Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Jan. 2013 - 3 StR 513/12

bei uns veröffentlicht am22.01.2013

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 513/12
vom
22. Januar 2013
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
22. Januar 2013 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 13. August 2012 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die auf die - nicht ausgeführte - Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützt ist. Das Rechtsmittel hat auf die Sachbeschwerde den aus der Entschei- dungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht. Indes kann das Urteil nicht bestehen bleiben, soweit das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgelehnt hat. Die Prognose, es bestehe bei dem Angeklagten für eine Behandlung in einer Entziehungsanstalt keine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht im Sinne von § 64 Satz 2 StGB, ist nicht rechtsfehlerfrei begründet.
3
a) Zutreffend ist allerdings der rechtliche Ausgangspunkt des Landgerichts , dass Anordnung und Vollzug der Maßregel die konkrete Aussicht voraussetzen, die süchtige Person zu heilen oder über eine erhebliche Zeitspanne vor einem Rückfall in den Rauschmittelkonsum zu bewahren (§ 64 Satz 2 StGB). Erforderlich ist die Prognose, dass bei erfolgreichem Verlauf der Therapie die Gefährlichkeit aufgehoben oder deutlich herabgesetzt wird (vgl. Fischer, StGB, 60. Aufl., § 64 Rn. 19 mwN).
4
b) Die sich daraus ergebenden rechtlichen Anforderungen an die Bejahung einer konkreten Erfolgsaussicht hat das Landgericht indes verkannt.
5
Bedenken bestehen bereits insofern, als die Strafkammer davon ausgeht , dass die Therapiekonzepte im Maßregelvollzug eine differenzierte intellektuelle und sprachliche Auseinandersetzung mit der Suchtproblematik erfordern , und die Aussicht auf eine erfolgreiche Behandlung des Angeklagten wegen seiner "intellektuellen Minderbegabung" ablehnt. Eine erhebliche intellektuelle Behinderung, die wegen ihrer Schwere dazu führen könnte, dass der An- geklagte in einer Entziehungsanstalt nicht behandelbar wäre (vgl. MüKoStGB/van Gemmeren, 2. Aufl., § 64 Rn. 68), ist nicht festgestellt.
6
Auch der Hinweis der Strafkammer auf Defizite des Angeklagten in der Beherrschung der deutschen Sprache vermag die Ablehnung einer Erfolgsaussicht nicht zu tragen. Mangelnde Sprachkenntnisse von Ausländern haben zwar als in der Persönlichkeit des Täters begründete, nicht suchtbezogene Umstände für die Unterbringungsanordnung eine, wenn auch im Einzelnen hinsichtlich ihrer Erheblichkeit nicht einheitlich beurteilte, Bedeutung (vgl. MüKoStGB, aaO, Rn. 71 sowie LK/Schöch, StGB, 12. Aufl., § 64 Rn. 141 f., jew. mwN; BGH, Beschluss vom 30. Oktober 1996 - 2 StR 528/96, StV 1998, 74; Urteil vom 18. Dezember 2007 - 1 StR 411/07, StV 2008, 138, 139 sowie Beschluss vom 10. Juli 2012 - 2 StR 85/12, NStZ 2012, 689; vgl. auch BT-Drucks. 16/1344 S. 12 f.). Bei weitgehender Sprachunkundigkeit kann die Annahme, eine Behandlung habe keine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht, nahe liegen (vgl. Fischer, aaO, Rn. 23a, 24 mwN). Derartige Sprachdefizite sind hier jedoch nicht festgestellt: Der - zunächst in Griechenland aufgewachsene - 31-jährige Angeklagte besuchte ab seinem 9. Lebensjahr eine Grund- und Hauptschule bzw. die Sonderschule sowie Berufsschulen in Deutschland und arbeitete hier mehrere Jahre lang. Danach liegt es nahe, dass er zumindest über Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfügt; dies genügt (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Juni 2001 - 3 StR 209/01, NStZ-RR 2002, 7). Darauf, dass der Angeklagte, wie das Landgericht in der Begründung seiner Prognoseentscheidung ausführt, weder die deutsche noch die griechische Schriftsprache beherrscht, kann es für die Beurteilung der Erfolgsaussicht nicht ankommen.
7
Die Erklärung des Angeklagten, dass er eine Behandlung im Maßregelvollzug ablehne, kann die Verneinung eines Therapieerfolges hier ebenfalls nicht begründen. Zwar kann fehlende Therapiebereitschaft, die der Anordnung der Unterbringung gemäß § 64 StGB weiterhin grundsätzlich nicht entgegensteht (vgl. LK, aaO, Rn. 138 ff.), ein gegen die erforderliche konkrete Erfolgsaussicht sprechendes Indiz sein (vgl. BGH, Beschluss vom 15. Dezember 2009 - 3 StR 516/09, NStZ-RR 2010, 141 sowie Beschluss vom 3. Juli 2012 - 5 StR 313/12, NStZ-RR 2012, 307). Vorliegend steht einer solchen Bedeutung indes entgegen, dass sich der Angeklagte bereit erklärt hat, bei Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG an einer Suchtbehandlung teilzunehmen. Angesichts dessen hätte die Verneinung einer Erfolgsaussicht der Maßregel im Sinne von § 64 StGB zumindest näherer Darlegung bedurft (vgl. MüKoStGB, aaO, Rn. 75). Der pauschale Hinweis des Landgerichts auf unterschiedliche Therapiekonzeptionen reicht dazu nicht aus. Die Therapie im Maßregelvollzug hat im Übrigen gegenüber der nach § 35 BtMG Vorrang (vgl. Fischer, aaO, Rn. 26).
8
2. Diese Rechtsmängel entziehen der negativen Prognose des Landgerichts zur Erfolgsaussicht einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt die Grundlage. Da der Angeklagte die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362), das Landgericht die Voraussetzungen der Maßregelanordnung gemäß § 64 Satz 1 StGB rechtsfehlerfrei bejaht hat und die Unterbringung nach den bisherigen Feststellungen auch nicht aus anderem Grunde von vornherein ausscheidet, bedarf die Frage ihrer Anordnung - wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - der nochmaligen Prüfung und Entscheidung durch einen neuen Tatrichter. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5 sowie Beschluss vom 21. Oktober 2008 - 3 StR 275/08, NStZ-RR 2009, 48).
9
3. Der Strafausspruch wird durch die Teilaufhebung des Urteils nicht berührt. Der Senat kann ausschließen, dass das Landgericht im Falle der Unterbringung gegen den Angeklagten auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte.
Tolksdorf Pfister Hubert Mayer Spaniol

