Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Feb. 2019 - 3 StR 469/18

bei uns veröffentlicht am05.02.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 469/18
vom
5. Februar 2019
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:050219B3STR469.18.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 5. Februar 2019 gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Verden vom 7. März 2018, soweit es ihn betrifft, mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt sowie in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Außerdem hat es Anordnungen über die Vollstreckungsreihenfolge und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Die dagegen gerichtete, auf mehrere Verfahrensbeanstandungen und die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Rüge, dass § 258 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO verletzt worden sei, Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
2
1. Der Rüge liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
3
Die Angeklagten erhielten in der Hauptverhandlung am 1. März 2018 nach dem Schluss der Beweisaufnahme und den Schlussvorträgen jeweils das letzte Wort. Anschließend wurde die Hauptverhandlung um 11.35 Uhr unterbrochen und um 11.45 Uhr fortgesetzt. Sodann wurde die Sach- und Rechtslage erörtert. Danach wurde die Hauptverhandlung erneut unterbrochen und am 7. März 2018 fortgesetzt. An diesem Tag wurde das Urteil verkündet, ohne dass dem Angeklagten erneut das letzte Wort gewährt worden war.
4
2. Die Rüge ist in zulässiger Weise erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
5
Dem steht nicht entgegen, dass der Beschwerdeführer nicht mitgeteilt hat, wozu und mit welchem Inhalt die Erörterungen geführt wurden. Denn der Senat ist hier auch ohne nähere Kenntnis des Inhalts der Erörterungen in der Lage zu beurteilen, ob der gerügte Verfahrensverstoß vorlag.
6
3. Die Revision beanstandet zu Recht, dass dem Angeklagten nach der Erörterung der Sach- und Rechtslage nicht erneut das letzte Wort erteilt wurde. Insoweit gilt:
7
Gemäß § 258 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO gebührt dem Angeklagten nach dem Schluss der Beweisaufnahme und den Schlussvorträgen das letzte Wort. Tritt das Gericht danach erneut in die Beweisaufnahme ein, ist dem Angeklagten wiederum das letzte Wort zu erteilen. Denn mit dem Wiedereintritt in die Verhandlung haben die früheren Ausführungen des Angeklagten ihre Bedeutung als abschließende Äußerungen im Sinne des § 258 Abs. 2 Halbsatz 2 StPO verloren (BGH, Urteil vom 13. Mai 1993 - 4 StR 169/93, NStZ 1993, 551 mwN).
8
Der Wiedereintritt in die Verhandlung muss nicht förmlich, sondern kann auch konkludent durch Vornahme einer Prozesshandlung geschehen (BGH, Urteil vom 27. Februar 2004 - 2 StR 146/03, NStZ 2004, 505, 507). Ob von einem Wiedereintritt in die Verhandlung auszugehen ist, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bestimmen (BGH, Beschluss vom 4. Februar 2010 - 1 StR 3/10, NStZ-RR 2010, 152). Maßgeblich ist, ob es sich um einen Verfahrensvorgang handelt, der für die Sachentscheidung des Tatgerichts von Bedeutung sein kann (BGH, Beschluss vom 4. Februar 2010 - 1 StR 3/10, NStZ-RR 2010, 152). Das ist beispielsweise nicht der Fall bei einer bloßen Entgegennahme von Hilfsbeweisanträgen (BGH, Urteil vom 27. Februar 2004 - 2 StR 146/03, BGHR StPO § 258 Abs. 3 Wiedereintritt 14), bei einer Ersetzung eines Pflichtverteidigers (BGH, Beschluss vom 17. September 1981 - 4 StR 496/81, juris Rn. 11) oder bei der Kundgabe eines Negativattests im Sinne des § 273 Abs. 1a Satz 3 StPO. Ein Verfahrensvorgang, der Einfluss auf die Sachentscheidung haben kann, ist demgegenüber jede Prozesshandlung, die ihrer Natur nach in den Bereich der Beweisaufnahme fällt sowie jede Handlung , in der sich der Wille des Gerichts zum Weiterverhandeln in der Sache zeigt (BGH, Beschluss vom 9. Juni 2015 - 1 StR 198/15, BGHR StPO § 258 Abs. 3 Wiedereintritt 19). Das ist insbesondere der Fall, wenn der Wille des Gerichts zum Ausdruck kommt, im Zusammenwirken mit den Prozessbeteiligten in der Beweisaufnahme fortzufahren oder wenn Anträge erörtert werden (BGH, Beschluss vom 4. Februar 2010 - 1 StR 3/10, NStZ-RR 2010, 152 mwN).
9
Gleichermaßen verhält es sich, falls - wie hier - "die Sach- und Rechtslage erörtert" wird (so bereits BGH, Beschluss vom 17. Juli 2012 - 5 StR 253/12, NStZ 2012, 587). Wenngleich eine "Erörterung" der Sach- und Rechtslage nicht notwendigerweise die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c StPO) zum Gegenstand haben muss, so versteht es sich doch von selbst, dass sich die Erörterung "der Sach- und Rechtslage" auf Fragen bezieht, die für die Sachent- scheidung bedeutsam sind. Die in der Hauptverhandlung relevante Sach- und Rechtslage wird durch den Anklagevorwurf und die dadurch aufgeworfenen Fragen bestimmt, insbesondere diejenigen, die den Schuld- und Strafausspruch betreffen.
10
Danach war das Gericht hier durch die Erörterung der Sach- und Rechtslage mit den Verfahrensbeteiligten wieder in die Verhandlung eingetreten, so dass dem Angeklagten anschließend erneut das letzte Wort hätte erteilt werden müssen.
11
4. Auf diesem Verfahrensfehler beruht das Urteil. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte, der die Anklagevorwürfe in Abrede gestellt hatte, nunmehr Angaben gemacht hätte, die sich zu seinen Gunsten ausgewirkt hätten.
12
5. Die Sache bedarf bereits deshalb insgesamt neuer Verhandlung und Entscheidung. Es kommt mithin nicht darauf an, dass auch die Rüge der Verletzung von § 265 Abs. 1, Abs. 2 StPO durchgedrungen wäre und zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs geführt hätte. Insoweit beanstandet die Revision zu Recht, dass das Landgericht die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet hat, ohne zuvor einen entsprechenden Hinweis erteilt zu haben (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 11. November1993 - 4 StR 584/93, BGHR StPO § 265 Abs. 2 Hinweispflicht 6; vom 16. Juni 2004 - 1 StR 166/04, NStZ-RR 2004, 297; vom 2. September 2009 - 5 StR 311/09, BGHR StPO § 265 Abs. 2 Hinweispflicht 10).
13
6. Im Hinblick auf die neue Hauptverhandlung weist der Senat vorsorglich auf Folgendes hin:
14
Soweit das Landgericht bei der Einziehung des Wertes der Taterträge unter anderem berücksichtigt hat, dass der Angeklagte durch die Tat "Schmuck im Wert von 41.325 Euro" erlangte, lässt sich den Urteilsgründen weder ein Beleg dafür entnehmen, dass der Schmuck diesen Wert hatte, noch ist erkennbar, auf welcher Grundlage die Strafkammer den Wert des Schmucks gegebenenfalls gemäß § 73d Abs. 2 StGB geschätzt hat.
Schäfer Spaniol Wimmer Tiemann Berg

ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Feb. 2019 - 3 StR 469/18

Urteilsbesprechung schreiben

0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Feb. 2019 - 3 StR 469/18

Referenzen - Gesetze

Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Feb. 2019 - 3 StR 469/18 zitiert 8 §§.

Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 344 Revisionsbegründung


(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

Strafprozeßordnung - StPO | § 265 Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes oder der Sachlage


(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gel

Strafprozeßordnung - StPO | § 257c Verständigung zwischen Gericht und Verfahrensbeteiligten


(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt. (2) Gegenstand dieser Verstä

Strafprozeßordnung - StPO | § 273 Beurkundung der Hauptverhandlung


(1) Das Protokoll muß den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Urkunden oder derjenigen, von deren Verlesu

Strafgesetzbuch - StGB | § 73d Bestimmung des Wertes des Erlangten; Schätzung


(1) Bei der Bestimmung des Wertes des Erlangten sind die Aufwendungen des Täters, Teilnehmers oder des anderen abzuziehen. Außer Betracht bleibt jedoch das, was für die Begehung der Tat oder für ihre Vorbereitung aufgewendet oder eingesetzt worden is

Strafprozeßordnung - StPO | § 258 Schlussvorträge; Recht des letzten Wortes


(1) Nach dem Schluß der Beweisaufnahme erhalten der Staatsanwalt und sodann der Angeklagte zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort. (2) Dem Staatsanwalt steht das Recht der Erwiderung zu; dem Angeklagten gebührt das letzte Wort. (3) Der A

Referenzen - Urteile

Urteil einreichen

Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Feb. 2019 - 3 StR 469/18 zitiert oder wird zitiert von 5 Urteil(en).

Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Feb. 2019 - 3 StR 469/18 zitiert 5 Urteil(e) aus unserer Datenbank.

Bundesgerichtshof Beschluss, 02. Sept. 2009 - 5 StR 311/09

bei uns veröffentlicht am 02.09.2009

5 StR 311/09 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 2. September 2009 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u. a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. September 2009 beschlossen: 1. Auf die Revision de

Bundesgerichtshof Beschluss, 17. Juli 2012 - 5 StR 253/12

bei uns veröffentlicht am 17.07.2012

5 StR 253/12 BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS vom 17. Juli 2012 in der Strafsache gegen 1. 2. 3. wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Juli 2012 besc

Bundesgerichtshof Beschluss, 16. Juni 2004 - 1 StR 166/04

bei uns veröffentlicht am 16.06.2004

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 166/04 vom 16. Juni 2004 in der Strafsache gegen wegen gefährlicher Körperverletzung Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Juni 2004 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil de

Bundesgerichtshof Beschluss, 04. Feb. 2010 - 1 StR 3/10

bei uns veröffentlicht am 04.02.2010

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 3/10 vom 4. Februar 2010 in der Strafsache gegen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Februar 2010 gemäß § 349 Abs.

Bundesgerichtshof Beschluss, 09. Juni 2015 - 1 StR 198/15

bei uns veröffentlicht am 09.06.2015

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 S t R 1 9 8 / 1 5 vom 9. Juni 2015 in der Strafsache gegen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a. Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Juni 2015 beschlossen: Die Revision des Angeklagten

