Bundesgerichtshof Beschluss, 08. Mai 2012 - 1 StR 176/12
Gericht
Richter
BUNDESGERICHTSHOF
Gründe:
- 1
- Das Landgericht hat die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet, wobei die Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die gegen dieses Urteil eingelegte Revision des Beschuldigten hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Urteils.
I.
- 2
- Hinsichtlich der Anlasstaten, welche das Landgericht der Unterbringungsanordnung gemäß § 63 StGB zugrunde gelegt hat, wurden folgende Feststellungen getroffen:
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- Der Beschuldigte stand am 11. Januar 2011 gegen 20.30 Uhr im Bereich des Anwesens N. Straße in A. mitten unter vorbeifahrenden Autos lautstark schimpfend auf der Straße. Als der Geschädigte J. an dieser Stelle die Fahrbahn überquerte und dabei an dem Beschuldigten vorbei- ging, fiel der Beschuldigte den Geschädigten plötzlich an, warf ihn auf die Fahrbahn und schlug mit der Faust auf ihn ein. Hierbei erlitt der Geschädigte Schürfungen im Gesicht. Der Beschuldigte flüchtete. Der Geschädigte, welcher den Beschuldigten für „völlig durchgeknallt und betrunken“ hielt, ging ebenfalls weiter und stellte in der Folge auch keinen Strafantrag.
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- Nachdem von anderen Personen die Polizei gerufen worden war, verfolgten die eingetroffenen Beamten den Beschuldigten und stellten ihn. Aufgefordert , seinen Ausweis zu zeigen, entkleidete dieser sich vollständig und sagte gegenüber einem Polizeibeamten: „Such den Ausweis selber, du Arsch“. Als ihm daraufhin die vorläufige Festnahme erklärt wurde, rannte er weg, stürzte jedoch nach 30 bis 50 Metern „alleinbeteiligt“. Bei seinerFesselung wehrte er sich in der Folge ebenso wie bei der anschließenden Fahrt im Polizeiauto und einer nachfolgenden Blutentnahme auf dem Polizeirevier. Die beiden festnehmenden Polizisten erlitten leichte Verletzungen.
II.
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- Die Unterbringungsanordnung war aufzuheben, weil die Feststellungen des Landgerichts zur Anlasstat nicht präzise und sowohl Anlass als auch Umfang der Auseinandersetzung des Beschuldigten mit dem Geschädigten J. nicht näher festgestellt sind. Ebenso fehlen tragfähige Feststellungen zu den Verletzungen des Zeugen, so dass offen geblieben ist, ob diese in irgendeiner Weise erheblich waren. Insoweit ergibt sich auch aus dem Begriff „Schürfungen“ nichts Näheres.
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- 1. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen beruhen im Wesentlichen auf der Verlesung der polizeilichen Aussage des Geschädigten J. , welcher der Ladung zur Hauptverhandlung nicht folgte. Diese sind aber insoweit unzureichend, als daraus nicht ersichtlich wird, wie im Einzelnen sich der Beschuldigte verhalten hat und ob es zu Äußerungen des Beschuldigten bei dem Zusammentreffen auf der Straße gekommen ist, welche sein Verhalten gekennzeichnet haben könnten. Ohne das Vorliegen solcher Äußerungen würde sich kaum erklären lassen, wie der Geschädigte zu seiner Feststellung ge- kommen ist, der Beschuldigte sei „völlig durchgeknallt und betrunken“ gewesen. Deshalb war es, da vor allem diese Tat Anlass für eine Unterbringungsanordnung sein könnte, unerlässlich, den Geschädigten nochmals - auch unter konkreter Androhung von Zwangsmitteln - zu laden und in der Hauptverhandlung zu vernehmen. Es reichte daher nicht aus, dass sich die Kammer stattdessen ergänzend auf die Angaben des Beschuldigten stützte, welcher aber nur noch wusste, dass der Geschädigte „plötzlich dagestanden“ habe und er mit ihm auf den Boden gefallen sei, ohne aber den Grund hierfür zu erinnern. Danach habe er sich bei ihm entschuldigt und ihn wieder hochgehoben, bevor er weggerannt sei, weil er mit dem Eintreffen der Polizei gerechnet habe.
