Bundesgerichtshof Beschluss, 30. Jan. 2001 - 4 StR 569/00

bei uns veröffentlicht am30.01.2001

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 569/00
vom
30. Januar 2001
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 30. Januar 2001 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 17. Juli 2000 im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Das Rechtsmittel führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des Strafausspruchs; im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Zur Verfahrensrüge Ziffer II 1 der Revisionsbegründung (Verletzung des § 261 StPO) ist ergänzend zum Verwerfungsantrag des Generalbundesanwalts vom 28. Dezember 2000 anzumerken, daß dahinstehen kann, ob die Angaben der Zeugin M. z u den persönlichen Verhältnissen des Ange-
klagten hätten verwertet werden dürfen, weil jedenfalls der Schuldspruch auf diesen Angaben nicht beruht und der Strafausspruch bereits auf die Sachrüge aufgehoben werden muß.
2. Nach den Feststellungen bot der Angeklagte der zur Tatzeit 16jährigen Andrea K. an, sie mit seinem Pkw nach Hause zu fahren. Beide kannten sich. Der Angeklagte, der vorhatte, zu Andrea K. "sexuelle Beziehungen" aufzunehmen, verließ unter einem Vorwand das Ortsgebiet von Dömitz, nahm während der Fahrt ihre Hand, führte diese auf sein rechtes Knie und "schob sie sodann in Richtung seines Genitalbereiches". Als es ihr gelang, die Hand wegzuziehen, begann er, ihr linkes Bein zu streicheln, wogegen sie sich wehrte. Er parkte dann in einem einsamen Waldgebiet, legte seinen rechten Arm um ihre Schultern "und versuchte, sie auf den Mund zu küssen". Als sie ihn wegdrückte, schrie er sie an, sie solle sich ausziehen, er wolle mit ihr den Geschlechtsverkehr ausführen. "Hierüber” verängstigt brach sie in Tränen aus, ”woraufhin sich der Angeklagte über sie lustig machte". Er fuhr dann weiter, ergriff ihre Hand und drückte sie mehrfach "gegen seinen Genitalbereich". Obwohl sie sich heftig wehrte, konnte sich Andrea K. nicht befreien. Auf ihre Forderung, "sie endlich in Ruhe zu lassen", machte der Angeklagte den Vorschlag , "sie könne ja aussteigen". Als er anhielt und sie versuchte zu entkommen , fuhr der Angeklagte das Fahrzeug schnell an, so daß sie den Pkw nicht verlassen konnte. Mit der Drohung, "er werde sie sonst nicht nach Hause fahren bzw. er (werde) sie aussetzen und sie könne zu Fuß nach Hause laufen", zwang er sie, ihre Hand auf sein Bein zu legen. Er ergriff diese und führte sie ”an seinen Genitalbereich". Als Andrea K. ihn aufforderte, "sich selbst zu befriedigen" , brachte er das Fahrzeug zum Stehen und beschimpfte sie. Danach "zog er die Hand der Geschädigten erneut an sein Geschlechtsteil". Schließlich
setzte er sie nach insgesamt etwa 1 1/2stündiger Fahrt - gegen 18.00 Uhr - in Dömitz ab.
3. Das Landgericht hat das Tatgeschehen rechtlich zutreffend als sexuelle Nötigung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung gewürdigt. Als "strafrechtlich relevante (sexuelle) Handlungen" hat es a) das Erzwingen des Berührens des Geschlechtsteils des Angeklagten, b) das Streicheln der Oberschenkel der Geschädigten und c) den Versuch, die Geschädigte zu küssen, und als Nötigungsmittel alle drei Alternativen des § 177 Abs. 1 StGB angesehen (UA 21 f.).
Damit wird dem Angeklagten jedoch ein zu weit gehender Schuldumfang angelastet; der Strafausspruch kann deshalb nicht bestehen bleiben.

a) Nach § 184 c Nr. 1 StGB sind sexuelle Handlungen nur solche "von einiger Erheblichkeit". Ob die "Erheblichkeitsschwelle" überschritten ist, bestimmt sich nach dem Grad der Gefährlichkeit der Handlung für das jeweils betroffene Rechtsgut (vgl. BGHR StGB § 184 c Nr. 1 Erheblichkeit 4 m.w.N.). Danach ist zwar das mehrfache Erzwingen des Berührens des (bedeckten) Geschlechtsteils des Angeklagten als sexuelle Nötigung zu werten; das Streicheln des (bedeckten) Beines der Geschädigten und der mißlungene Kußversuch stellen aber keine (gesondert zu berücksichtigenden) sexuellen Handlungen dar (s. BGHR StGB § 184 c Nr. 1 Erheblichkeit 2; BGH NStZ 1988, 70, 71; 1992, 432; StV 2000, 197; Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 184 c Rdn. 7, 8 m.w.N.).

b) Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet auch die (ausdrücklich strafschärfend gewürdigte) Wertung des Landgerichts, es lägen "alle drei
Alternativen des Tatbestandes der sexuellen Nötigung" (Gewalt, Drohung und Ausnutzen einer schutzlosen Lage) vor (UA 21 f., 27). Während "Gewalt" und "Ausnutzen einer schutzlosen Lage" durch die Feststellungen getragen werden , ist das Nötigungsmittel "Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben" (§ 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB) nicht belegt. Das Landgericht sieht diese Tatbestandsalternative dadurch als verwirklicht an, daß der Angeklagte der Geschädigten gegenüber "geäußert (habe), sie vergewaltigen zu wollen bzw. ihr in Aussicht stellte, sie im Wald bzw. in einer Gegend, in der sie sich nicht auskannte, bei Dunkelheit auszusetzen" (UA 22). Nach den Feststellungen hat der Angeklagte "sinngemäß" gesagt, daß er mit ihr den Geschlechtsverkehr vollziehen wolle (UA 12). Selbst wenn diese Ä ußerung als "Drohung mit einer Vergewaltigung” gemeint gewesen ist, so wäre das genannte Tatbestandsmerkmal nur dann erfüllt, wenn der Geschädigten - ebenso wie mit der Ä ußerung , sie werde sonst "ausgesetzt” und ”könne zu Fuß nach Hause laufen" (UA 13) - zur Überwindung ihres Widerstandes ein schwerer Angriff auf ihre körperliche Unversehrtheit in Aussicht gestellt worden wäre (vgl. BGH StV 1994, 127; NStZ 1999, 505; BGH, Urteil vom 17. Oktober 2000 - 1 StR 270/00). Das aber ist nicht festgestellt.
Die Strafe muß daher neu bestimmt werden.
4. Zu dem an das Landgericht gerichteten Antrag vom 15./17. November 2000, Rechtsanwalt Ke. aus Hagenow als Pflichtverteidiger beizuordnen (Bd. IV Bl. 582 d.A.), bemerkt der Senat: Für diesen Antrag ist der Vorsitzende des Gerichts zuständig, dessen Urteil angefochten wurde und der bereits mit der Pflichtverteidigerbestellung befaßt war (Bd. III Bl. 224, Bd. IV Bl. 561 ff.; vgl. hierzu BGHR StPO § 141 Bestellung 3; BGH, Beschluß vom 6. De-
zember 2000 - 2 StR 471/00; Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 141 Rdn. 6 m.w.N.). Eines Zuwartens mit der Entscheidung über die Revision bedurfte es jedoch nicht; denn ein Nachschieben von Verfahrensrügen wäre wegen des Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist (§ 345 Abs. 1 Satz 1 StPO) unzulässig und auf die - in der Gegenerklärung durch Rechtsanwalt Ke. näher ausgeführte - Sachrüge hat der Senat das Urteil umfassend geprüft.
Maatz Kuckein Athing

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 261 Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung


Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

Strafgesetzbuch - StGB | § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung


(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei

Strafprozeßordnung - StPO | § 345 Revisionsbegründungsfrist


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Strafprozeßordnung - StPO | § 141 Zeitpunkt der Bestellung eines Pflichtverteidigers


(1) In den Fällen der notwendigen Verteidigung wird dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, unverzüglich ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich be

Strafgesetzbuch - StGB | § 184 Verbreitung pornographischer Inhalte


(1) Wer einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) 1. einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überläßt oder zugänglich macht,2. an einem Ort, der Personen unter achtzehn Jahren zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, zugänglich

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Über das Ergebnis der Beweisaufnahme entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Inbegriff der Verhandlung geschöpften Überzeugung.

