Bundesgerichtshof Beschluss, 31. Juli 2012 - 5 StR 135/12

bei uns veröffentlicht am31.07.2012

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 135/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 31. Juli 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
wegen Betruges u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 31. Juli 2012

beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 13. November 2011 werden gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen, die der Angeklagten A. F. mit der Maßgabe (§ 349 Abs. 4 StPO), dass die Vollstreckung der gegen sie verhängten Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird. Es wird klargestellt, dass die Angeklagten S. J. und M. J. für die im Urteil nach § 111i Abs. 2 Satz 3 StPO als Wert des Erlangten festgestellten Geldbeträge in Höhe von 82.900 € als Gesamtschuldner haften.
Die Angeklagten haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen. Bei der Angeklagten A. F. wird die Gebühr um ein Viertel ermäßigt, je ein Viertel der sie betreffenden gerichtlichen Auslagen und ihrer notwendigen Auslagen fallen der Staatskasse zur Last.
G r ü n d e
1
Keinen Bestand hat das landgerichtliche Urteil lediglich, soweit die Vollstreckung der gegen die Angeklagte A. F. verhängten Gesamtfreiheitsstrafe nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die bei der Prüfung der Frage nach dem Vorliegen besonderer Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB vorzunehmende Gesamtwürdigung (vgl. hierzu Fischer, StGB, 59. Aufl., § 56 Rn. 23 mwN) ist dem Urteil nicht ausreichend zu entnehmen. Im Rahmen ihrer sonst zutreffenden Erwägungen hat die Wirtschaftsstrafkammer besondere, für die Beurteilung der Strafaussetzung bedeutsame Gesichtspunkte außer Acht gelassen. Die Angeklagte stand bei Begehung der Taten in einem erheblichen Abhängigkeitsverhältnis zu ihrem intensiv und in zentraler Funktion an den Wirtschaftsstraftaten beteiligten Ehemann. Erst hierdurch ist die zuvor nicht straffällig gewordene Angeklagte zur Tatbegehung veranlasst worden. Ferner war sie infolgedessen einem Strafverfahren ausgesetzt, das im Verhältnis zu ihrer eigenen strafrechtlichen Verstrickung einen überaus großen Umfang aufwies. Unter Berücksichtigung dieser nicht bedachten Umstände sieht der Senat die Entscheidung nach § 56 Abs. 2 StGB als ermessensfehlerhaft an und setzt seinerseits die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zur Bewährung aus. Die Feststellung von Umständen, die bei zutreffender Würdigung der vorgenannten Aspekte gleichwohl eine Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen könnten, ist im Rahmen einer erneuten Hauptverhandlung nicht zu erwarten (vgl. BGH, Beschluss vom 24. Februar 2011 – 5 StR 514/09, in BGHSt 56, 174 insoweit nicht abgedruckt). Die Nebenentscheidungen bleiben dem Landgericht vorbehalten.
2
Hinsichtlich des Ausspruchs nach § 111i Abs. 2 Satz 1 und 3 StPO stellt der Senat die gesamtschuldnerische Haftung der Angeklagten S. und M. J. in Höhe von 82.900 € klarstellend fest. Eine doppelte Befriedigung des Verletzten widerspräche dem Regelungszweck der §§ 73 ff. StGB, § 111i StPO (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 – 5 StR 114/10, NStZ-RR 2011, 42). Insoweit kann nichts anderes gelten als für die wirt- schaftliche Mitverfügungsgewalt mehrerer Täter, für welche im Rahmen einer Anordnung nach §§ 73, 73a StGB anerkanntermaßen eine Haftung als Gesamtschuldner auszusprechen ist (vgl. nur BGH, Beschluss vom 5. Juli 2011 – 3 StR 129/11, StraFo 2011, 413 mwN).
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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 73 Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern


(1) Hat der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt, so ordnet das Gericht dessen Einziehung an. (2) Hat der Täter oder Teilnehmer Nutzungen aus dem Erlangten gezogen, so ordnet das Gericht auch deren Einzieh

Strafgesetzbuch - StGB | § 56 Strafaussetzung


(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig au

Strafprozeßordnung - StPO | § 111i Insolvenzverfahren


(1) Ist jemandem aus der Tat ein Anspruch auf Ersatz des Wertes des Erlangten erwachsen und wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arrestschuldners eröffnet, so erlischt das Sicherungsrecht nach § 111h Absatz 1 an dem Gegenstand oder an de

Strafgesetzbuch - StGB | § 73a Erweiterte Einziehung von Taterträgen bei Tätern und Teilnehmern


(1) Ist eine rechtswidrige Tat begangen worden, so ordnet das Gericht die Einziehung von Gegenständen des Täters oder Teilnehmers auch dann an, wenn diese Gegenstände durch andere rechtswidrige Taten oder für sie erlangt worden sind. (2) Hat sich de

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Bundesgerichtshof Beschluss, 24. Feb. 2011 - 5 StR 514/09

bei uns veröffentlicht am 24.02.2011

Nachschlagewerk: ja BGHSt : ja Veröffentlichung : ja UWG § 16 Abs. 2, § 2 Abs. 2 BGB § 13 Verbraucherbegriff bei progressiver Kundenwerbung. BGH, Beschluss vom 24. Februar 2011 – 5 StR 514/09 LG Leipzig – BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom

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5 StR 114/10 (alt: 5 StR 453/05) BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 17. Juni 2010 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. wegen zu 1. und 2. Abgeordnetenbestechung zu 3. Strafvereitelung Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Juni 2010
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BUNDESGERICHTSHOF IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 437/13 vom 28. Mai 2014 in der Strafsache gegen 1. 2. wegen banden- und gewerbsmäßigen Betrugs Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Sitzung vom 30. April 2014 und 14. Mai 2

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Ist jemandem aus der Tat ein Anspruch auf Ersatz des Wertes des Erlangten erwachsen und wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arrestschuldners eröffnet, so erlischt das Sicherungsrecht nach § 111h Absatz 1 an dem Gegenstand oder an dem durch dessen Verwertung erzielten Erlös, sobald dieser vom Insolvenzbeschlag erfasst wird. Das Sicherungsrecht erlischt nicht an Gegenständen, die in einem Staat belegen sind, in dem die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht anerkannt wird. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für das Pfandrecht an der nach § 111g Absatz 1 hinterlegten Sicherheit.

(2) Sind mehrere Anspruchsberechtigte im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 vorhanden und reicht der Wert des in Vollziehung des Vermögensarrestes gesicherten Gegenstandes oder des durch seine Verwertung erzielten Erlöses zur Befriedigung der von ihnen geltend gemachten Ansprüche nicht aus, so stellt die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arrestschuldners. Die Staatsanwaltschaft sieht von der Stellung eines Eröffnungsantrags ab, wenn begründete Zweifel daran bestehen, dass das Insolvenzverfahren auf Grund des Antrags eröffnet wird.

(3) Verbleibt bei der Schlussverteilung ein Überschuss, so erwirbt der Staat bis zur Höhe des Vermögensarrestes ein Pfandrecht am Anspruch des Schuldners auf Herausgabe des Überschusses. In diesem Umfang hat der Insolvenzverwalter den Überschuss an die Staatsanwaltschaft herauszugeben.

(1) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr setzt das Gericht die Vollstreckung der Strafe zur Bewährung aus, wenn zu erwarten ist, daß der Verurteilte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird. Dabei sind namentlich die Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen zu berücksichtigen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind.

(2) Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Absatzes 1 auch die Vollstreckung einer höheren Freiheitsstrafe, die zwei Jahre nicht übersteigt, zur Bewährung aussetzen, wenn nach der Gesamtwürdigung von Tat und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände vorliegen. Bei der Entscheidung ist namentlich auch das Bemühen des Verurteilten, den durch die Tat verursachten Schaden wiedergutzumachen, zu berücksichtigen.

(3) Bei der Verurteilung zu Freiheitsstrafe von mindestens sechs Monaten wird die Vollstreckung nicht ausgesetzt, wenn die Verteidigung der Rechtsordnung sie gebietet.

(4) Die Strafaussetzung kann nicht auf einen Teil der Strafe beschränkt werden. Sie wird durch eine Anrechnung von Untersuchungshaft oder einer anderen Freiheitsentziehung nicht ausgeschlossen.

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
Verbraucherbegriff bei progressiver Kundenwerbung.
BGH, Beschluss vom 24. Februar 2011 – 5 StR 514/09
LG Leipzig –

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 24. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
4.
5.
6.
7.
8.
9.
wegen progressiver Kundenwerbung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Februar 2011

beschlossen:
Die Revisionen der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 26. März 2009 werden gemäß § 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe (§ 349 Abs. 4 StPO) als unbegründet verworfen, dass die Vollstreckung der gegen die Angeklagten H. , L. , Ka. , Her. und Ke. verhängten Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt wird.
Die Angeklagten tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel. Hinsichtlich der letztgenannten fünf Angeklagten werden die Gebühren und Auslagen des Revisionsverfahrens jeweils um ein Fünftel ermäßigt; die Staatskasse trägt auch ein Fünftel ihrer notwendigen Auslagen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat die Angeklagten der progressiven Kundenwerbung (§ 16 Abs. 2 UWG) schuldig gesprochen und gegen sie – mit Ausnahme des Angeklagten K. , der zu einer Geldstrafe verurteilt wurde – auf Freiheitsstrafen erkannt, wobei jeweils ein Monat (bzw. 30 Tagessätze) wegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung als vollstreckt erklärt wurde. Die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafen wurde nur bei einem Teil der Angeklagten zur Bewährung ausgesetzt. Gegen das Urteil wenden sich die Angeklagten mit Verfahrensrügen und der Sachrüge. Die Rechtsmittel haben nur insoweit Erfolg, als sie sich gegen die Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung wenden.

I.


2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen :
3
1. Die Angeklagten, welche in unterschiedlicher Stellung und in unterschiedlichen Zeiträumen bei den Unternehmen P. -P. V. (nachfolgend PPV) und BIFOS tätig waren, vertrieben über die PPV in der Zeit von Juni 2002 bis April 2006 Seminare der mit ihr eng verwobenen Firmen AFOS und BIFOS. Dabei handelte es sich um Fortbildungsseminare zu den Themen Persönlichkeitsentwicklung und Motivation, Zeitmanagement, Rhetorik und Verkauf, welche sich über einen Zeitraum von vier Tagen erstreckten. Die Teilnahme kostete – entsprechend vergleichbaren Seminaren – 3.200 €. Neben den Seminaren wurde auch eine Vertriebsmitarbeit bei der PPV beworben ; „als Vertriebsmitarbeiter sollten die Interessenten u.a. für den Verkauf der Seminare werben“ (UA S. 31).
4
Sämtliche Werbemaßnahmen der PPV folgten dabei einem einheitlichen Absatzkonzept, das sich wie folgt gestaltete: Die Maßnahmen richteten sich in erster Linie an Personen, die nach Arbeit oder einer Verdienstmöglichkeit an den Wochenenden suchten. Zu diesem Zweck schalteten Mitarbeiter der PPV in verschiedenen Zeitungen „bewusst kurz gehaltene Annoncen“ (UA S. 22), die für Fahrdiensttätigkeiten am Wochenende einen Verdienst von 400 bis 500 € in Aussicht stellten. „Die Annoncen enthielten regelmäßig keine Hinweise darauf, dass damit eine Vertriebstätigkeit verbunden sein sollte. Ein Name der Firma, die die Verdienstmöglichkeiten offerierte , war nicht angegeben. Der Inhalt der Annoncen differierte leicht, teils war von Nebenbeschäftigung, von Personentransporten, von Fahrdiensten im Nebenberuf, von Nebentätigkeit mit Pkw, von Chauffeurdiensten und Fahrten ‚geladener Gäste’ die Rede“ (UA S. 22). Interessenten erhielten auch in telefonischen oder persönlichen Kontaktgesprächen keine näheren Informationen zu der angebotenen Tätigkeit; sie wurden zu einer Präsentationsveran- staltung eingeladen, zu welcher sie regelmäßig von Mitarbeitern der PPV gefahren wurden, „um eine Abreise vor Abschluss der Veranstaltung zu verhindern“ (UA S. 23). Der Veranstaltungsort und das veranstaltende Unternehmen waren den Interessenten nicht bekannt. Auf der Fahrt zu den Präsentationsveranstaltungen erhielten die Interessenten ebenfalls keine weitergehenden Informationen zu der angebotenen Tätigkeit. Die Sitzordnung im Präsentationssaal wurde dergestalt vorgegeben, dass auf beiden Seiten des Neuinteressenten jeweils ein Mitarbeiter der PPV Platz nahm. Dadurch waren Kontakte zwischen Neuinteressenten erschwert. Im Vorfeld der Präsentation hatten die Interessenten eine Unkostenpauschale von 35 € zu entrichten.
5
Die Präsentation begann mit einem Vortrag des Präsentationsleiters, der darin – nach zunächst allgemeinen Ausführungen – für die Fortbildungsseminare warb sowie zeitweise auch für die Vermittlung von Immobilienanlagen , von Telefonanbietern, von Stromverträgen, von Saunen, „Steuerchecks“ und „Vitasol-Kabinen“. Im Gegensatz zu den Fortbildungsseminaren konnten die Teilnehmer die weiteren Produkte im Anschluss an die Präsentation jedoch nicht erwerben; „sie spielten im Vertriebssystem der PPV eine sehr untergeordnete Rolle“ (UA S. 31).
6
Im Schwerpunkt wurde auch für eine Mitarbeit bei der PPV zum Vertrieb der Fortbildungsseminare geworben, wobei den Zuhörern Provisionen in folgender Höhe in Aussicht gestellt wurden: Für jedes erfolgreich vermittelte Seminar sollten sie als „Vertriebsrepräsentantenanwärter“ eine Provision von 550 € brutto erhalten. Bereits nach der Vermittlung von zwei Seminaren sollte der Anwärter zum „Vertriebsrepräsentanten“ ernannt werden, dessen Aufgabe es war, seinerseits die Anwärter anzuleiten; die Provision für jedes erfolgreich vermittelte Seminar sollte sich auf 700 € brutto erhöhen.
7
Im Anschluss an den Präsentationsvortrag fanden Einzelgespräche mit den Teilnehmern statt, in denen die Verdienstmöglichkeiten nochmals erläutert wurden. „Regelmäßig wurde mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass eine Mitarbeit bei der PPV nur bei Buchung und Bezahlung des Seminars möglich sei“ (UA S. 33). Der Interessent schloss den Seminarvertrag ab. Außerdem füllte er in der Regel einen Bewerbungsbogen als Vertriebspartner aus, welcher u.a. folgenden Text enthielt: „Ich bestätige mit meiner Unterschrift , dass die Abnahme der/des von der PPV vermittelten Produkte(s) mir nicht als Voraussetzung oder Bedingung einer etwaigen Mitarbeit beim PPV dargestellt wurde, sondern dass mir vielmehr zur Kenntnis gebracht wurde, dass eine Mitarbeit – und damit auch die mir vorgestellten Verdienstmöglichkeiten durch Produktvermittlung – auch ohne eigene Produktabnahme möglich ist. Entschließe ich mich zur Abnahme der/des Produkte(s), geschieht dies, weil mich diese(s) überzeugt haben“ (UA S. 32).
8
Tatsächlich wurde jedoch die Buchung und Bezahlung eines Seminars regelmäßig als Voraussetzung für eine Vertriebsmitarbeit bei der PPV verlangt ; dabei kam es, „den Umworbenen bei Abschluss des Seminarvertrages regelmäßig auf die Berechtigung zur Teilnahme am Vertriebssystem mit den entsprechenden Provisionsaussichten und nicht auf die Seminarteilnahme an“ (UA S. 34).
9
Ein Vertriebsmitarbeitervertrag wurde zumeist erst im Rahmen der folgenden Präsentationsveranstaltung etwa eine Woche später unterzeichnet und ausgehändigt. Voraussetzung dafür war, dass der Kunde die Seminargebühr bezahlt hatte oder zumindest eine Ratenzahlungsvereinbarung bzw. eine Vereinbarung über die Verrechnung mit Provisionsansprüchen getroffen worden war.
10
Die neu geworbenen Vertriebsmitarbeiter fuhren sodann Neuinteressenten zu einer der nachfolgenden Präsentationsveranstaltungen, auf welcher diese „auf die gleiche Art und unter dem Versprechen der gleichen Provisionen“ (UA S. 34) zu der Zahlung einer Seminargebühr und „damit dem Systembeitritt“ (UA S. 35) bewogen werden sollten.
11
Insgesamt wurden im Tatzeitraum dergestalt mindestens 4.605 Personen umworben; es wurden 3.959 Seminare erfolgreich vermittelt.
12
2. Das Landgericht hat das Verhalten der Angeklagten als eine einheitliche Straftat der progressiven Kundenwerbung gemäß § 16 Abs. 2 UWG gewertet. Die Angeklagten hätten sich an Verbraucher im Sinne dieser Vorschrift gewandt. Maßgeblich hierfür sei weder der Zeitpunkt der Unterzeichnung des Mitarbeitervertrages, noch derjenige der Buchung des Seminars, sondern die Kontaktanbahnung bis hin zur Anfahrt zu den Präsentationsveranstaltungen. Während dieses Zeitraums seien die Interessenten noch in der Informations- und Entscheidungsphase gewesen. Solange sie aber noch keine Entscheidung in Richtung einer unternehmerischen Tätigkeit getroffen hätten, bestehe bei ihnen die Verbrauchereigenschaft fort. Hierüber hätten sich die Angeklagten auch in keinem Irrtum (§ 17 StGB) befunden. Dies zeige sich schon daran, dass sie in den Mitarbeiterverträgen den Passus aufgenommen hätten, dass die Mitarbeit nicht vom Erwerb eines Seminars abhängig gemacht worden sei.
13
Das Kettenelement liege darin, dass der einzelne Abnehmer weitere Abnehmer habe werben sollen, denen gegenüber wiederum dieselben Vorteilsversprechen erfolgen sollten. Insgesamt handele es sich um ein einheitliches Absatzkonzept. Dies begründe eine Tat im Rechtssinne, die von den Angeklagten gemeinschaftlich begangen worden sei.

II.


14
Die Revisionen sind mit der Sachrüge nur insoweit teilweise erfolgreich , als das Landgericht fünf Angeklagten eine Aussetzung der verhängten Freiheitsstrafen zur Bewährung versagt hat. Im Übrigen sind die Revisionen unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO). Der Ausführungen bedarf ergänzend zum Antrag des Generalbundesanwalts nur Folgendes:
15
1. Hinsichtlich der Angeklagten H. und Ke. ist kein Strafklageverbrauch eingetreten. Gegen diese Angeklagten wurde zwar von der Staatsanwaltschaft Rostock wegen eines Vergehens nach § 16 Abs. 2 UWG ermittelt und das Verfahren nach Erfüllung einer Geldauflage gemäß § 153a StPO eingestellt. Das Landgericht führt jedoch zutreffend aus, dass die diesen Angeklagten vorgeworfene Tat (Anwerbung des Zeugen N. im November 2006) außerhalb des abgeurteilten Tatzeitraums lag, der bis Ende April 2006 andauerte. Als Endpunkt hat die Strafkammer den von den Angeklagten zu diesem Zeitpunkt gefassten Entschluss gewertet, die PPV zu beenden und das System innerhalb einer neuen Gesellschaft, der MMG, weiterzuführen. In der Verlagerung der Geschäftstätigkeit auf eine andere Firma hat das Landgericht zutreffend einen neuen Tatentschluss gesehen , der zugleich das ursprüngliche Organisationsdelikt – bezogen auf die PPV – beendete. Dass die Vertriebstätigkeit durch die PPV im Juli 2006 wiederaufgenommen wurde, stellt abermals einen neuen Tatentschluss dar und lässt nicht etwa die ursprüngliche Tat wieder aufleben.
16
Diese Ausführungen des Landgerichts lassen keinen Rechtsfehler erkennen. Ein Strafklageverbrauch durch die Verfahrenseinstellung eines Teilaktes (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 26. August 2003 – 5 StR 145/03, BGHSt 48, 331, 343) kommt schon allein deshalb nicht in Betracht, weil diese Einzelhandlung nicht dieselbe prozessuale Tat betrifft und außerhalb des Aburteilungszeitraums steht.
17
Die Angriffe der Revision gegen die Feststellungen des Landgerichts hierzu bleiben ohne Erfolg. Die Verfahrensrügen, insoweit die Ablehnung von Beweisanträgen betreffend, die sich auf eine durchgängige Tätigkeit der PPV beziehen, sind aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet. Es bestand angesichts des in den Urteilsgründen dargestellten Ermittlungsergebnisses für die Strafkammer auch kein Anlass zu weiterer (freibeweislicher) Nachforschung, ob die PPV durchgängig im Jahr 2006 ein System progressiver Kundenwerbung betrieb (zur Frage, inwieweit eine freibeweisliche Feststellung von tatsächlichen Voraussetzungen eines Verfahrenshindernisses in Betracht kommt, vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2001 – StB 4 und 5/01, BGHSt 46, 349, 353; BGH, Urteil vom 19. Oktober 2010 – 1 StR 266/10, zur Veröffentlichung in BGHSt bestimmt, NJW 2011, 547). Soweit die Verteidigung hierzu auf die angebotenen Zeuginnen O. und Kr. verweist, ist nicht ersichtlich, in welcher Funktion und wo im Einzelnen die Zeuginnen für die PPV tätig gewesen sein sollen. Ebenso wenig lässt sich erkennen, ob sie im Zusammenhang mit dem Vertrieb von Seminaren gearbeitet haben. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die weiterhin als Zeugin benannte D. K. , die hauptsächlich mit Büroarbeiten betraut war.
18
Im Übrigen würde selbst ein Fortbestand der PPV den Ansatz des Landgerichts nicht in Frage stellen. Maßgeblich hierfür ist nämlich, dass in der Verlagerung der Geschäftstätigkeit (und deren Modifizierung) ein neuer Tatentschluss zu sehen ist, der zugleich eine neue und selbständige Tat im Sinne des § 264 StPO begründet. Dem steht nicht entgegen, dass die PPV in ihrer gesellschaftsrechtlichen Struktur weiter bestanden hat, zumal sie ja später auch tatsächlich reaktiviert wurde. Jedenfalls sollte sie nicht mehr Träger des Systems progressiver Kundenwerbung sein. Insofern widerspräche ein Fortbestand der PPV nicht der Auffassung des Landgerichts, dass mit der Übertragung der Seminarwerbung auf die MMG ein neuer Tatentschluss verbunden, die ursprüngliche Tat (über die PPV) mithin abgeschlossen war. Damit kann der Einzelvorgang einer progressiven Kundenwerbung, der zur Einstellung nach § 153a StPO durch die Staatsanwaltschaft Rostock geführt hat, nicht mehr Teil des Organisationsdelikts sein, weshalb ein Strafklageverbrauch ausscheidet.
19
2. Soweit die Beschwerdeführer die Ablehnung von Beweisanträgen auf die Vernehmung Hunderter von Zeugen in Anlehnung an eine – freilich schwer nachvollziehbare – Beweismittelauflistung in der Anklage beanstanden , scheitern die Rügen auch an den Grundsätzen der Rechtsprechung zur Konnexität bei fortgeschrittener Beweisaufnahme (BGH, Urteil vom 10. Juni 2008 – 5 StR 38/08, BGHSt 52, 284).
20
3. Die Schuldsprüche wegen progressiver Werbung halten rechtlicher Überprüfung stand.
21
a) Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei die Verbrauchereigenschaft der Interessenten bejaht.
22
aa) Der Straftatbestand des § 16 Abs. 2 UWG wurde im Rahmen der Neufassung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb im Jahr 2004 (BGBl. I, S. 1414) in Bezug auf den geschützten Personenkreis modifiziert. Während die Vorgängervorschrift des § 6c UWG a.F. noch sämtliche Nichtkaufleute erfasste, beschränkte die Neufassung der Strafvorschrift den Schutzbereich auf Verbraucher, weil nur insofern ein erhebliches Gefährdungspotential bestehe (BT-Drucks. 15/1487, S. 26).
23
Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb enthält dabei keine eigene Definition des Verbraucherbegriffs, sondern erklärt in § 2 Abs. 2 UWG die Vorschrift des § 13 BGB für entsprechend anwendbar. Danach ist Verbraucher eine natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu einem Zweck abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Im Gegensatz dazu steht unternehmerisches Handeln, das durch die Definition des Unternehmerbegriffs (§ 14 Abs. 1 BGB) gesetzlich bestimmt ist als Abschluss von Rechtsgeschäften für eine gewerbliche oder selbständige berufliche Tätigkeit.
24
Für die Abgrenzung ist nicht der innere Wille des Handelnden entscheidend , sondern es gilt ein objektivierter Maßstab. Ob eine Tätigkeit als selbständige zu qualifizieren ist, bestimmt sich nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Inhalt des Rechtsgeschäfts, in die erforderlichenfalls die Begleitumstände einzubeziehen sind (BGH, Urteil vom 15. November 2007 – III ZR 295/06, NJW 2008, 435; Palandt/Ellenberger, BGB, 70. Aufl., § 13 Rn. 3 f.). Ausgeschlossen vom Verbraucherbegriff ist nur jedwedes selbständiges berufliches oder gewerbliches Handeln. Auch ein Arbeitnehmer wird bei Rechtsgeschäften in Beziehung auf sein Arbeitsverhältnis als Verbraucher angesehen (BVerfG – Kammer –, NJW 2007, 286, 287; MünchKommBGB /Micklitz, 5. Aufl., § 13 Rn. 46). Unternehmer- und nicht Verbraucherhandeln liegt allerdings vor, wenn das maßgebliche Geschäft im Zuge der Aufnahme einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit (sogenannte Existenzgründung) geschlossen wird (BGH, Beschluss vom 24. Februar 2005 – III ZB 36/04, BGHZ 162, 253, 256 mwN; Palandt /Ellenberger aaO; Erman/Saenger, BGB, 12. Aufl., § 13 Rn. 16; aA Micklitz, aaO, Rn. 54). Dies gilt indes nicht, solange die getroffene Maßnahme noch nicht Bestandteil der Existenzgründung selbst ist, sondern sich im Vorfeld einer solchen bewegt und die Entscheidung, ob es überhaupt zu einer Existenzgründung kommen soll, erst vorbereitet (BGH, Urteil vom 15. November 2007 – III ZR 295/06, NJW 2008, 435). Bewegt sich das rechtsgeschäftliche Handeln im Vorfeld einer Existenzgründung, über die noch nicht definitiv entschieden ist, ist es noch nicht dem unternehmerischen Bereich zuzuordnen. Solche Aktivitäten in der Sondierungsphase betreffen daher Verbraucherhandeln (vgl. BGH aaO).