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 411/07
vom
18. Dezember 2007
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer räuberischer Erpressung u. a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 18. Dezember
2007, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts München II vom 17. April 2007 dahin geändert, dass die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt entfällt. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer räuberischer Erpressung und wegen Diebstahls geringwertiger Sachen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Mit ihrer auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Insbesondere beanstandet sie zuungunsten des Angeklagten die von der Strafkammer angenommene erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit nach § 21 StGB und die damit begründete Strafrahmenverschiebung. Diese beruhe auf einem unzureichenden psychiatrischen Sachverständigengutachten. Außerdem lägen die Voraussetzungen für die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB nicht vor. Insoweit wirkt das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft zu- gunsten des Angeklagten (vgl. § 358 Abs. 2 Satz 3 StPO), was allerdings entgegen Nr. 147 Abs. 3 Satz 2 RiStBV nicht zum Ausdruck gebracht wurde. Das Rechtsmittel wird vom Generalbundesanwalt nur insoweit vertreten, als es sich gegen die Anordnung der Unterbringung in der Entziehungsanstalt richtet. In diesem Umfang hat das Rechtsmittel zugunsten des Angeklagten Erfolg.

I.


2
Das Landgericht hat festgestellt:
3
1. Der Angeklagte, ein italienischer Staatsangehöriger, ist seit seinem 15. Lebensjahr Haschischkonsument. Mit 18 Jahren schnupfte er daneben auch Kokain. Ab dem 19. Lebensjahr trank er auch gelegentlich Alkohol. Das Geld für den Drogenkonsum verdiente er sich durch Gelegenheitsarbeiten. Er lebte überwiegend bei seiner Adoptivmutter in Neapel. Nachdem ihn seine Adoptivmutter bei der Polizei angezeigt hatte, verbrachte er statt der Verbüßung einer an sich verwirkten Freiheitsstrafe die Zeit von November 2002 bis April 2006 in verschiedenen Therapiegemeinschaften der italienischen Drogenhilfeeinrichtung SAMAN. Anfang Mai 2006 wurde er aus dem Programm entlassen und kehrte nach Neapel zurück. Nach seiner Rückkehr stand er vor dem Nichts, da seine Adoptivmutter in der Zwischenzeit verstorben war und ihm jeglicher sozialer Empfangsraum fehlte. Er bekam Depressionen, entwickelte Ängste und trank wieder vermehrt Alkohol. Wegen seiner depressiven Verstimmungen wurde er vom 19. bis 24. Mai 2006 in der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses in Neapel stationär behandelt. Nach nur fünf Tagen wurde er dort auf eigenen Wunsch entlassen. Nach seiner Entlassung begab sich der Angeklagte am 26. Mai 2006 nach München, um sich eine Arbeit als Küchenhilfe zu suchen. Er bekam in der Nähe von München eine Stelle in einer Pizzeria, wo er zur Probe arbeiten durfte. Wegen seiner langsamen Arbeitsweise und seiner Trägheit war der Betreiber der Pizzeria nicht mit seiner Arbeitsleistung zufrieden und eröffnete ihm am 29. Mai 2006 nach Auszahlung eines Arbeitsentgelts von 100 €, dass er nicht eingestellt werde.
4
2. Den Vormittag des Tattages, des 29. Mai 2006, verbrachte der Angeklagte damit, Alkohol zu trinken sowie mit dem vergeblichen Versuch, bei der Post an Geld heranzukommen, das ihm seine Schwester aus Italien überweisen sollte. Eine freundliche 72 Jahre alte Postkundin bot ihm an, sich für ihn von ihrer Wohnung aus telefonisch um eine Übernachtungsmöglichkeit zu bemühen. Während die Frau telefonierte, nahm er in der Küche ihren dort abgelegten Geldbeutel an sich, in dem sich 35 € Bargeld und zwei EC-Karten befanden. Danach verhielt sich der Angeklagte zunächst weiter plan- und ziellos, trank Alkohol und spielte an Automaten.
5
Gegen 17.00 Uhr erwarb er in einem Supermarkt ein ca. 29 cm langes, vorne spitz zulaufendes Küchenmesser mit der Absicht, dieses bei einer Straftat einzusetzen. Er begab sich auf den Kunden-Parkplatz des Supermarktes, wo eine Kundin gemeinsam mit ihrer neunjährigen Tochter dabei war, die eingekauften Gegenstände in ihrem Pkw zu verstauen. Die Geschädigte und ihre Tochter waren gerade eingestiegen, um nach Hause zu fahren, als der Angeklagte mit der linken Hand die Fahrertür aufriss und die Geschädigte unter Bedrohung mit dem Messer aufforderte, den Pkw zu verlassen. Er hielt ihr das Küchenmesser mit der rechten Hand vor den Unterleib und deutete mit dem Messer auch in Richtung auf das Kind. Dadurch veranlasste er beide, den Pkw zu verlassen. Diese verstanden die in italienischer Sprache gemachten Aufforderungen nicht, empfanden aber die Gesamtsituation als bedrohlich. Der Angeklagte setzte sich ans Steuer, verlor aber nach kurzer Fahrt die Kontrolle über den Pkw und blieb im Gartenzaun eines nahe gelegenen Grundstücks hängen. An dem Pkw entstand Totalschaden. Er flüchtete zu Fuß und wurde gegen 19.00 Uhr schlafend angetroffen und festgenommen. Ihm wurde um 19.26 Uhr und um 19.51 Uhr Blut entnommen. Es wurde eine Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,94 o/oo und von 1,85 o/oo festgestellt. Die Strafkammer ist, sachverständig beraten, von einer auf den Tatzeitpunkt zurückgerechneten maximalen BAK von 2,8 o/oo bei der ersten Tat und 2,6 o/oo bei der zweiten Tat ausgegangen.

II.


