Bundesgerichtshof Beschluss, 28. Aug. 2012 - 3 StR 304/12
Gericht
BUNDESGERICHTSHOF
2. Auf die Revision des Beschuldigten wird das vorbezeichnete Urteil mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die hiergegen gerichtete Revision des Beschuldigten hat Erfolg. Das Urteil hält sachlichrechtlicher Nachprüfung nicht stand, so dass es auf die Verfahrensrügen nicht ankommt.
- 2
- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts erkrankte der Beschuldigte erstmals im Jahr 2003 an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose und wurde in den Folgejahren mehrfach sowohl stationär als auch ambulant behandelt, wobei die Klinikaufenthalte auf freiwilliger Basis, auf Unterbringungsbeschlüssen nach dem Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten des Landes Nordrhein-Westfalen sowie auf amtsgerichtlich genehmigten Anordnungen des Betreuers beruhten.
- 3
- Während eines Klinikaufenthalts im Sommer 2011 schlug der Beschuldigte einem Mitpatienten ohne Anlass ins Gesicht. An einem anderen Tag versuchte er, einem Pfleger ins Gesicht zu schlagen. Als dieser ihn zu Boden brachte, schlug er ihm in den Nieren-Beckenbereich. In beiden Fällen erlitten die Geschlagenen Schmerzen.
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- 2. Die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt: "Die Strafkammer hat die für eine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus vorausgesetzte negative Gefährlichkeitsprognose nicht rechtsfehlerfrei durchgeführt. Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, die eine außerordentlich beschwerende Maßnahme darstellt, darf nur angeordnet werden, wenn eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades besteht, dass der Täter infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist (st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 17. Februar 2009 - 3 StR 27/09, NStZ-RR 2009, 169 mwN). Die Erwartung erheblicher rechtswidriger Taten wird von den Feststellungen nicht getragen. Dies erfordert nicht, dass die Anlasstaten selbst erheblich sind; die zu erwartenden Taten müssen aber schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen und daher zumindest dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sein (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202). Dabei sind zu erwartende Gewalt- und Aggressionsdelikte zwar regelmäßig zu den erheblichen Taten zu rechnen (BGH aaO; BGH, Beschluss vom 25.04.2012 - 4 StR 81/12 mwN). Zumindest die Anlasstat Nr. 1 bewegt sich mit einer einfachen Ohrfeige schon an der Grenze der Erheblichkeit im Sinne des § 223 StGB (BGH, Urteil vom 7. März 1990 - 2 StR 615/89, NJW 1990, 3156, 3157). Der als erheblichere Straftat anzusehende erfolgreiche Schlag gegen einen Krankenpfleger (Anlasstat Nr. 2) erfolgte erst, als dieser den Beschuldigten zu Boden brachte, also in einer für den Beschuldigten subjektiv bedrohlichen Situation (UA S. 7). Hinzu kommt, dass solche Verhaltensweisen innerhalb einer Einrichtung gegenüber dem Pflegepersonal nicht ohne weiteres denjenigen Handlungen gleichzusetzen sind, die ein Täter außerhalb einer Betreuungseinrichtung begeht (BGH, Beschluss vom 22. Februar 2011 - 4 StR 635/10, NStZ-RR 2011, 202; Beschluss vom 25.04.2012 - 4 StR 81/12). Auf dieser Grundlage vermag allein die Gefahr , dass der Beschuldigte künftig den Anlasstaten gleich gelagerte Straftaten begehen wird, die Maßregelanordnung nicht zu begründen. Denn damit ist die vom Gesetz vorausgesetzte bestimmte Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer erheblicher rechtswidriger Taten nicht hinreichend belegt. Der Beschuldigte ist vor den Anlasstaten nicht mit Gewalt- oder Aggressionsdelikten strafrechtlich in Erscheinung getreten , obwohl die Erkrankung seit 2003 besteht (UA S. 3). Aggressive Verhaltensweisen sind erst nach der stationären Aufnahme auf der geschützten allgemeinen psychiatrischen Station des A. Krankenhauses , dem Tatort der Anlasstaten, im November 2010 und der anschließenden zivilrechtlichen Unterbringung in dieser Einrichtung seit Januar 2011 aufgetreten, was einen Zusammenhang zwischen den Gewalttaten und der Unterbringung nahe legt. Auch die weiteren aggressiven Auffälligkeiten, zu denen es neben den festgestellten Taten durch den Beschuldigten gekommen ist (UA S. 5 f.), sind auf unterbringungsspezifische Situationen zurückzuführen, nämlich hinsichtlich des Übergriffs auf eine Passantin auf eine Fehlreaktion des Klinikpersonals (UA S. 6) und des Richters am Amtsgericht W. auf eine Anhörung im Betreuungsverfahren (UA S. 5), nachdem der Beschuldigte bereits untergebracht war. Anlässlich des letztgenannten Vorfalls ließ der Beschuldigte sich offensichtlich wieder beruhigen und wurde nicht tätlich. Ansonsten ist der Beschuldigte zuvor nie in strafrechtlich relevanter Weise aufgefallen."
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- Dem schließt sich der Senat an. Über die Unterbringung muss deshalb erneut verhandelt und entschieden werden. Es ist denkbar, dass in einer neuen Verhandlung weitergehende Feststellungen - auch zu den übrigen Tätlichkeiten des Beschuldigten, die das Landgericht als eine "zunehmende Eskalation der fremdaggressiven Impulsdurchbrüche gegenüber Mitarbeitern und Mitpatienten" umschrieben hat - getroffen werden können, und sich daraus eine Gesamtbeurteilung der Gefährlichkeit des Beschuldigten ergibt, die eine Unterbringung rechtfertigt. Um insoweit einheitliche Feststellungen zu ermöglichen, hebt der Senat auch die Feststellungen zu den Anlasstaten auf.
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- 3. Der neue Tatrichter wird Gelegenheit haben, widerspruchsfrei darzulegen , worauf die angenommene Schuldunfähigkeit des Beschuldigten beruht. Dies ist bislang nicht geschehen. Auf eine Erörterung, ob fehlende Einsicht oder fehlende Steuerungsfähigkeit die Schuldunfähigkeit begründet haben, kann nicht verzichtet werden. Der Schuldausschluss kann grundsätzlich nicht auf beide Alternativen des § 20 StGB gestützt werden. Die Frage der Steuerungsfähigkeit ist erst dann zu prüfen, wenn der Täter das Unrecht der Tat eingesehen hat oder einsehen konnte (BGH, Beschluss vom 9. September1986 - 4 StR 570/86, BGHR StGB § 63 Schuldunfähigkeit 1). Psychische Störungen, bei denen sowohl die Einsichts- als auch die Steuerungsfähigkeit aufgehoben sind, stellen die Ausnahme dar (vgl. BGH, Urteil vom 18. Januar 2006 - 2 StR 394/05, NStZ-RR 2006, 167).
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War jemand ohne Verschulden verhindert, eine Frist einzuhalten, so ist ihm auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Die Versäumung einer Rechtsmittelfrist ist als unverschuldet anzusehen, wenn die Belehrung nach den § 35a Satz 1 und 2, § 319 Abs. 2 Satz 3 oder nach § 346 Abs. 2 Satz 3 unterblieben ist.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.