Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Okt. 2016 - 1 StR 480/16

bei uns veröffentlicht am26.10.2016

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 480/16
vom
26. Oktober 2016
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:261016B1STR480.16.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 26. Oktober 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Bamberg vom 11. April 2016 mit den dazugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit von einer Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen worden ist. 2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 3. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht von einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte seit seinem 14. Lebensjahr Betäubungsmittel, seit dem 17. Lebensjahr steigerte sich der Konsum deutlich. Die letzten drei bis vier Jahre vor seiner Festnahme konsumierte der Angeklagte durchgängig Tetrahydrocannabinol, er war in diesem Zeitraum nur eine Woche abstinent. Zuletzt nahm er täglich vier bis fünf Gramm Haschisch. Zusätzlich konsumierte er regelmäßig Amphetamin, im Durchschnitt etwa drei Gramm wöchentlich, um die Nebenwirkungen des Cannabiskonsums zu bekämpfen. Ab und zu nahm er auch LSD und Pilze. Zwei- bis dreihundert Gramm des bei der Festnahme vorhandenen Haschischvorrats waren zum Eigenkonsum bestimmt. Die Taten dienten auch der Finanzierung seines Haschischkonsums. Nach seiner Festnahme litt der Angeklagte an Schlafstörungen und Schweißausbrüchen. Der Angeklagte, der noch keine Entwöhnungsbehandlung durchlaufen hat, ist therapiewillig.
3
Das sachverständig beratene Landgericht hat auf dieser Grundlage bei dem Angeklagten einen schädlichen Gebrauch, nicht aber eine Abhängigkeit von Betäubungsmitteln, insbesondere von Haschisch und Amphetamin, festgestellt. Angesichts „dieser Diagnose“ – so das Landgericht – komme die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht in Betracht, da der Angeklagte keinen Hang aufweise. Er führe ein sozial vergleichsweise geordnetes Leben, weder Gesundheit, Arbeits- oder Leistungsfähigkeit noch sein Planungsvermögen seien beeinträchtigt gewesen. Eine vegetative Entzugssymptomatik sei bei Haschischkonsum in der Regel nicht gegeben.
4
2. Dies begegnet durchgreifenden Bedenken. Es lässt besorgen, dass das Landgericht ein zu enges Verständnis von einem Hang im Sinne des § 64 StGB zugrunde gelegt hat; zudem bleibt die Prüfung, ob ein solcher Hang vorliegt , lückenhaft.
5
a) Dem Umstand, dass durch den Rauschgiftgebrauch bereits die Arbeits - und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, kommt für das Vorliegen eines Hanges zwar eine wichtige indizielle Wirkung zu, das hier festgestellte Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indes die Bejahung eines Hanges nicht aus (BGH, Beschlüsse vom 19. April 2016 – 3 StR 566/15 und vom 3. Februar 2016 – 1 StR 646/15, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 20). Ausreichend ist es bereits, wenn der Betroffene aufgrund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint, was insbesondere bei sogenannter Beschaffungskriminalität zu bejahen ist (BGH, Urteil vom 10. November 2004 – 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210; Beschlüsse vom 20. Dezember 2011 – 3 StR 421/11, NStZ-RR 2012, 204; vom 12. April 2012 – 5 StR 87/12, NStZ-RR 2012, 271; vom 21. August 2012 – 4 StR 311/12, RuP 2013, 34 und vom 18. September 2013 – 1 StR 382/13, BGHR StGB § 64 Satz 1 Hang 1). Dies nimmt das Landgericht nicht in den Blick. Soweit es auf das erhaltene Planungsvermögen im Tatzeitraum abstellt, steht dies ebenso wie die Fähigkeit zur Begehung der Taten nicht ohne Weiteres der Annahme einer eingewurzelten, auf psychischer Disposition beruhenden oder durch Übung erworbenen intensiven Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. April2016 – 3 StR 566/15).
6
b) Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, bleiben daneben maßgebliche Faktoren unerörtert. So sind weder die lange Konsumdauer, noch die erheblichen von dem Angeklagten täglich aufgenommenen Rauschgiftmengen – der Sachverständige ging von einem „durchaus hochgradigen“ schädlichen Gebrauch aus – unddas fast komplette Fehlen von Abstinenzphasen in den letzten Jahren berücksichtigt. Auch die Zielrichtung des seit Anfang 2015 von dem Angeklagten zusätzlich betriebenen regelmäßigen Konsums von Amphetamin, nämlich zur Bekämpfung der unerwünschten Nebenwirkungen des Cannabiskonsums, hat das Landgericht nicht gewürdigt.
7
3. Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt deshalb – wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) – neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).
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Bundesgerichtshof Beschluss, 03. Feb. 2016 - 1 StR 646/15