6
Die Revision ist auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt.
7
1. Die Strafzumessung ist rechtsfehlerfrei. Der Senat kann den für das Revisionsverfahren allein maßgeblichen Urteilsgründen entnehmen, dass die Strafkammer - die sich sowohl von einem Rechtsmediziner als auch von einer forensisch-psychiatrischen Sachverständigen hat beraten lassen - bei der Annahme der erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit von zutreffenden Anknüpfungstatsachen ausgegangen ist. Soweit die Beschwerdeführerin, die die Diagnosen der Sachverständigen selbst nicht in Frage stellt, eigene methodenkritische Ausführungen zum vorläufigen schriftlichen Gutachten der psychiatrischen Sachverständigen macht, ist dem Senat die inhaltliche Prüfung schon deshalb verwehrt, weil die Staatsanwaltschaft – unabhängig von der Frage, ob nicht ohnehin eine Verfahrensrüge zu erheben gewesen wäre - das schriftliche Gutachten nicht mitgeteilt hat.
8
a) Bezogen auf den Einfluss von Alkohol auf die Steuerungsfähigkeit ist die Kammer mit dem rechtsmedizinischen Sachverständigen rechtsfehlerfrei davon ausgegangen, dass bezogen auf die Tatzeit kein eindeutiges durch die Einnahme von Alkohol beeinflusstes Leistungsdefizitbild, sondern nur ein Mischbild vorliegt. Die Kammer hat die maßgeblichen Anknüpfungstatsachen ausführlich dargelegt und unter Zugrundelegung der maximalen BAK und dem gezeigten Verhalten (motorische Auffälligkeiten, eigengefährdende Handlungsweise , Enthemmung, fehlende Zielgerichtetheit) Hinweise auf eine Rauschbeeinflussung festgestellt. Sie hat aber ebenso mit dem Sachverständigen angenommen , dass die planvolle Verknüpfung von Kauf und Einsatz des Messers, das ruhige Halten des Messers in der Bedrohungssituation, die sinnhafte Reaktion auf das unverhofft angetroffene Kind und das Fehlen sprachlicher Auffälligkeiten gegen die Annahme eines Rausches sprachen. Die Strafkammer hat somit ihre Entscheidung über die Verminderung der Steuerungsfähigkeit auch nicht allein auf die Intoxikation durch Alkohol zur Tatzeit gestützt. Soweit die Beschwerdeführerin rügt, die Kammer habe sich nicht ausreichend mit der Möglichkeit eines Nachtrunks auseinandergesetzt, zeigt sie selbst keine tragfähigen Anhaltspunkte auf, die auf mehr als die bloße Möglichkeit der späteren Einnahme weiteren Alkohols hinweisen.
9
b) Die Strafkammer hat zusätzlich die bisherige Lebensgeschichte des Angeklagten in den Blick genommen, die durch einen multiplen Substanzgebrauch sowie darauf beruhenden Verhaltensauffälligkeiten geprägt war. Rechtsfehlerfrei ist die Strafkammer der psychiatrischen Sachverständigen darin gefolgt, dass beim Angeklagten eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung nach den Eingangskriterien DSM-IV 304.80 sowie psychische Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen nach ICD-10 F 19.20 vorliegen. Sie hat dabei beachtet, dass das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung für sich genommen nicht ausreicht, das vierte Merkmal des § 20 StGB, die schwere andere seelische Abartigkeit, anzunehmen (BGHSt 49, 45, 54 f. m.w.N.). Sie hat für die Bestimmung des Schweregrads einer anderen seelischen Abartigkeit noch weitere Umstände herangezogen. Danach befand sich der Angeklagte zur Tatzeit in einer akuten Lebenskrise bei abnormer Erlebnisverarbeitung, die nach ICD-10 F 43.25 als pathologische Trauerreaktion bewertet werden. Der Angeklagte hat seine unbewältigte Lebenskrise durch einen unvorbereiteten fluchtartigen Wechsel nach Deutschland zu lösen versucht. Die Strafkammer durfte der Sachverständigen darin folgen, dass das schnelle berufliche Scheitern in der Pizzeria zu noch größerer Vereinsamung und wegen der Sprachschwierigkeiten zu noch größerer Isolierung geführt hat. Diese Umstände konnte die Kammer für ihre Bewertung der Störung als „schwer“ heranziehen, weil die von ihr festgestellte Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Angeklagten am Tattag durch die Summierung der pathologischen Verhaltensmuster in ihren Auswirkungen denen einer krankhaften seelischer Störungen gleichstanden (vgl. Kröber NStZ 1998, 80 f.).
10
c) Letztlich hat die Strafkammer die ihr obliegende Entscheidung über die Rechtsfrage der Erheblichkeit der Verminderung auf eine Gesamtwürdigung aller auch von beiden Sachverständigen für die Beurteilung maßgeblichen Umstände gestützt, die den Zustand des Angeklagten bei Begehung der Tat geprägt haben. Vor dem Hintergrund der festgestellten Persönlichkeitsstörung hat sie maßgeblich auf die Wechselwirkung zwischen der zugespitzten Belastungssituation und dem zur Tatzeit wirksamen Alkohol abgestellt und diese nach eigenständiger Prüfung zur Grundlage ihrer rechtlichen Bewertung gemacht. Aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe ergibt sich, dass die Kammer die von beiden Sachverständigen übereinstimmend getragene Diagnose einer vorübergehenden „krankhaften“ seelischen Störung - im Sinne des ersten Merkmals des § 20 StGB – nach eigenständiger Prüfung übernommen hat und daraus rechtlich eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit im Sinne von § 21 StGB angenommen hat.
11
2. Der Maßregelausspruch hat hingegen keinen Bestand. Nach der landgerichtlichen Entscheidung ist das Gesetz zur Sicherung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt vom 16. Juli 2007 (BGBl I 1327) in Kraft getreten. Nach der Gesetzesbegründung soll dieses Gesetz dazu beitragen, die vorhandenen Kapazitäten des Maßregelvollzugs besser und zielgerichteter zu nutzen und zu verhindern, dass Personen in den Maßregelvollzug gelangen, deren Unterbringung aus therapeutischen oder rechtlichen Gründen problematisch ist (BTDrucks. 16/1110 S. 9). Deshalb wurden § 64 Satz 1 StGB in eine Sollvorschrift umgestaltet und die Entscheidung über die Vollstreckungsreihenfolge nach § 67 Abs. 2 StGB zur Sicherung des Rehabilitationsinteresses des Verurteilten flexibler gestaltet. Da der Angeklagte durch die Anordnung der Maßregel beschwert ist, hat der Senat die geänderte Rechtslage nach § 354a StPO seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
12
a) Unverändert geblieben ist in § 64 StGB als erste Voraussetzung das Vorliegen eines Hanges, berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen. Von einem Hang ist auszugehen, wenn eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene intensive Neigung besteht , immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad physischer Abhängigkeit erreicht haben muss (vgl. nur BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5; Hanack in LK-StGB 11. Aufl. § 64 Rdn. 40).
„Im Übermaß“ bedeutet regelmäßig, dass der Täter berauschende Mittel in einem solchen Umfang zu sich nimmt, dass seine Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit dadurch erheblich beeinträchtigt wird (BGH NStZ-RR 2004, 39,

40).

