Bundesgerichtshof Beschluss, 14. Juni 2017 - 3 StR 135/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:140617B3STR135.17.0
bei uns veröffentlicht am14.06.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 135/17
vom
14. Juni 2017
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:140617B3STR135.17.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 14. Juni 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO einstimmig beschlossen :
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 5. Dezember 2016 im Schuldspruch dahin geändert , dass der Angeklagte der gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung, schuldig ist. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen. 3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen, unter Einbeziehung der Strafe aus einer Vorverurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Änderung des Schuldspruchs im Fall II.1. der Urteilsgründe. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
I. Entgegen der Wertung des Landgerichts hat sich der Angeklagte im Fall II.1. der Urteilsgründe nicht der Nötigung in zwei tateinheitlichen Fällen schuldig gemacht.
3
1. Nach den dazu getroffenen Feststellungen verlangte der Angeklagte grundlos von dem Zeugen P. Schadensersatz. Als dieser die Zahlung verweigerte , griff der Angeklagte den Zeugen P. an, brachte ihn zu Boden und versetzte ihm mindestens zwei wuchtige Schläge mit seiner eingegipsten Hand in das Gesicht. Sodann forderte er den Zeugen P. auf, 150 € zu zahlen, ihm darüber einen Schuldschein auszustellen und ihm bis zur Zahlung sein Fahrrad als Pfandgegenstand zu überlassen. Um der Forderung Nachdruck zu verleihen , drohte er dem Zeugen P. zudem an, er werde ihn anderenfalls in den Wald bringen und dort töten. Unter dem Eindruck der Schläge und der Drohung unterzeichnete der Zeuge P. einen Schuldschein über 150 € und übergab sein Fahrrad dem Angeklagten.
4
2. Das Landgericht hat die Schläge mit der eingegipsten Hand (vgl. dazu Schleswig Holsteinisches OLG, Urteil vom 27. Januar 1977 – 2 Ss 785/76, SchlHA 78, 185) als eine gefährliche Körperverletzung (§ 223 Abs. 1, § 224 Abs. 1 Nr. 2 Var. 2 StGB) gewertet und angenommen, dass der Angeklagte durch dieselbe Handlung in zwei Fällen den Tatbestand der Nötigung verwirkt habe, indem er den Zeugen P. zur Aushändigung des Fahrrades und zum Ausstellen des Schuldscheins veranlasste.
5
3. Die Annahme tateinheitlicher Nötigung in zwei Fällen ist rechtsfehlerhaft.
6
Werden durch dieselbe Nötigungshandlung verschiedene Verhaltensweisen des Tatopfers erzwungen, so liegt nur eine Tat vor (BGH, Beschluss vom 23. Februar 2010 – 1 StR 652/09, juris Rdn. 8; Fischer, StGB 64. Aufl., § 240 Rdn. 63 m.w.N.).
7
So lag es hier: Die Schläge des Angeklagten dienten ebenso wie seine Drohung im Rahmen eines einheitlichen Lebensvorganges kumulativ der Erzeugung einer Zwangslage des Opfers (vgl. MüKoStGB/Sinn, 2. Aufl., § 240 Rdn. 27). Die Nötigungsmittel bildeten daher eine tatbestandliche Handlungseinheit , durch die der Angeklagte das Opfer zu zwei Handlungen veranlasst hat. Mithin liegt nur eine einzige, allerdings quantitativ gesteigerte Gesetzesverletzung , aber keine tateinheitliche zweifache Nötigung vor (vgl. MüKoStGB/ Heintschel/Heinegg, 3. Aufl., § 52 Rn. 34 mwN).
8
Daher hat sich der Angeklagte im Fall II.1. der Urteilsgründe nur wegen Nötigung schuldig gemacht, die tateinheitlich mit der gefährlichen Körperverletzung zusammentrifft. Der Senat ändert den Schuldspruch entsprechend ab.
9
II. Es ist auszuschließen, dass sich der Rechtsfehler auf die Strafzumessung ausgewirkt hat, da das Landgericht auch bei zutreffender Würdigung strafschärfend hätte berücksichtigen dürfen, dass der Angeklagte dem Zeugen P. zwei Handlungen abnötigte.
Becker Schäfer Gericke
Tiemann Hoch

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 652/09
vom
23. Februar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer sexueller Nötigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Februar 2010 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 24. Juli 2009
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass im Fall II 3.2 der Urteilsgründe die Verurteilung wegen Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung entfällt
b) im Einzelstrafausspruch im Fall II 3.1 der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafenausspruch hinsichtlich der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Tübingen vom 20. Oktober 2008 und Auflösung der dort gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe zu der Gesamtfrei- heitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Es hat ihn weiter wegen schwerer sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen zweier Fälle der Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Sein Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

II.

