Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Feb. 2010 - 1 StR 652/09

published on 23/02/2010 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Feb. 2010 - 1 StR 652/09
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 652/09
vom
23. Februar 2010
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer sexueller Nötigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Februar 2010 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 24. Juli 2009
a) im Schuldspruch dahin geändert, dass im Fall II 3.2 der Urteilsgründe die Verurteilung wegen Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung entfällt
b) im Einzelstrafausspruch im Fall II 3.1 der Urteilsgründe sowie im Gesamtstrafenausspruch hinsichtlich der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schwerer sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Tübingen vom 20. Oktober 2008 und Auflösung der dort gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe zu der Gesamtfrei- heitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten verurteilt. Es hat ihn weiter wegen schwerer sexueller Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen zweier Fälle der Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Sein Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

II.

2
Der Schuldspruch im Fall II 3.2 der Urteilsgründe hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
3
1. Zu den Fällen II 3.1 und II 3.2 der Urteilsgründe hat das Landgericht im Wesentlichen folgende Feststellungen getroffen:
4
Am frühen Morgen des 25. Dezember 2008 schüttete der Angeklagte in einer Diskothek KO-Tropfen in das Getränk der ihm bis dahin unbekannten P., um deren Widerstandskraft zu schwächen und dann gegen deren erkennbaren Willen sexuelle Handlungen an ihr vorzunehmen. Es gelang ihm mehrfach mit der Hand in die Hose des Opfers zu gelangen und an dessen Scheide und Gesäß zu manipulieren, um sich sexuell zu erregen. Nach dem Verlassen der Diskothek rief der Angeklagte ein Taxi und ließ sich zusammen mit dem Opfer in der Nähe seiner Wohnung absetzen. Infolge der Wirkung der KO-Tropfen fiel P. zu Boden, wobei sie sich eine Schürfwunde an der Hand sowie eine Prellung an der Hüfte zuzog. Der Angeklagte hob sie auf, lehnte sie gegen eine Hauswand und küsste sie mehrfach, wobei er ihre eingeschränkte Widerstandsfähigkeit, wie von ihm durch die Gabe der KO-Tropfen beabsichtigt, ausnutzte.
5
2. Das Landgericht hat den Vorfall in der Diskothek (II 3.1 der Urteilsgründe ) rechtsfehlerfrei als schwere sexuelle Nötigung (§ 177 Abs. 3 Nr. 2 StGB) in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (§ 224 Abs. 1 Nr. 1 StGB; in Betracht gekommen wäre weiter § 224 Abs. 1 Nr. 3 StGB - vgl. hierzu BGH, Beschl. vom 21. April 2009 - 4 StR 531/08) gewertet. In dem Geschehen an der Hauswand hat das Landgericht eine selbständige Tat der Nötigung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gesehen.
6
3. Die Verurteilung im Fall II 3.2 der Urteilsgründe hat zu entfallen.
7
Zutreffend weist der Generalbundesanwalt darauf hin, dass außerhalb der Diskothek keine weitere (gefährliche) Körperverletzung begangen wurde. Der Sturz des Opfers mit den entsprechenden Verletzungen war Folge der Beibringung der KO-Tropfen, beruhte aber nicht auf einer neuen Handlung des Angeklagten.
8
Soweit der Angeklagte das Opfer gegen dessen Willen küsste, scheidet die Annahme von Tatmehrheit zu Fall II 3.1 aus, da dieser Tatbestand (§ 240 StGB) durch eine einheitliche Gewaltanwendung (KO-Tropfen) verwirklicht wurde , so dass eine einheitliche Handlung im Sinne des § 52 Abs. 1 StGB vorliegt (vgl. u.a. BGH bei Janßen NStZ-RR 1998, 325; NStZ 2000, 419, 420). Diese einheitliche fortwirkende Gewaltanwendung hat zur Folge, dass es sich bei den erzwungenen Handlungen um eine schwere sexuelle Nötigung handelt.
9
Während die Einzelstrafe im Fall II 3.2 der Urteilsgründe (ein Jahr Freiheitsstrafe ) durch die Aufhebung des Schuldspruchs ohne Weiteres in Wegfall kommt, hat der Senat auch die im Fall II 3.1 der Urteilsgründe verhängte Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die ohne den Angeklagten belastenden Rechtsfehler festgesetzt wurde, aufgehoben. Dem Tatrichter soll dadurch ermöglicht werden , dem nunmehr höheren Schuldgehalt dieser Tat Rechnung zu tragen. Denn die im Fall II 3.2 der Urteilsgründe festgestellten, vom Angeklagten verursachten , weiteren Folgen der Tat (Verletzungen des Opfers) und die weitere Tatbegehung (erzwungene Küsse) dürfen im Rahmen der Strafzumessung Berücksichtigung finden. Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass die für II 3. der Urteilsgründe neu zu bemessende Freiheitsstrafe die Summe der beiden aufgehobenen Einzelstrafen nicht überschreiten darf (vgl. BGH, Beschl. vom 13. Januar 2010 - 4 StR 562/09). Die Aufhebung dieser Einzelstrafen zieht die Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten nach sich. Die weiteren Einzelstrafen und die Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten sind von dem Rechtsfehler jedoch nicht betroffen und können bestehen bleiben.
10
Einer Aufhebung der zugehörigen Feststellungen bedarf es ebenfalls nicht, da diese rechtsfehlerfrei getroffen sind. Ergänzende Feststellungen, die zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehen, bleiben zulässig. Nack Wahl Rothfuß Hebenstreit Elf
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei

(1) Wer die Körperverletzung 1. durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,2. mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,3. mittels eines hinterlistigen Überfalls,4. mit einem anderen Beteiligten gemeins

(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt. (2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie d
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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

(1) Wer die Körperverletzung

1.
durch Beibringung von Gift oder anderen gesundheitsschädlichen Stoffen,
2.
mittels einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs,
3.
mittels eines hinterlistigen Überfalls,
4.
mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich oder
5.
mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung
begeht, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Der Versuch ist strafbar.

(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter

1.
eine Schwangere zum Schwangerschaftsabbruch nötigt oder
2.
seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger mißbraucht.

(1) Verletzt dieselbe Handlung mehrere Strafgesetze oder dasselbe Strafgesetz mehrmals, so wird nur auf eine Strafe erkannt.

(2) Sind mehrere Strafgesetze verletzt, so wird die Strafe nach dem Gesetz bestimmt, das die schwerste Strafe androht. Sie darf nicht milder sein, als die anderen anwendbaren Gesetze es zulassen.

(3) Geldstrafe kann das Gericht unter den Voraussetzungen des § 41 neben Freiheitsstrafe gesondert verhängen.

(4) Auf Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Absatz 1 Nummer 8) muss oder kann erkannt werden, wenn eines der anwendbaren Gesetze dies vorschreibt oder zulässt.