Bundesgerichtshof Beschluss, 01. Aug. 2017 - 2 StR 185/17

ECLI:ECLI:DE:BGH:2017:010817B2STR185.17.0
bei uns veröffentlicht am01.08.2017

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 185/17
vom
1. August 2017
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
ECLI:DE:BGH:2017:010817B2STR185.17.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts - zu Ziffer 3. auf dessen Antrag - und des Beschwerdeführers am 1. August 2017 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Gera vom 25. Januar 2017 im Strafausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten mit der Sachrüge, die den aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Teilerfolg hat; im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Die Überprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der Revision des Angeklagten hat zum Schuldspruch keinen ihn beschwerenden Rechtsfehler ergeben.
3
2. Der Strafausspruch hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Das Landgericht hat die wegen der Vergewaltigung der Tochter seiner ehemaligen Lebensgefährtin verhängte Freiheitsstrafe dem Strafrahmen des § 177 Abs. 2 StGB a.F. entnommen. Die Wahl dieses Strafrahmens hat das Landgericht le- diglich damit begründet, dass ein „minder schwerer Fall nach§ 177 Abs. 1, 5 StGB“ nicht vorliege.
4
Die Bestimmung des Strafrahmens begegnet durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Die Urteilsgründe ergeben nicht, weshalb eine Strafrahmenverschiebung unterblieben ist. Zwar ist das Landgericht zu Recht davon ausgegangen, dass der Angeklagte das Regelbeispiel nach § 177 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB a.F. verwirklicht hat. Nach ständiger Rechtsprechung kann jedoch gleichwohl eine Ausnahme von der Regelwirkung in Betracht kommen, wenn ein Regelbeispiel mit gewichtigen Milderungsgründen zusammentrifft. Der Bestrafung kann dann ausnahmsweise der Normalstrafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB a.F. zugrunde gelegt werden. In extremen Ausnahmefällen - ein solcher liegt hier freilich fern - kann sogar eine weiter gehende Milderung des Normalstrafrahmens und die Bemessung der Strafe aus dem Rahmen für den minder schweren Fall (§ 177 Abs. 5 1. Halbs. StGB a.F.) in Betracht zu ziehen sein (vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. April 2000 - 1 StR 78/00, BGHR StGB § 177 Abs. 2 Strafrahmenwahl 13; vom 6. März 2001 - 4 StR 558/00, StV 2001, 456, 457; vom 13. September 2005 - 4 StR 163/05, NStZ-RR 2006, 6, 7; vom 13. April 2011 - 4 StR 100/11, StraFo 2011, 325, jeweils mwN).
5
Für die Entscheidung, ob die Regelwirkung des Regelbeispiels für den besonders schweren Fall ausnahmsweise wegen gewichtiger Milderungsgründe entfällt, ist - ähnlich wie bei der Prüfung der Voraussetzungen eines minder schweren Falles - auf das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit abzustellen und zu prüfen, ob sich ange- sichts deutlich überwiegender Milderungsgründe die Bewertung der Tat als besonders schwerer Fall als unangemessen erweisen würde (vgl. BGH, Beschluss vom 11. April 2000 - 1 StR 78/00, BGHR StGB § 177 Abs. 2 Strafrahmenwahl 13).
6
Ob hier ausnahmsweise der Normalstrafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB a.F. zugrunde zu legen wäre, hätte - auch mit Blick darauf, dass das Landgericht bei der Strafzumessung im engeren Sinne gewichtige Umstände anführt, die gegen einen Wegfall der Regelwirkung sprechen können - unter den gegebenen Umständen insbesondere deshalb der Erörterung bedurft, weil der nicht vorbestrafte und alkoholenthemmte Angeklagte gegenüber der Geschädigten Gewalt an der unteren Grenze und ohne Verletzungsspuren angewandt hat und fortwirkende Tatfolgen nicht festgestellt werden konnten.
7
Der dargestellte Erörterungsmangel bei der Wahl des Strafrahmens führt zur Aufhebung des Strafausspruchs, weil nicht auszuschließen ist, dass das Landgericht einen besonders schweren Fall im Sinne des § 177 Abs. 2 StGB verneint und gegen den Angeklagten eine niedrigere Freiheitsstrafe verhängt hätte. Die zu Grunde liegenden Feststellungen können jedoch bestehen bleiben , weil sie von dem aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind. Ergänzende Feststellungen sind zulässig. Appl Eschelbach Zeng Bartel Schmidt

