Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Juni 2018 - 4 StR 103/18

bei uns veröffentlicht am27.06.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 103/18
vom
27. Juni 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
ECLI:DE:BGH:2018:270618B4STR103.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 27. Juni 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 24. November 2017 im Strafausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weiter gehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt und dessen Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten führt mit der allgemeinen Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die durch die Strafkammer angestellten Strafzumessungserwägungen halten rechtlicher Prüfung nicht stand. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen einem Angeklagten Anlass und Modalitäten der Tat nur dann ohne Abstriche strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie in vollem Umfang vorwerfbar sind, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht oder nur eingeschränkt zu vertretenden geistig-seelischen Beeinträchtigung zu finden ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 8. Oktober 2002 – 5 StR 365/02, NStZ-RR 2003, 104, 105; vom 31. Januar 2012 – 3 StR 453/11, NStZ-RR 2012, 169; vom 12. März 2014 – 5 StR 69/14, NStZ-RR 2014, 140 mwN).
3
Diesen Maßstäben wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Das Landgericht hat bei der Strafrahmenwahl einen minder schweren Fall nach § 213 StGB „auch unter Berücksichtigung der verminderten Schuldfähigkeit des Angeklagten“ wegen der konkreten Tatausführung mit wechselnden Tatmitteln, „die in dem von einer keinenWiderspruch tolerierenden Konsequenz gekenn- zeichneten Stich in den Kopf mit der Mistgabel gipfelten“, und wegen des nich- tigen Tatanlasses verneint. Bei der konkreten Strafzumessung hat die Strafkammer diese Strafzumessungsgesichtspunkte erneut bedacht. Indessen hat der an einem Asperger-Syndrom, einer Variante der autistischen Störung, leidende Angeklagte die Tat nach den Feststellungen nach einem massiven Affektstau aus scheinbar nichtigem Anlass in einem seine Steuerungsfähigkeit erheblich einschränkenden Affektdurchbruch mit einem hieraus resultierenden massiven Gewaltausbruch und einem exzessiven Gewaltverhalten im Sinne des „over-kills“ begangen (UA S. 16). Hiermit setzen sich die Urteilsgründe nicht auseinander, obgleich die genannten Umstände Ausfluss des beim Angeklagten bestehenden und zur Unterbringung nach § 63 StGB führenden gravierenden Defektzustandes waren. Trotz der Erwähnung erheblich verminderter Schuldfähigkeit bei der Strafrahmenwahl kann der Senat letztlich nicht ausschließen , dass das Landgericht dies bei der strafschärfenden Berücksichtigung der angeführten Strafzumessungstatsachen aus den Augen verloren hat.
4
Der Strafausspruch bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Die der Strafzumessung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen werden von dem Wertungsfehler nicht berührt und können daher bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen bleiben zulässig, sofern sie den bisher getroffenen nicht widersprechen.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Bender Feilcke

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafgesetzbuch - StGB | § 213 Minder schwerer Fall des Totschlags


War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minde

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

5 StR 365/02

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 8. Oktober 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Oktober 2002

beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 27. März 2002 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

