Bundesgerichtshof Beschluss, 13. Sept. 2005 - 4 StR 163/05
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Mit seiner Revision rügt der Angeklagte die Verletzung formellen und sachlichen Rechts.
Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge zum Strafausspruch Erfolg; im Übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte in beiden Fällen das Tatopfer, eine 24 Jahre jüngere Frau und Mutter von drei Kindern, mit Gewalt zur Duldung einer beischlafähnlichen, unter den hier gegebenen Tatumständen besonders erniedrigenden sexuelle Handlung (Eindrin-
benen Tatumständen besonders erniedrigenden sexuelle Handlung (Eindringen mit dem Finger in die Scheide) im Sinne des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB genötigt und sich jeweils der Vergewaltigung schuldig gemacht. Das Landgericht hat jedoch, was sich hier aufdrängt, die Regelwirkung des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB verneint und die verhängten Einzelfreiheitsstrafen von jeweils zwei Jahren dem Normalstrafrahmen des § 177 Abs. 1 StGB entnommen. Zur Begründung hat es ausgeführt, "dass sich die angewandte Gewalt jeweils im unteren Bereich des bei solchen Taten Erforderlichen" bewegte und die Geschädigte durch ihr "ambivalentes Verhalten zumindest auch dazu beigetragen hat, dass es jedenfalls zu den Situationen kam, welche der Angeklagte zur Begehung der Vergewaltigung nutzte". So habe sie den Angeklagten Silvester 2003 freiwillig in seiner Wohnung besucht und ihn im Juli 2004 trotz der vorausgegangenen Tat in der Silvesternacht freiwillig eingeladen, in ihrer Wohnung zu übernachten.
Entfällt die Regelwirkung des § 177 Abs. 2 Nr. 1 StGB, weil das Regelbeispiel - wie hier - mit gewichtigen Milderungsgründen zusammentrifft, so kommt in Betracht, die Tat darüber hinaus als minder schwerer Fall nach § 177 Abs. 5 StGB (Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren) zu beurteilen. Allerdings müssen die Umstände, die der Tat trotz Erfüllung eines Regelbeispiels das Gepräge eines minder schweren Falles geben könnten, in einem ganz außergewöhnlichen Umfang schuldmildernd sein (vgl. BGH StV 2000, 557; BGHR StGB § 177 Abs. 5 [i.d.F. d. 6. StrRG] Strafrahmenwahl 1, 3). Dies hat das Landgericht zwar nicht verkannt. Es hat aber die Verneinung eines minder schweren Falles des § 177 Abs. 1 StGB lediglich formelhaft und mit dem Hinweis darauf begründet, dass hierfür "keine Anhaltspunkte" gesehen werden könnten. Unter den hier gegebenen Umständen hätte die Verneinung
eines minder schweren Falles jedoch näherer Begründung bedurft. Dabei hätte neben dem vom Landgericht zu Recht strafmildernd bewerteten geringen Maß der in den beiden Fällen aufgewendeten Gewalt und dem ambivalenten Verhalten der Geschädigten an den beiden Tattagen nicht unberücksichtigt bleiben dürfen, dass der Angeklagte in beiden Fällen nach Vornahme der erzwungenen sexuellen Handlung, als die sich wehrende Geschädigte aufstand und das Zimmer verließ, von weiteren sexuellen Handlungen Abstand genommen hat. In die gebotene Gesamtbetrachtung (vgl. BGHR § 177 Abs. 5 [i.d.F. d. 6. StrRG] Strafrahmenwahl 3) hätte zudem einbezogen werden müssen, dass die seit Oktober 2003 zwischen dem Angeklagten und dem Tatopfer bestehende Beziehung erst mit der Erstattung der Strafanzeige durch das Tatopfer Anfang Oktober 2004 beendet wurde, dass es bei den vielfältigen Kontakten über das Internet, unter anderem zum „virtuellen“ Austausch von Zärtlichkeiten kam (UA 10) und dass diese - ebenso wie die telefonischen Kontakte - nach den Taten, ohne diese dabei zu thematisieren, fortgesetzt wurden, wobei weiterhin ein "freundschaftlicher vertrauter Tonfall herrschte" (vgl. UA 9/12).
Der dargestellte Mangel des Urteils führt zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs. Die zugrunde liegenden Feststellungen können jedoch bestehen bleiben, weil sie von dem Rechtsfehler nicht betroffen sind. Ergänzende Feststellungen sind zulässig.
Tepperwien RiBGH Prof.Dr.Kuckein und Athing Ri'inBGH Sost-Scheible sind wegen Urlaubs gehindert zu unterschreiben Tepperwien
Ernemann
Annotations
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Wer gegen den erkennbaren Willen einer anderen Person sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer sexuelle Handlungen an einer anderen Person vornimmt oder von ihr vornehmen lässt oder diese Person zur Vornahme oder Duldung sexueller Handlungen an oder von einem Dritten bestimmt, wenn
- 1.
der Täter ausnutzt, dass die Person nicht in der Lage ist, einen entgegenstehenden Willen zu bilden oder zu äußern, - 2.
der Täter ausnutzt, dass die Person auf Grund ihres körperlichen oder psychischen Zustands in der Bildung oder Äußerung des Willens erheblich eingeschränkt ist, es sei denn, er hat sich der Zustimmung dieser Person versichert, - 3.
der Täter ein Überraschungsmoment ausnutzt, - 4.
der Täter eine Lage ausnutzt, in der dem Opfer bei Widerstand ein empfindliches Übel droht, oder - 5.
der Täter die Person zur Vornahme oder Duldung der sexuellen Handlung durch Drohung mit einem empfindlichen Übel genötigt hat.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn die Unfähigkeit, einen Willen zu bilden oder zu äußern, auf einer Krankheit oder Behinderung des Opfers beruht.
(5) Auf Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
gegenüber dem Opfer Gewalt anwendet, - 2.
dem Opfer mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben droht oder - 3.
eine Lage ausnutzt, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist.
(6) In besonders schweren Fällen ist auf Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren zu erkennen. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn
- 1.
der Täter mit dem Opfer den Beischlaf vollzieht oder vollziehen lässt oder ähnliche sexuelle Handlungen an dem Opfer vornimmt oder von ihm vornehmen lässt, die dieses besonders erniedrigen, insbesondere wenn sie mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind (Vergewaltigung), oder - 2.
die Tat von mehreren gemeinschaftlich begangen wird.
(7) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt, - 2.
sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden, oder - 3.
das Opfer in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt.
(8) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter
- 1.
bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet oder - 2.
das Opfer - a)
bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder - b)
durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(9) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist auf Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu drei Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 4 und 5 ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Absätze 7 und 8 ist auf Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren zu erkennen.