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Strafprozeßordnung - StPO | § 349 Entscheidung ohne Hauptverhandlung durch Beschluss


(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

Strafgesetzbuch - StGB | § 177 Sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung


(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freihei

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 163/05 vom 13. September 2005 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 13. September 2005 gemäß

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BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 78/00 vom 11. April 2000 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. April 2000 beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgericht

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 78/00
vom
11. April 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. April 2000 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 15. November 1999 im Strafausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Strafausspruchs, ist im übrigen aber unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. 1. Der zur Tatzeit 64jährige asthmakranke Angeklagte, der unter einer beginnenden organischen Persönlichkeitsstörung leidet, ist mit dem Tatopfer seit 1987 in zweiter Ehe verheiratet. Zwischen den Eheleuten war es immer wieder zu Streitigkeiten und massiven Auseinandersetzungen gekommen. Anlaß hierfür war der sehr häufige Wunsch des Angeklagten gewesen, mit seiner Ehefrau geschlechtlich zu verkehren. Dafür hatte diese ihm nach seiner Einstellung jederzeit zur Verfügung zu stehen. Infolgedessen hatte sich seine Frau
bereits wiederholt zu einer Nachbarin geflüchtet und vorübergehend auch in einem Frauenhaus Unterkunft gefunden. Die Situation verschärfte sich schließlich aufgrund einer Blasenerkrankung der Ehefrau, die die Ausübung des ehelichen Verkehrs erschwerte und für sie schmerzhaft machte. Sie litt zudem zum Tatzeitpunkt an einer Scheidenentzündung , nachdem ihr kurz zuvor ein Blasenkatheter entfernt worden war. Am Tattag bedrängte der Angeklagte seine Frau, die sich schließlich mit seinem Vorschlag einverstanden erklärte, sich nackt auf das Bett zu legen und sich vom Angeklagten streicheln zu lassen. Dieser wollte sich dabei selbst befriedigen. Die Ausübung des Geschlechtsverkehrs wollte seine Frau – wie der Angeklagte wußte – auf keinen Fall. Während des weiteren Verlaufs faßte der sexuell erregte Angeklagte indessen den Entschluß, entgegen der getroffenen Absprache nun doch den Verkehr auszuüben. Er ignorierte die Aufforderung seiner Frau, dies zu unterlassen. Die Geschädigte begann sich zur Wehr zu setzen, indem sie versuchte den Angeklagten wegzudrücken und ihm mit der rechten Hand gegen die Brust schlug. Es gelang ihr jedoch nicht, den auf ihr liegenden, körperlich überlegenen Angeklagten abzuwehren. Um ihren Widerstand zu überwinden, hielt dieser sie an den Oberarmen fest und führte etwa 20 bis 30 Minuten den Geschlechtsverkehr durch. Dies war für das Opfer mit erheblichen Schmerzen verbunden. 2. Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat das Landgericht den Angeklagten zu Recht der Vergewaltigung schuldig gesprochen. Die Begründung, mit der das Landgericht von der Regelwirkung der Vergewaltigung für die Annahme eines besonders schweren Falles der sexuellen Nötigung ausgeht und den Strafrahmen des § 177 Abs. 2 StGB zugrundelegt , hält rechtlicher Nachprüfung indessen nicht stand. Die angestellten Er-
wägungen werden den Besonderheiten des Falles, die sich aus der Beziehung zwischen dem persönlichkeitsgestörten Angeklagten und der Geschädigten sowie aus dem Tatverlauf ergeben, nicht in jeder Hinsicht gerecht; insoweit erweist sich die gebotene Gesamtwürdigung als lückenhaft.
a) Trifft ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall nach § 177 Abs. 2 StGB mit gewichtigen Milderungsgründen zusammen, so kann die Regelwirkung entfallen. Der Bestrafung kann dann ausnahmsweise der Normalstrafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB zugrundegelegt werden. In extremen Ausnahmefällen kann sogar eine weitergehende Milderung des Normalstrafrahmens (§ 177 Abs. 1 StGB) und die Bemessung der Strafe aus dem Rahmen für den minder schweren Fall (§ 177 Abs. 5 StGB) in Betracht zu ziehen sein (vgl. BGH NStZ 1999, 615; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 177 Rdn. 35). Für die Entscheidung, ob die Regelwirkung des Regelbeispiels für den besonders schweren Fall ausnahmsweise wegen gewichtiger Milderungsgründe entfällt, ist - ähnlich wie bei der Prüfung der Voraussetzungen eines minder schweren Falles - auf das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit abzustellen und zu prüfen, ob sich angesichts deutlich überwiegender Milderungsgründe die Bewertung der Tat als besonders schwerer Fall als unangemessen erweisen würde (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 299).
b) Das Landgericht hat vorliegend zu Recht erwogen, ob eine Ausnahme von der Regelwirkung des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB in Betracht kommt. Die konkrete Würdigung hierzu begegnet jedoch durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat gemeint, die Regelwirkung für die Annahme eines besonders schweren Falles entfalle hier nicht. Das Schwergewicht der Milderungsgründe liege in der organischen Persönlichkeitsstörung des Angeklagten
und nicht in einer "Abschwächung von Tatbestandselementen", die den besonders schweren Fall prägten. Daher hat es den Strafrahmen des § 177 Abs. 2 StGB zugrundegelegt und diesen wegen nicht ausschließbarer erheblicher Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert. Bei der konkreten Strafbemessung hat es weiter mildernd in Rechnung gestellt, daß der Angeklagte nicht vorbestraft ist, bislang in geordneten Verhältnissen gelebt hat, daß sein Gesundheitszustand angegriffen und er wegen seines vorgerückten Alters besonders strafempfindlich ist; überdies hat es berücksichtigt, daß die Geschädigte ihm verziehen hat und wieder bereit ist, mit ihm zusammenzuleben. Straferschwerend hat es auf die Dauer der Tatausführung, die "rohe Gesinnung" des Angeklagten und die für ihn erkennbaren Schmerzen seiner Ehefrau sowie das mißbrauchte Vertrauen abgehoben, nachdem er ihr zuvor versprochen hatte, er werde sie "nur streicheln". Die Prüfung des Landgerichts, ob die von der Verwirklichung eines Regelbeispiels ausgehende Regelwirkung für die Annahme eines besonders schweren Falles der sexuellen Nötigung hier wegen Vorliegens gewichtiger Milderungsgründe entfällt, vernachläßigt wesentliche Besonderheiten des Sachverhalts. Schon das Abheben auf die von der Strafkammer vermißte "Abschwächung von Tatbestandselementen" läßt besorgen, daß die Kammer die im Zuge der konkreten Strafzumessung angesprochenen täterbezogenen Milderungsgründe in dem hier in Rede stehenden Zusammenhang nicht hinreichend bedacht hat. Das gilt namentlich im Blick auf Alter und Gesundheitszustand des bis dahin nicht vorbestraften Angeklagten. Das Landgericht hätte sich überdies damit auseinandersetzen müssen, welche Bedeutung für die Beurteilung der Schwere des Falles und den anzuwendenden Strafrahmen die langjährige Ehe zwischen Täter und Opfer sowie der Umstand hatte, daß das
Opfer dem Angeklagten verziehen hat und wieder bereit ist, mit ihm zusammenzuleben. Darüber hinaus wäre ausdrücklich zu erwägen gewesen, daß der sexuelle Kontakt zwischen den Eheleuten zunächst einverständlich stattfand. Auch das Maß der Gewaltanwendung durch den Angeklagten, mit dem er letztlich absprachewidrig den Geschlechtsverkehr erzwang, wäre zu gewichten gewesen. Bei allem durfte die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten nicht nur bei der Frage einer Strafrahmenmilderung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB berücksichtigt werden. Nach dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen ist das emotionale Verhalten des Angeklagten raschen Wechseln unterworfen. Zu seinem Krankheitsbild gehört, daß Bedürfnisse und Impulse meist ohne Berücksichtigung von Konsequenzen geäußert werden. In diesem Zusammenhang hätte auch bei der Prüfung einer Ausnahme von der Regelwirkung des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB bedacht werden müssen, daß es sich um eine im Zustand - insoweit einvernehmlich bewirkter - sexueller Erregung begangene Spontantat handelte, bei der sich ersichtlich die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten ausgewirkt hat. In der Gesamtschau drängte sich angesichts der Fülle gewichtiger Milderungsgründe auf, das Vorliegen eines besonders schweren Falles zu verneinen und den Normalstrafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB zugrundezulegen. Es liegt nicht fern, daß auch dieser aus den vom Landgericht angeführten Gründen nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu mildern wäre. Das hätte zur Folge, daß von einer dem Angeklagten günstigeren Untergrenze des Strafrahmens auszugehen wäre. Nicht völlig ausgeschlossen erscheint zudem, daß einer der Ausnahmefälle angenommen werden könnte, in denen trotz Verwirklichung eines Regelbeispiels im Sinne des § 177 Abs. 2 StGB bei entfallender Regelwirkung der Strafrahmen für den minder schweren Fall angewendet werden kann (§ 177 Abs. 5 StGB); der neue Tatrichter wird dies jedenfalls prüfen müssen.

