Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 340/11
vom
26. Juli 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Anstiftung zu einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführerin am 26. Juli 2011 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Essen vom 4. März 2011
a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass die Angeklagte der Anstiftung zum versuchten gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und zu einer tateinheitlich begangenen versuchten Körperverletzung schuldig ist,
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Anstiftung zu einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr und zu einer tateinheitlich begangenen versuchten Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Die hiergegen eingelegte Revision der Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem tenorierten Umfang Erfolg.
2
1. Die getroffenen Feststellungen ergeben nicht, dass die Angeklagte der Anstiftung zu einem vollendeten gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gem. § 315b Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3, § 26 StGB schuldig ist.
3
a) Das Landgericht hat sich rechtsfehlerfrei davon überzeugt, dass die Angeklagte am 21. September 2008 entweder den rechtskräftig freigesprochenen Mitangeklagten K. , den Zeugen D. oder beide gemeinsam dazu veranlasste, an dem Pkw ihres Vaters einen Bremsschlauch anzuschneiden. Dadurch wurde die Wirkung des Bremssystems bei scharfen Bremsungen um bis zu 50 % vermindert. Außerdem kam es zu einer Verlängerung des Bremspedalweges. Die Angeklagte und der auf ihre Aufforderung hin handelnde Haupttäter wollten auf diese Weise erreichen, dass der Vater der Angeklagten bei seiner nächsten Autofahrt einen Verkehrsunfall erleidet und sich dabei Verletzungen zuzieht. Dass die Angeklagte eine Tötung ihres Vaters anstrebte oder zumindest billigend in Kauf nahm, vermochte das Landgericht nicht festzustellen.
4
Am 22. September 2008 verließ der Vater der Angeklagten mit dem Fahrzeug den Innenhof seines Wohnanwesens und fuhr in eine öffentliche Straße ein, auf der die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h beschränkt war. Als er hinter parkenden Fahrzeugen anhalten wollte, um Gegenverkehr passieren zu lassen, bemerkte er bei der Betätigung des Bremspedals zunächst keine Bremswirkung. Er bremste deshalb stärker und zog die Handbremse an. Sein Fahrzeug kam daraufhin zum Stillstand, ohne dass andere Fahrzeuge berührt wurden. Anschließend fuhr er vorsichtig zurück zu seinem Wohnanwesen und veranlasste eine fachkundige Überprüfung, bei der die Beschädigung des Bremsschlauches entdeckt wurde. Weitere Feststellungen hat das Landgericht nicht zu treffen vermocht.
5
b) Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 StGB liegt erst dann vor, wenn durch eine der in den Nrn. 1 bis 3 genannten Tathandlungen eine Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs herbeigeführt worden ist und sich diese abstrakte Gefahrenlage zu einer konkreten Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremder Sachen von besonderem Wert verdichtet hat (Senatsurteil vom 4. Dezember 2002 – 4 StR 103/02, BGHSt 48, 119, 122; Senatsbeschluss vom 13. Juni 2006 - 4 StR 123/06, NStZ 2007, 34, 35; SSW-StGB/Ernemann § 315b Rn. 5). Die Feststellungen des Landgerichts belegen nicht, dass es durch die in dem Anschneiden des Bremsschlauches liegende Fahrzeugbeschädigung (§ 315b Abs. 1 Nr. 1 StGB) zu einer – über eine abstrakte Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs hinausreichenden – konkreten Gefährdung eines der in § 315b Abs. 1 StGB bezeichneten Individualrechtsgüter gekommen ist.
6
Die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache ist erst dann konkret gefährdet, wenn durch die Tathandlung ein so hohes Verletzungs-oder Schädigungsrisiko begründet worden ist, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob es zu einer Rechtsgutsverletzung kommt. Kritische Verkehrssituationen erfüllen diese Voraussetzungen im Allgemeinen nur, wenn sie sich aus der Perspektive eines objektiven Beobachters als ein „Beinahe-Unfall“ darstellen (Senatsurteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995, 3131; SSW-StGB/Ernemann § 315b Rn. 16). Aus den landgerichtlichen Feststellungen ergibt sich dazu nur, dass der Vater der Angeklagten bei der Betätigung des Bremspedals zwar anfänglich keine Bremswirkung verspürte, dann aber sein Fahrzeug doch noch mit der eigenen Bremsanlage rechtzeitig zum Stehen brachte. Dass es dabei zu einer hochriskanten, praktisch nicht mehr beherrschbaren Verkehrssituation gekommen wäre, die dem Bild eines „Beinahe-Unfalls“ entspricht, kann weder den weiteren Feststellungen, noch dem Gesamtzusammenhang des Urteils entnommen werden.
7
Die bloße Inbetriebnahme eines Fahrzeuges, dessen Bremsanlage beschädigt worden ist, reicht für die Annahme einer konkreten Gefahr nicht aus. Das dadurch begründete besondere Unfallrisiko stellt sich nur als eine – wenn auch möglicherweise erhebliche – Steigerung des allgemeinen Unfallrisikos dar, ohne die darin liegende abstrakte Gefahr bereits im Sinne von § 315b StGB zu konkretisieren (Senatsurteil vom 30. März 1995 – 4 StR 725/94, NJW 1995,

3131).


8
c) Da nicht erwartet werden kann, dass noch zusätzliche Feststellungen getroffen werden können, hat der Senat den Schuldspruch wie aus dem Tenor ersichtlich geändert. Die Voraussetzungen für einen versuchten gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, Abs. 3, § 23 Abs. 1, § 22 StGB liegen vor. Sowohl die Angeklagte als auch der von ihr angestiftete Haupttäter haben mit dem für eine Versuchsstrafbarkeit erforderlichen Gefährdungsvorsatz gehandelt (vgl. SSW-StGB/Ernemann, § 315b Rn. 20). http://beck-online.beck.de/?typ=reference&y=100&g=StPO&p=354 [Link] http://beck-online.beck.de/?typ=reference&y=100&g=StPO&p=354&x=3 [Link] http://beck-online.beck.de/?typ=reference&y=200&ge=BGH&d=1994/09/07&az=2STR26494 [Link] http://beck-online.beck.de/?typ=reference&y=300&z=NJW&b=1994&s=3304 [Link] http://beck-online.beck.de/?typ=reference&y=300&z=NJW&b=1994&s=3305 [Link] http://beck-online.beck.de/?typ=reference&y=300&z=BGHSt&b=40&s=251 - 7 -
9
2. Der Strafausspruch ist trotz der maßvollen Strafbemessung aufzuheben , weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Landgericht einen anderen Strafrahmen gewählt und eine mildere Strafe verhängt hätte.
10
3. Die weiter gehende Revision ist offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
11
4. Der Senat verweist die Sache entsprechend § 354 Abs. 3 StPO an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück, weil der Schuldspruch in Rechtskraft erwachsen und der die Zuständigkeit des Schwurgerichts begründende Tatvorwurf der Anstiftung zum versuchten Mord weggefallen ist (BGH, Beschluss vom 15. März 2011 - 5 StR 44/11, BeckRS 2011, 06760; vgl. Urteil vom 7. September 1994 – 2 StR 264/94, NJW 1994, 3304, 3305, insoweit in BGHSt 40, 251 nicht abgedruckt).
Ernemann Roggenbuck Mutzbauer
Bender Quentin

