Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Juli 2014 - 1 StR 210/14

published on 22.07.2014 00:00
Bundesgerichtshof Beschluss, 22. Juli 2014 - 1 StR 210/14
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Gericht


Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das höchste Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Deutschland.  Der BGH besteht aus 16 Senaten, die jeweils von einem Vorsitzenden und mehreren anderen Richtern geleitet werden. Die Zusammensetzung der Senate

BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
1 StR210/14
vom
22. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer
Menge u.a.
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 22. Juli 2014 beschlossen:
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Kempten (Allg.) vom 30. Januar 2014 wird als unbegründet verworfen , da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat (§ 349 Abs. 2 StPO).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.

Ergänzend zu den Ausführungen des Generalbundesanwalts bemerkt der Senat: 1. Rüge einer Verletzung der Mitteilungs- und Dokumentationspflichten im Hinblick auf die Bekanntgabe des Inhalts eines in einer Verhandlungspause erfolgten Gesprächs zur Herbeiführung einer Verständigung
a) Insoweit ist die Rüge schon nicht zulässig erhoben. Es fehlt an der Behauptung eines bestimmten Rechtsfehlers. Die Revision trägt vor, was der Vorsitzende mitgeteilt und protokolliert hat und beanstandet, dass eine darüber hinausgehende Mitteilung nicht erfolgt sei (RB S. 11). Sie behauptet hingegen nicht, dass ausdrücklich oder konkludent zu diesem Zeitpunkt etwas besprochen worden ist oder sich ereignet hat, was nicht Gegenstand der Mitteilung und Protokollierung war (vgl. zu weitergehenden Vortragspflichten hinsichtlich des genauen Inhalts solcher Gespräche BGH, Urteil vom 10. Juli 2013 – 2 StR 47/13, NStZ 2013, 610; zu Erörterungen nach §§ 202a, 212 StPO ebenso BGH, Beschluss vom 6. März 2014 – 3 StR 363/13, NStZ 2014, 419). Mithin ist ein Informations- oder Dokumentationsdefizit, das die Transparenz der Verständigung, die Möglichkeit einer effektiven Kontrolle durch die Öffentlichkeit , die Staatsanwaltschaft und das Rechtsmittelgericht oder die Willensfreiheit des Angeklagten gefährden könnte, entgegen der Vortragspflicht aus § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht dargetan.
Solches lässt sich auch dem im Übrigen mitgeteilten Verfahrensgeschehen nicht entnehmen. Danach ist mitgeteilt worden, dass das Rechtsgespräch auf Initiative des Gerichts stattfand, für den Fall welchen prozessualen Verhaltens des Angeklagten das Gericht welchen Strafrahmen für einschlägig erachtete und wie die Staatsanwaltschaft für den Fall des vom Gericht in Bezug genommenen prozessualen Verhaltens des Angeklagten reagieren werde. Der Mitteilung entsprechend ist die Protokollierung dessen erfolgt. Zwar lässt sich dem der Standpunkt des an dem Gespräch ebenfalls teilnehmenden Verteidigers nicht entnehmen. Dass dieser aber überhaupt eine in dem Sinne relevante Erklärung abgegeben hat und deswegen ein Mitteilungsdefizit bestehen könnte, versteht sich nicht von selbst. Denn mit den Aufgaben des Verteidigers, dessen Zustimmung für das Zustandekommen einer Verständigung ohnehin nicht konstitutiv ist, ist es ohne weiteres zu vereinbaren, die Standpunkte von Gericht und Staatsanwaltschaft entgegenzunehmen und vor Äußerung eines eigenen Standpunkts den Inhalt der in Aussicht gestellten Verständigung zunächst mit seinem Mandanten zu erörtern, um diesen zu beraten und über die Zustimmung entscheiden zu lassen.