13
Die Urteilsfeststellungen zu der seit dem 15. Lebensjahr von ständigem Drogenkonsum beeinflussten Persönlichkeitsentwicklung des Angeklagten und zu seinen langjährigen Aufenthalten in therapeutischen Einrichtungen legen nahe, dass der Angeklagte schon bisher Betäubungsmittel und auch Alkohol im Übermaß konsumiert hat. Den Urteilsgründen ist auch ein symptomatischer Zusammenhang zwischen dem Hang des Angeklagten und den Straftaten zu entnehmen , da er nur wenige Tage nach der Entlassung aus der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses in Neapel rückfällig geworden ist und die beiden Taten in alkoholisiertem Zustand zur Lösung der zugespitzten Belastungssituation begangen hat.
14
b) Dagegen halten die Gründe, mit denen die Strafkammer die hinreichend konkrete Erfolgsaussicht für eine Behandlung des Angeklagten in der Entziehungsanstalt bejaht hat, revisionsrechtlicher Überprüfung - gemessen am Maßstab des neuen § 64 Satz 2 StGB - nicht stand.
15
Die Neuregelung des § 64 Satz 2 StGB bestimmt, dass die Anordnung der Unterbringung nur dann ergehen darf, wenn eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht besteht, die untergebrachte Person zu heilen oder über eine nicht unerhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf den Hang zurückgehen (BTDrucks. 16/1110 S. 10 und 13). Die Anordnung dieser beschweren den Maßregel ist demnach nur dann vorgesehen, wenn sie geeignet ist, den Schutzzweck gerade durch eine Behandlung zu erreichen (vgl. BVerfGE 91, 1, 28 f.).
16
Anlass für die Umgestaltung des § 64 StGB zu einer „Soll-Vorschrift“ war auch, dass nach bisherigem Recht an den Aufwand der Maßregelvollzugseinrichtungen , einen Behandlungserfolg zu erreichen, unter Hinweis auf den zwingenden Charakter der Vorschrift teilweise zu hohe Anforderungen gestellt wurden. Von den Verantwortlichen des Maßregelvollzugs war beklagt worden, dass die Kapazitäten der Anstalten durch eine nicht zu vernachlässigende Anzahl von in Anbetracht des Heilungszwecks weniger geeigneten Personen blockiert würden.
17
Therapeutische Maßnahmen würden insbesondere dann an die Grenzen stoßen, wenn eine Verständigung mit dem Probanden nicht oder nur über einen Dolmetscher möglich sei (vgl. die Begründung des im Gesetzgebungsverfahren mit beratenen Entwurf des Bundesrates für ein Gesetz zur Reform des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in der Entziehungsanstalt , BRDrucks. 455/04 S. 20 f.). Im Zusammenhang mit den Erfolgsaussichten therapeutischer Behandlung im Maßregelvollzug nach § 64 StGB hätten sich bisher Fälle als problematisch erwiesen, in denen der deutschen Sprache nicht mächtige Personen sich – wie z.B. die durchreisenden Rauschgiftkuriere – nur kurze Zeit in Deutschland aufgehalten haben und bei denen eine spätere Entlassung und Integration in Deutschland wegen der überwiegenden Bindungen an das Heimatland kaum zu erwarten war. In diesen Fällen bestünden kulturelle und sprachliche Barrieren, die eine Einbeziehung in das therapeutische Angebot schwierig machten und häufig zu Therapieabbrüchen führten. Zusätzlich bestünde nicht selten das Problem, dass Erprobungen und Lockerungen im Hinblick auf die erhöhte Fluchtgefahr nicht gewährt werden können und die Therapieaussichten von vornherein eingeschränkt sind (BTDrucks. 16/1110 S. 15 zu den neuen Anforderungen an die Entscheidung über die Vollstreckungsreihenfolge im Fall des Bestehens einer rechtskräftigen Ausweisungsverfügung nach § 67 Abs. 2 Satz 4 und Abs. 5 StGB).
18
Soweit die Strafkammer unter Hinweis auf die bisherige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ausgeführt hat, mangelhafte oder fehlende Sprachkenntnisse des Angeklagten hätten bei der Unterbringungsanordnung außer Betracht zu bleiben (BGHSt 36, 199; BGH NStZ-RR 2002, 7), wird diese Rechtsprechung in dieser Allgemeinheit unter der Geltung des neuen Rechts nicht aufrecht zu erhalten sein. Die Neufassung des § 64 StGB ermöglicht es nunmehr , in den Fällen, in denen die Ausgangsbedingungen sehr ungünstig sind, von der Anordnung der Unterbringung Abstand zu nehmen und dadurch den Maßregelvollzug von einem faktisch nicht zu leistenden Therapieaufwand zu entlasten, der für die aussichtsreichen Fälle die knappen Ressourcen entzieht (BRDrucks. 455/04 S. 21).
19
c) Die Anwendung der nunmehr für § 64 Satz 2 StGB geltenden Maßstäbe ergibt (§ 354a StPO), dass hier keine hinreichend konkrete Behandlungsprognose gestellt werden kann. Bei einem Angeklagten, der nach jahrelangen Therapieversuchen in Italien seine unbewältigte Lebenskrise durch einen unvorbereiteten fluchtartigen Wechsel nach Deutschland zu lösen versuchte und wegen seines erneuten beruflichen Misserfolgs und der Sprachschwierigkeiten in noch größere Isolierung geriet, besteht keine konkrete Chance für einen Behandlungserfolg in Deutschland. Die Anordnung der Maßregel muss daher entfallen. Der Senat schließt aus, dass eine neue Verhandlung Erkenntnisse ergeben könnte, die eine Unterbringungsanordnung nach § 64 StGB rechtfertigen würden.
Nack Wahl Boetticher Kolz Elf

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 85/12
vom
10. Juli 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und der Beschwerdeführer am 10. Juli 2012 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Wiesbaden vom 19. September 2011,
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte B. wegen bewaffneter unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und der Angeklagte F. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie in weiterer Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis verurteilt sind,
b) im Ausspruch über die Freiheitsstrafen und, soweit von der Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen wurde, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
c) im Ausspruch über die Einziehung dahin ergänzt, dass 984,9 Gramm Heroin und ein Kilogramm Streckmittel eingezogen sind.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehenden Revisionen der Angeklagten werden verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten B. wegen bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten, den Angeklagten F. wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie in Tateinheit mit Fahren ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Ferner hat es die "sichergestellten Betäubungsmittel und Streckmittel (Ziffern 1 - 6) sowie das sichergestellte Reizstoffsprühgerät (Ziffer 9 des Sicherstellungsverzeichnisses vom 27.01.2011)" eingezogen. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Angeklagten mit der Sachbeschwerde. Die Rechtsmittel haben in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen sind sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

I.