bei uns veröffentlicht am 03.02.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 1 StR 646/15 vom 3. Februar 2016 in der Strafsache gegen wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a. ECLI:DE:BGH:2016:030216B1STR646.15.0 Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat

Bundesgerichtshof Beschluss, 19. Apr. 2016 - 3 StR 566/15

bei uns veröffentlicht am 19.04.2016

BUNDESGERICHTSHOF BESCHLUSS 3 StR 566/15 vom 19. April 2016 in der Strafsache gegen wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln ECLI:DE:BGH:2016:190416B3STR566.15.0 Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 566/15
vom
19. April 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln
ECLI:DE:BGH:2016:190416B3STR566.15.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 19. April 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO einstimmig beschlossen :
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 27. April 2015
a) dahin ergänzt, dass aa) der Angeklagte im Übrigen freigesprochen wird; insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und die ausscheidbaren notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last, bb) die in den Niederlanden erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis 1:1 auf die erkannte Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet wird,

b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete, auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft von einem Teilfreispruch abgesehen , soweit es sich in acht der dem Angeklagten zur Last gelegten Fälle des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln (Fälle 184, 229, 262, 299, 311, 344, 389 und 399 der Anklageschrift) nicht von dessen Täterschaft zu überzeugen vermocht hat (UA S. 49). Dem Angeklagten waren mit der Anklage 685 tatmehrheitlich begangene Fälle des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln vorgeworfen worden. Dem ist die Strafkammer im Eröffnungsbeschluss gefolgt. Insoweit ist dem Angeklagten unter den Ziffern 184, 229, 262, 299, 311, 344, 389 und 399 zur Last gelegt worden, am 19. September 2013 sowie am 2., 7., 11., 12., 15., 20. und 21. Oktober 2013 im Zusammenwirken mit den drei Mitangeklagten jeweils 1 bis 10 Gramm der unter den Bezeichnungen "Göttin Astarte" und "CM 21" vertriebenen Substanzen, die den in der Anlage II zu § 1 Abs. 1 BtMG genannten Wirkstoff AKB-48F enthielten, an verschiedene Abnehmer veräußert zu haben. Diese Vorwürfe hat das Landgericht nach der Beweisaufnahme als nicht erwiesen angesehen. Es hätte den Angeklagten deshalb, um den Eröffnungsbeschluss zu erschöpfen, ohne Rücksicht auf die dem Urteil unter dem Gesichtspunkt der Bewertungseinheit zugrunde gelegte konkurrenzrechtliche Beurteilung der Verkaufsfälle als Bandenhandel mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen teilweise freisprechen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 - 3 StR 321/11, NStZ 2012, 337, 338 mwN; Beschluss vom 15. Oktober 2014 - 3 StR 321/14, juris Rn. 2).
3
2. Die Strafkammer hat außerdem entgegen der Vorschrift des § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB keine Bestimmung über den Maßstab getroffen, nach dem die von dem Angeklagten in den Niederlanden erlittene Freiheitsentziehung auf die gegen ihn erkannte Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen ist. Diese Entscheidung muss in der Urteilsformel zum Ausdruck kommen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2003 - 5 StR 162/03, NStZ-RR 2003, 364). Da nach der Sachlage nur eine Anrechnung im Maßstab 1:1 in Betracht kommt, hat der Senat den grundsätzlich dem Tatrichter obliegenden Ausspruch über die Festsetzung des Anrechnungsmaßstabs nachgeholt und die Urteilsformel entsprechend § 354 Abs. 1 StPO ergänzt (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 22. Juli 2003 - 5 StR 162/03, NStZ-RR 2003, 364; vom 13. August 2009 - 3 StR 255/09, NStZ-RR 2009, 370).
4
3. Die Entscheidung des Landgerichts, von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abzusehen, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
a) Die Strafkammer hat ihre Entscheidung unter Bezugnahme auf die Ausführungen des in der Hauptverhandlung gehörten psychiatrischen Sachverständigen damit begründet, dass der Angeklagte zwar an einer Abhängigkeit von Cannabinoiden leide (ICD-10 F12.2), ein Hang, psychotrop wirkende Substanzen im Übermaß zu sich zu nehmen, jedoch nicht festzustellen sei. Voraussetzung für die Annahme eines Hanges im Sinne des § 64 StGB sei, dass die berufliche, soziale und gesundheitliche Leistungsfähigkeit des Angeklagten durch seinen Betäubungsmittelkonsum nachhaltig beeinträchtigt werde. Eine nachhaltige Beeinträchtigung könne im Hinblick auf die Komplexität des Tatgeschehens und die herausgehobene organisatorische Position des Angeklagten in der Tätergruppe indes ausgeschlossen werden. Im Übrigen sei mangels jeglicher Motivation des Angeklagten, eine Therapie zu durchlaufen, nicht davon auszugehen, dass eine Entziehungsbehandlung innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen werden könne.
6
b) Diese äußerst knappen Ausführungen lassen zunächst besorgen, dass das Landgericht die Voraussetzungen eines Hanges gemäß § 64 Satz 1 StGB verkannt hat. Ein solcher liegt nicht nur - wovon die Strafkammer möglicherweise ausgegangen ist - im Falle einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit vor; vielmehr genügt bereits eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine physische Abhängigkeit bestehen muss (BGH, Beschlüsse vom 4. April 1995 - 4 StR 95/95, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5; vom 13. Januar 2011 - 3 StR 429/10, juris Rn. 4). Im Hinblick auf die von der Strafkammer als gegeben angesehene Abhängigkeitserkrankung des Angeklagten liegt es indes ausgesprochen nahe, dass der Angeklagte eine derartige Neigung hat. Dem steht auch nicht ohne Weiteres entgegen, dass er trotz seiner Abhängigkeit von Cannabinoiden in der Lage war, die abgeurteilten Straftaten zu begehen.
7
Die Beeinträchtigung der Gesundheit oder der Arbeits- und Leistungsfähigkeit durch den Rauschmittelkonsum indiziert zwar einen Hang im Sinne des § 64 Satz 1 StGB, ihr Fehlen schließt diesen indes nicht aus (BGH, Urteil vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13, juris Rn. 10; Beschluss vom 3. Februar 2016 - 1 StR 646/15, juris Rn. 11).
8
Darüber hinaus steht auch die aktuelle Therapieunwilligkeit des Angeklagten seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht notwendig entgegen. Therapieunwilligkeit kann zwar im Einzelfall gegen die Erfolgsaussicht der Maßregel (§ 64 Satz 2 StGB) sprechen. Liegt sie vor, so ist es jedoch geboten, im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände die Gründe des Motivationsmangels festzustellen und zu prüfen, ob eine Therapiebereitschaft für eine erfolgversprechende Behandlung geweckt werden kann; denn gerade auch darin kann das Ziel einer Behandlung im Maßregelvollzug bestehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. März 2004 - 2 StR 513/03, NStZ-RR 2004, 263; vom 15. Dezember 2009 - 3 StR 516/09, NStZ-RR 2010, 141).
9
c) Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt deshalb - wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9; Beschlüsse vom 19. Dezember 2007 - 5 StR 485/07, NStZ-RR 2008, 107; vom 27. März 2008 - 3 StR 38/08, StV 2008, 405, 406). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. dazu BGHSt 38, 362 f.).
10
4. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Ergänzend zu der Stellungnahme des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
11
Der Einwand des Beschwerdeführers, dass die - sachverständig beratene - Strafkammer sich bei der Feststellung der Wirkstoffkonzentration der von dem Angeklagten vertriebenen Betäubungsmittel in Widerspruch zu dem von ihr als erwiesen angesehenen Erfahrungssatz gesetzt habe, wonach eine valide Hochrechnung aus einer Teilmenge eines Betäubungsmittels auf die Zusammensetzung und den Wirkstoffgehalt der Gesamtmenge nur vorgenommen werden könne, wenn mindestens 10 bis 30% der gesamten Menge untersucht worden seien, geht fehl. Den Urteilsgründen lässt sich entnehmen, dass dieser Erfahrungssatz dem Gutachten des Sachverständigen zufolge der von der Strafkammer vorgenommenen Hochrechnung nicht entgegen stand, weil der Angeklagte und seine Mittäter die von ihnen bezogenen Substanzen zunächst vermischt und aus der auf diese Weise gewonnenen Gesamtmenge die von ihnen vertriebenen 1- bis 3-Gramm-Päckchen befüllt hatten (UA S. 67).
Becker Schäfer Gericke Spaniol Tiemann

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 646/15
vom
3. Februar 2016
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u.a.
ECLI:DE:BGH:2016:030216B1STR646.15.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 3. Februar 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hof vom 28. August 2015 aufgehoben
a) im Gesamtstrafenausspruch,
b) soweit die Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgelehnt worden ist. 2. Die weitergehende Revision der Angeklagten wird als unbegründet verworfen (§ 349 Abs. 2 StPO). 3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels , an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

1
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen elf Einzeltaten zu insgesamt drei Gesamtfreiheitsstrafen verurteilt. Sie wurde wegen vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in Tateinheit mit vorsätzlichem Fahren ohne Fahrerlaubnis in Tatmehrheit mit fünf selbständigen Fällen der unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge jeweils in Tateinheit mit gewerbsmäßigem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln unter Ein- beziehung der mit Entscheidung des Amtsgerichts Plauen vom 29. Oktober 2014 rechtskräftig festgesetzten Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15 Euro zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Weiter erfolgte eine Verurteilung der Angeklagten wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei selbständigen Fällen jeweils in Tateinheit mit gewerbsmäßigem unerlaubten Handeltreiben unter Einbeziehung der mit Entscheidung des Amtsgerichts Aue vom 16. Dezember 2014 rechtskräftig festgesetzten Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu je 20 Euro zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren. Schließlich wurde die Angeklagte wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit gewerbsmäßigem unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in Tatmehrheit mit unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tatmehrheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt.
2
Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Revision der Angeklagten. Ihr Rechtsmittel hat im Gesamtstrafenausspruch und – soweit eine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt unterblieben ist – Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist es, wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift vom 4. Januar 2016 ausgeführt hat, unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

II.