25
Maßgebender Zeitpunkt der Beurteilung der Verbrauchereigenschaft ist dabei im Rahmen des § 16 Abs. 2 UWG nicht der Zeitpunkt des Vertragsabschlusses; abzustellen ist vielmehr auf den Zeitpunkt, in welchem der Geworbene erstmals durch das Absatzkonzept des Veranstalters in der Weise angesprochen wird, dass die Werbung unmittelbar in die Abnahme des Produkts einmünden soll.
26
Das Lauterkeitsrecht entfaltet seine verbraucherschützende Funktion bereits im Vorfeld von Vertragsanbahnungen und auch in solchen Fällen, in denen – wie bei der bloßen Sympathiewerbung (Imagewerbung) eines Unternehmens – eine Vertragsanbahnung nicht in Rede steht (Sosnitza in Pi- per/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl., § 2 Rn. 85; Lettl, GRUR 2004, 449, 451). In diesem Zusammenhang ist auch die durch § 2 Abs. 2 UWG lediglich entsprechend – d.h. sinngemäß – angeordnete Geltung des Verbraucherschutzbegriffes zu sehen. Da nach § 16 Abs. 2 UWG das Verhalten im Vorgriff auf den Abschluss eines Rechtsgeschäftes pönalisiert wird, bestimmt sich danach auch der Verbraucherbegriff. Maßgeblich ist deshalb, ob die Adressaten in dem Zeitpunkt, in welchem sie durch die Werbemaßnahmen angesprochen werden, Verbraucher sind (Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, 29. Aufl., § 16 Rn. 36).
27
bb) Für diese Auslegung des § 16 Abs. 2 UWG sprechen zudem der Schutzzweck der Norm und deren Deliktscharakter. § 16 Abs. 2 UWG ist ein abstraktes Gefährdungsdelikt (Diemer in Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze , Stand: Oktober 2009, § 16 UWG Rn. 124; Dreyer in HarteBavendamm /Henning-Bodewig, UWG, 2. Aufl., § 16 Rn. 32; Bornkamm aaO, § 16 Rn. 4; Sosnitza, aaO, § 16 Rn. 36). Bezweckt ist der generelle Schutz geschäftlich unerfahrener Personen vor der Verstrickung in Vertriebsmethoden , die schon ihrer Anlage nach für sie ein gefährliches, schadensträchtiges Risiko zum Inhalt haben (Diemer aaO, Rn. 123). Der Abnehmer soll vor Täuschung , glücksspielartiger Willensbeeinflussung und Vermögensgefährdung geschützt werden (BT-Drucks. 10/5058, S. 38 f., ähnlich BT-Drucks. 9/1707, S. 14). Zur Erfüllung des Tatbestandes ist es nicht erforderlich, dass Abnehmer auf das System „hereinfallen“ (Dreyer aaO; Sosnitza aaO) und einen Vertrag abschließen. Vielmehr genügt das Herbeiführen einer gefahrenvollen Situation, mithin die Verfolgung des als Schneeballsystem stukturierten Absatzsystems durch Werbemaßnahmen.
28
cc) Aufgrund der Ausgestaltung des Straftatbestandes als Unternehmensdelikt ist die Tat bereits vollendet, wenn der Täter versucht, das Werbeund Vertriebssystem in Gang zu setzen (Janssen/Maluga in MünchKommStGB , Nebenstrafrecht II, UWG, 2010, § 16 Rn. 96). Nach allgemeinen Regeln muss er dazu zur Tat unmittelbar angesetzt haben. Das Verhalten des Täters muss darauf gerichtet sein, den geschützten Personenkreis zur Abnahme von Waren, Dienstleistungen oder Rechten zu veranlassen (vgl. Bornkamm aaO, Rn. 36; Janssen/Maluga aaO, Rn. 97; Diemer aaO, Rn. 143; Sosnitza aaO). Zur Tatbestandsvollendung gehört daher jede Handlung im Rahmen des nach § 16 Abs. 2 UWG tatbestandlichen Werbesystems , die geeignet ist, das Ziel zu erreichen (Diemer aaO, Rn. 129). Entscheidend ist daher, ob in diesem Zeitpunkt – nicht bei Vertragsabschluss – sämtliche Tatbestandsmerkmale erfüllt sind. Deshalb kann es hier dahinstehen , ob die Interessenten beim Abschluss der Seminarverträge etwa nicht mehr Verbraucher waren.
29
dd) Europäisches Gemeinschaftsrecht steht dieser Auslegung nicht entgegen. Zwar ist der so zu bestimmende Verbraucherbegriff im Verhältnis zu dem der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (RL 2005/29/EG, ABl. L 149, 22) zugrunde liegenden Verbraucherbegriff möglicherweise umfassender. Da der europäische Verbraucherbegriff jedoch einerseits den Anwendungsbereich der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken begrenzt, andererseits aber die im Übrigen einschlägige Richtlinie zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über irreführende Werbung (RL 84/450/EWG, ABl. L 250, 17) nur einen Mindest-, aber keinen Höchstschutz vorgibt, ist ein Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht nicht begründet ; denn eine Verstärkung des Verbraucherschutzes über den Standard der Richtlinien hinaus ist mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar (BTDrucks. 16/10145, S. 11 f.; Sosnitza aaO, § 2 Rn. 89; Dreyer aaO, § 16 Rn. 36; Palandt/Ellenberger aaO, Rn. 3).
30
ee) Das Landgericht hat für die Prüfung, ob die von den Werbemaßnahmen angesprochenen Interessenten als Verbraucher anzusehen sind, auf den Zeitpunkt abgestellt, als diese das erste Kontaktgespräch aufnahmen, spätestens aber als sie zu den Präsentationsveranstaltungen gefahren wurden. Dies ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Schon in dieser Phase waren sie von Seiten der Angeklagten Werbemaßnahmen ausgesetzt. Bis dahin war keinesfalls etwa eine Entscheidung im Sinne einer „Existenzgründung“ für eine selbständige Tätigkeit gefallen. Die Interessenten befanden sich – wie auch die mitgeteilten Zeugenaussagen belegen – in einer Phase der Vorinformation und Willensbildung und waren damit keine Unternehmer im Sinne des § 14 Abs. 1 BGB, sondern Verbraucher im Sinne des § 13 BGB. Abgesehen davon, dass der Inhalt der Annoncen nicht ohne weiteres auf eine selbständige Tätigkeit schließen ließ, sondern bewusst offen gehalten war und sowohl im Sinne einer arbeitnehmerähnlichen als auch einer kleinunternehmerischen Tätigkeit verstanden werden konnte, war jedenfalls bis dahin noch kein Entschluss für die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit getroffen. Dies gilt sogar für die Präsentationsveranstaltung selbst, weil auch diese der Information der Teilnehmer gedient hat, die noch nicht entschlossen waren.
31
Diese Phasen der Anwerbung waren bei dem Unternehmensdelikt des § 16 Abs. 2 UWG bereits tatbestandsmäßig. Die Anwerbung, beginnend mit dem Schalten der Zeitungsannoncen, war nach dem Tatplan der Angeklagten bereits darauf angelegt, den Verkauf der Seminare herbeizuführen. Spätestens ab Beginn der Präsentationsveranstaltung war das Unternehmensdelikt des § 16 Abs. 2 UWG vollendet, mithin zu einem Zeitpunkt, in dem die Interessenten noch Verbraucher waren. Ihre mögliche spätere Entscheidung, als Vertriebsrepräsentant tätig zu werden, spielt dabei – ungeachtet der Frage , ob sie als „Existenzgründung“ zu qualifizieren wäre – keine Rolle. Nur bei einer solchen – mit dem Wortsinn und der Systematik des Gesetzes übereinstimmenden – Auslegung kann ein effektiver Schutz vor unlauterer Werbung durch die Eröffnung zweckwidriger Umgehungsmaßnahmen gewährleistet werden.
