Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Juni 2015 - 4 StR 196/15
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
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- Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Hiergegen richtet sich seine auf die Sachrüge gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat Erfolg.
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- 1. Der Unterbringungsanordnung liegen als von der Antragsschrift erfasste Anlasstaten eine räuberische Erpressung in Tateinheit mit Sachbeschädigung , ein vollendeter und ein versuchter Wohnungseinbruchdiebstahl sowie ein vollendeter und vier versuchte Diebstähle - jeweils im besonders schweren Fall - zugrunde, die der Beschuldigte zwischen dem 3. April und dem 11. Juni 2014 begangen hat. Opfer der räuberischen Erpressung war die Schwägerin des damals in einer Obdachlosenunterkunft wohnenden Beschuldigten, der diese - um „Geld zum Bestreiten seines Lebensunterhalts“ zu erlangen - mittels einer konkludenten Drohung zur Herausgabe von 30 € veranlasste. Den vollendeten Wohnungseinbruchdiebstahl beging er in Ausführung eines zuvor mit einem Mittäter gefassten Tatplans; bei dem versuchten Wohnungseinbruchdiebstahl ließ er nach dem Einschlagen der Glasscheibe einer Außentür von der weiteren Tatbegehung ab, nachdem er von einer „weiblichen Person ge- stört“ worden war. Bei den weiteren vollendeten und versuchten Diebstählen handelte es sich um einen versuchten Einbruchdiebstahl in ein Mehrfamilienhaus sowie - teilweise ebenfalls nur versuchte - Diebstähle aus Handtaschen, die der Beschuldigte „im allgemeinen Gedränge“ beim Einsteigen in eine Stadt- bahn bzw. auf Rolltreppen im Hauptbahnhof und in einem Kaufhaus sowie vor einem Modegeschäft beging. Bei all diesen Taten handelte der Beschuldigte mit dem Willen, sich durch die wiederholte Begehung gleichgelagerter Diebstähle eine nicht nur vorübergehende Einnahmequelle zu verschaffen. Ferner stellte das Landgericht einen von der Staatsanwaltschaft gemäß § 154 Abs. 1 StPO eingestellten versuchten Wohnungseinbruchdiebstahl vom 24. März 2014 fest, der daran scheiterte, dass es dem Beschuldigten nicht gelang, die Terrassentür aufzuhebeln.
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- Nach den weiteren Feststellungen der Strafkammer leidet der Beschuldigte nach einem im Jahr 1992 bei einem Verkehrsunfall erlittenen Schädelhirntrauma an einem schweren hirnorganischen Psychosyndrom, welches als organische Persönlichkeitsstörung mit im Vordergrund stehender Impulskontrollstörung das Eingangsmerkmal einer krankhaften seelischen Störung im Sinne des § 20 StGB erfülle. Aufgrund der im Vordergrund stehenden schweren Impulskontrollstörung sei eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit sicher feststellbar; „der Akzent“ sei- wie die Strafkammer im Rahmen der Beweiswürdigung mitteilt und der Entscheidung zugrunde legt - aber nicht so sehr auf die Tatausführung, sondern auf die Tatentscheidung zu legen, die der Be- schuldigte in allen Fällen im Zustand nicht ausschließbar aufgehobener Steuerungsfähigkeit getroffen habe (UA S. 35).
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- 2. Diese Feststellungen und Wertungen des Landgerichts sind nicht geeignet , die Anordnung der Maßregel des § 63 StGB zu rechtfertigen.
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- Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus setzt unter anderem die positive Feststellung voraus, dass der Beschuldigte eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen hat. Hierfür muss vom Tatgericht im Einzelnen dargelegt werden, wie sich die festgestellte, einem Merkmal von §§ 20, 21 StGB unterfallende Erkrankung in der jeweiligen Tatsituation auf die Einsichts- oder die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat und warum die Anlasstaten auf den entsprechenden psychischen Zustand zurückzuführen sind (BGH, Beschlüsse vom 29. Mai 2012 - 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307; vom 18. November 2013 - 1 StR 594/13, NStZ-RR 2014, 75, 76 mwN). Insoweit ist insbesondere zu untersuchen, ob in der Person des Beschuldigten oder in seinen Taten letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervortreten, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 1997 - 2 StR 53/97, NStZ 1997, 383; Beschlüsse vom 15. Juli 1997 - 4 StR 303/97, BGHR StGB § 63 Zustand 26; vom 19. Februar 2015 - 2 StR 420/14).