2
Das Landgericht hat festgestellt, dass die Angeklagten im Auftrag eines unbekannt gebliebenen Drogenhändlers Heroin aus den Niederlanden nach S. bringen wollten. Dafür sollten sie 1.000 Euro erhalten. Der Angeklag- te B. führte bei der Transportfahrt ein Reizstoffsprühgerät griffbereit in seinem Auto mit; der Angeklagte F. wusste nicht davon. Die Angeklagten übernahmen am 26. Januar 2011 in R. 984,9 Gramm Heroin und ein Kilogramm Streckmittel, das sie unter der Rückbank des Fahrzeugs versteckten. Auf der Rückfahrt durch Deutschland wurden sie an der Autobahnraststätte M. kontrolliert, wobei das Heroin entdeckt wurde. Zu dieser Zeit führte der Angeklagte F. das Fahrzeug, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein. Bei der Begehung der Tat war das Hemmungsvermögen der drogenabhängigen Angeklagten erheblich vermindert.

II.

3
1. Der Schuldspruch begegnet rechtlichen Bedenken.
4
a) Bei dem Angeklagten B. wurde der Tatbestand der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, der im Rahmen der rechtlichen Würdigung in den Urteilsgründen zutreffend bejaht wurde, nicht in die Urteilsformel aufgenommen. Das kann der Senat aufgrund der vom Landgericht getroffenen Feststellungen nachholen. § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG bezieht sich beim Zusammentreffen von unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge auf den Einfuhrtatbestand "ohne Handel zu treiben" (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Februar 2008 - 2 StR 593/07, StraFo 2008, 254).
5
b) Die vom Landgericht angenommene Mittäterschaft der Angeklagten bei dem tateinheitlich begangenen unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ist in den Urteilsgründen nicht erläutert worden. Die rechtsfehlerfrei und abschließend getroffenen Feststellungen ergeben dem- gegenüber indes nur Beihilfe der Angeklagten zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.
6
Eine bloße Kuriertätigkeit ist nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs grundsätzlich als Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln anzusehen, nicht als täterschaftliches Handeln (vgl. Senat , Urteil vom 28. Februar 2007 - 2 StR 516/06, BGHSt 51, 219, 221 ff.). Das gilt auch in Fällen der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Juni 2008 - 4 StR 230/08). Die Einfuhr ist kein unselbständiger Teilakt eines - täterschaftlichen - Handeltreibens. Weder der Umstand, dass der Kurier für seine Transportleistung eine Entlohnung erhalten soll, noch die Tatsache, dass er gewisse Gestaltungsmöglichkeiten beim Transport des Rauschgiftes hat, reichen aus, um Handeltreiben als Mittäter zu begründen (vgl. Senat, Beschluss vom 27. Februar 2008 - 2 StR 593/07, aaO). Anders liegt es nur dann, wenn ein Rauschgiftkurier auch in den Erwerb oder den späteren Absatz der Betäubungsmittel eingebunden ist. Dies ist bei den beiden Angeklagten aber nicht der Fall.
7
c) Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab. § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, weil sich der geständige Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können.
8
2. Der Strafausspruch kann nicht bestehen bleiben.
9
a) Das Landgericht hat bei dem Angeklagten B. angenommen, der Strafrahmen des § 30a Abs. 3 BtMG, zu dem es zunächst rechtsfehlerfrei gelangt ist, werde durch die Sperrwirkung von § 30 Abs. 1 BtMG bei der Strafrahmenuntergrenze dahin geändert, dass die Mindeststrafe zwei Jahre betrage, weil ein minder schwerer Fall gemäß § 30 Abs. 2 BtMG "unter Würdigung der bereits genannten Umstände nicht in Betracht" komme. Diese Überlegung trägt aber nicht.
10
Die Sperrwirkung höherer Mindeststrafen aus verdrängten Tatbeständen ist - was das Landgericht zunächst nicht verkannt hat - nur zu beachten, wenn nicht auch insoweit ein minder schwerer Fall gegeben ist (vgl. BGH, Beschluss vom 24. April 2003 - 3 StR 369/01, BGHR BtMG § 29a Abs. 1 Nr. 1 Abgabe 1; Beschluss vom 1. April 2009 - 1 StR 79/09, NStZ-RR 2009, 214). Warum dies hier aber gerade unter denselben Gesichtspunkten, die bei § 30a BtMG zur Annahme eines minder schweren Falles (§ 30a Abs. 3 BtMG) führen, nicht auch im Sinne des § 30 Abs. 2 BtMG der Fall sein soll, ist nicht nachzuvollziehen. Zumindest wäre im Hinblick auf den verdrängten Tatbestand des § 30 Abs. 1 Nr. 4 BtMG aber hypothetisch der vertypte Milderungsgrund gemäß § 21 StGB anzuwenden, der die Strafrahmenuntergrenze der verdrängten Norm ebenso reduzieren würde (§ 49 Abs. 1 Nr. 3 zweite Alternative StGB). § 30 Abs. 1 BtMG entfaltet deshalb hier keine Sperrwirkung.
11
Beträgt aber die Strafrahmenuntergrenze nicht, wie das Landgericht angenommen hat, zwei Jahre Freiheitsstrafe (§ 30 Abs. 1 BtMG), sondern nur sechs Monate Freiheitsstrafe (§ 30a Abs. 3 BtMG; § 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB), so kann der Senat nicht ausschließen, dass die verhängte Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten auf der rechtsfehlerhaften Annahme einer Sperrwirkung der verdrängten Strafnorm beruht.
12
b) Bei der Strafzumessung für den Angeklagten F. ist das Landgericht davon ausgegangen, dass kein minder schwerer Fall der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge nach § 30 Abs. 2 BtMG vorliege. Dem hat es aber nur gleichartige Strafzumessungserwägungen zu Grunde gelegt, wie sie bei dem Angeklagten B. genannt wurden, dem - ohne spezifische Bewertung der weitergehenden Qualifikation seiner Tat durch Mitführen einer Waffe (§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG) - ein minder schwerer Fall seiner Tat (§ 30a Abs. 3 BtMG) zu Gute gehalten wurde. Die höhere Vorstrafenbelastung des Angeklagten F. in Frankreich hat die Strafkammer nicht bewertet. Dann ist jedoch nicht nachzuvollziehen, warum das Landgericht - ungeachtet des Vorliegens eines vertypten Milderungsgrundes nach § 21 StGB - nicht zur Anwendung des Sonderstrafrahmens nach § 30 Abs. 2 BtMG auf den Fall des Angeklagten F. gelangt ist. Dies gilt auch deshalb, weil dieser Angeklagte durch langjährigen Heroinkonsum erheblich schwerer gesundheitlich beeinträchtigt ist als der Mitangeklagte B. .
13
3. Schließlich kann die Ermessensentscheidung des Landgerichts dahin, dass die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nicht angeordnet wird, weil keine hinreichend konkrete Aussicht bestehe, sie dadurch zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen (§ 64 Satz 2 StGB), nicht aufrecht erhalten bleiben.
14
Einer Therapieunwilligkeit der Angeklagten, deren Heroinkonsum auch bisher schon zeitweise mit Methadon substituiert wird, kann im Maßregelvollzug entgegengewirkt werden, worauf dieser abzielt (§ 137 StVollzG). Die Therapieunwilligkeit steht der Maßregelanordnung daher nicht notwendig entgegen (vgl. BT-Drucks. 16/1110 S. 13; BGH, Beschluss vom 21. Januar 2010 - 3 StR 502/09, NStZ-RR 2010, 141; Beschluss vom 25. Mai 2011 - 4 StR 27/11, NStZRR 2011, 30).
15
An fehlenden Sprachkenntnissen ausländischer Beschuldigter soll die Maßregelanordnung im Allgemeinen nicht scheitern (vgl. Senat, Beschluss vom 30. Oktober 1996 - 2 StR 528/96, StV 1998, 74 f.; BGH, Beschluss vom 20. Juni 2001 - 3 StR 209/01, NStZ-RR 2002, 7), zumal eine Überstellung des Verurteilten in sein Heimatland zum Maßregelvollzug in Betracht kommt (s. § 70 IRG, Art. 68 SDÜ), sofern dort entsprechende Einrichtungen existieren. Die Überlegung , dass fehlende Sprachkenntnisse der Maßregelanordnung nicht entgegenstehen , wird zwar durch die Umgestaltung von § 64 StGB zur Sollvorschrift abgeschwächt (vgl. BGH, Urteil vom 18. Dezember 2007 - 1 StR 411/07, StV 2008, 138, 139). Sie besitzt jedoch weiterhin gewisse Aussagekraft. Dies gilt insbesondere für den Angeklagten B. wegen seiner prinzipiellen Bereitschaft , in Frankreich eine Therapie zu absolvieren.
16
Schließlich ist die Erwägung des Landgerichts, dass die für erforderlich gehaltene Nachsorge nicht gewährleistet sei, wenn die Angeklagten in den Bereich ihres bisherigen Wohngebiets zurückkehren, bei dem es sich um einen sozialen Brennpunkt handelt, der sie zum Rückfall in den Drogenkonsum verleiten kann, kein tragfähiger Grund für die Nichtanordnung der Maßregel.
17
Danach erweist sich die Ermessensentscheidung des Landgerichts als rechtsfehlerhaft.
18
4. Der Ausspruch über die Einziehung ist aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 1. März 2012 genannten Gründen zu ergänzen. Becker Fischer Krehl Ri'inBGH Dr. Ott befindet sich im Urlaub und ist daher gehindert zu unterschreiben. Eschelbach Becker