32
b) Das Landgericht hat das Kettenelement im Sinne des § 16 Abs. 2 UWG rechtsfehlerfrei bejaht. Es hat festgestellt, dass faktische Voraussetzung für die Beauftragung als Vertriebsmitarbeiter der Erwerb einer Seminarveranstaltung war. Damit hat es der gegenteiligen Klausel in den Mitarbeiter- verträgen keine Geltung beigemessen, diese vielmehr nur als Verschleierung der tatsächlichen Verhältnisse gewertet (UA S. 159 ff.). Die hiergegen gerichteten Verfahrensrügen bleiben aus den zutreffenden Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.
33
Da die Buchung der Teilnahme an den Motivations- und Ausbildungsseminaren als Bedingung dafür behandelt wurde, dass die Vertriebsmitarbeiter selbst diese Seminare gegen Provisionen vertreiben durften, liegt das Kettenelement vor. Dieser Bedingungszusammenhang erfüllt den Tatbestand des § 16 Abs. 2 UWG, weil der geworbene Mitarbeiter nur dadurch besondere Vorteile erlangen kann, indem er andere zum Abschluss gleichartiger Geschäfte veranlasst. Hierdurch wird nämlich ein Schneeballsystem dergestalt begründet, dass der Vertriebsmitarbeiter ein Produkt erwerben muss und sich nur durch die Einwerbung neuer Kunden refinanzieren kann. Für den Fall einer weiteren Anwerbung erhöhte sich die Provision ebenso, wie eine Beteiligung für den mittlerweile in der Hierarchie aufgestiegenen Vertriebsmitarbeiter für den Fall vorgesehen war, dass untergeordnete Vertriebsmitarbeiter Käufer anwerben (vgl. UA S. 145 ff.). Damit weist das System Merkmale auf, die nach ihrer Beeinflussungswirkung geeignet sind, die typische Dynamik eines Systems der progressiven Kundenwerbung in Gang zu setzen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 1997 – 5 StR 223/97, NJW 1998, 390, zu § 6c UWG a.F.).
34
4. Die Angeklagten unterlagen – wie das Landgericht rechtsfehlerfrei ausgeführt hat – keinem Verbotsirrtum gemäß § 17 StGB. Ausreichende Unrechtseinsicht liegt bereits dann vor, wenn der Täter bei der Begehung der Tat mit der Möglichkeit rechnet, Unrecht zu tun, und dies billigend in Kauf nimmt (st. Rspr.: BGH, Urteile vom 3. April 2008 – 3 StR 394/07, BGHR StGB § 17 Vermeidbarkeit 8; vom 25. Juni 2008 – 5 StR 109/07, BGHSt 52, 307, 313; vom 17. Juli 2009 – 5 StR 394/08, insoweit in BGHSt 54, 44 nicht abgedruckt; Beschlüsse vom 23. Dezember 1952 – 2 StR 612/52, BGHSt 4, 1, 4; vom 1. Juni 1977 – KRB 3/76, BGHSt 27, 196, 202); es genügt mithin das Bewusstsein, die Handlung verstoße gegen irgendwelche, wenn auch im Einzelnen nicht klar vorgestellte gesetzliche Bestimmungen (BGH, Beschluss vom 4. November 1957 – GSSt 1/57, BGHSt 11, 263, 266).
35
Der vom Tatgericht gezogene Schluss, die der festgestellten Praxis diametral entgegenstehenden Formulierungen in den Mitarbeiterverträgen belegten, dass die Angeklagten mit der Möglichkeit einer Strafbarkeit rechneten , ist rechtlich nicht zu beanstanden. Dem steht auch nicht entgegen, dass im Tatzeitraum zivilrechtliche Urteile von Amts- und Landgerichten einen Verstoß gegen § 16 Abs. 2 UWG mangels Verbrauchereigenschaft der Interessenten verneinten. Die Aussagekraft dieser Entscheidungen war schon dadurch vermindert, dass für das den Einzelfall beurteilende Zivilgericht das sich nur aus einer Gesamtbetrachtung erschließende System der progressiven Kundenwerbung praktisch nicht zu erkennen war. Zudem waren die Angeklagten – wie das Landgericht in den Urteilsgründen im Einzelnen ausgeführt hat – durch zahlreiche strafrichterliche Entscheidungen vorgewarnt, die eine Strafbarkeit inzident bejahten. Das von den Angeklagten verfolgte System der progressiven Kundenwerbung war jedenfalls darauf ausgerichtet, eine von ihnen so verstandene rechtliche Grauzone auszunutzen. Dies setzt dann aber regelmäßig eine gedankliche Auseinandersetzung mit den Grenzen strafbaren Verhaltens voraus und schließt, wenn höchstrichterliche Entscheidungen noch nicht vorliegen, jedenfalls die Möglichkeit mit ein, sich bei einer Fehlinterpretation der Gesetzeslage strafbar zu machen (BVerfG – Kammer –, NJW 2006, 2684, 2686; BGH, Urteil vom 8. Dezember 2009 – 1 StR 277/09, BGHSt 54, 243, 258). Dass die Angeklagten selbst von einer erheblichen Wahrscheinlichkeit einer Strafbarkeit ihres Verhaltens ausgingen , zeigen gerade auch ihre Bemühungen, sowohl in vorformulierten Bewerbungsbögen als auch in Vertriebsmitarbeiterverträgen die tatsächliche Kopplung von Seminarerwerb und Mitarbeit bei der Firma PPV zu verschleiern (vgl. dazu BGH, Urteil vom 15. August 2002 – 3 StR 11/02, NJW 2002, 3415, 3417).
36
5. Keinen Bestand hat das landgerichtliche nur insoweit, als bei den Angeklagten H. , L. , Ka. , Her. und Keu. die Vollstreckung der verhängten Freiheitsstrafen nicht zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Strafkammer begründet dies damit, dass die Angeklagten bis zum Plädoyer der Staatsanwältin eine entsprechende Tätigkeit fortgesetzt hätten. Dieser Gesichtspunkt trägt unter der hier gegebenen besonderen Voraussetzung, dass die Praxis der Zivilgerichte und der Strafverfolgungsbehörden zu den hier zu entscheidenden Fragen durchaus ambivalent gewesen ist, die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung nicht. Zudem haben auch diese Angeklagten jedenfalls nach dem ersten Plädoyer der Staatsanwältin ihre Tätigkeit eingestellt. Dies weist darauf hin, dass sie sich allein die strafgerichtliche Verurteilung zur Warnung dienen lassen werden.
37
Der Senat setzt bei diesen – sämtlich unbestraften und sozial eingeordneten – Angeklagten die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung aus. Es sind keine Umstände ersichtlich, die bei ihnen eine Versagung der Strafaussetzung zur Bewährung rechtfertigen könnten, die vom Landgericht bei einem Mitangeklagten ohne weiteres auch für eine Freiheitsstrafe über einem Jahr nach § 56 Abs. 2 StGB gewährt worden ist.
38
Die hierzu erforderlichen Nebenentscheidungen werden dem Landgericht übertragen.
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(1) Ist jemandem aus der Tat ein Anspruch auf Ersatz des Wertes des Erlangten erwachsen und wird das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Arrestschuldners eröffnet, so erlischt das Sicherungsrecht nach § 111h Absatz 1 an dem Gegenstand oder an dem durch dessen Verwertung erzielten Erlös, sobald dieser vom Insolvenzbeschlag erfasst wird. Das Sicherungsrecht erlischt nicht an Gegenständen, die in einem Staat belegen sind, in dem die Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht anerkannt wird. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für das Pfandrecht an der nach § 111g Absatz 1 hinterlegten Sicherheit.

