Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Juli 2016 - 4 StR 215/16
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 5. Juli 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich die mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründete Revision der Beschuldigten. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
- 3
- 1. Nach den Feststellungen legte die Beschuldigte, die seit dem Jahr 1975 an einer hebephrenen Schizophrenie leidet, am 7. Januar und 27. Juli 2015 in den jeweiligen gemeinsam mit ihrem Ehemann bewohnten Wohnungen jeweils unter Einfluss der bei ihr bestehenden psychischen Erkrankung Feuer, wodurch die Wohnungen vollständig ausbrannten und Sachschäden in Höhe von 83.200 € und 150.000 € entstanden. Bei dem Brand im Januar 2015 zog sich eine Hausmitbewohnerin bei der Flucht durch das bereits verrauchte Treppenhaus eine leichte Rauchgasvergiftung zu.
- 4
- Nach Überzeugung der Strafkammer war die Schuldfähigkeit der Beschuldigten bei Begehung der Taten sicher erheblich vermindert im Sinne des § 21 StGB. Darüber hinaus sei eine völlige Aufhebung der Schuldfähigkeit in der Variante aufgehobener Einsichtsfähigkeit nicht auszuschließen. Ausweislich der Urteilsausführungen ist das Landgericht auf der Grundlage einer Bewertung der im Einzelnen näher dargestellten psychischen Verfassung der Beschuldigten bei den Brandlegungen zu der Ansicht gelangt, dass nicht nur von einer erheblichen Beeinträchtigung der Fähigkeit zur Unrechtseinsicht, sondern zumindest nicht ausschließbar davon auszugehen sei, dass der Beschuldigten aufgrund des psychotischen Erlebens eine geordnete Realitätskontrolle nicht mehr möglich gewesen sei, so dass zum jeweiligen Tatzeitpunkt von einer aufgehobenen Einsichtsfähigkeit ausgegangen werden müsse. Auch nach dem in der Hauptverhandlung von der Beschuldigten gewonnenen persönlichen Eindruck liege es nahe, dass die Beschuldigte wegen einer bestehenden psychotischen Störung nicht in der Lage gewesen sei, sich in freier Entscheidung zwischen Recht und Unrecht zu entscheiden. Zur Frage der Steuerungsfähigkeit der Beschuldigten bei Begehung der Taten verhalten sich die Urteilsgründe nicht.
- 5
- 2. Mit diesen Ausführungen hat das Landgericht mit der erforderlichen Sicherheit lediglich eine erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit der Beschuldigten im Zeitpunkt der Anlasstaten festgestellt. Dies reicht nicht aus, um eine Begehung der Taten im Zustand verminderter Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB darzutun.
- 6
- Nimmt der Tatrichter eine erheblich verminderte Einsichtsfähigkeit des Täters an, so muss er darüber befinden ob diese zum Fehlen der Unrechtseinsicht geführt oder ob der Täter gleichwohl das Unrecht der Tat eingesehen hat. Denn eine verminderte Einsichtsfähigkeit ist strafrechtlich erst dann von Bedeutung , wenn sie das Fehlen der Einsicht zur Folge hat. Nur unter dieser Voraussetzung führt eine verminderte Einsichtsfähigkeit - je nachdem, ob das Fehlen der Einsicht dem Täter zum Vorwurf gereicht -, zur Anwendung von § 20 StGB oder § 21 StGB. Sieht der Täter dagegen trotz seiner erheblich verminderten Einsichtsfähigkeit das Unrecht seines Tuns tatsächlich ein, handelt er in vollem Umfange schuldhaft (st. Rspr., vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 30. Juni 2015 - 3 StR 181/15, NStZ-RR 2015, 273 f.; vom 17. April 2014 - 2 StR 405/12, BGHR StGB § 20 Einsichtsfähigkeit 4; vom 20. November 2012 - 1 StR 504/12, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 5; Urteile vom 13. November 1990 - 1 StR 514/90, BGHR StGB § 20 Einsichtsfähigkeit 3; vom 2. Februar 1966 - 2 StR 529/65, BGHSt 21, 27, 28). Dass der Beschuldigten bei den beiden Brandlegungen die Einsicht in das Unrecht ihres Handelns tatsächlich fehlte, hat die Strafkammer gerade nicht sicher festgestellt.
- 7
- 3. Die Sache bedarf daher neuer tatrichterlicher Verhandlung und Entscheidung. Die unter II. der Urteilsgründe getroffenen Feststellungen zum äußeren Geschehensablauf beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und können bestehen bleiben. Die Strafkammer war aus Rechtsgründen nicht gehindert, der Vielzahl überwiegend ungeklärter Brände im Lebensumfeld der Beschuldigten "in geringem Umfang" indizielle Bedeutung für eine Täterschaft der Beschuldigten bei den Anlasstaten beizumessen.
Bender Quentin
moreResultsText
moreResultsText
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.