vorgehend
Landgericht Marburg, 1 , s 12704/18

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 419/19
vom
17. Dezember 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Brandstiftung u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:171219B2STR419.19.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 17. Dezember 2019 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Marburg vom 29. Mai 2019 mit den zugehörigen Feststellungen, mit Ausnahme der Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten, aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen, Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung, Brandstiftung und Nötigung unter Einbeziehung der Einzelstrafe aus einem Strafbefehl des Amtsgerichts Gießen vom 14. November 2018 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt, seine Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und ihn im Übrigen freigesprochen. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf Verfahrensrügen und die Sachbeschwerde ge- stützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.

I.

2
Das Landgericht hat folgende Feststellungen und Wertungen getroffen:
3
1. Der Angeklagte wies schon als Kind und Jugendlicher eine Störung des Sozialverhaltens auf. Er hatte sehr wenige Verhaltensmuster für Konfliktsituationen. Er erreichte weder einen Schulabschluss noch absolvierte er eine Berufsausbildung. Gegenüber der Mutter stellte er kaum erfüllbare Forderungen und wurde ihr gegenüber gewalttätig. Im Februar und März 2015 befand er sich in anderer Sache in Untersuchungshaft und fiel dort durch Wahnvorstellungen auf, die Wände hätten Ohren, er sei an Hepatitis erkrankt, er sei früher ein Freund der Hell´s Angels gewesen und werde nun von diesen als Verräter verfolgt. Aggressionsdelikte führten zu einer Reihe von Vorstrafen. Danach kam es zu den verfahrensgegenständlichen Taten:
4
a) Am 3. Juli 2018 stritt der Angeklagte mit seiner Mutter um Geld, das sie ihm geben sollte, damit er nach B. reisen, dort eine Arbeitsstelle suchen und ein neues Leben beginnen könne. Im Lauf des Streits würgte der Angeklagte seine Mutter (Fall II.1. der Urteilsgründe).
5
b) Am Folgetag setzte sich der Streit fort. Nach einem Telefonanruf eskalierte die Situation. Der Angeklagte würgte seine Mutter wiederholt. Die Zeugin R. nahm dies wahr und verständigte die Polizei. Der Angeklagte ließ sich von dieser widerstandslos festnehmen. Er hatte einen Teleskopschlagstock und drei Messer in seinem Zimmer (Fall II.2. der Urteilsgründe).
6
c) Der Angeklagte wurde anschließend zur Polizeistation verbracht. Dort änderte sich seine Stimmung plötzlich, er schrie herum und drohte, allen eine Kugel in den Kopf zu schießen. Zu dem vorangegangenen Übergriff auf die Mutter erklärte er: „Die hat´s verdient!“ und „Die knall ich ab!“. Der Angeklagte tobte eine Stunde lang und wurde dann in die psychiatrische Klinik gebracht. Auf dem Weg dorthin äußerte er, er werde dem Beamten D. „von den Intensivtätern in M. “ „eine Kugel in den Kopf schießen“ und dessen Kinder umbringen. Polizeikommissar K. wurde vom Angeklagten beleidigt und damit bedroht, dass er dessen Mutter töten werde (Fall II.3. der Urteilsgründe).
7
d) Am 15. September 2017 konsumierte der Angeklagte Whiskey, Kokain und Cannabis. Dann rief er seinen Großvater an, verlangte von diesem mehrere tausend Euro und drohte dem Großvater an, ihn umzubringen, wenn er nicht zahle. Der Angeklagte nannte aber weder seinen Aufenthaltsort noch einen Ort für die Übergabe des geforderten Geldes (Fall II.4. der Urteilsgründe).
8
e) Der Angeklagte trank am 7. Mai 2018 Whiskey. Danach trainierte er in der Obdachlosenunterkunft mit Stöcken den Kampfsport Muay Thai. Dabei durchlöcherte er die Wand. Dann schrieb er auf die Tapete: „Es müssen Justizbeamte sterben. Ich will auf die Beine kommen und die ficken mich. Ich bin und werde nie ein Verräter!!! Aber ich bin ein 22jähriger, der Hilfe bräuchte um legal in seiner Heimat zu leben. Das ist alles!!! R.I.P. Brothers and sisters“ (Fall II.5. der Urteilsgründe).
9
f) Dem Angeklagten wurde am 24. September 2018 die Unterkunft gekündigt. Er wurde von den städtischen Bediensteten A. und Ki. zur Räumung aufgefordert, hörte sich deren Kritik an und erklärte daraufhin: „Besorgen Sie sich schon einmal eine Security“. Die Zeugin A. organi- sierte eine Notunterkunft für den Angeklagten, die dieser jedoch ablehnte. Der Angeklagte hatte beim Landratsamt Hausverbot vorbehaltlich der Ankündigung des Erscheinens. Er teilte telefonisch mit, dass er sich seinen Barscheck abholen komme. Der Sachbearbeiter Ar. war vom Angeklagten beleidigt und bedroht worden und bat daher seine Kollegin A. darum, dem Angeklagten den Scheck auszuhändigen. Die Zeugin A. tat dies, ließ sich aber auf kein Gespräch mit dem Angeklagten ein. Dieser hatte das Gefühl, dass niemand ihm helfen wolle und beschloss, Autos in Brand zu setzen, damit er in Haft komme. Dort wollte er eine Ausbildung absolvieren. Er erwarb ein Küchenmesser und Brandbeschleuniger. Danach setzte er fünf Fahrzeuge in Brand, indem er Benzin in Lüftungsschlitze schüttete und anzündete. Es entstand Sachschaden in Höhe von 54.000 Euro (Fall II.6. der Urteilsgründe).
10
g) Der Zeuge F. beobachtete die Brandstiftung, nahm die Verfolgung des Angeklagten auf und rief seinem Kollegen I. zu, dieser solle den Angeklagten festhalten. Der Angeklagte drehte sich auf dem Parkplatz zu dem Zeugen I. um, schüttete im Halbkreis um sich herumBrandbeschleuniger aus, riss die Arme empor und freute sich euphorisch. Dann entfernte er sich. Der Zeuge F. folgte ihm und fragte ihn, was das solle. Der Angeklagte nannte seinen Namen und erklärte, dass man das alles der Zeugin A. verdanke. Schließlich hielt er dem Zeugen F. das Küchenmesser in Bauchhöhe vor und sagte: „Komm doch!“ Der Zeuge F. brach darauf die Verfolgung ab. Der Angeklagte wurde von der Polizei festgenommen und äußerte sich gegenüber den Polizeibeamten wirr (Fall II.7. der Urteilsgründe).
11
2. Der Angeklagte leidet unter paranoider Schizophrenie. In den Fällen II.1. bis II.3. und II.6. sowie II.7. der Urteilsgründe war die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nach Ansicht des Landgerichts erheblich eingeschränkt , in den Fällen II.4. und II.5. der Urteilsgründe möglicherweise sogar aufgehoben. Das Landgericht hat die Taten in den Fällen II.1. und II.2. der Urteilsgründe als gefährliche Körperverletzung, im Fall II.3. als Beleidigung in Tateinheit mit Bedrohung, im Fall II.6. als Brandstiftung und im Fall II.7. als versuchte Nötigung bewertet. Es hat den Angeklagten im Fall II.4. wegen nicht auszuschließender Schuldunfähigkeit freigesprochen und das Verfahren im Fall II.5. nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.

II.

12
Die Revision ist im Wesentlichen begründet.
13
1. Die zum Teil über den Aufhebungsumfang aufgrund der Sachrüge hinausgehenden Verfahrensrügen des Angeklagten haben keinen Erfolg.
14
a) Der Angeklagte rügt einen Verstoß gegen § 252 StPO, weil die Mutter des Angeklagten in der Hauptverhandlung die Aussage verweigert hat, aber ihre polizeiliche Vernehmung in die Hauptverhandlung eingeführt worden ist.
15
aa) Die Rüge ist zulässig, da weder ein Widerspruch gegen die Beweisverwertung in der Tatsacheninstanz noch eine Anrufung des Gerichts gemäß § 238 Abs. 2 StPO Voraussetzung für die Zulässigkeit der Revisionsrüge einer Verletzung von § 252 StPO ist (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1999 – 4StR 189/99, BGHSt 45, 203, 205). Die Zulässigkeit der Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen § 252 StPO setzt auch im Hinblick auf § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO keinen Vortrag des Beschwerdeführers voraus, der zeugnisverweigerungsberechtigte Zeuge habe nicht nach qualifizierter Belehrung auf das Verwertungsverbot verzichtet (vgl. Senat, Beschluss vom 13. Juni 2012 – 2 StR 112/12, BGHSt 57, 254, 265).
16
bb) Die Rüge ist jedoch unbegründet.
17
Ein zur Zeugnisverweigerung berechtigter Zeuge kann die Verwertung seiner in einer polizeilichen Vernehmung getätigten Angaben wirksam gestatten. In der Hauptverhandlung muss er nur darauf hingewiesen werden, welche Konsequenzen die Gestattung der Verwertung hat (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Februar 2015 – 1 StR 20/15, NStZ 2015, 232). Die Geltendmachung des Zeugnisverweigerungsrechts hindert ihn dann nicht, der Verwertung der bei einer nichtrichterlichen Vernehmung gemachten Aussage wirksam zuzustimmen (vgl. BGH, Urteil vom 23. September 1999 – 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203,

206).