(2) Sind mehrere Anspruchsberechtigte im Sinne des Absatzes 1 Satz 1 vorhanden und reicht der Wert des in Vollziehung des Vermögensarrestes gesicherten Gegenstandes oder des durch seine Verwertung erzielten Erlöses zur Befriedigung der von ihnen geltend gemachten Ansprüche nicht aus, so stellt die Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arrestschuldners. Die Staatsanwaltschaft sieht von der Stellung eines Eröffnungsantrags ab, wenn begründete Zweifel daran bestehen, dass das Insolvenzverfahren auf Grund des Antrags eröffnet wird.

(3) Verbleibt bei der Schlussverteilung ein Überschuss, so erwirbt der Staat bis zur Höhe des Vermögensarrestes ein Pfandrecht am Anspruch des Schuldners auf Herausgabe des Überschusses. In diesem Umfang hat der Insolvenzverwalter den Überschuss an die Staatsanwaltschaft herauszugeben.

5 StR 114/10
(alt: 5 StR 453/05)

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 17. Juni 2010
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen zu 1. und 2. Abgeordnetenbestechung
zu 3. Strafvereitelung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Juni 2010

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten F. wird das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 9. Oktober 2009, soweit es ihn betrifft, nach § 349 Abs. 4 StPO
a) dahingehend abgeändert, dass er wegen versuchter Strafvereitelung verurteilt ist;
b) im Strafausspruch und im Ausspruch über den Verfall von Wertersatz aufgehoben; dessen Anordnung entfällt.
2. Die weitergehende Revision des Angeklagten F. und die Revisionen der Angeklagten S. und C. werden nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Die Angeklagten S. und C. haben die Kosten ihrer Rechtsmittel zu tragen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hatte mit Urteil vom 11. August 2004 den Angeklagten S. unter Freisprechung im Übrigen wegen Bestechlichkeit und wegen Vorteilsannahme zu einer Gesamtfreiheitsstrafe sowie wegen Steuerhin- terziehung in sechs Fällen und wegen versuchter Steuerhinterziehung zu einer Gesamtgeldstrafe verurteilt. Den Angeklagten C. hat es unter Freisprechung im Übrigen wegen Bestechung und Vorteilsgewährung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe hat es für beide Angeklagte zur Bewährung ausgesetzt. Den Angeklagten F. hat das Landgericht wegen Strafvereitelung zu einer Geldstrafe verurteilt und gegen S. und F. den Verfall von Wertersatz angeordnet. Dieses Erkenntnis hat der Senat durch Urteil vom 9. Mai 2006 (BGHSt 51, 44) teilweise aufgehoben.
2
Nunmehr hat das Landgericht die Angeklagten S. und C. wegen Abgeordnetenbestechung schuldig gesprochen und den Angeklagten S. zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten sowie den Angeklagten C. zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Strafen hat es zur Bewährung ausgesetzt. Wegen erlittener rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung hat es jeweils einen Monat der verhängten Freiheitsstrafen als vollstreckt erklärt. Den Angeklagten F. hat die Strafkammer wegen Strafvereitelung zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen verurteilt und davon zur Kompensation eingetretener rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerung 15 Tagessätze als vollstreckt erklärt. Gegen die Angeklagten S. und F. wurde zudem der Verfall von Wertersatz in Höhe von jeweils 27.781 € angeordnet. Die Revisionen der Angeklagten S. und C. bleiben ohne Erfolg (§ 349 Abs. 2 StPO); hingegen erzielt die mit der Sachbeschwerde geführte Revision des Angeklagten F. den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 2 und 4 StPO).

I.


3
Die Schuld- und Rechtsfolgenaussprüche gegen die Angeklagten S. und C. sind frei von Rechtsfehlern. Die Verurteilungen entsprechen der Rechtsauffassung des Senats (vgl. BGHSt 51, 44, 59 ff.). Zu Recht hat die Strafkammer bei der Bewertung der konkludent zwischen den Angeklagten getroffenen Unrechtsvereinbarung auf die Entwicklung ihrer Zusammenarbeit , insbesondere die bereits in den Jahren zuvor erfolgten Zahlungen an eine vom Angeklagten S. gehaltene Scheingesellschaft, den abredegemäßen Einsatz des Angeklagten S. im Gemeinderat für das Bauprojekt des Mitangeklagten, seine Abstimmung im Rat für das Bauprojekt sowie auf die erheblichen von C. an S. geleisteten Zahlungen abgestellt. Dass der Vermögensvorteil erst nachträglich im „Erfolgsfall“ (UA S. 42) durch den Angeklagten C. gewährt worden ist, steht dem ebenso wenig entgegen wie das seiner politischen Überzeugung entsprechende Abstimmungsverhalten des Angeklagten S. im Rat der Stadt (vgl. BGH aaO S. 63 Tz. 54).

II.