c) Der dargestellte Mangel des Urteils führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die zugrundeliegenden Feststellungen können bestehen bleiben, da sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind. Ergänzende Feststellungen sind zulässig. Schäfer Granderath Nack Boetticher Schluckebier

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 163/05
vom
13. September 2005
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts
und des Beschwerdeführers am 13. September 2005 gemäß § 349
Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Paderborn vom 2. Februar 2005 im gesamten Strafausspruch aufgehoben. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts.
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte in beiden Fällen das Tatopfer, eine 24 Jahre jüngere Frau und Mutter von drei Kindern, mit Gewalt zur Duldung einer beischlafähnlichen, unter den hier gegebenen Tatumständen besonders erniedrigenden sexuelle Handlung (Eindrin-
benen Tatumständen besonders erniedrigenden sexuelle Handlung (Eindringen mit dem Finger in die Scheide) im Sinne des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB genötigt und sich jeweils der Vergewaltigung schuldig gemacht. Das Landgericht hat jedoch, was sich hier aufdrängt, die Regelwirkung des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB verneint und die verhängten Einzelfreiheitsstrafen von jeweils zwei Jahren dem Normalstrafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB entnommen. Zur Begründung hat es ausgeführt, "dass sich die angewandte Gewalt jeweils im unteren Bereich des bei solchen Taten Erforderlichen" bewegte und die Geschädigte durch ihr "ambivalentes Verhalten zumindest auch dazu beigetragen hat, dass es jedenfalls zu den Situationen kam, welche der Angeklagte zur Begehung der Vergewaltigung nutzte". So habe sie den Angeklagten Silvester 2003 freiwillig in seiner Wohnung besucht und ihn im Juli 2004 trotz der vorausgegangenen Tat in der Silvesternacht freiwillig eingeladen, in ihrer Wohnung zu übernachten.
Entfällt die Regelwirkung des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB, weil das Regelbeispiel - wie hier - mit gewichtigen Milderungsgründen zusammentrifft, so kommt in Betracht, die Tat darüber hinaus als minder schwerer Fall nach § 177 Abs. 5 StGB (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren) zu beurteilen. Allerdings müssen die Umstände, die der Tat trotz Erfüllung eines Regelbeispiels das Gepräge eines minder schweren Falles geben könnten, in einem ganz außergewöhnlichen Umfang schuldmildernd sein (vgl. BGH StV 2000, 557; BGHR StGB § 177 Abs. 5 [i.d.F. d. 6. StrRG] Strafrahmenwahl 1, 3). Dies hat das Landgericht zwar nicht verkannt. Es hat aber die Verneinung eines minder schweren Falles des § 177 Abs. 1 StGB lediglich formelhaft und mit dem Hinweis darauf begründet, dass hierfür "keine Anhaltspunkte" gesehen werden könnten. Unter den hier gegebenen Umständen hätte die Verneinung
eines minder schweren Falles jedoch näherer Begründung bedurft. Dabei hätte neben dem vom Landgericht zu Recht strafmildernd bewerteten geringen Maß der in den beiden Fällen aufgewendeten Gewalt und dem ambivalenten Verhalten der Geschädigten an den beiden Tattagen nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, dass der Angeklagte in beiden Fällen nach Vornahme der erzwungenen sexuellen Handlung, als die sich wehrende Geschädigte aufstand und das Zimmer verließ, von weiteren sexuellen Handlungen Abstand genommen hat. In die gebotene Gesamtbetrachtung (vgl. BGHR § 177 Abs. 5 [i.d.F. d. 6. StrRG] Strafrahmenwahl 3) hätte zudem einbezogen werden müssen, dass die seit Oktober 2003 zwischen dem Angeklagten und dem Tatopfer bestehende Beziehung erst mit der Erstattung der Strafanzeige durch das Tatopfer Anfang Oktober 2004 beendet wurde, dass es bei den vielfältigen Kontakten über das Internet, unter anderem zum „virtuellen“ Austausch von Zärtlichkeiten kam (UA 10) und dass diese - ebenso wie die telefonischen Kontakte - nach den Taten, ohne diese dabei zu thematisieren, fortgesetzt wurden, wobei weiterhin ein "freundschaftlicher vertrauter Tonfall herrschte" (vgl. UA 9/12).
Der dargestellte Mangel des Urteils führt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs. Die zugrunde liegenden Feststellungen können jedoch bestehen bleiben, weil sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind. Ergänzende Feststellungen sind zulässig.
Tepperwien RiBGH Prof.Dr.Kuckein und Athing Ri'inBGH Sost-Scheible sind wegen Urlaubs gehindert zu unterschreiben Tepperwien
Ernemann