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Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Juli 2011 - 4 StR 340/11 zitiert 8 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 354 Eigene Entscheidung in der Sache; Zurückverweisung


(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erört

Strafgesetzbuch - StGB | § 23 Strafbarkeit des Versuchs


(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt. (2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1). (3) Hat der Täter aus grobem Unv

Strafgesetzbuch - StGB | § 22 Begriffsbestimmung


Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

Strafgesetzbuch - StGB | § 26 Anstiftung


Als Anstifter wird gleich einem Täter bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat.

Strafgesetzbuch - StGB | § 315b Gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr


(1) Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er 1. Anlagen oder Fahrzeuge zerstört, beschädigt oder beseitigt,2. Hindernisse bereitet oder3. einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff vornimmt,und dadurch Leib oder Leben

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(1) Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er

1.
Anlagen oder Fahrzeuge zerstört, beschädigt oder beseitigt,
2.
Hindernisse bereitet oder
3.
einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff vornimmt,
und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Handelt der Täter unter den Voraussetzungen des § 315 Abs. 3, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(4) Wer in den Fällen des Absatzes 1 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(5) Wer in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Als Anstifter wird gleich einem Täter bestraft, wer vorsätzlich einen anderen zu dessen vorsätzlich begangener rechtswidriger Tat bestimmt hat.

(1) Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er

1.
Anlagen oder Fahrzeuge zerstört, beschädigt oder beseitigt,
2.
Hindernisse bereitet oder
3.
einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff vornimmt,
und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Handelt der Täter unter den Voraussetzungen des § 315 Abs. 3, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(4) Wer in den Fällen des Absatzes 1 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(5) Wer in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Veröffentlichung: ja
BGHSt: ja zu B III.
BGHR: ja
StGB § 315 b Abs. 1 Nr. 2 und 3
Greift der Täter in den fließenden Verkehr ein, indem er Hindernisse auf
der Fahrbahn bereitet oder Gegenstände auf fahrende Fahrzeuge wirft,
kann § 315 b Abs. 1 Nr. 2 oder Nr. 3 StGB auch dann erfüllt sein, wenn die
Tathandlung unmittelbar zu einem bedeutenden Fremdsachschaden führt
und dieser Erfolg sich als Steigerung der durch die Tathandlung bewirkten
abstrakten Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs darstellt.
BGH, Urteil vom 4. Dezember 2002 – 4 StR 103/02 – LG Cottbus

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
4 StR 103/02
vom
4. Dezember 2002
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 4. Dezember
2002, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Tepperwien,
die Richter am Bundesgerichtshof
Maatz
Athing,
Dr. Ernemann
die Richterin am Bundesgerichtshof
Sost-Scheible,
als beisitzende Richter,
Staatsanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Cottbus vom 12. April 2001, soweit es ihn betrifft, 1. im Schuldspruch – insoweit auch hinsichtlich des früheren Mitangeklagten L. – dahin geändert, daß die Angeklagten im Fall II B 5 der Urteilsgründe des versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr schuldig sind, 2. in den die Fälle II A 1 bis 14 und B 5 der Urteilsgründe betreffenden Einzelstrafaussprüchen sowie 3. im Gesamtstrafenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben. II. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. III. Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verworfen.
Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten und den Mitangeklagten L. , der keine Revision eingelegt hat, jeweils des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in 14 Fällen, davon in 10 Fällen in Tateinheit mit versuchtem Mord und davon in zwei Fällen in weiterer Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung, sowie des gefährlichen Eingriffs in den Eisenbahnverkehr in zwei Fällen sowie darüber hinaus den Angeklagten allein wegen Tierquälerei in 14 Fällen für schuldig befunden. Gegen den Angeklagten hat es eine Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren verhängt. Den Mitangeklagten L. hat es zu sechs Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagten mit seiner Revision, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat nur den aus der Urteilsformel ersichtlichen geringfügigen Teilerfolg; im übrigen ist es unbegründet.

A.

Die Verfahrensrügen dringen nicht durch. Insoweit verweist der Senat auf die Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 2. April 2002, die lediglich zu der auf § 338 Nr. 7 i.V.m. § 275 Abs. 2 StPO gestützten Verfahrensrüge der Ergänzung bzw. Klarstellung bedürfen: An der rechtzeitig angebrachten Unterschrift des Richters am Landgericht K. (§ 275 Abs. 2 Satz 1 StPO) fehlt es nicht deshalb, weil die Vorsitzende Richterin nachträglich, aber noch vor Ablauf der Frist des § 275 Abs. 1 StPO handschriftliche Änderungen in dem von dem genannten Richter bereits unterschriebenen Urteilsentwurf angebracht hat. Dies geschah, wie sich aus der dienstlichen Erklärung der Vorsitzenden Richterin ergibt, im
Einvernehmen mit Richter am Landgericht K. . Einer schriftlichen Bestätigung seines Einverständnisses mit den Änderungen, etwa durch Beifügung seiner Paraphe an den betreffenden Textstellen, oder gar einer erneuten Unterschrift unter das Urteil durch diesen Richter bedurfte es nicht. Soweit die Revision das Fehlen der Unterschrift des Richters am Amtsgericht H. beanstandet, fehlt es schon an dem für die Zulässigkeit der Rüge vorausgesetzten vollständigen Sachvortrag (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO). In dem Verhinderungsvermerk der Vorsitzenden, durch den die Unterschrift dieses Richters ersetzt wurde, heißt es, Richter am Amtsgericht H. sei "durch Abordnung an das Ministerium für Justiz und Europaangelegenheiten an der Unterschrift gehindert". Bei dieser Sachlage hätte die Revision vortragen müssen, daß dieser Richter an der Unterschriftsleistung weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen gehindert war. Allerdings begründet die Abordnung eines Richters an die Justizverwaltung entgegen der Auffassung der Vorsitzenden Richterin, die sich aus ihrer dienstlichen Erklärung ergibt: "Er ist seit dem 23.04.2001 ... als Referent mit Beamtenstatus abgeordnet und darf seither als solcher keine richterlichen Aufgaben mehr wahrnehmen (vgl. DRiG)", keine rechtliche Verhinderung, soweit sein Status als Richter damit nicht verloren ging (vgl. BGHR StPO § 275 Abs. 2 Satz 2 Verhinderung 4 und 5; Meyer-Goßner StPO 46. Aufl. § 275 Rdn. 23 m.Nachw.). Doch liegt hier angesichts der Entfernung zwischen dem Sitz des Gerichts in Cottbus und dem neuen Dienstort des Richters in Potsdam auf der Hand, daß dieser auch - was genügt - tatsächlich verhindert war, seine Unterschrift rechtzeitig auf der erst am letzten Tag der Frist des § 275 Abs. 1 StPO zur Geschäftsstelle gelangten Urteilsurkunde anzubringen (vgl. BGH NStZ-RR 1999, 46).