G r ü n d e Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Revision der Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg.
Es begegnet schon Bedenken, daß die Strafkammer bei der Prüfung, ob ein minder schwerer Fall vorliegt, offensichtlich nur die zweite Alternative des § 213 StGB in Betracht gezogen hat. Ob das Verhalten des Tatopfers (Drohen mit dem Messer) angesichts der Vorgeschichte als Provokation im Sinne der ersten Alternative des § 213 StGB zu bewerten ist, kann indes dahinstehen. Denn der Strafausspruch hat aus anderem Grund keinen Bestand : Das Landgericht hält der Angeklagten zugute, daß ihre Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit aufgrund erheblicher affektiver Erregung in Verbindung mit akutem Alkohol- und Medikamentenmißbrauch erheblich eingeschränkt war (§ 21 StGB). Bei der Strafzumessung wertet es das „massive, äußerst brutale und nachhaltige“ Vorgehen zu ihren Lasten. Sie habe ihrem Opfer mehrere , teilweise ganz erhebliche Stich- und Schnittverletzungen zugefügt.
Dies hält unter den gegebenen Umständen rechtlicher Prüfung nicht stand. Die Art der Tatausführung darf einem Angeklagten nur dann strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie vorwerfbar ist, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht zu vertretenen geistig-seelischen Beeinträchtigung liegt. Allerdings ist auch der im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert schuldfähige Täter für die von ihm begangene Tat in ihrer konkreten Ausgestaltung verantwortlich, so daß für eine strafschärfende Verwertung durchaus Raum bleibt, jedoch nur nach dem Maß der geminderten Schuld (vgl. BGH NJW 1993, 3210, 3211 f.; BGH NStZ 1992, 538; Tröndle /Fischer, StGB 50. Aufl. § 46 Rdn. 28 mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen ). Doch muß das Urteil erkennen lassen, daß sich der Tatrichter dieser Problematik bewußt war und ihr Rechnung getragen hat. Daß dies hier der Fall gewesen wäre, ergeben die Urteilsgründe, in denen die Tatintensität als maßgeblicher Strafschärfungsgrund uneingeschränkt hervorgehoben wird, weder ausdrücklich noch in ihrer Gesamtschau. Der Senat vermag daher nicht mit Sicherheit auszuschließen, daß die Strafkammer der Art der Tatausführung zum Nachteil der Angeklagten ein zu großes Gewicht beigemessen hat.
Angesichts des bloßen Wertungsfehlers bedarf es der Aufhebung von Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) nicht. Der neue Tatrichter wird die Strafrahmenwahl und die anschließende Strafzumessung auf der Grundlage der bislang rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen vorzunehmen haben, die er allenfalls durch weitere Feststellungen ergänzen darf, die den bisherigen nicht widersprechen.
Harms Häger Basdorf Gerhardt Raum

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 453/11
vom
31. Januar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
31. Januar 2012 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 8. September 2011 mit den Feststellungen aufgehoben
a) im Einzelstrafausspruch zur Tat 1 der Urteilsgründe,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe und
c) im Ausspruch über die Dauer des Vorwegvollzugs der Strafe vor Vollziehung der Maßregel.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Tat 1), wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch und wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zur Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass ein Jahr und drei Monate der Freiheitsstrafe vor Vollziehung der Maßregel vollstreckt werden. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
2
Die auf die Sachrüge gestützte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
3
Der Strafausspruch zur Tat 1 der Urteilsgründe hat keinen Bestand.
4
1. Nach den Feststellungen zu dieser Tat wollte der Angeklagte den Geschädigten aus Wut abstrafen, weil dieser ihn einige Zeit zuvor angespuckt und ihm eine Ohrfeige gegeben hatte. Er schlug ihm von hinten mit der Faust gegen den Kopf, wobei er dessen Arglosigkeit bewusst ausnutzte. Anschließend trat er mit Turnschuhen an den Füßen mindestens sieben Mal wuchtig auf den Kopf des Tatopfers ein und nahm dabei dessen möglichen Tod billigend in Kauf. Die - sachverständig beratene - Strafkammer ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte durch das Zusammenwirken seiner Alkoholisierung (Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 1,89 ‰) und einer massiven affektiven Erregung nicht ausschließbar in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war (§ 21 StGB). In der Strafzumessung hat es zu Lasten des Angeklagten gewertet , dass er mit einem erschreckenden Ausmaß von roher und brutaler Gewalt gegen sein Opfer vorging.
5
2. Diese Strafzumessungserwägung begegnet unter den hier gegebenen Umständen durchgreifenden rechtlichen Bedenken; denn die Art der Tatausführung darf einem Angeklagten nur dann ohne Abstriche strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie in vollem Umfang vorwerfbar ist, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht oder nur eingeschränkt zu vertretenen geistigseelischen Beeinträchtigung liegt (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2000 - 1 StR 223/00, StV 2001, 615; Urteil vom 17. Juli 2003 - 4 StR 105/03, NStZ-RR 2003, 294; Beschluss vom 8. Oktober 2002 - 5 StR 365/02, NStZ-RR 2003, 104; Beschluss vom 16. Juli 2003 - 1 StR 251/03, NStZ-RR 2003, 362; Beschluss vom 29. November 2011 - 3 StR 375/11; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 46 Rn. 32). Damit , ob dem Angeklagten die ihm vorgeworfene "rohe und brutale Gewalt" seines Vorgehens trotz der Umstände, die seine nicht ausschließbar erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit begründen, uneingeschränkt vorwerfbar ist, setzt sich das Urteil indes nicht auseinander. Sie kann auch Ausdruck der verminderten Schuldfähigkeit gewesen sein.
6
Die Aufhebung des Einzelstrafausspruchs zur Tat 1 der Urteilsgründe hat die Aufhebung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe und der Entscheidung über die Dauer des Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe vor der Maßregel zur Folge.
7
3. Der Senat weist darauf hin, dass bei der Strafzumessung sorgfältig auf das Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen (§ 46 Abs. 3 StGB) zu achten ist. Ein versuchter Mord durch wuchtige Tritte mit den Füßen gegen den Kopf ist regelmäßig mit roher und brutaler Gewalt verbunden. Die strafschärfende Erwägung, der Angeklagte habe sich zunächst nicht durch einen Dritten von der Fortsetzung seiner Tritte abhalten lassen, ist rechtsfehler- haft, wenn ihm dadurch vorgeworfen wird, vom Versuch nicht freiwillig zurückgetreten zu sein (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 46 Rn. 76 f.).
Becker Pfister von Lienen
Hubert Schäfer

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 69/14
vom
12. März 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. März 2014 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 6. September 2013 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben; die zugehörigen Feststellungen bleiben bestehen.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts waren der bislang unbestrafte Angeklagte und der Nebenkläger am Tattag als Reinigungskräfte in einem Hamburger Hotel eingesetzt. Am Tag zuvor hatte der Angeklagte einen Putzwagen versteckt, der dem Arbeitsbereich des Nebenklägers zugeordnet war. Als sie im Erdgeschoss zusammentrafen, schimpfte der Nebenkläger mit dem Angeklagten wegen des Versteckens des Putzwagens. Der Angeklagte drängte sich zum Nebenkläger in den Fahrstuhl. Während der Fahrt ins Untergeschoss kam es zu gegenseitigen Beschimpfungen, in deren Verlauf der Nebenkläger den Angeklagten jedenfalls einmal ins Gesicht schlug und dadurch eine Prellung sowie Einblutungen an der Unterlippe verursachte. Außerhalb des Fahrstuhls brachte der Angeklagte den Nebenkläger zu Boden. An dem bald nicht mehr wehrfähigen Nebenkläger verübte er in den folgenden etwa 25 Minuten mehr als 100 Gewalthandlungen und brachte ihm mit bedingtem Tötungsvorsatz namentlich lebensgefährliche Kopfverletzungen bei. Der Nebenkläger konnte nur durch eine Notoperation gerettet werden.
3
2. Die Schwurgerichtskammer geht – dem psychiatrischen Sachverständigen folgend – davon aus, dass sich der Angeklagte während der gesamten Tat im Zustand verminderter Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) befunden hat. Aufgrund mehrerer Faktoren, unter anderem des durch den Nebenkläger vollführten Schlags, sei beim Angeklagten spätestens mit Beginn der Gewalthandlungen eine tiefgreifende Wahrnehmungsverengung eingetreten, die in ihren Auswirkungen mit einer akuten Belastungsstörung vergleichbar sei. Die Strafe hat das Landgericht dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 212 Abs. 1 StGB entnommen. Die Voraussetzungen des § 213 StGB hat es dabei ebenso abgelehnt wie – vor allem im Blick auf die Vollendungsnähe – eine Versuchsmilderung nach § 23 Abs. 2, § 49 Abs. 1 StGB. Bei der Strafzumessung hat sie zu Lasten des Angeklagten maßgebend gewertet, dass dieser die Tat aus einem „äußerst nichtigen Anlass heraus“, „mit äußerster Gewalt“ sowie „einer Vielzahl brutaler Einzelhandlungen“ und „über einen vergleichsweise langen Zeitraum“ begangen habe (UA S. 41).
4
3. Der Strafausspruch hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
5
a) Allerdings begegnet es, was die Revision ausdrücklich auch nicht beanstandet , im Ergebnis keinen durchgreifenden Bedenken, dass die Schwurgerichtskammer die erste Alternative des § 213 StGB verneint hat. Zwar spricht sie dem durch den Nebenkläger vollführten Schlag den Charakter als „Misshandlung“ im Sinne Vorschrift ab und legt damit ein zu enges Begriffsverständ- nis zugrunde (vgl. etwa BGH, Urteil vom 1. August 1996 – 5 StR 214/96, BGHR StGB § 213 1. Alt. Misshandlung 5; Jähnke in LK, 11. Aufl., § 213 Rn. 4 mwN). Jedoch handelte der Angeklagte wegen des Versteckens des Putzwagens und seines Hineindrängens in den Fahrstuhl mit der Folge gegenseitiger Beschimpfungen und der dadurch begründeten Gefahr einer Eskalation des Geschehens nicht „ohne eigene Schuld“ (zu den Voraussetzungen Jähnke, aaO, § 213 Rn. 10).