18
Die Revision trägt zum Verfahren bei der Zeugnisverweigerung der Mutter des Angeklagten vor: „Nach Belehrung hat sie sich in der Hauptverhand- lung damit einverstanden erklärt, dass ihre polizeilichen Aussagen verwertet werden dürfen“. Auch das Urteil verweist darauf, dass die Zeugin sich nach „ausdrücklicher Belehrung“ mit der Verwertung ihrer Angaben bei der polizeili- chen Vernehmung einverstanden erklärt habe. Daraus und aus der Reaktion der Zeugin auf die Belehrung entnimmt der Senat, dass ein Hinweis des Gerichts auf die Folgen der Einverständniserklärung erfolgt ist.
19
Die nicht näher erläuterte Behauptung der Revision, die Zeugin sei sich der Tragweite ihres Verzichtes nicht bewusst gewesen, ist mit dem Protokoll- vermerk über deren Äußerung unvereinbar: „Ich möchte zur Sache nichts aus- sagen. Ich bin damit einverstanden, dass meine polizeiliche Aussage verwertet wird. Insbesondere darf der Polizeibeamte, der mich vernommen hat, vor Ge- richt gehört werden.“
20
Nach alledem besteht kein Grund zur Annahme eines Beweisverwertungsverbots gemäß § 252 StPO.
21
b) Der Beschwerdeführer macht ferner einen Verstoß gegen § 244 Abs. 4 StPO geltend. Das Landgericht hat seinen Beweisantrag auf Einholung eines „psychoanalytischen Obergutachtens“ zu der Behauptung zurückgewie- sen, er leide nicht unter Schizophrenie, sondern unter einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung. Die ausführlich erläuterte Begründung der Zurückweisung des Beweisantrags damit, das Gegenteil der Beweisbehauptung sei durch den gerichtlichen Sachverständigen bereits erwiesen, es bestünden keine Zweifel an dessen Sachkunde, sein Gutachten entspreche den Methodenanforderungen und gehe von zutreffenden Anknüpfungstatsachen aus, weist keinen Rechtsfehler auf.
22
2. Die Revision hat jedoch mit der Sachrüge in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Die Ausführungen des Landgerichts zur Frage einer teils erheblich verminderten, teils nicht ausschließbar aufgehobenen Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit weisen durchgreifende Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.
23
a) Ob die Steuerungsfähigkeit wegen einer schweren anderen seelischen Abartigkeit bei Begehung der Tat erhalten geblieben, erheblich vermindert (§ 21 StGB) oder sogar aufgehoben war (§ 20 StGB), ist eine Rechtsfrage, die der Tatrichter ohne Bindung an Äußerungen von Sachverständigen in eigener Verantwortung zu beantworten hat (vgl. Senat, Urteil vom 19. Oktober 2011 – 2 StR 172/11, BeckRS 2012, 1000; Beschluss vom 28. September 2016 – 2StR 223/16, NStZ-RR 2017, 37, 38; BGH, Beschluss vom6. Februar 2019 – 3 StR 479/18). Hierbei fließen auch normative Gesichtspunkte ein. Der Tatrichter hat das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen eigenverantwortlich zu bewerten und weiterzuverarbeiten; er muss sich mit Hilfe des Sachverständigengutachtens selbst sachkundig machen (vgl. Senat, Beschluss vom 25. Mai 2011 – 2 StR 585/10, NStZ 2012, 103). Vom Tatgericht zu beurtei- len ist danach, ob der Täter bei der Begehung der jeweiligen Tat defektbedingt motivatorischen und situativen Tatanreizen wesentlich weniger Widerstand entgegensetzen konnte als ein Durchschnittsbürger (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Dezember 2018 – 4 StR 505/18, StV 2019, 274, 276) oder ob ihm das sogar unmöglich war. Wegen der Schwierigkeit einer genauen Grenzziehung bedarf es einer konkretisierenden Darlegung, aus der sich ergibt, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung jeweils bei Begehung der konkret abzuurteilenden Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135; Beschluss vom 11. April 2018 – 4 StR 446/17, StV 2019, 232, 233; Schönke /Schröder/Perron/Weißer, StGB, 30. Aufl., § 20 Rn. 31).
24
b) Den sich daraus ergebenden Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht.
25
aa) Der gerichtliche Sachverständige hat bei dem Angeklagten eine paranoide Schizophrenie mit Verfolgungsgedanken und Anzeichen hypochondrischer Wahnvorstellungen diagnostiziert. Substanzmissbrauch komme als Nebenbefund hinzu. Taten des Angeklagten zum Nachteil seiner Mutter und seines Großvaters (Fälle II.1. 2. 4. der Urteilsgründe) seien auf krankheitsbedingte Reizbarkeit und Hostilität zurückzuführen, seine Drohungen hätten etwas Maßloses , die Beschriftung der Tapete (Fall II.5. der Urteilsgründe) habe auf einer psychotischen Motivation beruht, in den Fällen II.6. und II.7. der Urteilsgründe sei die Psychose handlungsauslösend gewesen. Die Brandstiftung mit dem Ziel, in Haft zu kommen, sei „normalpsychologisch nicht erklärbar“. Bei allen Taten sei „jedenfalls von einer erheblich verminderten Steuerungsfähigkeit zu den jeweiligen Tatzeitpunkten auszugehen“.
26
Zu den Ausführungen des Sachverständigen hat die Strafkammer an- gemerkt, infolge „dieser Auswirkungen der psychischen Erkrankung in Form einer paranoiden Schizophrenie auf das Denken, Fühlen und Handeln des An- geklagten zu den Tatzeitpunkten“ sei sie „zu der sicheren Überzeugung“ ge- langt, dass der Angeklagte aufgrund der bei ihm vorliegenden krankhaften seelischen Störung bei Begehung der Taten zwar in der Lage gewesen sei, das Unrecht seiner Taten einzusehen. Er sei jedoch nicht imstande gewesen, „sein Verhalten adäquat nach dieser Unrechtseinsicht auszurichten, sodass er in allen Fällen jedenfalls erheblich vermindert schuldfähig im Sinne von § 21 StGB“ gewesen sei.
27
bb) Damit wird nicht nachvollziehbar und auf den jeweiligen Einzelfall bezogen durch das Tatgericht erläutert, warum einerseits das Hemmungsvermögen des Angeklagten zur Tatzeit in den Fällen II.2., II.3., II.6. und II.7. der Urteilsgründe erheblich vermindert, aber nicht aufgehoben war, wohingegen in den Fällen II.4. und II.5. der Urteilsgründe eine Aufhebung der Steuerungsfähigkeit zumindest nicht auszuschließen sei. Die Darlegungen sind widersprüchlich und unklar. War der Angeklagte „nicht imstande“, sein Verhalten adäquat nach der vorhandenen Unrechtseinsicht auszurichten, so war er schuldunfähig. Konnte er sein Verhalten entgegen dieser Wertung nach dem Entscheidungsergebnis des Landgerichts aber noch dem Grunde nach entsprechend seiner Unrechtseinsicht steuern, stellt sich die Frage der normativ geprägten Erheblichkeit der Beeinträchtigung dieser Fähigkeit, und zwar mit Blick auf den jeweils erfüllten Unrechtstatbestand in unterschiedlicher Weise. Darauf gehen die Urteilsgründe nicht ein. Ihre pauschalen Wertungen, die den jeweils in Rede stehenden Straftatbestand, die Motivationslage des Angeklagten im Einzelfall und die Bedeutung der psychischen Krankheit für den Tatantrieb und die diesem entgegenzusetzenden Hemmungen nicht in den Blick nehmen, lassen besor- gen, dass die Strafkammer die notwendige eigenverantwortliche und rechtliche Wertung der Einzelfälle nicht vorgenommen hat.
28
3. Das Urteil unterliegt daher der Aufhebung, soweit der Angeklagte verurteilt wurde. Jedoch können die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zu den rechtswidrigen Taten aufrecht erhalten bleiben; insoweit ist die Revision unbegründet.
29
Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann ebenfalls nicht bestehen bleiben, weil sie die sichere Feststellung eines Falles des § 20 oder § 21 StGB voraussetzt, die hier nicht rechtsfehlerfrei getroffen wurde.
30
In diesem Fall muss mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO wegen des untrennbaren Zusammenhangs zwischen der Entscheidung über die Unterbringung nach § 63 StGB und dem auf § 20 StGB gestützten Freispruch schließlich auch der Freispruch im Fall II.4. der Urteilsgründe aufgehoben werden (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Oktober 2016 – 4 StR 78/16, NStZ-RR 2017, 74, 75).
Franke Eschelbach Meyberg Grube Schmidt

Vorinstanz:
Marburg (Lahn), LG, 29.05.2019 - 1 Js 12704/18 12 KLs

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Die Staatsanwaltschaft kann von der Verfolgung einer Tat absehen,

1.
wenn die Strafe oder die Maßregel der Besserung und Sicherung, zu der die Verfolgung führen kann, neben einer Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten wegen einer anderen Tat rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, nicht beträchtlich ins Gewicht fällt oder
2.
darüber hinaus, wenn ein Urteil wegen dieser Tat in angemessener Frist nicht zu erwarten ist und wenn eine Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung, die gegen den Beschuldigten rechtskräftig verhängt worden ist oder die er wegen einer anderen Tat zu erwarten hat, zur Einwirkung auf den Täter und zur Verteidigung der Rechtsordnung ausreichend erscheint.

(2) Ist die öffentliche Klage bereits erhoben, so kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft das Verfahren in jeder Lage vorläufig einstellen.

(3) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat bereits rechtskräftig erkannten Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, wieder aufgenommen werden, wenn die rechtskräftig erkannte Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung nachträglich wegfällt.

(4) Ist das Verfahren mit Rücksicht auf eine wegen einer anderen Tat zu erwartende Strafe oder Maßregel der Besserung und Sicherung vorläufig eingestellt worden, so kann es, falls nicht inzwischen Verjährung eingetreten ist, binnen drei Monaten nach Rechtskraft des wegen der anderen Tat ergehenden Urteils wieder aufgenommen werden.

(5) Hat das Gericht das Verfahren vorläufig eingestellt, so bedarf es zur Wiederaufnahme eines Gerichtsbeschlusses.

Die Aussage eines vor der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Recht, das Zeugnis zu verweigern, Gebrauch macht, darf nicht verlesen werden.

(1) Die Leitung der Verhandlung, die Vernehmung des Angeklagten und die Aufnahme des Beweises erfolgt durch den Vorsitzenden.

(2) Wird eine auf die Sachleitung bezügliche Anordnung des Vorsitzenden von einer bei der Verhandlung beteiligten Person als unzulässig beanstandet, so entscheidet das Gericht.

Die Aussage eines vor der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Recht, das Zeugnis zu verweigern, Gebrauch macht, darf nicht verlesen werden.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 112/12
vom
13. Juni 2012
BGHSt: ja
BGHR: ja
Veröffentlichung: ja
____________________________
1. Die Zulässigkeit der Verfahrensrüge eines Verstoßes gegen § 252 StPO
setzt nicht den Vortrag voraus, der zeugnisverweigerungsberechtigte Zeuge
habe nicht nach qualifizierter Belehrung auf das Verwertungsverbot verzichtet.
2. Die qualifizierte Belehrung über Möglichkeit und Rechtsfolgen eines Verzichts
auf das Verwertungsverbot gemäß § 252 StPO sowie die daraufhin abgegebene
Verzichtserklärung eines zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen
sind als wesentliche Förmlichkeiten des Verfahrens in das Hauptverhandlungsprotokoll
aufzunehmen (§ 273 Abs. 1 StPO).
3. Ist auf das Verwertungsverbot aus § 252 StPO wirksam verzichtet worden
, ist die frühere Aussage des zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen
nach allgemeinen Regeln verwertbar; dies schließt eine Verlesung gemäß
BGH, Beschluss vom 13. Juni 2012 - 2 StR 112/12 - LG Gera
in der Strafsache
gegen
wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern u. a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 13. Juni 2012 gemäß § 349
Abs. 4 StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 10. November 2011 aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer - Jugendschutzkammer - des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 111 Fällen, jeweils in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch von Schutzbefohlenen, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 13 Jahren verurteilt und ihn im Übrigen - vom Vorwurf einer Vielzahl weiterer Fälle - freigesprochen. Seine Revision hat mit einer Verfahrensrüge Erfolg; auf die ebenfalls ausgeführte Sachrüge kommt es nicht an.
2
1. Der Verfahrensrüge einer Verletzung von § 252 StPO liegt folgender Verfahrenssachverhalt zugrunde:
3
Das Landgericht hat am 3. Tag der Hauptverhandlung die Zeuginnen S. L. und M. L. , die nach den Urteilsfeststellungen geschädigten Töchter des Angeklagten, vernommen. Beide Zeuginnen wurden gemäß § 52 StPO über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt und verweigerten sodann unter Berufung auf dieses Recht die Aussage.
4
Nach Entlassen der Zeuginnen ist im Hauptverhandlungsprotokoll jeweils vermerkt: "Der Vorsitzende erläutert den Verfahrensbeteiligten die Sach- und Rechtslage sowie den weiteren Verfahrensfortgang." Im Anschluss daran erklärten der Angeklagte, sein Verteidiger sowie der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft jeweils, sie seien mit der Verlesung der richterlichen Vernehmung der Zeuginnen einverstanden. Dies wurde jeweils durch Beschlüsse des Landgerichts angeordnet. Die Verlesung wurde ausgeführt; auf den Inhalt der Vernehmungen ist die Verurteilung des Angeklagten gestützt.
5
In den Urteilsgründen hat das Landgericht ausgeführt: "Die richterlichen Aussagen wurden im Einvernehmen aller Beteiligten verlesen, da die beiden Frauen (…) von ihrem (…) Aussageverweige- rungsrecht Gebrauch gemacht haben. Beiden Zeuginnen war dabei sehr wohl bewusst und bekannt, dass dann gleichwohl ihre Angaben, die sie zuvor vor dem jeweiligen Ermittlungsrichter gemacht hatten, in die Hauptverhandlung eingeführt werden können und auch eingeführt werden."
6
2. Die hiergegen gerichtete Verfahrensrüge einer Verletzung des § 252 StPO ist entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts nicht unzulässig. Dieser hat ausgeführt, § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO hätte den Vortrag des Revisi- onsführers verlangt, dass die Zeuginnen auf das Beweisverwertungsverbot des § 252 StPO nicht wirksam verzichtet hatten. Der Senat teilt diese Ansicht nicht.
7
Aus § 252 StPO ergibt sich, wenn ein Zeuge unter Berufung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht in der Hauptverhandlung die Aussage verweigert, grundsätzlich ein umfassendes Verwertungsverbot (vgl. BGHSt 29, 230, 232; 32, 25, 29). Eine Ausnahme gilt nach ständiger Rechtsprechung insoweit nur für eine Vernehmung eines Richters als Zeuge über eine frühere Aussage der Auskunftsperson, wenn diese bei jener früheren Vernehmung über ihr Zeugnisverweigerungsrecht ordnungsgemäß belehrt worden war (BGHSt 32, 25, 29; 36, 384, 385; 46, 189, 195; st. Rspr.). Weitergehend erlaubt der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung eine Verwertung früherer Aussagen, wenn der verweigerungsberechtigte Zeuge nach ausdrücklicher, qualifizierter Belehrung hierüber mitteilt, er mache von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch, gestatte jedoch die Verwertung jener früheren Aussage (BGHSt 45, 203; BGH NStZ 2007, 352; vgl. dazu Meyer-Goßner, StPO, 55. Aufl., § 252 Rn. 16a m.zahlr.Nachw.). Es handelt sich insoweit folglich um eine in der Rechtsprechung entwickelte eng begrenzte Ausnahme von dem gesetzlichen Verwertungsverbot. Nach Ansicht des Senats würde es die Regelung des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig überdehnen, für die Zulässigkeit der Geltendmachung eines Verstoßes gegen § 252 StPO den Vortrag einer Negativtatsache durch den Revisionsführer zu verlangen, wonach die Voraussetzungen dieser Ausnahme nicht gegeben sind.
8
3. Die Rüge ist auch begründet. Da die früheren richterlichen Aussagen der beiden Zeuginnen nicht durch Vernehmung des Richters, sondern durch Verlesung eingeführt wurden, wäre hierzu ein ausdrücklicher Verzicht der Zeuginnen auf das Verwertungsverbot gemäß § 252 StPO erforderlich gewesen.
Hieran fehlt es. Durch den Inhalt des Hauptverhandlungsprotokolls ist bewiesen , dass eine qualifizierte Belehrung der Zeuginnen S. und M. L. nicht erfolgte und dass diese auch nicht ausdrücklich ihr Einverständnis mit der Verwertung ihrer Aussagen erklärt haben. Hierbei handelt es sich um wesentliche Förmlichkeiten des Verfahrens (§ 273 Abs. 1 StPO); das Schweigen des Protokolls beweist, dass sie nicht stattgefunden haben.
9
Diese Verfahrenstatsachen werden auch nicht dadurch ersetzt, dass das Landgericht in den Urteilsgründen ausgeführt hat, den Zeuginnen sei "bewusst und bekannt" gewesen, dass ihre frühere Vernehmung verwertet werden würde (UA S. 17). Im Hinblick auf den Ausnahmecharakter der Zulässigkeit einer Verwertung früherer Aussagen trotz gegenwärtiger Zeugnisverweigerung wäre es nicht angezeigt, die für diesen Fall von der Rechtsprechung entwickelten strengen Förmlichkeiten aufzuweichen und schon ein allgemeines, vom Tatrichter in den Urteilsgründen dargelegtes "Bewusstsein" des Zeugen von einer Verwertungsmöglichkeit ausreichen zu lassen.
10
4. Auch die Erklärung des "Einvernehmens" aller Beteiligten (UA S. 17) mit der Verlesung der Niederschriften der richterlichen Aussagen konnte die Verzichtserklärungen nach qualifizierter Belehrung nicht ersetzen. Eine solche Erklärung gemäß § 251 Abs. 2 Nr. 3 StPO ist zwar grundsätzlich möglich, wenn durch eine Verzichtserklärung des zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen die Schwelle des § 252 StPO überwunden und eine Verwertung daher - nach allgemeinen Regeln - zulässig ist. Die Einverständniserklärung nach § 251 Abs. 2 Nr. 3 StPO kann aber die Erklärung eines Verzichts auf das Verwertungsverbot nach qualifizierter Belehrung nicht ersetzen. Das ergibt sich schon daraus, dass § 251 Abs. 2 Nr. 3 StPO ein Einverständnis des betroffenen Zeugen nicht voraussetzt. Daher wurde vorliegend über die Verlesung der Verneh- mungsprotokolle folgerichtig erst jeweils nach Entlassung der Zeuginnen beraten und entschieden.
11
5. Das Urteil war auf die Verfahrensrüge insgesamt aufzuheben, so dass es auf die Sachrüge nicht mehr ankommt. Insoweit weist der Senat darauf hin, dass der Generalbundesanwalt zutreffend das Fehlen einer von Tatsachen getragenen Grundlage für die Feststellung der Taten 52 bis 111 zu Lasten der Geschädigten M. L. bemängelt hat. Den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen , dass die Schätzung des Landgerichts, es sei zu insgesamt mindestens 60 Taten gekommen, auf einer hinreichenden Tatsachengrundlage beruht.

VRiBGH Dr. Ernemann ist Fischer Appl in den Ruhestand getreten und daher an der Unterschriftsleistung gehindert. Fischer Schmitt Eschelbach

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 S t R 2 0 / 1 5
vom
10. Februar 2015
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Februar 2015 beschlossen
:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts
Augsburg vom 17. Juli 2014 wird als unbegründet verworfen, da
die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels und die
der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen
Auslagen zu tragen.
Ergänzend bemerkt der Senat:
Soweit die Revision behauptet, die zur Verweigerung des Zeugnisses
gemäß § 52 Abs. 1 StPO berechtigten Zeugen seien anlässlich ihrer Vernehmung
vor der Strafkammer vom Vorsitzenden nicht hinreichend darüber belehrt
worden, welche Folgen eine Gestattung der Verwertung ihrer polizeilichen Vernehmungen
habe, ist ein Rechtsfehler nicht ersichtlich.
Unabhängig von der Frage, ob diese Rügen im Sinne von § 344 Abs. 2
Satz 2 StPO zulässig ausgeführt sind, sind sie jedenfalls unbegründet, denn die
"qualifizierte" Belehrung des Vorsitzenden entsprach den Anforderungen, die
von der Rechtsprechung hierfür formuliert worden sind. Danach kann ein zur
Zeugnisverweigerung berechtigter Zeuge die Verwertung seiner in einer polizeilichen
Vernehmung getätigten Angaben wirksam gestatten, wenn er zuvor über
die Folgen des Verzichts ausdrücklich belehrt worden ist (vgl. BGH, Urteil vom
23. September 1999 - 4 StR 189/99, BGHSt 45, 203, 208; BGH, Beschlüsse
vom 26. September 2006 - 4 StR 353/06, NStZ 2007, 352, 353 und vom
13. Juni 2012 - 2 StR 112/12, BGHSt 57, 254, 256).
Anders als die Revision meint, gehört zum Inhalt dieser Belehrung nicht,
dass die Angaben des Zeugen vor dem Ermittlungsrichter auch ohne seine Zustimmung
in der Hauptverhandlung verwertet werden können; eine solche "qualifizierte"
Belehrung soll nach Auffassung des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs
durch den Ermittlungsrichter bei der Vernehmung eines zur Zeugnisverweigerung
berechtigten Zeugen erfolgen, damit diese Angaben trotz späterer
Zeugnisverweigerung in der Hauptverhandlung verwertet werden können
(vgl. BGH, Anfragebeschluss vom 4. Juni 2014 - 2 StR 656/13, NStZ 2014, 596;
abweichend hierzu BGH, Beschlüsse vom 16. Dezember 2014 - 4 ARs 21/14,
NStZ-RR 2015, 48, vom 8. Januar 2015 - 3 ARs 20/14 und vom 14. Januar
2015 - 1 ARs 21/14). In der Hauptverhandlung muss hingegen der dann das
Zeugnis verweigernde Zeuge lediglich ausdrücklich darauf hingewiesen werden
, welche Konsequenzen die Gestattung der Verwertung seiner früheren vor
der Polizei getätigten Angaben hat (vgl. auch BGH, Beschluss vom 4. Juni 2014
- 2 StR 656/13, NStZ 2014, 596, 598). Dies ist vorliegend in vollem Umfang geschehen.
Rothfuß Graf Jäger
Cirener Mosbacher

Die Aussage eines vor der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Recht, das Zeugnis zu verweigern, Gebrauch macht, darf nicht verlesen werden.

(1) Nach der Vernehmung des Angeklagten folgt die Beweisaufnahme.

(2) Das Gericht hat zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken, die für die Entscheidung von Bedeutung sind.

(3) Ein Beweisantrag liegt vor, wenn der Antragsteller ernsthaft verlangt, Beweis über eine bestimmt behauptete konkrete Tatsache, die die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betrifft, durch ein bestimmt bezeichnetes Beweismittel zu erheben und dem Antrag zu entnehmen ist, weshalb das bezeichnete Beweismittel die behauptete Tatsache belegen können soll. Ein Beweisantrag ist abzulehnen, wenn die Erhebung des Beweises unzulässig ist. Im Übrigen darf ein Beweisantrag nur abgelehnt werden, wenn

1.
eine Beweiserhebung wegen Offenkundigkeit überflüssig ist,
2.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, für die Entscheidung ohne Bedeutung ist,
3.
die Tatsache, die bewiesen werden soll, schon erwiesen ist,
4.
das Beweismittel völlig ungeeignet ist,
5.
das Beweismittel unerreichbar ist oder
6.
eine erhebliche Behauptung, die zur Entlastung des Angeklagten bewiesen werden soll, so behandelt werden kann, als wäre die behauptete Tatsache wahr.

(4) Ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Sachverständigen kann, soweit nichts anderes bestimmt ist, auch abgelehnt werden, wenn das Gericht selbst die erforderliche Sachkunde besitzt. Die Anhörung eines weiteren Sachverständigen kann auch dann abgelehnt werden, wenn durch das frühere Gutachten das Gegenteil der behaupteten Tatsache bereits erwiesen ist; dies gilt nicht, wenn die Sachkunde des früheren Gutachters zweifelhaft ist, wenn sein Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, wenn das Gutachten Widersprüche enthält oder wenn der neue Sachverständige über Forschungsmittel verfügt, die denen eines früheren Gutachters überlegen erscheinen.

(5) Ein Beweisantrag auf Einnahme eines Augenscheins kann abgelehnt werden, wenn der Augenschein nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist. Unter derselben Voraussetzung kann auch ein Beweisantrag auf Vernehmung eines Zeugen abgelehnt werden, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre. Ein Beweisantrag auf Verlesung eines Ausgangsdokuments kann abgelehnt werden, wenn nach pflichtgemäßem Ermessen des Gerichts kein Anlass besteht, an der inhaltlichen Übereinstimmung mit dem übertragenen Dokument zu zweifeln.

(6) Die Ablehnung eines Beweisantrages bedarf eines Gerichtsbeschlusses. Einer Ablehnung nach Satz 1 bedarf es nicht, wenn die beantragte Beweiserhebung nichts Sachdienliches zu Gunsten des Antragstellers erbringen kann, der Antragsteller sich dessen bewusst ist und er die Verschleppung des Verfahrens bezweckt; die Verfolgung anderer verfahrensfremder Ziele steht der Verschleppungsabsicht nicht entgegen. Nach Abschluss der von Amts wegen vorgesehenen Beweisaufnahme kann der Vorsitzende eine angemessene Frist zum Stellen von Beweisanträgen bestimmen. Beweisanträge, die nach Fristablauf gestellt werden, können im Urteil beschieden werden; dies gilt nicht, wenn die Stellung des Beweisantrags vor Fristablauf nicht möglich war. Wird ein Beweisantrag nach Fristablauf gestellt, sind die Tatsachen, die die Einhaltung der Frist unmöglich gemacht haben, mit dem Antrag glaubhaft zu machen.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 172/11
vom
19. Oktober 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Brandstiftung u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 19. Oktober
2011, an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Fischer
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Prof. Dr. Schmitt,
Dr. Berger,
Prof. Dr. Krehl,
Dr. Eschelbach
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Darmstadt vom 15. Dezember 2010 wird verworfen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.
Von Rechts wegen

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Brandstiftung und Sachbeschädigung in jeweils 12 Fällen, wobei es bei einer Brandstiftung und einer Sachbeschädigung beim Versuch blieb, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten, die sich mit der Sachrüge vor allem gegen die Nichtanwendung des § 21 StGB wendet, hat keinen Erfolg.
2
1. Das sachverständig beratene Landgericht ist von einer schweren anderen seelischen Abartigkeit des Angeklagten im Sinne des § 20 StGB in Form einer "selbstunsicher-vermeidenden Persönlichkeitsstörung in Verbindung mit einer nicht instrumentell motivierten Pyromanie zur Affektregulation im Sinne einer Reduktion der negativen Emotionen" ausgegangen. Eine dadurch "erheblich" verminderte Schuldfähigkeit hat es verneint.
3
2. Die hiergegen vorgebrachten Einwände der Revision, denen sich der Generalbundesanwalt angeschlossen hat, zeigen keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf.
4
a) Bei der Frage, ob sich ein medizinisch-psychiatrischer Befund in der Tatsituation "erheblich" auf das Steuerungsvermögen im Sinne des § 21 StGB ausgewirkt hat, handelt es sich um einen Rechtsbegriff, über dessen Voraussetzungen nach ständiger Rechtsprechung das Gericht in eigener Verantwortung und ohne Bindung an die Ausführungen des Sachverständigen zu entscheiden hat (BGHSt 49, 45, 53; NJW 06, 386 f.; NStZ-RR 10, 73 f.; weitere Nachweise bei Fischer StGB, 58. Aufl. 2011, § 21 Rn. 7). Die Beurteilung setzt eine Gesamtwürdigung des Gerichts voraus (vgl. nur BGHSt 43, 77; BGH NStZRR 06, 369), die darauf einzugehen hat, ob der Täter motivatorischen und situativen Tatanreizen wesentlich weniger Widerstand entgegensetzen konnte als ein Durchschnittsbürger. Dabei ist dem Tatrichter grundsätzlich ein weiter Beurteilungs - und Wertungsspielraum eingeräumt (BGH, Beschluss vom 24. Juni 2004 - 5 StR 306/03). Hierbei muss besonders geprüft werden, ob sich eine festgestellte schwere seelische Abartigkeit auf die konkret abzuurteilende Tat erheblich schuldmindernd ausgewirkt hat (vgl. BGH NStZ 97, 485 f.; 96, 380, StV 91, 511; weitere Nachweise bei Fischer StGB, 58. Aufl. § 21 Rn. 8).
5
b) Daran gemessen sind die Ausführungen der Strafkammer, mit denen sie die Erheblichkeit der schweren seelischen Abartigkeit verneint hat, rechtlich nicht zu beanstanden. Das Landgericht war sich der besonderen Begründungsanforderungen ersichtlich bewusst. Es hat sich bei seiner Beurteilung vor allem auf die Tatvorbereitung, das plangemäße und von Reflexion zeugende Vorgehen bei den Taten, die Vorsorge gegen Entdeckung, die erhaltene Leistungsfähigkeit und das Erinnerungsvermögen des Angeklagten gestützt. Dabei handelt es sich um Faktoren, die unter Berücksichtigung des festgestellten Tatablaufes sowie der Angaben des Angeklagten zu den Taten und zu seiner Motivation gewichtige objektive Anhaltspunkte für die Beurteilung der Erheblichkeit einer etwaigen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit darstellen, auch wenn ungestörtes Leistungsverhalten allein kein ausreichender Beweis für ein intaktes Hemmungsvermögen darstellt (vgl. nur BGHR StGB § 21 Seelische Abartigkeit

14).


6
Entgegen der Auffassung der Revision, der sich der Generalbundesanwalt angeschlossen hat, ist nicht zu besorgen, dass die Strafkammer dabei die Frage außer Acht gelassen haben könnte, ob und inwieweit der Angeklagte überhaupt in der Lage gewesen wäre, von der jeweils konkreten Tatausführung insgesamt Abstand zu nehmen. Denn das Landgericht hat festgestellt, dass der Angeklagte in allen Fällen bei der Auswahl der Brandobjekte und der Tatausführung umsichtig vorging. Er achtete darauf, dass Personen nicht unmittelbar gefährdet wurden bzw. bei Brandobjekten in der Nähe von Wohnbebauung, dass die Bewohner noch wach waren (UA 7). Darüber hinaus legte er, um seine Feuerwehrkameraden nicht zu gefährden, Brände nur zu Zeitpunkten, zu denen sämtliche Atemschutzgerätschaften auf den Feuerwehrwagen vorhanden waren und nicht gerade repariert oder gewartet wurden (UA 8). Ferner war er stets in der Lage, auf unvorhergesehene Situationen vernünftig zu reagieren, notfalls zuzuwarten oder das ins Auge gefasste Tatobjekt zu wechseln (UA 34). Dabei war er stets darauf bedacht, die Objekte unbeobachtet in Brand zu setzen (UA 34). Außerdem hatte der Angeklagte an jede einzelne der zahlreichen, sich über einen Zeitraum von mehr als 2 ½ Jahren erstreckenden Taten eine klare und detailreiche, mit den objektiven Gegebenheiten übereinstimmende Erinnerung (UA 33). Schließlich hat sich die Kammer ausdrücklich und detailliert mit den Fällen befasst, bei denen der Sachverständige zunächst "eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit nicht auszuschließen" vermochte (UA 34-36).
7
Dass das Landgericht aus dieser Vielzahl von Anzeichen, die für eine vom Angeklagten in jedem Einzelfall praktizierte Steuerung seines Verhaltens sprachen, die rechtliche Schlussfolgerung gezogen hat, dass trotz Vorliegens einer schweren seelischen Abartigkeit keine erhebliche Beeinträchtigung seiner Steuerungsfähigkeit im Rechtssinne gegeben war, lag nahe und genügt den in derartigen Fällen zu beachtenden Begründungsanforderungen.
Fischer Schmitt Berger Krehl Eschelbach

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 585/10
vom
25. Mai 2011
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 25. Mai 2011 gemäß §§ 349
Abs. 2 und 4, 354a StPO beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mainz vom 2. Juli 2010 aufgehoben, soweit die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist. Die Maßregel entfällt. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen. Der Angeklagte und die Staatskasse haben die Kosten des Rechtsmittels je zur Hälfte zu tragen; die Staatskasse hat auch die Hälfte der notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt. Es hat zudem seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Seine auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision führt mit der Sachrüge zur Aufhebung der Maßregel. Im Übrigen ist die Revision unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Der Schuldspruch des angefochtenen Urteils ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Hinsichtlich des Strafausspruchs beruht es jedenfalls nicht auf Rechtsfehlern, die in Betracht kommen, soweit § 21 StGB nicht angewendet wurde.
3
a) Allerdings hat das Landgericht zu Unrecht angenommen, es sei unbedenklich , dass die unter anderem mit der Schuldfähigkeitsbegutachtung beauftragte psychiatrische Sachverständige Dr. K. die Durchführung einer Exploration des Angeklagten "einer erfahrenen Hilfskraft mit der Qualifikation einer Diplom-Psychologin übertragen" hat. Ein gerichtlich bestellter Sachverständiger hat die Pflicht zur persönlichen Gutachtenerstattung. Es besteht daher ein Delegationsverbot, soweit durch Heranziehung anderer Personen die Verantwortung des Sachverständigen für das Gutachten in Frage gestellt wird (vgl. Schmid, Krank oder böse? Die Schuldfähigkeit und die Sanktionenindikation dissozial persönlichkeitsgestörter Straftäter und delinquenter "Psychopaths" sowie die Zusammenarbeit von Jurisprudenz und Psychiatrie bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit, 2009, S. 479; Schnoor, Beurteilung der Schuldfähigkeit - eine empirische Untersuchung zum Umgang der Justiz mit Sachverständigen , 2009, S. 125 ff.; Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl., Rn. 337; s. auch § 407a Abs. 2 Satz 1 ZPO). Das Gutachten eines psychiatrischen Sachverständigen muss - jedenfalls soweit dies überhaupt möglich ist (vgl. BGHSt 44, 26, 32) - eine Exploration des Probanden durch den Sachverständigen einschließen. Dabei handelt es sich um die zentrale Untersuchungsmethode. Deren Ergebnisse kann der gerichtliche Sachverständige nur dann eigenverantwortlich bewerten, wenn er sie selbst durchgeführt oder zumindest insgesamt daran teilgenommen hat. Dies gilt erst recht, wenn bei der Exploration auch Mimik und Gestik des Probanden aufgefasst werden. Eine Delegation der Durchführung dieser Untersuchung an eine Hilfsperson scheidet daher aus. http://beck-online.beck.de/Default.aspx?typ=reference&y=100&g=StGB&p=66 [Link] http://beck-online.beck.de/Default.aspx?typ=reference&y=100&g=StGB&p=66&x=1 [Link] http://beck-online.beck.de/Default.aspx?typ=reference&y=100&g=StGB&p=66&x=2 [Link] http://beck-online.beck.de/Default.aspx?typ=reference&y=100&g=StGB&p=66&x=3 [Link] http://beck-online.beck.de/Default.aspx?typ=reference&y=100&g=EGStGB&a=316e [Link] http://beck-online.beck.de/Default.aspx?typ=reference&y=100&g=EGStGB&a=316e&x=2 - 4 - Die Anwesenheit des Sachverständigen in der Hauptverhandlung vermag die eigene Exploration nicht zu ersetzen.
4
b) Rechtlichen Bedenken unterliegt auch die Beweiswürdigung des Landgerichts. Die Strafkammer hat betont, sie habe "die sachverständigen Ausführungen im Rahmen ihrer Erkenntnismöglichkeiten auf Widersprüche und Verstöße gegen wissenschaftliche Denkgesetze geprüft und solche nicht gefunden". Der Tatrichter hat aber das Gutachten eigenverantwortlich zu bewerten (vgl. BGHSt 7, 238, 239; Schnoor aaO S. 162 ff.) und "weiterzuverarbeiten" (Schmid aaO S. 534 ff.). Er muss sich selbst sachkundig machen (Fischer StGB 58. Aufl. § 20 Rn. 64a; Schmid aaO S. 447). Damit ist die Beschränkung auf eine Rechtskontrolle unvereinbar.
5
c) Das angefochtene Urteil beruht aber nicht auf den genannten Rechtsfehlern , denn es fehlt jeder Anhaltspunkt für die Annahme, der Angeklagte könne zur Tatzeit aufgrund eines Eingangsmerkmals im Sinne von § 20 StGB in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt gewesen sein.
6
2. Die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung hat aus Gründen des materiellen Rechts keinen Bestand. Auf die von dem Angeklagten erhobenen Verfahrensrügen kommt es nicht an.
7
Der Katalog der Straftaten, deren Begehung zur Anordnung oder zum Vorbehalt dieser Maßregel der Besserung und Sicherung führen kann, ist durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom 22. Dezember 2010 (BGBl. I S. 2300) mit Wirkung vom 1. Januar 2011 neu gefasst worden. Zu diesem gehört das unerlaubte Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nicht, soweit die Tat nicht im Höchstmaß mit Freiheitsstrafe von mindestens zehn Jahren bedroht ist (§ 66 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 lit. b, Abs. 2 und 3 Satz 1 StGB). Gemäß Art. 316e Abs. 2 EGStGB ist das neue Gesetz für vor seinem Inkrafttreten begangene und noch nicht rechtskräftig abgeurteilte Taten maßgeblich, wenn es gegenüber der bisherigen Rechtslage milder ist (vgl. Senat, Beschluss vom 12. Januar 2011 - 2 StR 642/10). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Der Senat hat daher entsprechend § 354a i.V.m. § 354 Abs. 1 StPO in der Sache entschieden und angeordnet, dass die Maßregel entfällt.
8
3. Die Entscheidung über die Kosten und notwendigen Auslagen beruht auf § 473 Abs. 4 StPO.
Fischer Schmitt Berger Krehl Eschelbach

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 505/18
vom
5. Dezember 2018
in der Strafsache
gegen
alias:
wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:051218B4STR505.18.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 5. Dezember 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Kleve vom 25. Juli 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) soweit der Angeklagte wegen räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr verurteilt worden ist;
b) im gesamten Rechtsfolgenausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung sowie wegen räuberischen Angriffs auf einen Kraftfahrer in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt, seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und eine Anrechnungsentscheidung getroffen. Seine auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen stellte sich der Angeklagte am Abend des 2. Januar 2018 gegen 21.20 Uhr auf einem Bahnsteig drohend vor den dort wartenden Geschädigten R. und verlangte von ihm Geld. Dabei hielt er eine 40 cm lange Axt schlagbereit in der rechten Hand, um seine Drohung zu bekräftigen. Der Geschädigte verstand die Aufforderung des Angeklagten zutreffend so, dass dieser ihn mit der Axt verletzen würde, wenn er ihm kein Geld gebe und warf Geldscheine in einem Wert von 25 Euro vor dem Angeklagten zu Boden. Dieser nahm die Geldscheine an sich.
3
Gegen 21.40 Uhr desselben Tages legte der Angeklagte sein Fahrrad in einem Waldstück auf eine unbeleuchtete Straße, um ein Hindernis für Kraftfahrer zu bereiten und diese zu veranlassen, deswegen anzuhalten. Sein Ziel war es, die Insassen zum Verlassen des Fahrzeugs zu veranlassen, um mit diesem dann davonzufahren. In der Nähe des Hindernisses verbarg er sich mit seiner Axt. Gegen 21.40 Uhr erreichte die Geschädigte I. mit ihrem Pkw Opel Corsa (Wert: mindestens 3.000 Euro) in Begleitung des Zeugen E. die Stelle, an der der Angeklagte das Fahrrad platziert hatte. Es regnete stark und es herrschte nur geringfügiger Fahrzeugverkehr. Die Geschädigte I. bemerkte plötzlich, dass sich ein Hindernis auf der Fahrbahn befand und leitete eine Vollbremsung ein. Der Bremsweg war aber zu kurz, sodass sie mit ihrem Fahrzeug an das Fahrrad stieß. Unmittelbar nachdem das Fahrzeug zum Stehen gekommen war, während der Motor noch lief und die Geschädigte das Bremspedal betätigte, begab sich der Angeklagte an die Beifahrerseite und schlug mit seiner Axt wuchtig gegen die B-Säule. Gleich darauf schlug er ein weiteres Mal in die Scheibe der Beifahrertür, die dadurch zersprang. Dabei schrie er: „Aussteigen!“ Unmittelbar danach führte der Angeklagte einen weiteren Schlag mit der Axt ins Fahrzeuginnere. Dabei traf er den Geschädigten E. am Arm und fügte ihm eine Schnittverletzung zu, was der Angeklagte zumindest billigend in Kauf nahm. Der Geschädigte E. wollte dem Angeklagten das Fahrzeug nicht überlassen. Er stieg deshalb aus und schrie den Angeklagten an, der daraufhin die Flucht ergriff.
4
Das Landgericht hat die Tat zum Nachteil des Geschädigten R. als besonders schwere räuberische Erpressung und das Vorgehen gegen die Geschädigten I. und E. als räuberischen Angriff auf einen Kraftfahrer in Tateinheit mit vorsätzlichem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr gewertet. Es hat weiter angenommen, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten bei beiden Taten aufgrund einer krankhaften seelischen Störung im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert gewesen sei und von ihm aufgrund dieser Störung weitere erhebliche rechtswidrige Taten mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten seien.

II.


5
Die Revision hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
6
1. Der Schuldspruch wegen vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr gemäß § 315b Abs. 1 Nr. 2 StGB kann nicht bestehen bleiben, weil die Feststellungen weder eine konkrete Gefahr für Leib oder Leben eines anderen Menschen, noch für fremde Sachen von bedeutendem Wert belegen. Auch der erforderliche Gefährdungsvorsatz ist nicht rechtsfehlerfrei festgestellt.
7
a) Ein vollendeter gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr erfordert, dass durch eine der in den Nummern 1 bis 3 des § 315b Abs. 1 StGB genannten Tathandlungen eine Beeinträchtigung der Sicherheit des Straßenverkehrs herbeigeführt worden ist, die sich zu einer konkreten Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen Menschen oder einer fremden Sache von bedeutendem Wert verdichtet hat. Dabei muss die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus zu einer kritischen Situation geführt haben, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiven nachträg- lichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache im Sinne eines „Beinaheunfalls“ so stark beeinträchtigt war, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2017 – 4 StR 334/17, Rn. 4; Beschluss vom 4. September 1995 – 4 StR 471/95, NZV 1996, 37; Beschluss vom 15. Februar 1963 – 4 StR 404/62, BGHSt 18, 271, 272 f.). Die Gefährdung einer fremden Sache von bedeutendem Wert ist dabei nicht schon dann gegeben, wenn eine werthaltige Sache in einer solchen Weise gefährdet worden ist. Vielmehr ist auch erforderlich, dass ein bedeutender Schaden gedroht hat (vgl. BGH, Beschluss vom 12. April 2011 – 4 StR 22/11, Rn. 5; Beschluss vom 29. April 2008 – 4 StR 617/07, NStZ-RR 2008, 289 mwN). Dessen Höhe ist nach der am Marktwert zu messenden Wertminderung zu berechnen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. September 2010 – 4 StR 245/10, NStZ 2011, 215; Beschluss vom 29. April 2008 – 4 StR 617/07, NStZ-RR 2008, 289 mwN).
8
Die Urteilsgründe belegen nicht, dass Leib oder Leben der Geschädigten I. und E. in einer diesen Vorgaben entsprechenden Weise konkret gefährdet waren. Die Feststellung, dass die Geschädigte I. eine Vollbremsung einleiten musste und es zu einem Anstoß an das als Hindernis ausgelegte Fahrrad kam, reicht dafür nicht aus. Angaben zu der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit enthält das Urteil nicht. Ob die konkrete Gefahr einer Fehlreaktion der Zeugin I. und eines dadurch bedingten Abkommens von der Fahrbahn bestand, lässt sich den Urteilsgründen ebenfalls nicht entnehmen. Für die Annahme eines drohenden bedeutenden Sachschadens fehlt es an den erforderlichen Angaben zu dem zu erwartenden Schadensbild, das mit dem entstandenen Schaden nicht identisch sein muss, und dessen Bewertung. Die bloße Angabe des Fahrzeugwertes ist dafür nicht ausreichend.
9
b) In subjektiver Hinsicht setzt § 315b Abs. 1 StGB bei einem sog. Außeneingriff lediglich voraus, dass die Herbeiführung der konkreten Gefahr für Leib oder Leben eines anderen oder fremde Sachen von bedeutendem Wert vom Vorsatz des Täters umfasst war (vgl. BGH, Urteil vom 20. Februar2003 – 4 StR 228/02, BGHSt 48, 233, 237; Urteil vom 31. August 1995 – 4 StR 283/95, BGHSt 41, 231, 239). Dabei ist ein bedingter Vorsatz ausreichend, sodass bereits vorsätzlich handelt, wer die Umstände kennt, die zu der bestimmten Gefährdung geführt haben und den Eintritt der daraus folgenden (konkreten ) Gefahrenlage zumindest billigend in Kauf nimmt (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 1967 – 4 StR 441/67, BGHSt 22, 67, 74; Ernemann in SSW-StGB, 4. Aufl., § 315b Rn. 18).
10
Die Urteilsgründe verhalten sich nicht dazu, welches Vorstellungsbild der Angeklagte hatte, als er das Fahrrad auf die Straße legte. Die Feststellung, dass es ihm darum ging, Kraftfahrer zum Anhalten zu veranlassen, um deren Fahrzeug an sich zu bringen, deutet – für sich genommen – nicht auf einen Gefährdungsvorsatz hin.
11
c) Die Aufhebung betrifft auch den tateinheitlich und in Bezug auf die Geschädigte I. rechtsfehlerfrei erfolgten Schuldspruch wegen räuberischen Angriffs auf einen Kraftfahrer gemäß § 316a Abs. 1 StGB (zur Ausnutzung der besonderen Verhältnisse des Straßenverkehrs im Hinblick auf den Geschädigten E. als Mitfahrer vgl. BGH, Beschluss vom 30. März 2004 – 4 StR 53/04, VRS 107, 38, 40; Ernemann in SSW-StGB, 4. Aufl., § 316a Rn. 15 mwN). Damit verliert auch der Gesamtstrafenausspruch seine Grundlage. Der Senat hebt auch die für die besonders schwere räuberische Erpressung verhängte Einzelstrafe mit auf, um dem neuen Tatrichter eine einheitliche Strafbemessung zu ermöglichen.
12
2. Die Maßregelanordnung nach § 63 StGB kann nicht bestehen bleiben, weil das Landgericht seine Annahme, der Angeklagte habe beide Taten im Zustand erheblich verminderter Schuldfähigkeit im Sinne des § 21 StGB begangen , nicht rechtsfehlerfrei begründet hat.
13
a) Bei der Frage, ob sich ein medizinisch-psychiatrischer Befund in der Tatsituation „erheblich“ auf das Steuerungsvermögen im Sinne des § 21 StGB ausgewirkt hat, handelt es sich um eine Rechtsfrage, die das Gericht in eigener Verantwortung und ohne Bindung an die Ausführungen des Sachverständigen zu entscheiden hat. Zu beurteilen ist, ob der Täter defektbedingt motivatorischen und situativen Tatanreizen wesentlich weniger Widerstand entgegensetzen konnte als ein Durchschnittsbürger (vgl. BGH, Urteil vom 17. April 2012 – 1 StR 15/12, NStZ 2013, 53 Rn. 25; Urteil vom 19. Oktober 2011 – 2 StR 172/11 Rn. 4; Urteil vom 17. März 2009 – 1 StR 627/08, BGHSt 53, 221 Rn. 15 ff. mwN). Hierzu bedarf es einer konkretisierenden und widerspruchsfreien Darlegung, aus der sich ergibt, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2018 – 4 StR 446/17 Rn. 7; Beschluss vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135, 136; Beschluss vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146 mwN).
14
b) Den sich daraus ergebenden Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht.
15
Die sachverständig beratene Strafkammer hat angenommen, dass der Angeklagte an einer krankhaften seelischen Störung in Form einer „atypischen Schizophrenie gepaart mit einer posttraumatischen Belastungsstörung“ (UA 12) leide. Aufgrund dessen habe er sich „allgemein vor Verfolgern gefürchtet“ (UA 14) und sei davon überzeugt gewesen, dass er fliehen müsse. Seine Flucht habe er sich mit dem erbeuteten Geld und dem Fahrzeug erleichtern wollen. Dabei sei seine Einsichtsfähigkeit voll erhalten und seine Steuerungsfähigkeit zwar beeinträchtigt, aber nicht aufgehoben gewesen. Denn der Angeklagte habe die Situationen jeweils erkannt und adäquat gehandelt. Seine Taten hätten eine rationale Vorplanung und ein überlegtes Verhalten gefordert, wozu er in der Lage gewesen sei. Äußerliche Zeichen einer Verwirrtheit hätten sich nicht ergeben (UA 13/14).
16
Damit hat das Landgericht zwar begründet, warum es nicht von einer Aufhebung der Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgegangen ist. Dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten im Sinne des § 21 StGB sicher erheblich vermindert war, hat es dagegen nicht dargelegt. Hierzu wären aber gerade mit Rücksicht auf das festgestellte „rationale und überlegte Verhalten“ (UA 14) des Angeklagten nähere Ausführungen erforderlich gewesen. Die Feststellung, dass die Tatmotivation des Angeklagten psychotisch beeinflusst war, begründet für sich genommen noch nicht, dass er den sich daraus ergebenden Tatanreizen wesentlich weniger Widerstand entgegensetzen konnte als ein Durchschnittsbürger.
17
c) Damit bedarf auch der Maßregelausspruch neuer Verhandlung und Entscheidung. Der neue Tatrichter wird – mit Blick auf das atypische Krankheitsbild gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines anderen Sachverständigen – dabei Gelegenheit haben, auch das Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung näher darzulegen (zum mehrstufigen Prüfungsaufbau vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2018 – 4 StR 446/17 Rn. 7 mwN).

III.


18
Die weitere Überprüfung des Urteils hat keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Seine Täterschaft bei der Tat zum Nachteil des Geschädigten R. wird – trotz der knappen Darlegung des Ergebnisses der Wahllichtbildvorlagen – durch den Gesamtzusam- menhang der Urteilsgründe noch belegt. Dass der neue Tatrichter insoweit noch zu einer Schuldunfähigkeit des Angeklagten gelangen könnte, schließt der Senat aus.
Sost-Scheible Cierniak Bender
Quentin Bartel

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 521/15
vom
28. Januar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:280116B3STR521.15.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 28. Januar 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Mönchengladbach vom 29. Juni 2015 - mit Ausnahme der Adhäsionsentscheidung - mit den Feststellungen aufgehoben ; jedoch bleiben die Feststellungen zu den äußeren Tatgeschehen aufrecht erhalten.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten des Fahrens ohne Fahrerlaubnis in vier Fällen, des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in zwei Fällen, der Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz , der Körperverletzung in Tateinheit mit einer Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz sowie der Körperverletzung in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte schuldig und ihn im Übrigen freigesprochen. Es hat wegen eines Teils der De- likte unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus einer Vorverurteilung eine Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verhängt und wegen der übrigen Straftaten auf eine weitere Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten erkannt. Außerdem hat es die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafen und der Unterbringung hat es zur Bewährung ausgesetzt. Schließlich hat es eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Die Revision des Angeklagten erzielt mit der Sachrüge den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet.
2
1. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen leidet der Angeklagte an einer paranoid-psychotischen Störung bei affektiver Grunderkrankung mit umschriebener Wahnbildung. Die affektive Grunderkrankung verursacht überwiegend manische, teils auch depressive Phasen. In der Zeit vom 20. November 2010 bis zum 22. September 2013 beging er die abgeurteilten Übergriffe gegen Polizeibeamte, einen Bekannten und Familienangehörige. Die Strafkammer hat dem gehörten Sachverständigen folgend für den gesamten Tatzeitraum nicht auszuschließen vermocht, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgrund seiner Grunderkrankung erheblich eingeschränkt war; bei einem Teil der Taten hat sie eine solche Einschränkung positiv festgestellt. Bei zwei Vorfällen hat sie nicht ausschließen können, dass die Steuerungsfähigkeit des Angeklagten aufgehoben und seine Einsichtsfähigkeit erheblich eingeschränkt war.
3
2. Der Schuldspruch kann insgesamt nicht bestehen bleiben; denn die Ausführungen des Landgerichts zur Schuldfähigkeit des Angeklagten sind rechtsfehlerhaft. Letzteres bedingt auch die Aufhebung des Strafausspruchs und der Unterbringungsanordnung.
4
a) Wenn sich das Tatgericht - wie hier - darauf beschränkt, sich der Beurteilung eines Sachverständigen zur Frage der Schuldfähigkeit anzuschließen, muss es dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen im Urteil so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (BGH, Beschluss vom 2. Oktober 2007 - 3 StR 412/07, NStZ-RR 2008, 39). Hieran fehlt es im vorliegenden Fall in mehrfacher Hinsicht:
5
Das Landgericht hat es bereits unterlassen, das vom Sachverständigen diagnostizierte Störungsbild einem der Eingangsmerkmale der §§ 20, 21 StGB zuzuordnen. Sodann fehlt die Darlegung, wie die paranoid-psychotische Störung auf den Angeklagten und seine Handlungsmöglichkeiten in den konkreten Tatsituationen eingewirkt hat (vgl. BGH, Beschluss vom 8. Juli 2014 - 3 StR 274/14, juris Rn. 4). Die §§ 20, 21 StGB setzen voraus, dass die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit "bei Begehung der Tat" aufgehoben bzw. erheblich vermindert sind. Die Schuldfähigkeit ist deshalb in Bezug auf jede einzelne Tat zu prüfen. Erforderlich ist stets die konkretisierende Darstellung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Taten auf die Einsichts - oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (BGH, Beschluss vom 19. Dezember 2012 - 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146). Hierauf kann allein unter Hinweis auf die allgemeine Diagnose nicht verzichtet werden (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Beschlüsse vom 13. August 2013 - 2 StR 128/13, NStZ-RR 2013, 368, 369; vom 23. August 2012 - 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98; vom 2. Oktober 2007, aaO), denn deren Feststellung ist insbesondere auch bei bipolaren Störungen, bei denen eine große Bandbreite von Ausprägungen und Schweregraden besteht, für die Frage der Schuldfähigkeit nicht ausreichend aussagekräftig. In manischen Phasen kann es, je nach Ausprägung und Schwere, zur Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit, aber auch der Ein- sichtsfähigkeit kommen. Vor diesem Hintergrund genügen die Ausführungen in den Urteilsgründen nicht, die sich in den Verurteilungsfällen insoweit im Wesentlichen in der Mitteilung im Rahmen der Beweiswürdigung erschöpfen, der Sachverständige habe bei vier Taten eine erhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit positiv festgestellt und im Übrigen auf der Grundlage der festgestellten Grunderkrankung nicht ausschließen können, dass der Angeklagte im gesamten Tatzeitraum krankheitsbedingt in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt gewesen sei.
6
b) Da deshalb weder auszuschließen ist, dass der Angeklagte in den Verurteilungsfällen voll schuldfähig war, noch dass er im Zustand der Schuldunfähigkeit handelte, muss über den Schuldspruch und die strafrechtlichen Rechtsfolgen der Tat insgesamt neu verhandelt und entschieden werden. Der Umstand, dass allein der Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Aufhebung auch des freisprechenden Teils des Urteils nicht; denn nach § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO ist es möglich, in einer neuen Hauptverhandlung an Stelle der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus den Täter schuldig zu sprechen und eine Strafe zu verhängen (BGH, Beschlüsse vom 29. Juli 2015 - 4 StR 293/15, NStZ-RR 2015, 315, 316; vom 5. August 2014 - 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1). Die jeweiligen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen bei den einzelnen Taten beruhen auf einer mangelfreien Beweiswürdigung und sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen; sie können deshalb bestehen bleiben. Das neue Tatgericht kann insoweit ergänzende Feststellungen treffen, die den bisherigen nicht widersprechen. Der Adhäsionsausspruch unterliegt ebenfalls nicht der Aufhebung (Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 406a Rn. 8 mwN).
7
3. Im Übrigen ist das neue Tatgericht auf Folgendes hinzuweisen:
8
a) Soweit das Landgericht den Angeklagten wegen der Zuwiderhandlung gegen eine vollstreckbare Anordnung nach dem Gewaltschutzgesetz verurteilt hat, belegen die bisherigen Feststellungen in den Fällen II. 2. und II. 3. der Urteilsgründe bereits die Voraussetzungen des § 4 GewSchG nicht. Die Verurteilung nach § 4 Satz 1 GewSchG wegen Zuwiderhandlung gegen eine Anordnung nach § 1 GewSchG setzt u.a. voraus, dass das Strafgericht die materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung überprüft und dabei deren tatbestandliche Voraussetzungen eigenständig feststellt; an die Entscheidung des Familiengerichts ist es insoweit nicht gebunden (BGH, Beschluss vom 28. November 2013 - 3 StR 40/13, BGHSt 59, 94). Tragfähige diesbezügliche Ausführungen enthalten die bisherigen Urteilsgründe - auch in ihrem Gesamtzusammenhang - nicht.
9
b) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme , die einen besonders gravierenden Eingriff in die Rechte des Betroffenen darstellt. Sie darf daher nur dann angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht , dass der Unterzubringende bei der Begehung der Anlasstaten aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung hierauf beruht. Daneben muss eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades bestehen, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustandes in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen; die zu erwartenden Taten müssen schwere Störungen des Rechtsfriedens besorgen lassen. Die notwendige Prognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat (en) zu entwickeln. Dabei sind an die Darlegungen umso höhere Anforderungen zu stellen, je mehr es sich bei dem zu beurteilenden Sachverhalt um einen Grenzfall handelt (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 2012 - 4 StR 224/12, NStZ-RR 2012, 337, 338 mwN). Der Tatrichter muss die eine Unterbringung tragenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darstellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (BGH, Beschluss vom 24. Oktober 2013 - 3 StR 349/13, juris Rn. 5). Hieran gemessen erscheinen die bisherigen, eher knappen Urteilsausführungen nicht bedenkenfrei.
10
c) Sollte das neue Tatgericht für die einzelnen Taten ebenfalls Freiheitsstrafen von unter sechs Monaten verhängen, wird es § 47 StGB und die diesbezüglichen Darlegungsanforderungen zu beachten haben.
Becker Schäfer Gericke
Spaniol Tiemann

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 446/17
vom
11. April 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:110418B4STR446.17.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 11. April 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Arnsberg vom 12. Mai 2017 mit den Feststellungen aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen der ausgeurteilten Taten zu II. 2 b) und c) der Urteilsgründe aufrecht erhalten. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine Jugendkammer des Landgerichts Hagen verwiesen. 2. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freisprechung im Übrigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützten Revision. Die Verfahrensbeanstandungen bleiben ohne Er- folg, jedoch führt das Rechtsmittel mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.


2
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts lockte der im Iran aufgewachsene Angeklagte, der Mitte des Jahres 2016 im Alter von 24 Jahren gemeinsam mit seinen Eltern als Flüchtling nach Deutschland gekommen und in einer Flüchtlingsunterkunft untergebracht war, zwischen Mitte September und Anfang Oktober 2016 in zwei Fällen den damals neunjährigen, ebenfalls mit seiner Familie dort untergebrachten Nebenkläger in einen Duschraum der Unterkunft und vollzog an ihm – in einem Fall unter Anwendung von Gewalt – jeweils den analen Geschlechtsverkehr.
3
Zur Person des Angeklagten hat das Landgericht weiter festgestellt, dass er etwa ab dem Alter von 17 Jahren unter nächtlichen Samenergüssen litt, „wobei diese möglicherweise auch lediglich das Resultat häufigen Masturbierens waren“. Er wurde deswegen im Iran einem Arzt vorgestellt, der eine Hypersexualität diagnostizierte und dem Angeklagten das Medikament Androcur mit dem Wirkstoff Cyproteronacetat verordnete, das die Bildung von Sexualhormonen unterdrückt. Weil der Vorrat des Angeklagten an Androcur während seiner Flucht nach Deutschland aufgebraucht war, nahm er dieses Medikament seither nicht mehr ein.
4
2. Das Landgericht hat sich hinsichtlich der Beurteilung der Schuldfähigkeit des Angeklagten dem psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen.
Dieser hat ausgeführt, der Angeklagte weise eine leichte Intelligenzminderung auf. Darüber hinaus sei bei ihm „angesichts der angegebenen kontinuierlichen Medikation mit Cyproteronacetat und der fremdanamnestischen Angaben der Eltern von einer Hypersexualität auszugehen“. Zwar gebe die Sexualanamnese hierauf keine Hinweise, dies sei aber durch Schamgefühle und die Tabuisierung dieses Themenkreises im Iran erklärbar. Diesen Diagnosen folgend hat die Strafkammer angenommen, dass der bei dem Angeklagten „krankheitsbedingt bestehende und nun nicht mehr medikamentös regulierte starke Sexualtrieb auf infolge der intellektuellen Minderbegabung ohnehin herabgesetzte Möglichkei- ten zur vernunftgesteuerten Triebregulation“ getroffen sei. Bei dem Angeklagten liege eine schwere andere seelische Abartigkeit vor, durch welche seine Steuerungsfähigkeit im Zeitpunkt der Taten im Sinne des § 21 StGB erheblich vermindert , aber nicht gemäß § 20 StGB aufgehoben gewesen sei.

II.


5
Die Revision des Angeklagten ist begründet. Die Schuldfähigkeitsprüfung des Landgerichts begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Schon dadurch werden auch die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB nicht rechtsfehlerfrei dargelegt.
6
1. Die Ausführungen des Landgerichts zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Angeklagten sind rechtsfehlerhaft und ermöglichen dem Senat weder die Nachprüfung, ob es zu Recht eine Schuldunfähigkeit des Angeklagten zum Zeitpunkt der Taten ausgeschlossen hat, noch ob es zu Recht eine erhebliche Verminderung der Schuld bejaht hat.
7
a) Die Entscheidung, ob die Schuldfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, erfolgt prinzipiell mehrstufig (vgl. BGH, Urteil vom 1. Juli 2015 – 2 StR 137/15, NJW 2015, 3319; Beschlüsse vom 12. März 2013 – 4 StR 42/13, NStZ 2013, 519; vom 14. Juli 2016 – 1 StR 285/16, juris Rn. 7). Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Angeklagten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen. Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Hierzu ist das Gericht jeweils für die Tatsachenbewertung auf die Hilfe eines Sachverständigen angewiesen. Gleichwohl handelt es sich bei der Frage des Vorliegens eines der Eingangsmerkmale des § 20 StGB bei gesichertem Vorliegen eines psychiatrischen Befunds wie bei der Prüfung der aufgehobenen oder erheblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit um Rechtsfragen. Deren Beurteilung erfordert konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegungen dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts - und Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. Dezember 2012 – 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146; vom 28. Januar 2016 – 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135, 136).
8
b) Diesen Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht, da das Vorliegen eines Eingangsmerkmals im Sinne des § 20 StGB bereits nicht hinreichend belegt ist.
9
aa) Soweit das Landgericht bei dem Angeklagten das Eingangsmerkmal einer schweren anderen seelischen Abartigkeit in einer Kombination des nicht mehr medikamentös regulierten Sexualtriebs und einer intellektuellen Minderbegabung begründet sieht, bleibt bereits unklar, welches konkrete Krankheitsbild es mit dem Begriff der Hypersexualität verbindet.
10
Darüber hinaus lässt sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen, welche Symptome einer Hypersexualität der Angeklagte aufweist und welchen Schweregrad diese besitzen.
11
Die Ausführungen des Landgerichts zum Vorliegen einer Hypersexualität des Angeklagten halten aber auch deshalb revisionsrechtlicher Prüfung nicht stand, weil das Urteil die wesentlichen Anknüpfungstatsachen des Sachverständigen bei der Beurteilung der Schuldfähigkeit nicht so wiedergegeben hat, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. April 2011 – 2 StR 72/11, NStZ-RR 2011, 241; vom 8. April 2003 – 3 StR 79/03, NStZ-RR 2003, 232). Der Umstand, dass dem Angeklagten in der Vergangenheit triebdämpfende Medikamente gegeben worden waren, vermag weder die Darlegung des konkreten Krankheitsbilds der Hypersexualität noch ihrer Symptomatik beim Angeklagten zu ersetzen.
12
bb) Zudem widersprechen sich die Ausführungen der Strafkammer zum Krankheitsbild des Angeklagten. Während sie im Rahmen der Schuldfähigkeitsbeurteilung die Taten auf die Hypersexualität sowie die Intelligenzminderung des Angeklagten zurückgeführt hat, hat sie bei der Prüfung der Anordnungsvoraussetzungen für die Maßregel nach § 63 StGB festgestellt, dass die Taten „Ausfluss der festgestellten psychischen Erkrankung, insbesondere der auf einer Hypersexualität aufgesattelten Paraphilie im Sinne einer Pädophilie vom regressiven Typus“ seien (UA 25). Angesichts dieser widersprüchlichen Ausführungen erschließt sich nicht, von welchem konkreten Krankheitsbild die Strafkammer letztlich ausgegangen ist.
13
cc) Schließlich bleibt auch die Diagnose einer „leichten Intelligenzminderung“ des Angeklagten unklar. Der Senat kann anhand des angefochtenen Urteils insbesondere nicht nachvollziehen, welches konkrete Ausmaß die diagnostizierte Intelligenzminderung hat. Angaben dazu, wie sie ermittelt wurde, fehlen. Im Übrigen sind die Angaben zur Verstandesleistung des Angeklagten auch teilweise widersprüchlich. So teilt das Urteil im Rahmen der Feststellungen zur Person des Angeklagten mit, dass er im Iran einen „höheren Schul- abschluss“ erreicht habe (UA 3).Allerdings stellt die Strafkammer auch fest, dass der Angeklagte eine „geistige Behinderung“ aufweise(UA 4). Dazu, wie sich dies beides miteinander und mit der diagnostizierten „leichten Intelligenz- minderung“ vereinbaren lässt, verhält sich das Urteil nicht.
14
2. Mit Blick auf die unklaren und teilweise widersprüchlichen Ausführungen des Urteils zum Krankheitsbild des Angeklagten vermag der Senat einerseits nicht auszuschließen, dass der Angeklagte im Zustand der Schuldunfähigkeit und nicht nur im Zustand verminderter Schuldfähigkeit handelte, andererseits ist auch das Vorliegen eines überdauernden, die Schuldfähigkeit beeinträchtigenden Zustands im Sinne des § 63 StGB nicht tragfähig begründet. Daher muss über den Schuldspruch und die strafrechtlichen Rechtsfolgen der Tat einschließlich der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus insgesamt neu verhandelt und entschieden werden.
15
3. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen der ausgeurteilten Taten sind von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen und können bestehen bleiben. Der Senat hat von der Möglichkeit des § 354 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 StPO Gebrauch gemacht und die Sache an das Landgericht Hagen verwiesen. Das neue Tatgericht wird Gelegenheit haben, einen Sachverständigen mit besonderer Erfahrung auf dem Gebiet krankhafter Störungen des Sexualtriebs hinzuzuziehen.
Sost-Scheible Roggenbuck Cierniak
Bender Feilcke

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

Ist die Fähigkeit des Täters, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, aus einem der in § 20 bezeichneten Gründe bei Begehung der Tat erheblich vermindert, so kann die Strafe nach § 49 Abs. 1 gemildert werden.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.

Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.

Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 78/16
vom
12. Oktober 2016
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:121016B4STR78.16.0

Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und der Beschwerdeführerin am 12. Oktober 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Krefeld vom 15. Oktober 2015 mit den zugehörigen Feststellungen – ausgenommen die Feststellungen zu den Tatgeschehen, die aufrecht erhalten bleiben – aufgehoben,
a) soweit die Angeklagte in den Fällen A.II.2. (2), (4) bis (7) der Urteilsgründe freigesprochen worden ist, sowie
b) im Maßregelausspruch. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung , unerlaubten Entfernens vom Unfallort in Tateinheit mit vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr und wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu der Gesamtgeldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 60 € verurteilt und sie im Übrigen freigesprochen. Ferner hat es die Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen richtet sich die auf die Maßregelanordnung beschränkte Revision der Angeklagten mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts. Das Rechtsmittel hat ganz überwiegend Erfolg.

I.