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- Dem werden die Ausführungen des Landgerichts nicht gerecht. Es hat zwar eingehend dargelegt, dass der Beschuldigte an einem unter die Eingangsmerkmale des § 20 StGB fallenden krankhaften Zustand von einiger Dauer leidet. Die Strafkammer hat es aber versäumt, in einer für das Revisionsgericht nachvollziehbaren Weise zu erörtern, dass zwischen diesem Zustand und den abgeurteilten Taten ein symptomatischer Zusammenhang be- steht. Hierauf konnte jedenfalls angesichts der Besonderheiten des Falles nicht verzichtet werden. Denn die von dem Beschuldigten begangenen Taten dienten dem damals in einer Obdachlosenunterkunft wohnenden, seinen Lebensunter- halt von Sozialhilfe und „fortlaufender Begehung von Vermögensdelikten“ be- streitenden (UA S. 8 f.) Beschuldigten dazu, „Geld zum Bestreiten seines Le- bensunterhalts“ bzw. sich eine dauerhafte Einkommensquelle zu verschaffen. Belege dafür, dass den abgeurteilten Taten ein durchgreifender Mangel der Impulskontrolle zugrunde gelegen hat, finden sich in der landgerichtlichen Entscheidung nicht. Vielmehr spricht gegen die Annahme einer gestörten Impulskontrolle etwa bei der Tat 2 auch, dass diese nach gemeinsamer Planung mit einem Mittäter begangen wurde und Umstände nicht erkennbar sind, zu welchem Zeitpunkt und wodurch der Beschuldigte hierbei in einem die Steuerungsfähigkeit zumindest erheblich beeinträchtigenden Zustand einer gestörten Impulskontrolle geraten sein soll (vgl. zu einem ähnlich gelagerten Fall auch BGH, Beschluss vom 19. Februar 2015 - 2 StR 420/14).
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- 3. Ergänzend weist der Senat ferner auf Folgendes hin:
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- Maßgebend für die Beurteilung der Schuldfähigkeit ist die „Begehung der Tat“ (§ 20 StGB), bei aktivem Tun mithin die Zeit, zu welcher der Täter ge- handelt hat (§ 8 Satz 1 StGB; vgl. auch Fischer, StGB, 62. Aufl., § 20 Rn. 2a mwN). Daher findet § 20 StGB jedenfalls dann keine Anwendung, wenn der Täter bei allen für die Verwirklichung des Tatbestands erforderlichen Handlungen - wenn auch vermindert - schuldfähig war (vgl. für Dauerdelikte auch BGH, Beschluss vom 15. Juni 2004 - 4 StR 176/04; Urteil vom 28. September 2011 - 1 StR 129/11, NStZ-RR 2012, 6, 7). Deshalb begegnet die Anwendung von § 20 StGB durch die Strafkammer Bedenken, wenn deren Ausführungen, wo- nach „der Akzent“ nicht so sehr auf die Tatausführung, sondern auf die Tatent- scheidung zu legen sei, die der Beschuldigte in allen Fällen im Zustand nicht ausschließbar aufgehobener Steuerungsfähigkeit getroffen habe, dahin zu verstehen sein sollten, dass bei der Tatausführung seine Steuerungsfähigkeit - wenn auch vermindert - vorhanden war.
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- Auch vermag die im Rahmen der Feststellungen zum Tatgeschehen allein mitgeteilte Erwägung, „die Fähigkeit des Beschuldigten, das Unrecht der Taten einzusehen …[sei] in nicht ausschließbarer Weise aufgehoben“ gewesen (UA S. 17), die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zu rechtfertigen. Denn diese darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Beschuldigte bei Begehung der Anlasstaten schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 26. März 2015 - 2 StR 37/15 mwN; zur - nicht festgestellten - verminderten Einsichtsfähigkeit und § 63 StGB: BGH, Beschluss vom 20. November 2012 - 1 StR 504/12, NJW 2013, 246; siehe ferner - auch zum Verhältnis Einsichts-/Steuerungsvermögen - Beschluss vom 2. August 2012 - 3 StR 259/12; sowie Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, BGHR StGB § 20 Steuerungsfähigkeit 2).
Bender Quentin
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Annotations
(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,
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wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder - 2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.
(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.
(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.
(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.
(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Eine Tat ist zu der Zeit begangen, zu welcher der Täter oder der Teilnehmer gehandelt hat oder im Falle des Unterlassens hätte handeln müssen. Wann der Erfolg eintritt, ist nicht maßgebend.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.