Bundesgerichtshof Beschluss, 22. März 2017 - 3 StR 38/17
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 22. März 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Diebstahls mit Waffen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten mit der allgemeinen Sachbeschwerde. Sie hat nur in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
- 2
- 1. Die Nachprüfung des Urteils hat zum Schuld- und Strafausspruch keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
- 3
- 2. Die Entscheidung, von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abzusehen, hat hingegen keinen Bestand.
- 4
- a) Die sachverständig beratene Strafkammer ist davon ausgegangen, dass beim Angeklagten eine langjährige polyvalente Substanzabhängigkeit (Heroin, Kokain, Cannabis, Alkohol) besteht, und hat daher einen Hang des Angeklagten im Sinne des § 64 Satz 1 StGB bejaht. Sie hat überdies festgestellt , dass der abgeurteilte Diebstahl mit Waffen auf diesen Hang zurückgeht, weil der Angeklagte von dem Erlös aus der Diebesbeute auch Betäubungsmittel beschaffen wollte. Ferner hat sie, namentlich in Anbetracht der Vorstrafen, die Gefahr prognostiziert, der Angeklagte werde (hangbedingt) künftig weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen.
- 5
- Die Strafkammer hat indes eine hinreichend konkrete Aussicht auf einen Behandlungserfolg im Sinne des § 64 Satz 2 StGB verneint. Es bestehe die Gefahr, dass der Angeklagte nach der Entlassung aus der Entziehungsanstalt zurück in ein Asylbewerberheim ziehe und wieder in seinen Suchtmittelkonsum und damit in den Hang zurückfalle. Zugleich hat die Kammer - "schon jetzt" - ihre Zustimmung zur Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG erteilt (UA S. 11).
- 6
- b) Das Absehen von der Unterbringungsanordnung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
- 7
- Zwar nimmt die Strafkammer zutreffend an, dass sich aus den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten einige gewichtige prognoseungünstige Faktoren (ungeklärter Aufenthaltsstatus, fehlende Arbeitserlaubnis, nicht vor- handener sozialer Empfangsraum, prekäre Wohnsituation vor der Inhaftierung) ergeben, die gegen einen mehr als nur kurzfristigen Behandlungserfolg sprechen (s. MüKoStGB/van Gemmeren, StGB, 3. Aufl., § 64 Rn. 64 f. mwN). Der hieraus gezogene Schluss, dass die Gefahr bestehe, der Angeklagte könne keine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang bewahrt werden, verfehlt jedoch den gesetzlichen Maßstab; denn nicht jedes Risiko, dass in einer Entziehungsanstalt ein nachhaltiger Behandlungserfolg nicht erzielt wird, bedeutet zugleich, dass keine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht besteht. Die Strafkammer wäre gehalten gewesen, das Risiko eines Scheiternsder Behandlung - als mehr oder weniger hoch bzw. gering - zu gewichten, um die Behandlungsaussichten nachvollziehbar zu bewerten. Dabei wären auch mögliche prognosegünstige Faktoren (mögliche Therapiebereitschaft, [wohl] keine vorausgegangenen erfolglosen Therapieversuche, "relativ gute" Deutschkenntnisse) festzustellen und in die Beurteilung mit einzubeziehen gewesen.
- 8
- Einer eingehenderen Auseinandersetzung mit der Erfolgsprognose hätte es insbesondere deshalb bedurft, weil die Strafkammer bereits mit dem angefochtenen Urteil der Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG zugestimmt hat. Hiermit hat sie zum Ausdruck gebracht, dass sie den Angeklagten grundsätzlich für therapiebedürftig und für nicht therapieunfähig hält; denn die Zurückstellung lässt sich - wenngleich sie nicht auf Fälle günstiger Therapiechancen beschränkt ist - nicht rechtfertigen, wenn die Behandlung von vornherein als völlig oder nahezu aussichtslos erscheint (vgl. MüKoStGB/Kornprobst , 2. Aufl., § 35 BtMG Rn. 141; Weber, BtMG, 4. Aufl., § 35 Rn. 156 ff.). Diesen ermessensleitenden Umstand hat nicht nur die die Zurückstellung anordnende Vollstreckungsbehörde, sondern auch das zustimmende Gericht zu beachten (vgl. MüKoStGB/Kornprobst aaO, Rn. 117; Weber aaO, Rn. 132). Dass die Strafkammer von anderen rechtlichen Vorgaben für ihre Zustimmung ausgegangen sein könnte, ist dem Urteil nicht zu entnehmen.
