Bundesgerichtshof Beschluss, 27. Mai 2014 - 2 StR 428/13

bei uns veröffentlicht am27.05.2014

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 428/13
vom
27. Mai 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 27. Mai 2014 gemäß
§ 349 Abs. 2 StPO beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Gießen vom 2. Mai 2013 wird als unbegründet verworfen.
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die den Nebenklägern im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:


I.

1
1. Der Angeklagte war durch ein erstes Urteil des Landgerichts Limburg (Lahn) vom 11. August 2010 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Auf die Revision des Angeklagten hatte der Senat mit Beschluss vom 6. April 2011 – 2 StR 73/11 (StV 2011, 709) dieses Urteil mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2
2. Mit einem zweiten Urteil vom 29. November 2011 war der Angeklagte durch das Landgericht Limburg (Lahn) erneut wegen (Heimtücke-)Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Nach den Feststellungen dieses Urteils war die Ehe des griechisch-stämmigen Angeklagten und seiner griechischen Frau T. seit Jahren durch Streitigkeiten und Aus- einandersetzungen belastet. Diese beschimpfte den Angeklagten des Öfteren, ohrfeigte ihn und warf mit Gegenständen nach ihm. Der Angeklagte wurde dabei zu keinem Zeitpunkt selbst körperlich aggressiv, sondern nahm die verbalen und körperlichen Attacken stets duldend hin, allenfalls schrie er gelegentlich zurück. Während eines gemeinsamen Urlaubs in B. C. mit dem Ziel, die Beziehung zu überdenken, kam es am 16. Mai 2009 erneut zu einem heftigen Streit. Im Verlauf des Streits erklärte T. dem Angeklagten, sie habe einen neuen Partner und werde ihn – den Angeklagten – verlassen. Schließlich ohrfeigte sie den Angeklagten und wandte ihm sodann den Rücken zu. Der Angeklagte erkannte, dass auch der gemeinsame Urlaub keine Versöhnung mit seiner Ehefrau gebracht hatte, und fasste den Entschluss, seine kräftige und durchsetzungsstarke Ehefrau mit einem Angriff von hinten zu töten. In Umsetzung dieses Plans legte der Angeklagte seiner Ehefrau den zuvor von seiner Hose gezogenen Gürtel um den Hals und erdrosselte sie.
3
Der Senat hatte dieses zweite Urteil mit Beschluss vom 7. August 2012 – 2 StR 218/12 (NStZ 2013, 31) auf die mit der Sachrüge begründete Revision des Angeklagten aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Gießen zurückverwiesen , weil das Landgericht die Voraussetzungen eines schuldrelevanten Affektes nur unzureichend geprüft hatte und nicht auszuschließen war, dass bei fehlerfreier Prüfung das Mordmerkmal der Heimtücke entfallen und lediglich eine Verurteilung wegen Totschlags in Betracht gekommen wäre.
4
3. Das Landgericht Gießen hat den Angeklagten nunmehr wegen Mordes zu elf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt und hiervon auf Grund einer unangemes- senen Verfahrensverzögerung ein Jahr als „verbüßt“ angesehen. Dabeihat es den Senatsbeschluss vom 7. August 2012 dahin ausgelegt, dass die Feststel- lungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten, während diejenigen zur inneren Tatseite aufgehoben worden seien. Zum äußeren Tatgeschehen hat das Landgericht ergänzend festgestellt, dass der Angeklagte dem Opfer nach dessen Ohrfeige einen Faustschlag ins Gesicht versetzt hatte. Gleichwohl hat das Landgericht das Mordmerkmal der Heimtücke als erfüllt angesehen. Eine erhebliche verminderte Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) hat es verneint, allerdings in Anwendung der sogenannten Rechtsfolgenlösung (BGHSt 30, 105) eine Strafrahmenverschiebung nach § 49 Abs. 1 StGB vorgenommen.
5
Die gegen dieses Urteil gerichtete, auf Verfahrensbeanstandungen und die näher ausgeführte Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten ist unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

II.

6
1. Die Verfahrensrügen bleiben aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts ohne Erfolg.
7
2. Auch die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Sachrüge hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben. Der Erörterung bedarf nur folgendes:
8
a) Zutreffend ist das Landgericht bei der Auslegung des Senatsbeschlusses vom 7. August 2012 von der Rechtsprechung des erkennenden Senats ausgegangen, wonach die Feststellungen, soweit sie nicht durch einen gesonderten Ausspruch aufgehoben werden, bestehen bleiben (vgl. Beschluss vom 28. März 2007 – 2 StR 62/07, NJW 2007, 1540, 1541; vgl. auch Senat, Beschluss vom 25. Juni 2008 – 2 StR 176/08, NStZ-RR 2008, 342; BGH, Beschluss vom 12. Februar 2014 – 1 StR 10/14). An dieser Rechtsprechung, für die sich auch Hinweise in den Gesetzgebungsmaterialien finden (vgl. Hahn, Die Gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, Band 3, Materialien zur Strafprozessordnung, 2. Aufl., S. 258), hält der Senat weiterhin fest. Im vorliegenden Einzelfall ist gleichwohl nicht zu beanstanden, dass das Landgericht von einer Aufhebung der Feststellungen zur inneren Tatseite ausgegangen ist. Denn die Gründe des Senatsbeschlusses vom 7. August 2012 lassen erkennen , dass kein bloßer Würdigungsfehler vorlag, bei dem die Feststellungen regelmäßig bestehen bleiben können; vielmehr waren durch die fehlerhafte Prüfung der verminderten Schuldfähigkeit erkennbar auch die Feststellungen zur inneren Tatseite betroffen (§ 353 Abs. 2 StPO).
9
b) Ob die vom Landgericht ergänzend getroffenen Feststellungen zum Faustschlag des Angeklagten in das Gesicht des Opfers vor der Tat den aufrechterhaltenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen widersprechen, wonach der Angeklagte in der Vergangenheit seine Ehefrau nie geschlagen oder in anderer Weise körperlich angegriffen hat, kann dahinstehen. Denn das Urteil würde auf diesem Verstoß gegen die innerprozessuale Bindungswirkung (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 30. November 2005 – 5 StR 344/05, NStZ-RR 2006, 317, 318 mwN) jedenfalls nicht beruhen.
10
aa) Der Schuldspruch wegen Mordes wäre durch den Rechtsfehler nicht gefährdet. Die Feststellungen belegen – auch ohne Berücksichtigung des neu festgestellten Faustschlags – die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer heimtückischen Begehungsweise, die ohnehin näher liegt, wenn der in seinen kognitiven Fähigkeiten nicht beeinträchtigte Angeklagte (vgl. UA S. 31, 53) seine Ehefrau ohne vorangegangenen Faustschlag von hinten erdrosselt hätte.
11
bb) Auch der Strafausspruch würde auf diesem Rechtsfehler nicht beruhen. Den Ausführungen der sachverständig beratenen Strafkammer ist ohne Weiteres zu entnehmen, dass die affektive Erregung des Angeklagten auch ohne Berücksichtigung des vorherigen Faustschlags kein für § 21 StGB relevantes Ausmaß erreicht hat (UA S. 31 f., 40 f.). Soweit das Landgericht im Übrigen strafschärfend berücksichtigt hat, dass der Angeklagte das Opfer vor der Tat durch einen Faustschlag verletzt hat (UA S. 56), ist im Ergebnis nicht zu besorgen, dass sich dies zu Lasten des Angeklagten ausgewirkt haben könnte. Denn das Landgericht hat unter Verkennung des Ausnahmecharakters der Rechtsfolgenlösung (vgl. hierzu nur BGH, Urteil vom 10. Mai 2005 – 1 StR 30/05, BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 7 mwN) rechtsfehlerhaft von der Verhängung der an sich verwirklichten lebenslangen Freiheitsstrafe abgesehen , so dass ein Beruhen des Urteils auf der möglicherweise fehlerhaften Berücksichtigung dieses Umstandes ausgeschlossen werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 25. November 2003 – 3 StR 318/03). Fischer Appl Schmitt Krehl Ott

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Strafgesetzbuch - StGB | § 49 Besondere gesetzliche Milderungsgründe


(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes: 1. An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.2. Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf hö

Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


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Strafgesetzbuch - StGB | § 211 Mord


