Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 257/12
vom
21. November 2012
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Brandstiftung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 21. November 2012 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 25. Januar 2012 mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten hat hinsichtlich der Maßregelanordnung Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
Nach den Feststellungen trennte sich im Sommer 2008 die Lebensgefährtin des Angeklagten, Frau K. , von ihm und zog nach C. -R. . Der Angeklagte litt sehr unter der Trennung. Er hielt telefonisch und brieflich Kontakt zu Frau K. und besuchte sie mehrmals. Bei einem Besuch am 8. April 2011 schrieb er an die Wand eines Durchgangs des von Frau K. bewohnten Hauses „Liebe Isolde, ich liebe Dich, lass uns wieder zusammen sein, Dein Bernd“. Er wartete auf einer Iso-Mattevor ihrer Tür. Als Frau K. ihn ignorierte, legte er ihr Rosen und Teelichter vor die Tür und zündete schließlich auf der Straße Feuerwerkskörper an. Am frühen Morgen des 4. Juni 2011 war der Angeklagte erneut in C. -R. . Er verstreute Rosenblätter vor dem Hauseingang und legte Frau K. einen Blumenstrauß und eine Karte mit 20 € hin. An die mittlerweile übermalte Wand des Durchgangs schrieb er „Isolde ich wünsche Dir einen schönen Tag Gott sei bei Dir B. “. Nach einiger Zeit vergeblichen Wartens auf Frau K. begab er sich zu deren Wohnungstür und dekorierte Rosenblätter, Blumen und eine Karte dort. Als er da stand, wurde ihm bewusst, dass es zu keinem Treffen mit Frau K. kommen würde. Aus Enttäuschung und Zorn schob er Papier unter der Wohnungseingangstür durch und zündete es an. Ihm war bewusst und es war ihm gleichgültig, dass das Holz im Treppenhaus und im Eingangsbereich der Wohnung Feuer fangen würde. Die Strafkammer ist zugunsten des Angeklagten davon ausgegangen, dass er glaubte, Frau K. halte sich nicht in ihrer Wohnung auf. Auch konnte sie nicht feststellen, dass er damit gerechnet hat, die übrigen elf Hausbewohner könnten verletzt werden oder zu Tode kommen. Durch das Feuer brannten der Eingangsbereich der Wohnung und ein Abstellraum vollständig aus, die übrigen Räume wurden durch Verrußung unbewohn- bar. Ein Hausbewohner erlitt schwere Brandverletzungen, als er in Panik durch das Treppenhaus ins Freie flüchtete.
3
Dem Gutachten des angehörten Sachverständigen folgend leidet der Angeklagte nach den Feststellungen des Schwurgerichts sowohl an einer schweren Anpassungsstörung und als auch an einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Diese Störungen hätten im Zusammenspiel mit der seelischen Zermürbung und der schweren Enttäuschung zu einem hochgradigen Erregungszustand und damit zu einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung geführt. Die Strafkammer ist aufgrund dessen zu der Überzeugung gelangt, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB gewesen ist.
4
Das Landgericht hat die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet, weil eine Gesamtwürdigung des Angeklagten und seiner Tat ergebe, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Der Angeklagte habe die Trennung von Frau K. noch nicht überwunden. Es sei zu erwarten, dass er ihr im Falle einer Entlassung wieder nachstellen werde. Es sei daher nur eine Frage der Zeit, dass er sich wieder in Situationen begeben werde, in denen bei Zurückweisungen erneut akute Erregungszustände auftreten würden, die höchstwahrscheinlich zu vergleichbaren Reaktionen, wie sie in der Anlasstat ihren Ausdruck gefunden hätten, führen würden.

II.


5
Die Urteilsfeststellungen belegen nicht hinreichend, dass der Angeklagte an einem Zustand leidet, der seine Unterbringung rechtfertigt und von ihm aufgrund seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 63 StGB).
6
1. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist aufgrund ihrer zeitlichen Unbegrenztheit eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Sie darf deshalb nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 – 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338; Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Urteil vom 7. Januar 1997 – 5 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 230). Dieser Zustand muss, da er anders als die Schuldfähigkeit nicht an den Tatzeitpunkt, sondern an die Prognose anknüpft, ein länger andauernder, nicht nur vorübergehender sein (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 6. März 1986 – 4 StR 40/86, BGHSt 34, 22, 27; Fischer, StGB, 59. Aufl., § 63 Rn. 6 mwN).
7
2. Das Landgericht hat nicht ausreichend dargelegt, dass die schwere Anpassungsstörung in Verbindung mit der narzisstischen Persönlichkeitsstörung bei dem Angeklagten einen dauerhaften Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit begründet. Die erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit beruhte auf dem Zusammentreffen der schweren Anpassungsstörung und der narzisstischen Persönlichkeitsstörung mit der seelischen Zermürbung des Angeklagten durch die Trennung und der schweren Enttäuschung, weil er die Zeugin K. nicht angetroffen hatte. Zwarbedeutet ein länger dauernder Zustand nicht eine ununterbrochene Befindlichkeit. Entscheidend und für die Maßregelanordnung ausreichend ist, dass der länger dauernde Zustand derart beschaffen ist, dass bereits alltägliche Ereignisse die akute erhebliche Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit auslösen können (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 1999 – 2 StR 483/98, BGHSt 44, 369, 375 f.; Urteil vom 10. August 2005 – 2 StR 209/05, NStZ-RR 2005, 370, 371). Hingegen begründet eine auf eine Persönlichkeitsstörung zurückzuführende Disposition, in bestimmten Belastungssituationen wegen mangelnder Fähigkeit zur Impulskontrolle in den Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit zu geraten, noch keinen dauernden Zustand im Sinne des § 63 StGB (BGH, Beschluss vom 29. Januar 2008 – 4 StR 595/07 mwN).
8
Die tatsächlichen Angaben in den Urteilsgründen reichen nicht aus, die Dauerhaftigkeit des Zustands in diesem Sinne darzutun. So wird nicht deutlich, aus welchen Umständen die Strafkammer folgert, dass die seelische Zermürbung des Angeklagten anhalten wird und er bei Zurückweisung durch Frau K. – die er auch früher schon erlebt hatte – erneut in akute Erregungszustände geraten wird, die zu vergleichbaren Reaktionen, wie sie in der Anlasstat Ausdruck gefunden haben, führen würden. Dies folgt bereits daraus, dass der Sachverständige in seinem vorläufigen Gutachten davon ausgegangen war, dass der Angeklagte die Beziehung zu Frau K. überwunden habe undsich gegen eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ausgesprochen hatte. Auch wenn aus dem Verhalten des Angeklagten in der Hauptverhandlung deutlich geworden ist, dass er die Trennung von der Zeugin K. noch nicht bewältigt hat, ist damit nicht belegt, dass es sich um eine länger bestehende und nicht vorübergehende Störung handelt. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der Angeklagte nach den Feststellungen bis zur Tat strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten war, obwohl er auch die Trennungen von früheren Partnerinnen zunächst nicht verwinden konnte. Demgemäß ist auch die begründete Wahrscheinlichkeit weiterer einschlägiger Straftaten nicht ausreichend belegt. Insoweit genügt die bloße Wiederholungsmöglichkeit ebenso wenig wie eine nur latente Gefahr weiterer Straftaten.
9
Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Eine abschließende Entscheidung vermochte der Senat nicht zu treffen, weil es nicht fernliegend ist, dass weitere Feststellungen getroffen werden können, die eine Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB rechtfertigen.
Mutzbauer Roggenbuck Franke
Quentin Reiter

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 21 Verminderte Schuldfähigkeit


Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Strafgesetzbuch - StGB | § 63 Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus


Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 224/12
vom
4. Juli 2012
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 4. Juli 2012 gemäß
§ 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 16. März 2012 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Mit seiner Revision rügt der Beschuldigte die Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
2
1. Nach den Feststellungen trat der obdachlose Beschuldigte am 16. November 2010 in der Innenstadt von P. gegen einen Stromkasten. Als er deshalb von den Zeugen A. und H. He. zur Rede gestellt wurde, reagierte er mit den Worten: „Halt's Maul, sonst steche ich euch ab“. Anschließend entfernte er sich. Als ihm die beiden Zeugen und zwei weitere Personen nachliefen, blieb der Beschuldigte stehen, zog mit der rechten Hand ein Messer und richtete es auf seine Verfolger. Dabei rief er: „Haut ab, oder ich steche euch alle ab“ und fuchtelte mit dem Messer hin und her. Kurze Zeit später erschien die zwischenzeitlich alarmierte Polizei. Der Aufforderung, das Messer fallenzulassen , kam der Beschuldigte nicht nach, sodass schließlich gegen ihn Pfefferspray eingesetzt und zu seiner Entwaffnung körperliche Gewalt angewendet werden musste (Fall II. 1). Am 7. Dezember 2010 bezeichnete der Beschuldigte während einer gemeinsamen Zugfahrt die Zeugin S. ohne jeden Anlassals „Hure“ und „Schlampe“. Zugleich trat er ihr mit dem Fuß gegen den rechten Unterschenkel, wobei er schwere, massive Stiefel trug. Als ihn die Zeugin auf sein Verhalten ansprach, äußerte er „Ich bringe dich um“ und „Ich mache dich kalt“. Die Zeugin erlitt durch den Tritt mehrere Tage andauernde, nicht unerheb- liche Schmerzen und einen Schock. Auf der von der Polizei begleiteten Weiterfahrt kam es bei ihr mehrfach zu Weinkrämpfen (Fall II. 2). Am 23. März 2011 versetzte der Beschuldigte in F. auf offener Straße einer ihm unbekannten Schülerin, die sich mit zwei Mitschülerinnen auf dem Nachhauseweg befand, einen massiven Tritt in den Rücken. Dabei trug er erneut schwere Schnürstiefel. Da der Tritt durch den Schulranzen gedämmt wurde, kam es nicht zu länger andauernden Schmerzen. Die Schülerin erlitt einen Weinkrampf und war – wie ihre beiden Begleiterinnen – von dem Verhalten des Beschuldigten geschockt (Fall II. 3). Am 26. Oktober 2011 zeigte der Beschuldigte in der P. Innenstadt einem Polizeibeamten den ausgestreckten Mittelfinger und bezeich- nete ihn bei der anschließenden Personalienfeststellung als „Arschloch“ (Fall II. 4). Das Landgericht hat die festgestellten Vorfälle als Bedrohung (Fall II. 1), vorsätzliche Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und Bedrohung (Fall II. 2), vorsätzliche Körperverletzung (Fall II. 3) und Beleidigung (Fall II. 4) gewertet.
3
Dem Gutachten des angehörten Sachverständigen folgend geht das Landgericht davon aus, dass der Beschuldigte „seit vielen Jahren“ an einer paranoiden Schizophrenie mit chronischem Residuum leidet. Aufgrund der Erkrankung treten bei ihm unterschiedlich akzentuierte Symptome wahnhafter Überzeugtheit auf. Die dadurch generierten Impulse werden von ihm, dem Grundmuster der festgestellten Taten entsprechend, in aggressiv feindseliger Weise umgesetzt. Stationären Aufenthalten in psychiatrischen Krankenhäusern in den Jahren 1987, 1994 und 1995 gingen jeweils „massive aggressive Übergriffe auf Dritte“ voraus, insbesondere auf Waldwegen, zumTeil mit Messern, durch Schubsen oder Fußtritte sowie Bedrohungen. Ein gegen den Beschuldigten im Jahr 1994 wegen des Verdachts der Körperverletzung geführtes Ermittlungsverfahren wurde wegen Schuldunfähigkeit eingestellt. Aufgrund dieser Erkrankung war die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten bei sämtlichen Taten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erheblich beeinträchtigt (§ 21 StGB) und nicht ausschließbar aufgehoben (§ 20 StGB).
4
Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB angeordnet, weil die unter II. 1 bis II. 3 festgestellten Taten dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen seien und davon auszugehen sei, dass der Angeklagte ohne Intervention auch in Zukunft ähnlich gelagerte Taten begehen werde.
5
2. Diese Feststellungen belegen nicht hinreichend, dass von dem Beschuldigten aufgrund seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (§ 63 StGB).
6
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist aufgrund ihrer zeitlichen Unbegrenztheit eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Sie darf deshalb nur dann angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Täter infolge seines Zustands in Zukunft Taten begehen wird, die eine schwere Störung des Rechtsfriedens zur Folge haben (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Urteil vom 7. Januar 1997 – 5 StR 508/96, NStZ-RR 1997, 230).
7
Ob eine zu erwartende Straftat zu einer schweren Störung des Rechtsfriedens führt, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu entscheiden (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 26. April 2001 – 4 StR 538/00, StV 2002, 477 f.). Dabei kann sich – wie in aller Regel bei Verbrechen oder Gewalt- und Aggressionsdelikten – eine schwere Störung des Rechtsfriedens bereits allein aus dem Gewicht des Straftatbestandes ergeben, mit dessen Verwirklichung gerechnet werden muss (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564; Beschluss vom 24. November 2004 – 1 StR 493/04, NStZ-RR 2005, 72, 73). Sind die zu erwartenden Delikte nicht wenigstens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen, ist die Annahme einer schweren Störung des Rechtsfriedens dagegen nur in Ausnahmefällen begründbar (BGH, Urteil vom 2. März 2011 – 2 StR 550/10, NStZ-RR 2011, 240, 241; Beschluss vom 18. März 2008 – 4 StR 6/08; Beschluss vom 18. Februar 1992 – 4 StR 27/92, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 16; Beschluss vom 28. Juni 2005 – 4 StR 223/05, NStZ-RR 2005, 303, 304).
8
Die für die Maßregelanordnung erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters , seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstaten zu entwickeln (BGH, Urteil vom 17. August 1977 – 2 StR 300/77, BGHSt 27, 246, 248 f.; Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit 27). Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (§ 62 StGB) um einen Grenzfall handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 8. November 2006 – 2 StR 465/06, NStZ-RR 2007, 73,

74).


9
b) Gemessen an diesen Maßstäben hat das Landgericht seine Überzeugung von der zukünftigen Gefährlichkeit des Beschuldigten nicht tragfähig begründet.
10
Im Grundsatz zutreffend geht das Landgericht davon aus, dass die gewalttätigen Übergriffe des Beschuldigten in den Fällen II. 2 und II. 3 der Urteilsgründe von erheblichem Gewicht sind. Dass auch eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades dafür besteht, dass der Beschuldigte künftig diesen Anlasstaten gleich gelagerte Straftaten begehen wird, hat es jedoch nicht hinreichend dargelegt.
11
Die Gefährlichkeitsprognose des Landgerichts beruht auf der Erwägung, dass es sich bei den für die Anlasstaten ursächlichen psychotischen Impulsen um ein Symptom der bei dem Beschuldigten schon seit 1987 bestehenden Grunderkrankung handelt, das aufgrund seines regelhaften Auftretens auch in Zukunft immer wieder zu gleich gelagerten Taten führen wird (UA 7). Bei dieser Sachlage hätte es näherer Erörterung bedurft, warum der Beschuldigte in der Vergangenheit nicht häufiger durch Aggressionsdelikte in Erscheinung getreten ist und welche prognoserelevanten Schlüsse hieraus zu ziehen sind. Dass ein Täter trotz bestehenden Defekts über Jahre hinweg keine Straftaten begangen hat, ist ein gewichtiges Indiz gegen die Wahrscheinlichkeit künftiger gefährlicher Straftaten (BGH, Beschluss vom 11. März 2009 – 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198, 199; Urteil vom 17. November 1999 – 2 StR 453/99, BGHR StGB § 63 Gefährlichkeit

27).


12
Die Feststellung, dass den stationären Aufenthalten des Beschuldigten in den Jahren 1987, 1994 und 1995 „massive aggressive Übergriffe auf Dritte“ vorausgegangen sind, ist ohne Aussagekraft, weil es an einer nachvollziehbaren Darstellung einzelner Vorfälle und ihrer Genese fehlt. Gleiches gilt für den Vorgang, der dem wegen Körperverletzung geführten Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Straubing aus dem Jahr 1994 zugrunde lag, das wegen Schuldunfähigkeit eingestellt worden ist. Grundsätzlich kann auch lange zurückliegenden Taten eine indizielle Bedeutung für die Gefährlichkeitsprognose zukommen (BGH, Urteil vom 11. August 2011 – 4 StR 267/11, Rn. 14; vgl.BGH, Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, BeckRS 2008, 13076, insoweit in NStZ 2008, 563 nicht abgedruckt), doch setzt dies regelmäßig voraus, dass diese Taten in einem inneren Zusammenhang zu der festgestellten Erkrankung gestanden haben und ihre Ursache nicht vornehmlich in anderen nicht krankheitsbedingten Umständen zu finden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2001 – 4 StR 540/01, BeckRS 2001, 30228853). Dies ist in den Urteilsgründen darzustellen und mit Tatsachen zu belegen.
13
Soweit das Landgericht auch die Todesdrohungen zum Nachteil der Zeugen He. (Fall II. 1) der mittleren Kriminalität zugeordnet hat, wird dies von den Feststellungen nicht belegt. Todesdrohungen gehören nur dann zu den erheblichen Straftaten, wenn sie geeignet sind, den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen; dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie aus der Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich tragen (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 – 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202, 203; Urteil vom 12. Juni 2008 – 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564). Dass die bedrohten Zeugen mit tödlichen Messerstichen gerechnet haben, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Die Tatsache, dass sie nach der ersten Drohung die Verfolgung des Beschuldigten aufnahmen, spricht eher für das Gegenteil.
14
Die Sache bedarf daher insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Eine abschließende Entscheidung vermochte der Senat nicht zu treffen, weil es nicht fernliegend ist, dass weitere Feststellungen getroffen werden können , die eine Anordnung der Unterbringung gemäß § 63 StGB rechtfertigen.