B.

I.

Die Überprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten, soweit ihn das Landgericht wegen Vergehens gegen das Tierschutzgesetz für schuldig befunden hat (II. A. der Urteilsgründe "Komplex Katzen"). Jedoch unterliegen die in diesen Fällen erkannten Einzelfreiheitsstrafen der Aufhebung, weil das Landgericht - wie die Revision zu Recht beanstandet - in diesen Fällen einen falschen Strafrahmen zugrundegelegt hat. Es ist nämlich von dem derzeit geltenden, durch das Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes vom 25. Mai 1998 (BGBl. I 1094) geänderten Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe ausgegangen, den es gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert hat, während § 17 TierschG in der im Tatzeitraum geltenden Fassung nur Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren androhte. Der Senat kann nicht ausschließen, daß die Einzelstrafen bei Zugrundelegung des niedrigeren Strafrahmens niedriger ausgefallen wären. Die deshalb gebotene Aufhebung der Einzelstrafen hat die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs zur Folge. Der neue Tatrichter wird insoweit auch die Gesamtstrafenlage hinsichtlich der beiden früher erkannten Geldstrafen (UA 5 a.E.) und den in den Fällen II. A 1 bis 4 der Urteilsgründe verhängten Einzelstrafen zu prüfen und dabei zu berücksichtigen haben, daß eine zwischenzeitliche Erledigung der Geldstrafen die Bildung einer (gesonderten) Gesamtstrafe nicht entbehrlich machen würde (st. Rspr.; vgl. BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Erledigung 1, 2 jew. m.w.N.).

II.

Im übrigen weist auch die Verurteilung des Angeklagten wegen der Taten zu Abschnitt II. B der Urteilsgründe ("Komplex Eingriffe in den
Straßenverkehr") mit Ausnahme des Falles II. B 5 der Urteilsgründe keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. 1. Nach den insoweit getroffenen Feststellungen verübten die Angeklagten, die im Tatzeitraum für einander die einzigen Freunde waren, auf der Suche nach "Ablenkung zur Unterbrechung ihrer Lebenslangeweile", bei insgesamt 13 Gelegenheiten jeweils bei Dunkelheit Anschläge auf den Autobahnverkehr auf der BAB 15, indem sie Gegenstände auf dort fahrende Kraftfahrzeuge warfen (Fälle II. B 1, 5, 9, 10 und 14), von Autobahnbrücken Gegenstände so herunterhängten, daß diese die Fahrzeuge in Höhe der Frontscheiben trafen (Fälle II. B 3 und 7), bzw. Steine und andere Gegenstände so auf der Fahrbahn aufstellten, daß Fahrzeuge dagegenstießen (Fälle II. B 2, 8, 11 bis 13 und 15). In allen Fällen kam es zu Unfällen mit zumindest Sachschäden in unterschiedlicher Höhe. In zwei Fällen erlitten Insassen von Pkw auch Verletzungen. Des weiteren verübten die Angeklagten in zwei Fällen (Fälle II. B 4 und 6) Anschläge auf die Bahn, indem sie jeweils einen eisenbewehrten Betonpfahl quer über die Schienen legten, wodurch die Lokomotive eines Interregiozuges bzw. ein Triebwagen, die auf die Hindernisse prallten, beschädigt wurden. 2. Die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes durch das Landgericht, auf der in den Fällen II. B 1 bis 3, B 7 und 8, B 11 bis 13 und B 15 die Verurteilung jeweils wegen tateinheitlich mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr begangenen versuchten Heimtückemordes beruht (vgl. BGH VRS 63, 119; BGHR StGB § 211 Abs. 2 Heimtücke 25; BGHR StGB § 69 Abs. 1 Entziehung 11), begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat mit tragfähigen Erwägungen die Einlassung der Angeklagten, sie hätten zwar Unfälle herbeiführen wollen, es hätten jedoch nur
Sachschäden und keine Personenschäden entstehen sollen, für widerlegt erachtet. Daß das Vorgehen der Angeklagten in hohem Maße gefährlich und die möglichen Unfallfolgen im allgemeinen schwer abschätzbar sind, versteht sich von selbst. Ein Rechtssatz des Inhalts, daß ein Täter, der wie die Angeklagten vorgeht, deshalb zugleich grundsätzlich auch mit tödlichen Folgen für die betroffenen Verkehrsteilnehmer rechnet und diese um den Preis der Fortsetzung seines gefährlichen Tuns innerlich billigt, besteht gleichwohl nicht und ist auch der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht zu entnehmen. Vielmehr kann diese Frage nicht allgemein, sondern nur nach den jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalls beurteilt werden. Dem wird das angefochtene Urteil gerecht. Die Angeklagten konnten mit einer den Unfall vermeidenden Reaktion der betroffenen Kraftfahrer nicht rechnen und haben dies auch nicht getan. Im Gegenteil wollten die Angeklagten, wie sie selbst zugegeben haben, daß es zu Verkehrsunfällen kam; auch sollten nach Überzeugung des Landgerichts "die Fahrzeugführer keine Chance haben ..., das Hindernis rechtzeitig zu erkennen, um ausweichen oder bremsen zu können". Zwar haben die Angeklagten - worauf die Revision hinweist - in allen Fällen die Erfahrung gesammelt, daß es ungeachtet der unterschiedlichen eingesetzten Tatmittel und Vorgehensweisen weit überwiegend nur zu Sachschäden gekommen ist, jedenfalls die Unfälle, auch soweit Pkw-Insassen verletzt wurden, vergleichsweise glimpflich abgelaufen sind. Das Landgericht hat jedoch in jedem Einzelfall nach der Art der angewendeten Tatmittel und der Vorgehensweise der Angeklagten differenziert. So hat es in ausführlicher Auseinandersetzung insbesondere mit den zur jeweiligen objektiven Gefährdungslage erstatteten Gutachten in den Fällen, in denen lediglich "theoretisch“ die Gefahr des Schleuderns und des
unkontrollierten Abkommens von der Fahrbahn mit tödlichen Folgen für Insassen nicht auszuschließen war, einen bedingten Tötungsvorsatz nicht angenommen (Fälle II. B 5, 9, 10 und 14 der Urteilsgründe, ebenso die „Eisenbahnfälle“ II. B 4 und 6). Einen bedingten Tötungsvorsatz hat es nur in den übrigen „Eingriffsfällen“ bejaht, in denen die Angeklagten gezielt eine so hochgradige Gefahrenlage geschaffen hatten, daß das Ausbleiben schwererer, möglicherweise tödlicher Folgen nur dem "glücklichen Umstand" zu verdanken war, daß die Fahrzeuge nicht mit höherer als der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit fuhren bzw. Reifen der betroffenen Fahrzeuge nicht platzten. Entgegen der Auffassung der Revision stehen die Erwägungen, auf die das Landgericht in ausdrücklicher Abgrenzung zur bewußten Fahrlässigkeit die Annahme bedingten Tötungsvorsatzes stützt, auch nicht in Widerspruch zu den zur Persönlichkeitsstruktur des Angeklagten getroffenen Feststellungen, die für die Beurteilung der subjektiven Tatseite Bedeutung haben (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 31, 54). Zweifel an der Erkenntnisfähigkeit des Angeklagten ergeben sich nicht schon daraus, daß das Landgericht dem Angeklagten, dem psychiatrischen Sachverständigen folgend, eine "unterdurchschnittliche intellektuelle Leistungsfähigkeit" bescheinigt hat. Vielmehr haben die psychiatrischen Sachverständigen im Ergebnis zur Überzeugung der Kammer übereinstimmend für beide Angeklagten bestätigt, daß sie "um die Folgen ihres Handelns gewußt und sich auch über eventuelle Folgen Gedanken gemacht hätten". Die Sorgen um die Tatfolgen hätten die Angeklagten aber – wie bei „unstrukturierten“ Menschen häufig – weggeschoben, die eigene Sorge vor dem Entdecken sei größer gewesen. Das stellt weder das Wissens- noch das Wollenselement des (bedingten) Tötungsvorsatzes in Frage. Aus Fall II. B 15 der Urteilsgründe ergibt sich nichts anderes. Zwar konnten dort die Angeklagten die von ihnen "inszenierte naive Folgenkonstellation“ nicht beiseiteschieben, da sich „mit Sicherheit“ zu
erwartende tödliche Folgen beim Hinunterwerfen des Gullideckels zu sehr aufdrängten. Wenn in diesem Fall der Mitangeklagte L. den Angeklagten an dieser Form des Vorgehens hinderte, indem er ihm den Einlaufrost aus der Hand nahm und diesen auf der Fahrbahn aufstellte, belegt dies lediglich, daß beide nicht mit direktem Tötungsvorsatz handelten, steht aber der rechtlichen Würdigung der Jugendkammer zum bedingten Tötungsvorsatz nicht entgegen.