Referenzen

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 3/10
vom
4. Februar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Februar 2010 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 18. August 2009, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
1. Das Landgericht München I hat den umfassend geständigen Angeklagten wegen insgesamt 61 Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und elf Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten ist gemäß § 349 Abs. 2 StPO unbegründet , soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet. Sie führt jedoch aufgrund einer Verfahrensrüge zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.
2
2. Mit dieser macht die Revision einen Verstoß gegen § 258 Abs. 2 StPO geltend, weil dem Angeklagten das letzte Wort nicht gewährt worden sei. Nach ihrem - den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden - Vortrag war die Beweisaufnahme geschlossen und die Gelegenheit zum Schluss- vortrag des Verteidigers sowie zum letzten Wort des Angeklagten gegeben worden. Hieran anschließend wurde erneut in die Beweisaufnahme eingetreten und die Frage der Einziehung sichergestellter Betäubungsmittel und weiterer Gegenstände erörtert. Diesbezüglich erklärten sich der Angeklagte und sein Verteidiger mit deren formloser Einziehung einverstanden. Nach der erneuten Schließung der Beweisaufnahme wiederholten lediglich die Staatsanwaltschaft und der Verteidiger ihre zuvor gestellten Anträge, während dem Angeklagten keine Gelegenheit gegeben wurde, sich zu äußern.
3
3. a) Diese Verfahrensweise entsprach nicht dem Gesetz. Denn nach der Rechtsprechung ist dem Angeklagten gemäß § 258 Abs. 2 StPO erneut das letzte Wort zu gewähren, wenn nach dem Schluss der Beweisaufnahme nochmals in die Verhandlung eingetreten worden ist, weil jeder Wiedereintritt den vorausgegangenen Ausführungen des Angeklagten die rechtliche Bedeutung als Schlussvortrag und letztes Wort nimmt und die erneute Beachtung des § 258 StPO erforderlich macht (BGHSt 22, 278, 279/280; BGH NStZ-RR 1998,

15).


4
Wann von einem Wiedereintritt auszugehen ist, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Insbesondere liegt ein Wiedereintritt vor, wenn der Wille des Gerichts zum Ausdruck kommt, im Zusammenwirken mit den Prozessbeteiligten in der Beweisaufnahme fortzufahren oder wenn Anträge mit den Verfahrensbeteiligten erörtert werden (BGH NStZ 2004, 505, 507 m.w.N.). Eine solche Fallgestaltung liegt hier vor. Zum einen wird im Protokoll selbst das prozessuale Geschehen dahingehend bewertet, dass „nochmals in die Beweisaufnahme eingetreten“ und diese „erneut geschlossen“ wurde. Zum anderen kam der Erklärung des Angeklagten, er sei mit der formlosen Einzie- hung sichergestellter Gegenstände einverstanden, potentielle Bedeutung für die tatgerichtliche Sachentscheidung zu.
5
b) Der geltend gemachte Verfahrensverstoß ist auch bewiesen. Der für den Nachweis der in Rede stehenden wesentlichen Förmlichkeit (§ 274 Abs. 1 StPO) allein maßgeblichen Sitzungsniederschrift (vgl. BGHSt 22, 278, 280) lässt sich nach Ansicht des Senats nicht entnehmen, dass dem Angeklagten nach dem erneuten Schluss der Beweisaufnahme (nochmals) das letzte Wort gewährt worden ist. Es kommt daher nicht darauf an, dass die an dem Urteil beteiligten Berufsrichter, der staatsanwaltschaftliche Sitzungsvertreter und die Protokollführerin in ihren jeweiligen dienstlichen Stellungnahmen erklärt haben, sich an den konkreten Verfahrensgang nicht mehr zu erinnern.
6
4. a) Auf dem dargelegten Verfahrensfehler kann jedoch der Schuldspruch nicht beruhen. Der Senat kann im vorliegenden Fall ausschließen, dass der Angeklagte in einem - erneuten - letzten Wort etwas insofern Erhebliches hätte bekunden können. Denn er war zuvor umfassend und für das Tatgericht, das seine Überzeugung zudem auf weitere Beweismittel gestützt hat, glaubhaft geständig gewesen.
7
b) Dagegen kann der Ausspruch über die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe auf dem Verfahrensfehler beruhen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte, wäre ihm das letzte Wort erneut erteilt worden, Ausführungen gemacht hätte, die die Strafzumessung zu seinen Gunsten beeinflusst hätten. Dies gilt umso mehr, als sein nach dem Wiedereintritt in die Beweisaufnahme erklärtes Einverständnis mit der außergerichtlichen Einziehung sichergestellter Gegenstände jedenfalls unter dem Gesichtspunkt gezeigter Reue als mildernder Umstand hätte gewertet werden dürfen.
8
Dem steht nicht entgegen, dass sich die Verfahrensbeteiligten ausweislich der Urteilsgründe bereits am ersten der beiden Hauptverhandlungstage hinsichtlich der Gesamtstrafe verständigt hatten. Denn der am 4. August 2009 und damit sechs Tage vor Beginn der Hauptverhandlung in Kraft getretene § 257c StPO sieht in seinem Absatz 3 Satz 2 die Benennung einer Ober- und einer Untergrenze und in seinem Absatz 4 Satz 1 ein Entfallen der Bindung des Gerichts an die Verständigung vor, wenn der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist.
Nack Wahl Elf Jäger Sander

(1) Nach dem Schluß der Beweisaufnahme erhalten der Staatsanwalt und sodann der Angeklagte zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort.

(2) Dem Staatsanwalt steht das Recht der Erwiderung zu; dem Angeklagten gebührt das letzte Wort.

(3) Der Angeklagte ist, auch wenn ein Verteidiger für ihn gesprochen hat, zu befragen, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe.

(1) Das Protokoll muß den Gang und die Ergebnisse der Hauptverhandlung im wesentlichen wiedergeben und die Beachtung aller wesentlichen Förmlichkeiten ersichtlich machen, auch die Bezeichnung der verlesenen Urkunden oder derjenigen, von deren Verlesung nach § 249 Abs. 2 abgesehen worden ist, sowie die im Laufe der Verhandlung gestellten Anträge, die ergangenen Entscheidungen und die Urteilsformel enthalten. In das Protokoll muss auch der wesentliche Ablauf und Inhalt einer Erörterung nach § 257b aufgenommen werden.

