Bundesgerichtshof Beschluss, 12. März 2014 - 5 StR 69/14
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren der bislang unbestrafte Angeklagte und der Nebenkläger am Tattag als Reinigungskräfte in einem Hamburger Hotel eingesetzt. Am Tag zuvor hatte der Angeklagte einen Putzwagen versteckt, der dem Arbeitsbereich des Nebenklägers zugeordnet war. Als sie im Erdgeschoss zusammentrafen, schimpfte der Nebenkläger mit dem Angeklagten wegen des Versteckens des Putzwagens. Der Angeklagte drängte sich zum Nebenkläger in den Fahrstuhl. Während der Fahrt ins Untergeschoss kam es zu gegenseitigen Beschimpfungen, in deren Verlauf der Nebenkläger den Angeklagten jedenfalls einmal ins Gesicht schlug und dadurch eine Prellung sowie Einblutungen an der Unterlippe verursachte. Außerhalb des Fahrstuhls brachte der Angeklagte den Nebenkläger zu Boden. An dem bald nicht mehr wehrfähigen Nebenkläger verübte er in den folgenden etwa 25 Minuten mehr als 100 Gewalthandlungen und brachte ihm mit bedingtem Tötungsvorsatz namentlich lebensgefährliche Kopfverletzungen bei. Der Nebenkläger konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden.
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- 2. Die Schwurgerichtskammer geht – dem psychiatrischen Sachverständigen folgend – davon aus, dass sich der Angeklagte während der gesamten Tat im Zustand verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) befunden hat. Aufgrund mehrerer Faktoren, unter anderem des durch den Nebenkläger vollführten Schlags, sei beim Angeklagten spätestens mit Beginn der Gewalthandlungen eine tiefgreifende Wahrnehmungsverengung eingetreten, die in ihren Auswirkungen mit einer akuten Belastungsstörung vergleichbar sei. Die Strafe hat das Landgericht dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen. Die Voraussetzungen des § 213 StGB hat es dabei ebenso abgelehnt wie – vor allem im Blick auf die Vollendungsnähe – eine Versuchsmilderung nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB. Bei der Strafzumessung hat sie zu Lasten des Angeklagten maßgebend gewertet, dass dieser die Tat aus einem „äußerst nichtigen Anlass heraus“, „mit äußerster Gewalt“ sowie „einer Vielzahl brutaler Einzelhandlungen“ und „über einen vergleichsweise langen Zeitraum“ begangen habe (UA S. 41).
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- 3. Der Strafausspruch hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
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- a) Allerdings begegnet es, was die Revision ausdrücklich auch nicht beanstandet , im Ergebnis keinen durchgreifenden Bedenken, dass die Schwurgerichtskammer die erste Alternative des § 213 StGB verneint hat. Zwar spricht sie dem durch den Nebenkläger vollführten Schlag den Charakter als „Misshandlung“ im Sinne Vorschrift ab und legt damit ein zu enges Begriffsverständ- nis zugrunde (vgl. etwa BGH, Urteil vom 1. August 1996 – 5 StR 214/96, BGHR StGB § 213 1. Alt. Misshandlung 5; Jähnke in LK, 11. Aufl., § 213 Rn. 4 mwN). Jedoch handelte der Angeklagte wegen des Versteckens des Putzwagens und seines Hineindrängens in den Fahrstuhl mit der Folge gegenseitiger Beschimpfungen und der dadurch begründeten Gefahr einer Eskalation des Geschehens nicht „ohne eigene Schuld“ (zu den Voraussetzungen Jähnke, aaO, § 213 Rn. 10).
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- b) Gleichwohl sind die – auch in ihrer Abfolge nicht geglückten – Strafzumessungserwägungen nicht frei von Rechtsfehlern. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen nämlich einem Angeklagten Anlass und Modalitäten der Tat nur dann ohne Abstriche strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie in vollem Umfang vorwerfbar sind, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht oder nur eingeschränkt zu vertretenden geistigseelischen Beeinträchtigung zu finden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2000 – 1 StR 223/00, StV 2001, 615; Urteil vom 17. Juli 2003 – 4 StR 105/03, NStZ-RR 2003, 294; Beschlüsse vom 8. Oktober 2002 – 5 StR 365/02, NStZ-RR 2003, 104; vom 31. Januar 2012 – 3 StR453/11, NStZ-RR 2012, 169).
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- Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Mit der Frage, ob dem Angeklagten das Handeln aus „äußerst nichtigem Anlass“ und die Brutalität sowie die Dauer seines Vorgehens trotz der Annahme einer die gesamte Tat umfassenden schuldmindernden Wahrnehmungsverengung uneingeschränkt vorwerfbar sind, setzen sich die Urteilsgründe nicht auseinander. Dass die genannten Umstände Ausfluss des Defektzustands gewesen sind, drängt sich hier indessen auf. Überdies bringt die Schwurgerichtskammer bei der Prüfung des Mordmerkmals der Grausamkeit selbst Zweifel zum Ausdruck, ob der Angeklagte vollständig zu erkennen vermochte, welches Leid er dem Nebenkläger zufügte (UA S. 35). Auch bei einer Gesamtschau der Ausführungen zur Strafzumessung kann der Senat nicht ausschließen, dass das Landgericht diese Möglichkeit bei der strafschärfenden Berücksichtigung der angeführten Strafzumessungstatsachen aus den Augen verloren hat.
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- 4. Der Strafausspruch bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Das neue Tatgericht wird bei der Strafrahmenwahl die durch die Rechtsprechung vorgegebene Prüfungsreihenfolge zu beachten haben (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 19. November 2013 – 2 StR 494/13 Rn. 4; Schäfer /Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 930 mwN). Der Senat weist ferner darauf hin, dass auch die weiteren von der Revision gegen die im angefochtenen Urteil vorgenommene Strafzumessung vorgebrachten Beanstandungen nicht jeglicher Berechtigung entbehren. Die Versagung einer Versuchsmilderung ist freilich nicht zu beanstanden.
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- 5. Die der Strafzumessung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen werden von dem Wertungsfehler nicht berührt und können daher beste- hen bleiben. Ergänzende Feststellungen bleiben zulässig, sofern sie den bisher getroffenen nicht widersprechen.
König Bellay
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.
(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).
(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).
(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:
- 1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren. - 2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze. - 3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sich im Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre, im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate, im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate, im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.
(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.
War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde.