Bundesgerichtshof Beschluss, 06. Juni 2017 - 2 StR 536/16

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:060617B2STR536.16.0
06.06.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 536/16
vom
6. Juni 2017
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen besonders schweren Raubes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:060617B2STR536.16.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung der Beschwerdeführer am 6. Juni 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revisionen der Angeklagten D. und I. wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 6. Juni 2016
a) in den Gesamtstrafenaussprüchen sowie
b) im Adhäsionsausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten I. wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer weiteren Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwölf Jahren verurteilt, zugleich die Sicherungsverwahrung angeordnet und ihn im Übrigen freigesprochen. Den Angeklagten D. hat die Strafkammer ebenfalls wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung einer weiteren Strafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Zudem hat es eine den Angeklagten D. betreffende Adhäsionsentscheidung getroffen. Die auf die Verletzung sachlichen Rechts gestützten Rechtsmittel haben in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen sind sie offensichtlich unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Die jeweiligen Schuldsprüche sowie die verhängten Einzelstrafen und die Anordnung der Sicherungsverwahrung sind frei von Rechtsfehlern. Hingegen begegnet der Gesamtstrafenausspruch hinsichtlich beider Angeklagter durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
3
Das Landgericht hat wegen des abgeurteilten Tatvorwurfs gegen den Angeklagten I. eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und gegen den Angeklagten D. eine solche von sieben Jahren verhängt. Bei beiden Angeklagten hat es Strafen aus Vorverurteilungen zur Gesamtstrafenbildung herangezogen , beim Angeklagten I. eine Freiheitsstrafe von acht Jahren und sechs Monaten und beim Angeklagten D. eine solche von drei Jahren undsechs Monaten. Bei der Gesamtstrafenbildung hat die Strafkammer zwar den vom jeweiligen Vorderrichter angestellten Strafzumessungsgesichtspunkten „ausschlaggebende Bedeutung“ zugemessen, hat es aber versäumt, diese in den Urteilsgründen darzulegen (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Februar 2011 – 4 StR 658/10). Damit ist es dem Senat nicht möglich, die getroffenen Gesamtstrafenentscheidungen auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Dies führt – auch eingedenk des beschränkten Prüfungsmaßstabs bei der Überprüfung von Strafzumessungsentscheidungen – zur Aufhebung der Gesamtstrafenaussprüche.
4
2. Auch die Adhäsionsentscheidung hat keinen Bestand. Der Adhäsionsantrag ist nicht rechtzeitig nach § 404 Abs. 1 Satz 1 StPO gestellt worden, was von Amts wegen zu beachten ist. Der Generalbundesanwalt hat hierzu zutreffend ausgeführt:
5
„Mit Schriftsatz vom 15. Februar 2016 hat der Vertreter der Nebenkläge- rin Adhäsionsanträge gegen die Angeklagten gestellt und zugleich unter seiner Beiordnung Prozesskostenhilfe zur Durchführung eines Adhäsionsverfahrens beantragt (Bd. XI, Bl. 370 d.A.). Die Anträge sind den Verteidigern der Angeklagten am 19. Februar 2016 zugestellt worden (Bd. XI, Bl. 93 d.A.). In der Hauptverhandlung vom 25. März 2015 erklärte der Nebenklägervertreter jedoch , dass die Adhäsionsanträge nur bedingt für den Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt seien (PB Bl. 25). Nachdem der Nebenklägerin mit Beschluss des Landgerichts vom 1. März 2016 Prozesskostenhilfe bewilligt wurde (Bd. XI, Bl. 104), erfolgte bis zum Beginn der Schlussvorträge keine weitere Antragstellung. Wird aber ein Adhäsionsantrag unter der Bedingung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe gestellt, so ist nach erfolgter Bewilligung noch eine Antragstellung gemäß § 404 Abs. 1 StPO erforderlich. Denn das Prozesskostenhilfeverfahren führt weder zur Rechtshängigkeit der Anträge noch macht es die Fristenregelung des § 404 Abs. 1 Satz 1 StPO gegenstandslos (BGH, Beschluss vom 23. Juli 2015 – 3 StR 194/15).“
6
Dies führt zur Aufhebung der Adhäsionsentscheidung und – da auch hinsichtlich der Gesamtstrafenaussprüche zurückzuverweisen ist – auch hinsichtlich des zivilrechtlichen Teils des Urteils zur Zurückverweisung an das Landgericht (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 2011 – 3 StR 255/11). Krehl Eschelbach Zeng Bartel Grube

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafprozeßordnung - StPO | § 404 Antrag; Prozesskostenhilfe


(1) Der Antrag, durch den der Anspruch geltend gemacht wird, kann schriftlich oder mündlich zu Protokoll des Urkundsbeamten, in der Hauptverhandlung auch mündlich bis zum Beginn der Schlußvorträge gestellt werden. Er muß den Gegenstand und Grund des

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 658/10
vom
8. Februar 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Anstiftung zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 8. Februar 2011 gemäß § 349 Abs.
2 und Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 19. August 2010 im Gesamtstrafenausspruch mit der Maßgabe aufgehoben, dass eine nachträgliche gerichtliche Entscheidung über die Gesamtstrafe nach den §§ 460, 462 StPO zu treffen ist.
2. Die weiter gehende Revision des Angeklagten gegen das vorbezeichnete Urteil wird verworfen.
3. Der Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter anderem wegen Anstiftung zur Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einem Urteil des Amtsgerichts Neunkirchen vom 13. November 2009 und eines Strafbefehls dieses Gerichts vom 9. Dezember 2009 und Aufhebung des Gesamtstrafenbeschlusses vom 23. April 2010 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklag- ten hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Ausspruch über die Gesamtstrafe hat keinen Bestand, weil das Landgericht bezüglich der nach § 55 Abs. 1 StGB einbezogenen Strafen weder die Tatzeiten noch die wesentlichen Zumessungserwägungen mitteilt (vgl. zu den zwingenden Anforderungen an die Urteilsgründe bei Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe: Fischer, StGB, 58. Aufl., § 55 Rn. 17, 34). Der Senat kann daher - auch wenn dies nahe liegen mag - insbesondere nicht überprüfen, ob das Urteil und der Strafbefehl des Amtsgerichts Neunkirchen untereinander gesamtstrafenfähig sind. Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe.
3
Der Senat macht von der Möglichkeit des § 354 Abs. 1b StPO Gebrauch, die Entscheidung über den Gesamtstrafenausspruch dem Nachverfahren nach den §§ 460, 462 StPO zuzuweisen.
4
Die Kostenentscheidung kann der Senat selbst treffen, weil sicher anzunehmen ist, dass das Rechtsmittel des Angeklagten allenfalls einen geringen Teilerfolg haben wird. Eine teilweise Freistellung von der Kosten- und Auslagenlast ist daher nicht gerechtfertigt (§ 473 Abs. 4 StPO).
Ernemann Solin-Stojanović Cierniak
Franke Mutzbauer

(1) Der Antrag, durch den der Anspruch geltend gemacht wird, kann schriftlich oder mündlich zu Protokoll des Urkundsbeamten, in der Hauptverhandlung auch mündlich bis zum Beginn der Schlußvorträge gestellt werden. Er muß den Gegenstand und Grund des Anspruchs bestimmt bezeichnen und soll die Beweismittel enthalten. Ist der Antrag außerhalb der Hauptverhandlung gestellt, so wird er dem Beschuldigten zugestellt.

(2) Die Antragstellung hat dieselben Wirkungen wie die Erhebung der Klage im bürgerlichen Rechtsstreit. Sie treten mit Eingang des Antrages bei Gericht ein.

(3) Ist der Antrag vor Beginn der Hauptverhandlung gestellt, so wird der Antragsteller von Ort und Zeit der Hauptverhandlung benachrichtigt. Der Antragsteller, sein gesetzlicher Vertreter und der Ehegatte oder Lebenspartner des Antragsberechtigten können an der Hauptverhandlung teilnehmen.

(4) Der Antrag kann bis zur Verkündung des Urteils zurückgenommen werden.

(5) Dem Antragsteller und dem Angeschuldigten ist auf Antrag Prozeßkostenhilfe nach denselben Vorschriften wie in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zu bewilligen, sobald die Klage erhoben ist. § 121 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung gilt mit der Maßgabe, daß dem Angeschuldigten, der einen Verteidiger hat, dieser beigeordnet werden soll; dem Antragsteller, der sich im Hauptverfahren des Beistandes eines Rechtsanwalts bedient, soll dieser beigeordnet werden. Zuständig für die Entscheidung ist das mit der Sache befaßte Gericht; die Entscheidung ist nicht anfechtbar.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 S t R 1 9 4 / 1 5
vom
23. Juli 2015
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 23. Juli 2015 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Lüneburg vom 13. Januar 2015 im Adhäsionsausspruch aufgehoben; von einer Entscheidung im Adhäsionsverfahren wird abgesehen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Nebenkläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.
4. Die dem Beschwerdeführer im Adhäsionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt der Adhäsionskläger, die insoweit entstandenen gerichtlichen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt. Im Übrigen findet eine Auslagenerstattung nicht statt.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern, zur Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und ihn im Übrigen freigesprochen. Daneben hat es ihn verurteilt, an den Adhäsionskläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 4.000 € nebst Zinsen zu zahlen. Dagegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg, im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Verfahrensrüge ist nicht ausgeführt und deshalb unzulässig (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
3
2. Die auf die in allgemeiner Form erhobene Sachrüge durchgeführte umfassende Überprüfung des Urteils hat - wie der Generalbundesanwalt in seiner Zuschrift zutreffend dargelegt hat - zum Schuld- und Strafausspruch im Ergebnis keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Adhäsionsentscheidung hat hingegen keinen Bestand.
4
Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt: "Dem Adhäsionsausspruch liegt folgendes Verfahrensgeschehen zu Grunde: Mit Schriftsatz vom 2. Dezember 2014 (GA II, Bl. 156 ff.) beantragte die Vertreterin des Nebenklägers, diesem unter ihrer Beiordnung 'Prozesskostenhilfe zur Durchführung eines Adhäsionsverfahrens' zu bewilligen und stellte 'für den Fall der Bewilligung der Prozesskostenhilfe' Zahlungs- und Feststellungsanträge. (…) In der Sitzung vom 6. Januar 2015 gewährte das Landgericht dem Nebenkläger Prozesskostenhilfe 'nach Maßgabe der gestellten Anträge, aber für einen Schmerzensgeldbetrag von nur 4.000 Euro' und ordnete ihm seine Vertreterin für das Adhäsionsverfahren bei; außerdem gewährte es dem Angeklagten (…) 'Prozesskostenhilfe zur Rechtsverteidigung im Adhäsionsverfahren' (PB Bl. 15). Im Hauptverhandlungstermin vom 13. Januar 2015 beantragte die Vertreterin des Nebenklägers nach dem (wiederholten) Schlussvortrag des Vertreters der Staatsanwaltschaft in ihrem Schlussvortrag ein 'angemessenes Schmerzensgeld, Höhe im Ermessen des Gerichts' und (die Auferlegung der) 'Kosten des Adhäsionsantrages' (PB Bl. 18).
Gemäß § 404 Abs. 1 Satz 1 StPO war - was von Amts wegen festzustellen ist - die mündliche Antragstellung in der Hauptverhandlung vom 13. Januar 2015 verspätet, weil sie erst nach dem (wiederholten) Schlussvortrag des Vertreters der Staatsanwaltschaft erfolgt ist. Ein Adhäsionsantrag ist deshalb vor Beginn der Schlussvorträge zu stellen, weil (auch) der Vertreter der Staatsanwaltschaft Gelegenheit haben muss, zu Schadensersatzansprüchen Stellung zu nehmen (BGH NStZ 2009, 566 f.; NStZ-RR 2014, 90). Das Prozesskostenhilfeverfahren einschließlich der Bewilligung der Prozesskostenhilfe hat weder zur Rechtshängigkeit der Anträge aus dem Schriftsatz vom 2. Dezember 2014 geführt noch die Fristenregelung in § 404 Abs. 1 Satz 1 StPO gegenstandslos gemacht (BGH, Beschluss vom 9. August 1988 - 4 StR 342/88, BGHR StPO § 404 Abs. 1 Antragstellung 1; BGH, Beschluss vom 14. November 1989 - 5 StR 522/89, BGHR StPO § 405 Satz 2 Nichteignung 2; BGH, Beschluss vom 27. September 2007 - 4 StR 324/07; Zabeck in KK-StPO, 7. Aufl., § 404 Rn. 1, 3). Eine Zurückverweisung der Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung allein wegen ihres zivilrechtlichen Teils kommt nicht in Betracht; vielmehr ist nach § 406 Abs. 1 Satz 3 StPO insoweit von einer Entscheidung abzusehen (Senat, Beschluss vom 20. März 2014 - 3 StR 20/14)."
5
Dem stimmt der Senat zu.
6
Der geringfügige Erfolg der Revision lässt es nicht unbillig erscheinen, den Angeklagten mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten, § 473 Abs. 4 StPO. Die Entscheidung über die ausscheidbaren Auslagen für das Adhäsionsverfahren folgt aus § 472a Abs. 2 StPO.
Becker RiBGH Pfister und RiBGH Dr. Schäfer befinden sich im Urlaub und sind daher gehindert zu unterschreiben. Becker Gericke Spaniol

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 255/11
vom
27. September 2011
in der Strafsache
gegen
wegen sexueller Nötigung u.a.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers
und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 27. September
einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Wuppertal vom 18. Februar 2011 wird
a) das Verfahren eingestellt, soweit der Angeklagte in den Fällen II. 2. a) aa) Tat 1, II. 2. a) bb) Tat 3 und II. 2. b) bb) Tat 6 der Urteilsgründe jeweils wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern verurteilt worden ist; im Umfang der Einstellung fallen die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last,
b) das vorbezeichnete Urteil aa) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der sexuellen Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in vier Fällen schuldig ist, bb) im Gesamtstrafenausspruch und zur Adhäsionsentscheidung mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die verbleibenden Kosten des Rechtsmittels und die der Nebenklägerin dadurch entstan- denen notwendigen Auslagen, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Der Antrag auf Zulassung der Nebenklage für das Revisionsverfahren ist gegenstandslos.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und ihn im Übrigen vom weiteren Vorwurf der sexuellen Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in 67 Fällen freigesprochen. Es hat festgestellt, von der verhängten Freiheitsstrafe gälten zwei Monate als verbüßt. Außerdem hat es den Angeklagten im Adhäsionsverfahren zur Zahlung eines Schmerzensgeldes an die Nebenklägerin verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
2
1. Soweit das Landgericht den Angeklagten in den Fällen II. 2. a) aa) Tat 1, II. 2. a) bb) Tat 3 und II. 2. b) bb) Tat 6 der Urteilsgründe jeweils wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern verurteilt hat, fehlt es an der Verfahrensvoraussetzung einer Anklageerhebung und demzufolge auch an der eines Eröffnungsbeschlusses, so dass das Verfahren gemäß § 354 Abs. 1, § 206a Abs. 1 StPO einzustellen ist.
3
a) Mit der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen, 74 Fälle der sexuellen Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern zum Nachteil der im November 1980 geborenen Nebenklägerin betreffenden Anklageschrift vom 12. Dezember 2009 war dem Angeklagten unter anderem zur Last gelegt worden, in zwei Fällen zwischen Ende März 1990 und Ende Oktober 1992 die Nebenklägerin zu Zeiten, zu denen ihre Mutter verreist war, durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für ihr Leben aufgefordert zu haben, anlässlich ihrer Übernachtung im Bett der Eltern mit der Hand am Penis des Angeklagten zu manipulieren. Weiter war dem Angeklagten vorgeworfen worden, zwischen November 1992 und dem 23. November 1994 die Nebenklägerin mit Gewalt in das Badezimmer gezogen, die Tür verschlossen und sie, während sie vor ihm auf der Toilette gesessen habe, durch Ziehen an ihren Haaren dazu gezwungen zu haben, seinen Penis in den Mund zu nehmen.
4
b) Nach den Feststellungen des Landgerichts berührte der Angeklagte die Nebenklägerin an einem Abend in der ersten Jahreshälfte 1991 und an einem weiteren Abend zwischen Mitte 1991 und Oktober 1992 anlässlich ihrer Übernachtung im Ehebett im Intimbereich und führte einen Finger in ihre Scheide ein, während er sich dabei selbst befriedigte (Fälle II. 2. a) aa) Tat 1 und II. 2. a) bb) Tat 3 der Urteilsgründe). Weiter zog er sie zwischen Mitte 1993 und dem 23. November 1994 in einem Fall in das Badezimmer, schloss die Tür ab und veranlasste sie, ihn bis zur Ejakulation oral zu befriedigen, wobei er stand, während sie vor ihm knien musste (Fall II. 2. b) bb) Tat 6 der Urteilsgründe ). Eine Nachtragsanklage, die diese Begehungsweisen zum Gegenstand hatte, ist nicht erhoben worden.
5
c) Die auf diese Feststellungen gestützte Verurteilung des Angeklagten wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern in drei Fällen hat keinen Bestand; das Verfahren ist insoweit einzustellen. Das vom Landgericht festgestellte Geschehen weicht so deutlich von den in der Anklageschrift geschilderten geschichtlichen Vorgängen ab, dass es sich nicht mehr als eine von der Anklage bezeichnete Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO darstellt.
6
Zwar muss das Gericht seine Untersuchung auch auf Teile der Tat erstrecken , die erst in der Hauptverhandlung bekannt werden. Die angeklagte Tat im verfahrensrechtlichen Sinne ist erschöpfend abzuurteilen. Das Gericht ist dabei an die rechtliche Beurteilung, wie sie der Anklage und dem Eröffnungsbeschluss zugrunde liegt, nicht gebunden. Der verfahrensrechtliche Tatbegriff umfasst den von der zugelassenen Anklage betroffenen geschichtlichen Vorgang , innerhalb dessen der Angeklagte einen Straftatbestand verwirklicht haben soll; zu dieser Tat gehört deshalb das gesamte Verhalten, soweit es mit dem durch die Anklage bezeichneten geschichtlichen Vorkommnis nach der Auffassung des Lebens einen einheitlichen Vorgang darstellt (BGH, Beschluss vom 7. November 1995 - 4 StR 608/95, NStZ-RR 1996, 203 mwN). Bei der Untersuchung und Entscheidung muss aber die Identität der Tat gewahrt bleiben (BGH, Beschluss vom 10. November 2008 - 3 StR 433/08, NStZ-RR 2009, 146, 147). Dies ist nicht der Fall, wenn das Gericht Umstände feststellt, die von den die angeklagten Taten individualisierenden Tatmodalitäten in erheblicher Weise abweichen.
7
So liegt es hier. In den Fällen II. 2. a) aa) Tat 1, II. 2. a) bb) Tat 3 und II. 2. b) bb) Tat 6 der Urteilsgründe weichen die Feststellungen des Landge- richts hinsichtlich der Modalitäten der Tatbegehung so erheblich vom Anklagevorwurf ab, dass mit ihnen andere als die angeklagten Taten beschrieben sind.
8
Nach dem der Anklageerhebung zugrunde liegenden Ermittlungsergebnis war die Nebenklägerin über Jahre hinweg Opfer einer Vielzahl von sexuellen Übergriffen des Angeklagten, die in der Anklage nur hinsichtlich der Tatorte und der Begehungsweisen, aber nicht hinsichtlich der Tatzeit näher bestimmt werden konnten. Damit erlangte die Art und Weise der Tatverwirklichung maßgebliche Bedeutung für die Individualisierung der zum Gegenstand der Anklage und später des Eröffnungsbeschlusses gemachten Taten (BGH, Urteil vom 11. Januar 1994 - 5 StR 682/93, BGHSt 40, 44, 46). Das galt einmal für die Beschreibung zweier Taten im Ehebett mit einer Manipulation der Nebenklägerin am Penis des Angeklagten. Eine für die Individualisierung einer bestimmten Tat maßgebliche Charakterisierung der Begehungsform lag aber auch in dem Umstand , die Nebenklägerin habe während des Oralverkehrs im Badezimmer nicht - wie sonst üblich, wenn der Angeklagte nicht stattdessen auf ihr saß - vor dem Angeklagten gekniet, sondern auf der Toilette gesessen. Nur mittels der so gekennzeichneten Position der Nebenklägerin ließ sich die angeklagte Tat von anderen Übergriffen im Badezimmer unterscheiden.
9
Die Feststellung in den Fällen II. 2. a) aa) Tat 1 und II. 2. a) bb) Tat 3 der Urteilsgründe, der Angeklagte habe, statt die Nebenklägerin zu einer Manipulation an seinem Penis zu veranlassen, im Ehebett einen Finger in ihre Scheide gesteckt und sich dabei selbst befriedigt, beschreibt als wesentlich kennzeichnendes Merkmal nicht eine Handlung der Nebenklägerin am Angeklagten, sondern des Angeklagten an der Nebenklägerin und damit gegenüber der Anklage und dem Eröffnungsbeschluss eine andere prozessuale Tat. Gleiches gilt im Fall II. 2. b) bb) Tat 6 der Urteilsgründe, den das Landgericht in die Reihe der sonst gleichförmig anders verlaufenen und durch eine bestimmte andere Körperhaltung der Nebenklägerin - ihr Knien vor dem Angeklagten beim Oralverkehr - gekennzeichneten Fälle einordnete.
10
d) Die Einstellung des Verfahrens in den Fällen II. 2. a) aa) Tat 1, II. 2. a) bb) Tat 3 und II. 2. b) bb) Tat 6 der Urteilsgründe führt zur Änderung des Schuldspruchs und wegen des Wegfalls der insoweit verhängten Einzelstrafen zur Aufhebung der Gesamtstrafe nebst den zugrunde liegenden Feststellungen.
11
2. Weiter unterliegt der Adhäsionsausspruch schon deshalb und ohne materielle Prüfung des geltend gemachten Anspruchs der Aufhebung, weil ein den Anforderungen des § 404 Abs. 1 Satz 2 StPO entsprechender Antrag nicht gestellt ist. Er enthält keine hinreichenden Angaben zu den tatsächlichen Umständen , aus denen der geltend gemachte Anspruch hergeleitet wird. Dies ist auf die allgemeine Sachrüge im Revisionsverfahren zu beachten (BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2007 - 3 StR 426/07, StV 2008, 127 mwN). Da ein prozessordnungsgemäßer Antrag innerhalb der Frist des § 404 Abs. 1 Satz 1 StPO nach Aufhebung und Zurückverweisung noch nachgeholt werden kann, sieht der Senat von einer eigenen Entscheidung nach § 406 Abs. 1 Satz 3 StPO ab (BGH, Beschluss vom 11. Oktober 2007 - 3 StR 426/07, StV 2008,