2
Nach den Feststellungen leidet die Angeklagte spätestens ab Sommer 2000 an einer paranoiden Schizophrenie, die in der Folgezeit gut medikamentös eingestellt war. Nachdem sich im Sommer 2013 ihr langjähriger Lebensgefährte von ihr getrennt hatte und sie gegen Ende des Jahres gegen ihren Willen als Lehrerin in den Ruhestand versetzt worden war, vernachlässigte die Angeklagte zunehmend ihre Lebensführung und isolierte sich.
3
Am 23. Dezember 2013 befuhr die Angeklagte nach vorangegangenem Alkoholgenuss mit ihrem Pkw die Straße vor ihrem Wohnanwesen. Infolge der für sie erkennbaren alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit (Blutalkoholkonzentration 0,46 ‰) missachtete sie an einer Kreuzung die Vorfahrt eines anderen Pkws und stieß mit diesem zusammen, wodurch ein Fremdschaden in Höhe von 7.082,62 € entstand. Als der Unfallgegner trotz des Schuldeingeständnisses der Angeklagten dazu ansetzte, die Polizei zu verständigen, entschloss sich die Angeklagte, den Unfallort zu verlassen. Nachdem sie auf Nachfrage ihre Wohnanschrift, nicht aber ihren Namen genannt hatte, fuhr sie unter dem Vorwand , ihr Auto aus dem Weg räumen zu wollen, mit ihrem stark beschädigten Pkw von der Unfallstelle zu ihrem ca. 50 m entfernten Wohnhaus, wobei sie sich aufgrund des vorangegangen Unfalls ihrer Fahruntüchtigkeit nunmehr be- wusst war. Gegenüber einem sie wenig später in der Wohnung aufsuchenden Polizeibeamten trat sie aufgebracht und cholerisch auf (A.II.2. (1) der Urteilsgründe ). Obwohl ihr Führerschein im Anschluss an den Unfall sichergestellt worden war, befuhr die Angeklagte am 3. Januar 2014 mit einem Mietwagen eine öffentliche Straße in K. (A.II.2. (3) der Urteilsgründe).
4
In zwei Telefonaten am 27. Dezember 2013 und 17. Januar 2014 be- schimpfte die Angeklagte ihren Schulleiter als „Arschloch“ bzw. „Mörder“ (A.II.2. (2) und (4) der Urteilsgründe). Als ihr am 28. März 2014 von einer Mitarbeiterin des Straßenverkehrsamts die Zulassung eines Pkws verwehrt wurde, äußerte sie aus Verärgerung in aggressivem Ton gegenüber der Mitarbeiterin: „Ihr seid doch bescheuert“ (A.II.2. (5) der Urteilsgründe).
5
Nachdem die Angeklagte weiterhin vergeblich versucht hatte, an ein Fahrzeug zu gelangen, beabsichtigte sie am 8. April 2014, bei ihrem Bruder ein Fahrzeug zu entwenden. Zu diesem Zweck ließ sie sich zu dem Haus ihres Bruders fahren und klingelte dort. Als die Haushaltshilfe die Haustür öffnete, stürmte die Angeklagte hinein und ergriff den in der Küche liegenden Fahrzeugschlüssel und die Geldbörse der Ehefrau ihres Bruders, um diese für sich zu verwenden. Anschließend wollte sie das Haus wieder verlassen, wobei es der Haushaltshilfe gelang, ihr die Geldbörse aus der Hand zu schlagen. Als sie von der Ehefrau und dem Sohn ihres Bruders, die ihr den in der Hand gehaltenen Fahrzeugschlüssel wieder abnehmen wollten, festgehalten wurde, widersetzte sich die Angeklagte, indem sie unter erheblicher Kraftentfaltung durch nicht gegen eine Person gerichtetes Umsichschlagen, Sperren und Windenversuchte sich loszureißen, um sich den Besitz des Fahrzeugschlüssels zu erhalten. Für Ehefrau und Sohn bedeutete dies einen erheblichen Kraftaufwand. Schließlich gelang es der Ehefrau, die Angeklagte zu Boden zu drücken, woraufhin der Sohn ihr den Schlüssel entreißen konnte (A.II.2. (6) der Urteilsgründe). Am 6. Juni 2014 wurde der Angeklagten in den Räumlichkeiten der Sparkasse K. wegen einer zwischenzeitlich eingerichteten Betreuung die Umbuchung von Geld für den Kauf eines Autos verwehrt, worüber sich die Angeklagte lautstark aufregte. Als eine Mitarbeiterin der Sparkasse sie beruhigen wollte, schlug die Angeklagte ihr unvermittelt mit der flachen Hand heftig auf die linke Gesichtshälfte , so dass deren Gesicht zurückschnellte. Die Geschädigte erlitt eine Rötung und Schwellung der linken Wange (A.II.2. (7) der Urteilsgründe).
6
Aufgrund der psychischen Erkrankung der Angeklagten war deren Fähigkeit , entsprechend der vorhandenen Unrechtseinsicht zu handeln, bei den Taten am 23. Dezember 2013 und 3. Januar 2014 (A.II.2. (1) und (3) der Urteilsgründe) erheblich gemindert. Bei den übrigen Taten (A.II.2. (2), (4) bis (7) der Urteilsgründe) war die Steuerungsfähigkeit der Angeklagten sicher erheblich beeinträchtigt, nicht ausschließbar auch gänzlich aufgehoben.

II.


7
1. Das Rechtsmittel ist zulässig. Die Revision ist entgegen der Ansicht des Generalbundesanwalts gemäß § 344 Abs. 2 Satz 1 StPO formwirksam mit der Sachrüge begründet, weil den Ausführungen in der Begründungsschrift vom 14. Dezember 2015 mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen ist, dass die Beschwerdeführerin den Maßregelausspruch in materiell-rechtlicher Hinsicht beanstandet (vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. August 1997 – 2 StR 386/97, NStZ-RR 1998, 18; vom 21. August 1991 – 3 StR 296/91, NStZ 1991, 597; vom 17. Januar 1992 – 3 StR 475/91, BGHR StPO § 344 Abs. 2 Satz 1 Revisionsbegründung 2). So macht die Revisionsbegründung eine unzureichende Darle- gung der Gefährlichkeitsprognose im Urteil und die Unverhältnismäßigkeit der Unterbringungsanordnung geltend.
8
2. Die Anordnung der Unterbringung der Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus hält einer rechtlichen Prüfung nicht stand, weil der von der Strafkammer angenommene symptomatische Zusammenhang zwischen der psychotischen Erkrankung der Angeklagten und der von ihr begangenen Straftaten nicht tragfähig begründet ist.
9
a) Die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 63 StGB darf nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Unterzubringende bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Der Defektzustand muss, um eine Gefährlichkeitsprognose tragen zu können, von längerer Dauer sein. Daneben ist eine Wahrscheinlichkeit höheren Grades erforderlich, der Täter werde infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird (§ 63 Satz 1 StGB in der am 1. August 2016 in Kraft getretenen Neufassung durch das Gesetz zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 des Strafgesetzbuches und zur Änderung anderer Vorschriften vom 6. Juli 2016, BGBl. I 1610). Der Tatrichter hat die der Unterbringungsanordnung zugrunde liegenden Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 6. Juli 2016 – 4 StR 210/16 Rn. 5; vom 15. Januar 2015 – 4 StR 419/14, NStZ 2015, 394, 395; vom 29. April 2014 – 3 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 243, 244).
10
b) Diesen Anforderungen werden die Ausführungen des angefochtenen Urteils zum Vorliegen eines symptomatischen Zusammenhangs zwischen der psychotischen Erkrankung der Angeklagten und den festgestellten Taten nicht gerecht.
11
Die Diagnose einer Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis führt für sich genommen nicht zur Feststellung einer generellen oder zumindest längere Zeiträume überdauernden gesicherten erheblichen Beeinträchtigung der Schuldfähigkeit. Erforderlich ist vielmehr stets die konkretisierende Darlegung, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14, NStZ-RR 2014, 305, 306; vom 23. August 2012 – 1 StR 389/12, NStZ 2013, 98; vom 24. April 2012 – 5 StR 150/12, NStZ-RR 2012, 239; vom 29. Mai 2012 – 2 StR 139/12, NStZ-RR 2012, 306, 307). Feststellungen dazu, ob und in wel- cher Weise die paranoide Schizophrenie der Angeklagten Auswirkungen auf die Begehung der festgestellten Taten hatte, hat das Landgericht nicht getroffen. Die von der Strafkammer allein mitgeteilte Erwägung des Sachverständigen, wonach es für psychisch erkrankte Personen typisch sei, wütend zu werden, wenn sie sich ungerecht behandelt fühlen, ist nicht geeignet, eine Beeinflussung der von der Angeklagten begangenen Taten durch deren psychotische Erkrankung tragfähig zu belegen. Soweit sich das Landgericht im Übrigen der gutachterlichen Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen angeschlossen hat, lässt das Urteil schließlich die gebotene, für ein Verständnis des Gutachtens und die Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderliche Wiedergabe der wesentlichen Anknüpfungspunkte und Darlegungen des Sachverständigen vermissen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 17. Juni 2014 – 4 StR 171/14 aaO; vom 30. Juli 2013 – 4 StR 275/13, NStZ 2014, 36, 37).
12
c) Die Anordnung der Maßregel nach § 63 StGB kann daher nicht bestehen bleiben. Mit Blick auf die Vorschrift des § 358 Abs. 2 Satz 2 StPO sind auch die Freisprüche der Angeklagten in den Fällen A.II.2. (2) und (4) bis (7) der Urteilsgründe aufzuheben (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. August 2014 – 3 StR 271/14, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Satz 2 Freispruch 1; vom 30. Juli 2013 – 4 StR 275/13 Rn. 18 insoweit in NStZ 2014, 36 nicht abgedruckt). In diesem Umfang ist die Beschränkung der Revision auf die Maßregelanordnung wegen des untrennbaren Zusammenhangs zwischen der Entscheidung über die Unterbringung nach § 63 StGB und den auf § 20 StGB gestützten Freisprüchen unwirksam (vgl. BGH, Beschlüsse vom 26. September 2012 – 4 StR 348/12, NStZ 2013, 424; vom 21. Mai 2013 – 2 StR 29/13, NStZ-RR 2014, 54).
13
Die zu den Tatgeschehen in objektiver und subjektiver Hinsicht getroffenen tatsächlichen Feststellungen beruhen auf einer rechtsfehlerfreien Beweiswürdigung und können daher bestehen bleiben.
14
d) Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat zur Tat A.II.2. (6) der Urteilsgründe auf Folgendes hin:
15
Der räuberische Diebstahl gemäß § 252 StGB ist bereits mit dem auf Gewahrsamssicherung gerichteten Einsatz eines Nötigungsmittels vollendet, ohne dass es darauf ankommt, ob es dem Täter gelingt, sich den Besitz des gestohlenen Guts zu erhalten (vgl. BGH, Urteil vom 22. August 1984 – 3 StR 203/84, StV 1985, 13; Sander in MK-StGB, 2. Aufl., § 252 Rn. 18). Bei der Entwendung von Geldbörse und Fahrzeugschlüssel handelt es sich um eine ein- heitliche Diebstahlstat (vgl. BGH, Urteil vom 12. Mai 2016 – 4 StR 487/15, NJW 2016, 2349, 2350 mwN), die wegen des Fehlens des nach § 247 StGB erforderlichen Strafantrags nicht verfolgt werden kann. Da zwischen dem räuberischen Diebstahl und dem vorangegangenen Diebstahl Gesetzeseinheit besteht (vgl. Vogel in LK-StGB, 12. Aufl., § 252 Rn. 77) und eine Verfahrenseinstellung innerhalb einer materiell-rechtlichen Tat nicht in Betracht kommt (vgl. Stuckenberg in Löwe/Rosenberg, StPO, 26. Aufl., § 260 Rn. 116 mwN), ist insoweit für eine Teileinstellung des Verfahrens kein Raum.
VRinBGH Sost-Scheible ist Cierniak Franke urlaubsbedingt an der Beifügung der Unterschrift gehindert. Cierniak Bender Quentin