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 100/11
vom
13. April 2011
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung u.a.
Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts
und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 13. April 2011 gemäß
§ 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 29. Oktober 2010 im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
3. Die weiter gehende Revision wird verworfen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner auf die Verletzung formellen und sachlichen Rechts gestützten Revision. Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
Die Strafzumessung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
3
Das Landgericht hat der Bemessung der Strafe den Strafrahmen des § 177 Abs. 2 StGB zugrunde gelegt. Die Ausführungen zur Strafzumessung lassen besorgen, dass es sich der Möglichkeiten eines Absehens von der Anwendung des erhöhten Strafrahmens nach § 177 Abs. 2 StGB nicht bewusst gewesen ist.
4
Nach ständiger Rechtsprechung kommt eine Ausnahme von der Regelwirkung in Betracht, wenn ein Regelbeispiel mit gewichtigen Milderungsgründen zusammentrifft. Der Bestrafung kann dann ausnahmsweise der Normalstrafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB zugrundegelegt werden. In extremen Ausnahmefällen kann sogar eine weiter gehende Milderung des Normalstrafrahmens (§ 177 Abs. 1 StGB) und die Bemessung der Strafe aus dem Rahmen für den minder schweren Fall (§ 177 Abs. 5 1. Halbs. StGB) in Betracht zu ziehen sein (st. Rspr.; vgl. BGH, Beschlüsse vom 11. April 2000 – 1 StR 78/00, BGHR StGB § 177 Abs. 2 Strafrahmenwahl 13 m.w.N.; vom 10. Februar 2004 – 4 StR 2/04; vom 19. Juli 2007 – 4 StR 262/07, StraFo 2007, 472; vom 10. September 2009 – 4 StR 366/09; Fischer, StGB, 58. Aufl., § 177 Rn. 74 f.).
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Das Landgericht führt gewichtige strafmildernde Umstände an, die für einen Wegfall der Regelwirkung und eine Heranziehung des niedrigeren Strafrahmens nach § 177 Abs. 1 StGB sprechen können. Es hat selbst ausgeführt, dass sich die Tat innerhalb der Bandbreite möglicher Begehungsweisen des Tatbestandes des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB auch unter Berücksichtigung der tateinheitlich begangenen Körperverletzung „noch als deutlich unterdurchschnittlich gravierend“ darstelle, und eine angesichts der Tatumstände vergleichsweise hohe Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verhängt. Es erscheint deshalb nicht ausgeschlossen, dass die Strafkammer den für den Angeklagten günstigeren Strafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB herangezogen und eine niedrigere, möglicherweise noch zur Bewährung auszusetzende Freiheitsstrafe verhängt hätte, wenn sie die Möglichkeit der Verneinung der Regelwirkung bedacht hätte.
Ernemann Solin-Stojanović Roggenbuck
Franke Bender