III.

Der Schuldspruch hält mit Ausnahme des Falls II. B 5 der Urteilsgründe der rechtlichen Prüfung auch insoweit stand, als das Landgericht den Angeklagten in den weiteren Fällen allein wegen - jeweils gemeinschaftlich mit dem Mitangeklagten L. begangenen, vollendeten und nach § 315 b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a StGB qualifizierten - gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (II. B 9, 10 und 14 der Urteilsgründe) bzw. in den Bahnverkehr (Fälle II. B 4 und 6 der Urteilsgründe) verurteilt hat. 1. In den Fällen II. B 9 und 10 warfen die Angeklagten jeweils "eine Handvoll Kieselsteine der Körnung zwischen 2 und 3 Zentimeter" von einer Autobahnbrücke, in Fall 14 einen faustgroßen, bis zu 250 g schweren Gesteinsbrocken vom Fahrbahnrand einer Bundesautobahn gegen Lastkraftwagen. Die mit einer Geschwindigkeit von etwa 85 km/h fahrenden Fahrzeuge wurden jeweils an der Frontscheibe getroffen. Diese zersplitterte, ohne daß die Steine ins Innere des Fahrzeugs gelangten. Die Scheiben mußten jeweils erneuert werden. Zwar ist lediglich im Fall II. B 9 ein bezifferter Schaden von 2.684,- DM festgestellt. Wegen der Vergleichbarkeit der Schäden entnimmt aber der Senat dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe, daß in den übrigen Fällen die von der Rechtsprechung für Sachschäden festgelegte Schadensgrenze von 1.500,- DM (jetzt 750,-
ist. Den Fahrern gelang es jeweils, ihre Fahrzeuge kontrolliert zum Stehen zu bringen.
Die Gefahr einer völligen Desorientierung des Fahrzeugführers mit einer damit verbundenen Gefahr des Schleuderns und des unkontrollierten Abkommens von der Fahrbahn war zwar nach Ansicht des sachverständig beratenen Landgerichts theoretisch nicht auszuschließen, angesichts der relativ niedrigen Geschwindigkeit der schweren Fahrzeuge aber wenig wahrscheinlich.