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 516/09
vom
15. Dezember 2009
in der Strafsache
gegen
wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u. a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
15. Dezember 2009 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 29. Juni 2009 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 44 Fällen, wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln sowie wegen Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung unter Einbeziehung einer zweimonatigen Freiheitsstrafe aus einer früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten sowie zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Die Überprüfung des Urteils hat zum Schuld- und zum Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Das Urteil kann jedoch keinen Bestand haben, soweit das Landgericht davon abgesehen hat, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) anzuordnen.
2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte der 33-jährige Angeklagte bereits im Alter von 12 Jahren Cannabis und - nach verschiedenen anderen Betäubungsmitteln - alsbald auch größere Mengen Amphetamin. In der Zeit von 1991 bis 2003 wurden gegen ihn insgesamt sechs strafrechtliche Sanktionen wegen Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz verhängt, darunter eine Freiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten wegen 66 Fällen der Einfuhr von und des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln. Nach einer im August 2003 regulär abgeschlossenen sechsmonatigen Entwöhnungstherapie wurde er wieder rückfällig. Spätestens seit 2007 konsumierte er drei bis vier Gramm Amphetamin täglich.
3
Trotz der Feststellung, dass der Angeklagte die verfahrensgegenständlichen Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz aufgrund einer bestehenden Betäubungsmittelabhängigkeit und zur Finanzierung seines Eigenkonsums beging , hat das Landgericht - ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen - die Anordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgelehnt, weil für eine solche Maßnahme keine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht bestehe. Nach Darlegung der Modalitäten einer Unterbringung im Maßregelvollzug habe der Angeklagte erklärt, nicht bereit zu sein, sich auf eine mehrjährige Behandlung einzulassen und sich gegenüber einem Therapeuten zu öffnen. Wegen seiner kompromisslos ablehnenden Haltung lasse sich eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht einer Entwöhnungsbehandlung nicht feststellen.
4
2. Diese Begründung trägt das Absehen von der Maßregelanordnung nach § 64 Satz 2 StGB nicht.
5
Das bloße Abstellen auf das Fehlen eines Therapiewillens lässt außer Acht, dass dieser Umstand die Unterbringung nach § 64 StGB nicht ohne weiteres hindert. Zwar kann eine nicht vorhandene Therapiemotivation ein Indiz für unzureichende Erfolgschancen der Entwöhnungsbehandlung sein. Ob der Schluss von einem Mangel an Therapiebereitschaft auf das Fehlen einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Behandlung gerechtfertigt ist, lässt sich aber nur aufgrund einer - vom Landgericht hier nicht vorgenommenen - Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände beurteilen (BGH NStZ-RR 1997, 34; NJW 2000, 3015, 3016; Beschl. vom 24. März 2005 - 3 StR 71/05; Fischer, StGB 57. Aufl. § 64 Rdn. 20 m. w. N.). Ziel einer Behandlung im Maßregelvollzug kann es gerade auch sein, die Therapiebereitschaft beim Angeklagten überhaupt erst zu wecken (BGH R&P 2008, 55; NStZ-RR 1997, 34). Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hängt nicht vom Therapiewillen des Betroffenen ab (BTDrucks. 16/1110 S. 13).
6
3. Da der Angeklagte die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Landgericht nicht von seinem Rechtsmittelangriff ausgenommen hat (vgl. BGHSt 38, 362 f.) und die Maßregel auf der Grundlage der Feststellungen des Landgerichts auch nicht aus anderem Grunde ausscheidet, bedarf die Frage ihrer Anordnung der nochmaligen Prüfung durch einen neuen Tatrichter. Unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a StPO) werden hierzu insgesamt neue Feststellungen zu treffen sein. Dabei werden auch bisherige Therapieverläufe - der Angeklagte hat 2003 eine Entwöhnungsbehandlung regulär abgeschlossen - sowie die besonderen Bedingungen einer Behandlung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB in den Blick zu nehmen sein.
7
Einer etwaigen Nachholung der Unterbringung steht nicht entgegen, dass ausschließlich der Angeklagte Revision eingelegt hat (vgl. BGHSt 37, 5).
8
Der Strafausspruch wird durch die Teilaufhebung des Urteils nicht berührt. Der Senat kann ausschließen, dass im Falle der Unterbringung gegen den Angeklagten auf eine niedrigere Strafe erkannt worden wäre.
Becker Pfister von Lienen Hubert Mayer
5 StR 313/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 3. Juli 2012
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. Juli 2012