(1a) Das Protokoll muss auch den wesentlichen Ablauf und Inhalt sowie das Ergebnis einer Verständigung nach § 257c wiedergeben. Gleiches gilt für die Beachtung der in § 243 Absatz 4, § 257c Absatz 4 Satz 4 und Absatz 5 vorgeschriebenen Mitteilungen und Belehrungen. Hat eine Verständigung nicht stattgefunden, ist auch dies im Protokoll zu vermerken.

(2) Aus der Hauptverhandlung vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht sind außerdem die wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen in das Protokoll aufzunehmen; dies gilt nicht, wenn alle zur Anfechtung Berechtigten auf Rechtsmittel verzichten oder innerhalb der Frist kein Rechtsmittel eingelegt wird. Der Vorsitzende kann anordnen, dass anstelle der Aufnahme der wesentlichen Vernehmungsergebnisse in das Protokoll einzelne Vernehmungen im Zusammenhang als Tonaufzeichnung zur Akte genommen werden. § 58a Abs. 2 Satz 1 und 3 bis 6 gilt entsprechend.

(3) Kommt es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung an, so hat der Vorsitzende von Amts wegen oder auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person die vollständige Protokollierung und Verlesung anzuordnen. Lehnt der Vorsitzende die Anordnung ab, so entscheidet auf Antrag einer an der Verhandlung beteiligten Person das Gericht. In dem Protokoll ist zu vermerken, daß die Verlesung geschehen und die Genehmigung erfolgt ist oder welche Einwendungen erhoben worden sind.

(4) Bevor das Protokoll fertiggestellt ist, darf das Urteil nicht zugestellt werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 1 9 8 / 1 5
vom
9. Juni 2015
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Juni 2015 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 13. Januar 2015 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Ergänzend bemerkt der Senat: Die Rüge eines Verstoßes gegen § 258 Abs. 2 StPO ist jedenfalls unbegründet. Dem Angeklagten ist nach § 258 Abs. 2 StPO nur dann erneut das letzte Wort zu gewähren, wenn nach der Schließung der Beweisaufnahme nochmals in die Verhandlung eingetreten worden ist. Der Wiedereintritt liegt nicht nur in jeder Prozesshandlung , die ihrer Natur nach in den Bereich der Beweisaufnahme fällt, sondern bereits in jeder Handlung, in der sich der Wille des Gerichts zum Weiterverhandeln in der Sache zeigt (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 258 Rn. 28). Werden nach dem letzten Wort ausschließlich Vorgänge erörtert, die auf die gerichtliche Entscheidung keinen Einfluss haben können, besteht keine Verpflichtung nach § 258 Abs. 2 StPO (BGH, Beschlüsse vom 18. September 2013 – 1 StR 380/13, NStZ-RR 2014, 15 und vom 31. März 1987 – 1 StR 94/87, NStZ 1987, 423). Eine Negativmitteilung nach § 243 Abs. 4 StPO stellt deshalb keinen Wiedereintritt in die Verhandlung dar, zumal die Prozessbeteiligten hierzu keine Erklärung abgegeben haben.
Raum Rothfuß Jäger Radtke Fischer

(1) Nach dem Schluß der Beweisaufnahme erhalten der Staatsanwalt und sodann der Angeklagte zu ihren Ausführungen und Anträgen das Wort.

(2) Dem Staatsanwalt steht das Recht der Erwiderung zu; dem Angeklagten gebührt das letzte Wort.

(3) Der Angeklagte ist, auch wenn ein Verteidiger für ihn gesprochen hat, zu befragen, ob er selbst noch etwas zu seiner Verteidigung anzuführen habe.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 3/10
vom
4. Februar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. Februar 2010 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 18. August 2009, soweit es ihn betrifft, im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
1. Das Landgericht München I hat den umfassend geständigen Angeklagten wegen insgesamt 61 Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und elf Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten ist gemäß § 349 Abs. 2 StPO unbegründet , soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet. Sie führt jedoch aufgrund einer Verfahrensrüge zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs.
2
2. Mit dieser macht die Revision einen Verstoß gegen § 258 Abs. 2 StPO geltend, weil dem Angeklagten das letzte Wort nicht gewährt worden sei. Nach ihrem - den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden - Vortrag war die Beweisaufnahme geschlossen und die Gelegenheit zum Schluss- vortrag des Verteidigers sowie zum letzten Wort des Angeklagten gegeben worden. Hieran anschließend wurde erneut in die Beweisaufnahme eingetreten und die Frage der Einziehung sichergestellter Betäubungsmittel und weiterer Gegenstände erörtert. Diesbezüglich erklärten sich der Angeklagte und sein Verteidiger mit deren formloser Einziehung einverstanden. Nach der erneuten Schließung der Beweisaufnahme wiederholten lediglich die Staatsanwaltschaft und der Verteidiger ihre zuvor gestellten Anträge, während dem Angeklagten keine Gelegenheit gegeben wurde, sich zu äußern.
3
3. a) Diese Verfahrensweise entsprach nicht dem Gesetz. Denn nach der Rechtsprechung ist dem Angeklagten gemäß § 258 Abs. 2 StPO erneut das letzte Wort zu gewähren, wenn nach dem Schluss der Beweisaufnahme nochmals in die Verhandlung eingetreten worden ist, weil jeder Wiedereintritt den vorausgegangenen Ausführungen des Angeklagten die rechtliche Bedeutung als Schlussvortrag und letztes Wort nimmt und die erneute Beachtung des § 258 StPO erforderlich macht (BGHSt 22, 278, 279/280; BGH NStZ-RR 1998,

15).


