Bundesgerichtshof Beschluss, 25. Juli 2019 - 1 StR 270/19

bei uns veröffentlicht am25.07.2019

Gericht

Bundesgerichtshof


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

Richter

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR 270/19
vom
25. Juli 2019
in der Strafsache
gegen
wegen Mordes
ECLI:DE:BGH:2019:250719B1STR270.19.0

Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbundesanwalts und des Beschwerdeführers am 25. Juli 2019 gemäß § 349 Abs. 4 StPO beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Regensburg vom 8. Februar 2019 mit den Feststellungen aufgehoben. 2. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurgericht zuständige Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Gründe:


1
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Mordes zu einer Freiheitsstrafe von 11 Jahren verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet.
2
Die hiergegen gerichtete auf die Verletzung materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat Erfolg.

I.

3
1. Nach den Feststellungen des Landgerichts feierten der Angeklagte und dessen Lebensgefährtin, M. , am Abend des 26. Mai 2018 mit verschiedenen anderen Personen, insbesondere der Zeugin W. und dem späteren Geschädigten, K. , in ihrer Wohnung, wobei alle erhebliche Mengen an alkoholischen Getränken zu sich nahmen. Der Geschädigte, bei dem es sich um eine neuere Bekanntschaft der Zeugin W. handelte, verhielt sich im Laufe des Abends immer wieder respektlos und provokant; unter anderem prahlte er damit, schon gesehen zu haben, wie Menschen getötet worden seien, und auch selbst schon getötet zu haben. Wegen abfälliger Äußerungen des Geschädigten zum Tod des Bruders der Zeugin M. und dessen Beerdigung war der Angeklagte aufgebracht. Im Laufe des Abends zogen sich der Angeklagte und der Geschädigte für einige Minuten in das Schlafzimmer zurück; eine Verhaltensänderung der beiden war danach nicht festzustellen.
4
Nachdem alle Gäste bis auf die Zeugin W. und den Geschädigten die Zusammenkunft verlassen hatten, feierten die Verbliebenen noch eine Weile weiter, insbesondere tranken sie weiteren Alkohol und tanzten. Gegen 3.00 Uhr saß der Geschädigte auf einem Hocker vor dem Wohnzimmertisch mit dem Rücken zum Raum und aß, während die Zeugin W. ihm gegenüber auf der Couch saß, die Zeugin M. in der Küchenzeile mit dem Rücken zum Wohnbereich aufräumte und der Angeklagte hinter dem Geschädigten im Wohnbereich auf- und abging. Der Angeklagte, der aufgrund seiner erheblichen Alkoholisierung und einer möglichen affektiven Erregung nicht ausschließbar in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich beeinträchtigt war, nahm ein spitz zulaufendes Küchenmesser mit einer Klingenlänge von zwölf cm und einer maximalen Klingenbreite von zwei cm, das möglicherweise zuvor auf dem Couchtisch gelegen hatte, und stach mit diesem von hinten seitlich einmal in den Hals des mit dem Rücken zu ihm gewandt sitzenden Geschädigten. Aufgrund des Stichs, der über eine Länge von ca. elf cm leicht absteigend nach links vorne unten in den Halsbereich des Geschädigten eindrang und an der Innenseite des Wirbelbogens des VI. Halswirbels endete, stürzte der Geschädigte, der nicht mit einem Angriff des Angeklagten auf seine körperliche Unversehrtheit gerechnet hatte, nach rechts vom Hocker auf den Boden und verstarb wenige Minuten später. Der Angeklagte handelte in dem sicheren Wissen, dass der Stich zum Tod des Geschädigten führen würde. Er nutzte die Arglosigkeit und die hierdurch bedingte Wehrlosigkeit des Geschädigten in feindlicher Willensrichtung bewusst zu dessen Tötung aus.
5
2. Der Angeklagte hat die Tat bestritten. Seine Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten hat das Landgericht insbesondere auf die Aussage der Zeugin W. , daneben aber auch auf das Spurenbild am Tatort und die Ausführungen der Sachverständigen zum Obduktionsergebnis sowie die polizeiliche Aussage der Zeugin M. gestützt. Im Einzelnen hat es ausgeführt, ein Unfall oder Suizid sei bereits nach dem objektiven Spurenbild und dem Obduktionsergebnis ausgeschlossen. Auch von einer Täterschaft der Zeuginnen M. und W. sei nicht auszugehen. Was die Zeugin W. betreffe, habe diese nach eigener Aussage, die – von der ursprünglich behaupteten Unfallversion abgesehen – insoweit „stets konsistent“ gewesen sei (UA S. 53) und auch mit der ersten Aussage der Zeugin M. in Einklang stehe, bei der Tat gegen-über dem Geschädigten auf der Couch gesessen. Die Täterschaft des Angeklagten sei durch die Aussage der Zeugin W. , die anders als die Einlassung des Angeklagten mit dem Spurenbild und dem Obduktionsergebnis in Einklang stehe, belegt. Die Angaben der Zeugin W. seien insbesondere auch des-halb glaubhaft, weil sie im Kern – insbesondere zur Stichführung – „detailreich und präzise“ (UA S. 55, ähnlich auch UA S. 57) gewesen seien. Dass die Schilderung des Tatgeschehens durch die Zeugin „in Randbereichen nicht durchgehend konsistent“ (UA S. 56) gewesen sei, stehe der Glaubhaf- tigkeit der Angaben der Zeugin nicht entgegen, weil es hierfür plausible Erklärungen gebe.

II.

6
Das Urteil hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
7
1. Der Schuldspruch hat keinen Bestand, weil die Täterschaft des Angeklagten nicht tragfähig beweiswürdigend belegt ist.
8
a) Das Landgericht hat zwar gesehen, dass in einem Fall, in dem die Entscheidung – wie hier – im Wesentlichen davon abhängt, welchen Angaben der Tatrichter folgt, eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, eine Bewertung eines gegebenenfalls feststellbaren Aussagemotivs sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben erforderlich ist (vgl. BGH, Urteile vom 13. März 2019 – 2 StR 462/18 Rn. 13 mwN und vom 22. Oktober 2014 – 2 StR 92/14 Rn. 9 f. mwN); auch existiert kein Erfahrungssatz des Inhalts, dass einem Zeugen nur entweder insgesamt geglaubt oder insgesamt nicht geglaubt werden darf (vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2017 – 5 StR 520/17 Rn. 6; MüKo-StPO/Miebach, 1. Aufl. 2016, § 261 Rn. 225 mwN). Allerdings muss das Tatgericht eine belastende Aussage, wenn es dieser nur teilweise folgen will oder es die Aussage sogar in Teilen als bewusst falsch erachtet, nicht nur mit besonderer Sorgfalt würdigen, sondern es muss regelmäßig zudem außerhalb der Aussage liegende gewichtige Gründe benennen , die es ihm ermöglichen, der Zeugenaussage im Übrigen dennoch zu glauben (vgl. BGH, Beschluss vom 27. November 2017 – 5 StR 520/17 Rn. 6; Urteile vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 159 und vom 17. November 1998 – 1 StR 450/98, BGHSt 44, 256, 257).
9
b) Diesen Anforderungen wird das landgerichtliche Urteil nicht gerecht.
10
aa) Soweit das Landgericht die für seine Überzeugungsbildung maßgebliche Aussage der Zeugin W. , der es nur teilweise gefolgt ist („soweit … gefolgt werden konnte“UA S. 35), als „im Kern detailreich und präzise“ (UA S. 55, ähnlich auch UA S. 57) beziehungsweise nur „in Randbereichen nicht durchgehend konsistent“(UA S. 56) gewürdigt hat, steht dies zu den weiteren beweiswürdigenden Ausführungen im Widerspruch. Hiernach hat die Zeugin in den verschiedenen Vernehmungen zu ihren Beobachtungen des eigentlichen Tatgeschehens – der Stichführung durch den Angeklagten – divergierende Angaben gemacht und zudem ein mit dem Obduktionsergebnis nicht zu vereinbarendes Verhalten des Geschädigten nach dem Stich geschildert, was aber, so das Landgericht, jeweils mit einer unbewussten Füllung einer Wahrnehmungslücke mit Erfahrungswissen zu erklären sei. Die vom Landgericht festgestellten Abweichungen in der Aussage der Zeugin zur Ausführung des Stichs – diese habe zunächst angegeben, dass sie gesehen habe, wie der Angeklagte das Messer in der Hand gehalten und es dem Geschädigten in den Hals gestoßen habe (Aussagen im Rahmen der polizeilichen Vernehmung am 30. Mai 2018 [UA S. 25] und der ermittlungsrichterlichen Vernehmung am 12. Juni 2018 [UA S. 27]), und dann erklärt, dass sie (erst) von ihrem Handy aufgeblickt habe, als das Messer schon ein Stück weit im Hals des Geschädigten gesteckt habe (Aussage in der Hauptverhandlung am 22. Januar 2019 [UA S. 29]), bis sie schließlich bekundet habe, dass sie erst hingesehen habe, als der Stich bereits geschehen sei, der Angeklagte aber noch die Hand am Messer gehabt habe (Aussage in der Hauptverhandlung am 24. Januar 2019 [UA S. 30]) – betreffen nicht nur Randbereiche, sondern das eigentliche Tatgeschehen. Gleiches gilt für die mit dem Obduktionsergebnis und der Spurenlage nicht zu vereinbarende Darstellung der Zeugin, der Geschädigte habe sich nach dem Stich zunächst erhoben und sei dann nach links vom Hocker gestürzt. Die Würdigung der Aus- sage der Zeugin als „im Kern detailreich und präzise“ und nur „in Randberei- chen nicht durchgehend konsistent“ ist mit diesen vom Landgericht selbst auf- gezeigten Abweichungen in den Aussagen der Zeugin sowie der objektiv unrichtigen Darstellung zum Sturz des Geschädigten nicht vereinbar.
11
Im Übrigen hat die Zeugin nach den Ausführungen des Landgerichts auch zu weiteren zentralen Punkten keine konstanten Angaben gemacht, nämlich dazu, ob der Geschädigte und der Angeklagte zur Tatzeit gesessen oder gestanden hätten (vgl. insoweit die Wiedergabe der Aussage der Zeugin in der polizeilichen Vernehmung am 30. Mai 2018 durch den Zeugen KHK Ko. , wonach sich die Zeugin diesbezüglich nicht festgelegt habe beziehungsweise sich nicht sicher gewesen sei [UA S. 25, 26] einerseits und wonach der Geschädigte nach Aussage der Zeugin bei der Tat auf dem Hocker gesessen und der Angeklagte hinter ihm gestanden habe [vgl. z.B. UA S. 36 und 54] andererseits ) und welche Hand der Angeklagte bei Ausführung des Stichs auf die Schulter des Geschädigten gelegt und mit welcher er den Stich geführt habe (vgl. Aussage der Zeugin am 12. Juni 2018, wonach der Angeklagte mit der rechten Hand das Messer geführt habe, während seine linke Hand auf der Schulter des Geschädigten gelegen habe [UA S. 27] einerseits und Aussage am 24. Januar 2019, wonach sich die Zeugin diesbezüglich nicht mehr sicher gewesen sei [UA S. 31] andererseits). An einer näheren Auseinandersetzung des Landgerichts mit diesen Abweichungen in den Aussagen der Zeugin W. fehlt es.
12
bb) Das Landgericht hat auch keine tragfähigen außerhalb der Zeugenaussage liegenden gewichtigen Gründe für die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin W. benannt.
13
(1) Soweit es auf die Vereinbarkeit der Schilderung der Zeugin mit dem ihr zu dieser Zeit noch nicht bekannten Obduktionsergebnis sowie der objekti- ven Spurenlage am Tatort abgestellt hat, hat es nicht in den Blick genommen, dass das Obduktionsergebnis und auch die Spurenlage am Tatort lediglich Rückschlüsse auf den Tathergang als solchen zulassen, nicht jedoch auf die Frage der Tatausführung durch den Angeklagten; sowohl das Obduktionsergebnis als auch die Spurenlage am Tatort ist mit einer Ausführung des tödlichen Stichs durch die Zeugin selbst ebenso vereinbar wie mit einer Tatausführung durch den Angeklagten.
14
Der Aussage der Zeugin W. zur Stichführung und ihrer Veranschaulichung des Hergangs durch das Nachstellen der Tatsituation kommt, anders als das Landgericht meint, auch kein besonderer Beweiswert zu, nur weil der Zeugin W. das Obduktionsergebnis zur fraglichen Zeit noch nicht bekannt war; das Landgericht hat insoweit nicht in seine Überlegungen eingestellt, dass die Zeugin die Stichführung auch dann in gleicher Weise hätte beschreiben können, wenn nicht der Angeklagte, sondern sie selbst den Stich geführt hätte.
15
(2) Soweit das Landgericht für die Würdigung der Aussage der Zeugin W. als glaubhaft zusätzlich darauf abgestellt hat, dass deren Behauptung, sie habe zur Zeit des Tatgeschehens auf der Couch gesessen, mit der ersten polizeilichen Aussage der Zeugin M. in Einklang stehe, begegnet dies im Üb-rigen Bedenken, weil das Landgericht die Aussage der Zeugin M. , die zu dem eigentlichen Tatgeschehen ohnehin keine Angaben machen konnte, in weiten Teilen – auch zur Rolle und dem Standort der Zeugin W. – als „wenig konsistent“ erachtet hat (UA S. 49).
16
2. Die Aufhebung des Schuldspruchs entzieht dem Rechtsfolgenausspruch und den getroffenen Feststellungen die Grundlage (§ 353 Abs. 2 StPO).
Raum Bellay Fischer Bär Pernice