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Wer einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3)

1.
einer Person unter achtzehn Jahren anbietet, überläßt oder zugänglich macht,
2.
an einem Ort, der Personen unter achtzehn Jahren zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, zugänglich macht,
3.
im Einzelhandel außerhalb von Geschäftsräumen, in Kiosken oder anderen Verkaufsstellen, die der Kunde nicht zu betreten pflegt, im Versandhandel oder in gewerblichen Leihbüchereien oder Lesezirkeln einem anderen anbietet oder überläßt,
3a.
im Wege gewerblicher Vermietung oder vergleichbarer gewerblicher Gewährung des Gebrauchs, ausgenommen in Ladengeschäften, die Personen unter achtzehn Jahren nicht zugänglich sind und von ihnen nicht eingesehen werden können, einem anderen anbietet oder überläßt,
4.
im Wege des Versandhandels einzuführen unternimmt,
5.
öffentlich an einem Ort, der Personen unter achtzehn Jahren zugänglich ist oder von ihnen eingesehen werden kann, oder durch Verbreiten von Schriften außerhalb des Geschäftsverkehrs mit dem einschlägigen Handel anbietet oder bewirbt,
6.
an einen anderen gelangen läßt, ohne von diesem hierzu aufgefordert zu sein,
7.
in einer öffentlichen Filmvorführung gegen ein Entgelt zeigt, das ganz oder überwiegend für diese Vorführung verlangt wird,
8.
herstellt, bezieht, liefert, vorrätig hält oder einzuführen unternimmt, um diesen im Sinne der Nummern 1 bis 7 zu verwenden oder einer anderen Person eine solche Verwendung zu ermöglichen, oder
9.
auszuführen unternimmt, um diesen im Ausland unter Verstoß gegen die dort geltenden Strafvorschriften zu verbreiten oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen oder eine solche Verwendung zu ermöglichen,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Absatz 1 Nummer 1 und 2 ist nicht anzuwenden, wenn der zur Sorge für die Person Berechtigte handelt; dies gilt nicht, wenn der Sorgeberechtigte durch das Anbieten, Überlassen oder Zugänglichmachen seine Erziehungspflicht gröblich verletzt. Absatz 1 Nr. 3a gilt nicht, wenn die Handlung im Geschäftsverkehr mit gewerblichen Entleihern erfolgt.

(3) bis (7) (weggefallen)

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 270/00
vom
17. Oktober 2000
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 17. Oktober
2000, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Schäfer
und die Richter am Bundesgerichtshof
Nack,
Dr. Wahl,
Schluckebier,
Schaal,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Landshut vom 14. Februar 2000
a) mit den Feststellungen in demjenigen unter Ziffer II.2.d der Urteilsgründe festgestellten Falle, in dem der Angeklagte der Geschädigten mit Vergewaltigung gedroht hat, sowie
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Mißbrauchs von Schutzbefohlenen in acht Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft erstrebt mit ihrer zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten Revision in einem der abgeurteilten Fälle auch eine Verurteilung wegen tateinheitlich begangener sexueller Nötigung. Hierauf ist ihr Rechtsmittel wirksam beschränkt. Zwar hat die Beschwerdeführerin einen unbeschränkten Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag
gestellt. Dieser steht aber im Widerspruch dazu, daß sie ihre Revision lediglich mit Ausführungen zu dem im Tenor bezeichneten Fall begründet. Deshalb ist das Angriffsziel des Rechtsmittels durch Auslegung zu ermitteln (vgl. BGHR StPO § 344 Abs. 1 Antrag 3; Kuckein in KK-StPO 4. Aufl. § 344 Rdn. 5 m.w.N.), die hier einen entsprechenden Beschränkungswillen der Beschwerdeführerin ergibt. Die vom Generalbundesanwalt vertretene Revision hat Erfolg. 1. Die Beschwerdeführerin beanstandet zu Recht, daß die vom Landgericht gegebene Begründung, mit der es in einem der unter Ziffer II. 2.d der Urteilsgründe festgestellten Fälle die Annahme einer tateinheitlich begangenen sexuellen Nötigung abgelehnt hat, nicht tragfähig ist.
a) Nach den getroffenen Feststellungen legte sich der Angeklagte auf der Wohnzimmercouch in seiner Wohnung auf seine zur Tatzeit 15-jährige Tochter, die zu diesem Zeitpunkt mit ihm allein in der Wohnung lebte. Er drohte ihr, falls sie "es nicht mache", werde er sie vergewaltigen. Er versuchte, sein Glied in die Scheide des Mädchens einzuführen. Ein vollständiges Eindringen des Angeklagten konnte die Geschädigte dadurch verhindern, daß sie sich verkrampfte. Das Landgericht sieht hierin keine vollendete sexuelle Nötigung und keine Vergewaltigung im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 1 und 2, Abs. 2 Nr. 1 StGB. Es ist der Ansicht, die Drohung des Angeklagten, er werde seine Tochter vergewaltigen, sei keine Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB. Dafür sei nicht jede drohende einfache Körperverletzung ausreichend, sondern nur "eine schwerere". Eine Vergewaltigung müsse aber nicht notwendig auch eine erhebliche Körperverletzung mit sich bringen.
Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs erfordert das Merkmal der Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben eine gewisse Schwere des in Aussicht gestellten Angriffs auf die körperliche Unversehrtheit. Deshalb ist nicht jede Drohung mit einer Handlung, die im Falle ihrer Verwirklichung Gewalt wäre, eine Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben (vgl. BGH StV 1994, 127 m.w.N.). Der Senat hat indes bereits früher hervorgehoben, daß die Androhung gegenüber einer 11-jährigen Tochter, mit ihr gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr auszuführen, mehr als nur die Androhung einer letztlich nicht sehr bedeutsamen Beeinträchtigung der körperlichen Integrität ist; sie ist in ihrem Gewicht mit der Androhung etwa einer Ohrfeige nicht vergleichbar (so BGHR StGB § 178 Abs. 1 Drohung 1). So liegt es auch hier. Der Gebrauch des Begriffs der Vergewaltigung durch den Angeklagten im Geschehenszusammenhang schloß erkennbar die Anwendung von Gewalt, also den Einsatz wenigstens solcher Körperkraft ein, die erforderlich gewesen wäre, nachhaltigere Abwehrreaktionen des Opfers zu brechen und den Geschlechtsverkehr gegen dessen Willen zu vollziehen. Eine solche - hier konkret in Aussicht gestellte - Verletzung der körperlichen Integrität der 15-jährigen leiblichen Tochter durch den Vater ist unter den gegebenen Umständen ersichtlich von solcher Intensität und Erheblichkeit, daß sie die Voraussetzungen gegenwärtiger Leibesgefahr für das Opfer (im Sinne des § 177 Abs. 1 Nr. 2 StGB) erfüllt (vgl. auch zur Erschöpfung und Ermüdung eines zehnjährigen Opfers als Gewaltanwendung: BGH NStZ 1996, 276; zur Berücksichtigung der Situation des Opfers: BGH bei Miebach NStZ 1993, 225 Nr. 22). Das Landgericht hat mithin die Anforderungen an die Erfüllung des Tatbestandsmerkmals überspannt.