- 9
- Im Einzelfall kann zwar nach Bewertung der Erfolgsaussicht - auf Grund der unterschiedlichen Maßstäbe, die an die Behandlungsprognose anzulegen sind (s. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2010 - 3 StR 169/10, StV 2011, 271, 272; MüKoStGB/van Gemmeren aaO, Rn. 76) - eine Entscheidung dahin in Betracht kommen, dass allein eine Zurückstellung der Vollstreckung gemäß § 35 BtMG möglich ist, wohingegen eine Maßregel nach § 64 StGB ausscheidet. Ohne nähere Erörterung versteht sich dies hier jedoch nicht von selbst. Vielmehr lassen die insoweit knappen Ausführungen in den Urteilsgründen besorgen, dass die Strafkammer den Vorrang des § 64 StGB gegenüber § 35 BtMG (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 19. Juni 2012 - 3 StR 201/12, juris Rn. 4; vom 11. Juli 2013 - 3 StR 193/13, juris Rn. 5; vom 5. April 2016 - 3 StR 554/15, NStZ-RR 2016, 209, 210; vom 31. Januar 2017 - 4 StR 597/16, juris Rn. 14; s. nunmehr allerdings 5. Strafsenat, Beschluss vom 8. Juni 2016 - 5 StR 170/16, StraFo 2016, 431 [nichttragend]) aus dem Blick verloren hat und davon ausgegangen ist, im Einzelfall das aus ihrer Sicht unter einem pragmatischen Gesichtspunkt geeignetere Vorgehen wählen zu können.
- 10
- c) Über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss deshalb - wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert eine Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (BGH, Beschluss vom 11. Juli 2013 - 3 StR 193/13, juris Rn. 6). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch den Tatrichter auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362; KK-Gericke, StPO, 7. Aufl., § 358 Rn. 23 mwN).
- 11
- 3. Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Strafausspruch unberührt. Es ist auszuschließen, dass das Landgericht bei Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt auf eine mildere Freiheitsstrafe erkannt hätte. Becker Spaniol Tiemann Berg Hoch
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Ist jemand wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden und ergibt sich aus den Urteilsgründen oder steht sonst fest, daß er die Tat auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, so kann die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrestes oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist. Als Behandlung gilt auch der Aufenthalt in einer staatlich anerkannten Einrichtung, die dazu dient, die Abhängigkeit zu beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenzuwirken.
(2) Gegen die Verweigerung der Zustimmung durch das Gericht des ersten Rechtszuges steht der Vollstreckungsbehörde die Beschwerde nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Buches der Strafprozeßordnung zu. Der Verurteilte kann die Verweigerung dieser Zustimmung nur zusammen mit der Ablehnung der Zurückstellung durch die Vollstreckungsbehörde nach den §§ 23 bis 30 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz anfechten. Das Oberlandesgericht entscheidet in diesem Falle auch über die Verweigerung der Zustimmung; es kann die Zustimmung selbst erteilen.
(3) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn
- 1.
auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt worden ist oder - 2.
auf eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren erkannt worden ist und ein zu vollstreckender Rest der Freiheitsstrafe oder der Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt
(4) Der Verurteilte ist verpflichtet, zu Zeitpunkten, die die Vollstreckungsbehörde festsetzt, den Nachweis über die Aufnahme und über die Fortführung der Behandlung zu erbringen; die behandelnden Personen oder Einrichtungen teilen der Vollstreckungsbehörde einen Abbruch der Behandlung mit.
(5) Die Vollstreckungsbehörde widerruft die Zurückstellung der Vollstreckung, wenn die Behandlung nicht begonnen oder nicht fortgeführt wird und nicht zu erwarten ist, daß der Verurteilte eine Behandlung derselben Art alsbald beginnt oder wieder aufnimmt, oder wenn der Verurteilte den nach Absatz 4 geforderten Nachweis nicht erbringt. Von dem Widerruf kann abgesehen werden, wenn der Verurteilte nachträglich nachweist, daß er sich in Behandlung befindet. Ein Widerruf nach Satz 1 steht einer erneuten Zurückstellung der Vollstreckung nicht entgegen.