4
Wann von einem Wiedereintritt auszugehen ist, ist anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Insbesondere liegt ein Wiedereintritt vor, wenn der Wille des Gerichts zum Ausdruck kommt, im Zusammenwirken mit den Prozessbeteiligten in der Beweisaufnahme fortzufahren oder wenn Anträge mit den Verfahrensbeteiligten erörtert werden (BGH NStZ 2004, 505, 507 m.w.N.). Eine solche Fallgestaltung liegt hier vor. Zum einen wird im Protokoll selbst das prozessuale Geschehen dahingehend bewertet, dass „nochmals in die Beweisaufnahme eingetreten“ und diese „erneut geschlossen“ wurde. Zum anderen kam der Erklärung des Angeklagten, er sei mit der formlosen Einzie- hung sichergestellter Gegenstände einverstanden, potentielle Bedeutung für die tatgerichtliche Sachentscheidung zu.
5
b) Der geltend gemachte Verfahrensverstoß ist auch bewiesen. Der für den Nachweis der in Rede stehenden wesentlichen Förmlichkeit (§ 274 Abs. 1 StPO) allein maßgeblichen Sitzungsniederschrift (vgl. BGHSt 22, 278, 280) lässt sich nach Ansicht des Senats nicht entnehmen, dass dem Angeklagten nach dem erneuten Schluss der Beweisaufnahme (nochmals) das letzte Wort gewährt worden ist. Es kommt daher nicht darauf an, dass die an dem Urteil beteiligten Berufsrichter, der staatsanwaltschaftliche Sitzungsvertreter und die Protokollführerin in ihren jeweiligen dienstlichen Stellungnahmen erklärt haben, sich an den konkreten Verfahrensgang nicht mehr zu erinnern.
6
4. a) Auf dem dargelegten Verfahrensfehler kann jedoch der Schuldspruch nicht beruhen. Der Senat kann im vorliegenden Fall ausschließen, dass der Angeklagte in einem - erneuten - letzten Wort etwas insofern Erhebliches hätte bekunden können. Denn er war zuvor umfassend und für das Tatgericht, das seine Überzeugung zudem auf weitere Beweismittel gestützt hat, glaubhaft geständig gewesen.
7
b) Dagegen kann der Ausspruch über die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe auf dem Verfahrensfehler beruhen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte, wäre ihm das letzte Wort erneut erteilt worden, Ausführungen gemacht hätte, die die Strafzumessung zu seinen Gunsten beeinflusst hätten. Dies gilt umso mehr, als sein nach dem Wiedereintritt in die Beweisaufnahme erklärtes Einverständnis mit der außergerichtlichen Einziehung sichergestellter Gegenstände jedenfalls unter dem Gesichtspunkt gezeigter Reue als mildernder Umstand hätte gewertet werden dürfen.
8
Dem steht nicht entgegen, dass sich die Verfahrensbeteiligten ausweislich der Urteilsgründe bereits am ersten der beiden Hauptverhandlungstage hinsichtlich der Gesamtstrafe verständigt hatten. Denn der am 4. August 2009 und damit sechs Tage vor Beginn der Hauptverhandlung in Kraft getretene § 257c StPO sieht in seinem Absatz 3 Satz 2 die Benennung einer Ober- und einer Untergrenze und in seinem Absatz 4 Satz 1 ein Entfallen der Bindung des Gerichts an die Verständigung vor, wenn der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist.
Nack Wahl Elf Jäger Sander
5 StR 253/12

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 17. Juli 2012
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 17. Juli 2012

beschlossen:
1. Die Revisionen der Angeklagten S. und I. K. gegen das Urteil des Landgerichts Bremen vom 16. Juli 2010 werden auf ihre Kosten nach § 349 Abs. 2 StPO mit der Maßgabe (§ 349 Abs. 4 StPO) als unbegründet verworfen, dass zwei Monate der jeweils verhängten Gesamtfreiheitsstrafe als vollstreckt gelten.
2. a) Auf die Revision des Angeklagten E. wird das oben genannte Urteil gemäß § 349 Abs. 4 StPO im Strafausspruch mit den Feststellungen aufgehoben.

b) Seine weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.

c) Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten E. wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision hat mit der Rüge der Nichtgewährung des letzten Wortes (§ 258 Abs. 2 StPO) in dem erkannten Umfang Erfolg. Ansonsten ist sie gemäß § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
2
Nach dem erwiesenen Revisionsvorbringen (vgl. auch die Gegenerklärung der Staatsanwaltschaft) hatte der Angeklagte zwar das letzte Wort; nach einer Verhandlungsunterbrechung wurde aber, wie das Hauptverhand- lungsprotokoll ausweist, die „Sach- und Rechtslage“ mit den Verfahrensbetei- ligten erörtert, ohne dass dem Angeklagten danach abermals das letzte Wort gewährt worden wäre. Damit steht fest, dass das Gericht erneut zur Sache verhandelt hat (vgl. auch BGH, Beschluss vom 4. Februar 2010 – 1 StR 3/10, NStZ-RR 2010, 152).
3
Auf dem dargelegten Verfahrensfehler kann jedoch der Schuldspruch nicht beruhen. Der Senat kann angesichts der Aussage des Angeklagten in seinem „letzten Wort“, dass er sich von den Taten distanziere und diese be- reue, in Verbindung mit der ansonsten gegebenen klaren Beweislage ausschließen , dass der Angeklagte in einem – erneuten – letzten Wort etwas insofern Erhebliches hätte bekunden können.
4
Dagegen kann der Ausspruch über die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe auf dem Verfahrensfehler beruhen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der Angeklagte, wäre ihm das letzte Wort erneut erteilt worden, Ausführungen gemacht hätte, die die Strafzumessung zu seinen Gunsten beeinflusst hätten.
5
Die Revisionen der beiden Mitangeklagten waren demgegenüber im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO unbegründet. Entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts rechnet der Senat wegen der verspäteten Aktenvorlage im Revisionsverfahren auf die verhängten Gesamtfreiheitsstrafen jeweils zwei Monate als vollstreckt an.
Raum Schneider Dölp
König Bellay

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 166/04
vom
16. Juni 2004
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Juni 2004 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 19. November 2003 im Ausspruch über die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:


I.