a) Soweit der Senat in der Vergangenheit in einzelnen Fällen einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gemäß § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB mit der Begründung verneint hat, der Eingriff erschöpfe sich in der Gefährdung oder Beschädigung des Tatobjekts, so daß es an einer tatbestandlich erforderlichen, "dadurch" verursachten weiteren Gefährdung fehle (zuletzt BGHR StGB § 315 b Abs. 1 Nr. 3 Eingriff 5 m.w.N.), hält er daran in dieser Allgemeinheit nicht fest. In Fällen der vorliegenden Art genügt es für die Annahme einer vollendeten Tat, daß die durch den Eingriff verursachte verkehrsspezifische Gefahr zu einem bedeutenden Fremdsachschaden geführt hat.
aa) Die nach dem Wortlaut der Norm doppelte Verknüpfung des Tatbestandsmerkmals "Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs" sowohl mit der tatbestandlichen Handlung des § 315 b Abs. 1 StGB in allen in den Nummern 1 bis 3 aufgeführten Alternativen als auch mit dem tatbestandlichen Erfolg macht deutlich, daß Gefährdungshandlungen und Gefährdungserfolg in besonderer Weise kausal miteinander verbunden sein müssen, um den Tatbestand zu erfüllen. Erforderlich ist, daß die Tathandlung eine abstrakte Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs bewirkt, die sich
zu einer konkreten Gefahr für die genannten Schutzobjekte verdichtet. Das Erfordernis einer zeitlichen Differenz zwischen Eingriff und konkreter Gefahr ist dem Wortlaut der Vorschrift dagegen nicht zu entnehmen. Der Tatbestand des § 315 b Abs. 1 StGB kann daher in sämtlichen Handlungsalternativen auch dann erfüllt sein, wenn die Tathandlung unmittelbar zu einer konkreten Gefahr oder Schädigung führt, sofern dieser Erfolg sich als Steigerung der abstrakten Gefahr darstellt.
Daran fehlt es, wenn der Täter losgelöst von einem Verkehrsgeschehen ein Fahrzeug oder eine Anlage beschädigt (beispielsweise durch Zerstören der Bremsleitung), ohne daß die so geschaffene abstrakte Gefahr für den Straßenverkehr in eine konkrete Gefahr umschlägt. Der durch das Verhalten des Täters eingetretene Schaden am Fahrzeug ist nicht Folge einer abstrakten Verkehrsgefahr, sondern umgekehrt die Ursache dafür, daß eine solche Gefahr überhaupt erst entsteht. Insoweit behält die von der Rechtsprechung entwickelte Formel, daß sich ein Verhalten, das sich in der Schaffung einer - abstrakten - Gefahr - sei es auch durch Einwirken auf eines der von § 315 b StGB grundsätzlich unter Schutz gestellten Objekte - erschöpft, noch nicht den Tatbestand des § 315 b StGB erfüllt, seine Berechtigung.
Hiervon zu unterscheiden sind dagegen Tathandlungen, die, wie in den vom Landgericht entschiedenen Fällen, nicht nur eine abstrakte Verkehrsgefahr herbeiführen, sondern - wenn auch in zeitlich dichter Reihenfolge oder sogar sich zeitlich überschneidend - eine aus dieser abstrakten Verkehrsgefahr resultierende konkrete Gefahr. Zwar wird die Herbeiführung der abstrakten Gefahr der hieraus entstehenden konkreten Gefahr in aller Regel zeitlich vorangehen, so etwa, wenn der Täter einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr in der Weise herbeiführt, daß er ein Hindernis auf der Straße
aufstellt, die davon ausgehende Gefahr sich aber erst durch späteres Herannahen eines Fahrzeugs zur konkreten Gefahr verdichtet. Dieser zeitlich gestreckte Vorgang verkürzt sich aber in dem Maße, in dem der Täter das Herannahen eines Fahrzeugs abwartet, um dessen Fahrt durch ein plötzlich in den Weg geschobenes oder geworfenes Hindernis zu hemmen. Ist das Fahrzeug im Zeitpunkt des Eingriffs bereits so nahe, daß mit der abstrakten Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs, die auch dann vorliegt, wenn sich die Tathandlung gezielt gegen ein bestimmtes Objekt richtet, zugleich auch schon eine konkrete Gefahr für das Fahrzeug entsteht, fehlt es gänzlich an einer zeitlichen Zäsur. Gleichwohl sind die Tathandlung, die zu einer Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs führt, und ein aus dieser Gefahr herrührender tatbestandlicher Erfolg in Form einer konkreten Gefahr für das Schutzobjekt gedanklich voneinander zu trennen; die Tathandlung "erschöpft" sich auch dann nicht in sich selbst, wenn über Schäden, die durch das Zusammentreffen von Fahrzeug und Hindernis bewirkt werden, keine weitere Gefahr in der Form entsteht, daß es infolge eines Kontrollverlusts über das Fahrzeug zu einem "Beinahe-Unfall" kommt.
Auch im Blick auf das in § 315 b StGB geschützte Rechtsgut, die Sicherheit des Straßenverkehrs, die ohne die Notwendigkeit einer Gemeingefahr den Schutz von Individualrechtsgütern wie Leben, Gesundheit und bedeutende Sachwerte mitumfaßt, besteht kein Anlaß, zwischen zeitlich gesteckten und auf Minutenbruchteile reduzierten Geschehensabläufen zu unterscheiden. So wäre kaum nachvollziehbar, wenn sich die Angeklagten, die in den Fällen II. B 3 und 7 der Urteilsgründe Gegenstände von einem am Brückengeländer befestigten Seil bis in Nähe von Windschutzscheiben eines Pkws herabhängen ließen und dadurch - in zeitlichem Abstand zum Abseilen - das Zersplittern der Frontscheiben bewirkten, ohne Rücksicht auf weitere