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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 73/11
vom
6. April 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 6. April 2011 gemäß § 349 Abs. 4
StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Limburg (Lahn) - Schwurgerichtskammer - vom 11. August 2010 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Seine auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg.
2
1. Die Strafkammer hat den gegen den Sachverständigen Dr. M. gerichteten Befangenheitsantrag der Nebenklage zu Unrecht für begründet erachtet.
3
a) Dem liegt folgender Verfahrensgang zugrunde:
4
Am 9. Hauptverhandlungstag erstattete der Sachverständige ein nervenärztliches Gutachten über den Angeklagten. Nach Erstattung des Gutachtens lehnte der Vertreter der Nebenklägerin D. T. den Sachverständigen wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Dieser habe seine Einschätzung, bei dem Angeklagten liege eine Anpassungsstörung vor, die nicht ausschließbar im Tatzeitpunkt zu einer kurz anhaltenden, sich auf den eigentlichen Tatablauf beschränkenden und danach sogleich abklingenden tief greifenden Bewusstseinsstörung geführt habe, mit einer in der Vergangenheit durchgeführten psychiatrischen , mit der Einnahme von Medikamenten einhergehenden Behandlung begründet. Dabei hätten die von dem Sachverständigen angeführten Diagnosen und Medikamente nicht in Einklang gestanden mit den hierzu bisher vorliegenden Erkenntnissen. Auf diesbezügliche Nachfrage des Gerichts habe der Sachverständige angegeben, diese Angaben (zu den Medikamenten) habe er außerhalb der Hauptverhandlung vom Verteidiger des Angeklagten erfahren. Die Zugrundelegung von Angaben der Verteidigung, die allein außerhalb der Hauptverhandlung allein gegenüber dem Sachverständigen gemacht worden seien und die weder dem Gericht noch den übrigen Prozessbeteiligten bekannt gewesen seien, begründe die Besorgnis der Befangenheit.
5
Das Landgericht hielt den Befangenheitsantrag für begründet und beauftragte einen anderen Sachverständigen mit der Erstattung eines Gutachtens, der nach teilweiser Wiederholung der Hauptverhandlung zu einem anderen Ergebnis als der abgelehnte Vorgutachter gelangte. Die Strafkammer war der Ansicht , erhebliche Fehler des Sachverständigen im Vorgehen, mit denen er sich über wesentliche Grundsätze des Strafverfahrens hinweggesetzt habe, rechtfertigten die Besorgnis mangelnder Unparteilichkeit. Der Gutachter habe in seinem mündlichen Gutachten die Diagnose einer Anpassungsstörung unter anderem damit begründet, der Angeklagte sei anlässlich ärztlicher Behandlung in der Vergangenheit mit mehreren, nach Art und Dosierung näher bezeichneten Medikamenten versorgt worden. Die referierte medikamentöse Behandlung habe er als gesicherte ärztliche Erkenntnis behandelt. Auf Vorhalt, dass die berichte- te Medikation über die vom Verteidiger zu den Akten gereichten und verlesenen ärztlichen Bescheinigungen hinausgingen, habe er offen gelegt, dass sich seine Angaben nicht aus ärztlichen Bescheinigungen ergäben, sondern auf mündlichen Angaben des Verteidigers in einer Verhandlungspause beruhten. Zwar unterliege die Einholung von Auskünften der Vorbereitung des Gutachtens; die Besorgnis der Befangenheit folge aber daraus, dass der Sachverständige seine Quelle nicht offen gelegt habe. Es sei für die Nebenkläger nicht erkennbar gewesen , dass der Gutachter Angaben des Verteidigers ungeprüft zugrunde gelegt habe. Die mangelnde Offenlegung und die Behandlung als wahr seien erhebliche Fehler im Vorgehen der Begutachtung. Diese würden aus verständiger Sicht der Nebenkläger durch den dem Sachverständigen bekannten Prozessverlauf verstärkt. Der Angeklagte habe in Anwesenheit des Sachverständigen lediglich der Verlesung eingereichter ärztlicher Atteste zugestimmt und im Übrigen keine Entbindung von Verschwiegenheitspflichten erklärt. Deshalb habe es sich aufgedrängt, weitergehende mündliche Angaben des Verteidigers zu darüber hinausgehender Medikation als solche offen zu legen. Die dadurch begründete Besorgnis der Befangenheit bestehe fort, auch wenn der Sachverständige im Nachhinein angegeben habe, di e Angaben des Verteidigers hätten letztlich eine untergeordnete Bedeutung gehabt und sein Gutachten nicht maßgeblich geprägt.
6
b) Die Revision beanstandet zu Recht, dass das Landgericht das Ablehnungsgesuch als begründet angesehen hat.
7
Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 StPO kann ein Sachverständiger aus denselben Gründen abgelehnt werden, die zur Ablehnung eines Richters berechtigen. Danach ist der Rechtsbegriff der Besorgnis der Befangenheit beim Sachverständigen nicht anders auszulegen als beim Richter. Demgemäß muss der Antragsteller vernünftige Gründe für sein Ablehnungsbegehren vorbringen, die jedem unbeteiligten Dritten einleuchten. Anders als bei einer Richterablehnung prüft indes das Revisionsgericht nicht nach Beschwerdegrundsätzen, sondern nach revisionsrechtlichen Grundsätzen, ob dem Ablehnungsgesuch ohne Verfahrensfehler und mit zureichender Begründung stattgegeben worden ist. Hierbei ist das Revisionsgericht an die vom Tatrichter festgestellten Tatsachen gebunden und kann keine eigenen Feststellungen treffen (vgl. etwa BGHR StPO § 74 Ablehnungsgrund 2).
8
Gemessen daran enthält der landgerichtliche Beschluss, mit dem dem Ablehnungsgesuch stattgegeben worden ist, keine Umstände, die auf eine innere Haltung des Sachverständigen hinweisen, die seine Neutralität, Distanz und Unparteilichkeit störend beeinflussen könnte. Zwar können wie bei einem Richter grobe, insbesondere objektiv willkürliche oder auf Missachtung grundlegender Verfahrensrechte von Verfahrensbeteiligten beruhende Verstöße gegen Verfahrensrecht eine Ablehnung rechtfertigen (vgl. KK-Fischer, StPO 6. Aufl. § 24 Rn. 14). Einen solchen schwerwiegenden Verstoß aber hat das Landgericht , an dessen Feststellungen der Senat gebunden ist, nicht festgestellt. Bewusst falsche Angaben des Sachverständigen über Ermittlungen vor oder bei Erstellung des Gutachtens können zwar grundsätzlich einen solchen Verstoß begründen (vgl. BGH NStZ 1994, 388); die bloße Nichtoffenlegung einer Erkenntnisquelle , wie sie das Landgericht dem Sachverständigen vorwirft, reicht hierfür aber nicht aus. Es ist dem Sachverständigen nicht verwehrt, mithilfe der ihm nach § 80 StPO übertragenen Befugnisse den Sachverhalt im Rahmen des zur Gutachtenerstattung Erforderlichen (weiter) aufzuklären. Dabei wird er regelmäßig - über den Akteninhalt hinaus - u.a. auch auf weitere Angaben des Angeklagten oder auch seines Verteidigers angewiesen sein. Dass er diese Zusatztatsachen seinem Gutachten später zugrunde legt und sie im Rahmen des erteilten Gutachtenauftrags bewertet, ist grundsätzlich Teil seiner Tätigkeit und deshalb nicht zu beanstanden. Woraus sich die dem Gutachten zugrunde gelegten Umstände ergeben, wird der Sachverständige in seinem Gutachten regelmäßig darzulegen haben. Unterlässt er dies, handelt es sich um einen handwerklichen formalen Fehler, der wie bei einem Richter, der ohne Willkür oder Missachtung grundlegender Rechte Verfahrensrecht verletzt, ohne zusätzliche Umstände die Besorgnis der Befangenheit nicht begründet. Fehlen dagegen wie im zugrunde liegenden Fall, in dem der Sachverständige zudem auf Nachfrage im Anschluss an seine noch nicht abgeschlossene Gutachtenerstattung die Quelle seiner Angaben zur Medikation offen gelegt hat, Anhaltspunkte dafür, dass er bewusst falsche oder unvollständige Angaben zu seinen Ermittlungen gemacht oder grundlegende Verfahrensrechte von Verfahrensbeteiligten missachtet hat, erweist sich eine gleichwohl angenommene Besorgnis der Befangenheit als rechtsfehlerhaft. Dies gilt hier auch vor dem Hintergrund, dass der Sachverständige - was nicht festgestellt ist - die Angaben des Verteidigers zu den vom Angeklagten eingenommenen Medikamenten womöglich ungeprüft übernommen hat. Fehlerhaft ist nicht die Zugrundelegung vom Angeklagten oder vom Verteidiger übermittelter Informationen an sich, sondern lediglich die unterlassene Kennzeichnung ihrer Herkunft.
9
2. Die fehlerhafte Bescheidung des Ablehnungsgesuchs führt zur Aufhebung des Urteils. Der abgelehnte Sachverständige ist zwar durch einen neuen Gutachter ersetzt worden. Dieser ist allerdings zu anderen Ergebnissen in der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten gelangt. Es kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass das Landgericht sich ohne die fehlerhaft angenommene Besorgnis der Befangenheit der Einschätzung des abgelehnten Sachverständigen angeschlossen hätte und insoweit zu einer für den Angeklagten günstigeren Entscheidung gelangt wäre. Dies betrifft im Übrigen nicht nur den Straf-, sondern auch den Schuldspruch. Das Gutachten des neuen Sachverständigen war für die Kammer Ausgangspunkt ihres am 19. Verhandlungstag erteilten Hinweises nach § 265 StPO, es komme auch eine Strafbarkeit wegen Heimtückemordes in Betracht. Es kann auch insoweit nicht ausgeschlossen werden, dass das Schwurgericht unter Zugrundelegung der gutachterlichen Äußerungen des zu Unrecht abgelehnten Sachverständigen nicht zu einer Verurteilung wegen (Heimtücke-)Mordes gekommen wäre. Fischer Appl Schmitt Krehl Ott

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 218/12
vom
7. August 2012
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 7. August 2012 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Limburg an der Lahn - Schwurgerichtskammer - vom 29. November 2011 aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Gießen zurückverwiesen.

Gründe:

1
Das Landgericht hatte den Angeklagten in einem ersten Urteil vom 11. August 2010 wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Dieses Urteil hat der Senat mit Beschluss vom 6. April 2011 auf eine Verfahrensrüge des Angeklagten aufgehoben, die den Ausschluss eines zur Schuldfähigkeit vernommenen Sachverständigen zum Gegenstand hatte. Das Landgericht hat nun den Angeklagten erneut wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Seine auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge Erfolg.

I.

2
Nach den Feststellungen des Landgerichts war die Ehe des griechischstämmigen Angeklagten und seiner griechischen Frau D. seit Jahren durch Streitigkeiten und Auseinandersetzungen belastet. Diese lagen darin begründet , dass die in Griechenland lebende Familie der Ehefrau diese drängte, wieder dorthin zurückzukehren. Die Ehefrau des Angeklagten war insbesondere unzufrieden mit dem Umstand, dass der Angeklagte erwerbslos war und die drei gemeinsamen, 2005, 2008 und 2009 geborenen Kinder nur durch die finanzielle Unterstützung seiner Eltern ernähren konnte. Sie beschimpfte den Angeklagten des Öfteren - auch im Beisein Dritter - als "Waschlappen" und warf ihm vor, "kein richtiger Mann" zu sein. Auch ohrfeigte sie ihn und warf mit Gegenständen nach ihm. Der Angeklagte, bei dem es sich um eine aggressionsgehemmte , übermäßig angepasste Persönlichkeit handelt, nahm die verbalen und auch die körperlichen Attacken stets duldend hin, allenfalls schrie er gelegentlich zurück. Bereits in 2006 äußerte sie Scheidungsabsichten und erwog immer wieder, nach Griechenland zurückzukehren.
3
Im Mai 2009 hielten sich der Angeklagte und seine Ehefrau im Urlaub in Bad C. auf, um ihre Beziehung zu überdenken. Die Streitigkeiten und die Demütigungen von D. gegenüber dem Angeklagten setzten sich jedoch unverändert fort. Am Tattag, dem 16. Mai 2009, kam es in der Ferienwohnung, in der beide sich zu diesem Zeitpunkt alleine aufhielten, erneut zu einem heftigen Streit. Im Verlauf des Streits erklärte D. dem Angeklagten, sie werde ihn verlassen. Sie habe einen neuen Partner, der bereit sei, sie zu versorgen und mit ihr und den drei Kindern nach Griechenland zu gehen. Schließlich ohrfeigte sie den Angeklagten und wandte ihm sodann den Rücken zu.
4
Der Angeklagte erkannte nunmehr, dass auch der gemeinsame Urlaub keine Versöhnung mit seiner Ehefrau gebracht hatte und fasste den Entschluss , seine kräftige und durchsetzungsstarke Ehefrau mit einem Angriff von hinten zu überraschen, um sie zu töten. Der Angeklagte legte D. in Umsetzung dieses Plans den zuvor von seiner Hose gezogenen Gürtel um den Hals, verdrehte die beiden Enden des Gürtels an der linken Halsvorderseite und zog sie mit erheblicher Gewalt zu. Bei dem Versuch, sich zur Wehr zu setzen , schlug D. mit dem Gesicht gegen die Küchenwand. Frühestens nach 20 Sekunden war sie bewusstlos. Der Angeklagte hielt den massiven Zug auf dem Gürtel durchgängig über drei Minuten hinweg aufrecht. Schließlich sackte D. nach hinten in sich zusammen und verstarb infolge der Drosselung. Der Angeklagte erkannte anhand der Blaufärbung des Gesichts, dass sie tot war. Sodann entnahm er aus der Küche ein Messer und fügte sich selbst und D. an beiden Unterarmen Schnittwunden zu, um ein für ihn günstigeren Geschehensablauf vorzutäuschen. Anschließend steckte er das Messer ein und erbrach sich. Er wechselte seine blutverschmierte Hose, nahm seine Papiere, das Mobiltelefon sowie seine Wohnungsschlüssel und verließ die Wohnung. Am Folgetag wurde er wegen seines auffälligen Verhaltens am Hauptbahnhof in F. einer Personenkontrolle unterzogen, die zu seiner Festnahme führte.
5
Das Landgericht hat das Vorliegen einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) verneint. Dabei war die Strafkammer von zwei psychiatrischen Sachverständigen beraten, von denen Dr. M. das Vorliegen eines kurzzeitigen, auf das unmittelbare Tatgeschehen beschränkten Affekts im Sinne einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung nicht sicher ausschließen konnte, während Prof. O. dies sicher verneinte.

II.

6
1. Die Ausführungen zur Verneinung einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit halten der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand. Ob die affektive Erregung, die bei vorsätzlichen Tötungsdelikten eher normaltypisch ist, einen solchen Grad erreicht hat, dass sie zu einer tiefgreifenden Bewusst- seinsstörung und damit zu einem Eingangsmerkmal im Sinne von § 20 StGB geführt hat, ist anhand von tat- und täterbezogenen Merkmalen zu beurteilen, die als Indizien für und gegen die Annahme eines schuldrelevanten Affekts sprechen können. Diese Indizien sind dabei im Rahmen einer umfassenden Gesamtwürdigung zu beurteilen (st. Rspr.; vgl. BGH NStZ 2008, 510, 512).
7
a) Das Landgericht hat bei der Verneinung einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung maßgeblich darauf abgestellt, dass der Angeklagte bei der gesamten Tatausführung planerisch gehandelt habe, indem er seine wehrhafte Ehefrau bewusst von hinten angegriffen habe. Insbesondere die Zeitdauer des Tatgeschehens spreche gegen das Vorliegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung. Der Angeklagte habe den sich über Minuten hinziehenden Drosselvorgang aufrechterhalten; ein typischer, explosionsartiger Emotionsdurchbruch liege nicht vor. Während der Tatausführung habe er die Reaktionen seiner Ehefrau wahrzunehmen vermocht. Seine Erinnerung an den Tathergang sei konstant erhalten. Auch fehle es an einem Auslöser für einen Affektdurchbruch, da es sich bei dem unmittelbaren Tatvorgeschehen um eine alltägliche Streitsituation gehandelt habe. Scheidungsabsichten habe seine Ehefrau bereits Jahre zuvor geäußert und eine Rückkehr nach Griechenland immer wieder in Erwägung gezogen. Unmittelbar nach der Tat sei der Angeklagte erneut planerisch tätig geworden, indem er seiner Ehefrau und sich selbst Schnittverletzungen zugefügt habe, um die rekonstruierbaren Handlungsabläufe zu "verwischen". Der Angeklagte habe sich nicht von der Tat erschüttert gezeigt, sondern habe nach der Tat situationsadäquat seine Hose gewechselt, seine Papiere, Wohnungsschlüssel und sein Handy an sich genommen, bevor er die Wohnung verlassen habe (UA S. 51 ff.).
8
b) Diese Urteilsausführungen lassen besorgen, dass das Landgericht einzelne für bzw. gegen die Annahme eines schuldrelevanten Affekts spre- chende Indizien übersehen oder falsch gewichtet hat und infolgedessen zu einer rechtsfehlerhaften Gesamtwürdigung gelangt ist.
9
aa) So findet die der Tatbegehung unmittelbar vorausgegangene Ohrfeige durch die Ehefrau keine Erwähnung. Dies lässt besorgen, dem Landgericht könnte aus dem Blick geraten sein, dass dieser körperliche Übergriff, der auch im Rahmen der gutachterlichen Erwägungen keine Berücksichtigung findet, etwa im Zusammenwirken mit der Äußerung, mit einem neuen Partner und den gemeinsamen Kindern nach Griechenland gehen zu wollen, eine affektauslösende Wirkung gehabt haben könnte. Einer dahingehenden Deutung steht dabei nicht entgegen, dass es bereits des Öfteren zu körperlichen Übergriffen durch die Ehefrau des Angeklagten gekommen war und diese in der Vergangenheit bereits Scheidungsabsichten geäußert hatte, ohne dass dies zu gewalttätigen Reaktionen des Angeklagten geführt hätte. Angesichts der dargelegten Tatvorgeschichte ist es durchaus vorstellbar, dass sich bei dem Angeklagten über eine längere Zeit eine Affektverfassung aufgebaut hat, die sich - begünstigt durch die wiederholten Demütigungen und die angewendete Gewalt am Tattag, die womöglich das "Fass zum Überlaufen" gebracht haben - in der Tat ein Ventil gesucht hat (vgl. BGH NStZ 2006, 511; s. auch im Zusammenhang mit § 213 StGB BGH NStZ 2011, 339). Aus diesem Grund hätte sich die Schwurgerichtskammer ausdrücklich auch mit dem Umstand der körperlichen Gewaltausübung gegenüber dem Angeklagten unmittelbar vor der Tat auseinandersetzen müssen.
10
bb) Die dem Angeklagten vorgeworfene Tat ist ihm aufgrund seines übermäßig angepassten, duldend-labilen und aggressionsgehemmten Charakters (UA S. 52) persönlichkeitsfremd. Auch dieser Umstand stellt ein mögliches Indiz für eine affektbedingte tiefgreifende Bewusstseinsstörung des Angeklagten dar, das das Landgericht in seine Überlegungen hätte einbeziehen müssen.
Dies gilt umso mehr, als das Urteil keinen bestimmenden Auslöser für die begangene Tat benennt. Dass der Angeklagte nach der Äußerung seiner Ehefrau, sie werde mit einem neuen Partner und den gemeinsamen Kindern nach Griechenland gehen, nunmehr die Erfolglosigkeit der Bemühungen um eine Beilegung der Streitigkeiten trotz des gemeinsamen Versöhnungsurlaubs erkannte (UA S. 13), hat das Landgericht nämlich nicht als einen tatauslösenden Umstand, sondern - ohne dies näher auszuführen - lediglich als eine alltägliche Streitsituation angesehen (UA S. 54). Warum es trotz einer wieder vorkommenden Auseinandersetzung bei einem nicht gewaltgeneigten, sich eher zurückziehenden und nicht auf eine Streitaustragung bedachten Angeklagten zu einer solchen Gewalttat gekommen ist, ohne dass dies auf einen Affekt zurückzuführen ist, erläutert das Landgericht insoweit nicht. Letztlich bleibt so unklar, wie es angesichts der aggressionsgehemmten Persönlichkeit des Angeklagten bei Nichtvorliegen eines schuldrelevanten Affekts zu der Tat kommen konnte.
11
cc) Soweit das Landgericht Anhaltspunkte für einen affekttypischen markanten Zeitpunkt der Realisierung der Tat und der Erschütterung über das eigene Tun vermisst (UA S. 53), lässt es außer Betracht, dass der Angeklagte in der unmittelbar auf die Tat folgenden Phase mit dem Erbrechen eine möglicherweise insoweit relevante unwillkürliche körperliche Reaktion gezeigt hat. Ebenso setzt es sich nicht mit dem Umstand auseinander, dass der Angeklagte am darauffolgenden Tag der Bundespolizei am Hauptbahnhof in F. wegen seines auffälligen Verhaltens und seines derangierten Äußeren auffiel. So bleibt unerörtert, ob dies Rückschlüsse auf den inneren Zustand des Angeklagten zulässt und damit womöglich die Annahme von Betroffenheit und Erschütterung nach Realisierung der Tat in Betracht kommt.
12
dd) Schließlich begegnet auch die Annahme des Landgerichts, die Dauer des dreiminütigen Drosselvorgangs spreche entscheidend gegen die von dem Sachverständigen Dr. M. für nicht ausschließbar angesehene kurzzeitige tiefgreifende Bewusstseinsstörung, rechtlichen Bedenken. Sie verliert aus dem Blick, dass die Zeitdauer des Drosselns dieser Tötungsart immanent ist und für sich gesehen der Annahme eines explosionsartigen Emotionsdurchbruchs nicht entgegensteht. Dass sich von vornherein eine affektausgelöste Tötung durch Erdrosseln über einen Zeitraum von drei Minuten nicht erstrecken kann, versteht sich jedenfalls nicht von selbst und hätte deshalb näherer Begründung bedurft.
13
ee) Die aufgeführten Mängel in der Gesamtwürdigung des Landgerichts führen - jedenfalls in ihrem Zusammenwirken - zur Aufhebung des Strafausspruchs. Der Senat kann nicht ausschließen, dass das Landgericht bei vollständiger Berücksichtigung und hinreichender Gewichtung der erheblichen Umstände zur Annahme einer affektbedingten erheblich verminderten Schuldfähigkeit gekommen wäre.
14
c) Dies zieht die Aufhebung des Urteils auch im Schuldspruch nach sich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Schwurgericht bei rechtsfehlerfreier Prüfung der Voraussetzungen einer verminderten Schuldfähigkeit nicht zu einer Verurteilung wegen (Heimtücke-)Mordes gekommen wäre.
15
2. Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2 StPO an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückzuverweisen. Der Senat weist darauf hin, dass der neue Tatrichter zur Prüfung des Vorliegens einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit einen mit der Sache bisher nicht befassten psychiatrischen Sachverständigen beauftragen sollte.
Becker Fischer Schmitt Krehl Ott

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Ist eine Milderung nach dieser Vorschrift vorgeschrieben oder zugelassen, so gilt für die Milderung folgendes:

1.
An die Stelle von lebenslanger Freiheitsstrafe tritt Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren.
2.
Bei zeitiger Freiheitsstrafe darf höchstens auf drei Viertel des angedrohten Höchstmaßes erkannt werden. Bei Geldstrafe gilt dasselbe für die Höchstzahl der Tagessätze.
3.
Das erhöhte Mindestmaß einer Freiheitsstrafe ermäßigt sichim Falle eines Mindestmaßes von zehn oder fünf Jahren auf zwei Jahre,im Falle eines Mindestmaßes von drei oder zwei Jahren auf sechs Monate,im Falle eines Mindestmaßes von einem Jahr auf drei Monate,im übrigen auf das gesetzliche Mindestmaß.