- 7
- Diese nur fragmentarische Einlassung des Angeklagten ist zur Vervollständigung des Sachverhalts ungeeignet, weil sich daraus weder der Anlass der Auseinandersetzung noch die Erheblichkeit der vom Geschädigten erlittenen Verletzungen ergibt. Solcher Feststellungen bedarf es aber im Hinblick darauf , dass die Grenze für die Anwendbarkeit der Maßregel der Unterbringung nur dann überschritten ist, wenn es sich bei den zukünftig zu erwartenden Taten um solche handelt, die zumindest der mittleren Kriminalität zuzurechnen sind (BGH, Urteil vom 14. Februar 2001 - 3 StR 455/00). Sie wird nicht erreicht in Bagatellfällen (vgl. zur Abgrenzung BGHSt 27, 246, 248; BGH NStZ 1992, 178; BGHR StGB § 62 Verhältnismäßigkeit 2; § 63 Gefährlichkeit 16, 20, 22). Nachdem die Attacke des Beschuldigten für den Geschädigten offenbar weder Anlass gab, einen Strafantrag zu stellen, noch der Ladung zur Hauptverhand- lung Folge zu leisten, hätte sich die Strafkammer hiermit auseinandersetzen müssen.
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- Jedenfalls ist aufgrund der getroffenen Feststellungen eine Einordnung dieser ersten Tathandlung nicht möglich; denn es fehlen Ausführungen dazu, wie die vom Beschuldigten angewandte Gewalt konkret aussah. Die Formulie- rungen "fiel … den Geschädigten plötzlich an" und "warf ihn auf die Fahrbahn", und "schlug mit der Faust auf ihn ein" beschreiben die tatsächlich stattgefundenen Tätlichkeiten des Beschuldigten und deren Auswirkungen auf ihn nicht hinreichend , wobei die Feststellung von erlittenen "Schürfungen im Gesicht" eher auf weniger schwere bis geringfügige Verletzungen schließen lässt.
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- 2. Hinsichtlich der sich anschließenden Tathandlungen bei der Festnahme des Beschuldigten finden sich ebenfalls keine aussagekräftigen Feststellungen zu den Verletzungen der Polizeibeamten, zumal die Kammer auch nicht ausgeführt hat, weshalb diese nur durch die spezielle Situation einer Festnahme entstandenen Taten dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzuordnen sind. Offen geblieben ist auch, aus welchen Gründen dem Beschuldigten die vorläufige Festnahme erklärt wurde und weshalb es erforderlich war, ihn zu fesseln und auf das Revier zu verbringen.
- 10
- 3. Auf diese unzureichenden Feststellungen konnte die Prognose über die künftige Gefährlichkeit des Beschuldigten nicht rechtsfehlerfrei gestützt werden, zumal seine bisherigen Taten offenbar auch nach Auffassung der Strafkammer nicht dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen sind. Angesichts dessen wird der neue Tatrichter Gelegenheit haben, eine die neuen Feststellungen berücksichtigende Gesamtwürdigung des Beschuldigten und seiner Taten vorzunehmen. Nicht ausreichend ist dabei allerdings, dass der Beschuldigte in Zukunft in eine ähnliche Konfliktlage kommen und dann versu- chen könnte, sich erneut einer Festnahme zu entziehen (BGH NStZ 2007, 29,
30).
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Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20) oder der verminderten Schuldfähigkeit (§ 21) begangen, so ordnet das Gericht die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche rechtswidrige Taten, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich erheblich geschädigt oder erheblich gefährdet werden oder schwerer wirtschaftlicher Schaden angerichtet wird, zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich ist. Handelt es sich bei der begangenen rechtswidrigen Tat nicht um eine im Sinne von Satz 1 erhebliche Tat, so trifft das Gericht eine solche Anordnung nur, wenn besondere Umstände die Erwartung rechtfertigen, dass der Täter infolge seines Zustandes derartige erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird.
Eine Maßregel der Besserung und Sicherung darf nicht angeordnet werden, wenn sie zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht.