Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 532/18
vom
13. März 2019
in der Strafsache
gegen
wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung u.a.
ECLI:DE:BGH:2019:130319B1STR532.18.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 13. März 2019 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts München II vom 12. März 2018, soweit es ihn betrifft , mit den Feststellungen aufgehoben.
2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten G. wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und mit Sachbeschädigung, wegen besonders schweren räuberischen Diebstahls in Tateinheit mit drei tateinheitlichen vorsätzlichen Körperverletzungen , wegen besonders schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Körperverletzung, wegen zwei tatmehrheitlichen Fällen des Raubes jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperverletzung und mit räuberischem Diebstahl, wegen vier tatmehrheitlichen Fällen des versuchten Wohnungseinbruchdiebstahls, in drei Fällen jeweils in Tateinheit mit Sachbeschädigung , wegen Diebstahls in Tateinheit mit Sachbeschädigung sowie wegen zwei Fällen des versuchten Diebstahls jeweils in Tateinheit mit Sachbe- schädigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt, seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet sowie eine Einziehungsentscheidung getroffen. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.
2
Das Urteil hat insgesamt keinen Bestand (§ 349 Abs. 4 StPO), weil die Revision zu Recht geltend macht, dass der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO gegeben ist.
3
1. Der Angeklagte beanstandet, er sei während der ersten beiden Hauptverhandlungstage am 15. und 16. Januar 2018 durch den Pflichtverteidiger Rechtsanwalt W. nicht ordnungsgemäß verteidigt gewesen, da dieser „nach gesicherter Erkenntnis“ seit dem 29. Dezember 2017 bestandskräftig nicht mehr zur Rechtsanwaltschaft zugelassen gewesen sei. Aus datenschutzrechtlichen Gründen könne jedoch nicht mitgeteilt werden, woher diese Erkenntnis stamme. Am fünften Verhandlungstag sei dem Angeklagten Rechtsanwalt B. als weiterer Pflichtverteidiger bestellt und am sechsten Verhandlungstag Rechtsanwalt W. entpflichtet worden, der vom dritten bis fünften Verhandlungstag wegen Krankheit nicht erschienen sei. An den ersten beiden Hauptverhandlungstagen sei während eines wesentlichen Teils der Hauptverhandlung , der Verlesung der Anklage, den Mitteilungen gemäß § 243 Abs. 4 Satz 1 StPO, den Angaben des Angeklagten zu seinen persönlichen Verhältnissen und seiner Einlassung zur Sache kein zugelassener Verteidiger zugegen gewesen. Dieser Verhandlungsteil sei auch nicht wiederholt worden.
4
Rechtsanwalt B. erhielt auf seine Anfrage bei der Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk München, ob die Zulassung von Rechtsanwalt W. im Zeitraum vom 15. Januar 2018 bis 29. Januar 2018 bestandskräftig nicht mehr gegeben gewesen sei, lediglich die Auskunft, Rechtsanwalt W. sei nicht mehr zur Rechtsanwaltschaft zugelassen. Weitere Auskünfte dürften aufgrund der Verschwiegenheitspflicht gemäß § 76 Abs. 1 BRAO nicht erteilt werden. Ein weiteres Auskunftsbegehren des Rechtsanwalts an den Präsidenten des Landgerichts München II ergab, dass dort keine Erkenntnisse vorlägen. Eine Anfrage an Rechtsanwalt W. selbst blieb unbeantwortet.
5
2. Die Rüge ist entgegen der Auffassung des Generalbundesanwalts zulässig erhoben worden (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO).
6
Der Generalbundesanwalt meint, die vom Revisionsführer entfalteten Bemühungen, die „gesicherte Erkenntnis“ anderweitig zu verifizieren, hätten nicht ausgereicht. Es hätte einer Wiederholung der Anfrage bei der Rechtsanwaltskammer bedurft. Außerdem habe die Revision nicht vorgetragen, ob der Wahlverteidiger des Angeklagten an den ersten beiden Hauptverhandlungstagen anwesend gewesen sei und auch nicht, dass Rechtsanwalt B. dem Angeklagten am zweiten Hauptverhandlungstag für die Dauer der Abwesenheit von Rechtsanwalt W. zum Pflichtverteidiger bestellt worden sei und während dessen Abwesenheit von 10.37 bis 11.58 Uhr die Verteidigung übernommen habe.
7
Der Angabe des kurzen Zeitraums von 10.37 bis 11.58 Uhr, währenddessen der neu bestellte Pflichtverteidiger anwesend war, bedurfte es indes nicht, da sich bereits aus dem übrigen Vortrag die Abwesenheit eines Verteidigers im verbleibenden Zeitraum bei wesentlichen Verhandlungsteilen ergab, der die Revision begründet. Insoweit musste die Revision auch nicht ausdrücklich darauf hinweisen, dass ebenfalls der Wahlverteidiger nicht anwesend war, da sich aus dem Revisionsvortrag ergibt, dass mit Ausnahme von Rechtsanwalt W. kein Verteidiger anwesend war. Eine weitere Anfrage bei der Rechtsanwaltskammer war entbehrlich, da diese weitere Auskünfte bereits unter Hinweis auf ihre Verschwiegenheitspflicht verweigert hatte und der Revisionsführer daraufhin weitere Bemühungen in Gestalt einer Anfrage bei dem Präsidenten des Landgerichts München II sowie bei Rechtsanwalt W. direkt entfaltet hatte.
8
3. Die Verfahrensrüge ist begründet.
9
Dem Angeklagten war Rechtsanwalt W. als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Dieser trat in den beiden Hauptverhandlungsterminen vor der Jugendkammer am 15. und 16. Januar 2018 als dessen alleiniger Verteidiger auf. Mit Schreiben vom 19. Februar 2019 teilte der Präsident der Rechtsanwaltskammer für den Oberlandesgerichtsbezirk München dem Senat auf dessen Anfrage mit, dass Assessor W. seit 29. Dezember 2017 nichtmehr zur Rechtsanwaltschaft zugelassen sei. Infolgedessen durfte der ehemalige Rechtsanwalt zur Zeit der Hauptverhandlung nicht mehr als Verteidiger auftreten (§§ 142, 138 Abs. 1 StPO).
10
Da es sich vorliegend um einen Fall notwendiger Verteidigung handelt (§ 140 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 StPO), begründet die alleinige Mitwirkung eines nicht als Rechtsanwalt zugelassenen Scheinverteidigers an der Hauptverhand- lung den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO (vgl. BGH, Beschlüsse vom 5. Februar 2002 – 5 StR 617/01, BGHSt 47, 238, 239, 242 und vom 20. Juni 2006 – 4 StR 192/06 Rn. 4).
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(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind. (