3
1. Der Ausspruch über die Gesamtstrafen ist rechtsfehlerhaft und daher aufzuheben.
4
a) Das Landgericht hat zunächst zutreffend erkannt, dass bei der Bildung der Gesamtstrafen für die vorliegend abzuurteilenden und zwischen April 2014 und März 2015 begangenen elf Einzeltaten auch die Einzelstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Plauen vom 29. Oktober 2014 (Tatzeit: 1. Mai 2014) und dem Strafbefehl des Amtsgerichts Aue vom 16. Dezember 2014 (Tatzeit: 24. Mai 2014) einzubeziehen waren, nachdem die in diesen Verfahren jeweils verhängten Geldstrafen nach den Feststellungen des Landgerichts noch nicht bezahlt waren. Ohne Rechtsfehler geht das Landgericht hier auch weiter davon aus, dass der Verurteilung durch das Amtsgericht Plauen vom 29. Oktober 2014 eine zäsurbildende Wirkung zukommt.
5
Zu Unrecht hat das Landgericht aber auch der zweiten Vorverurteilung, dem Strafbefehl des Amtsgerichts Aue vom 16. Dezember 2014, eine zweite Zäsurwirkung beigemessen, obwohl die dieser Entscheidung zu Grunde liegende Tat am 24. Mai 2014 bereits vor der ersten zäsurbildenden Verurteilung begangen wurde. Eine zweite Zäsur – wie vom Landgericht angenommen – und die Möglichkeit zur Zusammenfassung zu einer weiteren Gesamtstrafe kommt aber nur für Einzelstrafen wegen Taten in Betracht, die nach der ersten und vor der zweiten Verurteilung begangen wurden (BGH, Beschluss vom 24. März 1988 – 1 StR 83/88, BGHSt 35, 243, 245). Zweck des § 55 StGB ist es gerade, den Täter so zu stellen, als ob das Gericht bei der früheren Verurteilung von allen gesamtstrafenfähigen Taten gewusst und diese nach §§ 53, 54 StGB abgeurteilt hätte (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Mai 1994 – 1 StR 142/94, NStZ 1994, 482; Fischer, StGB, 63. Aufl., § 55 Rn. 2 mwN).
6
b) Richtigerweise hätte daher vom Landgericht aus den bis 29. Oktober 2014 im vorliegenden Verfahren beendeten Taten und den hierbei verhängten sechs Einzelstrafen sowie aus den beiden Geldstrafen aus dem Urteil des Amtsgerichts Plauen vom 29. Oktober 2014 und dem Strafbefehl des Amtsge- richts Aue vom 16. Dezember 2014 eine Gesamtstrafe gebildet werden müssen. Eine zweite Gesamtstrafe wäre dann vom Landgericht aus allen für die weiteren fünf verfahrensgegenständlichen Taten verhängten Einzelstrafen, die nach dem 29. Oktober 2014 begangen wurden, zu bilden gewesen. Der Senat weist zudem darauf hin, dass die neu zu bildenden Gesamtstrafen wegen des Verschlechterungsverbots des § 358 Abs. 2 Satz 1 StPO nur so hoch bemessen werden dürfen, dass sie zusammen die Summe der im angefochtenen Urteil verhängten drei Gesamtfreiheitsstrafen nicht übersteigen (BGH, Beschluss vom 18. August 2015 – 1 StR 305/15, NStZ-RR 2015, 305).
7
2. Auch die auf das Fehlen eines Hangs, Drogen im Übermaß zu konsumieren , gestützte Ablehnung der Unterbringung der Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
8
a) Nach den Feststellungen des Landgerichts konsumierte die Angeklagte erstmals mit 19 Jahren Crystal, anfänglich nur gelegentlich ca. 0,5 Gramm Methamphetamin im Monat. Ihr Konsum steigerte sich im Laufe der Zeit auf 1 bis 1,5 Gramm pro Monat. Zuletzt konsumierte sie dann maximal 0,2 Gramm Methamphetamin zum Stressabbau täglich. Andere Substanzen nahm die Angeklagte nicht ein.
9
Das Landgericht stellt auf dieser Grundlage bei der Angeklagten im Hinblick auf ihren Methamphetaminkonsum eine „behandlungsbedürftige Suchtmit- telabhängigkeit“ fest und kommt auch zu dem Ergebnis, dass sie die Taten zur Finanzierung ihres eigenen Konsums begangen habe. Die Nichtanordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt begründet das sachverständig beratene Landgericht damit, dass bei der Angeklagten zwar eine Abhängigkeitserkrankung gegeben sei, was eine Langzeittherapie sinnvoll erscheinen lasse, jedoch kein besonders schweres Suchtgeschehen vorliege.Insbesondere läge ein monovalenter Konsum vor, keine Polytoxikomanie, und ansonsten läge auch kein intravenöser Konsum von Methamphetamin vor. Auch sei das Persönlichkeitsbild der Angeklagten durch den Drogenkonsum nicht in erkennbarem Umfang verändert; die Voraussetzungen einer Depravation seien nicht gegeben.