4
Die Verurteilung des Angeklagten F. wegen vollendeter Maßnahmevereitelung (§ 258 Abs. 1 Alt. 2 StGB) hält revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand.
5
1. Das Landgericht hat dazu folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
6
a) Der Angeklagte F. hielt gemeinsam mit S. verschiedene Grundstücksobjekte, wobei die Mietüberschüsse in einem Wertpapierdepot der örtlichen Sparkasse angelegt wurden. Der Depotwert stand beiden je zur Hälfte zu (UA S. 34). Im August 2001 erhielt der Angeklagte F. davon Kenntnis, dass S. „wegen Verdunkelungsgefahr in Untersuchungshaft genommen worden war“ (UA S. 35). Auf Grund dessen und des gegen S. „bestehenden Tatverdachts der Bestechlichkeit ging der Angeklagte F. davon aus, dass staatlicherseits in irgendeiner Form ein Zugriff auf Vermögenswerte des Angeklagten S. erfolgen werde“ (UA S. 35). Um das zu verhindern, reiste er am Tag nach Kenntniserlangung von der Inhaf- tierung S. s aus dem Urlaub zurück nach Deutschland und transferierte nach Rücksprache mit dessen Ehefrau fünf Tage später den gesamten Depotwert in Höhe von etwa 370.000 DM auf sein eigenes Wertpapierdepot. Drei Tage später ordnete das Amtsgericht Wuppertal den dinglichen Arrest zur Sicherung des Verfalls von Wertersatz gegen S. in Höhe von etwa 150.000 DM in das vorgenannte Wertpapierdepot an; wegen der vom Angeklagten F. veranlassten Transaktion ging der Arrest indes „ins Leere“.
7
b) Die Strafkammer erblickt darin eine Maßnahmevereitelung „gemäß § 258 Abs. 1 und 2 StGB“ (UA S. 52). Der Angeklagte habe den staatlichen Anspruch auf „Anordnung des dinglichen Arrestes auch – zumindest zum Teil – vereitelt“, da ein Zugriff „auf das Ursprungskonto nunmehr ins Leere lief“ und er dies auch als „sichere Folge seiner Handlung vorausgesehen hat“ (UA S. 52).
8
2. Der Schuldspruch wegen vollendeter Maßnahmevereitelung ist rechtsfehlerhaft. Nach § 258 Abs. 1 Alt. 2, § 11 Abs. 1 Nr. 8, §§ 73 ff. StGB ist nur strafbar, wer absichtlich oder wissentlich ganz oder zum Teil vereitelt, dass ein anderer wegen einer rechtswidrigen Tat einer Maßnahme unterworfen wird; dies kann nach § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB auch der Verfall nach §§ 73 ff. StGB sein.
9
a) Die Anordnung des Verfalls betreffend den Vortäter, hier den Mitangeklagten S. , ist gerade nicht unterblieben; gegen ihn wurde – wie von Beginn an beabsichtigt – Wertersatzverfall (§ 73a StGB) angeordnet. Weitergehende Feststellungen für eine Verzögerung der Verfallsanordnung für geraume Zeit, die ebenfalls eine Vollendungsstrafbarkeit tragen würden (vgl. Fischer, StGB 57. Aufl. § 258 Rdn. 8), hat das Landgericht nicht getroffen.
10
b) Soweit das Landgericht an den vom Amtsgericht angeordneten dinglichen Arrest (§ 111d StPO) zur Sicherung des Verfalls von Wertersatz anknüpft und bereits diesen als Maßnahme im Sinne von § 258 Abs. 1 Alt 2. StGB als vereitelt ansieht, unterliegt es einem Rechtsirrtum.
11
aa) Allerdings kann auch die Vereitelung einer strafprozessualen Sicherungsmaßnahme als Begehungsform der Maßnahmevereitelung nach § 258 Abs. 1 Alt. 2 StGB in Betracht kommen, wenn der Täter jedenfalls bedingt vorsätzlich die spätere Verfallsanordnung im Urteil verhindert hat. Namentlich gilt dies, sofern von einer Verfallsanordnung im Urteil gegen den Vortäter wegen zwischenzeitlich eingetretener Vermögenslosigkeit abgesehen worden ist (vgl. § 73c Abs. 1 StGB), obgleich bei Ausbleiben der Vereitelungshandlung durch eine vorläufige Sicherungsmaßnahme (§§ 111b ff. StPO) Vermögen gesichert worden wäre.
12
Eine Maßnahmevollstreckungsvereitelung nach § 258 Abs. 2 Alt. 2 StGB kann dann gegeben sein, wenn im Urteil gegen den Vortäter zwar der Verfall angeordnet wurde, dieser allerdings anschließend nicht durchsetzbar ist, weil eine vormals noch aussichtsreiche einstweilige Sicherung durch den Täter jedenfalls bedingt vorsätzlich auch mit Blick auf die dadurch gefährdete Durchsetzbarkeit des im Urteil zu titulierenden Anspruchs verhindert wurde und weiteres Vermögen in nennenswertem Umfang nicht (mehr) vorliegt (vgl. Jahn in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB 2009 § 258 Rdn. 36; vgl. auch Altenhain , Das Anschlussdelikt 2002 S. 366; Leip, Der Straftatbestand der Geldwäsche 1995 S. 17; Arzt JZ 1993, 913, 914 Fn. 10, 915).
13
Keine der genannten Fallkonstellationen liegt hier vor. Der Verfall wurde angeordnet (vgl. oben 2a). Seine Nichtdurchsetzbarkeit wurde nicht festgestellt , so dass hinsichtlich einer Maßnahmevollstreckungsvereitelung nur ein Versuch in Betracht kommt (vgl. unten 3).
14
bb) Die lediglich vollstreckungssichernden Maßnahmen der Strafprozessordnung selbst sind keine Maßnahmen im Sinne von § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB; allein ihre Vereitelung kann den Tatbestand des § 258 Abs. 1 StGB nicht erfüllen (vgl. auch Jahn aaO Rdn. 12). § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB erfasst als Maßnahmen nur Maßregeln der Besserung und Sicherung, den Verfall, die Einziehung und die Unbrauchbarmachung.
15
Diese Auslegung entspricht dem eindeutigen Wortlaut des § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB; dessen Aufzählung ist abschließend und enthält ausschließlich Rechtsfolgen der Tat, die ebenso wie die Haupt- und Nebenstrafen gemäß § 258 Abs. 1 Alt. 1 StGB in der Urteilsformel anzuordnen und – insbesondere mit Blick auf § 258 Abs. 2 StGB – der Rechtskraft fähig sind. Es fehlt ein ausdrücklicher Bezug auf Verfahrensvorschriften, denen jedenfalls teilweise auch vollstreckungssichernde Wirkung zukommt (vgl. §§ 111a ff. StPO); sie können schon deshalb nicht im Wege der Auslegung in den Maßnahmebegriff einbezogen werden (vgl. zur gebotenen restriktiven Auslegung Hilgendorf in LK 12. Aufl. § 11 Rdn. 98; MünchKomm-Radtke StGB 2008 § 11 Rdn. 100).
16
Auch eine normübergreifende Betrachtung stützt dieses Begriffsverständnis. Soweit Vorschriften auf § 11 Abs. 1 Nr. 8 StGB Bezug nehmen und über dessen ausdrücklich benannte Rechtsfolgen hinaus weitere Verfolgungs - oder Vereitelungsmaßnahmen erfassen sollen, werden diese Verfahren oder Sanktionen jeweils konkret benannt (vgl. nur § 261 Abs. 1 Satz 1, § 344 Abs. 2 Satz 2, § 345 Abs. 3 Satz 2 StGB). Eine solche Erweiterung ist bei § 258 Abs. 1 StGB unterblieben, so dass auch insoweit eine Vereitelung der vollstreckungssichernden Maßnahme nach § 111d StPO nicht tatbestandsmäßig ist.
17