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Bundesgerichtshof Beschluss, 05. Feb. 2002 - 5 StR 617/01

bei uns veröffentlicht am 05.02.2002

Nachschlagewerk: ja/nein BGHSt : ja Veröffentlichung: ja StPO §§ 44; 138 Abs. 1; 302 Abs. 1 Satz 1; 338 Nr. 5 In einem Fall notwendiger Verteidigung begründet die alleinige Mitwirkung eines nicht als Rechtsanwalt zugelassenen Scheinverteidigers

Bundesgerichtshof Beschluss, 20. Juni 2006 - 4 StR 192/06

bei uns veröffentlicht am 20.06.2006

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 4 StR 192/06 vom 20. Juni 2006 in der Strafsache gegen wegen Vergewaltigung u.a. Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat auf Antrag des Generalbundesanwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 20. Juni 2006

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

(1) Die Hauptverhandlung beginnt mit dem Aufruf der Sache. Der Vorsitzende stellt fest, ob der Angeklagte und der Verteidiger anwesend und die Beweismittel herbeigeschafft, insbesondere die geladenen Zeugen und Sachverständigen erschienen sind.

(2) Die Zeugen verlassen den Sitzungssaal. Der Vorsitzende vernimmt den Angeklagten über seine persönlichen Verhältnisse.

(3) Darauf verliest der Staatsanwalt den Anklagesatz. Dabei legt er in den Fällen des § 207 Abs. 3 die neue Anklageschrift zugrunde. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 3 trägt der Staatsanwalt den Anklagesatz mit der dem Eröffnungsbeschluß zugrunde liegenden rechtlichen Würdigung vor; außerdem kann er seine abweichende Rechtsauffassung äußern. In den Fällen des § 207 Abs. 2 Nr. 4 berücksichtigt er die Änderungen, die das Gericht bei der Zulassung der Anklage zur Hauptverhandlung beschlossen hat.

(4) Der Vorsitzende teilt mit, ob Erörterungen nach den §§ 202a, 212 stattgefunden haben, wenn deren Gegenstand die Möglichkeit einer Verständigung (§ 257c) gewesen ist und wenn ja, deren wesentlichen Inhalt. Diese Pflicht gilt auch im weiteren Verlauf der Hauptverhandlung, soweit sich Änderungen gegenüber der Mitteilung zu Beginn der Hauptverhandlung ergeben haben.

(5) Sodann wird der Angeklagte darauf hingewiesen, daß es ihm freistehe, sich zu der Anklage zu äußern oder nicht zur Sache auszusagen. Ist der Angeklagte zur Äußerung bereit, so wird er nach Maßgabe des § 136 Abs. 2 zur Sache vernommen. Auf Antrag erhält der Verteidiger in besonders umfangreichen erstinstanzlichen Verfahren vor dem Land- oder Oberlandesgericht, in denen die Hauptverhandlung voraussichtlich länger als zehn Tage dauern wird, Gelegenheit, vor der Vernehmung des Angeklagten für diesen eine Erklärung zur Anklage abzugeben, die den Schlussvortrag nicht vorwegnehmen darf. Der Vorsitzende kann dem Verteidiger aufgeben, die weitere Erklärung schriftlich einzureichen, wenn ansonsten der Verfahrensablauf erheblich verzögert würde; § 249 Absatz 2 Satz 1 gilt entsprechend. Vorstrafen des Angeklagten sollen nur insoweit festgestellt werden, als sie für die Entscheidung von Bedeutung sind. Wann sie festgestellt werden, bestimmt der Vorsitzende.

(1) Die Mitglieder des Vorstands haben über die Angelegenheiten, die ihnen bei ihrer Tätigkeit im Vorstand über Rechtsanwälte und andere Personen bekannt werden, Verschwiegenheit zu bewahren. Dies gilt auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Vorstand. Die Verschwiegenheitspflicht gilt nicht für Tatsachen,

1.
deren Weitergabe zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist,
2.
in deren Weitergabe die Betroffenen eingewilligt haben,
3.
die offenkundig sind oder
4.
die ihrer Bedeutung nach keiner Geheimhaltung bedürfen.
Die Sätze 1 bis 3 gelten auch für Angestellte der Rechtsanwaltskammern und für Personen, die von den Rechtsanwaltskammern oder den Mitgliedern ihres Vorstands zur Mitarbeit herangezogen werden. Die in Satz 4 genannten Personen sind in Textform über ihre Verschwiegenheitspflicht zu belehren.

(2) In Verfahren vor Gerichten und Behörden dürfen die in Absatz 1 genannten Personen über Angelegenheiten, die ihrer Verschwiegenheitspflicht unterliegen, ohne Genehmigung nicht aussagen. Die Genehmigung zur Aussage erteilt der Vorstand der Rechtsanwaltskammer nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Genehmigung soll nur versagt werden, wenn dies mit Rücksicht auf die Stellung oder die Aufgaben der Rechtsanwaltskammer oder berechtigte Belange der Personen, über welche die Tatsachen bekannt geworden sind, unabweisbar erforderlich ist. § 28 Absatz 2 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes bleibt unberührt.