10
b) Diese Ausführungen lassen besorgen, dass die Strafkammer rechtsfehlerhaft von einem zu engen Verständnis eines Hanges im Sinne des § 64 StGB ausgegangen ist.
11
Für einen Hang ist nach ständiger Rechtsprechung ausreichend eine eingewurzelte, auf psychische Disposition zurückgehende oder durch Übung erworbene Neigung, immer wieder Rauschmittel zu konsumieren, wobei diese Neigung noch nicht den Grad einer physischen Abhängigkeit erreicht haben muss. Ein übermäßiger Genuss von Rauschmitteln im Sinne des § 64 StGB ist jedenfalls dann gegeben, wenn der Betreffende auf Grund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint (vgl. BGH, Urteile vom 14. Oktober 2015 – 1 StR 415/15 Rn. 7, vom 10. November 2004 – 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210 und vom 15. Mai 2014 – 3 StR 386/13). Insoweit kann dem Umstand, dass durch den Rauschmittelkonsum bereits die Gesundheit, Arbeits- und Leistungsfähigkeit des Betreffenden erheblich beeinträchtigt ist, zwar indizielle Bedeutung für das Vorliegen eines Hanges zukommen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 14. Dezember 2005 – 1 StR 420/05, NStZ-RR 2006, 103). Wenngleich solche Beeinträchtigungen in der Regel mit übermäßigem Rauschmittelkonsum einhergehen dürften, schließt deren Fehlen jedoch nicht notwendigerweise die Bejahung eines Hanges aus (BGH, Beschlüsse vom 1. April 2008 – 4 StR 56/08, NStZ-RR 2008, 198 und vom 2. April 2015 – 3 StR 103/15).
12
c) Dies zu Grunde gelegt, drängt sich das Vorliegen eines Hanges hier schon angesichts der bei der Angeklagten festgestellten behandlungsbedürftigen Abhängigkeitserkrankung und ihres Konsumverhaltens auf. Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass das Landgericht bei Zugrundelegung des zutreffenden Maßstabs einen Hang angenommen hätte. Den bisher getroffenen Feststellungen ist auch nicht zu entnehmen, dass die Anordnung der Maßregel an dem symptomatischen Zusammenhang zwischen Hang und Taten, der Gefahr erheblicher rechtswidriger Taten oder an der hinreichend konkreten Aussicht auf einen Behandlungserfolg (§ 64 Satz 2 StGB) scheitern müsste.
13
d) Alle bisherigen Feststellungen konnten aufrechterhalten bleiben, da sie vom aufgezeigten Rechtsfehler nicht betroffen sind.
14
Die Frage der Anordnung der Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt bedarf aber unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) der erneuten Prüfung und Entscheidung sowie ergänzender Feststellungen. Der neue Tatrichter wird deshalb das Vorliegen eines Hanges der Angeklagten, Betäubungsmittel im Übermaß zu sich zu nehmen , neu zu beurteilen und auch Feststellungen zu treffen haben, inwieweit ein symptomatischer Zusammenhang zwischen Drogensucht und den Betäubungsmittelstraftaten der Angeklagten und eine hinreichend konkrete Therapieaussicht besteht. Der neue Tatrichter wird dabei auch § 67 Abs. 2 StGB zu beachten und mit sachverständiger Hilfe die erforderliche Therapiedauer zu bestimmen haben.
15
Dass nur die Angeklagte Revision eingelegt hat, hindert die Nachholung der Unterbringungsanordnung nicht (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. November 2004 – 2 StR 329/04 und Beschluss vom 21. Oktober 2008 – 3 StR 382/08, NStZ-RR 2009, 59). Sie hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. BGH, Urteil vom 7. Oktober 1992 – 2 StR 374/92, BGHSt 38, 362). Der Senat kann ausschließen, dass das Tatgericht bei Anordnung der Unterbringung auf geringere Freiheitsstrafen erkannt hätte. Raum Graf Cirener Radtke Bär

(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.

(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.

Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3 StR 566/15
vom
19. April 2016
in der Strafsache
gegen
wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln
ECLI:DE:BGH:2016:190416B3STR566.15.0

Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 19. April 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4, § 354 Abs. 1 analog StPO einstimmig beschlossen :
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Koblenz vom 27. April 2015
a) dahin ergänzt, dass aa) der Angeklagte im Übrigen freigesprochen wird; insoweit fallen die Kosten des Verfahrens und die ausscheidbaren notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse zur Last, bb) die in den Niederlanden erlittene Auslieferungshaft im Verhältnis 1:1 auf die erkannte Gesamtfreiheitsstrafe angerechnet wird,

b) mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit das Landgericht von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen. 2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete, auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
2
1. Das Landgericht hat rechtsfehlerhaft von einem Teilfreispruch abgesehen , soweit es sich in acht der dem Angeklagten zur Last gelegten Fälle des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln (Fälle 184, 229, 262, 299, 311, 344, 389 und 399 der Anklageschrift) nicht von dessen Täterschaft zu überzeugen vermocht hat (UA S. 49). Dem Angeklagten waren mit der Anklage 685 tatmehrheitlich begangene Fälle des Bandenhandels mit Betäubungsmitteln vorgeworfen worden. Dem ist die Strafkammer im Eröffnungsbeschluss gefolgt. Insoweit ist dem Angeklagten unter den Ziffern 184, 229, 262, 299, 311, 344, 389 und 399 zur Last gelegt worden, am 19. September 2013 sowie am 2., 7., 11., 12., 15., 20. und 21. Oktober 2013 im Zusammenwirken mit den drei Mitangeklagten jeweils 1 bis 10 Gramm der unter den Bezeichnungen "Göttin Astarte" und "CM 21" vertriebenen Substanzen, die den in der Anlage II zu § 1 Abs. 1 BtMG genannten Wirkstoff AKB-48F enthielten, an verschiedene Abnehmer veräußert zu haben. Diese Vorwürfe hat das Landgericht nach der Beweisaufnahme als nicht erwiesen angesehen. Es hätte den Angeklagten deshalb, um den Eröffnungsbeschluss zu erschöpfen, ohne Rücksicht auf die dem Urteil unter dem Gesichtspunkt der Bewertungseinheit zugrunde gelegte konkurrenzrechtliche Beurteilung der Verkaufsfälle als Bandenhandel mit Betäubungsmitteln in zwei Fällen teilweise freisprechen müssen (vgl. BGH, Urteil vom 2. Februar 2012 - 3 StR 321/11, NStZ 2012, 337, 338 mwN; Beschluss vom 15. Oktober 2014 - 3 StR 321/14, juris Rn. 2).
3
2. Die Strafkammer hat außerdem entgegen der Vorschrift des § 51 Abs. 4 Satz 2 StGB keine Bestimmung über den Maßstab getroffen, nach dem die von dem Angeklagten in den Niederlanden erlittene Freiheitsentziehung auf die gegen ihn erkannte Gesamtfreiheitsstrafe anzurechnen ist. Diese Entscheidung muss in der Urteilsformel zum Ausdruck kommen (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Juli 2003 - 5 StR 162/03, NStZ-RR 2003, 364). Da nach der Sachlage nur eine Anrechnung im Maßstab 1:1 in Betracht kommt, hat der Senat den grundsätzlich dem Tatrichter obliegenden Ausspruch über die Festsetzung des Anrechnungsmaßstabs nachgeholt und die Urteilsformel entsprechend § 354 Abs. 1 StPO ergänzt (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 22. Juli 2003 - 5 StR 162/03, NStZ-RR 2003, 364; vom 13. August 2009 - 3 StR 255/09, NStZ-RR 2009, 370).
4
3. Die Entscheidung des Landgerichts, von der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt abzusehen, hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
5
a) Die Strafkammer hat ihre Entscheidung unter Bezugnahme auf die Ausführungen des in der Hauptverhandlung gehörten psychiatrischen Sachverständigen damit begründet, dass der Angeklagte zwar an einer Abhängigkeit von Cannabinoiden leide (ICD-10 F12.2), ein Hang, psychotrop wirkende Substanzen im Übermaß zu sich zu nehmen, jedoch nicht festzustellen sei. Voraussetzung für die Annahme eines Hanges im Sinne des § 64 StGB sei, dass die berufliche, soziale und gesundheitliche Leistungsfähigkeit des Angeklagten durch seinen Betäubungsmittelkonsum nachhaltig beeinträchtigt werde. Eine nachhaltige Beeinträchtigung könne im Hinblick auf die Komplexität des Tatgeschehens und die herausgehobene organisatorische Position des Angeklagten in der Tätergruppe indes ausgeschlossen werden. Im Übrigen sei mangels jeglicher Motivation des Angeklagten, eine Therapie zu durchlaufen, nicht davon auszugehen, dass eine Entziehungsbehandlung innerhalb von zwei Jahren abgeschlossen werden könne.
6
b) Diese äußerst knappen Ausführungen lassen zunächst besorgen, dass das Landgericht die Voraussetzungen eines Hanges gemäß § 64 Satz 1 StGB verkannt hat. Ein solcher liegt nicht nur - wovon die Strafkammer möglicherweise ausgegangen ist - im Falle einer chronischen, auf körperlicher Sucht beruhenden Abhängigkeit vor; vielmehr genügt bereits eine eingewurzelte, auf psychischer Disposition beruhende oder durch Übung erworbene intensive Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, wobei noch keine physische Abhängigkeit bestehen muss (BGH, Beschlüsse vom 4. April 1995 - 4 StR 95/95, BGHR StGB § 64 Abs. 1 Hang 5; vom 13. Januar 2011 - 3 StR 429/10, juris Rn. 4). Im Hinblick auf die von der Strafkammer als gegeben angesehene Abhängigkeitserkrankung des Angeklagten liegt es indes ausgesprochen nahe, dass der Angeklagte eine derartige Neigung hat. Dem steht auch nicht ohne Weiteres entgegen, dass er trotz seiner Abhängigkeit von Cannabinoiden in der Lage war, die abgeurteilten Straftaten zu begehen.
7
Die Beeinträchtigung der Gesundheit oder der Arbeits- und Leistungsfähigkeit durch den Rauschmittelkonsum indiziert zwar einen Hang im Sinne des § 64 Satz 1 StGB, ihr Fehlen schließt diesen indes nicht aus (BGH, Urteil vom 15. Mai 2014 - 3 StR 386/13, juris Rn. 10; Beschluss vom 3. Februar 2016 - 1 StR 646/15, juris Rn. 11).
8
Darüber hinaus steht auch die aktuelle Therapieunwilligkeit des Angeklagten seiner Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht notwendig entgegen. Therapieunwilligkeit kann zwar im Einzelfall gegen die Erfolgsaussicht der Maßregel (§ 64 Satz 2 StGB) sprechen. Liegt sie vor, so ist es jedoch geboten, im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Täterpersönlichkeit und aller sonstigen maßgeblichen Umstände die Gründe des Motivationsmangels festzustellen und zu prüfen, ob eine Therapiebereitschaft für eine erfolgversprechende Behandlung geweckt werden kann; denn gerade auch darin kann das Ziel einer Behandlung im Maßregelvollzug bestehen (vgl. BGH, Beschlüsse vom 19. März 2004 - 2 StR 513/03, NStZ-RR 2004, 263; vom 15. Dezember 2009 - 3 StR 516/09, NStZ-RR 2010, 141).
9
c) Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt deshalb - wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) - neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO; BGH, Urteil vom 10. April 1990 - 1 StR 9/90, BGHSt 37, 5, 9; Beschlüsse vom 19. Dezember 2007 - 5 StR 485/07, NStZ-RR 2008, 107; vom 27. März 2008 - 3 StR 38/08, StV 2008, 405, 406). Er hat die Nichtanwendung des § 64 StGB durch das Tatgericht auch nicht vom Rechtsmittelangriff ausgenommen (vgl. dazu BGHSt 38, 362 f.).
10
4. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Ergänzend zu der Stellungnahme des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat:
11
Der Einwand des Beschwerdeführers, dass die - sachverständig beratene - Strafkammer sich bei der Feststellung der Wirkstoffkonzentration der von dem Angeklagten vertriebenen Betäubungsmittel in Widerspruch zu dem von ihr als erwiesen angesehenen Erfahrungssatz gesetzt habe, wonach eine valide Hochrechnung aus einer Teilmenge eines Betäubungsmittels auf die Zusammensetzung und den Wirkstoffgehalt der Gesamtmenge nur vorgenommen werden könne, wenn mindestens 10 bis 30% der gesamten Menge untersucht worden seien, geht fehl. Den Urteilsgründen lässt sich entnehmen, dass dieser Erfahrungssatz dem Gutachten des Sachverständigen zufolge der von der Strafkammer vorgenommenen Hochrechnung nicht entgegen stand, weil der Angeklagte und seine Mittäter die von ihnen bezogenen Substanzen zunächst vermischt und aus der auf diese Weise gewonnenen Gesamtmenge die von ihnen vertriebenen 1- bis 3-Gramm-Päckchen befüllt hatten (UA S. 67).
Becker Schäfer Gericke Spaniol Tiemann

(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.

(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.

(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.

(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.

(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.