Bundesgerichtshof Beschluss, 10. Sept. 2002 - 1 StR 337/02
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
I.
1. Die Strafkammer hat festgestellt: Die unter Verfolgungswahn leidende Beschuldigte löste am 9. Juli 2001 ihr Sparbuch auf, weil sie Zusammenhänge zwischen ihrer Bank und ihren Gegnern vermutete. Am 10. Juli 2001 glaubte sie, sie habe von der Bank Falschgeld bekommen und brachte deshalb 3.500 DM, die aus der Auszahlung stammten, zur Polizei. Dort erklärte ihr ein Polizeibeamter "im Spaß", es handle sich um "schlechte Fälschungen". Die Beschuldigte erkannte den "Spaß" nicht; das Geld blieb bei der Polizei. Die Beschuldigte fühlte sich in ihrem Verdacht bestätigt. Sie beschloß, ihre - ehemalige - Bank zu überfallen, um "echte 3.500 DM" zu erhalten. Dementsprechend bedrohte sie am 12. Juli 2001 dort eine Bankangestellte mit einer ungeladenen Schreckschußpistole und erzwang so die Herausgabe von genau 3.500 DM, wobei sie auf einer eingehenden Echtheitskontrolle der einzelnen Geldscheine bestand.2. Auf der Grundlage dieser Feststellungen hat die Strafkammer die Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus ange- ordnet (§ 63 StGB) und die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt (§ 67b StGB). Sie bewertet das Verhalten der Beschuldigten als im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) begangene schwere räuberische Erpressung (§§ 253, 255, 250 Abs. 1 Ziffer 1b StGB). Die irrige Annahme der Beschuldigten, sie habe einen Anspruch gegen die Bank auf 3.500 DM - die bei einem geistig gesunden Täter die für eine Erpressung erforderliche Absicht rechtswidriger Bereicherung entfallen ließe (ständ. Rspr., vgl. zuletzt BGH NStZ 2002, 481, 482 m.w.N.) - sei unbeachtlich, da sie auf die zur Schuldunfähigkeit führende Erkrankung der Beschuldigten zurückgehe. Diese Bewertung eines wahnbedingten Irrtums entspricht der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. z.B. BGHSt 3, 287, 289; 10, 355, 357; BGH b. Holtz MDR 1983, 90; BGH NStZ 1991, 528), die in Teilen des Schrifttums Zustimmung gefunden hat (vgl. z.B. Hanack in LK 11. Aufl. § 63 Rdn. 23f.; Stree in Schönke/Schröder StGB 26. Aufl. § 63 Rdn. 7; Fischer in KK 4. Aufl. § 413 Rdn. 11).
II.
Die Revision der Beschuldigten bleibt erfolglos (§ 349 Abs. 2 StPO). 1. Die Revision wendet sich gegen die Annahme, der Irrtum der Beschuldigten sei allein wahnbedingt. Immerhin habe ihr ein Polizeibeamter bestätigt , daß ihr die Bank falsche Geldscheine ausbezahlt habe. Mit einer im Rahmen der Erwiderung auf den Antrag des Generalbundesanwalts (§ 349 Abs. 3 Satz 2 StPO) erhobenen Aufklärungsrüge macht sie in diesem Zusammenhang auch geltend, der Polizeibeamte, der in der Haupt-verhandlung nicht als Zeuge vernommen worden sei, habe die Geldscheine nicht lediglich "im Spaß" als Fälschungen bezeichnet. Diese Rüge war jedoch ohne inhaltliche Prüfung zurückzuweisen, da sie nicht innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO angebracht wurde (BGH, Beschluß vom 3. August 2000 - 1 StR 293/00; BGH StV 1999, 407 m.w.N.). 2. Die Revision meint darüber hinaus, es läge selbst dann keine (schwere räuberische) Erpressung vor, wenn der Irrtum der Beschuldigten allein auf ihre Erkrankung zurückzuführen sei. Die gemäß § 63 StGB für eine Unterbringungsanordnung erforderlichen Voraussetzungen, nämlich das Vorliegen einer rechtswidrigen Tat und deren Begehung im Zustand der Schuldunfähigkeit, müßten deutlich auseinandergehalten werden; von der Rechtsprechung würden diese beiden Gesichtspunkte demgegenüber in unklarer Weise vermischt. Diese Auffassung wird mit im einzelnen teilweise unterschiedlicher Begründung auch von Teilen des Schrifttums vertreten (vgl. z.B. Tröndle/Fischer StGB 50. Aufl. § 63 Rdn. 2a; Lackner in Lackner/Kühl StGB 25. Aufl. § 63 Rdn. 2; Horn in SK - StGB 7. Aufl. § 63 Rdn. 4; Böllinger in NK - StGB § 63 Rdn. 72; Gössel in Löwe/Rosenberg StPO 25. Aufl. § 413 Rdn. 19 Fußn. 36). 3. Der Senat braucht hier jedoch weder den Gründen für den Irrtum der Beschuldigten noch dessen rechtlichen Konsequenzen näher nachzugehen. Eine Änderung der rechtlichen Bewertung der "Anlaßtat" durch das Revisionsgericht führt nämlich dann nicht zur Aufhebung einer Unterbringungsanordnung , wenn trotzdem noch immer eine Tat vorliegt, die in ihrer konkreten Ausgestaltung ohne weiteres Grundlage einer Unterbringung sein kann (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. Dezember 1984 - 4 StR 721/84, vom 27. August 1997 - 2 StR 404/97 und vom 5. März 1999 - 2 StR 518/98). Da jedenfalls alle diese Voraussetzungen hier erfüllt sind, hätte es auf den Bestand des Urteils keinen