6
b) Gleichwohl sind die – auch in ihrer Abfolge nicht geglückten – Strafzumessungserwägungen nicht frei von Rechtsfehlern. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dürfen nämlich einem Angeklagten Anlass und Modalitäten der Tat nur dann ohne Abstriche strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie in vollem Umfang vorwerfbar sind, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht oder nur eingeschränkt zu vertretenden geistigseelischen Beeinträchtigung zu finden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 29. Juni 2000 – 1 StR 223/00, StV 2001, 615; Urteil vom 17. Juli 2003 – 4 StR 105/03, NStZ-RR 2003, 294; Beschlüsse vom 8. Oktober 2002 – 5 StR 365/02, NStZ-RR 2003, 104; vom 31. Januar 2012 – 3 StR453/11, NStZ-RR 2012, 169).
7
Dem wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Mit der Frage, ob dem Angeklagten das Handeln aus „äußerst nichtigem Anlass“ und die Brutalität sowie die Dauer seines Vorgehens trotz der Annahme einer die gesamte Tat umfassenden schuldmindernden Wahrnehmungsverengung uneingeschränkt vorwerfbar sind, setzen sich die Urteilsgründe nicht auseinander. Dass die genannten Umstände Ausfluss des Defektzustands gewesen sind, drängt sich hier indessen auf. Überdies bringt die Schwurgerichtskammer bei der Prüfung des Mordmerkmals der Grausamkeit selbst Zweifel zum Ausdruck, ob der Angeklagte vollständig zu erkennen vermochte, welches Leid er dem Nebenkläger zufügte (UA S. 35). Auch bei einer Gesamtschau der Ausführungen zur Strafzumessung kann der Senat nicht ausschließen, dass das Landgericht diese Möglichkeit bei der strafschärfenden Berücksichtigung der angeführten Strafzumessungstatsachen aus den Augen verloren hat.
8
4. Der Strafausspruch bedarf deshalb neuer Verhandlung und Entscheidung. Das neue Tatgericht wird bei der Strafrahmenwahl die durch die Rechtsprechung vorgegebene Prüfungsreihenfolge zu beachten haben (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 19. November 2013 – 2 StR 494/13 Rn. 4; Schäfer /Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 930 mwN). Der Senat weist ferner darauf hin, dass auch die weiteren von der Revision gegen die im angefochtenen Urteil vorgenommene Strafzumessung vorgebrachten Beanstandungen nicht jeglicher Berechtigung entbehren. Die Versagung einer Versuchsmilderung ist freilich nicht zu beanstanden.
9
5. Die der Strafzumessung zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen werden von dem Wertungsfehler nicht berührt und können daher beste- hen bleiben. Ergänzende Feststellungen bleiben zulässig, sofern sie den bisher getroffenen nicht widersprechen.
Basdorf Sander Schneider
König Bellay

War der Totschläger ohne eigene Schuld durch eine ihm oder einem Angehörigen zugefügte Mißhandlung oder schwere Beleidigung von dem getöteten Menschen zum Zorn gereizt und hierdurch auf der Stelle zur Tat hingerissen worden oder liegt sonst ein minder schwerer Fall vor, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.