Das Landgericht verurteilte den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu der Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten und ordnete seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung (§ 66 Abs. 1 StGB) an. Nach den Feststellungen des Landgerichts trat der Angeklagte an einem "Treffpunkt für Stadtstreicher, Obdachlose und Alkoholiker (in fränkischer Mundart Sandler genannt)" den bereits von einem anderen niedergeschlagenen und getretenen Geschädigten ohne jeglichen Anlaß ebenfalls mehrfach mit
dem beschuhten Fuß ins Gesicht und auf die Brust, bis er von weiteren Schlägen abgehalten werden konnte. Durch die Mißhandlungen erlitt der Geschädigte einen Nasenbeinbruch, Schädelprellungen, Prellungen an Thorax und linker Schulter sowie Hämatome am ganzen Körper.

II.

1. Die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung ergab hinsichtlich des Schuld- und Strafausspruchs aus den vom Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 22. April 2004 dargelegten Gründen keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten (§ 349 Abs. 2 StPO). 2. Dagegen hat die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung keinen Bestand (§ 349 Abs. 4 StPO). Die sie betreffende Verfahrensrüge hat Erfolg. Die Revision beanstandet zu Recht, daß der Angeklagte auf die Möglichkeit der Anordnung dieser Sicherungsmaßregel nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form (§ 265 Abs. 1 und 2 StPO) hingewiesen wurde.
a) Die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung stellt mit ihrer in das Leben eines Angeklagten besonders tief eingreifenden Wirkung - ihre Dauer kann schon bei der ersten Anordnung zehn Jahre übersteigen (§ 67d Abs. 3 StGB) - einen besonders gravierenden Eingriff dar. Deshalb dürfen an die Hinweispflicht des Gerichts in einem solchen Falle keine zu geringen Anforderungen gestellt werden. Das Gesetz und ihm folgend die Rechtsprechung fordern in Fällen der vorliegenden Art im Hinblick auf die Bedeutung des Hinweises aus rechtsstaatlichen Gründen zu Recht die Einhaltung einer gewissen Formenstrenge (vgl. BGHR StPO § 265 II Hinweispflicht 6, m.w.N.).
Wird auf die Möglichkeit der Anordnung der Sicherungsverwahrung weder in der Anklageschrift (vgl. hierzu BGH NStZ 2001, 162) noch im Eröffnungsbeschluß hingewiesen, muß der erforderliche Hinweis gemäß § 265 Abs. 2 StPO in der Hauptverhandlung ergehen.
b) Dies unterblieb hier: Weder in der Anklageschrift noch im Eröffnungsbeschluß wird die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung erwähnt. Während der Hauptverhandlung wurde dann gleichwohl kein förmlicher Hinweis auf die Möglichkeit der Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung erteilt, wie die Sitzungsniederschrift beweist (§ 274 StPO).
c) Das Beruhen der Anordnung der Maßregel auf dem fehlenden förmlichen rechtlichen Hinweis wurde auch nicht durch andere Vorgänge, die die drohende Sicherungsverwahrung ausreichend verdeutlichten, während der Hauptverhandlung ausgeschlossen. Denn der Angeklagte bekam durch den Ablauf der Hauptverhandlung nicht mit hinreichender Eindeutigkeit so nachdrücklich und zweifelsfrei die drohende Sicherungsverwahrung vor Augen geführt , daß er - obgleich von einem förmlichen Hinweis nach § 265 Abs. 2 StPO abgesehen wurde, ein Signal, auf das sich der Angeklagte grundsätzlich verlassen durfte - dennoch hätte Anlaß sehen müssen, seine Verteidigung gleichwohl auf diese Möglichkeit einzustellen. Zwar äußerte sich der Sachverständige während der Hauptverhandlung neben der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten (§§ 20, 21 StGB) sowie der Voraussetzungen der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) oder in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) auch - positiv - zur Frage des Hangs des Angeklagten zu erheblichen Straftaten (§ 66
StGB). Dies verdeutlichte jedoch - ebensowenig wie die Verlesung auch der die Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB begründenden Vorstrafen - nicht mit der gebotenen Deutlichkeit, daß das Gericht die Anordnung der Sicherungsverwahrung ernsthaft erwog - was zunächst die Verhängung einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren voraussetzte -, zumal weder die Vertreterin der Staatsanwaltschaft noch der Verteidiger diese Maßregel in ihren Schlußvorträgen auch nur erwähnten.
d) Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung hat deshalb keinen Bestand. Das übrige Urteil wird hiervon nicht erfaßt. Nack Kolz Hebenstreit Elf Graf
5 StR 311/09