b) Soweit der Revisionsführer durch den fehlenden Vortrag zur Verteidigerreaktion das Ausbleiben der Information darüber beanstanden wollte, dass der Verteidiger sich zu dem Verständigungsvorschlag nicht verhalten hat, greift die Rüge – ungeachtetder Bedenken gegen ihre Zulässigkeit – ebenfalls nicht durch. Entgegen der missverständlichen Formulierung des Protokollvermerks handelte es sich bei dem ohne den Angeklagten stattfindenden „Rechtsgespräch“ allein um einen Vor- schlag, was auch durch den weiteren Verfahrensablauf, wie z.B. die erst im Anschluss erfolgte Belehrung nach § 257c Abs. 5 StPO, belegt wird. Zwar ist dem Revisionsführer darin Recht zu geben, dass zum mitzuteilenden Inhalt auch solcher Erörterungen gehört, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten worden sind, von welcher Seite die Frage einer Verständigung aufgeworfen und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen ist (BVerfG, Urteil vom 19. März 2013 – 2 BvR 2628/10 u.a., Rn. 85, NJW 2013, 1058; vgl. nur BGH, Beschluss vom 9. April 2014 – 1 StR 612/13). Hat der Verteidiger sich aber nicht in diesem Sinne verhalten, also einen Standpunkt vertreten, Zustimmung oder Ablehnung zum Ausdruck gebracht, sei es ausdrücklich oder konkludent , ergibt sich in der in Rede stehenden Situation daraus nicht die Verpflichtung, dieses Schweigen mitzuteilen und zu dokumentieren.

c) Das Urteil beruht auch nicht auf der unterbliebenen Mitteilung des vom Verteidiger vertretenen Standpunkts. Zwar ist, sofern die Mitteilung sich auf eine unzureichende Darstellung beschränkt, grundsätzlich die Verteidigungsposition des Angeklagten tangiert (vgl. BVerfG aaO, Rn. 97; BGH, Beschlüsse vom 25. November 2013 – 5 StR 502/13, NStZ-RR 2014, 52, und vom 15. April 2014 – 3 StR 89/14, NStZ 2014, 418). Vorliegend ist jedoch ausnahmsweise auszuschließen, dass sich der Angeklagte anders eingelassen hätte, wenn ihm durch den Vorsitzenden nach Wiedereintritt in die Hauptverhandlung eine etwaige Reaktion seines Verteidigers, der ohnehin in diesem Zusammenhang keine ihn bindenden Erklärungen abgeben kann, mitgeteilt worden wäre. Denn für den Angeklagten, der sich sowieso stets mit seinem Verteidiger beraten und dessen Rat zu seinem prozessualen Verhalten im Rahmen des § 257c StPO einholen kann (vgl. zum Ausschluss des Beruhens BGH, Beschluss vom 15. April 2014 – 3 StR 89/14, NStZ 2014, 418), hing hiervon in der konkreten Situation nichts ab; selbst bei – hier freilich weder dargetanen, noch sonst ersichtlichen – Interessengleichlauf von Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung (vgl. zu diesem Risiko BVerfG aaO, Rn. 114) zum Nachteil des im Übrigen umfassend informierten Angeklagten gilt nichts anderes.
2. Zeitlich nachgelagerte Verstöße gegen Mitteilungs- und Dokumentationspflichten Etwaige Rechtsverletzungen in diesem Zusammenhang macht der Revisionsführer – auch unter Berücksichtigung des in § 300 StPO enthaltenen Rechtsgedankens (vgl. BGH, Beschluss vom 12. Februar 2008 – 1 StR 649/07, NStZ 2008, 418) – mit seiner Rüge nicht geltend. Der Angriff richtet sich gegen den Umfang der Mitteilung des Inhalts des Vorgesprächs und des in einer Verhandlungspause geführten Gesprächs. Der Revisionsführer wendet sich unzweifelhaft allein gegen das Unterlassen einer weitergehenden Mitteilung darüber durch das Gericht. Dies ergibt sich aus den Beanstandungen, dass „eine darüber hinausgehende Mitteilung nicht erfolg- te“ (RB S. 11) bzw. dass es hätte „des Weiteren mitgeteilt werden müssen, welche Standpunkte von den einzelnen Gesprächsteilnehmern vertreten wurden und ob sie bei anderen Gesprächsteilnehmern auf Zustimmung oder Ablehnung gestoßen sind“, was „unterblieben“ sei (RBS. 16) und dem Umstand, dass gegen andere Handlungen oder Unterlassungen des Gerichts der Vorwurf der Rechtsverletzung nicht erhoben wird. Dies ist aber Voraussetzung für einen den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Vortrag (vgl. schon BGH, Urteile vom 29. Februar 1952 – 2 StR 112/50, BGHSt 2, 168; vom 3. September 2013 – 5 StR 318/13, NStZ 2013, 671). An die deutlich gemachte Umgrenzung des geltend gemachten Verfahrensmangels ist der Senat hinsichtlich seines Prüfungsumfangs gebunden (vgl. BGH, Beschlüsse vom 29. August 2006 – 1 StR 371/06, NStZ 2007, 161; vom 3. Mai 2011 – 3 StR 277/10, StV 2012, 3).
Richter am Bundesgerichtshof Rothfuß Jäger Dr. Wahl ist wegen Ruhestandes an der Unterschriftsleistung gehindert. Rothfuß Cirener Radtke
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(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen. (2) Das Revisionsgeric

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen. (2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer R

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt. (2) Gegenstand dieser Verstä

Ein Irrtum in der Bezeichnung des zulässigen Rechtsmittels ist unschädlich.
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published on 09.09.2021 17:29

Die Verständigung ist der sog. „Deal“ im Strafprozess. Schon umstritten ist, wie sie strafrechtsdogmatisch überhaupt einzuordnen ist. Die Verständigung ist eine Verfahrensweise, bei der sich das Gericht mit den Verfahrensbe
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Die Verständigung ist der sog. „Deal“ im Strafprozess. Schon umstritten ist, wie sie strafrechtsdogmatisch überhaupt einzuordnen ist. Die Verständigung ist eine Verfahrensweise, bei der sich das Gericht mit den Verfahrensbeteiligten über das Ergebnis des Verfahrens verständigt, § 257 c StPO. Häufigster Anwendungsfall dabei ist die Einigung über das zu erwartende Strafmaß, d. h. die Rechtsfolge, im Falle dass der Angeklagte geständig ist.
 
Primär dient dieses Institut natürlich dazu, Ressourcen zu schonen und damit Verfahren zu kürzen. Da die Ermittlung der „materiellen Wahrheit“, also der Sachverhalt, so wie er sich wirklich abgespielt hat, Ziel eines jeden Strafverfahrens ist, darf die Verständigung die Sachverhaltsaufklärung der Ermittlungsbehörden nicht verkürzen. Hier entsteht ein Dilemna zwischen der praktischen Notwendigkeit eines solchen Instituts und den extremen Bedenken, die gegen ein solches Institut sprechen; die Verfahrensgrundsätze werden durch einen solchen Deal nämlich nicht hinreichend bedacht. Das Verfahren wird hierdurch erheblich verkürzt und Grundsätze wie beispielsweise der Öffentlichkeitsgrundsatz können nicht derartig eingehalten werden, wie unsere Verfassung das von uns eigentlich verlangt. 

Zum Zwecke der Transparenz wurden entsprechende Protokollierungspflichten in unserer Strafprozessordnung normiert, um die Absprache mit den Verfahrensgrundsätzen in Einklang zu bringen. Die Einführung der Norm des § 257 c StPO am 4. 08 2009 stellte damit eigentlich einen Fortschritt dar – vorher entsprach es der Regel, dass Gerichte eine sog. informelle Absprache durchführten, d. h. illegale Absprachen außerhalb der Hauptverhandlung ohne jegliche Dokumentation. Problem hierbei ist, dass sich die Praxis seit Einführung des § 257 c StPO nicht an die ihr auferlegten Dokumentationspflichten hielt – das nennt das Bundesverfassungsgericht Vollzugsdefizit. Dies könnte dazu führen, dass die Norm in ihrer Gesamtheit früher oder später nicht mehr verfassungsgemäß ist:
 