(3) Für die Inanspruchnahme von Dienstleistungen durch Rechtsanwaltskammern gilt in Bezug auf Angelegenheiten, die der Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwalts nach § 43a Absatz 2 unterliegen, § 43e Absatz 1 bis 4, 7 und 8 sinngemäß.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Der Antrag des Beschuldigten nach § 141 Absatz 1 Satz 1 ist vor Erhebung der Anklage bei den Behörden oder Beamten des Polizeidienstes oder bei der Staatsanwaltschaft anzubringen. Die Staatsanwaltschaft legt ihn mit einer Stellungnahme unverzüglich dem Gericht zur Entscheidung vor, sofern sie nicht nach Absatz 4 verfährt. Nach Erhebung der Anklage ist der Antrag des Beschuldigten bei dem nach Absatz 3 Nummer 3 zuständigen Gericht anzubringen.

(2) Ist dem Beschuldigten im Vorverfahren ein Pflichtverteidiger gemäß § 141 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 bis 3 zu bestellen, so stellt die Staatsanwaltschaft unverzüglich den Antrag, dem Beschuldigten einen Pflichtverteidiger zu bestellen, sofern sie nicht nach Absatz 4 verfährt.

(3) Über die Bestellung entscheidet

1.
das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Staatsanwaltschaft oder ihre zuständige Zweigstelle ihren Sitz hat, oder das nach § 162 Absatz 1 Satz 3 zuständige Gericht;
2.
in den Fällen des § 140 Absatz 1 Nummer 4 das Gericht, dem der Beschuldigte vorzuführen ist;
3.
nach Erhebung der Anklage der Vorsitzende des Gerichts, bei dem das Verfahren anhängig ist.

(4) Bei besonderer Eilbedürftigkeit kann auch die Staatsanwaltschaft über die Bestellung entscheiden. Sie beantragt unverzüglich, spätestens innerhalb einer Woche nach ihrer Entscheidung, die gerichtliche Bestätigung der Bestellung oder der Ablehnung des Antrags des Beschuldigten. Der Beschuldigte kann jederzeit die gerichtliche Entscheidung beantragen.

(5) Vor der Bestellung eines Pflichtverteidigers ist dem Beschuldigten Gelegenheit zu geben, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger zu bezeichnen. § 136 Absatz 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend. Ein von dem Beschuldigten innerhalb der Frist bezeichneter Verteidiger ist zu bestellen, wenn dem kein wichtiger Grund entgegensteht; ein wichtiger Grund liegt auch vor, wenn der Verteidiger nicht oder nicht rechtzeitig zur Verfügung steht.

(6) Wird dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger bestellt, den er nicht bezeichnet hat, ist er aus dem Gesamtverzeichnis der Bundesrechtsanwaltskammer (§ 31 der Bundesrechtsanwaltsordnung) auszuwählen. Dabei soll aus den dort eingetragenen Rechtsanwälten entweder ein Fachanwalt für Strafrecht oder ein anderer Rechtsanwalt, der gegenüber der Rechtsanwaltskammer sein Interesse an der Übernahme von Pflichtverteidigungen angezeigt hat und für die Übernahme der Verteidigung geeignet ist, ausgewählt werden.

(7) Gerichtliche Entscheidungen über die Bestellung eines Pflichtverteidigers sind mit der sofortigen Beschwerde anfechtbar. Sie ist ausgeschlossen, wenn der Beschuldigte einen Antrag nach § 143a Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 stellen kann.

(1) Zu Verteidigern können Rechtsanwälte sowie die Rechtslehrer an deutschen Hochschulen im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt gewählt werden.

(2) Andere Personen können nur mit Genehmigung des Gerichts gewählt werden. Gehört die gewählte Person im Fall der notwendigen Verteidigung nicht zu den Personen, die zu Verteidigern bestellt werden dürfen, kann sie zudem nur in Gemeinschaft mit einer solchen als Wahlverteidiger zugelassen werden.

(3) Können sich Zeugen, Privatkläger, Nebenkläger, Nebenklagebefugte und Verletzte eines Rechtsanwalts als Beistand bedienen oder sich durch einen solchen vertreten lassen, können sie nach Maßgabe der Absätze 1 und 2 Satz 1 auch die übrigen dort genannten Personen wählen.

