Bundesgerichtshof Beschluss, 26. Okt. 2016 - 1 StR 480/16
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts am 26. Oktober 2016 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen:
Gründe:
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- Das Landgericht hat den Angeklagten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, zu einer Gesamtstrafe von fünf Jahren und drei Monaten verurteilt. Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten führt mit der Sachrüge zur Aufhebung des Urteils, soweit das Landgericht von einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen hat; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet nach § 349 Abs. 2 StPO.
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- 1. Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte seit seinem 14. Lebensjahr Betäubungsmittel, seit dem 17. Lebensjahr steigerte sich der Konsum deutlich. Die letzten drei bis vier Jahre vor seiner Festnahme konsumierte der Angeklagte durchgängig Tetrahydrocannabinol, er war in diesem Zeitraum nur eine Woche abstinent. Zuletzt nahm er täglich vier bis fünf Gramm Haschisch. Zusätzlich konsumierte er regelmäßig Amphetamin, im Durchschnitt etwa drei Gramm wöchentlich, um die Nebenwirkungen des Cannabiskonsums zu bekämpfen. Ab und zu nahm er auch LSD und Pilze. Zwei- bis dreihundert Gramm des bei der Festnahme vorhandenen Haschischvorrats waren zum Eigenkonsum bestimmt. Die Taten dienten auch der Finanzierung seines Haschischkonsums. Nach seiner Festnahme litt der Angeklagte an Schlafstörungen und Schweißausbrüchen. Der Angeklagte, der noch keine Entwöhnungsbehandlung durchlaufen hat, ist therapiewillig.
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- Das sachverständig beratene Landgericht hat auf dieser Grundlage bei dem Angeklagten einen schädlichen Gebrauch, nicht aber eine Abhängigkeit von Betäubungsmitteln, insbesondere von Haschisch und Amphetamin, festgestellt. Angesichts „dieser Diagnose“ – so das Landgericht – komme die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nicht in Betracht, da der Angeklagte keinen Hang aufweise. Er führe ein sozial vergleichsweise geordnetes Leben, weder Gesundheit, Arbeits- oder Leistungsfähigkeit noch sein Planungsvermögen seien beeinträchtigt gewesen. Eine vegetative Entzugssymptomatik sei bei Haschischkonsum in der Regel nicht gegeben.
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- 2. Dies begegnet durchgreifenden Bedenken. Es lässt besorgen, dass das Landgericht ein zu enges Verständnis von einem Hang im Sinne des § 64 StGB zugrunde gelegt hat; zudem bleibt die Prüfung, ob ein solcher Hang vorliegt , lückenhaft.
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- a) Dem Umstand, dass durch den Rauschgiftgebrauch bereits die Arbeits - und Leistungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sind, kommt für das Vorliegen eines Hanges zwar eine wichtige indizielle Wirkung zu, das hier festgestellte Fehlen dieser Beeinträchtigungen schließt indes die Bejahung eines Hanges nicht aus (BGH, Beschlüsse vom 19. April 2016 – 3 StR 566/15 und vom 3. Februar 2016 – 1 StR 646/15, BGHR StGB § 55 Abs. 1 Satz 1 Zäsurwirkung 20). Ausreichend ist es bereits, wenn der Betroffene aufgrund seiner psychischen Abhängigkeit sozial gefährdet oder gefährlich erscheint, was insbesondere bei sogenannter Beschaffungskriminalität zu bejahen ist (BGH, Urteil vom 10. November 2004 – 2 StR 329/04, NStZ 2005, 210; Beschlüsse vom 20. Dezember 2011 – 3 StR 421/11, NStZ-RR 2012, 204; vom 12. April 2012 – 5 StR 87/12, NStZ-RR 2012, 271; vom 21. August 2012 – 4 StR 311/12, RuP 2013, 34 und vom 18. September 2013 – 1 StR 382/13, BGHR StGB § 64 Satz 1 Hang 1). Dies nimmt das Landgericht nicht in den Blick. Soweit es auf das erhaltene Planungsvermögen im Tatzeitraum abstellt, steht dies ebenso wie die Fähigkeit zur Begehung der Taten nicht ohne Weiteres der Annahme einer eingewurzelten, auf psychischer Disposition beruhenden oder durch Übung erworbenen intensiven Neigung, immer wieder Rauschmittel im Übermaß zu sich zu nehmen, entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 19. April2016 – 3 StR 566/15).
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- b) Wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat, bleiben daneben maßgebliche Faktoren unerörtert. So sind weder die lange Konsumdauer, noch die erheblichen von dem Angeklagten täglich aufgenommenen Rauschgiftmengen – der Sachverständige ging von einem „durchaus hochgradigen“ schädlichen Gebrauch aus – unddas fast komplette Fehlen von Abstinenzphasen in den letzten Jahren berücksichtigt. Auch die Zielrichtung des seit Anfang 2015 von dem Angeklagten zusätzlich betriebenen regelmäßigen Konsums von Amphetamin, nämlich zur Bekämpfung der unerwünschten Nebenwirkungen des Cannabiskonsums, hat das Landgericht nicht gewürdigt.
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- 3. Da das Vorliegen der übrigen Unterbringungsvoraussetzungen nicht von vornherein ausscheidet, muss über die Anordnung der Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt deshalb – wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) – neu verhandelt und entschieden werden. Dem steht nicht entgegen, dass nur der Angeklagte Revision eingelegt hat (§ 358 Abs. 2 Satz 3 StPO).
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Die §§ 53 und 54 sind auch anzuwenden, wenn ein rechtskräftig Verurteilter, bevor die gegen ihn erkannte Strafe vollstreckt, verjährt oder erlassen ist, wegen einer anderen Straftat verurteilt wird, die er vor der früheren Verurteilung begangen hat. Als frühere Verurteilung gilt das Urteil in dem früheren Verfahren, in dem die zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen letztmals geprüft werden konnten.
(2) Nebenstrafen, Nebenfolgen und Maßnahmen (§ 11 Abs. 1 Nr. 8), auf die in der früheren Entscheidung erkannt war, sind aufrechtzuerhalten, soweit sie nicht durch die neue Entscheidung gegenstandslos werden.
Hat eine Person den Hang, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel im Übermaß zu sich zu nehmen, und wird sie wegen einer rechtswidrigen Tat, die sie im Rausch begangen hat oder die auf ihren Hang zurückgeht, verurteilt oder nur deshalb nicht verurteilt, weil ihre Schuldunfähigkeit erwiesen oder nicht auszuschließen ist, so soll das Gericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt anordnen, wenn die Gefahr besteht, dass sie infolge ihres Hanges erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die Anordnung ergeht nur, wenn eine hinreichend konkrete Aussicht besteht, die Person durch die Behandlung in einer Entziehungsanstalt innerhalb der Frist nach § 67d Absatz 1 Satz 1 oder 3 zu heilen oder über eine erhebliche Zeit vor dem Rückfall in den Hang zu bewahren und von der Begehung erheblicher rechtswidriger Taten abzuhalten, die auf ihren Hang zurückgehen.
(1) Kommt in Betracht, dass die Unterbringung des Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus oder in der Sicherungsverwahrung angeordnet oder vorbehalten werden wird, so ist in der Hauptverhandlung ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen. Gleiches gilt, wenn das Gericht erwägt, die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt anzuordnen.
(2) Ist Anklage erhoben worden wegen einer in § 181b des Strafgesetzbuchs genannten Straftat zum Nachteil eines Minderjährigen und kommt die Erteilung einer Weisung nach § 153a dieses Gesetzes oder nach den §§ 56c, 59a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 oder § 68b Absatz 2 Satz 2 des Strafgesetzbuchs in Betracht, wonach sich der Angeklagte psychiatrisch, psycho- oder sozialtherapeutisch betreuen und behandeln zu lassen hat (Therapieweisung), soll ein Sachverständiger über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten vernommen werden, soweit dies erforderlich ist, um festzustellen, ob der Angeklagte einer solchen Betreuung und Behandlung bedarf.
(3) Hat der Sachverständige den Angeklagten nicht schon früher untersucht, so soll ihm dazu vor der Hauptverhandlung Gelegenheit gegeben werden.
(1) Das Gericht, an das die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung verwiesen ist, hat die rechtliche Beurteilung, die der Aufhebung des Urteils zugrunde gelegt ist, auch seiner Entscheidung zugrunde zu legen.
(2) Das angefochtene Urteil darf in Art und Höhe der Rechtsfolgen der Tat nicht zum Nachteil des Angeklagten geändert werden, wenn lediglich der Angeklagte, zu seinen Gunsten die Staatsanwaltschaft oder sein gesetzlicher Vertreter Revision eingelegt hat. Wird die Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus aufgehoben, hindert diese Vorschrift nicht, an Stelle der Unterbringung eine Strafe zu verhängen. Satz 1 steht auch nicht der Anordnung der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt entgegen.