b) Die Strafkammer geht weiter zu Gunsten des Angeklagten davon aus, dieser habe die Gegenwehr der Geschädigten nicht bemerkt und damit inso-
weit ohne Vorsatz (Nötigungsvorsatz) gehandelt. Dabei stützt es sich auf die Angaben der Geschädigten, die bekundet hatte, sie könne nicht sagen, ob der Angeklagte ihren Widerstand bemerkt habe. Sie habe ein Eindringen des Angeklagten dadurch vermeiden können, daß sie sich versteift oder einfach das Glied des Angeklagten mit der Hand weggedrückt habe. Diese Würdigung des Landgerichts ist in tatsächlicher Hinsicht lückenhaft. Die Strafkammer hätte sich zur Frage des Nötigungsvorsatzes des Angeklagten mit den gesamten festgestellten Tatumständen auseinandersetzen müssen, denen insoweit indizielle Bedeutung zukommen kann. Schon die Rahmenumstände des Tatgeschehens deuteten hier darauf hin, daß die gerade 15 Jahre alt gewordene leibliche Tochter des Angeklagten nicht freiwillig zur Duldung oder Vornahme sexueller Handlungen bereit war. In diesem Zusammenhang kann weiter von Bedeutung sein, daß die Geschädigte sich auch in den anderen Fällen des sexuellen Mißbrauchs zumeist verkrampfte oder einfach das Glied des Angeklagten mit ihrer Hand wegdrückte, um ein Eindringen in die Scheide zu verhindern. In weiteren Fällen des Oralverkehrs mußte sie würgen und sich einmal auch übergeben. Der Angeklagte erklärte darauf, sie solle das nicht vortäuschen. Das, aber auch der Umstand, daß der Angeklagte in der gegebenen Situation überhaupt die Drohung aussprach, er werde seine Tochter vergewaltigen, falls sie "es nicht mache", kann Schlüsse auf einen entsprechenden Nötigungsvorsatz des Angeklagten ermöglichen und bedurfte deshalb tatrichterlicher Würdigung. Das bloße Abstellen auf die Aussage der Geschädigten, die nicht zu sagen vermochte, ob der Angeklagte bemerkte, daß sie "sich sperrte", greift hier zu kurz. 2. Nach allem ist in dem bezeichneten Falle eine erneute tatrichterliche Würdigung geboten. Das bedingt auch den Wegfall der insoweit zugemesse-
nen Einzelstrafe sowie die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe. Der neue Tatrichter wird auch zu prüfen haben, ob die Voraussetzungen des § 177 Abs. 1 Nr. 3 StGB vorliegen, der Angeklagte also eine Lage des Opfers ausgenutzt hat, in der dieses seiner Einwirkung schutzlos ausgeliefert war. Das Revisionsvorbringen der Beschwerdeführerin gibt darüber hinaus Anlaß zu dem Hinweis, daß die bisherigen Feststellungen nicht sicher ergeben, ob der Angeklagte den Beischlaf mit seiner Tochter vollzogen hat. Ein vollständiges Eindringen des Gliedes in die Scheide ist dazu nicht erforderlich (vgl. BGHSt 16, 175; 37, 153, 154). Wäre es - unter den Voraussetzungen einer Nötigung - zur Vollendung des Beischlafes (i.S.v. BGHSt 16, 175) gekommen, könnte der Angeklagte das Regelbeispiel des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB erfüllt haben und der Vergewaltigung schuldig zu sprechen sein. Läge indessen nur eine "versuchte Vergewaltigung" bei vollendeter sexueller Nötigung (§ 177 Abs. 1 StGB) vor, müßte die Tatvollendung (sexuelle Nötigung) im Schuldspruch zum Ausdruck kommen. Die Tat kann in einem solchen Falle nicht nur als Versuch bezeichnet werden (BGH NJW 1998, 2987, 2988). 3. Die auf die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft hin gemäß § 301 StPO gebotene Nachprüfung des angefochtenen Urteils in dem hier allein in Rede stehenden Einzelfall auf etwaige den Angeklagten beschwerende Rechtsfehler hat einen solchen nicht ergeben. Die unter Ziffer II. 2.d der Urteilsgründe festgestellte Tat, um die es hier geht,
ist noch hinreichend konkretisiert und auch gegen die weiteren Einzelfälle abgrenzbar. Sie zeichnet sich durch die Besonderheit aus, daß der Angeklagte der Geschädigten mit ihrer Vergewaltigung drohte. Schäfer Nack Wahl Schluckebier Schaal