Im Frühjahr 2013 entschied das Bundesverfassungsgericht nämlich, dass die Regelung zur Verständigung im Strafprozess – trotz eines erheblichen Vollzugsdefizits – derzeit „noch nicht“ verfassungswidrig seien. Was das genau bedeuten soll, ist unklar. In diesem Aufsatz möchte ich mich mit diesem Urteil auseinandersetzen. Es gilt als eines der wichtigsten Urteile des 21. Jahrhunderts zum Thema Strafprozessrecht.

2 BvR 2628/10 – Ein Überblick
Wie schon soeben erwähnt, setzte sich das Bundesverfassungsgericht im vorliegenden Verfahren damit auseinander, ob das Verständigungsgesetz in seiner Fassung mit der deutschen Verfassung in Einklang steht. Dies bejahte das höchstrichterliche Gericht, verwies aber auf den Vollzugsdefizit und legte demnach dem Gesetzgeber die Pflicht auf, die Schutzmechanismen (damit ist die Transparenz richterlichen Handelns und die Protokollierungspflichten im Rahmen einer Verständigung gemeint) immer wieder auf ihre Wirksamkeit hin zu überprüfen sowie bei Gelegenheit nachzubessern.

Wie steht es mit den Verfahrensgrundsätzen?
Das Bundesverfassungsgericht geht in seinem Urteil der Reihe nach auf die wichtigen Verfahrensprinzipien ein, die im Rahmen einer Verständigung unbedingt Beachtung finden müssen:
Es beginnt mit dem Schuldgrundsatz, der sich aus der Menschenwürde (Art. 1 GG und Art. 2 I GG) und aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 III GG) ableitet. Trotz einer Einigung über das Strafmaß im Rahmen einer Verständigung bleibt es immer noch Ziel des Strafverfahrens den wahren Sachverhalt zu ermitteln. Ohne einen solchen lässt sich das materielle Schuldprinzip gar nicht realisieren – Die Strafe die der Verurteilte erhält ist nämlich die Antwort auf seine persönliche Schuld! Auch das Institut der Verständigung kann einen solch wichtigen Verfahrensgrundsatz nicht lahmlegen.
Eine Verständigung kann damit niemals alleinige Urteilsgrundlage bilden, sondern das Gericht – muss wie sonst auch immer – hiervon überzeugt sein, § 261 StPO. Vielmehr müssen verständigungsbasierte Geständnisse auf ihre Richtigkeit überprüft werden (Verlinkung!).
 
Das Gericht weist auch darauf hin, dass der Grundsatz des Rechts auf ein faires Verfahren durch die Verständigung nach § 257 c StPO nicht verletzt wird. Ein solcher gewährleistet das Recht eines jeden Beschuldigten, prozessuale Rechte wahrzunehmen sowie Übergriffe des Staates in einer angemessenen Art und Weise abwehren zu können. Wie dieses Verfahrensrecht ausgestaltet wird, liegt grundsätzlich in der Kompetenz des Gesetzgebers.
Darüber schreibt das Gericht in seinem Urteil über die Relevanz des Grundsatzes der Selbstbelastungsfreiheit und der Unschuldsvermutung, die im Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 III GGverankert sind. Der Beschuldigte muss stets frei von jeglichem Zwang und eigenverantwortlich entscheiden können, ob und wie er im Strafprozess gegen sich selbst mitwirken möchte. Er muss also nicht an seiner eigenen Überführung mitwirken.
 
Die genannten Verfahrensgrundsätze lassen natürlich Zweifel aufkommen, inwieweit das Institut der Verständigung denn überhaupt mit diesen Verfahrensgrundsätzen in Einklang zu bringen ist. Außer Acht gelassen darf hierbei aber nicht, dass das Verständigungsgesetz vielmehr ein Versuch war, ein solches Institut mit der Verfassung in Einklang zu bringen, gerade weil es vorher der Praxis entsprach, eine solche ohne jegliche gesetzlich normierten Transparenzpflichten durchzuführen. Es entsprach also der Praxis einen solchen „Deal“ abzuschließen – und dies ohne Rücksicht darauf, dass ein solches Handeln unsere Verfassung und vielmehr die prozessualen Rechte eines jeden Beschuldigten mit Füßen trat.

