 24. Juli 2000 durch den Vorsitzenden
Richter Dr. h.c. Röhricht und die Richter Prof. Dr. Henze,
Prof. Dr. Goette, Dr. Kurzwelly und die Richterin Münke

beschlossen:
Die sofortige Beschwerde gegen den Beschluß des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 22. November 1999 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Streitwert: 60.000,-- DM.

Gründe:


I. Das Schlußurteil des Landgerichts München I vom 11. August 1999, durch das die Widerklage der Beklagten auf Auskunft und Zahlung der sich daraus ergebenden Überschußanteile in Zusammenhang mit der Beendigung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechtes zwischen den Parteien abgewiesen worden ist, wurde den erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Beklagten am 26. August 1999 zugestellt. Diese übersandten der Beklagten unter ihrer M.er Wohnadresse am 22. September 1999 eine Urteilsausfertigung; zugleich erteilten sie ihr in einem Begleitschreiben eine Rechtsmittelbelehrung mit Berechnung der Berufungsfrist und wiesen darauf hin, daß sie ein Rechtsmittel für aussichtslos hielten und es daher nur bei schriftlicher Weisung bis zum 27. September 1999 einlegen würden. Die seit dem 2. September 1999 nach U. v erreiste Beklagte nahm hiervon erst bei ihrer Rückkehr am
10. Oktober 1999 Kenntnis. Die von ihr sodann veranlaßte Berufung ging am 18. Oktober 1999 bei Gericht ein. Mit dem gleichzeitig eingereichten Wiedereinsetzungsgesuch macht die Beklagte geltend, unverschuldet die Berufungseinlegungsfrist versäumt zu haben. Wegen eines am 22. Juli 1999 in U. erlittenen schweren Verkehrsunfalls habe sie sich zunächst dort und anschließend vom 15. August bis 1. September 1999 in M. in stationärer Krankenhausbehandlung befunden; am 2. September 1999 sei sie wieder nach U. gefahren, wo sie sich wegen der Unfallfolgen – unvorhergesehen - erneut in ärztliche Behandlung habe begeben müssen, so daß sie nicht vor dem 10. Oktober 1999 reisefähig gewesen sei. Das Oberlandesgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch durch Beschluß vom 22. November 1999 zurückgewiesen. Dagegen wendet sich die Beklagte mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten sofortigen Beschwerde.
II. Das Rechtsmittel der Beklagten hat keinen Erfolg.
Das Oberlandesgericht hat die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsfrist zu Recht versagt. Der Sachvortrag der Beklagten ergibt nicht, daß sie ohne ihr Verschulden gehindert war, die Berufungsfrist einzuhalten (§ 233 ZPO).
Der Beklagten war nach dem rechtkräftigen Teilurteil zur Klage das fortgeschrittene Stadium des Prozesses hinsichtlich der Widerklage bekannt. Nach der Beweisaufnahme durch den beauftragten Richter war in der abschließenden mündlichen Verhandlung vom 28. Juli 1999 vor der Kammer des Landgerichts Verkündungstermin auf den 11. August 1999 anberaumt worden. Selbst wenn die Beklagte in der Schlußverhandlung nicht persönlich anwesend war, so hat sie doch - nach dem unbestrittenen Klägervortrag - das entspre-
chende Terminsprotokoll mit dem darin ausgewiesenen Verkündungstermin noch vor ihrer erneuten Abreise ins Ausland am 2. September 1999 zur Kenntnisnahme erhalten. Deshalb mußte sie damit rechnen, daß am 11. August 1999 ein - für sie möglicherweise negatives - Urteil ergangen und ihren Prozeßbevollmächtigten alsbald danach zugestellt worden war. Die offenbar im Umgang mit den Gerichten nicht unerfahrene Beklagte hat noch vor ihrer Abreise nach U. am 2. September 1999 dem Landgericht per Fax und Brief eine Stellungnahme in einer Kostenfestsetzungssache bezüglich des landgerichtlichen Teilurteils zukommen lassen. Daher hätte es bei sorgfältiger Beachtung ihrer eigenen prozessualen Belange nahegelegen, sich noch vor der Abreise bei ihren Prozeßbevollmächtigten nach dem für sie wesentlichen Ergebnis des Verkündungstermins vom 11. August 1999 zu erkundigen. Wenn sie aber ohne eine solche - schon zu diesem Zeitpunkt naheliegende - Nachfrage ins Ausland verreiste, so mußte sie zumindest sicherstellen, daß sie für ihre Anwälte erreichbar blieb, oder rechtzeitig von sich aus in der Folgezeit mit ihnen Kontakt wegen der verkündeten Entscheidung und des Laufes der Rechtsmittelfrist aufnehmen (Sen.Beschl. v. 19. Dezember 1994 - II ZR 174/94, VersR 1995, 810, 811 m.w.N.). Dies galt um so mehr, als nach Aktenlage ihre erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten offensichtlich nicht ohne ausdrückliche schriftliche Ermächtigung zur Veranlassung der Einlegung der Berufung im Falle eines die Widerklage abweisenden Urteils bevollmächtigt waren, die Beklagte mithin nicht davon ausgehen konnte, diese würden das Erforderliche von sich aus ohne erneute Rücksprache veranlassen. Daß der Beklagten eine telefonische oder telegrafische Kontaktaufnahme zu ihren erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten vor Ablauf der Berufungsfrist aus U. nicht möglich gewesen wäre, ist weder dargetan noch sonst ersichtlich. Die von der Beklagten vorgetragene Reiseunfähigkeit bis zum 10. Oktober 1999 infolge einer Kniegelenksentzündung mit entsprechender Bewegungseinschränkung hinderte ledig-
lich die vorzeitige Heimkehr, nicht jedoch die zumutbare Erkundigung bei ihren Rechtsanwälten. Der Beklagten war es sogar bei früherer Gelegenheit, als sie sich unmittelbar nach dem erlittenen Verkehrsunfall schwerverletzt in ärztlicher Behandlung in U. befand, ohne weiteres möglich, telefonisch Kontakt mit der Geschäftsstelle des Landgerichts aufzunehmen, um eine Fristverlängerung zur Stellungnahme in der bereits erwähnten Kostenfestsetzungssache zu erreichen. Dann konnte von ihr erst recht erwartet werden, daß sie sich rechtzeitig über den Inhalt der Entscheidung vom 11. August 1999 und eine etwaige Rechtsmittelfrist bei ihren Rechtsanwälten telefonisch oder telegrafisch erkundigte. Blieb sie - wie geschehen - statt dessen untätig, so wendete sie nicht die Sorgfalt auf, die man verständigerweise von ihr erwarten konnte. Damit trifft sie ein Verschulden, das eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausschließt (Sen. aaO, S. 611; vgl. auch BGH, Beschl. v. 20. März 1991 - XII ZB 129/90, VersR 1992, 119).
Röhricht Henze Goette
Kurzwelly Münke