Bundesgerichtshof Beschluss, 22. März 2017 - 2 StR 595/16
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts - zu den Ziffern 1. d) und 3. auf dessen Antrag - und des Beschwerdeführers am 22. März 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
a) in den Fällen A. II. 1-19 der Urteilsgründe,
b) im Strafausspruch im Fall A. II. 20 der Urteilsgründe,
c) im Gesamtstrafenausspruch und
d) hinsichtlich der Anordnung von Vorwegvollzug von Freiheitsstrafe ; die Anordnung entfällt. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen „unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 19 Fällen sowie wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Waffen in einem Fall“ zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet sowie bestimmt, dass sechs Monate der „Freiheitsstrafe“ vor der Unterbringung zu vollstrecken sind. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat in dem aus dem Beschlusstenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Nach den Feststellungen des Landgerichts kaufte der Angeklagte im Zeitraum zwischen Ende Oktober 2015 und Ende März 2016 etwa „alle zwei Wochen, mindestens in 20 Fällen, zunächst - in zehn Fällen - jeweils 50 Gramm Heroin, später - in neun weiteren Fällen - jeweils mindestens 70 Gramm“ (Fälle A. II. 1 bis 19 der Urteilsgründe) und schließlich - in einem weiteren Fall - 150 Gramm Heroin, um dieses jeweils gewinnbringend weiter zu verkaufen (Fall A. II. 20 der Urteilsgründe). Von der Betäubungsmittelmenge aus dem letzten Fall konnten im Rahmen einer Durchsuchung seiner Wohnung noch 65,93 Gramm Heroin im Wohnzimmer sichergestellt werden. Im selben Raum lagen zudem - was der Angeklagte wusste - in einer Schublade eines TV-Schrankes ein Springmesser und Pfefferspray neben dem Bargeld, das er durch die Betäubungsmittelverkäufe eingenommen hatte.
- 3
- 2. Die Verurteilung wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in den Fällen A. II. 1 bis 19 der Urteilsgründe wird von den Feststellungen nicht getragen, weil die Darstellung des strafbaren Verhaltens widersprüchlich ist und deshalb unklar bleibt, welche Tatsachen das Gericht aufgrund der Hauptverhandlung für erwiesen hält und welchen Sachverhalt es seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt hat (vgl. Senat, Beschluss vom 5. Dezember 2008 - 2 StR 424/08, und BGH, Beschluss vom 31. Januar 2017 - 4 StR 597/16).
- 4
- Das Landgericht hat angenommen, dass der Angeklagte 19 Taten in einem Zeitraum von ungefähr 21 Wochen beging. Gleichzeitig hat es ausgeführt, dass der Angeklagte „etwa alle zwei Wochen“ (UA S. 9),bzw. „in Abständen von ca. 2 Wochen“ (UA S. 12) die Betäubungsmittel erwarb. Dies ist nicht mitei- nander zu vereinbaren.
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- 3. Im Fall A. II. 20 der Urteilsgründe tragen hingegen die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen den Schuldspruch wegen bewaffneten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Allerdings begegnet der Strafausspruch rechtlichen Bedenken, denn insoweit erweist sich die Beweiswürdigung zum Umfang der gehandelten über der im Rahmen der Durchsuchung sichergestellten Menge von 65,93 Gramm Heroin hinausgehenden Menge und damit zum Schuldumfang als durchgreifend rechtsfehlerhaft.
- 6
- Das Landgericht hat seine Feststellungen bezüglich der Ankaufsmenge von 150 Gramm Heroin allein auf die „geständige Einlassung des Angeklagten" gestützt. Die Beweiswürdigung erschöpft sich damit in einem einzigen Satz (vgl. dazu Senat, Beschluss vom 3. März 2016 - 2 StR 360/15, NStZ 2016, 489), der hier den Besonderheiten des Falles nicht genügt.
- 7
- Die aus dem Schuldprinzip folgende Verpflichtung der Strafgerichte, von Amts wegen den wahren Sachverhalt zu erforschen (vgl. BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 - 2 BvR 2628/10 u.a., NJW 2013, 1058, 1060), gilt auch dann, wenn sich der Angeklagte geständig gezeigt hat (vgl. nur Senat, Beschlüsse vom 5. November 2013 - 2 StR 265/13, NStZ 2014, 170 und vom 24. September 2013 - 2 StR 267/13, BGHSt 59, 21, 27 f.). Die Urteilsgründe lassen nicht erkennen, dass die Strafkammer das Geständnis des Angeklagten einer inhaltlichen Überprüfung unterzogen hat. Das wäre indes hier angezeigt, weil die Ankaufsmenge von 150 Gramm gegenüber denjenigen in den anderen 19 Fällen des Handeltreibens mit Betäubungsmitteln um etwa das Dreifache höher liegt. Damit setzt sich das Urteil im Rahmen der Beweiswürdigung nicht ausreichend auseinander. Die neu zur Entscheidung berufene Strafkammer wird insoweit ergänzende Feststellungen zu treffen haben.
- 8
- 4. Mit der Aufhebung sämtlicher Einzelstrafen entfällt auch der Gesamtstrafenausspruch. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB ist hingegen rechtsfehlerfrei und kann bestehen bleiben; die Anordnung von Vorwegvollzug hat indes aus den in der Zuschrift des Generalbundesanwalts zutreffend angeführten Gründen zu entfallen. Appl Krehl Eschelbach Zeng Bartel
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.