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Strafprozeßordnung - StPO | § 353 Aufhebung des Urteils und der Feststellungen


(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben. (2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren

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Tenor Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 11. September 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.

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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

13
a) Eingedenk des nur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfungsmaßstabs (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteile vom 6. September 2016 – 1 StR 104/15, wistra 2017, 193; vom 12. Februar 2015 – 4 StR 420/14, NStZ-RR 2015, 148, jeweils mwN) erweist sich die Beweiswürdigung des Landgerichts als nicht rechtsfehlerhaft. Dies gilt auch hinsichtlich der an die Würdigung des Beweisergebnisses zu stellenden besonderen Anforderungen, wenn, wie im vorliegenden Fall, Aussage gegen Aussage steht und die Entscheidung im Wesentlichen davon abhängt, welchen Angaben der Tatrichter folgt. Erforderlich sind insbesondere eine sorgfältige Inhaltsanalyse der Angaben, eine möglichst genaue Prüfung der Entstehungsgeschichte der belastenden Aussage, eine Bewertung eines gegebenenfalls feststellbaren Aussagemotivs, sowie eine Prüfung von Konstanz, Detailliertheit und Plausibilität der Angaben (Senat, Urteil vom 22. Oktober 2014 – 2 StR 92/14, NStZ-RR 2015, 52; Urteil vom 7. März 2012 – 2 StR 565/11 mwN).Die Anforderungen an eine umfassende Würdigung der festgestellten Tatsachen sind bei einem Freispruch nicht geringer als im Fall der Verurteilung (vgl. Senat, Urteil vom 21. Februar 2018 – 2 StR 431/17, NStZ-RR 2018, 151, 152 mwN).

Tenor

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 11. September 2013 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.

Auf die Revision der Nebenklägerin wird das genannte Urteil mit den Feststellungen aufgehoben, soweit der Angeklagte im Fall Ziffer 4 der Anklage freigesprochen wurde.

Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Mit Urteil vom 24. Januar 2012 hatte das Landgericht den Angeklagten wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei Fällen, sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Der Senat hob das Urteil auf die Revision des Angeklagten mit Beschluss vom 12. September 2012 (2 StR 219/12) wegen der Verletzung formellen Rechts auf.

2

Das Landgericht hat den Angeklagten nunmehr wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern sowie sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Im Übrigen hat es den Angeklagten freigesprochen. Die gegen die Verurteilung gerichtete und auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg; ebenso die gegen den Freispruch im Fall Ziffer 4 der Anklage gerichtete Revision der Nebenklägerin.

I.

3

1. Nach den Feststellungen verbrachte die zur Tatzeit 10jährige Geschädigte die Herbstferien 2001 mit dem Angeklagten in dessen Wohnung, nachdem ihre Mutter, die sie zunächst begleitet hatte, eines Morgens unerwartet abreisen musste. Den Tag der Abreise verbrachte die Geschädigte sodann mit dem Angeklagten und dessen 11jährigem Sohn, der gegen Abend ebenfalls die Wohnung verließ. Der Angeklagte sah sich mit der Geschädigten zunächst einen Videofilm an, bevor er ihr einen Zungenkuss gab, sie anschließend auszog und mit ihr den Vaginalverkehr vollzog (Fall II. 1. der Urteilsgründe - Ziff. 1 der Anklage). Einige Wochen später übernachtete die Geschädigte zusammen mit ihrer Mutter erneut in der Wohnung des Angeklagten. Am frühen Morgen betrat der Angeklagte das Zimmer, in dem die Geschädigte alleine schlief. Er streichelte sie an der unbedeckten Brust. Als er Geräusche der Mutter aus dem Nebenzimmer hörte, hielt er inne und verließ das Zimmer (Fall II. 2. der Urteilsgründe - Ziff. 3 der Anklage).

4

2. Der Angeklagte hat die Taten bestritten. Das Landgericht hat seine Überzeugung im Wesentlichen auf die Aussage der Geschädigten gestützt und sich dabei unter anderem auf die Konstanz ihrer Angaben im Hinblick auf den der Verurteilung zugrunde liegenden Sachverhalt gestützt.

5

Von dem Tatvorwurf, während des Ferienaufenthalts im Oktober 2001 mit der Geschädigten einen weiteren Vaginalverkehr vollzogen (Ziff. 2 der Anklage) sowie dem weiteren Vorwurf, an einem Nachmittag Anfang 2002 versucht zu haben, die Geschädigte in seinem Ladengeschäft zu küssen (Ziff. 4 der Anklage), hat das Landgericht den Angeklagten freigesprochen. Die Geschädigte konnte sich - anders als bei früheren Vernehmungen - nur noch an einen mit dem Angeklagten vollzogenen Geschlechtsverkehr erinnern. Darüber hinaus schilderte sie einen Besuch im Ladengeschäft des Angeklagten, bei dem er sie geküsst, an der Brust gestreichelt und ihr den Finger in die Scheide eingeführt habe, wobei sie einräumte, dass dieser erstmals von ihr geschilderte Vorfall auch zu einem anderem Zeitpunkt passiert sein könne.

II.

6

Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg, so dass es auf die erhobenen Verfahrensrügen, denen aus den Gründen der Antragsschrift des Generalbundesanwalts in der Sache kein Erfolg beschieden wäre, nicht ankommt.

7

Die den Feststellungen zugrunde liegende Beweiswürdigung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

8

1. Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatrichters, dem es obliegt, das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen. Der revisionsgerichtlichen Überprüfung unterliegt nur, ob ihm dabei Rechtsfehler unterlaufen sind. Dies ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt (st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2004 - 1 StR 354/03, NStZ-RR 2004, 238 f.; Urteil vom 2. Dezember 2005 - 5 StR 119/05, NJW 2006, 925, 928).

9

2. Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. Die Beweiswürdigung ist lückenhaft, weil es jedenfalls an einer geschlossenen Darstellung der früheren Aussagen der Nebenklägerin fehlt, so dass die vom Landgericht erfolgte Konstanzanalyse revisionsgerichtlich nicht überprüft werden kann.

