Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Mai 2017 - 2 StR 159/15

published on 11/05/2017 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 11. Mai 2017 - 2 StR 159/15
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 159/15
vom
11. Mai 2017
in der Strafsache
gegen
wegen schwerer Körperverletzung u.a.
ECLI:DE:BGH:2017:110517B2STR159.15.0

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 11. Mai 2017 gemäß § 406a Abs. 2 Satz 2 StPO beschlossen:
1. Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 20. Oktober 2014 wird verworfen, auch soweit sie sich gegen die Adhäsionsentscheidung richtet. 2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels und die dem Neben- und Adhäsionskläger im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten durch Urteil vom 20. Oktober 2014 wegen vorsätzlicher Körperverletzung und wegen schwerer Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus drei Strafbefehlen und Aufrechterhaltung einer früheren Maßregel gemäß §§ 69, 69a StGB zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt, von denen sechs Monate als bereits vollstreckt gelten. Ferner hat es den Angeklagten dazu verurteilt, an den Adhäsionskläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 50.000 Euro nebst Zinsen, abzüglich bereits gezahlter Beträge, zu zahlen. Außerdem hat es festgestellt, dass der Angeklagte dazu verpflichtet ist, dem Adhäsionskläger allen künftigen materiellen und immateriellen Schaden aus der Tat zu ersetzen, soweit nicht Ansprüche auf Dritte übergegangen sind. Der Senat hat durch Urteil vom 3. Februar 2016 (NStZ-RR 2016, 220 ff.) die Revision des Neben- und Adhäsionsklägers verworfen. Er hat auf die Revision des Angeklagten den Ausspruch über die Aufrechterhaltung der Maßregel aufgehoben und die Maßregel entfallen lassen sowie die weiter gehende Revision des Angeklagten gegen den Schuld- und Strafausspruch verworfen. Zugleich hat der Senat die Entscheidung über die Revision des Angeklagten gegen die im vorgenannten Urteil des Landgerichts getroffene Adhäsionsentscheidung sowie über die Kosten des Rechtsmittels im Hinblick auf das mit Beschluss vom 8. Oktober 2014 – 2 StR 137/14 u.a. (NStZ-RR 2015, 382) bei den anderen Strafsenaten und beim Großen Senat für Zivilsachen eingeleitete Anfrageverfahren zur Frage der Bemessung eines Schmerzensgeldes zurückgestellt und sie einer abschließenden Entscheidung vorbehalten. Nach der Entscheidung der Vereinigten Großen Senate des Bundesgerichtshofs vom 16. September 2016 – VGS 1/16 (JR 2017, 179 ff.), denen der Senat mit Beschluss vom 14. April 2016 – 2 StR 137/14 und 2 StR 337/14 – die Frage vorgelegt hatte, ob bei der Bemessung der billigen Entschädigung in Geld (§ 253 Abs. 2 BGB) die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten berücksichtigt werden dürfen, und wenn ja, nach welchen Maßstäben, war nunmehr die gegen die Adhäsionsentscheidung gerichtete Revision des Angeklagten zu verwerfen.

I.

2
Die Vereinigten Großen Senate haben entschieden, dass bei der Bemessung einer billigen Entschädigung in Geld nach § 253 Abs. 2 BGB847 BGB aF) alle Umstände des Falles berücksichtigt und dabei die wirtschaftlichen Verhältnisse des Schädigers und des Geschädigten nicht von vornherein aus- geschlossen werden können (BGH, Beschluss vom 16. September 2016 – VGS 1/16).
3
Das Schmerzensgeld hat nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs rechtlich eine doppelte Funktion. Es soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich bieten für diejenigen Schäden, für diejenige Lebenshemmung , die nicht vermögensrechtlicher Art sind (Ausgleichsfunktion). Es soll aber zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten für das, was er ihm angetan hat, Genugtuung schuldet (Genugtuungsfunktion , st. Rspr.; BGH, Beschluss vom 6. Juli 1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 154 ff.; BGH, Urteile vom 13. Oktober 1992 – VI ZR 201/91, BGHZ 120, 1, 4 f.; vom 29. November 1994 – VI ZR 93/94, BGHZ 128, 117, 120 f.).
4
Dabei steht der Entschädigungs- oder Ausgleichsgedanke im Vordergrund. Im Hinblick auf diese Zweckbestimmung des Schmerzensgeldes bildet die Rücksicht auf Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen die wesentlichste Grundlage bei der Bemessung der billigen Entschädigung. Für bestimmte Gruppen von immateriellen Schäden hat aber auch die Genugtuungsfunktion, die aus der Regelung der Entschädigung für immaterielle Schäden nicht wegzudenken ist, eine besondere Bedeutung.
5
Sie bringt insbesondere bei vorsätzlichen Taten eine durch den Schadensfall hervorgerufene persönliche Beziehung zwischen Schädiger und Geschädigtem zum Ausdruck, die nach der Natur der Sache bei der Bestimmung der Leistung die Berücksichtigung aller Umstände des Falles gebietet (BGH, Beschluss vom 6. Juli 1955 – GSZ 1/55, BGHZ 18, 149, 157; Urteil vom 16. Januar 1996 – VI ZR 109/95, NJW 1996, 1591).
6
Bei der Bemessung der billigen Entschädigung in Geld stehen deshalb die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung im Vordergrund. Daneben können aber auch alle anderen Umstände berücksichtigt werden, die dem einzelnen Schadensfall sein besonderes Gepräge geben, wie etwa der Grad des Verschuldens des Schädigers, im Einzelfall aber auch die wirtschaftlichen Verhältnisse des Geschädigten oder diejenigen des Schädigers (Vereinigte Große Senate, Beschluss vom 16. September 2016 – VGS 1/16 – juris, Rn. 55). Ein mit zu berücksichtigender Umstand kann dabei die Verletzung einer „armen“ Partei durch einen vermögenden Schädiger etwa bei einem außergewöhnlichen „wirtschaftlichen Gefälle“ sein (Vereinigte Große Senate, Beschluss vom 16. September 2016 – VGS 1/16 – juris, Rn. 57). Indem der Tatrichter im ersten Schritt alle Umstände des Falles in den Blick nimmt, dann die prägenden Umstände auswählt und gewichtet, dabei gegebenenfalls auch die (wirtschaftlichen ) Verhältnisse der Parteien zueinander in Beziehung setzt, ergibt sich im Einzelfall, welche Entschädigung billig ist (Vereinigte Große Senate, Beschluss vom 16. September 2016 – VGS 1/16 – juris, Rn. 56, 70).
7
Zur Überprüfung seiner Entscheidung durch das Revisionsgericht ist der Tatrichter regelmäßig gehalten, die für die Schmerzensgeldbemessung prägenden einzelnen Umstände, im Regelfall vor allem die Höhe und das Maß der Lebensbeeinträchtigung , in seiner Entscheidung zu benennen, im Rahmen einer sich daran anschließenden Gesamtwürdigung gegeneinander abzuwägen und daraus ein dem einzelnen Fall gerecht werdendes Schmerzensgeld festzusetzen. Feststellungen zu den wirtschaftlichen Verhältnissen von Schädiger und Geschädigtem und Ausführungen zu deren Einfluss auf die Bemessung der billigen Entschädigung sind dabei nur geboten, wenn die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Einzelfall ein besonderes Gepräge geben und deshalb bei der Entscheidung ausnahmsweise berücksichtigt werden mussten (Vereinigte Große Senate, Beschluss vom 16. September 2016 – VGS 1/16 – juris, Rn. 72).
8
Für die Überprüfung eines Ausspruchs über die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes im Adhäsionsverfahren gilt danach Folgendes:
9
Die Nichtberücksichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse von Angeklagten und Tatopfer stellt entgegen der bisherigen Rechtsprechung der Strafsenate des Bundesgerichtshofs regelmäßig keinen Rechtsfehler dar. Ausnahmsweise ist eine Berücksichtigung vonnöten, wenn die wirtschaftlichen Ver- hältnisse dem Fall ein „besonderesGepräge“ geben. Dies ist etwa bei einem wirtschaftlichen Gefälle anzunehmen. Ausführungen dazu, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse dem Fall kein besonderes Gepräge geben, sind regelmäßig nicht erforderlich.
10
Hat der Tatrichter die wirtschaftlichen Verhältnisse von Angeklagtem oder Tatopfer, ohne dass diese dem Fall ihr besonderes Gepräge geben, gleichwohl bei der Bemessung des Schmerzensgeldes berücksichtigt, stellt dies regelmäßig einen Rechtsfehler dar, bei dem anhand der tatrichterlichen Erwägungen im Einzelfall zu prüfen ist, ob die angefochtene Adhäsionsentscheidung darauf zum Nachteil des Angeklagten beruhen kann. Die Berücksichtigung schlechter finanzieller Verhältnisse des Angeklagten wird sich regelmäßig nicht zu seinem Nachteil ausgewirkt haben, hingegen liegt es nahe, dass die Einbeziehung einer wirtschaftlich schlechten Situation des Tatopfers zu einer Erhöhung des Schmerzensgeldes geführt und sich nachteilig ausgewirkt hat.

II.

11
An diesen Maßstäben gemessen begegnet die Adhäsionsentscheidung des angefochtenen Urteils keinen Bedenken. Das Landgericht hat sich für die Bemessung des Schmerzensgeldes an dem Ausmaß des begangenen Tatunrechts und den Folgen für das Opfer orientiert, die wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten, der „nur über geringe finanzielle Mittel verfügt“, und die wirtschaftlichen Verhältnisse des Nebenklägers hat es nicht besonders gewichtet.
12
Dies ist nicht zu beanstanden. Appl Krehl Eschelbach Zeng Grube
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Annotations

(1) Gegen den Beschluss, mit dem nach § 406 Abs. 5 Satz 2 von einer Entscheidung über den Antrag abgesehen wird, ist sofortige Beschwerde zulässig, wenn der Antrag vor Beginn der Hauptverhandlung gestellt worden und solange keine den Rechtszug abschließende Entscheidung ergangen ist. Im Übrigen steht dem Antragsteller ein Rechtsmittel nicht zu.

(2) Soweit das Gericht dem Antrag stattgibt, kann der Angeklagte die Entscheidung auch ohne den strafrechtlichen Teil des Urteils mit dem sonst zulässigen Rechtsmittel anfechten. In diesem Falle kann über das Rechtsmittel durch Beschluss in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden. Ist das zulässige Rechtsmittel die Berufung, findet auf Antrag des Angeklagten oder des Antragstellers eine mündliche Anhörung der Beteiligten statt.

(3) Die dem Antrag stattgebende Entscheidung ist aufzuheben, wenn der Angeklagte unter Aufhebung der Verurteilung wegen der Straftat, auf welche die Entscheidung über den Antrag gestützt worden ist, weder schuldig gesprochen noch gegen ihn eine Maßregel der Besserung und Sicherung angeordnet wird. Dies gilt auch, wenn das Urteil insoweit nicht angefochten ist.

(1) Wird jemand wegen einer rechtswidrigen Tat, die er bei oder im Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeuges oder unter Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers begangen hat, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil seine Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so entzieht ihm das Gericht die Fahrerlaubnis, wenn sich aus der Tat ergibt, daß er zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist. Einer weiteren Prüfung nach § 62 bedarf es nicht.

(2) Ist die rechtswidrige Tat in den Fällen des Absatzes 1 ein Vergehen

1.
der Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c),
1a.
des verbotenen Kraftfahrzeugrennens (§ 315d),
2.
der Trunkenheit im Verkehr (§ 316),
3.
des unerlaubten Entfernens vom Unfallort (§ 142), obwohl der Täter weiß oder wissen kann, daß bei dem Unfall ein Mensch getötet oder nicht unerheblich verletzt worden oder an fremden Sachen bedeutender Schaden entstanden ist, oder
4.
des Vollrausches (§ 323a), der sich auf eine der Taten nach den Nummern 1 bis 3 bezieht,
so ist der Täter in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen.

(3) Die Fahrerlaubnis erlischt mit der Rechtskraft des Urteils. Ein von einer deutschen Behörde ausgestellter Führerschein wird im Urteil eingezogen.

(1) Entzieht das Gericht die Fahrerlaubnis, so bestimmt es zugleich, daß für die Dauer von sechs Monaten bis zu fünf Jahren keine neue Fahrerlaubnis erteilt werden darf (Sperre). Die Sperre kann für immer angeordnet werden, wenn zu erwarten ist, daß die gesetzliche Höchstfrist zur Abwehr der von dem Täter drohenden Gefahr nicht ausreicht. Hat der Täter keine Fahrerlaubnis, so wird nur die Sperre angeordnet.

(2) Das Gericht kann von der Sperre bestimmte Arten von Kraftfahrzeugen ausnehmen, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel dadurch nicht gefährdet wird.

(3) Das Mindestmaß der Sperre beträgt ein Jahr, wenn gegen den Täter in den letzten drei Jahren vor der Tat bereits einmal eine Sperre angeordnet worden ist.

(4) War dem Täter die Fahrerlaubnis wegen der Tat vorläufig entzogen (§ 111a der Strafprozeßordnung), so verkürzt sich das Mindestmaß der Sperre um die Zeit, in der die vorläufige Entziehung wirksam war. Es darf jedoch drei Monate nicht unterschreiten.

(5) Die Sperre beginnt mit der Rechtskraft des Urteils. In die Frist wird die Zeit einer wegen der Tat angeordneten vorläufigen Entziehung eingerechnet, soweit sie nach Verkündung des Urteils verstrichen ist, in dem die der Maßregel zugrunde liegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(6) Im Sinne der Absätze 4 und 5 steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis die Verwahrung, Sicherstellung oder Beschlagnahme des Führerscheins (§ 94 der Strafprozeßordnung) gleich.

(7) Ergibt sich Grund zu der Annahme, daß der Täter zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht mehr ungeeignet ist, so kann das Gericht die Sperre vorzeitig aufheben. Die Aufhebung ist frühestens zulässig, wenn die Sperre drei Monate, in den Fällen des Absatzes 3 ein Jahr gedauert hat; Absatz 5 Satz 2 und Absatz 6 gelten entsprechend.

(1) Wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, kann Entschädigung in Geld nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen gefordert werden.

(2) Ist wegen einer Verletzung des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit oder der sexuellen Selbstbestimmung Schadensersatz zu leisten, kann auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden.