Bundesgerichtshof Beschluss, 12. März 2014 - 2 StR 436/13

bei uns veröffentlicht am12.03.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR436/13
vom
12. März 2014
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schweren Raubes u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 12. März 2014 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bonn vom 23. Mai 2013
a) im Schuldspruch dahingehend klargestellt, dass der Angeklagte des besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig ist,
b) im Strafausspruch und, soweit von der Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jah- ren und sechs Monaten verurteilt. Seine auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision führt zu einer Klarstellung des Schuldspruchs und führt zu dem aus dem Tenor ersichtlichen Erfolg. Im Übrigen ist sie offensichtlich unbegründet.
2
1. Die Überprüfung des Schuldspruchs deckt Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten nicht auf. Er ist allerdings - entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts - klarzustellen, weil die in den Urteilsgründen zutreffend angenommene Verwirklichung von § 250 Abs. 2 Nr. 1 StGB in dem landgerichtlichen Tenor keinen Ausdruck findet.
3
2. Der Rechtsfolgenausspruch hält dagegen rechtlicher Überprüfung nicht stand.
4
Das Landgericht hat von einer Unterbringung des betäubungsmittelabhängigen Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB allein deshalb abgesehen, weil der Angeklagte über keine oder jedenfalls nicht ausreichende Deutschkenntnisse verfüge, wegen der deshalb erforderlichen Kommunikation mit dem Dolmetscher ein unmittelbarer Kontakt des Therapeuten mit dem Untergebrachten nicht möglich und deshalb eine „erfolgreiche Therapie bereits im Ansatz zum Scheitern verurteilt“ sei. Dies ist rechtsfehlerhaft.
5
Auch nach der Umgestaltung des § 64 StGB zur Sollvorschrift mit der Gesetzesnovelle vom 16. Juli 2007 (BGBl. I 1327) sollte es im Grundsatz dabei verbleiben, dass die Sprachunkundigkeit eines Ausländers nicht ohne Weiteres allein ein Grund für einen Verzicht auf seine Unterbringung sein kann (vgl. Bericht und Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/5137, S. 10). Zwar muss nicht gegen jeden Sprachunkundigen, insbesondere wenn eine therapeutisch sinnvolle Kommunikation mit ihm schwer möglich sein wird, eine Unterbringung nach § 64 StGB angeordnet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 2008 - 5 StR 472/08, NStZ 2009, 204). Der Tatrichter hat insoweit aber eine Ermessensentscheidung zu treffen, die für das Revisionsgericht nachprüfbar sein muss.
6
Mangels ausreichender Feststellungen ist hier dem Senat die Überprüfung der landgerichtlichen Entscheidung nicht möglich. Es fehlt an konkreten Feststellungen zu den Sprachkenntnissen des Angeklagten, der sich immerhin seit Juli 2012 in Deutschland aufhält und in Berlin einer Tätigkeit auf einer Baustelle nachgegangen ist. Ob die Sprachkenntnisse für eine direkte Kommunikation mit dem Therapeuten ausreichen oder nicht, lässt sich ohne jegliches Wissen um das Sprachvermögen des Angeklagten nicht einschätzen. Zudem wäre bei dem von der Strafkammer auszuübenden Ermessen zu berücksichtigen gewesen, dass in der Zeit des Vorwegvollzuges der Strafe der Erwerb von weiterreichenden Sprachkenntnissen zumindest möglich gewesen wäre; insoweit wäre zu erwägen gewesen, ob jedenfalls bei Beginn der Unterbringung der Angeklagte über die notwendigen Sprachkenntnisse verfügen könnte.
7
Die rechtsfehlerhafte Ablehnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt führt zur Aufhebung des Urteils auch im Strafausspruch. Es ist nicht auszuschließen, dass die angesichts gewichtiger Strafmilderungsgründe recht hoch bemessene Freiheitsstrafe niedriger ausgefallen wäre, hätte die Strafkammer die Unterbringung des Angeklagten in der Entziehungsanstalt angeordnet. Mit der gesamten Aufhebung des Rechtsfolgenaus- spruchs wird zudem eine sachgerechte Abstimmung von Strafe und Maßregel ermöglicht (BGH, Beschluss vom 7. November 2012 - 2 StR 201/12).
Fischer Schmitt Krehl
Eschelbach Zeng

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Strafgesetzbuch - StGB | § 250 Schwerer Raub


(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn 1. der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub a) eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,b) sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Wider

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn

1.
der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub
a)
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
b)
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden,
c)
eine andere Person durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
2.
der Täter den Raub als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds begeht.

(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet,
2.
in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 eine Waffe bei sich führt oder
3.
eine andere Person
a)
bei der Tat körperlich schwer mißhandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

5 StR 472/08

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 28. Oktober 2008
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u. a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 28. Oktober 2008

beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 22. Mai 2008 wird nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
G r ü n d e
1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Betrug, mit gefährlicher Körperverletzung und mit Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine hiergegen gerichtete Revision ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Der Generalbundesanwalt hat beantragt, die Sache an das Landgericht zurück zu verweisen, um über die Verhängung einer Maßregel nach § 64 StGB neu zu befinden. Diesem Antrag folgt der Senat nicht.
3
1. Der Angeklagte, ein Algerier, gegen den – allerdings unter befristeter Duldung – eine bestandskräftige Ausweisungsverfügung besteht, hat nach den Feststellungen des Landgerichts betrügerisch von einem Kokainhändler mindestens 200 g Kokain erlangt und sich später durch Sprühen mit Reizgas und mit Gewalt im Besitz des Rauschgifts gehalten. Bei der gesamten Tatausführung stand er – so die Urteilsgründe – unter dem Einfluss von Kokain. Das Landgericht hat in seiner Entscheidung die Frage einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB nicht erörtert.
4
2. Dies nötigt bei der hier vorliegenden Sachverhaltskonstellation nicht zu einer Aufhebung des Urteils in diesem Punkt.
5
a) Schon das Vorliegen der Voraussetzungen des § 64 StGB ist zweifelhaft. Das Landgericht geht zwar rechtsfehlerfrei davon aus, dass bei dem Angeklagten ein übermäßiger Rauschmittelkonsum gegeben ist, weil er seit zwei Jahren regelmäßig Kokain konsumiert. Gleichwohl hat die Tat damit nicht zwingend einen symptomatischen Bezug zu dem Betäubungsmittelabusus des Angeklagten, wie das Landgericht im Rahmen der Strafzumessung zugunsten des Angeklagten unterstellt hat. Diese Tat, mag sie auch unter Kokaineinfluss begangen worden sein, lässt sich in ihrer Größenordnung und in der uneingeschränkte Leistungsfähigkeit offenbarenden Raffinesse der Tatausführung nicht ohne weiteres als Beschaffungsdelikt charakterisieren, das auf die Befriedigung seiner Sucht zielte. Insoweit steht das Betäubungsmitteldelikt weniger in einer inneren Beziehung zur Sucht, sondern ist vielmehr Mittel zur Erlangung erheblicher wirtschaftlicher Werte. Ein im Sinne des § 64 StGB erforderlicher symptomatischer Zusammenhang zwischen Betäubungsmittelabhängigkeit und Tat kann nämlich auch bei Betäubungsmittelstraftaten fehlen, wenn sie allein der Finanzierung des allgemeinen Lebensbedarfs (und damit mittelbar auch des Betäubungsmittelkonsums) dienen (vgl. BGHR StGB § 64 Hang 2, Zusammenhang symptomatischer 2). Dies liegt bei der abgeurteilten Tat zumindest nicht fern.
6
b) Das Landgericht hätte aber angesichts der Besonderheiten in der Person des Angeklagten von einer Anordnung nach § 64 StGB absehen dürfen. Durch die Gesetzesnovelle vom 16. Juli 2007 (BGBl I 1327) wurde die ursprünglich zwingend vorgeschriebene Rechtsfolge der Unterbringung in eine Soll-Vorschrift umgestaltet. Die gesetzliche Neuregelung räumt dem Tatrichter die Möglichkeit ein, von einer Unterbringung nach § 64 StGB in Ausnahmefällen abzusehen. Nach der Regierungsbegründung zum Gesetzesentwurf sollte nämlich gerade bei ausreisepflichtigen Ausländern die Möglichkeit eröffnet werden, von einer Unterbringung nach § 64 StGB Abstand zu nehmen (BT-Drucks 16/5137 S. 10). Dies gilt insbesondere dann, wenn noch erhebliche sprachliche Verständigungsprobleme hinzukommen und auch eine Erfolg versprechende Therapie schon aufgrund der unzulänglichen Kommunikationsgrundlage mit den Therapeuten kaum vorstellbar wäre (BT-Drucks aaO).
7
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor. Allerdings weist der Generalbundesanwalt zutreffend darauf hin, dass die Entscheidung über die Anwendung des § 64 StGB im (eingeschränkten) Ermessen des Tatrichters steht, der seine Ermessensentscheidung für das Revisionsgericht nachprüfbar darstellen muss. Das landgerichtliche Urteil, das § 64 StGB gänzlich unerörtert gelassen hat, entspricht diesen Vorgaben nicht. Der Senat sieht aber bei der hier gegebenen besonderen Sachverhaltskonstellation davon ab, die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen, weil eine andere Entscheidung in der Sache praktisch ausgeschlossen erscheint. Im Übrigen hat der Angeklagte die Nichtanwendung des § 64 StGB nicht ausdrücklich beanstandet.
8
3. Ungeachtet des Aufhebungsantrags des Generalbundesanwalts hinsichtlich der Nichtverhängung der Maßregel nach § 64 StGB kann der Senat nach § 349 Abs. 2 StPO durch Beschluss entscheiden und die Revision insgesamt verwerfen (vgl. BGH, Beschluss vom 17. September 2008 – 5 StR 423/08). Eine Anordnung der Maßregel würde nämlich nicht allein zu Gunsten des Angeklagten wirken (BGHR StPO § 349 Abs. 2 Verwerfung 3).
Basdorf Raum Brause Schaal Dölp

