Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Juli 2015 - 2 StR 214/15
Bundesgerichtshof
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern in drei Fällen und wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt und im Übrigen freigesprochen. Gegen die Verurteilung richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
- 2
- 1. Der Schuldspruch weist keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.
- 3
- 2. Der Strafausspruch hat keinen Bestand. Das Landgericht hat sowohl bei der Prüfung und Verneinung der Frage, ob ein minder schwerer Fall nach § 176a Abs. 4 StGB vorläge, als auch bei der Zumessung sämtlicher Einzelstrafen berücksichtigt, dass "über die konkretisierbaren vier Taten hinaus weitere sexuelle Handlungen stattgefunden haben" (UA S. 29); andererseits hat es den Angeklagten hinsichtlich dreizehn weiterer angeklagter Fälle aus tatsächlichen Gründen freigesprochen, weil sich die Strafkammer "nicht mit dem erforderlichen Maß an Gewissheit davon überzeugen (konnte), dass die Taten so, wie sie durch die Anklage konkretisiert worden sind, stattgefunden haben" (UA S. 32).
- 4
- Zwar ist es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht unzulässig , bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, dass der Angeklagte noch weitere - bisher nicht abgeurteilte - Straftaten begangen hat (vgl. BGH, Beschluss vom 9. April 1991 - 4 StR 138/91, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 14 mwN). Allerdings müssen solche Taten - wie jeder für die Strafzumessung erhebliche Umstand - prozessordnungsgemäß und damit hinreichend bestimmt festgestellt werden und zur Überzeugung des Tatrichters feststehen (Senat, Urteil vom 5. Juni 2014 - 2 StR 381/13, juris Rn. 23; Beschluss vom 18. März 2015 - 2 StR 54/15, NStZ-RR 2015, 207; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 40 f. mwN).
- 5
- Hier hat das Landgericht bereits selbst erklärt, dass es sich nicht von weiteren angeklagten Straftaten überzeugen konnte; es bleibt demnach offen, ob, welche und wie viele Straftaten der Angeklagte über die hier abgeurteilten vier Taten hinaus noch begangen haben soll. Dies lässt eine unzulässige Berücksichtigung des bloßen Verdachts weiterer Straftaten besorgen.
- 6
- Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Strafausspruch insgesamt auf der rechtsfehlerhaften Erwägung beruht; die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe können deshalb nicht bestehen bleiben. Fischer Eschelbach Ott Zeng Ri'inBGH Dr. Bartel ist an der Unterschrift gehindert. Fischer
ra.de-Urteilsbesprechung zu Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Juli 2015 - 2 StR 214/15
Urteilsbesprechung schreiben0 Urteilsbesprechungen zu Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Juli 2015 - 2 StR 214/15
Referenzen - Gesetze
Referenzen - Urteile
Urteil einreichenBundesgerichtshof Beschluss, 22. Juli 2015 - 2 StR 214/15 zitiert oder wird zitiert von 4 Urteil(en).
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren wird bestraft, wer
- 1.
sexuelle Handlungen vor einem Kind vornimmt oder vor einem Kind von einer dritten Person an sich vornehmen lässt, - 2.
ein Kind dazu bestimmt, dass es sexuelle Handlungen vornimmt, soweit die Tat nicht nach § 176 Absatz 1 Nummer 1 oder Nummer 2 mit Strafe bedroht ist, oder - 3.
auf ein Kind durch einen pornographischen Inhalt (§ 11 Absatz 3) oder durch entsprechende Reden einwirkt.
(2) Ebenso wird bestraft, wer ein Kind für eine Tat nach Absatz 1 anbietet oder nachzuweisen verspricht oder wer sich mit einem anderen zu einer solchen Tat verabredet.
(3) Der Versuch ist in den Fällen des Absatzes 1 Nummer 1 und 2 strafbar. Bei Taten nach Absatz 1 Nummer 3 ist der Versuch in den Fällen strafbar, in denen eine Vollendung der Tat allein daran scheitert, dass der Täter irrig annimmt, sein Einwirken beziehe sich auf ein Kind.
(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.
(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:
die Beweggründe und die Ziele des Täters, besonders auch rassistische, fremdenfeindliche, antisemitische oder sonstige menschenverachtende, die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille, das Maß der Pflichtwidrigkeit, die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat, das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.
(3) Umstände, die schon Merkmale des gesetzlichen Tatbestandes sind, dürfen nicht berücksichtigt werden.
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in drei Fällen , davon in einem Fall in Tateinheit mit (vorsätzlicher) Körperverletzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Gegen die Verurteilung richtet sich die auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten. Das Rechtsmittel hat hinsichtlich des Strafausspruchs Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
- 2
- 1. Der Schuldspruch weist keinen den Angeklagten beschwerenden Rechtsfehler auf.
- 3
- 2. Der Strafausspruch unterliegt hingegen der Aufhebung, weil das Landgericht die durch § 46 Abs. 2 StGB gezogene Grenze zulässiger strafschärfender Berücksichtigung nicht angeklagter Taten überschritten hat.
- 4
- Gemäß § 46 Abs. 2 StGB hat der Tatrichter bei der Strafzumessung die für und gegen den Täter sprechenden Umstände gegeneinander abzuwägen und dabei namentlich auch sein Vorleben zu berücksichtigen. Insoweit ist er bei der Feststellung und Bewertung von Strafzumessungstatsachen durch den Anklagegrundsatz (§§ 155, 264 StPO) nicht beschränkt und kann daher auch strafbare Handlungen ermitteln und würdigen, die nicht Gegenstand der Anklage bzw. nach § 154 StPO eingestellt worden sind, soweit diese für die Persönlichkeit eines Angeklagten bedeutsam sein können und Rückschlüsse auf dessen Tatschuld gestatten. Allerdings müssen solche Taten - wie jeder für die Strafzumessung erhebliche Umstand - prozessordnungsgemäß und damit hinreichend bestimmt festgestellt werden und zur Überzeugung des Tatrichters feststehen (Senatsurteil vom 5. Juni 2014 - 2 StR 381/13, BeckRS 2014, 15068; Fischer, StGB, 62. Aufl., § 46 Rn. 40 f., jeweils mwN).
- 5
- Diesen Anforderungen genügen die Urteilsgründe nicht. Das Landgericht hat bei der Strafrahmenwahl hinsichtlich aller Taten und bei der konkreten Strafzumessung "erheblich zulasten des Angeklagten" gewertet, dass es sich "hier nicht um einzelne 'Ausrutscher' bzw. um Einzeltaten handelte", denn der Angeklagte habe "über einen Zeitraum von circa 20 Jahren hinweg den Willen seiner Frau seinen eigenen sexuellen Bedürfnissen" (UA S. 24) untergeordnet. Abgesehen davon, dass der zugrunde gelegte "Zeitraum von circa 20 Jahren" nicht in Einklang mit den Feststellungen der Strafkammer zu bringen ist, wo- nach es "in den Jahren 1998 bis 2001 … keinen Übergriff" (UA S. 6) des Ange- klagten auf die Nebenklägerin gegeben habe und die Eheleute ab 1993 auch einvernehmlich geschlechtlich verkehrten, bleibt offen, ob, welche und wie viele Straftaten der Angeklagte über die hier abgeurteilten Taten hinaus noch begangen haben soll (vgl. BGH, Beschluss vom 9. April 1991 - 4 StR 138/91, BGHR StGB § 46 Abs. 2 Vorleben 14). Dies lässt eine unzulässige Berücksichtigung des bloßen Verdachts weiterer Straftaten besorgen.
- 6
- Der Senat kann nicht ausschließen, dass der Strafausspruch insgesamt auf den rechtsfehlerhaften Erwägungen beruht; die Einzelstrafen und die Gesamtstrafe können deshalb nicht bestehen bleiben. VRiBGH Prof. Dr. Fischer Krehl Eschelbach ist an der Unterschriftsleistung gehindert. Krehl Ott Zeng