Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Apr. 2013 - 5 StR 104/13

bei uns veröffentlicht am25.04.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

5 StR 104/13

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 25. April 2013
in der Strafsache
gegen
wegen versuchter schwerer Brandstiftung u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. April 2013

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 21. November 2012 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen aufgehoben. Jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten. Insoweit wird die weitergehende Revision nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchter schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit Sachbeschädigung und Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz unter Einbeziehung von Geldstrafen aus zwei amtsrichterlichen Straferkenntnissen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten, der die Nichtanordnung der Maßregeln nach §§ 63 und 64 StGB von seinem Revisionsangriff ausnimmt. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
2
1. Die Schuldfähigkeitsprüfung des Landgerichts hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
3
a) Nach den durch die sachverständig beratene Strafkammer getroffenen Feststellungen litt der Angeklagte seit Jahren an einem drogeninduzierten paranoiden Zustandsbild (ICD 10: F 22.0), aufgrund dessen er aggressiv gestimmte Wahnideen namentlich gegenüber dem Zeugen D. entwickelte und sich von diesem verfolgt sowie bedroht fühlte. Er war zumindest zur Tatzeit und zuvor der – haltlosen – Auffassung, D. habe mit Mittätern zahlreiche junge Frauen, unter anderem auch Bekannte des Angeklagten, unter Drogen gesetzt, vergewaltigt und zur Prostitution gezwungen. Nach der durch das Landgericht den Feststellungen nicht zugrunde gelegten Einlassung des Angeklagten kündigte ihm D. am Tattag an, zu einer Freundin des Angeklagten nach Stuttgart fahren zu wollen, und bedrohte diesen mit einer Pistole.
4
b) Unter solchen Vorzeichen wäre das Landgericht gehalten gewesen, sich nicht nur mit einer etwaigen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit, sondern auch mit der – gegebenenfalls ersichtlich nicht verschuldeten – Aufhebung der Unrechtseinsicht des Angeklagten aufgrund des diagnostizierten Wahnsyndroms und damit der Aufhebung der Schuldfähigkeit nach § 20 StGB zu befassen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 13. November 1990 – 1 StR 514/90, BGHR StGB § 20 Einsichtsfähigkeit 3, BGH, Beschluss vom 24. September 1990 – 4 StR 392/90, NStZ 1991, 31, 32).
5
c) Auch die Ausführungen zur Steuerungsfähigkeit ermöglichen nicht die Nachprüfung, ob das Landgericht zu Recht nur die Voraussetzungen des § 21 StGB angenommen hat. Das gilt schon deswegen, weil das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen sowie die in den Urteilsgründen angesprochenen Vorbegutachtungen nur im Ergebnis, nicht jedoch in der Begründung mitgeteilt werden. Die allein wiedergegebene Erwägung des Sachverständigen , die durch den Angeklagten vor der Tat gegen D. erstatteten Strafanzeigen würden belegen, dass der Angeklagte zu „legalen Handlungsalternativen“ imstande gewesen sei, kann die Beurteilung nicht tragen. Denn nach dem Zusammenhang der Urteilsgründe beruhten gerade die – offen- sichtlich unberechtigten – Strafanzeigen ihrerseits auf dem Wahnsyndrom. Dementsprechend wurden einige Ermittlungsverfahren gegen den Angeklagten , die falsche Verdächtigungen zum Gegenstand hatten, wegen Schuldunfähigkeit eingestellt (UA S. 3, 5, 7).
6
2. Der Rechtsfehler führt zur Urteilsaufhebung auch insoweit, als von der Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) bzw. in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgesehen worden ist. Die durch den Angeklagten hierzu vorgenommene Rechtsmittelbeschränkung ist unwirksam. Der Schuldspruch und eine mögliche Maßregelanordnung sind hier mit Rücksicht auf eine denkbare Schuldunfähigkeit des Angeklagten so eng miteinander verknüpft, dass das Unterbleiben der Maßregelanordnung nicht von der Anfechtung ausgenommen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 20. September 2002 – 2 StR 335/02, BGHR StPO § 318 Maßregel 1; siehe auch BGH, Beschluss vom 22. Juni 2011 – 2 StR 139/11, StV 2012, 72). Entsprechendes gilt bereits im Hinblick auf § 72 StGB für die Frage der Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Februar 2009 – 2 StR 509/08, NStZ-RR 2009, 170). Das neu entscheidende Tatgericht wird deswegen namentlich eingehend darzulegen haben, ob und aus welchen Gründen der Angeklagte – auch eingedenk im angefochtenen Urteil angenommener fehlender Er- folgsaussicht einer Drogentherapie – tatsächlich dauerhaft von seiner wahnhaften Störung geheilt ist. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 64 StGB wird es zu erörtern haben, ob die Aussicht besteht, dass die Therapiebereitschaft des Angeklagten geweckt werden kann (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 64 Rn. 20 mit zahlreichen Nachweisen).
7
3. Hingegen ist das äußere Tatgeschehen rechtsfehlerfrei festgestellt und daher von der Aufhebung nicht betroffen.
8
4. Sollte das neu entscheidende Tatgericht abermals zu der Auffassung gelangen, dass der Angeklagte lediglich im Zustand verminderter Schuldfähigkeit nach § 21 StGB gehandelt hat, so wird es im Rahmen der Strafzumessung zu beachten haben, dass gerade wegen der wahnbedingten Beeinträchtigung des Steuerungsvermögens die Tatmodalitäten, aber auch die Rückfallgeschwindigkeit und der Bewährungsbruch nur nach dem Maß der verminderten Schuld zum Nachteil des Angeklagten herangezogen werden dürfen (zur Art der Tatausführung: st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 31. Januar 2012 – 3 StR 453/11, NStZ-RR 2012, 169 mwN). Entsprechendes gilt für die im angefochtenen Urteil erörterte Warnwirkung bislang im Zusammenhang mit dem Wahnsyndrom ergriffener hoheitlicher Maßnahmen gegen den Angeklagten. Soweit dort strafschärfend ausdrücklich der 2006 erfolgte, mithin Jahre zurückliegende Freispruch wegen Schuldunfähigkeit verwertet wird, begegnet dies jedenfalls ohne Mitteilung näherer Details, etwa zum seinerzeitigen Vorstellungsbild des Angeklagten, Bedenken.
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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


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Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafgesetzbuch - StGB | § 20 Schuldunfähigkeit wegen seelischer Störungen


Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

Strafgesetzbuch - StGB | § 72 Verbindung von Maßregeln


(1) Sind die Voraussetzungen für mehrere Maßregeln erfüllt, ist aber der erstrebte Zweck durch einzelne von ihnen zu erreichen, so werden nur sie angeordnet. Dabei ist unter mehreren geeigneten Maßregeln denen der Vorzug zu geben, die den Täter am we

Strafprozeßordnung - StPO | § 318 Berufungsbeschränkung


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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

Die Berufung kann auf bestimmte Beschwerdepunkte beschränkt werden. Ist dies nicht geschehen oder eine Rechtfertigung überhaupt nicht erfolgt, so gilt der ganze Inhalt des Urteils als angefochten.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 139/11
vom
22. Juni 2011
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer am 22. Juni 2011 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten F. wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 10. Dezember 2010, soweit es ihn betrifft, im gesamten Rechtsfolgenausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision des Angeklagten F. wird als unbegründet verworfen. 2. Die Revisionen der Angeklagten M. und R. werden als unbegründet verworfen. Von der Auferlegung der Kosten des Rechtsmittels auf den Angeklagten M. wird abgesehen. Der Angeklagte R. hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat gegen den Angeklagten M. wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen, davon in drei Fällen zugleich in Tateinheit mit unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, unter Einbeziehung eines früheren Urteils eine Jugendstrafe von zwei Jahren mit Strafaussetzung zur Bewährung verhängt. Es hat ferner den Angeklagten F. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neu Monaten verurteilt und einen Geldbetrag in Höhe von 500 Euro für verfallen erklärt. Schließlich hat es den Angeklagten R. wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in drei Fällen, davon in zwei Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten bei Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt. Hiergegen richten sich die Revisionen der Angeklagten. Die Rechtsmittel der Angeklagten M. und R. sind insgesamt, die
2
Revision des Angeklagten F. ist hinsichtlich des Schuldspruchs unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Insoweit wird auf die zutreffende Begründung der Antragsschriften des Generalbundesanwalts vom 6. April 2011 Bezug genommen.
3
Dagegen kann der Rechtsfolgenausspruch zum Nachteil des Angeklagten F. keinen Bestand haben. Das Landgericht hat dessen Drogenabhängigkeit festgestellt. Es hat aber versäumt, diesen Aspekt unter dem Blickwinkel eines minderschweren Falles gemäß § 29a Abs. 2 BtMG beziehungsweise § 30 Abs. 2 BtMG oder unter dem Gesichtspunkt einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit zur Tatzeit im Sinne von § 21 StGB sowie auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt zu erörtern. Der Senat kann nicht sicher ausschließen, dass diese Prüfung eine dem Angeklagten günstigere Entscheidung im Straf- und Maßregelausspruch ergeben hätte. Der Angeklagte hat zwar mit Verteidigerschriftsatz vom 30. April 2011 er4 klärt, er nehme die Nichtanordnung einer Maßregel gemäß § 64 StGB vom Rechtsmittelangriff aus. Diese Revisionsbeschränkung ist jedoch unwirksam, weil zugleich der Schuldspruch mit einer Verfahrensrüge und der Sachbeschwerde angegriffen wurde, der von der Maßregelfrage nicht getrennt werden kann (BGH NStZ-RR 2010, 171 f.), ferner weil die Entscheidung über den Strafund den Maßregelausspruch untrennbar erscheint.
5
Nicht begründet ist die Anordnung des Verfalls eines Geldbetrages gegen den Angeklagten F. , da die Urteilsfeststellungen nur ergeben, dass dieser als Gegenleistung für seine Tatbeiträge zehn Gramm Amphetamin erhalten hat.
Fischer Appl Berger Eschelbach Ott

(1) Sind die Voraussetzungen für mehrere Maßregeln erfüllt, ist aber der erstrebte Zweck durch einzelne von ihnen zu erreichen, so werden nur sie angeordnet. Dabei ist unter mehreren geeigneten Maßregeln denen der Vorzug zu geben, die den Täter am wenigsten beschweren.

(2) Im übrigen werden die Maßregeln nebeneinander angeordnet, wenn das Gesetz nichts anderes bestimmt.

(3) Werden mehrere freiheitsentziehende Maßregeln angeordnet, so bestimmt das Gericht die Reihenfolge der Vollstreckung. Vor dem Ende des Vollzugs einer Maßregel ordnet das Gericht jeweils den Vollzug der nächsten an, wenn deren Zweck die Unterbringung noch erfordert. § 67c Abs. 2 Satz 4 und 5 ist anzuwenden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 453/11
vom
31. Januar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
31. Januar 2012 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 8. September 2011 mit den Feststellungen aufgehoben
a) im Einzelstrafausspruch zur Tat 1 der Urteilsgründe,
b) im Ausspruch über die Gesamtfreiheitsstrafe und
c) im Ausspruch über die Dauer des Vorwegvollzugs der Strafe vor Vollziehung der Maßregel.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger dadurch entstandenen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Tat 1), wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Hausfriedensbruch und wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zur Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet und bestimmt, dass ein Jahr und drei Monate der Freiheitsstrafe vor Vollziehung der Maßregel vollstreckt werden. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt.
2
Die auf die Sachrüge gestützte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
3
Der Strafausspruch zur Tat 1 der Urteilsgründe hat keinen Bestand.
4
1. Nach den Feststellungen zu dieser Tat wollte der Angeklagte den Geschädigten aus Wut abstrafen, weil dieser ihn einige Zeit zuvor angespuckt und ihm eine Ohrfeige gegeben hatte. Er schlug ihm von hinten mit der Faust gegen den Kopf, wobei er dessen Arglosigkeit bewusst ausnutzte. Anschließend trat er mit Turnschuhen an den Füßen mindestens sieben Mal wuchtig auf den Kopf des Tatopfers ein und nahm dabei dessen möglichen Tod billigend in Kauf. Die - sachverständig beratene - Strafkammer ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte durch das Zusammenwirken seiner Alkoholisierung (Blutalkoholkonzentration zur Tatzeit von 1,89 ‰) und einer massiven affektiven Erregung nicht ausschließbar in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich vermindert war (§ 21 StGB). In der Strafzumessung hat es zu Lasten des Angeklagten gewertet , dass er mit einem erschreckenden Ausmaß von roher und brutaler Gewalt gegen sein Opfer vorging.
5
2. Diese Strafzumessungserwägung begegnet unter den hier gegebenen Umständen durchgreifenden rechtlichen Bedenken; denn die Art der Tatausführung darf einem Angeklagten nur dann ohne Abstriche strafschärfend zur Last gelegt werden, wenn sie in vollem Umfang vorwerfbar ist, nicht aber, wenn ihre Ursache in einer von ihm nicht oder nur eingeschränkt zu vertretenen geistigseelischen Beeinträchtigung liegt (BGH, Beschluss vom 29. Juni 2000 - 1 StR 223/00, StV 2001, 615; Urteil vom 17. Juli 2003 - 4 StR 105/03, NStZ-RR 2003, 294; Beschluss vom 8. Oktober 2002 - 5 StR 365/02, NStZ-RR 2003, 104; Beschluss vom 16. Juli 2003 - 1 StR 251/03, NStZ-RR 2003, 362; Beschluss vom 29. November 2011 - 3 StR 375/11; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 46 Rn. 32). Damit , ob dem Angeklagten die ihm vorgeworfene "rohe und brutale Gewalt" seines Vorgehens trotz der Umstände, die seine nicht ausschließbar erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit begründen, uneingeschränkt vorwerfbar ist, setzt sich das Urteil indes nicht auseinander. Sie kann auch Ausdruck der verminderten Schuldfähigkeit gewesen sein.
6
Die Aufhebung des Einzelstrafausspruchs zur Tat 1 der Urteilsgründe hat die Aufhebung der verhängten Gesamtfreiheitsstrafe und der Entscheidung über die Dauer des Vorwegvollzugs der Freiheitsstrafe vor der Maßregel zur Folge.
7
3. Der Senat weist darauf hin, dass bei der Strafzumessung sorgfältig auf das Verbot der Doppelverwertung von Tatbestandsmerkmalen (§ 46 Abs. 3 StGB) zu achten ist. Ein versuchter Mord durch wuchtige Tritte mit den Füßen gegen den Kopf ist regelmäßig mit roher und brutaler Gewalt verbunden. Die strafschärfende Erwägung, der Angeklagte habe sich zunächst nicht durch einen Dritten von der Fortsetzung seiner Tritte abhalten lassen, ist rechtsfehler- haft, wenn ihm dadurch vorgeworfen wird, vom Versuch nicht freiwillig zurückgetreten zu sein (vgl. Fischer, StGB, 59. Aufl., § 46 Rn. 76 f.).
Becker Pfister von Lienen
Hubert Schäfer