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 78/00
vom
11. April 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 11. April 2000 beschlossen:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hechingen vom 15. November 1999 im Strafausspruch aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung zur Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten rügt die Verletzung sachlichen Rechts. Das Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Strafausspruchs, ist im übrigen aber unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. 1. Der zur Tatzeit 64jährige asthmakranke Angeklagte, der unter einer beginnenden organischen Persönlichkeitsstörung leidet, ist mit dem Tatopfer seit 1987 in zweiter Ehe verheiratet. Zwischen den Eheleuten war es immer wieder zu Streitigkeiten und massiven Auseinandersetzungen gekommen. Anlaß hierfür war der sehr häufige Wunsch des Angeklagten gewesen, mit seiner Ehefrau geschlechtlich zu verkehren. Dafür hatte diese ihm nach seiner Einstellung jederzeit zur Verfügung zu stehen. Infolgedessen hatte sich seine Frau
bereits wiederholt zu einer Nachbarin geflüchtet und vorübergehend auch in einem Frauenhaus Unterkunft gefunden. Die Situation verschärfte sich schließlich aufgrund einer Blasenerkrankung der Ehefrau, die die Ausübung des ehelichen Verkehrs erschwerte und für sie schmerzhaft machte. Sie litt zudem zum Tatzeitpunkt an einer Scheidenentzündung , nachdem ihr kurz zuvor ein Blasenkatheter entfernt worden war. Am Tattag bedrängte der Angeklagte seine Frau, die sich schließlich mit seinem Vorschlag einverstanden erklärte, sich nackt auf das Bett zu legen und sich vom Angeklagten streicheln zu lassen. Dieser wollte sich dabei selbst befriedigen. Die Ausübung des Geschlechtsverkehrs wollte seine Frau – wie der Angeklagte wußte – auf keinen Fall. Während des weiteren Verlaufs faßte der sexuell erregte Angeklagte indessen den Entschluß, entgegen der getroffenen Absprache nun doch den Verkehr auszuüben. Er ignorierte die Aufforderung seiner Frau, dies zu unterlassen. Die Geschädigte begann sich zur Wehr zu setzen, indem sie versuchte den Angeklagten wegzudrücken und ihm mit der rechten Hand gegen die Brust schlug. Es gelang ihr jedoch nicht, den auf ihr liegenden, körperlich überlegenen Angeklagten abzuwehren. Um ihren Widerstand zu überwinden, hielt dieser sie an den Oberarmen fest und führte etwa 20 bis 30 Minuten den Geschlechtsverkehr durch. Dies war für das Opfer mit erheblichen Schmerzen verbunden. 2. Auf der Grundlage der rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat das Landgericht den Angeklagten zu Recht der Vergewaltigung schuldig gesprochen. Die Begründung, mit der das Landgericht von der Regelwirkung der Vergewaltigung für die Annahme eines besonders schweren Falles der sexuellen Nötigung ausgeht und den Strafrahmen des § 177 Abs. 2 StGB zugrundelegt , hält rechtlicher Nachprüfung indessen nicht stand. Die angestellten Er-
wägungen werden den Besonderheiten des Falles, die sich aus der Beziehung zwischen dem persönlichkeitsgestörten Angeklagten und der Geschädigten sowie aus dem Tatverlauf ergeben, nicht in jeder Hinsicht gerecht; insoweit erweist sich die gebotene Gesamtwürdigung als lückenhaft.