(6) Die Zurückstellung der Vollstreckung wird auch widerrufen, wenn
- 1.
bei nachträglicher Bildung einer Gesamtstrafe nicht auch deren Vollstreckung nach Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 zurückgestellt wird oder - 2.
eine weitere gegen den Verurteilten erkannte Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung zu vollstrecken ist.
(7) Hat die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung widerrufen, so ist sie befugt, zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einen Haftbefehl zu erlassen. Gegen den Widerruf kann die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges herbeigeführt werden. Der Fortgang der Vollstreckung wird durch die Anrufung des Gerichts nicht gehemmt. § 462 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt, dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und bestimmt, dass die Unterbringung in der Entziehungsanstalt zuerst zu vollstrecken ist. Die hiergegen gerichtete, auf sachlichrechtliche Beanstandungen gestützte Revision des Angeklagten hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg.
- 2
- 1. Zum Schuld- und Strafausspruch hat die Überprüfung des Urteils keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht.
- 4
- a) Das Landgericht hat die Unterbringung als "nicht von vorneherein aussichtslos" bezeichnet und damit einen Maßstab angelegt, der vom Bundesverfassungsgericht im Jahr 1994 (BVerfG, Beschluss vom 16. März 1994 - 2 BvL 3/90 (u. a.), BVerfGE 91, 1 ff.) für verfassungswidrig erklärt worden ist. Seither war § 64 Abs. 2 aF StGB verfassungskonform dahin auszulegen, dass er die Feststellung einer konkreten Erfolgsaussicht der Maßregel voraussetzt. Hierauf hat der Bundesgerichtshof in zahlreichen Entscheidungen hingewiesen. Durch das am 20. Juli 2007 in Kraft getretene Gesetz vom 16. Juli 2007 (BGBI. I S. 1327) ist § 64 StGB entsprechend geändert worden und trägt dem Erfordernis einer konkreten Erfolgsaussicht nun auch im Wortlaut der Vorschrift ausdrücklich Rechnung (§ 64 Satz 2 StGB).
- 5
- Es lässt sich den Urteilsgründen in ihrer Gesamtheit nicht sicher entnehmen , dass der Tatrichter gleichwohl von der notwendigen hinreichend konkreten Erfolgsaussicht ausgegangen ist (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 26. Oktober 2007 - 2 StR 393/07). Zwar hat der Angeklagte seine Suchterkrankung eingestanden und sich zur Mitarbeit bei der Therapie bereiterklärt. Dem stehen indes die zahlreichen Vorverurteilungen, bei denen der Angeklagte die ihm eingeräumten Bewährungschancen jeweils nicht genutzt hat, sowie dessen ausgeprägte dissoziale Persönlichkeitsstörung gegenüber. Über die Erfolgsaussicht der Maßregel muss deshalb erneut vom Tatrichter befunden werden.
- 6
- b) Die Darlegungen zur Gefährlichkeit des Angeklagten begegnen ebenfalls rechtlichen Bedenken. Das Landgericht führt unter Bezugnahme auf den gehörten Sachverständigen aus, bei der Anlasstat - der Angeklagte verletzte gemeinschaftlich mit einem Mittäter im Alkoholiker- und Obdachlosenmilieu während eines mehrstündigen Geschehens das Opfer durch Schläge und Tritte erheblich - handele es sich "um ein Delikt mit einer hohen Rückfallwahrscheinlichkeit. Diese liege in sieben Jahren bei 76% und in 10 Jahren bei 82%" (UA S. 34). Herkunft und Bedeutung dieser Angaben sind unklar und erlauben deshalb eine revisionsgerichtliche Nachprüfung der Gefährlichkeitsprognose nicht. Sofern es sich um Erkenntnisse aus standardisierten, auf statistischen Erfahrungen beruhenden Prognoseinstrumenten handeln sollte, gilt Folgendes: Diese Instrumente listen Umstände auf, die einen Zusammenhang mit Rückfälligkeit aufweisen. Sie sind jeweils das Ergebnis der Untersuchung von unterschiedlich zusammengesetzten Stichproben verurteilter Straftäter. Ob ein bestimmtes Prognoseinstrument für die Beurteilung des beim Angeklagten bestehenden individuellen Rückfallrisikos generell tauglich ist, hängt zuerst einmal davon ab, ob die in die Stichprobe einbezogenen Täter bezüglich ihrer persönlichen Umstände (z. B. Anlassdelikt, psychische Erkrankung, Alter) mit dem Angeklagten vergleichbar sind. Entsprechendes gilt hinsichtlich des für den Angeklagten zukünftig zu erwartenden Umfelds und der für die Prognose als entscheidend erachteten Zeitspanne. Gibt es keine oder eine geringe Vergleichbarkeit zwischen der Stichprobe des angewendeten Prognoseinstruments und dem zu beurteilenden Einzelfall, ist die Bestimmung eines individuellen Risikogrades aus methodischer Sicht nicht zu rechtfertigen (vgl. König, R&P 2010, 67, 71 f. mwN). Stützt der Tatrichter seine Gefährlichkeitsprognose auf ein von einem Sachverständigen verwendetes standardisiertes Prognoseinstrument, hat er deshalb darauf zu achten, dass es im jeweiligen Einzelfall tauglich ist (BGH, Beschluss vom 23. Oktober 2008 - 3 StR 350/08, StV 2009, 118). Selbst dann bedarf es zur individuellen Prognose über die Anwendung derartiger Instrumente hinaus einer differenzierten Einzelfallanalyse durch den Sachverständigen (BGH, Beschluss vom 30. März 2010 - 3 StR 69/10 mwN).
- 7
- 3. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (§ 63 StGB) wird vorliegend von der Aufhebung miterfasst.
- 9
- Über die Verhängung beider Maßregeln muss deshalb erneut entschieden werden. Der neue Tatrichter sollte erwägen, einen anderen Sachverständigen heranzuziehen. VRiBGH Becker ist wegen Urlaubs Pfister RiBGH von Lienen ist wegen Urlaubs an der Unterschriftsleistung gehindert. an der Unterschriftsleistung gehindert. Pfister Pfister Hubert Schäfer
(1) Ist jemand wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden und ergibt sich aus den Urteilsgründen oder steht sonst fest, daß er die Tat auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, so kann die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrestes oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist. Als Behandlung gilt auch der Aufenthalt in einer staatlich anerkannten Einrichtung, die dazu dient, die Abhängigkeit zu beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenzuwirken.
(2) Gegen die Verweigerung der Zustimmung durch das Gericht des ersten Rechtszuges steht der Vollstreckungsbehörde die Beschwerde nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Buches der Strafprozeßordnung zu. Der Verurteilte kann die Verweigerung dieser Zustimmung nur zusammen mit der Ablehnung der Zurückstellung durch die Vollstreckungsbehörde nach den §§ 23 bis 30 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz anfechten. Das Oberlandesgericht entscheidet in diesem Falle auch über die Verweigerung der Zustimmung; es kann die Zustimmung selbst erteilen.
(3) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn
- 1.
auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt worden ist oder - 2.
auf eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren erkannt worden ist und ein zu vollstreckender Rest der Freiheitsstrafe oder der Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt
(4) Der Verurteilte ist verpflichtet, zu Zeitpunkten, die die Vollstreckungsbehörde festsetzt, den Nachweis über die Aufnahme und über die Fortführung der Behandlung zu erbringen; die behandelnden Personen oder Einrichtungen teilen der Vollstreckungsbehörde einen Abbruch der Behandlung mit.
(5) Die Vollstreckungsbehörde widerruft die Zurückstellung der Vollstreckung, wenn die Behandlung nicht begonnen oder nicht fortgeführt wird und nicht zu erwarten ist, daß der Verurteilte eine Behandlung derselben Art alsbald beginnt oder wieder aufnimmt, oder wenn der Verurteilte den nach Absatz 4 geforderten Nachweis nicht erbringt. Von dem Widerruf kann abgesehen werden, wenn der Verurteilte nachträglich nachweist, daß er sich in Behandlung befindet. Ein Widerruf nach Satz 1 steht einer erneuten Zurückstellung der Vollstreckung nicht entgegen.
(6) Die Zurückstellung der Vollstreckung wird auch widerrufen, wenn
- 1.
bei nachträglicher Bildung einer Gesamtstrafe nicht auch deren Vollstreckung nach Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 zurückgestellt wird oder - 2.
eine weitere gegen den Verurteilten erkannte Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung zu vollstrecken ist.