Das Gericht schreibt in seinem Urteil, dass das Verständigungsgesetz das Risiko aufweisen würde, dass die Vorgaben, die uns die Verfassung an ein solches Institut vorschreibt, nur geringfügige Beachtung findet. Dies habe aber nicht zur Folge, dass es dem Gesetzgeber deshalb schlechthin verwehrt sei, eine solche Verfahrensvereinfachung dennoch grundsätzlich für zulässig zu erklären. Indem der Gesetzgeber an das Institut der Verständigung gewisse gesetzliche Vorgaben schuf, hat er damit kein „konsensuales Verfahrensmodell“ zwischen Beschuldigtem und Gericht geschaffen, sondern vielmehr die Verständigung als eine Art „Fremdkörper“ in unsere geltende Strafprozessordnung integriert.

Wieso sind Transparenz und Dokumentation von solchen Verständigungen so wichtig? 
Solche Pflichten, die der Gesetzgeber der Praxis mit seinem § 257 c StPO aufgebürdet hat sind deshalb bedeutsam, da sie eine effektive Kontrolle durch Öffentlichkeit, Staatsanwaltschaft und durch das Rechtsmittelgericht gewährt. Dadurch, dass die mit einer Verständigung verbundenen Handlungen umfassend in die öffentliche Hauptverhandlung einbezogen werden müssen, wird betont, dass sich auch bei dem Institut der Verständigung die richterliche Überzeugung aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung ergeben muss. Der Staatsanwaltschaft wird hier eine herausragende Rolle zugeschrieben, denn ihr kommt eine Kontrollfunktion zu. Sie ist dazu verpflichtet, ihre Zustimmung zu einer gesetzeswidrigen Verständigung zu verweigern und muss vielmehr Rechtsmittel gegen Urteil einlegen, die auf einer solchen Verständigung beruhen.

Bundesverfassungsgericht versetzt sich in die Lage des BGH und nennt Revisionsgründe
Interessant ist auch, dass das Bundesverfassungsgericht darlegt, dass ein Verstoß gegen die Transparenz-und Dokumentationspflichten die Rechtswidrigkeit der Verständigung zur Folge hat. Behält das Gericht die Verständigung dennoch bei, so stelle dies ein Revisionsgrund dar – ein Beruhen ließe sich also regelmäßig nicht ausschließen.
 
Dasselbe gelte dann, wenn der Angeklagte nicht über die Voraussetzungen und mit welchen Folgen das Gericht von dem in Aussicht gestellten Ergebnis abweichen kann belehrt wird. Eine solche Belehrung soll nämlich den Angeklagten in seiner Entscheidungsfreiheit hinsichtlich über seine Mitwirkung an der Verständigung schützen.
 
Diese Passagen des Urteils lassen seine Leser freilich etwas grübeln – denn solche Vorgaben, die das höchstrichterliche Gericht hier tätigt, sind eigentlich solche, die allein der Bundesgerichtshof als Revisionsinstanz der Justiz auferlegen sollte; nicht hingegen das Bundesverfassungsgericht. Es überschritt hier mithin seine Kompetenzen.

Über den Vollzugsdefizit
Nun zum Knackpunkt der Entscheidung:
Das Verständigungsgesetz sichere die verfassungsrechtlichen Vorgaben in hinreichender Weise; der in erheblichen Maße defizitäre Vollzug des Verständigungsgesetzes führe derzeit noch nicht zur Verfassungswidrigkeit der gesetzlichen Regelung.
 
Was das Bundesverfassungsgericht kritisiert ist gar nicht das Gesetz in seiner jetzigen Fassung vom 4.08.2009 selbst; es ist vielmehr die Praxis, die sich nicht an die ihr auferlegten Transparenz und Protokollierungspflichten hält. Verfassungswidrig wäre der Gesetzestext allein dann, wenn die Schutzmechanismen in einer Art und Weise lückenhaft wären und damit (selbst gegen die Verfassung verstoßende) informelle Absprachen fördern würden – die Norm soll solche illegalen Absprachen aber gerade verhindern indem sie strenge Anforderungen an ein solches Institut aufstellt.  Problem ist hier also vielmehr die Praxis, die das Gesetz nicht oder nicht richtig anwendet.
Als Hauptgrund für den defizitären Vollzug wird in der im Gutachten genannten empirischen Studie nicht der strukturelle Mängel des gesetzlichen Regelungskonzeptes, sondern vielmehr eine „fehlende Praxisuntauglichkeit“ genannt.

Was folgt?
Was schlussfolgert das Bundesverfassungsgericht aus seinen Erwägungen? Was soll das überhaupt bedeuten, das Gesetz ist „noch“ verfassungskonform, „Schuld“ sei vielmehr die Praxis? Das höchstrichterliche Gericht meint in seinen Ausführungen, der Gesetzgeber müsse die weitere Entwicklung sorgfältig im Auge behalten. Sollte sich die gerichtliche Praxis weiterhin in derartiger Weise über die normierten Regelungen hinwegsetzen, so sei es als Aufgabe des Gesetzgebers anzusehen, diese Fehlentwicklung durch Maßnahmen entgegenzutreten. Wenn dies unterbleibt, so träte „ein verfassungswidriger Zustand“ ein.
 
Diese Begründung durch das Bundesverfassungsgericht wurde zu Recht in vielfacher Weise von der Literatur angegriffen. Und das aus vielerlei Gründen. Wieso? Der Senat legt dem Gesetzgeber die Pflicht auf, die Entwicklung sorgfältig zu beobachten. Zwingend ist diese „Verschiebung“ aber nicht. Vielmehr hätte sich der Senat einer endgültigen Entscheidung nicht entziehen dürfen – je nachdem wie er den defizitären Vollzug des Verständigungsgesetzes einschätzt (unabhängig davon, dass ein solcher nicht aus einer Schutzlücke des Gesetzes entspringt) hätte er sich somit für eine Verfassungsmäßigkeit oder eben Verfassungswidrigkeit entscheiden können. Die Frage, wieso der Senat warten möchte, und vielmehr eine „vorübergehende Lösung“ der „Noch-Verfassungsmäßigkeit“ einer endgültigen Entscheidung vorzieht, erschließt sich mir nicht.
 
Eine Frage habe ich mir außerdem noch gestellt: Was genau muss der Gesetzgeber jetzt tun? Schließlich ist es und bleibt es die Aufgabe des Gesetzgebers, Gesetze zu erlassen. Wenn das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber allerdings vorgibt, dass das Verständigungsgesetz den verfassungsmäßigen Anforderungen entspricht, so bleibt für den Gesetzgeber unklar, wann und wie er zu handeln hat, wenn das Vollzugsdefizit in der Praxis keine Besserung erfährt.

Dieses Urteil ist v. a. für die Gerichte relevant. Es bringt zum Ausdruck, dass sie sich an die Formvorschriften der Strafprozessordnung halten müssen. Tun sie dies nicht, so trete ein rechtswidriger Zustand ein, der zeitgleich einen Revisionsgrund ablichtet. Ein solches hat natürlich auch eine erhebliche Relevanz für den Beschuldigten - er ist als Subjekt des Strafprozesses besonders schützenswert. Die Verfahrensgrundsätze unserer Strafprozessordnung müssen zu seinem Schutze Anwendung finden. 

published on 06.03.2014 00:00

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published on 12.02.2008 00:00

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published on 03.05.2011 00:00

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published on 11.06.2015 00:00

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Annotations

(1) Erachtet das Revisionsgericht die Vorschriften über die Einlegung der Revision oder die über die Anbringung der Revisionsanträge nicht für beobachtet, so kann es das Rechtsmittel durch Beschluß als unzulässig verwerfen.

(2) Das Revisionsgericht kann auf einen Antrag der Staatsanwaltschaft, der zu begründen ist, auch dann durch Beschluß entscheiden, wenn es die Revision einstimmig für offensichtlich unbegründet erachtet.

(3) Die Staatsanwaltschaft teilt den Antrag nach Absatz 2 mit den Gründen dem Beschwerdeführer mit. Der Beschwerdeführer kann binnen zwei Wochen eine schriftliche Gegenerklärung beim Revisionsgericht einreichen.

(4) Erachtet das Revisionsgericht die zugunsten des Angeklagten eingelegte Revision einstimmig für begründet, so kann es das angefochtene Urteil durch Beschluß aufheben.

(5) Wendet das Revisionsgericht Absatz 1, 2 oder 4 nicht an, so entscheidet es über das Rechtsmittel durch Urteil.

Erwägt das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens, kann es den Stand des Verfahrens mit den Verfahrensbeteiligten erörtern, soweit dies geeignet erscheint, das Verfahren zu fördern. Der wesentliche Inhalt dieser Erörterung ist aktenkundig zu machen.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.

(1) Das Gericht kann sich in geeigneten Fällen mit den Verfahrensbeteiligten nach Maßgabe der folgenden Absätze über den weiteren Fortgang und das Ergebnis des Verfahrens verständigen. § 244 Absatz 2 bleibt unberührt.

(2) Gegenstand dieser Verständigung dürfen nur die Rechtsfolgen sein, die Inhalt des Urteils und der dazugehörigen Beschlüsse sein können, sonstige verfahrensbezogene Maßnahmen im zugrundeliegenden Erkenntnisverfahren sowie das Prozessverhalten der Verfahrensbeteiligten. Bestandteil jeder Verständigung soll ein Geständnis sein. Der Schuldspruch sowie Maßregeln der Besserung und Sicherung dürfen nicht Gegenstand einer Verständigung sein.

(3) Das Gericht gibt bekannt, welchen Inhalt die Verständigung haben könnte. Es kann dabei unter freier Würdigung aller Umstände des Falles sowie der allgemeinen Strafzumessungserwägungen auch eine Ober- und Untergrenze der Strafe angeben. Die Verfahrensbeteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Verständigung kommt zustande, wenn Angeklagter und Staatsanwaltschaft dem Vorschlag des Gerichtes zustimmen.

(4) Die Bindung des Gerichtes an eine Verständigung entfällt, wenn rechtlich oder tatsächlich bedeutsame Umstände übersehen worden sind oder sich neu ergeben haben und das Gericht deswegen zu der Überzeugung gelangt, dass der in Aussicht gestellte Strafrahmen nicht mehr tat- oder schuldangemessen ist. Gleiches gilt, wenn das weitere Prozessverhalten des Angeklagten nicht dem Verhalten entspricht, das der Prognose des Gerichtes zugrunde gelegt worden ist. Das Geständnis des Angeklagten darf in diesen Fällen nicht verwertet werden. Das Gericht hat eine Abweichung unverzüglich mitzuteilen.

(5) Der Angeklagte ist über die Voraussetzungen und Folgen einer Abweichung des Gerichtes von dem in Aussicht gestellten Ergebnis nach Absatz 4 zu belehren.

Ein Irrtum in der Bezeichnung des zulässigen Rechtsmittels ist unschädlich.

(1) Der Beschwerdeführer hat die Erklärung abzugeben, inwieweit er das Urteil anfechte und dessen Aufhebung beantrage (Revisionsanträge), und die Anträge zu begründen.

(2) Aus der Begründung muß hervorgehen, ob das Urteil wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren oder wegen Verletzung einer anderen Rechtsnorm angefochten wird. Ersterenfalls müssen die den Mangel enthaltenden Tatsachen angegeben werden.