(1) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt vor, wenn

1.
zu erwarten ist, dass die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht, dem Landgericht oder dem Schöffengericht stattfindet;
2.
dem Beschuldigten ein Verbrechen zur Last gelegt wird;
3.
das Verfahren zu einem Berufsverbot führen kann;
4.
der Beschuldigte nach den §§ 115, 115a, 128 Absatz 1 oder § 129 einem Gericht zur Entscheidung über Haft oder einstweilige Unterbringung vorzuführen ist;
5.
der Beschuldigte sich auf Grund richterlicher Anordnung oder mit richterlicher Genehmigung in einer Anstalt befindet;
6.
zur Vorbereitung eines Gutachtens über den psychischen Zustand des Beschuldigten seine Unterbringung nach § 81 in Frage kommt;
7.
zu erwarten ist, dass ein Sicherungsverfahren durchgeführt wird;
8.
der bisherige Verteidiger durch eine Entscheidung von der Mitwirkung in dem Verfahren ausgeschlossen ist;
9.
dem Verletzten nach den §§ 397a und 406h Absatz 3 und 4 ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist;
10.
bei einer richterlichen Vernehmung die Mitwirkung eines Verteidigers auf Grund der Bedeutung der Vernehmung zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten geboten erscheint;
11.
ein seh-, hör- oder sprachbehinderter Beschuldigter die Bestellung beantragt.

(2) Ein Fall der notwendigen Verteidigung liegt auch vor, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.

(3) (weggefallen)

Ein Urteil ist stets als auf einer Verletzung des Gesetzes beruhend anzusehen,

1.
wenn das erkennende Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war; war nach § 222a die Mitteilung der Besetzung vorgeschrieben, so kann die Revision auf die vorschriftswidrige Besetzung nur gestützt werden, wenn
a)
das Gericht in einer Besetzung entschieden hat, deren Vorschriftswidrigkeit nach § 222b Absatz 2 Satz 2 oder Absatz 3 Satz 4 festgestellt worden ist, oder
b)
das Rechtsmittelgericht nicht nach § 222b Absatz 3 entschieden hat und
aa)
die Vorschriften über die Mitteilung verletzt worden sind,
bb)
der rechtzeitig und in der vorgeschriebenen Form geltend gemachte Einwand der vorschriftswidrigen Besetzung übergangen oder zurückgewiesen worden ist oder
cc)
die Besetzung nach § 222b Absatz 1 Satz 1 nicht mindestens eine Woche geprüft werden konnte, obwohl ein Antrag nach § 222a Absatz 2 gestellt wurde;
2.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, der von der Ausübung des Richteramtes kraft Gesetzes ausgeschlossen war;
3.
wenn bei dem Urteil ein Richter oder Schöffe mitgewirkt hat, nachdem er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt war und das Ablehnungsgesuch entweder für begründet erklärt war oder mit Unrecht verworfen worden ist;
4.
wenn das Gericht seine Zuständigkeit mit Unrecht angenommen hat;
5.
wenn die Hauptverhandlung in Abwesenheit der Staatsanwaltschaft oder einer Person, deren Anwesenheit das Gesetz vorschreibt, stattgefunden hat;
6.
wenn das Urteil auf Grund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit des Verfahrens verletzt sind;
7.
wenn das Urteil keine Entscheidungsgründe enthält oder diese nicht innerhalb des sich aus § 275 Abs. 1 Satz 2 und 4 ergebenden Zeitraums zu den Akten gebracht worden sind;
8.
wenn die Verteidigung in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt durch einen Beschluß des Gerichts unzulässig beschränkt worden ist.

Nachschlagewerk: ja/nein
BGHSt : ja
Veröffentlichung: ja
StPO §§ 44; 138 Abs. 1; 302 Abs. 1 Satz 1; 338 Nr. 5
In einem Fall notwendiger Verteidigung begründet
die alleinige Mitwirkung eines nicht als Rechtsanwalt
zugelassenen Scheinverteidigers an der
Hauptverhandlung den absoluten Revisionsgrund des
§ 338 Nr. 5 StPO. Ein nach Beratung durch den
Scheinverteidiger erklärter Rechtsmittelverzicht
des Angeklagten ist unwirksam. Der Angeklagte kann
danach gegen die Versäumung der Rechtsmittelfrist
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erlangen.
BGH, Beschl. v. 5. Februar 2002 - 5 StR 617/01
LG Berlin –

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
vom 5. Februar 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 5. Februar 2002

beschlossen:
Gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil des Landgerichts Berlin vom 25. September 2001 wird der Angeklagten auf ihre Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.
G r ü n d e Das Landgericht hat die Angeklagte am 25. September 2001 wegen insgesamt 30 Fällen des Betruges und wegen versuchten Betruges unter Einbeziehung anderweits verhängter Strafen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr sowie zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Nach Urteilsverkündung und Rechtsmittelbelehrung erklärte die Angeklagte nach Rücksprache mit ihrem damaligen Wahlverteidiger, der für sie an der Hauptverhandlung teilgenommen hatte, Rechtsmittelverzicht.

I.


Mit am 2. November 2001 eingegangenem Schriftsatz meldete sich ein neuer Wahlverteidiger für die Angeklagte. Er trug vor, diese sei am 26. Oktober 2001 von der Rechtsanwaltskammer Berlin darüber informiert worden, daß ihr bisheriger Wahlverteidiger zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung nicht als Rechtsanwalt zugelassen gewesen sei. Der neue Wahlverteidiger beantragte für die Angeklagte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Revisionseinlegungsfrist und legte Revision ein.

Tatsächlich war der Widerruf der Zulassung des damaligen Wahlverteidigers zur Rechtsanwaltschaft wegen Vermögensverfalls (§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO) mit Beschluß des Bundesgerichtshofs – Senat für Anwaltssachen – vom 18. Juni 2001 – AnwZ (B) 6/00 – bestandskräftig geworden. Gleichwohl hatte sich der ehemalige Rechtsanwalt danach als anwaltlicher Wahlverteidiger für die Angeklagte gemeldet und für sie an der Hauptverhandlung vor der großen Strafkammer des Landgerichts teilgenommen.

II.


Das Wiedereinsetzungsgesuch der Angeklagten hat Erfolg.
1. Ihr am Schluß der Hauptverhandlung erklärter Rechtsmittelverzicht erweist sich abweichend von dem Grundsatz, daß eine solche Prozeßerklärung als unwiderruflich und unanfechtbar zu gelten hat (BGHSt 45, 51, 53), aufgrund besonderer verfahrensrechtlicher Gegebenheiten als von Anfang an unwirksam.
In der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vor dem Landgericht fehlte es an der nach § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO notwendigen Mitwirkung eines Verteidigers. Der für die Angeklagte als Wahlverteidiger mitwirkende ehemalige Rechtsanwalt konnte infolge des Verlusts seiner Rechtsanwaltszulassung gemäß § 138 Abs. 1 StPO nicht mehr als Verteidiger auftreten.
Am Schluß der Hauptverhandlung wurde der Angeklagten vor ihrer Rechtsmittelverzichtserklärung Gelegenheit zur Rücksprache mit ihrem vermeintlichen Verteidiger gegeben. Hiermit wollte das Landgericht der gebotenen Einhaltung der Verfahrensregeln vor Herbeiführung eines wirksamen Rechtsmittelverzichts (vgl. BGHSt 18, 257, 260; 19, 101, 104; 45, 51, 57) Rechnung tragen. Vorliegend war die Einhaltung jener Regeln indes da-
durch gehindert, daû der ± wie das Gericht nicht wuûte ± nicht mehr zugelassene Rechtsanwalt die Verteidigung nicht führen durfte. Die Angeklagte war damit vor Abgabe der Prozeûerklärung des Rechtsmittelverzichts ohne den bei einer erstinstanzlichen Verhandlung vor dem Landgericht gesetzlich zwingend vorgeschriebenen Beistand eines zugelassenen Verteidigers; ihr fehlte folglich die rechtsstaatlich unverzichtbare Rechtsberatung. Infolge dieser gravierenden, gemessen an den Anforderungen an ein faires Verfahren nicht hinnehmbaren Einschränkung der Verteidigungsrechte der Angeklagten muû ihr Rechtsmittelverzicht als von Anfang an unwirksam gewertet werden (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goûner, StPO 45. Aufl. § 302 Rdn. 25; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 302 Rdn. 57; jeweils m.w.N.).
Anhaltspunkte für einen besonders gelagerten Sachverhalt, wonach die Angeklagte den Rechtsmittelverzicht aufgrund unbedingter, von jeglichem Rat irgendeines Verteidigers unbeeinfluûbarer ± damit auch tatsächlich nicht vom Rat des Scheinverteidigers beeinfluûter ± autonomer Entschlieûung abgegeben hätte, nämlich auf der Grundlage eines allein gebildeten verbindlichen Verzichtswillens, der dem eines jeden Verteidigers vorrangig wäre (vgl. BGHSt 45, 51, 56; BGHR StPO § 302 Abs. 1 Satz 1 Rechtsmittelverzicht 7, 11; Ruû in KK 4. Aufl. § 302 Rdn. 12), liegen nicht vor. In der Antrags - und Rechtsmittelschrift hat sie schlüssig ± und unwiderlegbar ± abweichend vorgetragen.
Freilich hinderte der Umstand eines Vermögensverfalls, der Anlaû zum Widerruf der Rechtsanwaltszulassung gewesen war, den Scheinverteidiger kurz nach Bestandskraft des Widerrufs ersichtlich nicht stärker an einer seiner Ausbildung entsprechenden Wahrnehmung von Verteidigeraufgaben, als dies bei Wahrnehmung eines Mandats kurz zuvor der Fall gewesen wäre ; auch liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, daû der Mangel an berufsrechtlicher Pflichteinbindung irgendeinen Einfluû auf seine konkrete Vertei-
digungstätigkeit erlangt haben könnte. Gleichwohl ist für die Frage, welche Personen als Verteidiger an einem Strafverfahren mitwirken dürfen, Rechtsklarheit unverzichtbar. Mit diesem Anliegen wäre eine Auslegung, welche die Rechtsverbindlichkeit von Verteidigerhandlungen einer zur Verteidigung nicht befugten Person von einem gewissen ± dann aber nicht sicher abgrenzbaren ± Schweregrad des konkreten Mangels abhängig machen wollte, nicht zu vereinbaren. Jede Form der Nichterfüllung der gesetzlichen Anforderungen an die Person des Verteidigers (hier: § 138 Abs. 1 StPO) muû vielmehr identische Unwirksamkeitsfolgen nach sich ziehen.
Angesichts der Bedeutung der Verteidigungsrechte der Angeklagten muû schlieûlich der Umstand unerheblich bleiben, daû das Gericht den Mangel in der Person des mitwirkenden Verteidigers bei Entgegennahme des Rechtsmittelverzichts nicht gekannt hat.