Mutzbauer Roggenbuck Schmitt
Bender Quentin

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 550/10
vom
2. März 2011
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 2. März 2011,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Appl,
Prof. Dr. Schmitt,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach,
Staatsanwalt (GL)
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Aachen vom 27. Juli 2010 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und zwei Messer eingezogen. Die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten hat Erfolg.
2
1. Der zur Tatzeit 27 Jahre alte Beschuldigte steht seit dem Jahre 2005 unter Betreuung und war schon mehrfach aufgrund gerichtlicher Anordnung, erstmals im Jahre 2004, zuletzt in der Zeit von 6. Juli bis 12. August 2009, in einer geschlossenen Anstalt untergebracht. Dabei wurde eine weitgehend unbehandelte paranoid halluzinatorische Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis diagnostiziert. Der Beschuldigte ist wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz , das Waffengesetz und wegen Sachbeschädigung vorbe- straft. Eine Tätlichkeit gegenüber dem Vater im Jahr 2005 hat nicht zu strafrechtlichen Konsequenzen geführt.
3
2. a) Nach den Feststellungen des Landgerichts beobachtete der gegenüber einer Schule wohnende Beschuldigte in der Nacht vom 9. auf den 10. Dezember 2009 nach seiner Vorstellung, dass in dem Schulgebäude die Lampen ausgegangen seien, eine "Knallerei" stattfinde und sich andere Lehrer als sonst dort aufhielten. Die von ihm verständigte Polizei ging der Sache nicht nach. Am Morgen sprach der Beschuldigte einen Schüler an, der vor dem Fenster seiner Wohnung seinen Roller geparkt hatte, und erklärte ihm, er solle nicht in die Schule gehen, weil dort gleich ein "Gemetzel" stattfinden werde. Über diesen Schüler und die Schulleitung wurde die Polizei gerufen, die sodann den Beschuldigten in seiner Wohnung aufsuchte. Der Aufforderung der Polizeibeamten , seinen Personalausweis zu zeigen, kam der Beschuldigte, der einen verwirrten Eindruck machte und die Hände in seinen Hosentaschen hielt, nicht nach. Als er schließlich nach weiterer Aufforderung ein Messer aus der Hosentasche zog, wollten ihn die Polizeibeamten abtasten. Hiergegen sträubte sich der Beschuldigte, weshalb es zu einer Rangelei kam, in deren Verlauf die Beteiligten zu Boden gingen. Dabei verletzte sich eine Polizeibeamtin an einem abgebrochenen , scharfkantigen Kühlschrankgriff an ihrem linken Handrücken. Bei dem Beschuldigten, der aufgrund des Vorfalls seit 28. Mai 2010 einstweilen untergebracht ist, wurden zwei Messer sichergestellt.
4
Nach Ansicht der Kammer befand sich der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt im Zustand einer akuten paranoid halluzinatorischen Psychose, wodurch sowohl seine Steuerungs- als auch seine Einsichtsfähigkeit aufgehoben sein sollen.
5
b) Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass der Beschuldigte objektive Verstöße gegen das Waffengesetz begangen, zudem den objektiven Tatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte erfüllt und im Übrigen im Zustand der Schuldunfähigkeit nach § 20 StGB gehandelt hat. Es hat aufgrund dessen die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Eine Gesamtwürdigung des Beschuldigten und seiner Tat ergebe, dass von ihm infolge seines Zustands erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich sei. Bei dem Beschuldigten, der keinerlei Krankheitseinsicht zeige, liege das chronifizierte Vollbild einer schizophrenen Psychose vor, die durch langjährigen Drogenkonsum verstärkt werde. Auch sei bei ihm eine latente Fremdaggressivität festzustellen. Bei der Auswertung der Betreuungsakte durch die angehörte Sachverständige habe sich ergeben, dass der Beschuldigte schon früher angegeben habe, seine Angstzustände riefen bei ihm eine Verteidigungsbereitschaft hervor, die auch den Einsatz von Waffen einschließe. Entsprechendes habe er gegenüber der Sachverständigen zur Anlasstat erklärt. Er habe angegeben, beabsichtigt zu haben, in die Schule hineinzugehen und nachzusehen. Weiter sei festzustellen, dass sich der Beschuldigte seit einiger Zeit bewaffne und bereits Aggressivität gegenüber Sachen gezeigt habe. Daraus habe die Sachverständige auch für die Kammer nachvollziehbar abgeleitet, dass der Beschuldigte wahrscheinlich zukünftig auch schwerwiegende Straftaten, insbesondere Körperverletzungsdelikte, begehen werde, wenn er sich aufgrund seines Verfolgungswahns bedroht fühle.
6
Die Unterbringung, die nicht zur Bewährung ausgesetzt werden könne, sei anzuordnen, obwohl die Anlasstat selbst keine erhebliche rechtswidrige Tat sei. Dies sei auch nicht erforderlich. Vonnöten sei insoweit eine besonders sorgfältige Prüfung, die im Falle des Beschuldigten eine reale Gefahr ergebe, dass er zukünftig bei psychotischen Schüben auch Waffen gegen Personen einsetzen werde.
7
3. Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
8
Eine derartige Maßregel beschwert den Betroffenen außerordentlich. Deshalb darf sie nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades und nicht nur die einfache Möglichkeit schwerer Störungen des Rechtsfriedens besteht. Geboten ist eine mit aller Sorgfalt vorzunehmende Gesamtwürdigung von Täter und Tat unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (§ 62 StGB) und eine Prognose, dass von dem Täter infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (vgl. BGHR StGB § 63 Ablehnung 1, Gefährlichkeit 8, 26; BGH NStZ 2002, 590; NStZ-RR 2009, 169).