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 2. September 2009
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 2. September 2009

beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 1. April 2009 nach § 349 Abs. 4 StPO
a) im Schuldspruch dahingehend abgeändert, dass der Angeklagte wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Besitz kinderpornographischer Schriften verurteilt ist,
b) im Maßregelausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird gemäß § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
1
Landgericht Das hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs eines Kindes in zwei Fällen jeweils in Tateinheit mit Herstellung kinderpornographischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt sowie seine Unterbringung in der Entziehungsanstalt und in der Sicherungsverwahrung (gemäß § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB) angeordnet.
Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, die den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg hat.
2
1. Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
3
Der zuletzt am 2. Juni 2004 wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes verurteilte Angeklagte lud einen siebenjährigen Jungen zu sich nach Hause ein. Am 14. Juni 2008 fotografierte er das nackte Geschlechtsteil des auf dem Bett posierenden Kindes. Auch berührte er dessen Geschlechtsteil. Der Angeklagte fertigte die Fotos, um sich sexuell zu erregen. Ein solches Geschehen wiederholte sich am 20. Juni 2008, wobei der Angeklagte diesmal zudem sein Geschlechtsteil an das des Kindes drückte.
4
Bei diesen Taten war der Angeklagte aufgrund einer pädophilen Störung im Zusammenspiel mit Alkoholabhängigkeit in seiner Steuerungsfähigkeit zumindest nicht ausschließbar erheblich vermindert.
5
2. Die gegen den Schuld- und Strafausspruch geführte Verfahrensrüge bleibt aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg. Zur sachlichrechtlichen Überprüfung des Schuldspruchs hat der Generalbundesanwalt zutreffend Folgendes ausgeführt:
6
„Die Überprüfung des Urteils auf die nicht näher ausgeführte Sachrüge hat einen Rechtsfehler lediglich insoweit ergeben, als das Landgericht den Angeklagten wegen Herstellens kinderpornographischer Schriften nach § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB trotz Fehlens der tatbestandlich unerlässlichen Verwendungsabsicht (vgl. dazu UA S. 18 f., 23) verurteilt hat, obschon nach den Urteilsfeststellungen die Vorschrift des § 184b Abs. 4 StGB hätte zur Anwendung gelangen müssen. Angesichts dessen ist der Urteilstenor – wie beantragt – zu berichtigen. Die Vorschrift des § 265 Abs. 1 StPO steht dem nicht entgegen, weil ausgeschlossen werden kann, dass sich der geständige Angeklagte bei Erteilung eines rechtlichen Hinweises auf § 184b Abs. 4 StGB anders und erfolgreicher als geschehen hätte verteidigen können.
7
den Auf Rechtsfolgenausspruch hat die Abänderung des Schuldspruchs keine Auswirkungen. Die Zulässigkeit der straferschwerenden Berücksichtigung der tateinheitlichen Verwirklichung von zwei Tatbeständen sowohl bei der Strafrahmenwahl als auch bei der Strafzumessung im engeren Sinne (vgl. UA S. 26) hängt nicht davon ab, welchen Tatbestand des § 184b StGB der Angeklagte verwirklicht hat. Im Übrigen steht im Lichte der auf UA S. 25 f. dokumentierten Strafzumessungserwägungen nicht zu besorgen , dass die konkrete Bemessung der Strafen anders ausgefallen wäre, wenn das Landgericht den Angeklagten neben § 176a Abs. 1 StGB tateinheitlich nicht nach § 184b Abs. 1 Nr. 3 StGB, sondern nach Absatz 4 der vorgenannten Vorschrift verurteilt hätte.“
8
3. Dagegen kann der Maßregelausspruch insgesamt keinen Bestand haben. Die die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung betreffende Verfahrensrüge hat Erfolg. Die Revision beanstandet zu Recht, dass der Angeklagte auf die Möglichkeit der Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht in der gesetzlich vorgeschriebenen Form (§ 265 Abs. 1 und 2 StPO) hingewiesen wurde.
9
a) In der dem Verfahren zugrundeliegenden Anklageschrift wird die Möglichkeit, Sicherungsverwahrung gegen den Angeklagten zu verhängen, nicht erwähnt; auch in dem Eröffnungsbeschluss findet sich hierauf kein Hinweis. Während der Hauptverhandlung wurde ebenfalls kein förmlicher Hinweis erteilt.
10
Zugleich b) mit der Eröffnungsentscheidung hat die Strafkammer durch gesonderten Beschluss zwar den Sachverständigen ergänzend beauftragt , „auch zur Frage der Sicherungsverwahrung Stellung zu nehmen“ (RB S. 51). Hiermit ist der Hinweispflicht nach § 265 Abs. 1 und 2 StPO jedoch nicht genügt. Allerdings kann auch in der gerichtlichen Anordnung, ein Gutachten zur Frage der Unterbringung anzuordnen, ein solcher Hinweis liegen (BGH NStZ 2009, 468 [Anordnung im Eröffnungsbeschluss]; NStZ 1992, 249 [zu § 63 StGB]). Dafür muss der die Beweisanordnung enthaltende Beschluss dem Angeklagten aber eindeutig erkennbar machen, auf welche Maßregel das Gericht zu erkennen gedenkt (BGHSt 22, 29, 30; BGHR StPO § 265 Abs. 2 Hinweispflicht 6; BGH NStZ 2009, 468).
11
Gerade vor dem Hintergrund der bei der Anordnung der Sicherungsverwahrung aus rechtsstaatlichen Gründen zu wahrenden Formenstrenge (BGHR StPO § 265 Abs. 2 Hinweispflicht 6; BGH NStZ-RR 2004, 297) genügt die allgemein gehaltene ergänzende Beauftragung des Sachverständigen diesen Anforderungen nicht. Angesichts der sich deutlich unterscheidenden einzelnen Anordnungstatbestände des § 66 StGB lässt sich einem derart unspezifizierten Hinweis die Variante nicht entnehmen, die für das Gericht in Betracht kam (vgl. BGH NJW 2004, 1187 insoweit in BGHSt 49, 25 nicht abgedruckt ; BGHR StPO § 265 Abs. 2 Hinweispflicht 6; siehe auch BGH NStZ 1998, 529, 530). Somit fehlt die verbindliche Wirkung einer den rechtlichen Rahmen des Hauptverfahrens bestimmenden gerichtlichen Prozesshandlung.
12
Nichts anderes gilt für den während der Hauptverhandlung am 9. Februar 2009 gefassten Beschluss, in dem der Umfang des vom weiteren Sachverständigen P. zu erstattenden Gutachtens festgelegt worden ist (RB S. 149). In diesem Beschluss werden sowohl die Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB als auch die der Maßregeln nach §§ 63, 64 und 66 StGB angesprochen. Dies lässt nicht ersehen, auf welche Maßregel das Gericht zu erkennen gedenkt (vgl. BGH NStZ 2009, 468 m.w.N.).
13
Das c) Beruhen der Anordnung der Maßregel auf dem fehlenden rechtlichen Hinweis wird auch nicht durch andere Vorgänge in der Hauptverhandlung ausgeschlossen. Insbesondere waren die Ausführungen des Sach- verständigen zu den materiellen Voraussetzungen der Maßregel nicht geeignet , dem Angeklagten eindeutig vor Augen zu führen, dass das Gericht auf eine solche Maßregel zu erkennen gedenkt (vgl. BGH NStZ-RR 2002, 271; 2004, 297; StV 2008, 344; BGH, Beschluss vom 28. April 2009 – 4 StR 544/08). Gleiches gilt für den – zudem hinsichtlich des Maßregelausspruchs nicht eindeutig protokollierten – Schlussantrag des Staatsanwalts (vgl. BGH StV 1988, 329; NStZ 1998, 529, 530; NStZ-RR 2008, 316).
14
Dass der Verteidiger des Angeklagten selbst in seinem Schlussvortrag zu den Anordnungsvoraussetzungen des § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB Stellung genommen hat (vgl. BGH NStZ-RR 2008, 316; BGH, Beschluss vom 26. Mai 1998 – 5 StR 196/98), lässt sich weder dem Protokoll noch der unwidersprochen gebliebenen dienstlichen Stellungnahme der Vorsitzenden zur Revisionsbegründung entnehmen.
15
Soweit der Generalbundesanwalt das Beruhen des Urteils auf dem Verfahrensfehler ausschließen möchte, weil das Landgericht eine Zustimmung des Angeklagten zu einer Aufnahme in eine therapeutische Wohngruppe im Strafvollzug „aufgrund der zu erwartenden Sicherungsverwahrung als Zweckverhalten“ (UA S. 34) gewürdigt hat, folgt dem der Senat nicht. Diese Wertung fußt gerade auf dem Umstand, dass der Angeklagte erkannt hat, das Gericht erwäge bereits die Verhängung der Sicherungsverwahrung (vgl. BGHSt 22, 29, 30), wofür es indes keine ausreichende Tatsachengrundlage gibt.
16
4. Die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung war daher aufzuheben. Während der Schuld- und Strafausspruch hiervon nicht erfasst wird, hebt der Senat den gesamten Maßregelausspruch auf, um dem neuen Tatgericht eine in sich geschlossene Maßregelanordnung zu ermöglichen. Dabei wird im Falle doch möglicher sicherer Feststellung der Voraussetzungen des § 21 StGB auch zu erörtern sein, ob im Hinblick auf die beim Angeklagten festgestellte Pädophilie im Sinne einer schweren anderen seelischen Abartigkeit die Voraussetzungen des § 63 StGB vorliegen.
Basdorf Raum Brause Schneider König