Folgen ihres Handelns des vollendeten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr schuldig gemacht hätten, während eine Tatvollendung in den Fällen II. B 9, 10 und 14 bei gleicher subjektiver Zielrichtung und gleichem Schaden nur deshalb nicht eingetreten sein sollte, weil die Angeklagten die entsprechenden Gegenstände im geeigneten Moment gegen die Frontscheiben der Fahrzeuge warfen. Unbeachtlich ist insoweit, daß in den erstgenannten Fällen die Handlungsalternative des § 315 b Abs. 1 Nr. 2 StGB (Hindernisbereiten), in der zweiten Fallgruppe dagegen die des § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB (ähnlicher, ebenso gefährlicher Eingriff) in Betracht kommt, da das Hindernisbereiten lediglich einen Unterfall des für sämtliche Handlungsalternativen des § 315 b Abs. 1 StGB vorausgesetzten gefährlichen Eingriffs darstellt.
bb) Der Schutzzweck des § 315 b StGB gebietet allerdings insoweit eine restriktive Auslegung der Norm, als unter einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder für fremde Sachen von bedeutendem Wert nur verkehrsspezifische Gefahren verstanden werden dürfen. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die konkrete Gefahr - jedenfalls auch - auf die Wirkungsweise der für Verkehrsvorgänge typischen Fortbewegungskräfte zurückzuführen ist. Dies kann durch Ausnutzung der Eigendynamik des vom Täter selbst benutzten Fahrzeugs (beispielsweise beim Einsatz eines Fahrzeugs als „Waffe“), durch die Fremddynamik eines von einem anderen Verkehrsteilnehmer genutzten Fahrzeugs (beispielsweise durch Hindernisbereiten) oder durch das Zusammenwirken beider Kräfte erfolgen.
Bei Außeneinwirkungen, die, wie in den hier zu beurteilenden Fällen, nicht durch eine vom Täter ausgenutzte Eigendynamik seines Fahrzeugs gekennzeichnet sind, ist eine verkehrsspezifische konkrete Gefahr zu bejahen,
wenn durch den Eingriff die sichere Beherrschbarkeit eines im fließenden Verkehrs befindlichen Fahrzeugs beeinträchtigt und dadurch - mit der Folge eines "Beinahe-Unfalls" - unmittelbar auf den Fahrvorgang eingewirkt wird. Dem sind die Fälle gleichzustellen, in denen der Fortbewegung des Fahrzeugs mittels eines Hindernisses oder eines anderen, ebenso gefährlichen Eingriffs in der Weise entgegengewirkt wird, daß eine konkrete Gefahr für Fahrzeuginsassen oder Fahrzeug entsteht. An einer verkehrsspezifischen Gefahr fehlt es nur dann, wenn der Eingriff zwar zu einer abstrakten Gefährdung des Straßenverkehrs führt, die sich hieraus entwickelnde konkrete Gefahr aber in keiner inneren Verbindung mit der Dynamik des Straßenverkehrs steht. Die Annahme jeweils vollendeter gefährlicher Eingriffe in den Straßenverkehr ist daher in den Fällen II. B 9, 10 und 14 nicht zu beanstanden, obwohl über die durch die Steinwürfe an den Frontscheiben entstandenen Schäden hinaus die konkrete Gefahr eines weiteren Unfallgeschehens nicht bestand.
In den beiden Fällen des gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr (II. B 4 und 6) gilt im Ergebnis nichts anderes.
2. Nach den vorstehend dargelegten Grundsätzen kann die Verurteilung wegen vollendeten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr im Fall II. B 5 der Urteilsgründe nicht bestehen bleiben. In diesem Fall gossen die Angeklagten von einer Autobahnbrücke aus zwei Dosen weißliche Lackfarbe auf einen aus vier Fahrzeugen bestehenden, mit ca. 80 km/h fahrenden Hilfsgüterkonvoi des Deutschen Roten Kreuzes. Dabei wurden zwei Fahrzeuge an der Frontscheibe getroffen. Die Fahrer
konnten ihre Fahrzeuge "nach kurzer Weiterfahrt ohne weitere Gefahren rechts zum Stehen bringen". Das Landgericht hat den Eintritt einer durch den „Eingriff“ entstandenen konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert nicht festgestellt. Eine konkrete Gefahr im Sinne eines „Beinahe-Unfalls“ (vgl. BGH NJW 1995, 3131 f.; 1996, 329 f.) hat das Landgericht ersichtlich nicht angenommen; es hat vielmehr in diesem Fall eine „akute Gefahr des Schleuderns und unkontrollierten Abkommens von der Fahrbahn“ gerade ausgeschlossen. Auch die Beschädigung der beiden Lkw durch die ausgegossene Farbe führt hier nicht zur Annahme einer vollendeten Tat nach § 315 b StGB. Denn der durch die Verschmutzung an den betroffenen Lkw eingetretene Sachschaden steht mit der Eigendynamik der Fahrzeuge zum Tatzeitpunkt in keinem relevanten Zusammenhang. Die Lackschäden sind keine spezifische Folge des „Eingriffs“ in die Sicherheit des Straßenverkehrs; sie müssen deshalb bei der Bestimmung eines "bedeutenden" Sachschadens bzw. einer entsprechenden Gefährdung außer Betracht bleiben. Der für eine Tat nach § 315 b StGB vorausgesetzte Vorsatz und die vom Landgericht auch in diesem Fall angenommene qualifizierende Absicht der beiden Angeklagten nach § 315 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. a StGB bleiben davon unberührt. Der Senat schließt aus, daß sich – zumal angesichts des Zeitablaufs – noch weitere Feststellungen treffen lassen, die in diesem Fall eine Vollendung des gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr sicher belegen. Er ändert deshalb den Schuldspruch – gemäß § 357 StPO auch hinsichtlich des Mitangeklagten L. – von sich aus dahin, daß die beiden Angeklagten im Fall II. B 5 der Urteilsgründe des versuchten gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr schuldig sind; § 265 StPO steht dem nicht entgegen. Dies hat bei dem Angeklagten die Aufhebung des Einzelstrafausspruchs zur Folge.
Dagegen kann die gegen den Mitangeklagten L. verhängte Jugendstrafe bestehen bleiben; angesichts der seiner Verurteilung zugrunde liegenden Vielzahl schwerwiegender Straftaten ist auszuschließen, daß die geringfügige Schuldspruchänderung bei ihm zu einer niedrigeren Strafe geführt hätte.