(2) Darf das Gericht nach einem Gesetz, das auf diese Vorschrift verweist, die Strafe nach seinem Ermessen mildern, so kann es bis zum gesetzlichen Mindestmaß der angedrohten Strafe herabgehen oder statt auf Freiheitsstrafe auf Geldstrafe erkennen.

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 176/08
vom
25. Juni 2008
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Menschenhandels u. a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 25. Juni 2008 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kassel vom 28. November 2007 aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren Menschenhandels und wegen versuchten schweren Menschenhandels, jeweils in Tateinheit mit Menschenhandel, unter Auflösung der durch Beschluss des Amtsgerichts Kassel vom 6. Dezember 2005 gebildeten Gesamtstrafe und unter Einbeziehung der durch Urteil des Amtsgerichts Kassel vom 9. Juni 2005 verhängten Freiheitsstrafe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt und die im Urteil vom 9. Juni 2005 angeordnete Entziehung der Fahrerlaubnis und die dort festgesetzte Sperrfrist aufrechterhalten. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf Verfahrensrügen und auf die Sachrüge gestützten Revision. Während die Verfahrensrügen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts vom 10. April 2008 unbegründet sind, hat das Rechtsmittel mit der Sachrüge teilweise Erfolg.

I.

2
1. Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils veranlasste der Angeklagte Anfang Februar 2004 die 19jährige Geschädigte Marina T., die Ende 2003 die Prostitutionsausübung aufgegeben hatte und nicht mehr als Prostituierte arbeiten wollte, mit ihm nach Amsterdam zu fahren und dort für etwa eine Woche der Prostitution nachzugehen, indem er ihr vorspiegelte, er habe für sie Schulden in Höhe von 3.000 € beglichen und drohte, falls sie nicht mitkäme und den Betrag abarbeite, werde er das Geld von ihrer Familie fordern, die dadurch von ihrer früheren Prostitutionsausübung erführe, oder ihrer Familie etwas antun. Mit denselben Drohungen brachte er die Geschädigte dazu, am 2. April 2004 mit ihm nach Hamburg zu fahren. Hier wandte sich die Geschädigte an die Polizei, bevor es zur Aufnahme der Prostitution kam.
3
Das Landgericht hat die erste Tat als schweren Menschenhandel nach § 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB a. F., die zweite Tat als versuchten schweren Menschenhandel nach § 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB a. F., jeweils in Tateinheit mit Menschenhandel nach § 180 b Abs. 2 Nr. 2 StGB a. F., gewürdigt. Es hat minder schwere Fälle des schweren Menschenhandels nach § 181 Abs. 2 StGB a. F. bejaht und der Strafzumessung jeweils den höheren Strafrahmen des § 180 b Abs. 2 Nr. 2 StGB a. F. zugrunde gelegt.
4
2. Dies hält der sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand. § 180 b und § 181 StGB sind durch das am 19. Februar 2005 in Kraft getretene 37. Strafrechtsänderungsgesetz vom 11. Februar 2005 (BGBl. I 2005 S. 239) aufgehoben und durch § 232 StGB ersetzt worden. Das Landgericht hat nicht erwogen , ob hier das neue Recht milder und deshalb gemäß § 2 Abs. 3 StGB anwendbar ist. Zwar sind die Strafrahmen für Menschenhandel nach § 180 b Abs. 2 Nr. 2 StGB a. F. und § 232 Abs. 1 Satz 2 StGB gleich. Dies gilt auch für den schweren Menschenhandel nach § 181 Abs. 1 Nr. 1 StGB a. F. und § 232 Abs. 4 Nr. 1 StGB; für minder schwere Fälle des schweren Menschenhandels enthalten § 181 Abs. 2 StGB a. F. und § 232 Abs. 5 StGB dieselben Strafrahmen. § 232 Abs. 5 StGB sieht jedoch für minder schwere Fälle des Menschenhandels nach Absatz 1 dieser Vorschrift einen Strafrahmen von drei Monaten bis zu fünf Jahren Freiheitsstrafe vor, während das alte Recht keinen Strafrahmen für minder schwere Fälle des Menschenhandels nach § 180 b Abs. 2 StGB a. F. enthielt. Die Annahme minder schwerer Fälle des Menschenhandels lag hier nahe, weil das Landgericht solche bezüglich des tateinheitlich begangenen schweren Menschenhandels bejaht hat. Im Fall 2 der Urteilsgründe dürfte zudem nach neuem Recht nur ein versuchter Menschenhandel vorliegen, weil die Tatbestandsvariante des Einwirkens auf eine Person unter einundzwanzig Jahren , um sie zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution zu bestimmen, entfallen ist, und es nicht zur Prostitutionsausübung gekommen ist.
5
Der Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Schuldspruchs auch im Fall 1 der Urteilsgründe, weil nach ständiger Rechtsprechung das mildeste Gesetz als Ganzes, also nicht nur der mildere Strafrahmen anzuwenden ist (BGHSt 20, 22, 29 f.; 24, 94, 97; 37, 320, 322). Der Senat hat die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen aufrechterhalten (vgl. Senat, NJW 2007, 1540). Ergänzende Feststellungen, die dazu nicht in Widerspruch stehen, sind möglich.

II.

6
Auch die Gesamtstrafenbildung ist nicht frei von Rechtsfehlern.
7
1. Der Angeklagte ist nach den hier verfahrensgegenständlichen Taten am 14. Oktober 2004 vom Amtsgericht Hamburg-St. Georg wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 5 € und am 9. Juni 2005 vom Amtsgericht Kassel wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen – Tatzeiten 1. Juli 2003 und 30. Juli 2004 – zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 5 € und einer Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt worden. Ferner wurde eine Sperre für die Fahrerlaubnis bis zum 8. Juni 2006 ausgesprochen. Durch Beschluss vom 6. Dezember 2005 bildete das Amtsgericht Kassel aus diesen Strafen eine neue Gesamtstrafe, die sich zusammensetzte aus vier Monaten Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, und einer Gesamtgeldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 5 €. Die Sperrfrist für die Fahrerlaubnis wurde aufrechterhalten. Die Gesamtgeldstrafe ist durch Bezahlung und Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt. Die Freiheitsstrafe von vier Monaten hat das Landgericht im angefochtenen Urteil in die Gesamtstrafe einbezogen.
8
2. Das Landgericht hat es rechtsfehlerhaft unterlassen, die Geldstrafen aus den Urteilen vom 14. Oktober 2004 und vom 9. Juni 2005 in die Gesamtstrafe einzubeziehen. Nach § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB verhängte Geldstrafen aus einer früheren Verurteilung sind solange einbeziehungsfähig, wie diese Verurteilung noch nicht insgesamt im Sinne des § 55 Abs. 1 Satz 1 StGB erledigt ist (BGH NStZ-RR 2007, 232; Fischer StGB 55. Aufl. § 55 Rdn. 6). Bei Bildung einer nachträglichen Gesamtstrafe tritt eine Erledigung der einbezogenen Strafen nur ein, wenn die in der Gesamtstrafenentscheidung verhängten Strafen vollständig vollstreckt, verjährt oder erlassen sind. Mit der Rechtskraft der nachträglichen Gesamtstrafenbildung scheidet eine gesonderte Vollstreckung der einbezogenen Strafen aus (vgl. BGH NStZ-RR 2006, 337; BayObLG NJW 1957, 1810; v. Heintschel-Heinegg in MüKo StGB § 55 Rdn. 23). Im vorliegenden Fall war lediglich die im Gesamtstrafenbeschluss vom 6. Dezember 2005 gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 StGB gesondert verhängte Gesamtgeldstrafe vollstreckt; die daneben verhängte Freiheitsstrafe von vier Monaten (unter Strafaussetzung zur Bewährung) war hingegen weder vollstreckt noch erlassen. Somit ist hinsichtlich der Strafen aus beiden einbezogenen Entscheidungen keine vollständige Erledigung eingetreten. Dies gilt insbesondere auch hinsichtlich der Geldstrafe aus dem Urteil vom 14. Oktober 2004. Die Vollstreckung der Gesamtgeldstrafe aus dem Gesamtstrafenbeschluss vom 6. Dezember 2005 lässt sich nicht in eine vollständige Vollstreckung der Geldstrafe aus dem Urteil vom 14. Oktober 2004 und eine teilweise Vollstreckung der Geldstrafe aus dem Urteil vom 9. Juni 2005 aufteilen.
9
3. Der neue Tatrichter wird auch zu prüfen haben, ob es der Aufrechterhaltung von Maßregeln aus dem Urteil vom 9. Juni 2005 bedarf. Den Urteilsgründen ist schon nicht sicher zu entnehmen, ob der Angeklagte überhaupt eine Fahrerlaubnis besessen hat oder ob gegebenenfalls nur eine isolierte Sperrfrist verhängt wurde. Die Sperrfrist war nach den Urteilsgründen zum Zeit- punkt der Hauptverhandlung jedenfalls verstrichen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (vgl. u. a. BGH NJW 2002, 1813 f.; NStZ 1996, 433) ist, wenn sich die Sperrfrist infolge des Zeitablaufs erledigt hat, diese nicht aufrechtzuerhalten. Fischer Rothfuß Roggenbuck Appl Schmitt

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 1 0 / 1 4
vom
12. Februar 2014
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Totschlags u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Februar 2014 beschlossen
:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
München I vom 2. Oktober 2013 im Strafausspruch aufgehoben
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Sachrüge gestützten Revision. Diese hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg.
2
1. Nach den landgerichtlichen Feststellungen attackierte der durch eine Beleidigung gereizte Angeklagte seinen Trinkkumpanen mit bedingtem Tötungsvorsatz mittels eines Springmessers. Den ersten Stich konnte der Geschädigte noch durch Wegschlagen abwehren, der zweite traf ihn jedoch neun Zentimeter tief in den Mittelbauch. Durch das Dazwischentreten von Dritten wurde ein Nachsetzen durch den Angeklagten verhindert. Der Geschädigte, dessen Dickdarm durch den Stich eröffnet worden war, konnte durch eine Notoperation gerettet werden.
3
Im Anschluss an zwei hierzu gehörte Sachverständige konnte das Landgericht eine alkoholbedingte erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit bei dem alkoholabhängigen Angeklagten zum Tatzeitpunkt nicht ausschließen.
4
2. Während der Schuldspruch rechtsfehlerfrei ist, hält der Strafausspruch revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand.
5
Das Landgericht hat nach – nicht zu beanstandender – Ablehnung eines minder schweren Falls nach § 213 Alt. 1 StGB einen sonstigen minder schweren Fall nach § 213 Alt. 2 StGB angenommen. Hierzu hat es neben anderen Milderungsgründen herangezogen, dass aufgrund der „erheblichen Alkoholisie- rung des Angeklagten eine Verminderung der Schuldfähigkeit nicht auszu- schließen“ und die Tat im Versuchsstadium, wenn auch mit Nähe zum Erfolgs- eintritt, stecken geblieben sei. Eine weitere Verschiebung des Strafrahmens wegen des Vorliegens der Milderungsgründe des § 21 StGB oder des § 23 StGB hat es sodann ausgeschlossen. Der Annahme eines minder schweren Falls nach § 213 Alt. 2 StGB hat es sodann die Möglichkeit der zweimaligen Strafrahmenverschiebung nach diesen Milderungsgründen gegenüber gestellt, da der danach eröffnete Strafrahmen eine Strafrahmenobergrenze unter der verhängten Strafe bereit halte. Eine solche Strafrahmenbestimmung hat es aber auch „unter Berücksichtigung dessen, dass eine verminderte Schuldfähig- keit lediglich nicht auszuschließen“ sei, nicht vorgenommen.
6
Die letztgenannte Erwägung erweist sich als rechtsfehlerhaft. Führt die Anwendung des § 49 Abs. 1 StGB zu einem milderen Strafrahmen als die Annahme eines minder schweren Falles unter Verbrauch von vertypten Milderungsgründen , so ist der Tatrichter zwar nicht von vornherein gehalten, bei der Bemessung der Strafe von dem milderen Strafrahmen auszugehen. Er hat vielmehr im Rahmen einer Gesamtabwägung zu prüfen und darzulegen, welchen Strafrahmen er nach den konkreten Umständen des Einzelfalls für angemessen hält (BGH, Urteil vom 28. Mai 2013 – 3 StR 54/13; vgl. auch Beschluss vom 23. Januar 2013 – 5 StR 635/12). Die hierzu vom Landgericht getroffenen Strafzumessungserwägungen lassen jedoch besorgen, dass das Landgericht der erheblichen Schuldminderung in diesem Zusammenhang geringeres Gewicht beigemessen hat, weil sie nicht positiv festgestellt, sondern lediglich aufgrund des Zweifelssatzes unterstellt worden ist (vgl. zur Anwendung des Zweifelssatzes auf nicht behebbare tatsächliche Zweifel hinsichtlich Art und Grad des psychischen Ausnahmezustands BGH, Beschluss vom 25. Juli 2006 – 4 StR 141/06, NStZ-RR 2006, 335; Urteil vom 29. April 1997 – 1 StR 511/95, BGHSt 43, 66). Dies ist unzulässig (vgl. BGH, Beschlüsse vom 12. Oktober 2005 – 1 StR 369/05, NStZ-RR 2006, 6; vom 15. Oktober 1991 – 1 StR 548/91). Denn auch in den Fällen, in denen unter Anwendung des Zweifelssatzes von einem bestimmten Sachverhalt auszugehen ist, ist dieser Sachverhalt bei der rechtlichen Würdigung von der gleichen Bedeutung, wie ein zur Überzeugung des Gerichts festgestellter (BGH, Urteil vom 9. Februar 2000 – 3 StR 392/99, NStZ-RR 2000, 166).
7
Auch angesichts der sonstigen Strafzumessungserwägungen kann der Senat nicht ausschließen, dass die Höhe der ausgesprochenen Strafe auf der rechtsfehlerhaften Erwägung beruht (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 17. Dezember 1999 – 2 StR 546/99).
8
Der Strafausspruch bedarf daher einer erneuten tatrichterlichen Prüfung und Entscheidung. Da es sich um einen reinen Wertungsfehler handelt, konnten die tatsächlichen Feststellungen bestehen bleiben. Ergänzende, zu den bisherigen nicht in Widerspruch stehende Feststellungen durch den neuen Tatrichter sind möglich.
Raum Graf Jäger Cirener Mosbacher

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.

5 StR 344/05
(alt: 5 StR 94/04)

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 30. November 2005
in der Strafsache
gegen
1.
2.
wegen Totschlags
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhandlung
vom 29. und 30. November 2005, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf als Vorsitzender,
Richter Häger,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal
alsbeisitzendeRichter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
alsVertreterderBundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt K
alsVerteidigerfürdenA ngeklagten H ,
Rechtsanwalt R
alsVerteidigerfürdenAngek lagten S ,
Rechtsanwalt Sa
alsVertreterderNebenklägerin,
Justizangestellte
alsUrkundsbeamtinderGeschäftsstelle,
in der Sitzung vom 30. November 2005 für Recht erkannt:
1. Auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 1. Februar 2005
a) in den Schuldsprüchen dahin geändert, dass die Angeklagten wegen Totschlags verurteilt sind,
b) in den Strafaussprüchen aufgehoben.
2. Die weitergehenden Revisionen werden verworfen.
3. Die Revision des Angeklagten H gegen das genannte Urteil wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen der Nebenklägerin zu tragen.
4. Die Sache wird zur Neufestsetzung der Strafen und zur Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen – G r ü n d e Das Landgericht hatte die Angeklagten zunächst mit seinem Urteil vom 14. August 2003 wegen Totschlags zu Freiheitsstrafen von jeweils sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Auf die Revisionen der Nebenklägerin hat der Senat die Schuldsprüche aufgehoben und – bei Aufrechterhaltung der Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen – das Verfahren an eine andere Schwurgerichtskammer zurückverwiesen (NStZ-RR 2004, 332). Diese hat die Angeklagten nunmehr wegen Körperverletzung mit Todesfolge wiederum zu Freiheitsstrafen von jeweils sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Dagegen richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft, die vom Generalbundesanwalt vertreten werden, und die Rechtsmittel der Nebenklägerin jeweils mit der Sachrüge. Der Angeklagte H greift mit seiner beschränkten Revision die vom Landgericht gefundene Strafe an. Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin haben Erfolg, soweit das Landgericht nicht auf Totschlag erkannt hat. Die Revision des Angeklagten H ist unbegründet.
1. Das Landgericht hatte in seinem Urteil vom 14. August 2003 folgende Feststellungen getroffen:
a) Die Angeklagten besuchten gegen Mittag des 26. Januar 2003 den ihnen bekannten wesentlich älteren, körperlich und seelisch angegriffenen He in dessen Wohnung in Berlin-Lichtenberg. Sie trafen dort auf die Zeugen Ra und Sh ; letzterer entfernte sich alsbald. Nach reichlichem Genuss von Rotwein und Wodka verletzten die Angeklagten den He zwischen 18.00 und 19.00 Uhr zunächst wie folgt: S rammte dem neben ihm sitzenden Wohnungsinhaber völlig unvermittelt seinen rechten Ellenbogen in die seitliche Halsgegend. H trat He mit dem beschuhten Fuß kräftig ins Gesicht. S schubste den Zeugen Ra zur Seite, der He vor einem Angriff schützen wollte. H schlug He mit der Faust auf das rechte Auge. Nachdem der Zeuge Ra im Badezimmer die von H verursachten Wunden ausgewaschen hatte, schlug dieser Angeklagte erneut mehrfach mit der Faust auf die Wunden und gegen den rechten Kieferbereich. Der Angeklagte S schlug ebenfalls mehrmals mit den Fäusten auf den jetzt wieder blutenden Verletzten ein. H packte dann das keinerlei Widerstand leistende Opfer an den Haaren und schlug dessen Kopf gegen die Wand. Er urinierte auf den an der Stirn, aus der Nase und am Ohr blutenden Schwerverletzten. Um diesen noch stärker zu erniedrigen , rasierten ihm die Angeklagten die Kopfhaare teilweise ab. Unter dem Ausruf: „Mal sehen, wie widerstandsfähig er ist!“ würgte einer der Angeklagten ihr Opfer, während der andere mit äußerster Gewalt die Nase zuhielt und so stark an ihr zerrte, dass der Nasenknorpel abriss. In der sicheren Erwartung , der Schwerverletzte werde in Kürze versterben, verließen die Angeklagten die Wohnung. Gemeinsam mit dem Zeugen Ra suchten sie gegen 22.00 Uhr den Bundesgrenzschutz im Bahnhof Lichtenberg auf. Dort und gegenüber der später eingetroffenen Notärztin erklärten sie, sie hätten mit einem „gesoffen“ und machten sich Sorgen, dass derjenige eventuell tot sei.
Infolge der massiven Tätlichkeiten der Angeklagten erlitt He neben Haut- und Weichteilunterblutungen eine Fraktur der rechten Augenhöhle, eine Verletzung der Leber und der rechten Niere, Rippenfrakturen sowie eine Blutung unter die harte Hirnhaut, an der er im Zusammenhang mit einer Hirnschwellung und einer Bluteinatmung noch in seiner Wohnung verstarb.

b) Die Schwurgerichtskammer hatte sich vom bedingten Tötungsvorsatz aufgrund der Geständnisse der Angeklagten überzeugt, aber kein Tatmotiv feststellen können.
2. Der Senat hat auf die Revisionen der Nebenklägerin die Schuldsprüche aufgehoben, weil die fehlerfrei getroffenen Feststellungen nach den anzuwendenden Maßstäben von BGHSt 47, 128 tragfähige Anhaltspunkte für die Annahme niedriger Beweggründe geboten hätten, deren Erörterung notwendig gewesen wäre. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen hat der Senat aufrechterhalten.
3. Die neu berufene Schwurgerichtskammer hat, nachdem die Angeklagten von ihrem Recht zu schweigen Gebrauch gemacht haben, das Tatgeschehen umfassend neu aufgeklärt, zum Vor- und Nachtatgeschehen weitergehende Feststellungen getroffen und ein Motiv der Angeklagten festgestellt :
a) Zwischen den muskulös gebauten, noch jungen Angeklagten und dem 48 Jahre alten, durch längeren starken Alkoholkonsum geschwächten He kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen und Streit, weil He nach eigenem, von ihm als ausreichend empfundenen Alkoholgenuss den Angeklagten den Zutritt zu seiner Wohnung gelegentlich versagte. Nachdem He die Angeklagten wieder einmal nicht eingelassen hatte, griffen diese am 30. Dezember 2002 ihren Gastgeber massiv an. He begab sich am nächsten Tag wegen stärker werdender Schmerzen in der Brust ins Krankenhaus. Die Ärzte stellten mehrere frische und mehrere ältere Rippenbrüche sowie eine Nasenbeinfraktur fest. Des Weiteren erlitt He am 30. Dezember , möglicherweise aber auch einige Tage davor oder danach eine subdurale Hirnblutung im Hinterkopf.

b) Das Landgericht hat als Motiv der mit einer Blutalkoholkonzentration von über drei Promille handelnden Angeklagten festgestellt, diese hätten He verletzt, um ihn dafür zu bestrafen, dass er die Angeklagten am Tag zuvor nicht in seine Wohnung eingelassen hatte. Die bis zum Abriss des Nasenknorpels übereinstimmend mit den Feststellungen des Urteils vom 14. August 2003 erneut zu Grunde gelegten Tätlichkeiten der Angeklagten seien aber immer wieder durch Zeiten des gemeinsamen Trinkens unterbrochen worden, während derer die Angeklagten Vorwürfe wegen des abweisenden Verhaltens des He erhoben. Das Landgericht konnte nicht sicher feststellen, dass einzelne oder alle Faustschläge mit voller Kraft und Wucht ausgeführt wurden und dass die Angeklagten den Tod des He auch nur billigend in Kauf genommen haben. Die Angeklagten hätten sich um ihr Opfer auf vielfältige Weise bemüht: Sie führten den malträtierten Geschädigten gemeinsam mit dem Zeugen Ra nochmals ins Badezimmer, duschten ihn mit kaltem Wasser ab, um so seinen Zustand wieder zu verbessern. Dann wechselten sie ihm seine Kleidung und brachten ihn ins Wohnzimmer zurück, wo sie ihn auf dem Sofa absetzten. Kurze Zeit später verlor He das Bewusstsein und rutschte – unerwartet für den Zeugen Ra und nicht sicher ausschließbar auch für die beiden Angeklagten – ohne Einwirkung Dritter zu Boden. In diesem Moment erkannten die Angeklagten und der Zeuge Ra , dass sich die Hautfarbe des Geschädigten im Bereich des Gesichts und der Hände blau verfärbt hatte. Der Angeklagte H begann daraufhin, möglicherweise ebenso wie der Angeklagte S – erst jetzt in Sorge um das Leben von He – bei diesem eine Herzmassage vorzunehmen. Da dies nicht zu einer Besserung des Zustandes des Geschädigten führte, drang Ra darauf, die Feuerwehr oder die Polizei zu rufen, zumal er jetzt befürchtete, He könnte bei einem weiteren Zuwarten möglicherweise versterben. Er verließ mit den beiden Angeklagten die Wohnung. Auch die Angeklagten hatten dabei nicht sicher ausschließbar das Ziel, Hilfe für He zu holen und so die nun erkannte Lebensgefahr zu bannen.

c) Zur Todesursache hat die Schwurgerichtskammer mit sachverständiger Hilfe festgestellt, dass durch den Schlag des Kopfes gegen die Wand die durch den Heilungsprozess der älteren subduralen Hirnblutung entstandene Bindegewebsorganisation aufgerissen sei und eine frische Blutung ausgelöst habe, die zu der tödlichen Hirnschwellung und starken Bluteinatmung geführt hätte. Sämtliche frischen Verletzungen seien nicht sehr erheblich , insbesondere im Einzelnen nicht konkret lebensbedrohlich gewesen. Das Landgericht hat die Rippenbrüche und die Verletzung der Leber nicht mehr dem Tatgeschehen zugerechnet. Diese seien durch die Reanimationsbemühungen des Angeklagten H entstanden.
4. Die Revisionen der Nebenklägerin sind zulässig.
Zwar enthält die Begründung der Rechtsmittel (erneut) keine ausdrückliche Erklärung im Sinne von § 344 Abs. 1 StPO, inwieweit die Beschwerdeführerin das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage. Solches ergibt sich vorliegend aber aus der innerhalb der Revisionsbegründungsfrist ausgeführten Sachrüge, mit der die Nebenklägerin geltend macht, das Landgericht habe die Bindungswirkung der Aufhebungsansicht des Revisionsurteils verkannt und den Prüfungsauftrag nicht erfüllt, festzustellen, ob das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe vorliegt. Damit hat die Nebenklägerin schließlich erklärt, sie verfolge das Ziel ihrer Rechtsmittel gegen das erste tatrichterliche Urteil weiter, nämlich eine Verurteilung der Angeklagten wegen Mordes zu erreichen (vgl. BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 2), und hat – wie von § 400 Abs. 1 StPO geboten – auch klargestellt, dass sie das Urteil mit dem Ziel einer Änderung der Schuldsprüche wegen einer Gesetzesverletzung anfechte, die zum Anschluss als Nebenkläger berechtigt (vgl. BGHR StPO § 400 Abs. 1 Zulässigkeit 5).
5. Die Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin führen zur Änderung der Schuldsprüche.

a) Die Verurteilungen wegen Körperverletzung mit Todesfolge können nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht die innerprozessuale Bindung an die aufrecht erhaltenen Feststellungen (§ 353 Abs. 2 StPO) des ersten in dieser Sache ergangenen Urteils nicht hinreichend beachtet hat (vgl. BGH NStZ 1999, 259). Zwar ist das Landgericht von einer Bindung an die Feststellungen zum äußeren Tatablauf ausgegangen und hat die einzelnen Tathandlungen in die von ihm getroffenen Feststellungen übernommen. Das Landgericht hat sie aber zum Teil in einen anderen Zusammenhang gestellt, in das festgestellte Gesamtgeschehen weitere Handlungen eingefügt und die Erheblichkeit der Gewalthandlungen der Angeklagten anders bewertet. Damit hat das Landgericht das Tatgeschehen unzulässigerweise im Sinne eines anderen geschichtlichen Vorgangs näher beschrieben (vgl. BGHSt 30, 340, 343, 344; BGH NStZ 1999, 259, 260). Die Beweiswürdigung des Landgerichts , mit der es einen bedingten Tötungsvorsatz der Angeklagten verneint, beruht demnach auf einer unzutreffenden Grundlage.
aa) Im ersten Urteil ist festgestellt, dass die Rippenfrakturen und die Leberverletzung des Tatopfers durch die aggressiven massiven Tätlichkeiten der Angeklagten hervorgerufen wurden. Hiervon weicht das nunmehr angefochtene Urteil in unzulässiger Weise ab, indem es diese Verletzungen unter Anwendung des Zweifelssatzes als mögliche Folge einer vom Angeklagten H vorgenommenen Herzmassage ansieht und diesen Umstand im Rahmen der Beweiswürdigung als einen gegen den Tötungsvorsatz sprechenden Gesichtspunkt anführt.
bb) Das Landgericht hat den festgestellten Tatablauf ferner durch Handlungen unterbrochen gesehen und weitere Feststellungen getroffen, die den gesamten Tatverlauf als für die Angeklagten weitaus günstiger erscheinen lassen. Im Einzelnen handelt es sich um die nunmehr festgestellten Pausen zwischen den einzelnen Misshandlungen, während derer die Angeklagten mit dem Opfer gemeinsam weiter Alkohol getrunken haben, die Versuche der Angeklagten, den Zustand ihres Opfers durch Abduschen und Umkleiden zu verbessern, das Ergreifen lebensrettender Maßnahmen und das Einschalten Dritter.
cc) Das Landgericht hat schließlich die vom Erstgericht als massiv beschriebenen Tätlichkeiten, rückschließend aus der nicht hochgradigen Gefährlichkeit der Verletzungen, höchstens als durchschnittlich bewertet („mittlere Wucht“, UA S. 25). Damit wird die im ersten Urteil bindend festgestellte Dimension der Tätlichkeiten zugunsten der Angeklagten verringert.

b) Der Senat kann die Schuldsprüche selbst entsprechend der Anklage und der Erstverurteilung auf Totschlag umstellen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 57 m.w.N.). Schon die Prüfung des ersten tatrichterlichen Urteils hat keinerlei Bedenken aufkommen lassen, der damals eingestandene bedingte Tötungsvorsatz könnte im Widerspruch zu den objektiven Tatumständen stehen und nicht ebenfalls das Ergebnis einer auf ihnen beruhenden Schlussfolgerung sein. Solches gilt auf der Grundlage der gleichen verbindlichen Feststellungen (siehe unter 1 a der hiesigen Urteilsgründe ) und an Hand der nunmehr vom Landgericht fehlerfrei getroffenen zusätzlichen Feststellungen zur Vorschädigung des Opfers und zum Motiv der Angeklagten sogar in verstärktem Maße.
Die Feststellungen belegen, dass sich die Angeklagten der Vornahme lebensbedrohlicher Gewalthandlungen bewusst waren. Sie sind mit sich steigernder Gewalt gegen ihren Gastgeber vorgegangen, um sich für die Abweisung vom Vortag zu rächen. Sie waren nach ihren eigenen Worten bereit, die Grenze der Widerstandsfähigkeit ihres Opfers zu erreichen, und – vor dem Hintergrund der massiven Verletzung des Kopfes des Opfers und der besonderen Schwierigkeiten, das Ausmaß und die Wirkungen der weiteren Gewalthandlungen gegen den Kopf im Einzelnen steuern zu können (vgl. BGH, Urt. vom 9. August 2005 – 5 StR 352/04) – auch bereit, die Grenzen der Widerstandsfähigkeit zu überschreiten. Dies gilt vorliegend umso mehr: Das Ausmaß der objektiv erforderlichen Gewalt als Grundlage für einen Schluss auf das Erkennen der Lebensgefährlichkeit der aktuellen Gewalthandlungen war sogar herabgesetzt; denn die Angeklagten hatten ihr Opfer schon am 30. Dezember 2002 erheblich verletzt. Bei dieser Sachlage sind keine Umstände erkennbar, nach denen die Angeklagten ernsthaft darauf vertraut haben könnten, der Geschädigte werde nicht zu Tode kommen (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 57; BGH, Urt. vom 24. März 2005 – 3 StR 402/04).
Die vom Landgericht – insoweit auf Grund zulässiger ergänzender Feststellungen – gegen einen bedingten Tötungsvorsatz angeführten Umstände gebieten keine andere Wertung.
Das Motiv der Angeklagten, He „lediglich“ für dessen abweisendes Verhalten zu bestrafen, streitet nicht gegen einen bedingten Tötungsvorsatz. Es liegt in der Natur der Sache, dass der mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter in Verfolgung seines anders gelagerten Handlungsantriebs in der Regel über kein Tötungsmotiv verfügt (vgl. BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 22). Allerdings kann die Art des Motivs die Stärke des vom Täter empfundenen Handlungsimpulses beeinflussen (vgl. BGH aaO). Vorliegend handelten die Angeklagten in Verfolgung ihres Bestrafungsmotivs in einem zeitlich gestreckten Vorgehen unter Inkaufnahme der Überschreitung der Widerstandsfähigkeit des Opfers. Damit steht das Motiv der Angeklagten der Annahme des voluntativen Vorsatzelements nicht entgegen (vgl. Schneider NStZ 2005, 629, 631).
Auch die Erwägung des Landgerichts, der Tod des Opfers sei nicht im Sinne der Angeklagten gewesen, weil damit die Anlaufstelle für gemeinsame Trinkgelage aufgegeben würde, spricht nicht gegen eine Billigung des Todes (vgl. BGHSt 7, 363, 369). Der Erfolg muss den Wünschen des Täters nicht entsprechen (vgl. BGHSt aaO). Allenfalls hochgradig interessenwidrige Tatfolgen widerstreiten der Annahme einer Billigung des Erfolges durch einen in der Steuerungsfähigkeit beeinträchtigten, ohnehin überaus unüberlegt handelnden Täter. Solches liegt hier nicht vor. Das Landgericht hat nämlich fehlerfrei festgestellt, dass He die Angeklagten schon mehrmals abgewiesen hatte, obwohl sie gekommen waren, um mitgebrachten Alkohol zu konsumieren. Danach stand die Wohnung des He den Angeklagten bereits nur noch in beschränktem Umfang zur Verfügung. Vor diesem Hintergrund vermag der vollständige Verlust (nur) eines Ortes für Trinkgelage keine hochgradig interessenwidrigen Tatfolgen zu begründen.

c) Das Landgericht hat im ersten Urteil rechtsfehlerfrei festgestellt, dass das Opfer an den Folgen der ihm zugefügten als Einheit zu beurteilenden gesamten Gewalthandlungen verstorben ist, insbesondere an den Kopfverletzungen , die ihm in der entscheidenden besonders brutalen späten Ge- schehensphase zugefügt worden waren. Wie ausgeführt, war das Geschehen insoweit – nicht anders als das massive Blutungen verursachende Abreißen des Nasenknorpels in dieser Phase – von bedingtem Tötungsvorsatz getragen. Diese von der Teilaufrechterhaltung erfassten bindenden Feststellungen zur Kausalität hindern die vom Generalbundesanwalt erwogene zweifelhafte Aufspaltung des Geschehens mit einem möglicherweise allein todesverursachenden Teil der Verletzungen in der ersten, noch nicht vom Tötungsvorsatz erfassten Tatphase. Soweit den Feststellungen des Landgerichts , das freilich auch von einer Todesverursachung durch Bluteinatmung ausgeht (UA S. 16, 26), Abweichendes zu entnehmen sein sollte, würde auch dies gegen die innerprozessuale Bindungswirkung verstoßen. Eine Verurteilung wegen eines lediglich versuchten Kapitalverbrechens in Tateinheit mit Körperverletzung mit Todesfolge scheidet schon deshalb aus.

d) Die Voraussetzungen für das Vorliegen niedriger Beweggründe lassen sich den insoweit fehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts nicht entnehmen. Zwar ist die nunmehr festgestellte (wiederholte) Bestrafungsaktion grundsätzlich geeignet, das Vorliegen niedriger Beweggründe zu belegen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 39; BGH, Urt. vom 1. September 2005 – 4 StR 290/05). Es liegt nicht gänzlich fern, die von den Angeklagten ausgelebte Rache für ein ihnen unverständliches, als undankbar empfundenes Bestehen des betrunkenen Opfers auf seinem Hausrecht als ebenfalls auf niedrigen Beweggründen beruhend anzusehen (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 36; BGH NStZ-RR 2003, 147, 149). Indes reichen die bisherigen Feststellungen als Grundlage für eine sichere Wertung nicht aus. Der Senat schließt namentlich aus, dass in einer neuen Hauptverhandlung bewiesen werden kann, dass die Angeklagten, die erst nach sechsstündigem gemeinsamen Alkoholgenuss ihre zunächst mit Worten ausgedrückte Verärgerung in stark angetrunkenem Zustand in dumpfem Unmut zur affektgeladenen, fast blindwütigen Racheaktion steigerten, ihr Vergeltungsstreben für ein verwehrtes Gastrecht in seiner Bedeutung für die Tatausführung in ihr Bewusstsein aufgenommen haben (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 Niedrige Beweggründe 26 und 36). Damit hat es mit der Umstellung der Schuldsprüche auf Totschlag sein Bewenden.
6. Die Strafen müssen neu bemessen werden. Dazu bedarf es keiner Aufhebung von Feststellungen. Der neu berufene Tatrichter wird die Strafen für den von den Angeklagten gemeinschaftlich begangenen Totschlag auf der Grundlage der Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen (1 a der hiesigen Urteilsgründe), der zulässigerweise getroffenen weiteren Feststellungen zur Person der Angeklagten (UA S. 4 bis 10), deren Motiv (UA S. 12, 20, 31) und zu der Tat vom 30. Dezember 2002 (UA S. 10 f.) zu bemessen haben, wobei von einer erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit (UA S. 26 bis 28) auszugehen ist. Der Senat wiederholt seinen im Urteil vom 17. August 2004 unter IV. erteilten Hinweis zur Anwendung von § 49 Abs. 1 StGB (vgl. auch sub 8).
7. Mit den Teilerfolgen der Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin erledigen sich deren Kostenbeschwerden.
8. Die wirksam auf das Strafmaß beschränkte Revision des Angeklagten H ist unbegründet. Soweit sich die Revision mit der Sachrüge gegen die versagte Strafrahmenverschiebung nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB wendet, zeigt sie keinen Rechtsfehler auf. Das Landgericht hat das mit dem vorliegenden Tatbild übereinstimmende Vortatgeschehen vom 30. Dezember 2002 als Vorerfahrung der Angeklagten gewürdigt, wonach der sie unter dem Einfluss erheblicher Mengen Alkohols objektiv und subjektiv vorhersehbar zu weiteren gewalttätigen Übergriffen gegen ihr Opfer neigten. Solches begründet die Versagung der Strafrahmenverschiebung (vgl. BGHSt 49, 239, 243, 245 f.).
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Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 30/05
vom
10. Mai 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 10. Mai 2005,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl
als Vorsitzender
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Elf,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 28. Juli 2004 im Strafausspruch mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts Stuttgart zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:


Das Landgericht hatte den Angeklagten mit Urteil vom 4. April 2003 wegen Heimtückemordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. Nach Aufhebung dieses Urteils durch den Beschluß des Bundesgerichtshofes vom 4. November 2003 (1 StR 395/03) wegen Überschreitens der Urteilsabsetzungsfrist hat das Landgericht unter Anwendung der in der Entscheidung des Großen Senats für Strafsachen (BGHSt 30, 105) entwickelten Grundsätze zur außergewöhnlichen Strafmilderung den Angeklagten zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt. Mit ihrer auf den Strafausspruch beschränkten Revision rügt die Staatsanwaltschaft die Verletzung materiellen Rechts. Sie beanstandet
insbesondere, daß das Landgericht keine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt hat. Das Rechtmittel hat Erfolg.

I.


1. Nach den Feststellungen erschoß der Angeklagte, der aus Anatolien stammt, in den Mittagsstunden des 24. August 2002 seinen Landsmann H. Y. , der mit dem Bruder der Ehefrau des Angeklagten an einem Stehtisch eines Imbiß in der Ortsmitte von D. stand, sich unterhielt und Tee trank. Der Angeklagte ging zielstrebig auf die beiden Männer zu, nahm in einer Entfernung von mindestens zwei, höchstens vier Metern seine Hand aus der Tasche, wie wenn er die Anwesenden begrüßen wollte. Er zog jedoch eine in seiner Hosentasche verborgene Pistole heraus und gab sodann mit gestrecktem Arm, die Pistole in Augenhöhe haltend, auf den Kopf desH. Y. zielend, in dichter Folge zwei Schüsse ab, sodann ohne Unterbrechung in Richtung auf den zu Boden sinkenden H. Y. zwei weitere Schüsse schräg nach unten, bevor sich die fünfte Patrone in der Pistole verklemmte. H. Y. verstarb im Niedersinken an den Folgen des ersten Schusses unmittelbar vor den Augen seines ebenfalls anwesenden 11jährigen Sohnes.
Zu seinem Motiv erklärte der Angeklagte, vor einigen Jahren habe eine ihm bekannte Frau gesagt, seine - des Angeklagten Frau - habe mit H. Y. Tee getrunken, während er - der Angeklagte - bei der Arbeit gewesen sei. Vor einigen Wochen, als er von der Arbeit nach Hause gekommen sei, sei H. Y. aus der Wohnung gelaufen, habe ihn dabei weggeschubst, aber kein Wort gesprochen. In der Wohnung hätten auf dem Tisch zwei Teegläser
gestanden. Er sei sich sicher, daß seine Frau und H. Y. ein Verhältnis hätten. Der Angeklagte erklärte zum Tattag, "sein Kopf sei nicht mehr an seinem Platz, er vergesse sehr viel, seit er krank sei". Schließlich erklärte er zu seinem Motiv, es handele sich um eine Sache der Ehre.
2. Die Strafkammer hat eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit trotz des vom psychiatrischen Sachverständigen geäußerten Verdachts einer anhaltenden Störung der Erlebnisverarbeitung in Form einer "überwertigen Idee" einer eifersüchtigen Fehlentwicklung ausgeschlossen und die Tat rechtlich als Heimtückemord gemäß § 211 StGB angesehen. Der Angeklagte habe sich H. Y. , der zu keinem Zeitpunkt mit einer Tätlichkeit, nicht einmal mit einer Beleidigung, rechnete und sich arglos mit seinem Bekannten vor dem Imbiß unterhalten habe, im Bewußtsein dieser Situation genähert und auf ihn aus kurzer Entfernung geschossen, um ihn zu töten. Ein Handeln aus niedrigen Beweggründen sei nicht feststellbar. Zwar habe der Angeklagte die Tat um seiner Ehre Willen begangen, eine weitere sichere Aufklärung der Motivation sei nicht möglich gewesen. Es komme "lediglich als Motiv ernsthaft in Betracht, daß der Angeklagte subjektiv aufgrund einer überwertigen Idee von einem ehewidrigen Verhältnis zwischen seiner Ehefrau und H. Y. überzeugt" gewesen sei. Bei dieser Sachlage sei ein Handeln des Angeklagten aus niedrigen Beweggründen nicht feststellbar.
3. Die Strafkammer hat anstelle der zu verhängenden lebenslänglichen Freiheitsstrafe wegen Vorliegens außergewöhnlicher Umstände die Strafe dem entsprechend § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB gemilderten Strafrahmen entnommen. Dabei sei sich die Kammer bewußt gewesen, daß die hier gegebene Konstellation von den Situationen abweiche, die der Große Senat, aber eben nur bei-
spielhaft und nicht abschließend, für die Verdrängung der absoluten Strafdrohung des § 211 StGB aufgeführt habe, und daß nicht jeder Entlastungsfaktor,
der etwa nach § 213 StGB zur Annahme eines minder schweren Falles zu führen vermag, ausreiche.
Den Charakter der außergewöhnlichen Umstände bekomme d ie Tat durch die überwertige Idee von einem Verhältnis zwischen seiner Ehefrau und H. Y. , wie sie sich gerade bei diesem Angeklagten entwickelt und ausgeprägt habe. Diese Idee habe sich beim Angeklagten so verfestigt und zugespitzt , daß sich seine Gesundheit in einem mehrwöchigen Zeitraum vor der Tat massiv verschlechtert habe. Neben den bereits vorhandenen Herzerkrankungen habe sich die Zuckerkrankheit des Angeklagten für ihn in hohem Maße ungünstig und damit belastend entwickelt. Er sei mehrere Wochen krank geschrieben , habe dann sogar im Juli zwei Wochen Urlaub genommen, um sich nicht erneut krank schreiben lassen zu müssen, was seiner eigenen Arbeitseinstellung widersprochen habe. Der Angeklagte habe sich somit damals in einer gesundheitlichen Krise, und damit auch in einer persönlichen Krise befunden, indem er seine Männlichkeit - seinen Mann zu stehen zuhause und im Beruf - bedroht gesehen habe; denn er sei mit der Zuckerkrankheit und ihrer Behandlung nicht fertig geworden und habe sein Leben und seine Arbeit nicht mehr in der bisherigen Form fortführen können. Die damit verbundene Verunsicherung seiner männlichen Rolle habe - zumindest nicht ausschließbar - zu einer persönlichen Krise geführt, bei der er - wie der Sachverständige nachvollziehbar und überzeugend zur Psychodynamik ausgeführt habe - die Verunsicherungen projektiv nach außen verlagert haben könnte. Der Sachverständige habe erläutert, daß die tatsächlich erlebte Abnahme der eigenen männlichen Leistungsfähigkeit psychodynamisch die neurotisch-konflikthafte Eifersucht auf den vermeintlichen Nebenbuhler verschärft haben könnte. Der Angeklagte habe aufgrund seiner Herkunft und Prägung praktisch auch kaum eine
Möglichkeit gehabt, Abstand zu der überwertigen Idee zu gewinnen. Er stamme aus einem Land, in dem die Rolle des Mannes besonders hervorgehoben sei und in dem die überkommenen Regeln des Zusammenlebens weiterhin gelten. Bis heute habe der Angeklagte sich nicht von diesen Wertvorstellungen distanziert. Es sei ihm infolge dieses Werte- und Familiengefüges nicht möglich, sich über persönliche Probleme, gerade auch im familiären Bereich, mit Dritten auszutauschen , weder mit seiner Frau noch im Kreis der Verwandtschaft oder der Kollegen, wie dies ein Arbeitskollege und die Personalsachbearbeiterin des Arbeitgebers be-stätigt hätten. Diese mangelnde Kommunikationsfähigkeit resultiere aus der Herkunft des Angeklagten; danach sei es ihm als Mann nicht möglich, mit anderen beispielsweise über mögliche "Verhältnisse", gar sexueller Art, zu reden; ihm werde eine Distanzierung zu seiner Gedankenwelt dadurch erschwert, daß er, wie der Sachverständige erläuterte, zwar keinesfalls schwachsinnig, aber doch eine einfach strukturierte Persönlichkeit mit nicht hoher Intelligenz sei.
Auf der anderen Seite habe die Kammer nicht übersehen, daß die Familie des Opfers, die Ehefrau und drei Kinder, bis heute massiv unter der Tat leide : Die Ehefrau des Opfers habe glaubhaft berichtet, daß bis heute alle drei Kinder, die zur Tatzeit 17, 14 und 11 Jahre alt waren, mit ihr nur in einem Zimmer Schlaf finden könnten und sowohl der Sohn, der Augenzeuge der Tat sein mußte, als auch eine Tochter noch heute in psychologischer Betreuung seien.