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 19. März 2012 gemäß § 349 Abs. 4 StPO aufgehoben
a) in den Aussprüchen über die drei Einzelfreiheitsstrafen (Fälle 1.1, 4 und 6) und über die Gesamtstrafe,
b) mit den zugehörigen Feststellungen, soweit davon abgesehen worden ist, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln, Computerbetrugs, Bedrohung u.a. zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat es abgesehen. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des An- geklagten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Das Urteil begegnet durchgreifenden Bedenken, soweit die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB unterblieben ist.
3
Das Absehen von der Maßregel hat das Landgericht lediglich damit begründet, dass der Angeklagte nicht bereit sei, sich therapieren zu lassen (UA S. 16). Dabei hat es aber auch festgestellt, dass sich der seit März 2009 Heroin und Crystal konsumierende Angeklagte selbst als früher drogenabhängig eingeschätzt habe; durch die zwischenzeitlich erlittene Haftzeit fühle er sich indes nicht mehr behandlungsbedürftig und lehne eine stationäre Langzeitentwöhnungstherapie ab (UA S. 3). Die von der Strafkammer hinzugezogene Sachverständige, die bei dem Angeklagten eine Methamphetaminabhängigkeit diagnostiziert hat, schätzt den Angeklagten als behandlungsbedürftig und -fähig ein und befürwortet die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt.
4
Die vom Landgericht gegebene Begründung für das Absehen von der Anordnung kann das Fehlen einer hinreichend konkreten Erfolgsaussicht der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 Satz 2 StGB nicht tragen. Zwar kann die Therapieunwilligkeit des Täters ein gegen die Erfolgsaussicht der Maßregel sprechender Umstand sein. In diesem Fall sind jedoch die Gründe und Wurzeln eines etwaigen Motivationsmangels festzustellen; es ist zu überprüfen, ob eine Therapiebereitschaft für eine Erfolg versprechende Behandlung geweckt werden kann (BGH, Beschlüsse vom 10. November 2009 – 5 StR 413/09, NStZ-RR 2010, 42, 43, und vom 22. September 2010 – 2 StR 268/10, NStZ-RR 2011, 203). Diesen Anforderungen genügt das angegriffene Urteil nicht. Das Landgericht hat keine Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit (vgl. BGH, Beschluss vom 22. September 2010 – 2 StR 268/10 aaO) vorgenommen undhat die Gründe der fehlenden The- rapiebereitschaft nicht hinterfragt. Ein Erörterungsbedarf hat sich aber bereits deshalb aufgedrängt, weil angesichts einer in den Urteilsgründen anklingenden (subjektiven) Besserung der Drogenproblematik unter Haftbedingungen die Erfolgsaussichten der Maßregel und auch eine damit verbundene Motivierung des Angeklagten nicht fernliegend erscheinen.
5
Die Sache bedarf insoweit unter Hinzuziehung der Sachverständigen nach § 246a StPO neuer tatrichterlicher Prüfung. Das Verbot der Schlechterstellung steht einer möglichen Maßregelanordnung nach § 64 StGB nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).
6
2. Der Senat hebt darüber hinaus auch den Strafausspruch auf, soweit Einzelfreiheitsstrafen verhängt worden sind, und im Gesamtstrafausspruch, um dem neuen Tatgericht gegebenenfalls eine sachgerechte Abstimmung von Strafen und Maßregel zu ermöglichen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. April 2012 – 5 StR 87/12). In diesem Zusammenhang ist auch die Entscheidung über eine Strafaussetzung zur Bewährung neu zu treffen; es ist nicht auszuschließen , dass eine erneute ergänzende Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Angeklagten, darüber hinaus der Umstand mittlerweile erlittenen erheblichen Freiheitsentzugs, nunmehr auch die Prognoseentscheidung in einem anderen Licht erscheinen lässt.
Basdorf Raum Schaal Dölp Bellay

(1) Ist jemand wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden und ergibt sich aus den Urteilsgründen oder steht sonst fest, daß er die Tat auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, so kann die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrestes oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist. Als Behandlung gilt auch der Aufenthalt in einer staatlich anerkannten Einrichtung, die dazu dient, die Abhängigkeit zu beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenzuwirken.

(2) Gegen die Verweigerung der Zustimmung durch das Gericht des ersten Rechtszuges steht der Vollstreckungsbehörde die Beschwerde nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Buches der Strafprozeßordnung zu. Der Verurteilte kann die Verweigerung dieser Zustimmung nur zusammen mit der Ablehnung der Zurückstellung durch die Vollstreckungsbehörde nach den §§ 23 bis 30 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz anfechten. Das Oberlandesgericht entscheidet in diesem Falle auch über die Verweigerung der Zustimmung; es kann die Zustimmung selbst erteilen.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn

1.
auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt worden ist oder
2.
auf eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren erkannt worden ist und ein zu vollstreckender Rest der Freiheitsstrafe oder der Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt
und im übrigen die Voraussetzungen des Absatzes 1 für den ihrer Bedeutung nach überwiegenden Teil der abgeurteilten Straftaten erfüllt sind.

(4) Der Verurteilte ist verpflichtet, zu Zeitpunkten, die die Vollstreckungsbehörde festsetzt, den Nachweis über die Aufnahme und über die Fortführung der Behandlung zu erbringen; die behandelnden Personen oder Einrichtungen teilen der Vollstreckungsbehörde einen Abbruch der Behandlung mit.

(5) Die Vollstreckungsbehörde widerruft die Zurückstellung der Vollstreckung, wenn die Behandlung nicht begonnen oder nicht fortgeführt wird und nicht zu erwarten ist, daß der Verurteilte eine Behandlung derselben Art alsbald beginnt oder wieder aufnimmt, oder wenn der Verurteilte den nach Absatz 4 geforderten Nachweis nicht erbringt. Von dem Widerruf kann abgesehen werden, wenn der Verurteilte nachträglich nachweist, daß er sich in Behandlung befindet. Ein Widerruf nach Satz 1 steht einer erneuten Zurückstellung der Vollstreckung nicht entgegen.