9
Die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt zwar nicht grundsätzlich voraus, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind. Sind diese wie die hier festgestellten Taten des Beschuldigten (vgl. für den Verstoß gegen § 113 StGB BGH StV 1992, 571) ihrem Gewicht nach nicht dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen, bedarf die Gefährlichkeitsprognose aber besonders sorgfältiger Darlegung. Daran fehlt es vorliegend. Die zu knappen und oberflächlichen Erwägungen der Kammer, die eine eingehende Würdigung der Person des Beschuldigten, insbesondere seiner Krankheitsgeschichte sowie der Anlasstat vermissen lassen, tragen die Gefährlichkeitsprognose nicht.
10
Die Kammer stützt sich bei ihrer Annahme der Wahrscheinlichkeit auch schwerwiegender Straftaten neben einer insoweit wenig aussagekräftigen früheren einmaligen Gewalthandlung gegenüber einer Sache im Wesentlichen auf den festgestellten Besitz von Messern und auf die Selbsteinschätzung des Beschuldigten , die bei ihm auftretenden Angstzustände lösten eine Verteidigungsbereitschaft aus, die auch den Einsatz von Waffen einschließe. Dies allein lässt im konkreten Fall den Schluss auf die Wahrscheinlichkeit der Begehung von Gewaltdelikten gegenüber Personen nicht zu. Das Landgericht spricht insoweit von einer "latenten" Fremdaggressivität. Eine lediglich latente Gefahr reicht aber für die Annahme einer Wahrscheinlichkeit (höheren Grades) nicht aus (vgl. BGH, Beschluss vom 11. Januar 2011 - 5 StR 547/10).
11
a) Zwar kann schon der Besitz von Waffen an sich die Besorgnis begründen , dass der Beschuldigte bereit sein könnte, diese auch einzusetzen; dies vor allem dann, wenn er den möglichen Einsatz dritten Personen gegenüber selbst einräumt. Das allein rechtfertigte eine Gefährlichkeitsprognose aber nur nach intensiver Auseinandersetzung mit Umständen, die gegen eine wirkliche Gewaltbereitschaft des Beschuldigten sprechen könnten (vgl. BGH, Beschluss vom 5. November 1993 - 5 StR 617/93). Zum einen hat die Kammer hier keinerlei Feststellungen dazu getroffen, weshalb der Beschuldigte, der sich im Übrigen während des gesamten in seiner Wohnung stattfindenden Vorfalls passiv verhalten hat, keine Anstalten gemacht hat, seine Waffe bei der festgestellten Anlasstat einzusetzen, obwohl er sich zu diesem Zeitpunkt in einer Situation befunden hat, in der nach den Ausführungen der Sachverständigen deren Einsatz zur Verteidigung zu erwarten gewesen wäre. Zum anderen hat sich die Kammer ersichtlich nicht mit dem Umstand auseinandergesetzt, dass der Beschuldigte wegen Gewaltdelikten gegenüber außenstehenden Personen bisher nicht auffällig geworden ist, es lediglich einen schon mehr als fünf Jahre zurückliegenden Vorfall gibt, in dem der Beschuldigte seinen Vater mit einer Lampe geschlagen haben soll. Nähere Feststellungen zu Anlass, Entwicklung und Ausmaß dieses familiären Konflikts hat die Kammer nicht getroffen, so dass sich nicht absehen lässt, ob und inwieweit dieser Vorfall generelle Rück- schlüsse auf das künftige Verhalten des Beschuldigten gegenüber Familienmitgliedern und dritten Personen zulässt. Soweit der Beschuldigte im Übrigen unauffällig geblieben ist, hätte dies die Kammer nicht unerörtert lassen dürfen. Der Beschuldigte leidet zumindest seit dem Jahre 2005 an der festgestellten paranoid halluzinatorischen Psychose, hat sich in der Vergangenheit mehrfach Waffen wie Messer oder Stahlruten besorgt, ohne diese jemals gegen Personen eingesetzt zu haben. Eine progrediente Entwicklung der Erkrankung ist nicht festgestellt, so dass etwa auch im Zeitraum zwischen der Anlasstat im Dezember 2009 und der späteren vorläufigen Unterbringung im Mai 2010 offenbar kein auf die Gefährlichkeit des Beschuldigten hinweisender Vorfall feststellbar gewesen ist, obwohl die Erkrankung des Beschuldigten zwischenzeitlich nicht behandelt worden ist (vgl. UA S. 7).
12
b) Vor diesem Hintergrund hätten auch die Bekundungen des Beschuldigten gegenüber Dritten, er werde zu seiner Verteidigung auch Waffen einsetzen , nicht ohne Weiteres zur Annahme erhöhter Gefährlichkeit führen dürfen, sondern einer eingehenden Würdigung unterzogen werden müssen. Dabei hätte es nahe gelegen, sich nicht auf die bloße aktenmäßige Verwertung früherer Angaben zu beschränken, sondern hierzu die Sachverständigen, denen gegenüber entsprechende Äußerungen des Beschuldigten gefallen sein sollen, unmittelbar anzuhören. Sie hätten nicht nur nähere Angaben zu Einzelheiten des Gesprächs , insbesondere, wie und in welchem Zusammenhang es zu den Äußerungen des Beschuldigten gekommen sei, machen können. Sie hätten vor allem auch Auskünfte zum Anlass ihres Tätigwerdens und damit zur Krankheit des Beschuldigten und ihren Auswirkungen geben können. Aus den Urteilsfeststellungen ergibt sich, dass der Beschuldigte in der Vergangenheit mehrfach zwangsweise untergebracht war. Warum dies jeweils geschehen ist, welche Auffälligkeiten zur Unterbringung geführt haben und welche Maßnahmen im Rahmen der Unterbringung - mit oder ohne Erfolg - ergriffen worden sind, lässt sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Diese Umstände zur Krankheitsgeschichte des Beschuldigten, aus der sich wesentliche Hinweise auf die Ernsthaftigkeit der Bekundungen des Beschuldigten und allgemein auf die von ihm ausgehenden Gefahren ergeben könnten, hätte die Kammer bei der anstehenden Würdigung berücksichtigen müssen, ob den Angaben des Beschuldigten mehr als die bloße Möglichkeit eines Waffeneinsatzes zu entnehmen ist (vgl. insoweit BGH, Beschluss vom 7. Dezember 1999 - 4 StR 485/99). Dies gilt trotz des Umstands, dass der Beschuldigte auch gegenüber der im Verfahren gehörten Sachverständigen Dr. R. einen möglichen Waffeneinsatz in der Schule eingeräumt haben soll (vgl. UA S. 7). Zum einen bleibt zumindest unklar, ob dies tatsächlich der Fall gewesen ist. Den mitgeteilten Angaben ist lediglich zu entnehmen, der Beschuldigte habe erklärt, beabsichtigt zu haben, in die Schule hineinzugehen und nachzusehen. Von einer Gewaltanwendung oder einer Verwendung eines der Messer ist nicht die Rede. Zum anderen wäre auch insoweit zu würdigen gewesen, dass der Beschuldigte jedenfalls bis zum Eintreffen der Polizei keinerlei Anstalten getroffen hatte, in die Schule hineinzugehen, auch gegenüber den Polizeibeamten das Messer nicht eingesetzt hatte, sich vielmehr bei Feststellung der angeblichen "Auffälligkeiten" im Schulgebäude darauf beschränkt hatte, die Polizei zu verständigen bzw. einen Schüler hierauf aufmerksam zu machen.
13
3. Die aufgezeigten Rechtsfehler führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei umfassender Würdigung zu einer für den Beschuldigten günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Die Frage der Notwendigkeit der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus bedarf daher neuer Prüfung.

Fischer Appl Schmitt Krehl Eschelbach

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 635/10
vom
22. Februar 2011
in dem Sicherungsverfahren
gegen
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 22. Februar 2011 gemäß § 349
Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Beschuldigten wird das Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 8. September 2010 mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat gegen den Beschuldigten im Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Seine hiergegen gerichtete, auf die Sachrüge gestützte Revision hat Erfolg.
2
1. Grundlage für die Anordnung der Maßregel gegen den nicht vorbestraften , an einer paranoid-halluzinatorischen Schizophrenie leidenden Beschuldigten sind vier in den Jahren 2009 und 2010 im Abstand von jeweils mehreren Monaten begangene Straftaten:
3
(1) eine am 25. Februar 2009 während einer vom Amtsgericht Landau angeordneten Unterbringung im Pfalzklinikum begangene vorsätzliche Körperverletzung zum Nachteil eines mit dem Reinigen des Bodens befassten Zeugen ,
4
(2) eine am 14. Juli 2009 zum Nachteil seines Betreuers begangene versuchte Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung,
5
(3) eine am 14. Januar 2010 zum Nachteil seines Betreuers begangene Bedrohung, die dieser allerdings nicht ernst nahm, und
6
(4) Beleidigungen zweier Mitarbeiterinnen seines Betreuers am 23. März 2010, wobei die Kammer bezüglich einer vom Beschuldigten zudem begangenen versuchten Körperverletzung einen strafbefreienden Rücktritt angenommen hat.
7
Hinsichtlich der Beurteilung der Gefährlichkeit des Beschuldigten hat sich die Strafkammer den Ausführungen des Sachverständigen angeschlossen, wonach damit zu rechnen sei, dass der Beschuldigte auch künftig gleich gelagerte Straftaten begehen werde, "eine Steigerung von Gewalt über das bekannte Maß hinaus" sei aber nicht zu erwarten (UA 12).
8
2. Diese Feststellungen und Wertungen rechtfertigen die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht.
9
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus ist eine außerordentlich beschwerende Maßnahme. Deshalb darf sie nur angeordnet werden , wenn die Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen. Dies erfordert zwar nicht, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind, die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 18. März 2008 - 4 StR 6/08; vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 jeweils mwN). Die lediglich latente Gefahr oder bloße Möglichkeit zukünftiger Straftaten reicht nicht aus (BGH, Beschlüsse vom 10. September 2008 - 2 StR 291/08, vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198).
10
b) Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat die Strafkammer nicht belegt.
11
aa) Die Erheblichkeit drohender Taten kann sich ohne weiteres aus dem Delikt selbst ergeben, etwa bei Verbrechen. Ist dies nicht der Fall, kommt es grundsätzlich auf die zu befürchtende konkrete Ausgestaltung der Taten an (BGH, Beschluss vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564). Dabei sind zu erwartende Gewalt- und Aggressionsdelikte regelmäßig zu den erheblichen Taten zu rechnen (BGH, Urteil vom 17. Februar 2004 - 1 StR 437/03, Beschlüsse vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, vom 10. August 2010 - 3 StR 268/10). Todesdrohungen gehören hierzu indes nur, wenn sie geeignet sind, den Bedrohten nachhaltig und massiv in seinem elementaren Sicherheitsempfinden zu beeinträchtigen; dies ist insbesondere der Fall, wenn sie aus der Sicht des Betroffenen die nahe liegende Gefahr ihrer Verwirklichung in sich tragen (BGH, Beschluss vom 3. April 2008 - 1 StR 153/08, Urteil vom 12. Juni 2008 - 4 StR 140/08, NStZ 2008, 563, 564, Beschluss vom 20. Februar 2009 - 5 StR 555/08, NStZ 2009, 383; vgl. auch BGH, Beschluss vom 20. Juli 2010 - 5 StR 209/10). Die Gefahr bloßer Beleidigungen ist dagegen grundsätzlich nicht geeignet, eine Unterbringung nach § 63 StGB zu rechtfertigen.
12
bb) Auf dieser Grundlage vermag allein die Wahrscheinlichkeit, dass der Beschuldigte künftig den Anlasstaten gleich gelagerte Straftaten begehen wird, die Maßregelanordnung nicht zu begründen.