2
Der Schuldspruch im Fall II 3.2 der Urteilsgründe hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
3
1. Zu den Fällen II 3.1 und II 3.2 der Urteilsgründe hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
4
Am frühen Morgen des 25. Dezember 2008 schüttete der Angeklagte in einer Diskothek KO-Tropfen in das Getränk der ihm bis dahin unbekannten P., um deren Widerstandskraft zu schwächen und dann gegen deren erkennbaren Willen sexuelle Handlungen an ihr vorzunehmen. Es gelang ihm mehrfach mit der Hand in die Hose des Opfers zu gelangen und an dessen Scheide und Gesäß zu manipulieren, um sich sexuell zu erregen. Nach dem Verlassen der Diskothek rief der Angeklagte ein Taxi und ließ sich zusammen mit dem Opfer in der Nähe seiner Wohnung absetzen. Infolge der Wirkung der KO-Tropfen fiel P. zu Boden, wobei sie sich eine Schürfwunde an der Hand sowie eine Prellung an der Hüfte zuzog. Der Angeklagte hob sie auf, lehnte sie gegen eine Hauswand und küsste sie mehrfach, wobei er ihre eingeschränkte Widerstandsfähigkeit, wie von ihm durch die Gabe der KO-Tropfen beabsichtigt, ausnutzte.
5
2. Das Landgericht hat den Vorfall in der Diskothek (II 3.1 der Urteilsgründe ) rechtsfehlerfrei als schwere sexuelle Nötigung (§ 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB; in Betracht gekommen wäre weiter § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB - vgl. hierzu BGH, Beschl. vom 21. April 2009 - 4 StR 531/08) gewertet. In dem Geschehen an der Hauswand hat das Landgericht eine selbständige Tat der Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gesehen.
6
3. Die Verurteilung im Fall II 3.2 der Urteilsgründe hat zu entfallen.
7
Zutreffend weist der Generalbundesanwalt darauf hin, dass außerhalb der Diskothek keine weitere (gefährliche) Körperverletzung begangen wurde. Der Sturz des Opfers mit den entsprechenden Verletzungen war Folge der Beibringung der KO-Tropfen, beruhte aber nicht auf einer neuen Handlung des Angeklagten.
8
Soweit der Angeklagte das Opfer gegen dessen Willen küsste, scheidet die Annahme von Tatmehrheit zu Fall II 3.1 aus, da dieser Tatbestand (§ 240 StGB) durch eine einheitliche Gewaltanwendung (KO-Tropfen) verwirklicht wurde , so dass eine einheitliche Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB vorliegt (vgl. u.a. BGH bei Janßen NStZ-RR 1998, 325; NStZ 2000, 419, 420). Diese einheitliche fortwirkende Gewaltanwendung hat zur Folge, dass es sich bei den erzwungenen Handlungen um eine schwere sexuelle Nötigung handelt.
9
Während die Einzelstrafe im Fall II 3.2 der Urteilsgründe (ein Jahr Freiheitsstrafe ) durch die Aufhebung des Schuldspruchs ohne Weiteres in Wegfall kommt, hat der Senat auch die im Fall II 3.1 der Urteilsgründe verhängte Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die ohne den Angeklagten belastenden Rechtsfehler festgesetzt wurde, aufgehoben. Dem Tatrichter soll dadurch ermöglicht werden , dem nunmehr höheren Schuldgehalt dieser Tat Rechnung zu tragen. Denn die im Fall II 3.2 der Urteilsgründe festgestellten, vom Angeklagten verursachten , weiteren Folgen der Tat (Verletzungen des Opfers) und die weitere Tatbegehung (erzwungene Küsse) dürfen im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung finden. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die für II 3. der Urteilsgründe neu zu bemessende Freiheitsstrafe die Summe der beiden aufgehobenen Einzelstrafen nicht überschreiten darf (vgl. BGH, Beschl. vom 13. Januar 2010 - 4 StR 562/09). Die Aufhebung dieser Einzelstrafen zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten nach sich. Die weiteren Einzelstrafen und die Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten sind von dem Rechtsfehler jedoch nicht betroffen und können bestehen bleiben.
10
Einer Aufhebung der zugehörigen Feststellungen bedarf es ebenfalls nicht, da diese rechtsfehlerfrei getroffen sind. Ergänzende Feststellungen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen, bleiben zulässig. Nack Wahl Rothfuß Hebenstreit Elf