Bundesgerichtshof Beschluss, 23. Okt. 2018 - 2 StR 359/18

bei uns veröffentlicht am23.10.2018

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 359/18
vom
23. Oktober 2018
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht
geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2018:231018B2STR359.18.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 23. Oktober 2018 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Meiningen vom 12. April 2018 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben
a) im Strafausspruch,
b) soweit die Anordnung einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten
1
Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge sowie und wegen Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt. Gegen dieses Urteil richtet sich die auf eine Verfahrensrüge und die Sachbeschwerde gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht die Frage der Unterbringung des
2
Angeklagten in einer Entziehungsanstalt gemäß § 7 Abs. 1 JGG in Verbindung mit § 64 StGB nicht geprüft, obwohl es nach den Feststellungen dazu gedrängt gewesen ist. Zwar besteht keine Betäubungsmittelabhängigkeit des Angeklagten.
3
Dies ist aber für die Annahme eines Hangs zum Konsum von Betäubungsmitteln im Übermaß auch nicht erforderlich. Dafür ist vielmehr eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 23. August 2017 – 1 StR 367/17, NStZ-RR 2017, 370 f. mwN). Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumiert der Angeklagte
4
bereits seit dem dreizehnten Lebensjahr Cannabis. Bei der Tat vom 11. Oktober 2017 besaß er Marihuana zum Eigenkonsum. Die Kurierfahrt am 12. November 2017, bei der er 4.888 Gramm Marihuana transportierte, beging er, um „drei Rationen Drogen für sich“ zu erhalten. Eine soziale Gefährdung des Angeklag- ten infolge des Betäubungsmittelkonsums kommt auch in der den früheren Verurteilungen zu entnehmenden Begehung von Straftaten sowie darin zum Ausdruck , dass der Angeklagte seine Ausbildung zum Maschinen- und Anlagenführer wegen Fehlzeiten nicht abgeschlossen sowie gegen die Weisung in der Führungsaufsicht verstoßen hat, keine Betäubungsmittel zu konsumieren. Die nunmehr abgeurteilten Betäubungsmitteldelikte erscheinen zudem symptomatisch für seinen Hang zum Konsum von Betäubungsmitteln im Übermaß. Nach den Tatumständen und mit Blick auf die Persönlichkeit des Angeklagten liegt auch die Annahme nahe, dass ohne die Maßregel künftig weitere Straftaten durch ihn zu erwarten sind. Daher wird der neue Tatrichter die Frage der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt, auch im Hinblick auf die Frage einer konkreten Aussicht auf einen Therapieerfolg, zu prüfen haben. Die fehlerhafte Nichterörterung der Maßregelanordnung zieht wegen
5
Wechselwirkung von Maßregel und Jugendstrafe gemäß § 5 Abs. 3, § 105 Abs. 1 JGG auch die Aufhebung des Strafausspruchs nach sich (vgl. BGH, Beschluss vom 25. November 2014 – 5 StR 509/14). Der Senat lässt offen, ob er hierzu – dem Generalbundesanwalt folgend – schon deshalb gelangt wäre, weil das Landgericht erörtert hat, ob bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht ein minder schwerer Fall der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorgelegen hätte. Dies könnte in einem Fall entbehrlich sein, in dem – wie hier – Jugendstrafe nur wegen schädlicher Neigungen des Angeklagten, nicht aber wegen der Schwere der Schuld verhängt wird. Bei der Vergleichsbetrachtung mit dem Erwachsenenstrafrecht handelt es sich jedenfalls im Wesentlichen um ein Mittel zur Bestimmung der zurechenbaren Schuld des jugendlichen oder heranwachsenden Täters. Diese hat bei der Bemessung der Höhe der Jugendstrafe mit Blick auf den Erziehungsgedanken eine allenfalls untergeordnete Bedeutung. Schäfer Appl Eschelbach Zeng Bartel BESCHLUSS 2 StR 359/18 vom 9. Januar 2019 in der Strafsache gegen wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 9. Januar 2019 beschlossen: Der Beschluss vom 23. Oktober 2018 wird aufgrund eines offensichtlichen Schreibversehens dahingehend berichtigt, dass der Name des Angeklagten
„Sa. “ und nicht „Se. “
lautet.
Franke Krehl Eschelbach Meyberg Grube

ECLI:DE:BGH:2019:090119B2STR359.18.0 BESCHLUSS 2 StR 359/18 vom 23. Januar 2019 in der Strafsache gegen

wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. hier: Berichtigung

ECLI:DE:BGH:2019:230119B2STR359.18.0
Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 23. Januar 2019 beschlossen :
Der Senatsbeschluss vom 23. Oktober 2018 wird wegen offensichtlicher Schreibversehen - im Text zu Rn. 1 der Gründe dahin berichtigt, dass der erste Satz unter Wegfall des Wortes „sowie“ wie folgt lautet: „DasLandge- richt hat den Angeklagten wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Jugendstrafe von vier Jahren verurteilt.“ - im Text zu Rn. 5 der Gründe dahin berichtigt, dass der zweite Satz unter Einfügung des Wortes „nicht“ wie folgt lautet: „Der Senat lässt offen, ob er hierzu – dem Generalbundesanwalt folgend – schon deshalb gelangt wäre, weil das Landgericht nicht erörtert hat, ob bei Anwendung von Erwachsenenstrafrecht ein
minder schwerer Fall der Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorgelegen hät- te.“
Franke Krehl Eschelbach Zeng Meyberg

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 64 Unterbringung in einer Entziehungsanstalt


Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 105 Anwendung des Jugendstrafrechts auf Heranwachsende


(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, we

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 5 Die Folgen der Jugendstraftat


(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden. (2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen. (3) Von Zuchtmitteln un

Jugendgerichtsgesetz - JGG | § 7 Maßregeln der Besserung und Sicherung


(1) Als Maßregeln der Besserung und Sicherung im Sinne des allgemeinen Strafrechts können die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt, die Führungsaufsicht oder die Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet werd

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 5 StR 509/14 vom 25. November 2014 in der Strafsache gegen wegen Raubes u.a. Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. November 2014 beschlossen : Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgeri

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Als Maßregeln der Besserung und Sicherung im Sinne des allgemeinen Strafrechts können die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt, die Führungsaufsicht oder die Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet werden (§ 61 Nr. 1, 2, 4 und 5 des Strafgesetzbuches).

(2) Das Gericht kann im Urteil die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten, wenn

1.
der Jugendliche zu einer Jugendstrafe von mindestens sieben Jahren verurteilt wird wegen oder auch wegen eines Verbrechens
a)
gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit oder die sexuelle Selbstbestimmung oder
b)
nach § 251 des Strafgesetzbuches, auch in Verbindung mit § 252 oder § 255 des Strafgesetzbuches,
durch welches das Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt oder einer solchen Gefahr ausgesetzt worden ist, und
2.
die Gesamtwürdigung des Jugendlichen und seiner Tat oder seiner Taten ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der in Nummer 1 bezeichneten Art begehen wird.
Das Gericht ordnet die Sicherungsverwahrung an, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass von ihm Straftaten der in Satz 1 Nummer 1 bezeichneten Art zu erwarten sind; § 66a Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches gilt entsprechend. Für die Prüfung, ob die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung am Ende des Vollzugs der Jugendstrafe auszusetzen ist, und für den Eintritt der Führungsaufsicht gilt § 67c Absatz 1 des Strafgesetzbuches entsprechend.

(3) Wird neben der Jugendstrafe die Anordnung der Sicherungsverwahrung vorbehalten und hat der Verurteilte das siebenundzwanzigste Lebensjahr noch nicht vollendet, so ordnet das Gericht an, dass bereits die Jugendstrafe in einer sozialtherapeutischen Einrichtung zu vollziehen ist, es sei denn, dass die Resozialisierung des Verurteilten dadurch nicht besser gefördert werden kann. Diese Anordnung kann auch nachträglich erfolgen. Solange der Vollzug in einer sozialtherapeutischen Einrichtung noch nicht angeordnet oder der Gefangene noch nicht in eine sozialtherapeutische Einrichtung verlegt worden ist, ist darüber jeweils nach sechs Monaten neu zu entscheiden. Für die nachträgliche Anordnung nach Satz 2 ist die Strafvollstreckungskammer zuständig, wenn der Betroffene das vierundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat, sonst die für die Entscheidung über Vollzugsmaßnahmen nach § 92 Absatz 2 zuständige Jugendkammer. Im Übrigen gelten zum Vollzug der Jugendstrafe § 66c Absatz 2 und § 67a Absatz 2 bis 4 des Strafgesetzbuches entsprechend.

(4) Ist die wegen einer Tat der in Absatz 2 bezeichneten Art angeordnete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus nach § 67d Abs. 6 des Strafgesetzbuches für erledigt erklärt worden, weil der die Schuldfähigkeit ausschließende oder vermindernde Zustand, auf dem die Unterbringung beruhte, im Zeitpunkt der Erledigungsentscheidung nicht bestanden hat, so kann das Gericht nachträglich die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung anordnen, wenn

1.
die Unterbringung des Betroffenen nach § 63 des Strafgesetzbuches wegen mehrerer solcher Taten angeordnet wurde oder wenn der Betroffene wegen einer oder mehrerer solcher Taten, die er vor der zur Unterbringung nach § 63 des Strafgesetzbuches führenden Tat begangen hat, schon einmal zu einer Jugendstrafe von mindestens drei Jahren verurteilt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht worden war und
2.
die Gesamtwürdigung des Betroffenen, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung bis zum Zeitpunkt der Entscheidung ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut Straftaten der in Absatz 2 bezeichneten Art begehen wird.

(5) Die regelmäßige Frist zur Prüfung, ob die weitere Vollstreckung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung zur Bewährung auszusetzen oder für erledigt zu erklären ist (§ 67e des Strafgesetzbuches), beträgt in den Fällen der Absätze 2 und 4 sechs Monate, wenn die untergebrachte Person bei Beginn des Fristlaufs das vierundzwanzigste Lebensjahr noch nicht vollendet hat.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 367/17
vom
23. August 2017
in der Strafsache
gegen
wegen versuchten Mordes u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:230817B1STR367.17.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts – zu 2. auf dessen Antrag – am 23. August 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 25. Januar 2017 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist. 2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen. 3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von neun Jahren und zehn Monaten verurteilt und von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen. Hiergegen wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es gemäß § 349 Abs. 2 StPO unbegründet.
Die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ge2 mäß § 64 StGB hält rechtlicher Überprüfung nicht stand, weil zu besorgen ist, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.
3
1. Der vom Landgericht beauftragte Sachverständige hat bei dem Angeklagten einen Missbrauch im Sinne eines schädlichen Gebrauchs von Alkohol diagnostiziert, der die Schwelle zum Abhängigkeitssyndrom (noch) nicht erreiche. Im Falle des Aufstauens unverarbeiteter Eindrücke bewirke der Alkohol bei ihm eine Mobilisierung der Gefühle. Dies begründe eine hohe Affinität des Angeklagten zu Alkohol. Unter Alkoholeinfluss zeigten sich bei ihm wesensfremde aggressive Verhaltensweisen, über die er sich auch durchaus im Klaren sei. Der Angeklagte konsumiere regelmäßig an den Wochenenden Alkohol. Bei ihm bestehe bereits eine deutliche Toleranzentwicklung bezüglich alkoholbedingter Auswirkungen; diese setze sich allerdings nicht bis in höchste Konsumbereiche fort, sondern verbleibe im Bereich einer Alkoholisierung zwischen 1,5 und 2 Promille. Es fehle außerdem an einem überdauernden starken Suchtdruck und einer ausgeprägten Einengung des eigenen Interessenbereichs. Die zentralen Lebensbereiche des Angeklagten – Arbeit, Fußball und Führerschein – würden nicht von seinem Alkoholkonsum dominiert. Bemerkenswert sei auch seine Fähigkeit, den Alkoholkonsum in diesen Bereichen zu begrenzen und so auch über längere Zeiträume hinweg abstinent zu bleiben. Dennoch spiele der Alkohol im Leben des Angeklagten eine wichtige Rolle. Eine Grundbereitschaft zur Abstinenz bestehe trotz negativer Erfahrungen und aggressiver Verhaltensweisen nicht. Zu Abstinenzphasen komme es nur dann, wenn der Angeklagte bestimmte Ziele verfolge, die ihm wichtiger als der Alkoholkonsum seien (UA S. 17-18). Zwar habe der Alkoholkonsum keinerlei Auswirkungen auf die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Angeklagten gehabt. Aller- dings sei die Tat ohne die Alkoholisierung des Angeklagten nicht vorstellbar und widerspreche seinem übrigen bürgerlichen Lebensentwurf. Vor dem Hintergrund seiner Persönlichkeit, seiner hohen Affinität zu Alkohol, der Wirkung von Alkohol auf ihn und seiner Weigerung, dauerhaft auf Alkohol verzichten zu wollen, insbesondere trotz bürgerlicher Sozialisation, sozialer Ächtung und strafrechtlicher Konsequenzen, lägen die Voraussetzungen einer sozialen Gefährlichkeit vor (UA S. 45).
4
2. Gleichwohl hat das Landgericht – entgegen der Einschätzung des Sachverständigen – von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB abgesehen, weil es einen übermäßigen Konsum von alkoholischen Getränken durch den Angeklagten nicht festzustellen vermochte. Insbesondere sei der Angeklagte in Anbetracht der konkreten Umstände weder sozial gefährdet noch gefährlich. Seine Neigung zu wesensfremdem und aggressivem Verhalten unter Alkoholeinfluss begründe seine soziale Gefährlichkeit nicht. Er sei auch im alkoholisierten Zustand in der Lage gewesen, „seine Aggressionen gezielt zu steuern“ und habe zu keinem Zeitpunkt Freunde oder Mannschaftsmitglieder attackiert und daher nicht haltlos und vollkommen unberechenbar agiert (UA S. 48).
5
3. Diese Ausführungen sind infolge eines zu engen Verständnisses eines Hanges im Sinne des § 64 StGB nicht frei von Rechtsfehlern.
6
a) Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung ausreichend, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 415/15; Urteile vom 10. November 2004 – 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 und vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13, NStZ-RR 2014, 271). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 14. Dezember 2005 – 1 StR 420/05, NStZ-RR 2006, 103). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen werden, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Annahme eines Hanges aus (BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198; vom 2. April 2015 – 3 StR 103/15; vom 12. Januar 2017 – 1 StR 604/16, NStZ-RR 2017, 198 und vom 26. Januar 2017 – 1 StR 646/16, NStZ-RR 2017,

239).


7
b) Die Ausführungen des Landgerichts zum Hang begegnen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat hier die Anforderungen an das Vorliegen einer sozialen Gefährlichkeit des Angeklagten überspannt. Soziale Gefährlichkeit liegt typischerweise im Falle von Beschaffungskriminalität vor, ist hierauf jedoch nicht beschränkt. Denn es kommen auch andere Delikte als solche der Beschaffungskriminalität als Hangtaten in Betracht, wenn sich in ihnen die hangbedingte besondere Gefährlichkeit des Täters zeigt (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 10. November 2015 – 1 StR 482/15, NStZ-RR 2016, 113 mwN). Vor diesem Hintergrund hätte die hohe Alkoholaffinität des Angeklagten und seine signifikant gesteigerte Aggressionsbereitschaft schon bei mittleren Alkoholmengen berücksichtigt werden müssen und zwar auch dann, wenn der Angeklagte zu längeren Abstinenzintervallen in der Lage ist. Er ist ausweislich der landgerichtlichen Feststellungen unter Alkoholeinfluss bereits zweimal strafrechtlich in Erscheinung getreten und hat darüber hinaus mehrere tätliche Übergriffe unter anderem zum Nachteil seiner Eltern begangen.
8
4. Den getroffenen Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die übrigen Voraussetzungen für die Anordnung der Maßregel nicht gegeben sind. Insoweit ist der Sachverständige vielmehr zu dem Ergebnis gekommen, dass die übrigen Voraussetzungen des § 64 StGB aus forensisch-psychiatrischer Sicht zweifelsfrei vorlägen (UA S. 45).
9
5. Die im Hinblick auf die Nichtanordnung der Maßregel getroffenen Feststellungen waren mit aufzuheben (§ 353 Abs. 2 StPO), denn infolge des rechtsfehlerhaften Verständnisses zum Hangbegriff sind die dazu getroffenen Feststellungen ihrerseits nicht tragfähig.
6. Das Verschlechterungsverbot steht einer Nachholung der Unterbrin10 gungsanordnung nicht entgegen (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Beschlüsse vom 26. Januar 2017 – 1 StR 646/16, NStZ-RR 2017, 239 und vom 25. November 2015 – 1 StR 379/15, NStZ-RR 2016, 113; Urteil vom 10. April1990 – 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9). Raum Graf Radtke
Bär Hohoff

(1) Aus Anlaß der Straftat eines Jugendlichen können Erziehungsmaßregeln angeordnet werden.

(2) Die Straftat eines Jugendlichen wird mit Zuchtmitteln oder mit Jugendstrafe geahndet, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen.

(3) Von Zuchtmitteln und Jugendstrafe wird abgesehen, wenn die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt die Ahndung durch den Richter entbehrlich macht.

(1) Begeht ein Heranwachsender eine Verfehlung, die nach den allgemeinen Vorschriften mit Strafe bedroht ist, so wendet der Richter die für einen Jugendlichen geltenden Vorschriften der §§ 4 bis 8, 9 Nr. 1, §§ 10, 11 und 13 bis 32 entsprechend an, wenn

1.
die Gesamtwürdigung der Persönlichkeit des Täters bei Berücksichtigung auch der Umweltbedingungen ergibt, daß er zur Zeit der Tat nach seiner sittlichen und geistigen Entwicklung noch einem Jugendlichen gleichstand, oder
2.
es sich nach der Art, den Umständen oder den Beweggründen der Tat um eine Jugendverfehlung handelt.

(2) § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 ist auch dann anzuwenden, wenn der Heranwachsende wegen eines Teils der Straftaten bereits rechtskräftig nach allgemeinem Strafrecht verurteilt worden ist.

(3) Das Höchstmaß der Jugendstrafe für Heranwachsende beträgt zehn Jahre. Handelt es sich bei der Tat um Mord und reicht das Höchstmaß nach Satz 1 wegen der besonderen Schwere der Schuld nicht aus, so ist das Höchstmaß 15 Jahre.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
5 StR 509/14
vom
25. November 2014
in der Strafsache
gegen
wegen Raubes u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 25. November 2014 beschlossen
:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts
Saarbrücken vom 16. Juli 2014 nach § 349 Abs. 4 StPO
mit den zugehörigen Feststellungen im Rechtsfolgenausspruch
aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung
und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an
eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit sexueller Nötigung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs. Im Übrigen ist sie unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Begründung, mit der die Jugendkammer die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt (§ 64 StGB) abgelehnt hat, erweist sich als rechtsfehlerhaft. Der zweifelsfrei alkoholkranke Angeklagte hat im Zustand alkoholbedingt verminderter Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB eine schwere Gewalttat begangen. Vor diesem Hintergrund ist die Wer- tung der Jugendkammer nicht verständlich, es fehle an einer Gefahr künftiger erheblicher Straftaten aufgrund des Hangs. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wird die von § 64 Satz 1 StGB geforderte Gefahr nämlich in aller Regel allein durch eine hangbedingte schwere Gewalttat als Anlasstat hinreichend belegt (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 1988 – 2 StR 200/88, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 2; Beschlüsse vom 18. Juli 2000 – 5 StR 289/00, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Gefährlichkeit 7; vom 20. Janu- ar 2004 – 4 StR 464/03, NStZ-RR 2004, 204, 205). Dass der mehrfach vorbelastete Angeklagte bislang nicht gerade durch Gewalttaten aufgefallen ist, steht der Annahme seiner Gefährlichkeit mithin genauso wenig entgegen wie dessen Selbsteinschätzung, er könne sich seine Aggressivität nicht erklären. Da Beeinflussungssituationen auch in Zukunft eintreten können, trägt auch die Überlegung der Jugendkammer nicht, der Mittäter des Angeklagten sei die „treibende Kraft“ gewesen.
3
Der Frage der Gefährlichkeit des Angeklagten muss deshalb nochmals nachgegangen werden. Dabei wird die Entwicklung des Angeklagten seit der nunmehr schon geraume Zeit zurückliegenden Tat sorgfältiger darzulegen und zu würdigen sein als im angefochtenen Urteil geschehen.
4
2. Bereits wegen des durch § 5 Abs. 3 JGG vorgegebenen sachlichen Zusammenhangs zwischen Strafe und Unterbringung ist der Strafausspruch aufzuheben. Insoweit hätten jedoch auch für sich genommen Bedenken bestanden. Ausweislich der Feststellungen (UA S. 4) hat der Angeklagte die im angefochtenen Urteil bei der Prüfung der schädlichen Neigungen (UA S. 26) sowie bei der Bemessung der Jugendstrafe (UA S. 28) in Ansatz gebrachten Hafterfahrungen erst nach der verfahrensgegenständlichen Tat gemacht. Gleiches gilt für die Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe, sofern sich die in den Urteilsgründen angesprochene „Erzwingungshaft“ (UA S. 26) hierauf beziehen sollte. Davon bleibt unberührt, dass die vier Verurteilungen des Angeklagten wegen nach der erlittenen Untersuchungshaft und während des laufenden Verfahrens begangener Straftaten nach allgemeinen Regeln zu berücksichtigen sein werden.
5
3. In Bezug auf die zahlreichen Verurteilungen des Angeklagten zu Geldstrafen wird sich die neu entscheidende Jugendkammer ausdrücklich dazu zu verhalten haben, ob insoweit Erledigung eingetreten ist (vgl. § 105 Abs. 2 i.V.m. § 31 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 JGG).
Sander Schneider Dölp
König Bellay