(7) Hat die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung widerrufen, so ist sie befugt, zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einen Haftbefehl zu erlassen. Gegen den Widerruf kann die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges herbeigeführt werden. Der Fortgang der Vollstreckung wird durch die Anrufung des Gerichts nicht gehemmt. § 462 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Ist jemand wegen einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren verurteilt worden und ergibt sich aus den Urteilsgründen oder steht sonst fest, daß er die Tat auf Grund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat, so kann die Vollstreckungsbehörde mit Zustimmung des Gerichts des ersten Rechtszuges die Vollstreckung der Strafe, eines Strafrestes oder der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für längstens zwei Jahre zurückstellen, wenn der Verurteilte sich wegen seiner Abhängigkeit in einer seiner Rehabilitation dienenden Behandlung befindet oder zusagt, sich einer solchen zu unterziehen, und deren Beginn gewährleistet ist. Als Behandlung gilt auch der Aufenthalt in einer staatlich anerkannten Einrichtung, die dazu dient, die Abhängigkeit zu beheben oder einer erneuten Abhängigkeit entgegenzuwirken.
(2) Gegen die Verweigerung der Zustimmung durch das Gericht des ersten Rechtszuges steht der Vollstreckungsbehörde die Beschwerde nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Buches der Strafprozeßordnung zu. Der Verurteilte kann die Verweigerung dieser Zustimmung nur zusammen mit der Ablehnung der Zurückstellung durch die Vollstreckungsbehörde nach den §§ 23 bis 30 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz anfechten. Das Oberlandesgericht entscheidet in diesem Falle auch über die Verweigerung der Zustimmung; es kann die Zustimmung selbst erteilen.
(3) Absatz 1 gilt entsprechend, wenn
- 1.
auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren erkannt worden ist oder - 2.
auf eine Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren erkannt worden ist und ein zu vollstreckender Rest der Freiheitsstrafe oder der Gesamtfreiheitsstrafe zwei Jahre nicht übersteigt
(4) Der Verurteilte ist verpflichtet, zu Zeitpunkten, die die Vollstreckungsbehörde festsetzt, den Nachweis über die Aufnahme und über die Fortführung der Behandlung zu erbringen; die behandelnden Personen oder Einrichtungen teilen der Vollstreckungsbehörde einen Abbruch der Behandlung mit.
(5) Die Vollstreckungsbehörde widerruft die Zurückstellung der Vollstreckung, wenn die Behandlung nicht begonnen oder nicht fortgeführt wird und nicht zu erwarten ist, daß der Verurteilte eine Behandlung derselben Art alsbald beginnt oder wieder aufnimmt, oder wenn der Verurteilte den nach Absatz 4 geforderten Nachweis nicht erbringt. Von dem Widerruf kann abgesehen werden, wenn der Verurteilte nachträglich nachweist, daß er sich in Behandlung befindet. Ein Widerruf nach Satz 1 steht einer erneuten Zurückstellung der Vollstreckung nicht entgegen.
(6) Die Zurückstellung der Vollstreckung wird auch widerrufen, wenn
- 1.
bei nachträglicher Bildung einer Gesamtstrafe nicht auch deren Vollstreckung nach Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 zurückgestellt wird oder - 2.
eine weitere gegen den Verurteilten erkannte Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung zu vollstrecken ist.
(7) Hat die Vollstreckungsbehörde die Zurückstellung widerrufen, so ist sie befugt, zur Vollstreckung der Freiheitsstrafe oder der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt einen Haftbefehl zu erlassen. Gegen den Widerruf kann die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges herbeigeführt werden. Der Fortgang der Vollstreckung wird durch die Anrufung des Gerichts nicht gehemmt. § 462 der Strafprozeßordnung gilt entsprechend.
BUNDESGERICHTSHOF
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 5. April 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
a) soweit der Angeklagte im Fall II. 1. der Urteilsgründe verurteilt worden ist;
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe;
c) soweit die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit Einfuhr von Betäubungsmitteln jeweils in nicht geringer Menge (Fall II. 1. der Urteilsgründe), Abgabe von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II. 2. der Urteilsgründe) sowie Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Fall II. 3. der Urteilsgründe) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hat es abgesehen. Die Revision des Angeklagten wendet sich mit verfahrens - und materiellrechtlichen Beanstandungen gegen die Verurteilung. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es entsprechend den zutreffenden Ausführungen in der Antragsschrift des Generalbundesanwalts unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
- 2
- 1. Der Schuldspruch im Fall II. 1. der Urteilsgründe hält sachlichrechtlicher Prüfung nicht stand; denn die Feststellungen belegen nicht, dass der Angeklagte die verfahrensgegenständlichen Betäubungsmittel als (Mit-)Täter in die Bundesrepublik Deutschland einführte.
- 3
- a) Nach den zu diesem Fall vom Landgericht getroffenen Feststellungen bestellte die Freundin des Angeklagten einem gemeinsamen Tatplan entsprechend bei einem Händler in den Niederlanden Heroin, Amphetamin und Streckmittel. Das Rauschgift war teilweise zum gewinnbringenden Weiterverkauf , teilweise zum jeweils hälftigen Eigenkonsum durch den Angeklagten und seine Freundin bestimmt. Aufgrund einer Erkrankung seiner Freundin beabsichtigte der Angeklagte, die Betäubungsmittel in den Niederlanden abzuholen. An der Grenze wurde ihm jedoch die Weiterreise aufgrund seiner Alkoholisierung untersagt. Daher unternahm nach telefonischer Abstimmung schließlich doch seine Freundin mit einem auf den Angeklagten zugelassenen PKW die Fahrt in die Niederlande, während dieser die Heimreise antrat. Die Freundin des Angeklagten erwarb sodann in den Niederlanden die Betäubungs- und -streckmittel, konsumierte einen Teil des Heroins und des Amphetamins und verbrachte den Rest nach Deutschland. Hier wurde sie aufgrund ihres auffälligen Fahrstils von der Polizei aufgegriffen und zu einer Wache verbracht. Es gelang ihr aber, das Rauschgift zu verstecken. Nachdem sie dem Angeklagten ihren Aufenthaltsort mitgeteilt hatte, holte dieser sie ab und half ihr, die Betäubungsmittel nach Hause zu bringen.
- 4
- b) Zwar ist es nicht erforderlich, dass der Täter der Einfuhr das Rauschgift eigenhändig ins Inland verbringt. Vielmehr kann auch derjenige, der die Betäubungsmittel nicht selbst nach Deutschland transportiert, (Mit-)Täter der Einfuhr des unmittelbar handelnden Täters sein, wenn er einen Tatbeitrag erbringt, der sich bei wertender Betrachtung nicht nur als Förderung fremden Tuns, sondern als Teil der zur Tatbestandsverwirklichung führenden Tätigkeit aller Mitwirkenden darstellt, und der die Tathandlungen der anderen als Ergänzung seines eigenen Tatanteils erscheinen lässt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 22. Juli 1992 - 3 StR 35/92, BGHSt 38, 315, 319 mwN). Wesentliche Anhaltspunkte für die Täterschaft sind dabei der Grad seines Tatinteresses, der Umfang der Tatbeteiligung , die Tatherrschaft und der Wille dazu, die in eine wertende Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 11. Juli 1991 - 1 StR 357/91, BGHSt 38, 32, 33 mwN). Auch der im Inland aufhältige Empfänger von Betäubungsmitteln aus dem Ausland kann deshalb wegen täterschaftlicher Einfuhr von Betäubungsmitteln strafbar sein, wenn er sie durch Dritte über die Grenze bringen lässt und dabei mit Täterwillen die Tatbestandsverwirklichung fördernde Beiträge leistet. Hat der Empfänger hingegen keinen Einfluss auf den Einfuhrvorgang und wartet er nur darauf, dass der Lieferant ihm die eingeführten Betäubungsmittel bringt, kann er sich zwar etwa wegen einer Bestellung des Rauschgifts wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln strafbar machen; die bloße Bereitschaft zur Entgegennahme der eingeführten Betäubungsmittel begründet aber weder die Stellung als Mittäter noch als Ge- hilfe der Einfuhr (Körner/Patzak/Volkmer, BtMG, 8. Aufl., § 29 Teil 5 Rn. 167 mwN).
- 5
- c) Nach diesen Maßstäben ist die Wertung, der Angeklagte sei als Mittäter der Einfuhr anzusehen, rechtsfehlerhaft.
- 6
- Der Angeklagte hatte zwar ein nicht unerhebliches Interesse an dem Erwerb der Betäubungsmittel sowie deren Transport nach Deutschland, da er diese teilweise mitverkaufen und teilweise selbst konsumieren wollte. Dies allein begründet seine (Mit-)Täterschaft an der Einfuhr der Drogen hier aber mit Blick auf den Umfang der Tatbeteiligung und die fehlende Tatherrschaft des Angeklagten nicht. Die Strafkammer hat keine Feststellungen dazu getroffen, dass der Angeklagte einen auch nur geringen Einfluss auf den konkreten Transport der Betäubungsmittel von den Niederlanden nach Deutschland hatte. Diesen Teil der Tat führte vielmehr allein die ebenfalls mit einem erheblichen Eigeninteresse handelnde Freundin des Angeklagten aus. Dieser beteiligte sich lediglich an der Planung des Einkaufs, unternahm einen bereits an der Grenze zu den Niederlanden endenden vergeblichen Versuch, das Rauschgift zu erwerben , informierte seine Freundin hierüber und half schließlich beim Weitertransport der sich bereits in Deutschland befindenden Betäubungsmittel. Beim Erwerb des Heroins, Amphetamins und der Streckmittel in den Niederlanden war der Angeklagte ebenso wenig zugegen wie bei der sich anschließenden Rückfahrt seiner Freundin, die mit dem erworbenen Rauschgift trotz ihres Zustands selbstständig bis auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland gelangte.
- 7
- Die Sache bedarf daher insoweit neuer tatgerichtlicher Verhandlung und Entscheidung. Es ist nicht auszuschließen, dass in einer neuen Hauptverhandlung weitere, über die bisherigen Feststellungen hinausgehende Umstände festgestellt werden können, welche die Annahme rechtfertigen, der Angeklagte habe sich an der Einfuhr als (Mit-)Täter, Anstifter oder Gehilfe beteiligt.
- 8
- d) Die Aufhebung des Schuldspruchs wegen Einfuhr von Betäubungsmitteln bedingt auch die Aufhebung des - für sich genommen rechtsfehlerfreien - Schuldspruchs wegen tateinheitlich verwirklichten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie der Gesamtstrafe. Um dem neuen Tatgericht widerspruchsfreie Feststellungen zu ermöglichen, sieht der Senat davon ab, die insoweit bislang getroffenen Feststellungen auch nur teilweise bestehen zu lassen.
- 9
- 2. Die Entscheidung, von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abzusehen, hat ebenfalls keinen Bestand.
- 10
- a) Die sachverständig beratene Strafkammer hat einen Hang des seit seiner Jugend Betäubungsmittel konsumierenden Angeklagten im Sinne des § 64 Satz 1 StGB bejaht, jedoch eine hinreichend konkrete Erfolgsaussicht einer Maßnahme nach § 64 Satz 2 StGB verneint. Zur Begründung hat sie ausgeführt , der Angeklagte habe in der Hauptverhandlung mitgeteilt, er könne sich eine Maßnahme nach § 35 BtMG vorstellen, sei jedoch zu einer Maßnahme nach § 64 StGB nicht bereit.
- 11
- Dies trägt das Absehen von der Unterbringungsanordnung nicht. Die Unterbringung nach § 64 StGB geht der Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG vor (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschluss vom 11. Juli 2013 - 3 StR 193/13 mwN); ein "Wahlrecht" des Angeklagten besteht insoweit nicht.
- 12
- Über die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt muss deshalb - unter erneuter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 StPO) - neu verhandelt und entschieden werden. Dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5). Der Beschwerdeführer hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 - 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362).
- 13
- b) Der aufgezeigte Rechtsfehler lässt den Schuldspruch in den Fällen II. 2. und 3. der Urteilsgründe unberührt. Es ist auch auszuschließen, dass das Landgericht in diesen Fällen bei Anordnung der Unterbringung mildere Einzelstrafen verhängt hätte.
BUNDESGERICHTSHOF
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 8. Juni 2016 beschlossen:
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „gewerbsmäßigen Betruges in Tateinheit mit gewerbsmäßiger Urkundenfälschung“ in 86 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Die gegen den Strafausspruch des Urteils gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachbeschwerde Erfolg.
- 2
- 1. Die Strafzumessung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
- 3
- a) Das Landgericht ist im Ergebnis mit Recht von einem gewerbsmäßigen Handeln des Angeklagten ausgegangen (§ 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, § 267 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 StGB). Trotz Vorliegens des Regelbeispiels hätte es indessen hier prüfen müssen, ob von der Indizwirkung abzugehen und der Normalstrafrahmen zugrunde zu legen ist (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 11. Dezember 2008 – 5 StR 536/08, StV 2009, 244, 245; Schäfer/Sander/van Gemmeren, Praxis der Strafzumessung, 5. Aufl., Rn. 1143 mwN). Im Hinblick auf gewichtige Strafmilderungsgründe (insbesondere umfassendes, von Reue auch gegenüber seinen Mittätern geprägtes Geständnis, Begehung zur Finanzierung einer Drogen - und Spielsucht, Stabilisierung der Lebensverhältnisse nach Therapie, Drogenfreiheit seit mehreren Monaten, vergleichsweise langer Zeitraum zwischen Taten und Urteil) hätte die Verneinung der Indizwirkung nämlich nicht fern gelegen. Die deswegen angezeigte Gesamtwürdigung hat das Landgericht nicht vorgenommen. Der Senat kann nicht ausschließen, dass es bei zutreffendem Vorgehen unter Anwendung des Normalstrafrahmens zu geringeren Einzelfreiheitsstrafen gelangt wäre.
- 4
- b) Die Aufhebung der Einzelfreiheitsstrafen entzieht dem Ausspruch über die Gesamtstrafe die Grundlage. Insoweit ist ergänzend auf Folgendes hinzuweisen :
- 5
- Nach den landgerichtlichen Feststellungen wurde der Angeklagte mit Urteil des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 21. November 2013 zu einer (wohl: Gesamt-)Freiheitsstrafe von neun Monaten und mit Urteil des Amtsgerichts Pirna vom 18. Dezember 2013 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Mit Beschluss vom 20. April 2015 bildete das Amtsgericht Pirna aus diesen Strafen eine nachträgliche Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren. Die Ausführungen des Landgerichts zum Haftverlauf und zu den Therapiebemühungen des Angeklagten (UA S. 5 f.) sprechen dafür, dass die Gesamtfreiheitsstrafe im Zeitpunkt der Verurteilung noch nicht erledigt war. Weil der Angeklagte alle verfahrensgegenständlichen und auch die mit den genannten Urteilen abgeurteilten Straftaten vor dem 21. November 2013 begangen hat, weswegen das Urteil von diesem Tag nicht etwa eine Zäsurwirkung entfaltet (vgl. BGH, Beschluss vom 16. März 2016 – 5 StR 78/16 mwN; missverständlich Fischer, StGB, 63. Aufl., § 55 Rn. 11), hätte das Landgericht gegebe- nenfalls prüfen müssen, ob – unter Auflösung der Gesamtstrafe aus dem Beschluss des Amtsgerichts Pirna vom 20. April 2015 – aus den mit diesen Urteilen verhängten (Einzel-)Strafen und den Einzelfreiheitsstrafen für die verfahrensgegenständlichen Taten gemäß § 55 StGB eine nachträgliche Gesamtstrafe zu bilden ist. Dies wird das neue Tatgericht nachzuholen haben, wobei insoweit der Vollstreckungsstand im Zeitpunkt des Erlasses des Ersturteils maßgebend ist (st. Rspr., vgl. etwa BGH, aaO Rn. 3 mwN).
- 6
- Da lediglich Wertungsfehler vorliegen, können die zugehörigen Feststellungen aufrechterhalten werden. Das Landgericht kann weitere Feststellungen treffen, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen.
- 7
- 2. Der Angeklagte hat die Revision nachträglich auf den Strafausspruch beschränkt, weswegen der Rechtsfolgenausspruch insoweit in Rechtskraft erwachsen ist, als das Landgericht ohne erkennbare Prüfung von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 Satz 1 StGB) abgesehen hat. Daher musste der Senat auch nicht der Frage nachgehen, ob – wofür viel spricht – die hier erfolgte Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG entgegen bindender Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. z.B. BGH, Beschluss vom 11. Juli 2013 – 3 StR 193/13 mwN) eine Anordnung der Unterbringung im Rahmen der Sollregelung des § 64 Satz 1 StGB entbehrlich machen kann (vgl. Basdorf/Schneider/König in Festschrift Rissingvan Saan, 2011, S. 59, 61 f. mwN).
Berger Bellay
(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.
(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.
(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.