10

Zwar ist der Tatrichter grundsätzlich nicht gehalten, im Urteil Zeugenaussagen in allen Einzelheiten wiederzugeben. In Fällen, in denen - wie hier - die Verurteilung im Wesentlichen auf der Aussage einer Belastungszeugin beruht und diese sich entgegen früheren Vernehmungen teilweise abweichend erinnert, müssen aber jedenfalls die entscheidenden Teile ihrer bisherigen Aussagen in das Urteil aufgenommen werden, da dem Revisionsgericht ohne Kenntnis des wesentlichen Aussageinhalts ansonsten die sachlich-rechtliche Überprüfung der Beweiswürdigung nach den oben aufgezeigten Maßstäben verwehrt ist (vgl. BGH, Urteil vom 10. August 2011 - 1 StR 114/11, NStZ 2012, 110, 111).

11

Zwar hat das Landgericht die von der Nebenklägerin in der Hauptverhandlung erfolgte Aussage ausführlich geschildert. Es fehlt jedoch an einer zusammenhängenden Darstellung ihrer davon abweichenden früheren Angaben bei der Polizei. In den Urteilsgründen wird insoweit lediglich mitgeteilt, dass der Nebenklägerin Teile ihrer früheren Aussage vorgehalten wurden und dass sich die beiden Vernehmungsbeamtinnen auch auf Vorhalt nicht an Einzelheiten erinnern konnten. Gar nicht dargestellt wird, was die Geschädigte im Rahmen der vorangegangenen Hauptverhandlung, aufgrund derer der Angeklagte vollumfänglich verurteilt worden war, ausgesagt hat.

12

Auf dieser Grundlage kann der Senat schon nicht hinreichend überprüfen, ob das Landgericht eine fachgerechte Analyse der Aussage der Nebenklägerin zum Kerngeschehen vorgenommen und die dabei aufgezeigten abweichenden Erinnerungen zutreffend gewichtet hat (zur Gewichtung von Aussagekonstanz und Widerspruchsfreiheit vgl. BGH, Urteil vom 23. Januar 1997 - 4 StR 526/96, NStZ-RR 1997, 172).

III.

13

Die Revision der Nebenklägerin, die sich allein gegen den Freispruch des Angeklagten im Fall Ziff. 4 der Anklage richtet, hat ebenfalls Erfolg.

14

Die Beweiswürdigung des Landgerichts wird den Anforderungen an ein freisprechendes Urteil nicht gerecht, denn auch insoweit fehlt es an einer geschlossenen Darstellung der früheren Aussagen der Nebenklägerin.

Fischer     

Schmitt     

RiBGH Dr. Eschelbach
ist aus tatsächlichen Gründen
an der Unterschriftsleistung
gehindert.

Fischer

Ott     

Zeng     

6
b) Die Darlegungen der Strafkammer in den Verurteilungsfällen genügen nicht den Anforderungen, die die Rechtsprechung in Konstellationen wie der vorliegenden stellt. Zwar existiert kein Erfahrungssatz des Inhalts, dass einem Zeugen nur entweder insgesamt geglaubt oder insgesamt nicht geglaubt wer- den darf (vgl. MüKo-StPO/Miebach, 2016, § 261 Rn. 225 mwN). Jedoch müssen die Urteilsgründe dann erkennen lassen, dass das Tatgericht alle Umstände , die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat; wird dem Zeugen hinsichtlich weiterer Taten nicht gefolgt oder handelt es sich gar um bewusst falsche Angaben, so muss das Tatgericht zudem jedenfalls regelmäßig außerhalb der Zeugenaussage liegende gewichtige Gründe nennen, die es ihm ermöglichen, der Zeugenaussage im Übrigen dennoch zu glauben (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteile vom 29. Juli 1998 – 1 StR 94/98, BGHSt 44, 153, 159; vom 17. November 1998 – 1 StR 450/98, BGHSt 44, 256, 257). Daran fehlt es hier.

(1) Soweit die Revision für begründet erachtet wird, ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

(2) Gleichzeitig sind die dem Urteil zugrunde liegenden Feststellungen aufzuheben, sofern sie durch die Gesetzesverletzung betroffen werden, wegen deren das Urteil aufgehoben wird.