(1) In den Fällen der notwendigen Verteidigung wird dem Beschuldigten, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist und der noch keinen Verteidiger hat, unverzüglich ein Pflichtverteidiger bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt. Über den Antrag ist spätestens vor einer Vernehmung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung mit ihm zu entscheiden.

(2) Unabhängig von einem Antrag wird dem Beschuldigten, der noch keinen Verteidiger hat, in den Fällen der notwendigen Verteidigung ein Pflichtverteidiger bestellt, sobald

1.
er einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorgeführt werden soll;
2.
bekannt wird, dass der Beschuldigte, dem der Tatvorwurf eröffnet worden ist, sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet;
3.
im Vorverfahren ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte, insbesondere bei einer Vernehmung des Beschuldigten oder einer Gegenüberstellung mit ihm, nicht selbst verteidigen kann, oder
4.
er gemäß § 201 zur Erklärung über die Anklageschrift aufgefordert worden ist; ergibt sich erst später, dass die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig ist, so wird er sofort bestellt.
Erfolgt die Vorführung in den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 zur Entscheidung über den Erlass eines Haftbefehls nach § 127b Absatz 2 oder über die Vollstreckung eines Haftbefehls gemäß § 230 Absatz 2 oder § 329 Absatz 3, so wird ein Pflichtverteidiger nur bestellt, wenn der Beschuldigte dies nach Belehrung ausdrücklich beantragt. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 und 3 kann die Bestellung unterbleiben, wenn beabsichtigt ist, das Verfahren alsbald einzustellen und keine anderen Untersuchungshandlungen als die Einholung von Registerauskünften oder die Beiziehung von Urteilen oder Akten vorgenommen werden sollen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 471/00
vom
6. Dezember 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Diebstahls u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 6. Dezember 2000 einstimmig beschlossen
:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Erfurt vom 7. Juni 2000 im Ausspruch über die Gesamtstrafe
aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls in vier Fällen, versuchten Diebstahls und Bedrohung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt, ihn im übrigen freigesprochen und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen eingelegte Revision führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe; im übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. 1. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und daher unzulässig. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der allgemein erhobenen Sachrüge hat hin-
sichtlich des Schuldspruchs, der Einzelstrafen sowie der verhängten Maßregel keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. 2. Jedoch kann der Gesamtstrafenausspruch nicht bestehen bleiben.
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts ist der Angeklagte zwischen dem 28. April 1992 und dem 27. September 1995 insgesamt neunmal rechtskräftig verurteilt worden. Nachträgliche Gesamtstrafenbeschlüsse sind am 22. November 1995 (Strafen aus der 1. und der 2. Vorverurteilung) und am 9. Oktober 1998 (Strafen aus der 4., 5., 7., 8. und 9. Vorverurteilung) ergangen. Die Tatzeiten der in den Vorverurteilungen jeweils abgeurteilten Taten sind im angefochtenen Urteil nur hinsichtlich der 3. Vorverurteilung (zwei Taten vor dem 1., eine Tat zwischen dem 1. und dem 2., zwei Taten zwischen dem 2. und dem 3. Urteil) und der 4. Vorverurteilung (eine Tat zwischen dem 2. und dem 3., eine Tat zwischen dem 3. und dem 4. Urteil) angegeben. Die jetzt abgeurteilten Taten 1 und 2 liegen zeitlich zwischen der 2. und 3., die Tat 3 zwischen der 7. und 8., die Taten 9, 12 und 13 nach der 9. Vorverurteilung und dem ersten Gesamtstrafenbeschluß. Aus den Urteilsgründen ergibt sich nicht, ob und gegebenenfalls welche Vorverurteilungen bereits vollstreckt oder sonst erledigt sind; die Frage der nachträglichen Gesamtstrafenbildung ist nicht angesprochen. Die zutreffende Anwendung von § 55 StGB kann auf dieser Grundlage nicht abschließend geprüft werden. Möglicherweise hätten hier, unter Auflösung früherer Gesamtstrafen und unter Beachtung der Zäsurwirkung von Vorverurteilungen , mehrere neue Gesamtstrafen gebildet werden müssen; war eine Einbeziehung einzelner Strafen wegen zwischenzeitlicher vollständiger Erledigung nicht mehr möglich, so war insoweit ein Härteausgleich zu gewähren. Entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts kann der Senat nicht aus-
schließen, daß sich die - jedenfalls fehlerhafte - Beurteilung des Landgerichts zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat. Über die Bildung der Gesamtstrafe ist daher insgesamt neu zu entscheiden.
b) Einen Einfluß des Rechtsfehlers auf die Bemessung der Einzelstrafen kann der Senat ausschließen. Auch die rechtsfehlerfreie Anordnung der Maßregel ist von der Aufhebung nicht berührt. 3. Für den Antrag des Angeklagten vom 1. Oktober 2000, ihm für die Revisionsinstanz Rechtsanwalt S. aus Erfurt als Pflichtverteidiger beizuordnen, ist der Vorsitzende des Gerichts zuständig, dessen Urteil angefochten wird (BGHR StPO § 141 Bestellung 3; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl. § 141 Rdn. 6 m.w.N.). Eines Zuwartens mit der Entscheidung des Senats über die Revision bedurfte es hier nicht. Ein Nachschieben von Verfahrensrügen wäre wegen des Ablaufs der Revisionsbegründungsfrist des § 345 Abs. 1 Satz 1 StPO unzulässig; auf die Sachrüge hat der Senat das Urteil umfassend geprüft. Bode Otten Rothfuß Fischer Elf

(1) Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. Die Revisionsbegründungsfrist verlängert sich, wenn das Urteil später als einundzwanzig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen Monat und, wenn es später als fünfunddreißig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen weiteren Monat. War bei Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels das Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist mit der Zustellung des Urteils und in den Fällen des Satzes 2 der Mitteilung des Zeitpunktes, zu dem es zu den Akten gebracht ist.

(2) Seitens des Angeklagten kann dies nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle geschehen.