(1) Der Angeklagte darf nicht auf Grund eines anderen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten Strafgesetzes verurteilt werden, ohne daß er zuvor auf die Veränderung des rechtlichen Gesichtspunktes besonders hingewiesen und ihm Gelegenheit zur Verteidigung gegeben worden ist.

(2) Ebenso ist zu verfahren, wenn

1.
sich erst in der Verhandlung vom Strafgesetz besonders vorgesehene Umstände ergeben, welche die Strafbarkeit erhöhen oder die Anordnung einer Maßnahme oder die Verhängung einer Nebenstrafe oder Nebenfolge rechtfertigen,
2.
das Gericht von einer in der Verhandlung mitgeteilten vorläufigen Bewertung der Sach- oder Rechtslage abweichen will oder
3.
der Hinweis auf eine veränderte Sachlage zur genügenden Verteidigung des Angeklagten erforderlich ist.

(3) Bestreitet der Angeklagte unter der Behauptung, auf die Verteidigung nicht genügend vorbereitet zu sein, neu hervorgetretene Umstände, welche die Anwendung eines schwereren Strafgesetzes gegen den Angeklagten zulassen als des in der gerichtlich zugelassenen Anklage angeführten oder die zu den in Absatz 2 Nummer 1 bezeichneten gehören, so ist auf seinen Antrag die Hauptverhandlung auszusetzen.

(4) Auch sonst hat das Gericht auf Antrag oder von Amts wegen die Hauptverhandlung auszusetzen, falls dies infolge der veränderten Sachlage zur genügenden Vorbereitung der Anklage oder der Verteidigung angemessen erscheint.

(1) Bei der Bestimmung des Wertes des Erlangten sind die Aufwendungen des Täters, Teilnehmers oder des anderen abzuziehen. Außer Betracht bleibt jedoch das, was für die Begehung der Tat oder für ihre Vorbereitung aufgewendet oder eingesetzt worden ist, soweit es sich nicht um Leistungen zur Erfüllung einer Verbindlichkeit gegenüber dem Verletzten der Tat handelt.

(2) Umfang und Wert des Erlangten einschließlich der abzuziehenden Aufwendungen können geschätzt werden.