(6) Die Zurückstellung der Vollstreckung wird auch widerrufen, wenn

1.
bei nachträglicher Bildung einer Gesamtstrafe nicht auch deren Vollstreckung nach Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 zurückgestellt wird oder
2.
eine weitere gegen den Verurteilten erkannte Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung zu vollstrecken ist.

(7) Hat die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung widerrufen, so ist sie befugt, zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einen Haftbefehl zu erlassen. Gegen den Widerruf kann die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges herbeigeführt werden. Der Fortgang der Vollstreckung wird durch die Anrufung des Gerichts nicht gehemmt. § 462 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Ist jemand wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden und ergibt sich aus den Urteilsgründen oder steht sonst fest, daß er die Tat auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, so kann die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrestes oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist. Als Behandlung gilt auch der Aufenthalt in einer staatlich anerkannten Einrichtung, die dazu dient, die Abhängigkeit zu beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenzuwirken.

(2) Gegen die Verweigerung der Zustimmung durch das Gericht des ersten Rechtszuges steht der Vollstreckungsbehörde die Beschwerde nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Buches der Strafprozeßordnung zu. Der Verurteilte kann die Verweigerung dieser Zustimmung nur zusammen mit der Ablehnung der Zurückstellung durch die Vollstreckungsbehörde nach den §§ 23 bis 30 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz anfechten. Das Oberlandesgericht entscheidet in diesem Falle auch über die Verweigerung der Zustimmung; es kann die Zustimmung selbst erteilen.

(3) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn

1.
auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt worden ist oder
2.
auf eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren erkannt worden ist und ein zu vollstreckender Rest der Freiheitsstrafe oder der Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt
und im übrigen die Voraussetzungen des Absatzes 1 für den ihrer Bedeutung nach überwiegenden Teil der abgeurteilten Straftaten erfüllt sind.

(4) Der Verurteilte ist verpflichtet, zu Zeitpunkten, die die Vollstreckungsbehörde festsetzt, den Nachweis über die Aufnahme und über die Fortführung der Behandlung zu erbringen; die behandelnden Personen oder Einrichtungen teilen der Vollstreckungsbehörde einen Abbruch der Behandlung mit.

(5) Die Vollstreckungsbehörde widerruft die Zurückstellung der Vollstreckung, wenn die Behandlung nicht begonnen oder nicht fortgeführt wird und nicht zu erwarten ist, daß der Verurteilte eine Behandlung derselben Art alsbald beginnt oder wieder aufnimmt, oder wenn der Verurteilte den nach Absatz 4 geforderten Nachweis nicht erbringt. Von dem Widerruf kann abgesehen werden, wenn der Verurteilte nachträglich nachweist, daß er sich in Behandlung befindet. Ein Widerruf nach Satz 1 steht einer erneuten Zurückstellung der Vollstreckung nicht entgegen.

(6) Die Zurückstellung der Vollstreckung wird auch widerrufen, wenn

1.
bei nachträglicher Bildung einer Gesamtstrafe nicht auch deren Vollstreckung nach Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 zurückgestellt wird oder
2.
eine weitere gegen den Verurteilten erkannte Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung zu vollstrecken ist.

(7) Hat die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung widerrufen, so ist sie befugt, zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einen Haftbefehl zu erlassen. Gegen den Widerruf kann die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges herbeigeführt werden. Der Fortgang der Vollstreckung wird durch die Anrufung des Gerichts nicht gehemmt. § 462 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.

(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.

(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 275/08
vom
21. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
21. Oktober 2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hannover vom 19. Februar 2008 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit die Anordnung seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgelehnt worden ist. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen "bewaffneten unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln (Heroin) in nicht geringer Menge" zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt. Die auf eine Verfahrensrüge und sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
Zum Schuld- und Strafausspruch hat die Überprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Ablehnung der Anordnung der Unter- bringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hält hingegen rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
3
Das Landgericht hat festgestellt, dass bei dem heroinabhängigen Angeklagten ein Hang zur Einnahme von berauschenden Mitteln im Übermaß vorliegt. Es hat gleichwohl von der Unterbringung abgesehen, weil sich ein symptomatischer Zusammenhang zwischen diesem Hang und der Tatbegehung nicht feststellen lasse; der Heroinhandel habe nicht der Finanzierung der Sucht, sondern in erster Linie dem Abtrag von Geldschulden bei einem Drogenhändler und der allgemeinen Beschaffung von Geldmitteln gedient.
4
Damit hat das Landgericht zu hohe Anforderungen an die Annahme einer Symptomtat gestellt. Für die Bejahung eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen der Tat und dem Hang im Sinne des § 64 StGB ist es ausreichend , dass der Hang - gegebenenfalls neben anderen Umständen - mit dazu beigetragen hat, dass der Täter die Tat begangen hat. Ein solcher Zusammenhang ist typischerweise bei der so genannten Beschaffungskriminalität von Rauschgiftsüchtigen gegeben, wenn also die Straftat unmittelbar oder - wie hier - mittelbar der Beschaffung von Drogen für den Eigenkonsum dient (vgl. BGH, Beschl. vom 27. März 2008 - 3 StR 38/08 = StV 2008, 405 m. N.).
5
Über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss nach alledem - unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246 a StPO) - neu verhandelt und entschieden werden. Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte nicht gefährlich im Sinne dieser Vorschrift ist oder keine hinreichend konkrete Aussicht besteht, ihn durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt von seinem Hang zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren (§ 64 Satz 2 StGB), sind nicht ersichtlich. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 2 StPO; BGHSt 37, 5; BGH NStZ-RR 2008, 107). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGHSt 38, 362 f.).
6
Der Senat kann ausschließen, dass der Tatrichter bei Anordnung der Unterbringung auf eine niedrigere Strafe erkannt hätte. Der Strafausspruch kann deshalb bestehen bleiben.
7
Der neue Tatrichter wird im Falle der Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 67 Abs. 2 Satz 2 und 3, Abs. 5 Satz 1 StGB über die Reihenfolge der Vollstreckung von Strafe und Maßregel zu befinden haben (vgl. BGH NStZ 2008, 28; NStZ-RR 2008, 74). Bei Vorwegvollzug eines Teils der verhängten Freiheitsstrafe wird es für dessen Berechnung notwendig sein, die für den Angeklagten voraussichtlich erforderliche Therapiedauer zu bestimmen. Becker Miebach Pfister Hubert Schäfer