IV.

Im Umfang der Aufhebung verweist der Senat die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 2. Alt. StPO i.V.m. § 74 Abs. 2 Nr. 4 GVG an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurück, da das Verfahren nur noch den erwachsenen Angeklagten betrifft (BGHSt 35, 267) und das Schwurgericht gegenüber der Jugendkammer kein Gericht höherer Ordnung ist (vgl. BGHSt 26, 191; Kuckein in KK § 338 Rdn. 69). Tepperwien Maatz Athing Ernemann Sost-Scheible

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 123/06
vom
13. Juni 2006
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 13. Juni 2006 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO einstimmig beschlossen:
Die Revision des Beschuldigten gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 22. Dezember 2005 wird verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf eine Verfahrensrüge und die Sachrüge gestützte Revision des Beschuldigten erweist sich als unbegründet.
2
1. Die erhobene Verfahrensrüge ist bereits unzulässig, da sie – wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat – nicht den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt.
3
2. Das Rechtsmittel hat auch in sachlichrechtlicher Hinsicht im Ergebnis keinen Erfolg. Näherer Erörterung bedarf insoweit nur die Annahme des Landgerichts , der Beschuldigte habe durch sein Verhalten auch den objektiven Tatbestand eines gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr (§ 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB) und einer gefährlichen Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB) verwirklicht.
4
a) Nach den hierzu getroffenen Feststellungen bestieg der Beschuldigte in Straubing ein Taxi, um sich zum Flughafen München fahren zu lassen. Auf der Bundesautobahn A 92 gab er plötzlich vor, einen Herzinfarkt zu haben und keine Luft mehr zu bekommen. Als die Taxifahrerin daraufhin die Fahrt verlangsamte , um auf dem Seitenstreifen anzuhalten und einen Notarzt zu benachrichtigen , war der auf dem Beifahrersitz sitzende Beschuldigte damit nicht einverstanden und bestand auf eine Weiterfahrt. Er griff unvermittelt in das Lenkrad des Taxifahrzeugs, so dass dieses ins Schlingern geriet. Die Taxifahrerin konnte das Fahrzeug jedoch wieder unter Kontrolle bringen, hielt auf dem Seitenstreifen an und weigerte sich weiterzufahren. Anschließend stieg sie aus dem Taxi aus und entfernte sich unter Mitnahme der Fahrzeugschlüssel einige Meter. Der Beschuldigte nahm darauf hin ihre Verfolgung auf, warf sie zu Boden und entnahm aus ihrer Jackentasche einen Autoschlüssel. Nachdem er festgestellt hatte, dass es sich nicht um die zu dem Taxi passenden Fahrzeugschlüssel handelte, verfolgte er die Taxifahrerin erneut und stieß sie – als er sie erreicht hatte - wiederum zu Boden. Die Taxifahrerin fiel dabei seitlich auf die rechte Fahrspur der viel befahrenen Bundesautobahn A 92. Ihr Kopf kam in Richtung Mittelleitplanke ungefähr auf der Höhe des Mittelstreifens zu liegen. Sodann setzte sich der Beschuldigte auf die Taxifahrerin und forderte sie auf weiterzufahren. Während die Taxifahrerin dergestalt fixiert auf der Fahrbahn lag, fuhren mehrere nachfolgende PKW mit hoher Geschwindigkeit dicht an ihrem Kopf vorbei. Andere Fahrzeuge mussten ausweichen und auf die linke Fahrspur wechseln, um sie und den Beschuldigten nicht zu überfahren. Der Beschuldigte nahm hierbei die Gefährdung des nachfolgenden Verkehrs sowie die lebensbedrohliche Lage der Taxifahrerin billigend in Kauf. Durch den Sturz erlitt diese unter anderem Prellungen im rechten Schulterbereich sowie Blutergüsse am Kopf und am Knie.
5
b) Das Landgericht hat das Verhalten des Beschuldigten rechtlich als einen gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr (§ 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB) gewertet. Zu der für die (objektive) Tatbestandserfüllung erforderlichen (konkreten ) Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert hat es ausgeführt, in der konkreten Verkehrssituation habe es vom bloßen Zufall abgehangen, ob es zu einem Überfahren der Taxifahrerin und des Beschuldigten komme oder auf Grund eines Ausweichmanövers eines der sich mit hoher Geschwindigkeit herannähernden Fahrzeuge zu einem sonstigen Verkehrsunfall. Dies hält rechtlicher Nachprüfung stand.
6
aa) Als taugliche Tathandlung im Sinne des § 315 b Abs. 1 Nr. 3 StGB kam zunächst der Griff des Beschuldigten in das Lenkrad des Taxi in Betracht. Allerdings hat der Senat in einer früheren Entscheidung (NZV 1990, 35 mit Anm. Molketin) die Auffassung vertreten, bei einem Griff des Beifahrers in das Fahrzeuglenkrad liege ein gefährlicher Eingriff nur vor, wenn der Täter in der Absicht handelt, den Verkehrsvorgang zu einem Eingriff zu pervertieren, es müsse ihm darauf ankommen, durch diesen in die Sicherheit des Straßenverkehrs einzugreifen. Soll hingegen nur auf einen Verkehrsvorgang Einfluss genommen werden, etwa zur Erzwingung eines bestimmten Fahrverhaltens, so seien die Voraussetzungen des § 315 b StGB nicht gegeben (vgl. hierzu kritisch König in LK 11. Aufl. § 315 b Rdn. 54).
7
bb) Ob an dieser Rechtsauffassung uneingeschränkt festzuhalten ist, bedarf hier keiner Entscheidung, da der Beschuldigte jedenfalls (objektiv) die Tatbestandsvariante des § 315 b Abs.1 Nr. 2 StGB verwirklicht hat. Indem er die Taxifahrerin dergestalt zu Boden stieß, dass sie quer auf der rechten Fahrspur einer Bundesautobahn zu liegen kam, und sich anschließend auf sie setzte , hat er die Sicherheit des Straßenverkehrs durch das Bereiten eines Hinder- nisses beeinträchtigt. Da diese Tathandlung nicht im Rahmen der Teilnahme am Straßenverkehr erfolgte (sog. „Außeneingriff“), war für die Tatbestandserfüllung eine besondere verkehrsfeindliche Einstellung des Täters nicht erforderlich (vgl. hierzu BGHSt 48, 233, 236 f.; BGHR StGB § 315 b Abs. 1 Nr. 2 Hindernisbereiten 3). Das Verhalten des Beschuldigten hat auch zu einer konkreten Gefährdung eines der in § 315 b Abs. 1 StGB bezeichneten Rechtsgüter geführt. Eine solche kann entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts allerdings nicht bereits daraus hergeleitet werden, dass die Taxifahrerin durch den Sturz auf die Fahrbahn verletzt worden ist. § 315 b Abs. 1 StGB setzt in allen Tatbestandsvarianten eine besondere kausale Verknüpfung zwischen Gefährdungshandlung und Gefährdungserfolg voraus. Erforderlich ist, dass die Tathandlung eine abstrakte Gefahr für die Sicherheit des Straßenverkehrs bewirkt, die sich zu einer konkreten Gefahr für das Schutzobjekt verdichtet (BGHSt 48, 119, 122). Der Sturz der Taxifahrerin, der zu ihren Verletzungen führte, war indes nicht die Folge einer abstrakten Verkehrsgefahr, sondern umgekehrt die Ursache dafür, dass eine solche Gefahr überhaupt erst entstand. Das Landgericht hat jedoch angesichts der hier gegebenen besonderen Umstände – vollständige Blockade der Fahrspur einer viel befahrenen Bundesautobahn durch ein schlecht wahrnehmbares Hindernis, mit hoher Geschwindigkeit nachfolgender Verkehr – rechtsfehlerfrei eine konkrete Gefährdung der herannahenden nachfolgenden Fahrzeuge und deren Insassen bejaht.
8
c) Die Annahme des Landgerichts, der Beschuldigte habe auch den objektiven Tatbestand einer gefährlichen Körperverletzung verwirklicht, begegnet hingegen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB setzt voraus, dass die Körperverletzung „mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung“ begangen wird. Erforderlich, aber auch genügend ist, dass die Art der Behandlung durch den Täter nach den Umständen des Einzelfalls (generell) geeignet ist, das Leben zu gefährden (st. Rspr.; vgl. nur Tröndle/Fischer StGB 53. Aufl. § 224 Rdn. 12). Die getroffenen Feststellungen belegen indes nicht, dass die Art der Behandlung – hier: Stoßen auf den Boden – bereits für sich als lebensbedrohend in diesem Sinne angesehen werden kann. Der - für das Landgericht ersichtlich maßgebliche - Umstand, dass es infolge der durch den Stoß verursachten Lage des Tatopfers auf der Fahrbahn zu einem nachfolgenden , sein Leben bedrohendem Unfallgeschehen hätte kommen können, ist für die rechtliche Bewertung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB ohne Relevanz. In diesem Fall würde der Körperverletzungserfolg erst durch den nachfolgenden Unfall, nicht aber „mittels“ der Art der Behandlung durch den Täter eintreten (vgl. auch Senat, Urteil vom 22. Dezember 2005 – 4 StR 347/05 zu § 224 Abs.1 Nr. 2 StGB). Das Verhalten des Beschuldigten stellt sich danach „nur“ als eine vorsätzliche (einfache) Körperverletzung (§ 223 StGB) dar.
9
d) Der aufgezeigte Rechtsfehler gefährdet jedoch nicht den Bestand des Maßregelausspruchs. Das Landgericht hat die Voraussetzungen des § 63 StGB rechtsfehlerfrei dargetan. Es hat mit zutreffenden Erwägungen ausgeführt, dass von dem Beschuldigten infolge seines Zustandes auch in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Diese Einschätzung wird durch die dargestellte rechtlich fehlerhafte Beurteilung einer der insgesamt fünf Anlasstaten nicht berührt.
Tepperwien Maatz Athing
Solin-Stojanović Ernemann

(1) Wer die Sicherheit des Straßenverkehrs dadurch beeinträchtigt, daß er

1.
Anlagen oder Fahrzeuge zerstört, beschädigt oder beseitigt,
2.
Hindernisse bereitet oder
3.
einen ähnlichen, ebenso gefährlichen Eingriff vornimmt,
und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert gefährdet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(3) Handelt der Täter unter den Voraussetzungen des § 315 Abs. 3, so ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.

(4) Wer in den Fällen des Absatzes 1 die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(5) Wer in den Fällen des Absatzes 1 fahrlässig handelt und die Gefahr fahrlässig verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(1) Der Versuch eines Verbrechens ist stets strafbar, der Versuch eines Vergehens nur dann, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt.

(2) Der Versuch kann milder bestraft werden als die vollendete Tat (§ 49 Abs. 1).

(3) Hat der Täter aus grobem Unverstand verkannt, daß der Versuch nach der Art des Gegenstandes, an dem, oder des Mittels, mit dem die Tat begangen werden sollte, überhaupt nicht zur Vollendung führen konnte, so kann das Gericht von Strafe absehen oder die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2).

Eine Straftat versucht, wer nach seiner Vorstellung von der Tat zur Verwirklichung des Tatbestandes unmittelbar ansetzt.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Erfolgt die Aufhebung des Urteils nur wegen Gesetzesverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen, so hat das Revisionsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, sofern ohne weitere tatsächliche Erörterungen nur auf Freisprechung oder auf Einstellung oder auf eine absolut bestimmte Strafe zu erkennen ist oder das Revisionsgericht in Übereinstimmung mit dem Antrag der Staatsanwaltschaft die gesetzlich niedrigste Strafe oder das Absehen von Strafe für angemessen erachtet.

(1a) Wegen einer Gesetzesverletzung nur bei Zumessung der Rechtsfolgen kann das Revisionsgericht von der Aufhebung des angefochtenen Urteils absehen, sofern die verhängte Rechtsfolge angemessen ist. Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann es die Rechtsfolgen angemessen herabsetzen.

(1b) Hebt das Revisionsgericht das Urteil nur wegen Gesetzesverletzung bei Bildung einer Gesamtstrafe (§§ 53, 54, 55 des Strafgesetzbuches) auf, kann dies mit der Maßgabe geschehen, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 zu treffen ist. Entscheidet das Revisionsgericht nach Absatz 1 oder Absatz 1a hinsichtlich einer Einzelstrafe selbst, gilt Satz 1 entsprechend. Die Absätze 1 und 1a bleiben im Übrigen unberührt.

(2) In anderen Fällen ist die Sache an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichtes, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. In Verfahren, in denen ein Oberlandesgericht im ersten Rechtszug entschieden hat, ist die Sache an einen anderen Senat dieses Gerichts zurückzuverweisen.

(3) Die Zurückverweisung kann an ein Gericht niederer Ordnung erfolgen, wenn die noch in Frage kommende strafbare Handlung zu dessen Zuständigkeit gehört.

5 StR 44/11

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 15. März 2011
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 15. März 2011

beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 28. Oktober 2010 nach § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die wirksam auf den Strafausspruch beschränkte Revision des Angeklagten gegen dieses Urteil hat Erfolg. Der Strafausspruch hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
2
1. Das Landgericht hat es unterlassen, sich ausdrücklich mit den Voraussetzungen des Provokationstatbestandes der ersten Alternative des § 213 StGB auseinanderzusetzen. Hierzu bestand nach den Urteilsfeststellungen indessen Anlass, weil vom Opfer unmittelbar vor der Tat beträchtliche Provokationen ausgegangen sind (UA S. 4 f., 13). Rechtlich war die Erörterung des § 213 Alt. 1 StGB angezeigt, weil sein Vorliegen auch im Rahmen des § 224 StGB die Annahme eines minder schweren Falles regelmäßig gebietet (vgl. zu § 226 Abs. 2 StGB a.F. BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 1991 – 5 StR 6/91, BGHR StGB § 226 Strafrahmenwahl 2; vom 19. Januar 1994 – 2 StR 560/93, BGHR StGB § 226 Strafrahmenwahl 5; sie- he auch BGH, Beschluss vom 9. August 1988 – 4 StR 221/88, BGHR StGB § 223a Abs. 1 Strafzumessung 2). Im Hinblick auf die dem Angeklagten zugebilligte alkoholbedingte erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit ist nach allgemeinen Regeln eine weitere Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB denkbar.
3
Trotz beträchtlicher, den Angeklagten belastender Umstände kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass die Schwurgerichtskammer bei zutreffender Beurteilung eine mildere Strafe verhängt hätte.
4
2. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auch im Hinblick darauf mit auf, dass die Schuldfähigkeitsprüfung des Landgerichts gleichfalls durchgreifenden Bedenken begegnet und dem neu entscheidenden Tatgericht eine in sich stimmige Strafzumessungsentscheidung ermöglicht werden muss. Rechtsfehlerhaft hat es die Schwurgerichtskammer unterlassen, eine – hier mögliche – Berechnung der Blutalkoholkonzentration vorzunehmen und deren Ergebnis ins Verhältnis zu den sonstigen – nach Lage des Falls eher nicht nach einer Annahme des § 21 StGB drängenden – Ergebnissen der Beweisaufnahme zu setzen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. April 2010 – 5 StR 135/10, NStZ-RR 2010, 257, 258 mwN). Zudem hätte ein Sachverständiger hinzugezogen werden müssen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 2011 – 5 StR 24/11 mwN). Dieser sollte sich bei der Untersuchung des psychischen Zustands des Angeklagten auch mit dessen Vorleben, insbesondere Alkoholgewohnheiten und etwaiger -beeinflussung bei seinen Vortaten sowie dissozialen Verhaltensmustern, auseinandersetzen.
5
3. Der Senat verweist die Sache entsprechend § 354 Abs. 3 StPO an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück (vgl. BGH, Urteil vom 7. September 1994 – 2 StR 264/94, NJW 1994, 3304, 3305, insoweit in BGHSt 40, 251 nicht abgedruckt; Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 354 Rn. 42). Denn der Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung ist in Rechtskraft erwachsen, womit der die Zuständigkeit des Schwurgerichts begründende Tatvorwurf des versuchten Totschlags weggefallen ist.
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