a) Trifft ein Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall nach § 177 Abs. 2 StGB mit gewichtigen Milderungsgründen zusammen, so kann die Regelwirkung entfallen. Der Bestrafung kann dann ausnahmsweise der Normalstrafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB zugrundegelegt werden. In extremen Ausnahmefällen kann sogar eine weitergehende Milderung des Normalstrafrahmens (§ 177 Abs. 1 StGB) und die Bemessung der Strafe aus dem Rahmen für den minder schweren Fall (§ 177 Abs. 5 StGB) in Betracht zu ziehen sein (vgl. BGH NStZ 1999, 615; Tröndle/Fischer, StGB 49. Aufl. § 177 Rdn. 35). Für die Entscheidung, ob die Regelwirkung des Regelbeispiels für den besonders schweren Fall ausnahmsweise wegen gewichtiger Milderungsgründe entfällt, ist - ähnlich wie bei der Prüfung der Voraussetzungen eines minder schweren Falles - auf das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit abzustellen und zu prüfen, ob sich angesichts deutlich überwiegender Milderungsgründe die Bewertung der Tat als besonders schwerer Fall als unangemessen erweisen würde (vgl. BGH NStZ-RR 1998, 299).
b) Das Landgericht hat vorliegend zu Recht erwogen, ob eine Ausnahme von der Regelwirkung des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB in Betracht kommt. Die konkrete Würdigung hierzu begegnet jedoch durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat gemeint, die Regelwirkung für die Annahme eines besonders schweren Falles entfalle hier nicht. Das Schwergewicht der Milderungsgründe liege in der organischen Persönlichkeitsstörung des Angeklagten
und nicht in einer "Abschwächung von Tatbestandselementen", die den besonders schweren Fall prägten. Daher hat es den Strafrahmen des § 177 Abs. 2 StGB zugrundegelegt und diesen wegen nicht ausschließbarer erheblicher Einschränkung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB gemildert. Bei der konkreten Strafbemessung hat es weiter mildernd in Rechnung gestellt, daß der Angeklagte nicht vorbestraft ist, bislang in geordneten Verhältnissen gelebt hat, daß sein Gesundheitszustand angegriffen und er wegen seines vorgerückten Alters besonders strafempfindlich ist; überdies hat es berücksichtigt, daß die Geschädigte ihm verziehen hat und wieder bereit ist, mit ihm zusammenzuleben. Straferschwerend hat es auf die Dauer der Tatausführung, die "rohe Gesinnung" des Angeklagten und die für ihn erkennbaren Schmerzen seiner Ehefrau sowie das mißbrauchte Vertrauen abgehoben, nachdem er ihr zuvor versprochen hatte, er werde sie "nur streicheln". Die Prüfung des Landgerichts, ob die von der Verwirklichung eines Regelbeispiels ausgehende Regelwirkung für die Annahme eines besonders schweren Falles der sexuellen Nötigung hier wegen Vorliegens gewichtiger Milderungsgründe entfällt, vernachläßigt wesentliche Besonderheiten des Sachverhalts. Schon das Abheben auf die von der Strafkammer vermißte "Abschwächung von Tatbestandselementen" läßt besorgen, daß die Kammer die im Zuge der konkreten Strafzumessung angesprochenen täterbezogenen Milderungsgründe in dem hier in Rede stehenden Zusammenhang nicht hinreichend bedacht hat. Das gilt namentlich im Blick auf Alter und Gesundheitszustand des bis dahin nicht vorbestraften Angeklagten. Das Landgericht hätte sich überdies damit auseinandersetzen müssen, welche Bedeutung für die Beurteilung der Schwere des Falles und den anzuwendenden Strafrahmen die langjährige Ehe zwischen Täter und Opfer sowie der Umstand hatte, daß das