Einfluß, wenn wegen der Vorstellungen der Beschuldigten aus Rechtsgründen eine (schwere räuberische) Erpressung zu verneinen wäre. Es läge dann jedenfalls eine Nötigung (§ 240 StGB) vor, wie auch die Revision selbst im einzelnen zutreffend ausgeführt hat. Es ist aber offensichtlich eine erhebliche Störung des Rechtsfriedens, wenn Bankangestellte unter Einsatz einer (auch ungeladenen ) Pistole zur Herausgabe von Geld gezwungen werden. Eine solche Tat kann eine Unterbringungsanordnung rechtfertigen. 4. Auch die darüber hinaus erforderlichen individuellen Voraussetzungen für eine Unterbringungsanordnung hat die Strafkammer rechtsfehlerfrei festgestellt. Insoweit verweist der Senat auf die zureffenden Ausführungen des Generalbundesanwalts in seinem Antrag vom 15. August 2002 und bemerkt ergänzend: Bei der gebotenen Gesamtwürdigung der Beschuldigten und ihrer Tat (vgl. BGH NStZ 1993, 78) hat die Strafkammer das von ihr (für den Senat bindend ) festgestellte Verhalten des Polizeibeamten nicht erwogen. Entgegen der Auffassung der Revision ist dies hier jedoch unschädlich. Die Beschuldigte hat "Selbsthilfe" ausgeübt, obwohl ihr die Möglichkeit behördlichen Eingreifens bewußt war, wie sich daraus ergibt, daß sie die Polizei aufgesucht hat. Daß sich hieraus Gesichtspunkte ergeben könnten, die gegen die Notwendigkeit einer
Unterbringungsanordnung sprechen, ist nicht ersichtlich. Ebenso wenig ist erkennbar , wieso sich daran durch das festgestellte Verhalten des Polizeibeam- ten etwas ändern könnte, ohne daß es dabei auf die sonstige Bewertung dieses Verhaltens ankäme. Schäfer Nack Wahl Herr RiBGH Dr. Boetticher ist wegen Urlaubs an der Unterschrift verhindert. Schäfer Kolz
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Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
(1) Ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt an, so setzt es zugleich deren Vollstreckung zur Bewährung aus, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, daß der Zweck der Maßregel auch dadurch erreicht werden kann. Die Aussetzung unterbleibt, wenn der Täter noch Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, die gleichzeitig mit der Maßregel verhängt und nicht zur Bewährung ausgesetzt wird.
(2) Mit der Aussetzung tritt Führungsaufsicht ein.
Ohne Schuld handelt, wer bei Begehung der Tat wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen einer Intelligenzminderung oder einer schweren anderen seelischen Störung unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln.
(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.
(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.
(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.
(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.
(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.
(1) Die Revisionsanträge und ihre Begründung sind spätestens binnen eines Monats nach Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels bei dem Gericht, dessen Urteil angefochten wird, anzubringen. Die Revisionsbegründungsfrist verlängert sich, wenn das Urteil später als einundzwanzig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen Monat und, wenn es später als fünfunddreißig Wochen nach der Verkündung zu den Akten gebracht worden ist, um einen weiteren Monat. War bei Ablauf der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels das Urteil noch nicht zugestellt, so beginnt die Frist mit der Zustellung des Urteils und in den Fällen des Satzes 2 der Mitteilung des Zeitpunktes, zu dem es zu den Akten gebracht ist.
(2) Seitens des Angeklagten kann dies nur in einer von dem Verteidiger oder einem Rechtsanwalt unterzeichneten Schrift oder zu Protokoll der Geschäftsstelle geschehen.
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.
(3) Der Versuch ist strafbar.
(4) In besonders schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren. Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der Täter