13
Soweit die Kammer auf die Möglichkeit tätlicher Auseinandersetzungen während einer Unterbringung abstellt, handelt es sich zwar für sich betrachtet um gewichtige Straftaten. Jedoch sind solche Verhaltensweisen innerhalb einer Einrichtung nicht ohne weiteres denjenigen Handlungen gleichzusetzen, die ein Täter außerhalb einer Betreuungseinrichtung begeht (BGH, Beschluss vom 16. Juli 2008 - 2 StR 161/08 mwN). Dies gilt jedenfalls, wenn - wozu indes in dem angefochtenen Urteil nähere Feststellungen fehlen - es um das Verhalten eines in einer psychiatrischen Klinik Untergebrachten gegenüber dem im Umgang mit schwierigen und aggressiven Patienten erfahrenem oder geschultem Personal geht. Aggressives Verhalten in diesem Bereich ist nicht gleichzusetzen mit Handlungen in Freiheit gegenüber beliebigen Dritten oder dem Täter nahe stehenden Personen. Solche Taten verlangen daher - jedenfalls soweit sie nicht dem Bereich schwerster Rechtsgutsverletzungen zuzurechnen sind - schon nach ihrem äußeren Eindruck weit weniger nach einer Reaktion durch ein strafrechtliches Sicherungsverfahren und Anordnung einer strafrechtlichen Maßregel (BGH, Urteil vom 22. Januar 1998 - 4 StR 354/97, NStZ 1998, 405). Hinzu kommt, dass der Beschuldigte mit Ausnahme der Anlasstat vom 25. Februar 2009 bisher durch vergleichbare Taten ersichtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist, obwohl er seit dem Jahr 1995 vielfach stationär in psychiatrischen Einrichtungen aufgenommen und behandelt werden musste (vgl. BGH, Beschluss vom 11. März 2009 - 2 StR 42/09, NStZ-RR 2009, 198).
14
Auch zu erwartende Taten nach der Art und Intensität der zum Nachteil seines Betreuers oder dessen Mitarbeiter begangenen Taten sind nicht ohne weiteres geeignet, die Unterbringung des Beschuldigten zu rechtfertigen. Sie wurden von ihm jeweils in einer aus seiner Sicht besonderen Situation begangen (vor der Tat vom 14. Juli 2009 hatte der Betreuer die Bitte des Beschuldigten nach Geld abgelehnt; vor der Tat vom 14. Januar 2010 hatte sich der Beschuldigte aus seiner Wohnung ausgesperrt und seinen Betreuer gebeten, einen Schlüsseldienst zu verständigen, was dieser ebenfalls ablehnte). Hinzu kommt, dass sich der Beschuldigte bei diesen Taten zunächst nur verbalaggressiv verhalten hat, er bei Einschreiten dritter Personen von Gewalthandlungen absah oder abgebracht werden konnte und sich beruhigen ließ (vgl. BGH, Beschluss vom 23. November 2010 - 5 StR 492/10).
15
Insgesamt vermögen die vom Beschuldigten begangenen und drohenden Taten, die zudem in ihrer Intensität und Gefährlichkeit jedenfalls keine Steigerung erfuhren, die außerordentlich schwere Maßregel des § 63 StGB nicht zu rechtfertigen (vgl. zu einem von den Straftaten her ähnlich gelagerten, jedoch ein Nachbarschaftsverhältnis betreffenden Fall BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - 5 StR 256/10, NStZ-RR 2011, 12). Dies gilt auch vor dem Hintergrund, dass sich der Beschuldigte "als Opfer eines weit verzweigten Komplotts aus Ärzten, Betreuern, Polizei und Nachbarschaft" (UA 19) sieht, gegenüber denen es indes nach den Feststellungen der Strafkammer bislang ersichtlich nur in seltenen - den oben wiedergegebenen - Fällen zu Aggressionsdurchbrüchen kam.
16
3. An einer das Sicherungsverfahren abschließenden Entscheidung und einer Aufhebung des Unterbringungsbefehls ist der Senat jedoch gehindert; denn es ist nicht auszuschließen, dass weitere Feststellungen die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 63 StGB rechtfertigen können. Die Strafkammer hat es insbesondere unterlassen, nähere Feststellungen zu den Taten zu treffen, die Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzungen betrafen und entweder "auf den Privatklageweg verwiesen oder nach § 170 Abs. 2 StPO, teilweise wegen Schuldunfähgkeit eingestellt" wurden (UA 4, 5). Auch zu dem vom Sachverständigen in Zusammenhang mit der Gefährlichkeitsprognose erwähnten Einsatz eines Messers (UA 12) verhält sich das Urteil nicht weiter.
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Franke Mutzbauer

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 595/07
vom
29. Januar 2008
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 29. Januar 2008 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Halle vom 26. Juli 2007
a) im Schuldspruch dahin klargestellt, dass der Angeklagte der besonders schweren Vergewaltigung und der schweren Vergewaltigung schuldig ist,
b) mit den Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen schuldig gesprochen, "wobei er in einem Fall ein gefährliches Werkzeug verwendete und in dem anderen Fall ein sonstiges Mittel bei sich führte, um den Widerstand einer anderen Person durch Drohung mit Gewalt zu verhindern". Es hat ihn deswegen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt. Ferner hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und im Fall II. 2 im Adhäsionsverfahren der Nebenklägerin Schadensersatz zuerkannt.
2
Die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt, ist zum Schuld-, Straf- und Adhäsionsausspruch unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO, weil die Überprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung insoweit keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat. Der Maßregelausspruch hat hingegen keinen Bestand.
3
1. Im Fall II. 2 tragen die Feststellungen eine Verurteilung des Angeklagten wegen des Qualifikationstatbestandes des § 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB (vgl. BGH NStZ 2004, 261). Dass die Strafkammer dies bei der rechtlichen Würdigung der Tat in den Urteilsgründen nicht zum Ausdruck gebracht hat, steht dem nicht entgegen. Das Landgericht ist deshalb bei der Strafzumessung im Ergebnis zu Recht von dem sich aus § 177 Abs. 3 StGB ergebenden erhöhten Strafrahmen von drei Jahren bis 15 Jahren Freiheitsstrafe ausgegangen. Der Erörterung des § 177 Abs. 5 2. Halbs. StGB bedurfte es nicht, da die Annahme eines minder schweren Falles bei dem rechtsfehlerfrei festgestellten Tatgeschehen fern lag.