127).


12
3. Der neue Tatrichter wird bei seiner Entscheidung zu berücksichtigen haben, dass das Urteil die Anklage nicht erschöpft, weil über zwei Fälle der sexuellen Nötigung in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Kindern zwischen März 1990 und Oktober 1992 im Zusammenhang mit Übernachtungen der Nebenklägerin im Ehebett (Manipulationen der Nebenklägerin am Penis des Angeklagten ) und über einen weiteren, durch das Sitzen der Nebenklägerin auf der Toilette gekennzeichneten Fall ab dem 1. November 1992 im Badezimmer eine Entscheidung weder im Sinne einer Verurteilung noch im Sinne eines Freispruchs getroffen ist. Weil es an einer Sachentscheidung fehlt, erfasst das Rechtsmittel des Angeklagten, das sich nur gegen das ergangene Urteil richten kann, diese Taten nicht. Dem Senat ist es verwehrt, insoweit eine Entscheidung zu treffen (BGH, Beschluss vom 25. Juni 1993 - 3 StR 304/93, BGHR StPO § 260 Urteilsspruch 1); diese wird vielmehr der neue Tatrichter nachzuholen haben.
13
4. Der Antrag der Nebenklägerin, die Nebenklage für das Revisionsverfahren zuzulassen, ist gegenstandslos. Die Nebenklägerin hat ihren Beitritt zum Verfahren mit Schriftsatz vom 15. Januar 2010 eindeutig erklärt, die Anschlusserklärung ist mit ihrem Eingang bei Gericht am 18. Januar 2010 wirksam geworden. Das Landgericht hat mit Beschluss vom 11. Februar 2010 die Berechtigung zum Anschluss als Nebenklägerin im Sinne der § 395 Abs. 1 Nr. 1, § 396 Abs. 2 Satz 1 StPO festgestellt. Diese Feststellung wirkt bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens fort und erstreckt sich somit auch auf die Revisionsinstanz (BGH, Beschluss vom 27. Januar 2009 - 3 StR 592/08, NStZ-RR 2009,

253).


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