II.


Die Wertung der Strafkammer, dies seien außergewöhnliche Umstände, aufgrund welcher die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe als unverhält-
nismäßig erscheint, hält rechtlicher Prüfung nicht stand.
1. Die vom Großen Senat des Bundesgerichtshofs (BGHSt 30, 105) entwickelte Rechtsfolgenlösung trägt dem Umstand Rechnung, daß das Mordmerkmal der Heimtücke auch in Fällen erfüllt sein kann, bei denen die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe wegen des sonstigen Gepräges der Tat das aus dem Grundgesetz abzuleitende Verbot unverhältnismäßigen staatlichen Strafens verletzen würde. Eine abschließende Definition oder eine Aufzählung der außergewöhnlichen Umstände, die in Fällen heimtückischer Tötung zur Verdrängung der lebenslangen Freiheitsstrafe führen können, hat der Große Senat für Strafsachen für unmöglich gehalten, jedoch auf beispielhaft in Betracht kommende Fallkonstellationen hingewiesen. Dazu gehören in großer Verzweiflung begangene oder aus gerechtem Zorn auf Grund einer schweren Provokation verübte Taten, ebenso Taten, die in einem vom Opfer verursachten und ständig neu angefachten, zermürbenden Konflikt oder in schweren Kränkungen des Täters durch das Opfer, die das Gemüt immer wieder heftig bewegen, ihren Grund haben. Allerdings reicht nicht jeder Entlastungsfaktor, der nach § 213 StGB Berücksichtigung finden würde, zur Annahme der Unverhältnismäßigkeit der lebenslangen Freiheitsstrafe aus. Auf die vom Großen Senat für Strafsachen im Wege verfassungskonformer Rechtsanwendung eröffnete Möglichkeit, anstatt der an sich verwirkten lebenslangen Freiheitsstrafe eine Strafe aus dem in analoger Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB bestimmten Strafrahmen zuzumessen, darf nicht voreilig ausgewichen werden (BGH NStZ 2005, 154; NStZ 2003, 482; 484; NStZ 1984, 20). Vielmehr kann das Gewicht des Mordmerkmals der Heimtücke nur durch Entlastungsfaktoren, die den Charakter außergewöhnlicher Umstände haben, so verringert werden, daß jener Grenzfall eintritt, in welchem die Verhängung lebenslanger Freiheitsstrafe trotz der Schwere des tatbestandsmäßigen Unrechts wegen erheblich gemilderter Schuld unverhältnismäßig wäre (vgl. BGH NStZ 1982, 69). Ob die-
se Voraussetzungen vorliegen, hat der Tatrichter aufgrund einer umfassenden Würdigung der Tat sowie der zu ihr hinführenden Umstände zu prüfen (BGH NStZ 1982, 69; BGH NStZ 1984, 20; BGHR StGB § 211 Abs. 1 Strafmilderung 2 und 3). Der Beschluß des Großen Senats für Strafsachen hat nichts daran geändert, daß im Regelfall für eine heimtückisch begangene Tötung auf lebenslange Freiheitsstrafe zu erkennen ist. Durch die Entscheidung wurde nicht allgemein ein Sonderstrafrahmen für minder schwere Fälle eingeführt. Die in dem Beschluß entwickelten Grundsätze für die Anwendung des gemilderten Strafrahmens betreffen nur solche Fälle, in denen das Täterverschulden soviel geringer ist, daß die Verhängung der lebenslangen Freiheitsstrafe das verfassungsrechtliche Gebot schuldangemessenen Strafens mißachten würde. Es müssen schuldmindernde Umstände besonderer Art vorliegen, die in ihrer Gewichtung gesetzlichen Milderungsgründen vergleichbar sind (vgl. BGH NStZ 1984, 20).
2. Wie der Generalbundesanwalt zutreffend dargelegt hat, wird das angefochtene Urteil den von BGHSt 30, 105 aufgestellten Maßstäben nicht gerecht. Das Landgericht hat die von ihm festgestellten objektiven Tatumstände nicht ausreichend in seine Gesamtwürdigung zum Vorliegen von außergewöhnlichen schuldmildernden Umständen einbezogen, sondern hat überwiegend auf die durch die Herkunft und die persönliche Situation geprägte "überwertige Idee" des Angeklagten über das ehewidrige Verhältnis zwischen seiner Frau und H. Y. abgestellt. Es hat in seiner Gesamtwürdigung auch nicht zureichend die normativen Anforderungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt, sondern sich an den Anschauungen und Werten des Angeklagten orientiert, der die sittlichen und rechtlichen Werte
dieser Rechtsgemeinschaft nicht anerkennt (vgl. BGH NStZ 2002, 369 m. w. Nachw.). Die Strafkammer hat sich aufgrund der Aussagen der Zeugen aus der Verwandtschaft des Opfers sowie der Aussage der Ehefrau des Angeklagten selbst davon überzeugt, daß zwischen ihr und H. Y. kein ehewidriges Verhältnis bestand. Sie hatte dem Angeklagten keinen Anlaß zur Eifersucht gegeben, sondern allenfalls gegen die Vorstellung verstoßen, der Kontakt von anderen Männern zu seiner Frau müsse über ihn laufen. Der Angeklagte holte somit aus objektiv nichtigem Anlaß seine Pistole aus dem Keller und entschloß sich, H. Y. in einem Akt der Selbstjustiz zu erschießen, wenn er ihn, wie vermutet, am Imbißstand antreffen würde. Die Tatausführung selbst glich nach der Darstellung des mit dem Tatopfer zusammenstehenden Zeugen einer "Hinrichtung" vor den Augen von dessen 11jährigem Sohn und dessen gleichaltrigem Freund. Angesichts dieses Aktes von Selbstjustiz und der festgestellten objektiven Tatumstände kann von außergewöhnlichen Schuldmilderungsgründen , die zu einer Strafrahmenverschiebung führen können, nicht ausgegangen werden. Dies gilt selbst dann, wenn der Angeklagte aufgrund seines Lebenszuschnitts und seiner intellektuellen Fähigkeiten in seinen Ehrvorstellungen und Traditionen seiner anatolischen Heimat befangen war, von denen er sich trotz seines langjährigen Aufenthalts in Deutschland nicht hat lösen können.
3. Keinen Rechtsfehler sieht der Senat allerdings darin, daß das Landgericht neben dem Mordmerkmal der "Heimtücke" nicht auch das Mordmerkmal der "niedrigen Beweggründe" angenommen hat, obwohl der Angeklagte glaubte , zu einem von langer Hand vorbereiteten Akt der Selbstjustiz berechtigt gewesen zu sein. Die Frage, ob eine Tötung aus "niedrigen Beweggründen" erfolgte , ist im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu entscheiden, bei der die Tat-
motive insgesamt zu berücksichtigen sind; dabei steht dem Tatrichter ein Beurteilungsspielraum zu, den das Revisionsgericht nicht durch eigene Erwägungen ausfüllen kann (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 21; Maatz/Wahl, FS aus Anlaß des fünfzigjährigen Bestehens des BGH S. 531, 552; jeweils m. w. Nachw.). Im Hinblick auf die vom Landgericht festgestellte persönliche Krise und seiner "überwertigen Idee" von einem ehewidrigen Verhältnis seiner Ehefrau ist es revisionsrechtlich noch hinnehmbar, daß das Landgericht die Verurteilung nicht auch auf das Mordmerkmal der Tötung aus sonst "niedrigen Beweggründen" gestützt hat (vgl. BGHR StGB § 211 Abs. 2 niedrige Beweggründe 32), wenn auch eine andere tatrichterliche Wertung möglich gewesen wäre.
4. Die Sache bedarf zum Strafausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat macht entsprechend dem Antrag des Generalbundesanwalts von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 Satz 1 StPO).
Wahl Boetticher Kolz Elf Graf

(1) Der Mörder wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

(2) Mörder ist, wer
aus Mordlust, zur Befriedigung des Geschlechtstriebs, aus Habgier oder sonst aus niedrigen Beweggründen,
heimtückisch oder grausam oder mit gemeingefährlichen Mitteln oder
um eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken,
einen Menschen tötet.