Überdies belegt der Gang des Gesetzgebungsverfahrens, dass mit dem Maßnahmebegriff ein „einheitlicher Ausdruck“ geschaffen werden sollte für die „Nebenfolgen“ Verfall und Einziehung sowie für die Maßregeln der Besserung und Sicherung als „Folgen der Tat“ und damit lediglich für Rechtsfolgen , die mit dem Urteil anzuordnen sind (vgl. Niederschriften über die Sit- zungen der Großen Strafrechtskommission Band IV S. 367; Protokolle des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, 5. Wahlperiode, Bd. 1 S. 238).
18
Kein anderes Ergebnis folgt aus dem vom Landgericht zur Begründung herangezogenen Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfG wistra 2004, 99). Dieses musste sich nur mit den verfassungsrechtlichen Grenzen einer Auslegung des § 258 StGB befassen, aber selbst keine einfach-gesetzliche Auslegung vornehmen.
19
3. Der Rechtsfehler führt gemäß § 354 Abs. 1 StPO analog lediglich zur Änderung des Schuldspruchs gegen den Angeklagten F. . Das Landgericht hat rechtsfehlerfrei alle notwendigen Feststellungen hinsichtlich einer versuchten Maßnahmevollstreckungsvereitelung im Sinne des § 258 Abs. 2 Alt. 2 StGB getroffen. Die Vorschrift des § 265 StPO steht der Schuldspruchänderung nicht entgegen. Der Angeklagte hätte sich gegen den verringerten Schuldvorwurf nicht anders als geschehen verteidigen können.
20
a) Für einen entsprechenden Tatentschluss hat die Strafkammer zu Recht auf die Höhe der vom Angeklagten transferierten Summe und sein rechtsfehlerfrei festgestelltes Eigeninteresse an der Durchsetzung seines zivilrechtlichen Anspruchs gegen den Mitangeklagten S. abgestellt. Diesen konnte er nach seiner Vorstellung wesentlich leichter durch die Verlagerung des Wertpapiervermögens realisieren. Dass der Angeklagte nach der von der Revision beanstandeten – für sich freilich missverständlichen – Wendung der Strafkammer „100%ig davon überzeugt gewesen sei, dass S. unschuldig in U-Haft sitzt“ (UA S. 49), steht der Vereitelungsabsicht nicht entgegen. Denn jedenfalls am 14. August 2001 erfuhr der Angeklagte F. , dass S. von den Ermittlungsbehörden wegen „des Tatverdachts der Bestechlichkeit“ festgenommen und gegen ihn die Untersuchungshaft angeordnet worden war (UA S. 35). Ein Vertrauen des Angeklagten darauf, dass ungeachtet dessen eine Verfallsanordnung unterbleiben würde, liegt fern.
21
b) Zur Tatbestandsverwirklichung hat der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen auch unmittelbar angesetzt (§ 22 StGB). Für die Strafvereitelung ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anerkannt, dass ein unmittelbares Ansetzen mit Beginn der Handlung gegeben ist, die den Vereitelungserfolg unmittelbar bewirken soll (vgl. BGHSt 31, 10, 12; BGHR StGB § 258 Abs. 4 Versuchsbeginn 1, 2; vgl. Ruß in LK 11. Aufl. § 258 Rdn. 28 m.w.N.). Das Gleiche gilt für die versuchte Maßnahme- oder Maßnahmevollstreckungsvereitelung. Weitere Handlungen über die vom Angeklagten F. vorgenommene Verfügung über das Depotguthaben hinaus waren – auch in subjektiver Hinsicht – nicht erforderlich. In dem gegen S. laufenden Ermittlungsverfahren und bei unmittelbar bevorstehender Arrestierung (§ 111d StPO) hatte sich die Gefahr für das geschützte Rechtsgut bereits zu diesem Zeitpunkt zureichend verdichtet. Bereits drei Tage nach Verfügung durch den Angeklagten F. wurde der dingliche Arrest zum Nachteil des S. angeordnet (UA S. 36).
22
4. Der Senat ändert den Schuldspruch dementsprechend auf versuchte Strafvereitelung. Dies führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.
23
5. Die Anordnung des Wertersatzverfalls (§ 73a StGB) gegen den Angeklagten F. muss entfallen.
24
Durch die versuchte Maßnahmevollstreckungsvereitelung hat der Angeklagte F. nicht „etwas“ für die Tat oder aus ihr im Sinne des § 73 Abs. 1 StGB erlangt. Der Verfall dient der Gewinnabschöpfung und damit dem Ausgleich einer unrechtmäßigen Vermögensverschiebung (vgl. Schmidt in LK 12. Aufl. § 73 Rdn. 7). Der strafrechtliche Verfallsanspruch stellt sich als eine öffentlich-rechtliche Abschöpfung des illegitimen Vermögensvorteils dar, der als Entgelt für die Tat oder als Gewinn aus ihr in das Vermögen des Täters unmittelbar gelangt ist (vgl. Schmidt aaO Rdn. 8). Eine solche Fallkonstellation ist hier nicht gegeben.
25
Dem Angeklagten F. flossen keine wirtschaftlichen Vermögenswerte zu, die ihm nicht auch bereits vor der Tat zugestanden hatten. Es wurde allein das Vermögen des S. verschoben, ohne dass F. einen unmittelbaren Vorteil erlangte; seine eigene Verfügungsgewalt änderte sich dadurch qualitativ nicht. Bereits vor der Tat war F. neben S. alleine zu Verfügungen über das gemeinsame Depotkonto berechtigt. Durch die Verschiebung des Guthabens auf das eigene Depotkonto des F. wurde S. zwar – mit seinem Einverständnis – dessen Verfügungsgewalt im Außenverhältnis entzogen. Dies stellte indes keine materielle Änderung dar, weil F. gegenüber S. weiterhin treuhänderisch gebunden und Letzterer wirtschaftlich Berechtigter blieb. Insoweit hatte der Angeklagte S. einen jederzeit durchsetzbaren Rückforderungsanspruch gegenüber F. . Dieser verhinderte mithin lediglich den Zugriff des Staates auf den Verfallsbetrag gegenüber S. , zog aber selbst keinen Vermögensvorteil.
26
Damit scheidet auch eine dem Regelungszweck der §§ 73 ff. StGB bei dem hier zu beurteilenden Sachverhalt widersprechende doppelte Inanspruchnahme F. s – aus der Verfallsanordnung einerseits und aus dem zivilrechtlichen Rückforderungsanspruchs S. s andererseits – aus (vgl. auch BGHSt 47, 22, 31 f.; BGHR StGB § 73 Verletzter 4). Durch die Pfän- dung des zivilrechtlichen Rückforderungsanspruchs kann der gegen S. angeordnete Verfall staatlicherseits sicher durchgesetzt werden, weil hierfür die bei F. sistierten Vermögenswerte zur Verfügung stehen werden.
Brause Raum Schneider
König Bellay

(1) Hat der Täter oder Teilnehmer durch eine rechtswidrige Tat oder für sie etwas erlangt, so ordnet das Gericht dessen Einziehung an.

(2) Hat der Täter oder Teilnehmer Nutzungen aus dem Erlangten gezogen, so ordnet das Gericht auch deren Einziehung an.

(3) Das Gericht kann auch die Einziehung der Gegenstände anordnen, die der Täter oder Teilnehmer erworben hat

1.
durch Veräußerung des Erlangten oder als Ersatz für dessen Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung oder
2.
auf Grund eines erlangten Rechts.

(1) Ist eine rechtswidrige Tat begangen worden, so ordnet das Gericht die Einziehung von Gegenständen des Täters oder Teilnehmers auch dann an, wenn diese Gegenstände durch andere rechtswidrige Taten oder für sie erlangt worden sind.

(2) Hat sich der Täter oder Teilnehmer vor der Anordnung der Einziehung nach Absatz 1 an einer anderen rechtswidrigen Tat beteiligt und ist erneut über die Einziehung seiner Gegenstände zu entscheiden, berücksichtigt das Gericht hierbei die bereits ergangene Anordnung.