Opfer dem Angeklagten verziehen hat und wieder bereit ist, mit ihm zusammenzuleben. Darüber hinaus wäre ausdrücklich zu erwägen gewesen, daß der sexuelle Kontakt zwischen den Eheleuten zunächst einverständlich stattfand. Auch das Maß der Gewaltanwendung durch den Angeklagten, mit dem er letztlich absprachewidrig den Geschlechtsverkehr erzwang, wäre zu gewichten gewesen. Bei allem durfte die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten nicht nur bei der Frage einer Strafrahmenmilderung nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB berücksichtigt werden. Nach dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen ist das emotionale Verhalten des Angeklagten raschen Wechseln unterworfen. Zu seinem Krankheitsbild gehört, daß Bedürfnisse und Impulse meist ohne Berücksichtigung von Konsequenzen geäußert werden. In diesem Zusammenhang hätte auch bei der Prüfung einer Ausnahme von der Regelwirkung des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB bedacht werden müssen, daß es sich um eine im Zustand - insoweit einvernehmlich bewirkter - sexueller Erregung begangene Spontantat handelte, bei der sich ersichtlich die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten ausgewirkt hat. In der Gesamtschau drängte sich angesichts der Fülle gewichtiger Milderungsgründe auf, das Vorliegen eines besonders schweren Falles zu verneinen und den Normalstrafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB zugrundezulegen. Es liegt nicht fern, daß auch dieser aus den vom Landgericht angeführten Gründen nach den §§ 21, 49 Abs. 1 StGB zu mildern wäre. Das hätte zur Folge, daß von einer dem Angeklagten günstigeren Untergrenze des Strafrahmens auszugehen wäre. Nicht völlig ausgeschlossen erscheint zudem, daß einer der Ausnahmefälle angenommen werden könnte, in denen trotz Verwirklichung eines Regelbeispiels im Sinne des § 177 Abs. 2 StGB bei entfallender Regelwirkung der Strafrahmen für den minder schweren Fall angewendet werden kann (§ 177 Abs. 5 StGB); der neue Tatrichter wird dies jedenfalls prüfen müssen.

c) Der dargestellte Mangel des Urteils führt zur Aufhebung des Strafausspruchs. Die zugrundeliegenden Feststellungen können bestehen bleiben, da sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind. Ergänzende Feststellungen sind zulässig. Schäfer Granderath Nack Boetticher Schluckebier

(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn

1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern,
2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert,
3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt,
4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder
5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.

(3) Der Versuch ist strafbar.

(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.

(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet,
2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder
3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.

(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn

1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder
2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.

(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder
3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.

(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter

1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder
2.
das Opfer
a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.

(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.