4
Jedoch ist die Urteilsformel mit Blick auf die Verwirklichung der Qualifikationstatbestände dahin klarzustellen, dass der Angeklagte im Fall II. 1 der besonders schweren Vergewaltigung (§ 177 Abs. 4 Nr. 1 StGB) und im Fall II. 2 der schweren Vergewaltigung (§ 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB) schuldig ist (vgl. BGHR StPO § 260 IV 1 Urteilsformel 4).
5
2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
6
Die Anordnung dieser Maßregel kommt nur bei solchen Personen in Betracht , deren Schuldunfähigkeit oder erheblich verminderte Schuldfähigkeit durch einen positiv festgestellten, länger andauernden und nicht nur vorübergehenden Zustand im Sinne der §§ 20, 21 StGB hervorgerufen ist (st. Rspr., BGHSt 34, 22, 27; 42, 385 f.). Diese Voraussetzungen sind nicht rechtsfehlerfrei dargetan.
7
Das Landgericht hat angenommen, die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten sei bei der ersten Tat, nicht hingegen bei der zweiten Tat, erheblich im Sinne des § 21 StGB infolge einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung (UA 16) vermindert gewesen. Der Angeklagte weise eine kombinierte Persönlichkeitsstörung auf der "Basis einer narzisstischen Persönlichkeitsstruktur in Form eines sogenannten 'verdeckten Narzissmus' " auf, die für sich genommen zwar eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit nicht begründen könne. Jedoch habe sich der Angeklagte bei Begehung der Tat II. 1, anders als bei der zweiten Tat, auf Grund einer akuten und ernsten Beziehungskrise mit seiner damaligen Lebensgefährtin Oxana S. in einer belastenden Situation im Sinne einer Lebenskrise befunden. Dies habe im Zusammentreffen mit dem labilen Persönlichkeitsgefüge des Angeklagten bei Begehung der ersten Tat zum Nachteil der Sandra Sch. infolge einer affektiv bedingt eingeengten Wahrnehmung zu einem sexuellen Impulsdurchbruch geführt, welcher für den Angeklagten nur bedingt steuerbar gewesen sei.
8
a) Eine erheblich verminderte Schuldfähigkeit bei Begehung der Tat II. 1 wird durch diese Ausführungen nicht belegt.
9
Die der Schuldfähigkeitsbeurteilung als Anknüpfungstatsache zu Grunde gelegte "akute und ernste" trennungsbedingte Krisensituation des Angeklagten kann dem angefochtenen Urteil nicht entnommen werden. Ausweislich der Urteilsgründe ging die Trennung nämlich nicht etwa von Oxana S. , sondern vom Angeklagten aus. Es war auch der Angeklagte, der darauf bestand, dass Oxana S. ca. zwei Monate vor der Tat aus der gemeinsamen Wohnung auszog, was diese auch befolgte. Vor diesem Hintergrund ist bereits nicht zu erkennen, weshalb sich die Trennung von seiner Lebensgefährtin für den Angeklagten noch zwei Monate später bei Begehung der Tat zum Nachteil der Sandra Sch. als schwere Belastungssituation darstellen konnte.
10
Hinzu kommt, dass sich die Strafkammer nicht damit auseinandergesetzt hat, dass die Tat II. 2, die der Angeklagte ca. zehn Monate nach der ersten Tat in - wovon die Strafkammer rechtsfehlerfrei ausgeht - uneingeschränkt schuldfähigem Zustand beging, ein nahezu identisches Tatmuster wie die erste Tat aufwies. Dies gilt nicht nur für das Sichbemächtigen der dem Angeklagten unbekannten jungen Frauen anlässlich nächtlicher Fahrten durch Halle und die Durchführung der Taten selbst, sondern auch für die sinngleichen, drohenden Äußerungen des Angeklagten gegenüber den jeweiligen Tatopfern, etwa "er habe nichts zu verlieren" bzw. ihm "sei sowieso alles egal". In Anbetracht der übereinstimmenden Tatbilder vermag die von der Strafkammer hervorgehobene Äußerung des Angeklagten gegenüber der Nebenklägerin bei Begehung der Tat II. 2 die unterschiedliche Schuldfähigkeitsbeurteilung nicht zu belegen (UA 16).
11
b) Darüber hinaus vermögen die Feststellungen des Landgerichts die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus auch deshalb nicht zu tragen, weil ihnen eine die Unterbringung rechtfertigende Stö- rung im Sinne eines länger andauernden "Zustands" nicht entnommen werden kann.
12
Nach den bisherigen Feststellungen führt die diagnostizierte Persönlichkeitsstörung vielmehr erst dann zu einer Verminderung der Schuldfähigkeit, wenn sich der Angeklagte in "mehr oder weniger krisenhaften Situationen, insbesondere Beziehungskrisen" befindet. Diese auf die diagnostizierte Persönlichkeitsstörung zurückzuführende Disposition, in bestimmten Belastungssituationen wegen mangelnder Fähigkeit zur Impulskontrolle in den Zustand erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit zu geraten, reicht zur Bejahung eines dauernden Zustands im Sinne des § 63 StGB nicht aus (vgl. Senatsbeschlüsse vom 2. Dezember 2004 - 4 StR 452/04 und vom 10. Januar 2008 - 4 StR 626/07).
13
3. Der Maßregelausspruch kann daher nicht bestehen bleiben. Der Senat kann in der Sache nicht selbst entscheiden, weil sich möglicherweise noch Feststellungen treffen lassen, die die Maßregelanordnung tragen können. Für die neue Hauptverhandlung wird es sich jedoch empfehlen, einen weiteren Sachverständigen hinzuzuziehen. Der Strafausspruch wird durch die Aufhebung der Unterbringungsanordnung nicht berührt, da der Angeklagte durch die Annahme des § 21 StGB im Fall II. 1 bei der Strafzumessung nicht beschwert ist.
Tepperwien Maatz RiBGH Athing ist infolge Urlaubs gehindertzuunterschreiben
Tepperwien
Solin-Stojanović Sost-Scheible

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.