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 201/12
vom
7. November 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Raubes u. a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 7. November 2012
gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21. November 2011 im Strafausspruch und soweit eine Entscheidung zur Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist, mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung früher verhängter Einzelstrafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Zum Schuldspruch hat die Überprüfung des Urteils aus den Gründen der Zuschrift des Generalbundesanwalts keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
3
2. Das Urteil kann jedoch keinen Bestand haben, soweit eine Entscheidung zur Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist. Der Generalbundesanwalt hat dazu ausgeführt: "Ein durchgreifender Rechtsfehler liegt indes darin, dass sich das Landgericht nicht mit der Frage auseinandergesetzt hat, ob bei dem Angeklagten eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB neben der Freiheitsstrafe anzuordnen war. Die von der Strafkammer festgestellten Umstände zur Drogenabhängigkeit des Angeklagten und zu Entzugserscheinungen nach dessen Inhaftierung (UA S. 3) legen einen "Hang" des Angeklagten zum Missbrauch von Betäubungsmitteln im Sinne des § 64 StGB jedenfalls nahe. Da der Angeklagte mit seinem Beuteanteil Drogen zum Eigenkonsum erworben hat, ist zudem der gemäß § 64 StGB erforderliche Symptomwert der abgeurteilten Tat für den Hang des Angeklagten, Drogen im Übermaß zu sich zu nehmen, nicht von der Hand zu weisen. Den Gründen des angefochtenen Urteils lässt sich nicht eindeutig entnehmen, ob die weiteren Voraussetzungen des § 64 StGB (Gefährlichkeitsprognose, Erfolgsaussicht) erfüllt sind. Aufgrund der seit 2009 bestehenden Drogenabhängigkeit und der Schwere der Anlasstat erscheint aber die Gefahr suchtbedingter und erheblicher weiterer Straftaten jedenfalls nicht von vorneherein ausgeschlossen. Da der Angeklagte selbst seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anstrebt, dürfte zudem eine konkrete Erfolgsaussicht bestehen. Das angefochtene Urteil ist im Maßregelausspruch aufzuheben, weil letztlich nicht auszuschließen ist, dass der neue Tatrichter bei Vorliegen der Voraussetzungen von der Soll-Bestimmung des § 64 StGB im Sinne des Angeklagten Gebrauch macht (siehe Fischer StGB 59. Auflage § 64 Rn 22) und die Maßregel anordnet. Einer etwaigen Nachholung der Unterbringung steht nicht entgegen , dass ausschließlich der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO). Die unterlassene Prüfung der Voraussetzungen des § 64 StGB führt zur Aufhebung des Urteils auch im Ausspruch über die Einzelstrafe in Bezug auf die verfahrensgegenständliche Tat und im Ausspruch über die Gesamtstrafe. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Einzelstrafe niedriger ausgefallen wäre, hätte die Strafkammer die Voraussetzungen des § 64 StGB bejaht und die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Auf diese Weise wird zudem eine sachgerechte Abstimmung von Strafe und Maßregel ermöglicht (BGH Beschluss vom 12. April 2012 - 5 StR 87/12)."
4
Dem schließt sich der Senat an.
Becker Appl Schmitt Berger Eschelbach