2. Nach Unwirksamkeit des Rechtsmittelverzichts ist der Angeklagten die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Es bestehen keinerlei Anhaltspunkte, welche die Annahme rechtfertigen könnten, daû die Angeklagte ± etwa anders als das Gericht ± hätte wissen müssen, daû ihr an der Hauptverhandlung mitwirkender Scheinverteidiger kein zugelassener Rechtsanwalt war. Im unerkannt falschen Vertrauen auf die Wirksamkeit eines nach anwaltlicher Beratung erklärten Rechtsmittelverzichts hat sie sich an einer fristgerechten Revisionseinlegung gehindert gesehen. In diesem enttäuschten Vertrauen ist die unverschuldete Ursache der Rechtmittelfristversäumung zu finden.
Daû jenes Vertrauen der Angeklagten auf die Wirksamkeit eines nach ordnungsgemäûer anwaltlicher Beratung erklärten Rechtsmittelverzichts Ursache für die verspätete Revisionseinlegung war, ist der Antrags- und Rechtsmittelschrift hinreichend deutlich zu entnehmen. Dieses Vorbringen ist nicht etwa widerlegbar in dem Sinne, daû die Angeklagte ganz unabhän-
gig von scheinbar anwaltlich fachkundigem Rat mit dem Urteil zufrieden gewesen wäre, deshalb gar nicht an eine Revisionseinlegung gedacht hätte und nur später anderen Sinnes geworden wäre. Die konkrete Prozeûgeschichte versetzt die Angeklagte faktisch in eine der Regelung des § 44 Satz 2 StPO entsprechende Beweislage. Die Verfahrenssituation wäre im übrigen nicht anders zu beurteilen, wenn nicht auf Rechtsmittel verzichtet worden wäre und die Angeklagte lediglich hätte vorbringen können, die Nichteinlegung des Rechtsmittels habe auf dem Rat des Scheinverteidigers beruht. Die Rechtzeitigkeit des Wiedereinsetzungsgesuchs (§ 45 Abs. 1 Satz 1 StPO) ergibt sich aus der Antragsschrift: Das in der Unkenntnis der Angeklagten begründete Hindernis ist erst durch ihre eine Woche vor Antragstellung erfolgte Aufklärung seitens der Anwaltskammer beseitigt worden.
Die Angeklagte wird mit der Zubilligung einer die Wiedereinsetzung rechtfertigenden unverschuldeten Verhinderung im Sinne des § 44 Satz 1 StPO sachgerecht entsprechend behandelt wie ein Angeklagter, der einen Rechtsmittelverzicht erklärt hat, der unzulässigerweise (BGHSt 43, 195) im Rahmen einer Verständigung vereinbart worden war (vgl. BGHSt 45, 227, 233 f.; Rieû in Festschrift für Lutz Meyer-Goûner, 2001, S. 645, 658 ff., 663).
3. Die Revisionsbegründungsfrist von einem Monat beginnt mit Zustellung dieses Beschlusses, jedoch nicht vor Zustellung des angefochtenen Urteils, im Falle einer Ergänzung der Urteilsgründe nach § 267 Abs. 4 Satz 3 StPO mit Zustellung des ergänzten Urteils (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goûner aaO § 345 Rdn. 5 f. m.w.N.).
Anlaû, das mit der nunmehr als zulässig anzusehenden Revision angefochtene Urteil sogleich aufzuheben, sieht der Senat nicht. Freilich liegen die Voraussetzungen des absoluten Revisionsgrundes nach § 338 Nr. 5 StPO offensichtlich vor: In der Hauptverhandlung war kein nach § 138 Abs. 1
StPO zugelassener Verteidiger anwesend; der rechtsstaatswidrige Mangel, der in der Durchführung einer Hauptverhandlung ohne Mitwirkung eines notwendigen Verteidigers liegt, hat zwar nicht die Nichtigkeit des hiernach ergangenen Urteils zur Folge, begründet aber die Möglichkeit, das Urteil ohne jede weitere Sachprüfung über den absoluten Revisionsgrund zur Aufhebung zu bringen. Auch könnte möglicherweise bereits dem Wiedereinsetzungs - und Revisionseinlegungsschriftsatz die im Sinne von § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ausreichend begründete Rüge des § 338 Nr. 5 StPO entnommen werden. Die Angeklagte soll indes, wie von ihr ausdrücklich erstrebt, zunächst noch Gelegenheit erhalten, während der Revisionsbegründungsfrist ± nunmehr nach ordnungsgemäûer Beratung durch einen Verteidiger ± über die Frage der Urteilsanfechtung, gegebenenfalls auch über deren Umfang , abschlieûend zu befinden.
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Da es sich vorliegend um einen Fall notwendiger Verteidigung handelt (§ 140 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 5 StPO), begründet die alleinige Mitwirkung eines nicht als Rechtsanwalt zugelassenen Scheinverteidigers an der Hauptverhandlung den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO (vgl. BGHSt 47, 238 ff.).